Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Bereit ist Alles – jeder Gang der Mine
Ist voll des Brennstoffs, der gleich dunklem Sand
Unschädlich daliegt, weil noch unentzündet;
Ein einz'ger Funke wandelt um sein Wesen,
Und wer es weckt aus seinem ruh'gen Schlaf,
Der ist nicht wen'ger von Gefahr umfangen
Als der, deß Thürme seine Wuth ereilt.
Ungenannter.
Wenn sich der Himmel plötzlich verdunkelt, und die Luft schwül und erstickend wird, dann haben die geringeren Classen der Geschöpfe die Vorempfindung eines nahenden Sturms. Die Vögel fliegen zum Dickicht, die wilden Thiere suchen ihre sichersten Höhlen, und die Hausthiere verrathen in ihren Bewegungen Furcht und Ungeduld.
Es scheint, daß die Menschennatur bei ähnlichen Gefahren einer ähnlichen Vorempfindung fähig sei. Vielleicht geht unser aufgeklärtes Zeitalter zu weit, wenn es die natürlichen Empfindungen, die uns ursprünglich gleich Wächtern vor drohenden Gefahren warnten, unterdrückt und verachtet haben will.
Etwas von diesen Empfindungen bleibt immer übrig, und das Vorgefühl, das uns schmerzliche und beunruhigende Begebenheiten ankündigt, überfällt uns, so zu sagen, gleich den Prophezeihungen der Schicksalsschwestern, wie ein plötzlicher Nebel.
Während des Tages, der dem Kampf des Cäsars mit dem Grafen von Paris vorherging, verbreiteten sich in Constantinopel die entgegengesetztesten und beunruhigendsten Gerüchte. Einige sagten, eine geheime Verschwörung sei ihrem Ausbruch nahe; Andere berichteten, daß der Krieg bereit sei, seine Banner über die fromme Hauptstadt zu schwingen; über die Ursache des Kriegs wurde nichts Bestimmtes gesagt, eben so wenig darüber, wer der eigentliche Feind sei. Einige sagten, die Barbaren von der thracischen Gränze, die Ungarn, wie man sie nannte, und die Cumanen seien im Anzug gegen die Stadt; Andere berichteten, die Türken, die damals in Asien saßen, hätten beschlossen, um den drohenden Angriff der Kreuzfahrer gegen Palästina zu verhüten, durch einen großen und raschen Ueberfall nicht nur die abendländischen Pilger, sondern auch die morgenländischen Christen zu überraschen.
Ein anderer Bericht, der der Wahrheit näher lag, lautete, die Kreuzfahrer, die hinter die Beleidigungen, die man ihnen angethan hätte, gekommen wären, hätten sich entschlossen, nach der Hauptstadt umzukehren, um Alexius Comnenus zu entthronen oder zu züchtigen; und die Einwohner waren auf's Höchste beunruhigt über die Folgen des Zorns dieser wilden Fremdlinge. Kurz, wiewohl man in den Einzelheiten nicht übereinstimmte, so war man darin einverstanden, daß eine nahe Gefahr drohe, was auch durch die Bewegung unter den Truppen bestätigt zu werden schien. Die Waräger und Unsterblichen versammelten sich, und besetzten die wichtigsten Stadttheile, und endlich gewahrte man auch die Flotte Tankreds, die aus Galeeren, Ruderboten und Frachtschiffen bestand, und von Scutari aus eine solche Höhe auf der Meerenge zu gewinnen suchte, daß sie mit Wiederkehr der Fluth den Hafen von Constantinopel gewinnen könne.
Alexius Comnenus selbst war über diese unerwartete Bewegung der Kreuzfahrer betroffen. Doch nach einer Unterredung mit Hereward, dem er so viel Zutrauen geschenkt hatte, daß er es nicht mehr widerrufen konnte, beruhigte er sich wieder, zumal da ihm die abgeordnete Schaar zu schwach vorkam, um einen Angriff gegen die Stadt ausführen zu können. Zu denen, die in seiner Nähe waren, sagte er ganz gleichgültig, daß schwerlich in der Nachbarschaft des Kreuzlagers eine Trompete zum Angriff blasen könnte, ohne daß einige von den vielen Rittern herauskämen, um dem Schauspiel des Kampfes beizuwohnen.
