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Vom Fenster aus mit einem Manne sprechen! – schöne Geschichten!
Viel Lärmen um Nichts.
Wir müssen mit unsern Auszügen aus Miß Mannerings Briefen fortfahren, welche ihren natürlichen Verstand, ihre Grundsätze und Gefühle klar darstellen, Eigenschaften, denen eine unvollkommene Erziehung und die Thorheit einer im Irrthum befangenen Mutter Eintrag that, welche ihren Gemahl im Herzen so lange einen Tyrannen nannte, bis sie ihn als solchen fürchtete, und welche Romane las, bis sie sich in die darin vorkommenden Intriguen so verliebte, bis sie die Leitung einer kleinen Familiennovelle selbst übernahm und ihre Tochter, ein sechzehnjähriges Mädchen, zur Heldin derselben machte. Sie unterhielt sich mit kleinlicher Geheimnißkrämerei und Intrigue und zitterte doch vor dem Unwillen, den diese kindischen Manöver in ihres Gemahls Gemüth erregten. Auf diese Weise bildete sie sich oft einen kleinen Plan nur zum Vergnügen oder vielleicht aus Liebe zum Widerspruch, verwickelte sich tiefer hinein, als sie selbst wußte, suchte sich durch neue Kunstgriffe frei zu machen oder ihren Fehler durch Verstellung zu verbergen, verwirrte sich in den Maschen ihres eignen Gewebes und sah sich, aus Furcht vor Entdeckung, genöthigt, mit ihren Machinationen fortzufahren, zu denen sie anfangs aus bloßem Muthwillen ihre Zuflucht genommen hatte.
Zum Glück besaß der junge Mann, den sie so unvorsichtig in ihre vertraute Gesellschaft gezogen und ermuntert hatte, Neigung zu ihrer Tochter zu fassen, einen Fond von Grundsätzen und edlem Stolz, welcher ihn zu einem sicherern Vertrauten machte, als Mrs. Mannering hoffen oder erwarten durfte. Nur seine unbekannte Herkunft konnte ihm zum Vorwurf gemacht werden; in jeder andern Hinsicht
»Ward er mit edeln Gaben doch geboren,
Für Tugend und für hohen Ruhm erkoren;
Schon früh ward ihm vorausgesagt von Allen
Die stolze Laufbahn, die er werde wallen.«
Aber es ließ sich nicht erwarten, daß er der Lockung widerstehen werde, die ihm Mrs. Mannerings Unklugheit in den Weg warf, ohne daß er nicht Neigung zu einer jungen Dame fassen sollte, deren Schönheit und Charakter seine Leidenschaft selbst an andern Orten gerechtfertigt haben würde, wo man diesen Eigenschaften häufiger begegnet, als in einer entlegenen Festung der indischen Colonien. Die Scenen, welche folgten, sind in Mannerings Briefe an Mr. Mervyn beschrieben worden, und es hieße die Geduld unserer Leser mißbrauchen, wenn wir uns auf eine noch weitläufigere Schilderung einlassen wollten.
Wir fahren daher mit den versprochenen Auszügen aus Miß Mannerings Briefen an ihre Freundin fort.
»Ich habe ihn wieder gesehn, Matilde – zweimal gesehn. Ich habe alle Gründe erschöpft, um ihn zu überzeugen, daß diese geheime Unterhaltung für uns beide gefahrvoll sei – ich drang sogar in ihn, sein Glück zu suchen, ohne weiter auf mich Rücksicht zu nehmen, und den Frieden meines Herzens für hinlänglich gesichert durch das Bewußtsein zu halten, daß er nicht unter meines Vaters Waffe gefallen sei. Er antwortet – aber wie könnt' ich Alles, was er antwortete, einzeln berichten? Er beruft sich, wie auf ein Recht, auf jene Hoffnungen, die ihm meine Mutter zu nähren gestattete, und wollte mich zu der Tollheit einer Verbindung ohne meines Vaters Billigung überreden. Dazu jedoch, Matilde, werde ich nicht überredet werden. Ich habe all den rebellischen Gefühlen, die in mir seinen Vorschlag unterstützen wollten, widerstanden, und habe sie bewältigt; aber wie soll ich mich aus diesem unseligen Labyrinthe befreien, in welches Schicksal und Thorheit uns beide geführt haben!