Auch die Verschworenen hatten ihre geheimen Befürchtungen, als sie das kleine Heer Tankreds auf der Meerenge bemerkten. Agelastes bestieg ein Maulthier, und begab sich nach dem Meeresufer, da wo nun Galata ist. Er begegnete dem Schiffer Bertha's, den Gottfried theils aus Verachtung, theils weil der Bericht, den er wahrscheinlich machen würde, die Verschworenen in der Stadt täuschen würde, in Freiheit gesetzt hatte. Von Agelastes mit Fragen gedrängt, erklärte er, daß diese Schaar, so viel er wüßte, auf Bohemunds Verlangen abgeordnet, und unter den Befehl seines Vetters Tankred gestellt worden sei, dessen bekanntes Banner von dem Vordermast wehe. Das ermuthigte Agelastes, der heimlich mit dem verschmitzten und feilen Fürsten von Antiochien in Verbindung getreten war. Der Zweck des Philosophen war gewesen, von Bohemund Truppen zu erhalten, welche zu der beabsichtigten Umwälzung beitragen, und die Verschworenen verstärken sollten. Es ist wahr, Bohemund hatte nicht geantwortet, aber der Bericht des Schiffers und der Anblick von Tankreds Banner überzeugten den Philosophen, daß seine Versprechungen und Geschenke den habsüchtigen Italiäner gewonnen hätten, und daß diese von Bohemund erwählte Schaar käme, um zu Gunsten der Verschwornen zu handeln.
Als Agelastes fortreiten wollte, streifte er fast eine Gestalt, die eben so vermummt war und eben so wenig gern erkannt sein wollte, als der Philosoph selbst. Alexius Comnenus aber (denn es war der Kaiser selbst) erkannte Agelastes' Gestalt und Benehmen, und konnte sich nicht enthalten, im Vorbeigehen dem sogenannten Weisen die bekannten Verse in's Ohr zu flüstern, denen die verschiedenen Beschäftigungen desselben eine besondere Spitze gaben:
»
Grammaticus, rhetor, geometres, pictor, alipes,
Augur, schoenopates, medicus, magus; omnia novit
Graeculus esuriens, in caelum, jusseris, ibit.«
Agelastes erschrak zuerst, als er die Stimme des Kaisers erkannte, bald aber gewann er seine Fassung wieder, deren Verlust ihm Selbstverrath geschienen hätte, und den hohen Rang dessen, zu dem er sprach, außer Acht lassend, gab er eine Antwort, die den erlittenen Stich zurückgeben sollte. Es waren die Worte, welche der Schatten der Cleonice dem Tyrannen, der sie gemordet hatte, in's Ohr schallen ließ:
» Tu cole justitiam; teque atque alios manet ultor.«
Diese Worte und die Erinnerungen, welche sich daran knüpften, durchschnitten das Herz des Kaisers, der sich jedoch, ohne etwas weiter zu sagen, entfernte.
»Der verrätherische Schurke,« dachte er, »ist von seinen Meuterern umgeben, sonst hätte er diese Drohung nicht gewagt. Oder, was schlimmer wäre, Agelastes, der an der Gränze des Lebens steht, hat vielleicht die wunderbare Gabe erhalten, in die Zukunft zu schauen, und spricht weniger aus eigener Ueberlegung, als er dem Geheiß des prophetischen Geistes folgt. War ich denn als Kaiser ein so großer Sünder, daß man mit Recht die Worte auf mich anwenden kann, welche die verunglimpfte Cleonice zu ihrem Räuber und Mörder spricht? Ich glaube nein. Mit weniger gerechter Strenge, glaube ich, hätte ich meine hohe Stellung schlecht vertheidigt, die mir der Himmel angewiesen hat, und die ich als Herrscher zu vertheidigen verpflichtet war. Die Zahl derer, die mein Wohlwollen kennen gelernt haben, kann sich wohl messen mit der Zahl derer, welche die verdiente Strafe ihrer Schuld ereilt hat. – Doch wurde diese Strafe, wiewohl sie verdient war, immer auf eine gesetzliche und rechtliche Weise genommen? Ich kann mir schwerlich selbst diese Frage beantworten; und wo ist der Mann, hätte er auch die Tugenden eines Antoninus, der in einer so hohen Stellung, die voll Verantwortlichkeit ist, bei einer Frage ruhig bleiben könnte, wie sie in der Warnung dieses Verräthers enthalten ist? Tu cole justitiam – wir Alle sollen Gerechtigkeit gegen einander üben – teque atque alias manet ultor – wir sind Alle einem höheren Richter verantwortlich. – Ich will den Patriarchen sprechen – ich will ihn gleich jetzt besuchen; und wenn ich der Kirche meine Vergehungen gebeichtet haben werde, soll mir durch ihre Vergebung das Recht zu Theil werden, den letzten Tag meiner Regierung im Bewußtsein der Unschuld oder der Vergebung zu verleben – einer Gemüthsverfassung, die Hochgestellten selten zu Theil wird.«
Mit diesen Gedanken wandte er sich nach dem Pallast des Patriarchen Zosimus, dem er sich ungescheut anvertrauen konnte, da derselbe längst in Agelastes einen Feind der Kirche und einen Anhänger der alten Lehren des Heidenthums erblickt hatte. Auch in dem Staatsrath waren sich Beide immer entgegen, und der Kaiser zweifelte nicht, daß er in dem Patriarchen einen redlichen und standhaften Vertheidiger finden würde, wenn er ihm das Geheimniß der Verschwörung mittheilte. Durch ein leises Pfeifen gab er also ein Zeichen, und ein wohlberittener vertrauter Offizier nahte sich, der ihn auf seinem Ritt heimlich und aus der Ferne begleitete.
Auf diese Art verfügte sich Alexius Comnenus nach dem Pallast des Patriarchen mit so viel Eile, als er anwenden konnte, ohne Aufsehen in den Straßen zu erregen. Auf dem ganzen Wege kam ihm die Warnung des Agelastes nicht aus dem Kopf, und sein Gewissen erinnerte ihn nur an zu viel Handlungen, die nur durch die Nothwendigkeit (die man des Tyrannen Ausflucht nennt) zu entschuldigen waren, und die für sich allein die lang aufgehobene harte Strafe verdienten.
Als er die prächtigen Thürme, welche die Vorderseite des Patriarchenpallastes zierten, erreicht hatte, wandte er sich von den hohen Thoren seitwärts, und verfügte sich in einen engen Hof, wo er sein Maulthier seinem Begleiter gab, und vor einem Thürchen stillhielt, dessen niedriger Bogen und einfacher Architrav dem Orte keine große Bedeutung zulegte. Auf sein Klopfen öffnete ein geringer Priester die Thür, und empfing den Kaiser, sobald sich derselbe zu erkennen gegeben hatte, mit einer tiefen Verbeugung und führte ihn in den Pallast. Nachdem Alexius eine geheime Unterredung mit dem Patriarchen begehrt hatte, wurde er in die Privatbibliothek desselben geführt, wo ihn dieser betagte Priester mit den Gefühlen der tiefsten Ehrfurcht, die sich bald in Staunen und Abscheu verwandelten, empfing.
Obgleich Alexius von vielen seiner Hofleute, namentlich von einigen Gliedern seiner Familie, für einen Heuchler gehalten wurde, so verdiente er doch einen so gehässigen Namen keineswegs. Er erkannte in der That die wichtige Stütze, die ihm die Gunst der Geistlichkeit gewährte, und darum war er bereit, der Kirche oder einzelnen treuen Prälaten Opfer zu bringen; doch wiewohl Alexius selten dergleichen Opfer ohne einen politischen Zweck brachte, so betrachtete er sie doch als Beweise seiner Frömmigkeit, statt sie als Proben seiner Politik anzusehen.