»Ich habe so lange daran gedacht, Matilde, daß mir der Kopf schwindelt – ich weiß keinen bessern Plan zu finden, als daß ich meinem Vater Alles offen bekenne. Er verdient das, denn seine Freundlichkeit gegen mich ist unwandelbar; auch glaube ich soviel an seinem Charakter, seit ich ihn genauer studirte, entdeckt zu haben, daß er hauptsächlich nur dann in Zorn geräth, wo er Täuschung oder Betrug argwohnt; in dieser Hinsicht ist sein Charakter vielleicht früher am meisten von derjenigen Person mißverstanden worden, die ihm am theuersten war. Es liegt auch etwas Schwärmerisches in seinem Gemüthe, und oft sah ich, daß ihm die Erzählung einer edeln Handlung, einer heldenmüthigen That oder einer tugendhaften Selbstverläugnung Thränen entlockte, welche er bei einer gewöhnlichen Leidensgeschichte nicht vergoß. Brown behauptet jedoch, daß er gegen ihn persönlich feindselig gesinnt sei. – Und seine niedrige Herkunft – die würde allerdings ein Stein des Anstoßes sein. O, Matilde, ich hoffe, daß keiner deiner Vorfahren bei Poitiers und Agincourt mitgefochten hat! Hegte mein Vater nicht eine so hohe Verehrung für das Andenken des alten Sir Mannering, ich würde bei meinem Geständnisse nicht halb so zittern als es nun geschehen wird.«
»Soeben hab' ich deinen Brief empfangen – deinen höchst willkommenen Brief! – Dank, meine theuerste Freundin, für dein Mitgefühl und deine Rathschläge – ich kann sie blos mit unbeschränktem Vertrauen erwiedern.
»Du fragst mich nach Browns Herkunft, und warum diese meinem Vater so mißfällig sei. Seine Geschichte ist schnell erzählt. Er stammt aus Schottland, aber da er früh verwaist war, so übernahm eine verwandte Familie in Holland seine Erziehung. Er ward zum Kaufmann erzogen und kam früh nach einer unserer ostindischen Kolonien, wo sein Vormund einen Geschäftsfreund hatte. Der letztere war jedoch gestorben, als er in Indien ankam, und es blieb ihm nichts übrig, als das Amt eines Schreibers in einem Handelshause zu übernehmen. Der Ausbruch des Krieges und die Verlegenheit, in die er uns anfangs versetzte, gab allen jungen Leuten, welche zu dieser Lebensweise Lust hatten, Gelegenheit, in die Armee zu treten; und Brown, dessen Anlagen ihn zur militärischen Laufbahn vorzüglich geeignet machten, war der erste, der den Weg des Reichthums verließ um den des Ruhms zu betreten. Der Rest seiner Geschichte ist dir wohlbekannt; aber stelle dir den Zorn meines Vaters vor, welcher den Handel verachtet, (obwohl der beste Theil seines Vermögens durch diese anständige Beschäftigung von meinem Großoheim erworben ward,) und einen besondern Widerwillen gegen die Holländer hat; denke dir, auf welche Weise er den Heirathsantrag für sein eignes Kind von Vanbeest Brown, erzogen aus Gnade von dem Hause Vanbeest und Vanbruggen, anhören würde! O Matilde, es wird nie geschehn – und wirklich, so kindisch bin ich, daß ich kaum umhin kann, mit seinen aristokratischen Gefühlen zu sympathisiren. Mrs. Vanbeest Brown! der Name hat freilich wenig Empfehlendes. – Was für Kinder sind wir doch!«
»Nun ist Alles vorbei, Matilde! – Ich werde nimmermehr den Muth haben, meinem Vater zu bekennen – ja, ich fürchte sogar sehr, daß er mein Geheimniß bereits von Jemand anderm gehört hat, und dadurch wäre das Verdienst meiner freien Mittheilung gänzlich vernichtet und jeder Strahl von Hoffnung zerstört, den ich damit zu verbinden wagte. Gestern Nachts kam Brown wie gewöhnlich, und sein Flageolet auf dem See verkündigte seine Annäherung. Wir hatten ausgemacht, daß er jedesmal von diesem Zeichen Gebrauch machen solle. Diese romantischen Seen locken zahlreiche Besucher herbei, welche ihrem Enthusiasmus dafür nachgeben, indem sie diese Scenerie zu allen Stunden besuchen, und wir hofften, daß Brown, wenn er aus dem Hause bemerkt würde, für einen jener Naturbewunderer gelten werde, der dem Drange seines Gefühles mittelst der Musik Luft machte. Diese Töne konnten auch mir zur Entschuldigung dienen, wenn man mich auf dem Balkon beobachtete. In letzter Nacht jedoch, als ich eifrig auf dem Entschlusse beharrte, meinem Vater ein offenes Bekenntniß abzulegen, welches er mir ernstlich auszureden strebte, hörten wir das Fenster in Mr. Mervyns Bibliothek, die sich unter meinem Zimmer befindet, leise öffnen. Ich gab Brown ein Zeichen, sich zurückzuziehen und trat selber sogleich zurück, mit einiger Hoffnung, daß man unsere Zusammenkunft nicht bemerkt haben möge.