Der Kaiser legte in seiner Beichte dem Patriarchen die Fehler seiner Regierung offen dar: er stellte alle seine Verirrungen in ihrer Nacktheit dar, und nahm von seinen Handlungen den Schleier, der sie hatte beschönigen sollen. Der Patriarch hörte zu seinem Erstaunen den wahren Hergang mancher Hofintrigue, die ein ganz anderes Aussehen gehabt hatte, bis der Kaiser selbst durch seine Erzählung entweder sein Betragen dabei rechtfertigte oder ungerechtfertigt ließ. Im Ganzen stand die Wage mehr zu Gunsten des Alexius, als der Patriarch, der in die Hofintriguen nicht eingeweiht war, wobei Minister und Höflinge für den Beifall, den sie im Rath den ungerechtesten Handlungen des Monarchen schenken, immer demselben eine größere Schuld aufbürden, als sich selbst, für wahrscheinlich gehalten hatte. Viele Männer, die, wie man glaubte, dem persönlichen Haß und Neid des Kaisers geopfert worden waren, waren in Wahrheit ihres Lebens oder ihrer Freiheit darum beraubt worden, weil die Ruhe des Staats und die Sicherheit des Monarchen dadurch allein gewahrt werden konnte.
Zosimus erfuhr auch, was er bereits geargwohnt haben mochte, daß mitten in der knechtischen Ruhe, die im ganzen Reiche zu walten schien, häufige Erschütterungen verspürt würden, die von dem Dasein eines unterirdischen Vulcans zeugten. Während unbedeutendere Verschwörungen oder offene Aufstände gegen die kaiserliche Regierung selten vorkamen, und wenn sie vorkamen, strenge bestraft wurden, wurden die größten und gefährlichsten Verschwörungen gegen das Leben und die Würde des Kaisers von den ihn umgebenden Personen angesponnen; und es geschah oft, daß der Kaiser die Verschwornen kannte, es aber erst dann wagte, dieselben zu bestrafen, wenn ihr Plan wirklich zum Ausbruch gekommen war.
Mit Erstaunen hörte der Patriarch den ganzen Verrath des Cäsars und seiner Mitschuldigen, Agelastes und Achilles Tatius, und er war hauptsächlich über die Gewandtheit erstaunt, mit welcher der Kaiser, der um das Dasein einer so gefährlichen Verschwörung wußte, der gleichzeitig von Seiten der Kreuzfahrer drohenden Gefahr zu begegnen im Stande war.
»In dieser Rücksicht,« sagte der Kaiser, dem der Patriarch sein Erstaunen bezeugt hatte, »bin ich sehr unglücklich gewesen. Hätte ich mich auf mein eigenes Reich verlassen können, so wäre mir erlaubt gewesen, auf eine oder die andere Art männlich und offen mit diesen rasenden Kriegern des Westens zu verfahren. – Ich hätte, ehrwürdiger Vater, die dem Bohemund und anderen habsüchtigen Kreuzfahrern geopferten Summen zum Besten des ganzen Kreuzheeres verwandt, und dies Heer nach Palästina gebracht, ohne es den Verlusten auszusetzen, die es wahrscheinlich durch die Ungläubigen zu erleiden haben wird; die Siege dieses Heeres wären mir zu gut gekommen, und ein lateinisches, von diesen stahlgerüsteten Kriegern vertheidigtes Königreich in Palästina wäre eine sichere, unübersteigliche Vormauer des Reichs gegen die Saracenen geworden. Oder wenn die andere Verfahrungsart für das Reich und die Kirche, deren Oberhaupt du bist, besser gewesen wäre, so hätten wir vereinigt und mit Macht unsere Gränzen gegen ein Heer vertheidigt, das so verschiedenartigen Anführern folgt und so planlos vordrang. Wenn der erste Schwarm dieser Heuschrecken unter jenem Walter von Habenichts von den Ungarn gelichtet und von den Türken gänzlich vernichtet wurde, wie die Knochenpyramide an der Landesgränze noch bezeugt, so hätten gewiß die vereinten Kräfte von Griechenland wenig Mühe gehabt, auch diesen zweiten Schwarm zu zerstreuen, obgleich er von einem Gottfried, Bohemund und Tankred befehligt wurde.«
Der Patriarch schwieg: denn wiewohl er die Kreuzfahrer als Mitglieder der lateinischen Kirche haßte oder verabscheute, so glaubte er doch nicht, daß sie von den Griechen im Kampf hätten besiegt werden können.