»Doch ach, Matilde, diese Hoffnung schwand alsbald, als ich Mr. Mervyns Gesicht am andern Morgen beim Frühstück beobachtete. Sein Blick war so herausfordernd klug und selbstvertrauensvoll, daß ich, hätte ich nur gedurft, weit zorniger, als je zuvor in meinem Leben, hätte sein können. Aber ich mußte gute Miene zum bösen Spiel machen, und meine Spaziergänge sind nun auf die Gränzen seiner Besitzung beschränkt, wo der gute Herr an meiner Seite ohne Beschwerde mitgehen kann. Ein oder zweimal ertappte ich ihn auf dem Versuche, meine Gedanken zu ergründen und den Ausdruck meines Gesichts zu beobachten. Er hat mehr als einmal von dem Flageolet geredet und zu verschiedenen Malen ließ er Lobsprüche über die Wachsamkeit und Wildheit seiner Hunde und über die Regelmäßigkeit hören, mit welcher der Wächter seine Runden mit geladener Büchse macht. Er gedachte auch der Fuchseisen und Selbstschüsse. Ungern möchte ich meines Vaters altem Freunde in seinem eigenen Hause Trotz bieten; aber mich verlangt ihm zu zeigen, daß ich meines Vaters Tochter bin, und davon wird sich Mr. Mervyn gewiß überzeugen, wenn ich ihm erst einmal offen und unverholen auf alle jene indirekten Winke antworte. Eines weiß ich gewiß, und dafür bin ich ihm dankbar – er hat Mrs. Mervyn nichts gesagt. Gott steh' mir bei, ich würde sonst Vorlesungen gehört haben über die Gefahren der Liebe und der nächtlichen Seeluft, über das Gefährliche, was Schnupfen und Glücksritter mit sich führen, über den Nutzen der Molkenkur und verschlossener Fenster! Ich kann mir nicht helfen, Matilde, ich muß scherzen, obwohl mein Herz schwer genug ist. Was Brown zu thun gedenkt, kann ich nicht errathen. Indeß vermuthe ich, die Furcht vor Entdeckung hält ihn von seinen Nachtbesuchen zurück. Er wohnt in einem Gasthaus am entgegengesetzten Ufer des Sees, und zwar, wie er mir sagt, unter dem Namen Dawson, – er wählt garstige Namen, das muß man gestehn. Die Armee hat er, glaub' ich, noch nicht verlassen, aber von seinen derzeitigen Aussichten sagt er nichts.
»Um meine Besorgniß noch zu steigern, ist mein Vater plötzlich zurückgekehrt, und zwar in sehr übler Stimmung. Wie ich aus einem lebhaften Gespräch zwischen unsrer guten Wirthin und ihrer Schaffnerin hörte, so hatte jene ihn unter einer Woche nicht zu sehen erwartet; sein Freund Mr. Mervyn schien mir aber gar nicht durch seine Ankunft überrascht zu sein. Er benahm sich gegen mich äußerst kalt und zurückhaltend – und das genügte, um all den Muth zu dämpfen, mit dem ich entschlossen war, mich seiner Großmuth in die Arme zu werfen. Er legt seinen Mißmuth und sein verstimmtes Wesen dem Verlust eines Ankaufes zur Last, den er im Südwesten Schottlands zu unternehmen gedachte und an dem sein Herz hing; ich glaube indeß nicht, daß sein Gleichmuth so leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann. Sein erster Ausflug geschah mit Mr. Mervyns Boot über den See hinüber nach dem erwähnten Gasthause. Du kannst dir die Todesangst denken, mit welcher ich seine Rückkehr erwartete – hätte er Brown wieder erkannt, welche Folgen konnte dies haben! Er kehrte indeß zurück, ohne dem Anschein nach irgend eine Entdeckung gemacht zu haben. Ich vernehme, daß er nun, in Folge seines vereitelten Wunsches, ein Haus in der Nähe desselben Ellangowan zu miethen gedenkt, von welchem ich so viel zu hören verurtheilt bin – er scheint der Meinung zu sein, daß jenes Gut, welches er zu besitzen wünschte, bald wieder verkäuflich sein werde. Ich will diesen Brief nicht eher absenden, als bis ich Genaueres über seine Absichten gehört habe.«