»Wie dem auch sein mag,« sagte Alexius, der dies Schweigen richtig erklärte, »wäre ich besiegt worden, so wäre ich, wie's einem griechischen Kaiser geziemt, mit den Waffen gefallen, und ich wäre nie gezwungen gewesen, diese Leute verstohlen und mit verkleideten Truppen anzugreifen; auch das Leben getreuer Soldaten, die in unbekannten Scharmützeln fielen, wäre für sie und mich besser im offenen Kampf für Kaiser und Vaterland verloren worden. Wie die Dinge nun stehen, werde ich auf die Nachwelt als ein verschmitzter Tyrann übergehen, der seiner eigenen Sicherheit wegen seine Unterthanen in unseligen Streit verwickelt hat. Patriarch! das ist nicht meine Schuld, sondern die Schuld der Empörer, die mich zu solchen Maßregeln gezwungen haben. – Was, ehrwürdiger Vater, wird mein Schicksal in Zukunft sein? – und in welchem Lichte werde ich bei der Nachwelt stehen?«
»Was die Zukunft anlangt,« sagte der Patriarch, »so hat sich Ew. Gnaden auf die heilige Kirche zu verlassen, die Macht hat zu binden und zu lösen; die Mittel, die Ihr habt, ihr Gutes zu thun, sind vielfältig, und was sie rechtlich in Folge Eurer Reue und Vergebung erwarten darf, habe ich bereits angedeutet.«
»Alles soll gewährt werden,« versetzte der Kaiser; »auch will ich nicht an der guten Wirkung davon in der anderen Welt zweifeln. Aber menschlich geredet, in diesem Augenblick der Entscheidung wäre mir die Gunst der Kirche viel werth. Wenn wir uns einander verstehen, guter Zosimus, so werden die Lehrer und Bischöfe der Kirche zu meinen Gunsten donnern, und die Frucht der mir gewordenen Vergebung wird sich nicht dann erst zeigen, wenn mich das Grabmal decken wird?«
»Gewiß nicht,« sagte Zosimus, »wenn die bereits gemachten Bedingungen genau beachtet werden.«
»Und mein Andenken in der Geschichte,« sagte Alexius, »in welcher Weise wird man es bewahren?«
»Hierin,« antwortete der Patriarch, »muß sich Ew. kaiserliche Majestät der kindlichen Liebe und den gelehrten Gaben seiner vortrefflichen Tochter, Anna Comnena, überlassen.«
Der Kaiser schüttelte den Kopf. »Dieser abscheuliche Cäsar,« sagte er, »wird mich wahrscheinlich mit ihr entzweien: denn ich werde einem so undankbaren Rebellen, wie er einer ist, schwerlich verzeihen, weil meine Tochter mit weiblicher Zärtlichkeit an ihm hängt. Auch ist es nicht eine Geschichte wie die meiner Tochter, die ohne Widerspruch bei der Nachwelt Eingang finden dürfte. Irgend ein Procopius, irgend ein philosophischer Narr, der in einer Dachstube hungert, maßt sich an, das Leben des Kaisers zu beschreiben, dem er sich nicht zu nähern wagte; und wiewohl das Hauptverdienst seines Machwerks darin besteht, daß es Einzelheiten enthält, die Niemand bei des Fürsten Lebzeiten zu veröffentlichen wagte, so läßt sie doch Jedermann für wahr gelten, sobald der Fürst vom Schauplatz abgetreten ist.«
»In dieser Beziehung,« sagte Zosimus, »habe ich für Ew. kaiserliche Majestät weder Trost noch Schutz. Wenn jedoch Euer Andenken mit Unrecht auf Erden beschimpft werden wird, so kann das Eurer Hoheit ganz gleichgültig sein, da Ihr Euch in einem Zustand von Glückseligkeit befinden werdet, den irdischer Schimpf nicht erreicht. Der einzige Weg, diesem zu begegnen, wäre, wenn Ihr selbst Eure Denkwürdigkeiten schriebt: denn ich bin überzeugt, daß Ihr diejenigen Handlungen Eures Lebens, die am tadelnswürdigsten erscheinen, wenn Ihr nicht davon redet, vollkommen zu entschuldigen im Stande seid.«
»Genug von diesem Gegenstand,« sagte der Kaiser; »und da die Gefahr nahe ist, laßt uns für die Gegenwart sorgen, und die Zukunft sich selbst überlassen. – Welches ist nach Eurer Meinung die Ursache, ehrwürdiger Vater, daß sich diese Empörer so keck auf das Volk und die Soldaten berufen?«
»Es war ohne Zweifel die aufreizendste Begebenheit von Ew. Hoheit Regierung,« antwortete der Patriarch, »daß Ursel, der sich, wie man sagt, auf Leib, Leben und Freiheit unterworfen hatte, auf Euren Befehl in dem Blachernägefängniß den Hungertod sterben mußte; sein Muth, seine Freigebigkeit und andere bürgerfreundliche Eigenschaften stehen immer noch in gutem Andenken bei den Bewohnern der Hauptstadt und der Schaar der Unsterblichen.«
»Und das,« sagte der Kaiser, indem er den Blick auf seinen Beichtvater heftete, »hält Ew. Ehrwürden für den gefährlichen Umstand bei diesem Aufruhr?«
»Ich zweifle nicht,« sagte der Patriarch, »daß dieser bloße Name, keck ausgesprochen und absichtlich wiederholt, das verabredete Losungswort zu einem furchtbaren Aufruhr sein wird.«
»Dem Himmel sei Dank!« sagte der Kaiser; »in dieser Beziehung will ich auf meiner Hut sein. Gute Nacht, Ew. Ehrwürden! und glaubt mir, daß Alles, was ich in dieser Schrift versprochen habe, genau erfüllt werden soll. Doch dürft Ihr in dieser Sache nicht zu ungeduldig sein; – denn wenn sich ein solches Füllhorn von Wohlthaten auf einmal über der Kirche entlüde, so könnten böse Leute argwöhnen, es habe ein Handel zwischen dem Kaiser und dem Patriarchen stattgefunden, und das könne das Bußopfer, das ein Sünder für seine Vergebung bringt, wohl nicht sein. Das aber wäre für Euch und mich schimpflich.«
»Jeder gerechte Aufschub,« sagte der Patriarch, »hängt von dem Gefallen Ew. Hoheit ab; und wir wollen hoffen, Ihr werdet bedenken, daß dieser Handel, wenn man so sagen darf, auf Euer Ansuchen geschlossen wurde, und daß der Vortheil, den die Kirche davon hatte, mit der Vergebung und dem Trost, die Ew. Majestät dadurch zu Theil wurden, in Uebereinstimmung war.«
»Wahr,« sagte der Kaiser, »sehr wahr – auch will ich's nicht vergessen. Nochmals lebt wohl! und vergeßt nicht, was ich gesagt habe. Dies ist eine Nacht, Zosimus, wo der Kaiser wie ein Sclave arbeiten muß, wenn er nicht wieder zum schlichten Alexius Comnenus werden will, und auch dann fände er keine Zufluchtsstätte.«
Nachdem er dies gesagt hatte, verließ er den Patriarchen, der sehr erfreut war über die der Kirche errungenen Vortheile, nach denen viele seiner Vorgänger vergebens gestrebt hatten. Darum war er auch entschlossen, den wankenden Alexius zu halten.