»Ich habe nun eine Unterredung mit meinem Vater gehabt, wobei er mir so viel Vertrauen bewies, als er mir vermuthlich überhaupt beweisen will. Er forderte mich heute nach dem Frühstück auf, mit ihm in die Bibliothek zu gehen; die Kniee, Matilde, bebten mir, und es ist keine Uebertreibung, wenn ich sage, daß ich ihm kaum nach jenem Zimmer zu folgen vermochte. Ich fürchtete mich und wußte nicht wovor – von Kindheit hatte ich ja Alles vor seinem Stirnrunzeln zittern sehn. Er hieß mich niedersetzen, und nie gehorchte ich einem Befehle so bereitwillig, denn ich vermochte wirklich kaum zu stehn. Er selbst ging im Zimmer auf und ab. Du hast meinen Vater gesehn und ich besinne mich, daß dir seine so ausdrucksvollen Züge auffielen. Seine Augen sind von Natur ziemlich lichtfarben, aber Aufregung oder Zorn gibt ihnen einen düsteren und feurigern Glanz; er hat auch eine gewisse Gewohnheit die Lippen zusammenzuziehen, wenn er sehr aufgeregt ist; und dies deutet den Kampf an, der zwischen seiner natürlichen Hitze und seiner kräftigen Selbstbeherrschung stattfindet. Dies war das erste mal, daß wir seit seiner Rückkehr aus Schottland allein waren, und als er durch jene Zeichen seine innere Bewegung verrieth, zweifelte ich kaum, daß er im Begriff sei, auf den gefürchteten Gegenstand einzugehen.
»Zu meinem unaussprechlichen Troste fand ich, daß ich mich irrte und daß, was er auch immer von Mr. Mervyns Argwohn und Entdeckungen wissen mochte, er doch nicht willens sei, mit mir über diese Sache zu sprechen. Feig, wie ich war, fühlte ich mich unendlich erleichtert, obwohl, wenn er wirklich den Gerüchten, die ihm zu Gehör gekommen, nachgeforscht hätte, die Wirklichkeit nichts gegen das gewesen sein würde, was sein Argwohn ihm eingeben mochte. Obwohl jedoch mein Muth wuchs, als ich mich so unerwartet von dem Gefürchteten frei sah, hatte ich doch nicht den Muth, selbst das Gespräch zu beginnen, sondern wartete schweigend seiner Befehle.
»›Julia,‹ sagte er, ›mein Anwalt schreibt mir aus Schottland, daß er ein Haus für mich gemiethet hat, anständig ausgestattet und mit aller nöthigen Bequemlichkeit für meinen Haushalt versehn – es liegt anderthalb Stunden von dem Besitzthum, das ich zu kaufen gedachte.‹ – Darauf schwieg er und schien meine Antwort zu erwarten.
»›Welcher Ort dir als Aufenthalt bequem scheint, Vater, muß auch mir ganz angenehm sein.‹
»›Hm! – Ich denke indeß nicht, Julia, daß du während des Winters ganz allein in diesem Hause wohnen wirst.‹
»›Mr. und Mrs. Mervyn‹ – dachte ich im Stillen. ›Jede Gesellschaft, welche dir angenehm ist,‹ antwortete ich laut.
»›O, du hast etwas zuviel von jener allgemeinen höflichen Unterwürfigkeit; wo es wahr gemeint ist, mag dergleichen gut sein, aber das beständige Wiederholen der bloßen Redensart ruft mir die ewigen knechtischen Begrüßungen unserer schwarzen Untergebenen in Indien ins Gedächtniß. Kurz, Julie, ich weiß, daß du die Gesellschaft liebst, und ich gedenke eine junge Dame, die Tochter eines verstorbenen Freundes, einzuladen, einige Monate bei uns zu wohnen.‹
»›Nur keine Gouvernante, um des Himmels Willen, Vater!‹ rief ich Arme, indem die Furcht in diesem Augenblicke gänzlich die Klugheit überflügelte.
»›Nein, keine Gouvernante, Miß Mannering,‹ erwiederte der Oberst etwas streng, ›sondern eine junge Dame, an deren trefflichem Beispiel, da sie in der Schule des Mißgeschicks erzogen ist, du hoffentlich lernen wirst, deine eigne Hofmeisterin zu sein.‹
»Hier eine Antwort zu geben, war zu gefährlich, und daher entstand eine Pause.
»›Ist die junge Dame eine Schottländerin, Vater?‹
»›Ja‹ – war die ziemlich trockne Antwort.
»›Hat sie viel vom schottischen Accent, Vater?‹
»›Viel vom Teufel!‹ antwortete mein Vater hastig; ›meinst du ich kümmere mich um a's und aa's, um i's und ee's? – Ich sage dir Julie, ich meine es ernstlich in dieser Sache. Du hast einen Hang für Freundschaften, das heißt, dich in Vertraulichkeiten einzulassen, die du mit jenem Namen belegst – (war das nicht sehr hart gesagt, Matilde?) – nun wünsche ich dir Gelegenheit zu geben, wenigstens eine würdige Freundin zu erwerben, und daher bin ich entschlossen, diese junge Dame einige Monate als Familienglied anzusehn, und ich erwarte, daß du ihr die Aufmerksamkeit erweisest, die man dem Mißgeschick und der Tugend schuldig ist.‹
»›Gewiß, Vater. – Hat meine künftige Freundin rothes Haar?‹
»Er warf mir einen seiner strengen Blicke zu; du wirst vielleicht sagen, ich hätte das verdient; aber ich glaube, der Teufel legt mir bei solchen Gelegenheiten die Fragen in den Mund.
»›Sie übertrifft dich, mein Kind, im Aeußern so sehr, wie an Klugheit und Liebe für ihre Freunde.‹
»›Ach, Vater, du meinst doch nicht, daß sie sich dadurch bei mir empfiehlt, wenn sie mich so übertrifft? – Nun, Vater, ich sehe, du willst dies Alles zu ernstlich nehmen; wer die junge Dame auch sein mag, so soll sie, von dir empfohlen, ganz gewiß keinen Grund haben, sich über Mangel an Höflichkeit von meiner Seite zu beklagen.‹ – Nach einer Pause fragte ich weiter: ›Hat sie einen Bedienten? denn es liegt mir doch ob, für ihre Bequemlichkeit zu sorgen, falls sie noch keine Bedienung hätte.‹
»›Nein – nein – nicht einen eigentlichen Bedienten – der Kaplan, der früher bei ihrem Vater lebte, ist ein recht guter Mensch, und ich bin Willens, ihm Platz in meinem Hause zu gönnen.‹
»›Ein Kaplan, Vater? Gott schütz' uns!‹
»›Ja, Miß Mannering, ein Kaplan; ist dies Wort so unerhört neu? Hatten wir nicht in unsrer indischen Niederlassung einen Kaplan?‹
»›Ja, Vater, aber damals warst du auch Kommandant.‹
»›Das will ich denn auch jetzt sein, Miß Mannering, – wenigstens in meinem eigenen Hause.‹
»›Ohne Widerrede, Vater – aber wird er unsern Gottesdienst auch streng nach der englischen Kirche halten?‹
»Die anscheinende Einfalt, womit ich diese Frage that, überwand seinen Ernst. ›Ach, Julie, du bist ein böses Kind, aber ich gewinne nichts dabei, wenn ich dich schelte. – Was die beiden Fremden betrifft, so wirst du die junge Dame gewiß nur lieben können; und die Person, die ich in Ermangelung eines bessern Ausdrucks Kaplan nannte, ist ein ehrenwerther, wenn auch etwas lächerlicher Mann, der nie merken wird, daß du ihn auslachst, wofern du nur nicht allzulaut lachst.‹
»›Lieber Vater, diese Seite seines Charakters gefällt mir sehr. – Doch bitte, ist das Haus, wohin wir gehen, so angenehm gelegen, wie dies hier?‹
»›Vielleicht nicht ganz nach deinem Geschmack – dort ist kein See unterm Fenster, und du wirst dich in die Nothwendigkeit versetzt sehn, alle Musik nur innerhalb des Hauses zu vernehmen.‹
»Dieser letzte coup de main endigte unser scharfes Witzgefecht, denn du kannst glauben, Matilde, daß mir der Muth darauf zu antworten fehlte.
»Dennoch war, wie dir aus diesem Gespräch klar sein wird, mein Muth wieder unerwartet stark geworden. Brown lebt, ist frei und in England! Verlegenheiten und Angst kann und muß ich wohl erdulden. Wir reisen in zwei Tagen nach unsrer neuen Wohnung. Ich werde nicht ermangeln, dich wissen zu lassen, wie mir jene schottischen Hausgenossen gefallen, die mir (ich habe nur zu viel Grund dies zu glauben,) mein Vater als ein Paar ehrbare Spione ins Haus zu legen denkt; eine Art von weiblichem Rosenkranz, nebst einem ehrwürdigen Güldenstern, der eine im schottischen Röckchen, der andre im Priestergewand. Welch ein Kontrast zu der Gesellschaft, die ich mir gern selbst verschafft hätte! Ich will gleich nach meiner Ankunft auf dem neuen Wohnort schreiben, und meine Matilde bekannt machen mit den fernern Schicksalen ihrer
Julia Mannering.«