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Was unser'n Schwager anlangt und den Abt,
Sammt allen Uebrigen der Meuterer, –
So soll Verderben ihren Fersen folgen.
Helf't, guter Oheim, mir Befehle senden
Gen Oxford, und wo sonst die Meut'rer sind:
Ihr Leben ist verwirkt, ich schwöre es.
Richard II.
Als Hereward die in dem vorhergehenden Kapitel angeführten Worte gesprochen hatte, ließ er den Grafen in seinem Gemach zurück, und ging nach dem Blachernäpallaste. Wir haben sein erstes Erscheinen am Hof beschrieben, aber seitdem war er oft dahin gerufen worden, nicht nur auf Befehl der Prinzessin Anna Comnena, die ihn über die Sitten seines Geburtslandes zu befragen, und seine Antworten in ihrer schwülstigen Sprache niederzuschreiben pflegte, sondern auch auf unmittelbaren Befehl des Kaisers selbst, der, wie viele Fürsten, Vergnügen daran fand, Leute, die an seinem Hofe eine sehr untergeordnete Stellung einnahmen, persönlich zu befragen. Der Ring, den die Prinzessin dem Waräger gegeben hatte, diente mehr als einmal als Paß, und war den Sclaven des Pallastes so allgemein bekannt geworden, daß Hereward ihn nur einem der oberen Sclaven in die Hand zu geben brauchte, um in ein kleines Gemach eingeführt zu werden, das nicht weit von dem uns bekannten Musensaal war. In diesem kleinen Gemach saßen der Kaiser, seine Gemahlin Irene und ihre treffliche Tochter Anna Comnena zusammen in sehr einfacher Kleidung, wie denn auch die Ausstattung des Gemaches vornehm-bürgerlich war, nur daß Matratzen von Eiderdunen vor jeder Thüre hingen, um das Lauschen zu verhindern.
»Unser ehrlicher Waräger,« sagte die Kaiserin.
»Der mich über die Sitten dieser stahlgekleideten Männer unterrichtet,« sagte die Prinzessin Anna Comnena, »von denen ich eine deutliche Vorstellung so nöthig habe.«
»E. k. Majestät,« sagte die Kaiserin, »wird es, hoffe ich, erlauben, daß Eure Gemahlin und musenbegeisterte Tochter es mit anhören dürfen, was dieser tapfere und biedere Mann bringt?«
»Theuerste Gemahlin und Tochter,« versetzte der Kaiser, »ich habe euch bis jetzt ein schmerzliches Geheimniß verschwiegen, und die Last und Pein desselben tief in mein Herz verschlossen. Du, meine edle Tochter, wirst dies Unglück hauptsächlich tief empfinden, da es dich zwingen wird, gehässig von Jemanden zu denken, von dem du bisher nur Gutes denken durftest.«
»Heilige Jungfrau!« rief die Prinzessin aus.
»Fasse dich,« sagte der Kaiser; »bedenke, daß du ein Kind der Purpurkammer bist, geboren, nicht das Unrecht, das deinem Vater widerfährt zu beweinen, sondern es zu rächen, – selbst nicht Den, der an deiner Seite lag, für halb so wichtig zu halten als die heilige, kaiserliche Würde, an welcher du Theil hast.«
»Was sollen diese Worte bedeuten?« sagte Anna Comnena in großer Unruhe.
»Sie bedeuten,« antwortete der Kaiser, »daß der Cäsar sich an meiner Güte und selbst daran, was ihn mit meinem Haus verbindet, und ihn zu meinem angenommenen Sohn macht, als ein Undankbarer erweist. Er hat sich mit einer Rotte von Verräthern verbündet, deren Namen man nur zu nennen braucht, damit dem Teufel das Maul nach Beute wässere.«
»Konnte Nicephorus das thun?« sagte die bestürzte, unglückliche Prinzessin; »Nicephorus, der so oft meine Augen die Leitsterne seines Wandels nannte? Konnte er das meinem Vater thun, dessen Großthaten er stündlich hörte, indem er versicherte, daß er im Zweifel stände, ob die Schönheit der Sprache oder die Erhabenheit der Handlung ihn mehr bezaubere? Mit dem nämlichen Geiste denkend, mit demselben Auge schauend, mit dem nämlichen Herzen liebend, – o mein Vater! es ist nicht möglich, daß er so falsch sein konnte. Denk' an den benachbarten Musentempel!«
»Und wenn ich's thäte,« murmelte Alexius in sich hinein, »so würde ich die einzige Entschuldigung finden, die für den Verräther spricht. Ein wenig wäre genug; doch zu viel ist ungesund.« Hierauf erhob er die Stimme, und sagte: »Meine Tochter, beruhige dich; wir selbst konnten die Schändlichkeit nicht glauben; aber unsere Leibwache ist verführt worden; ihr Befehlshaber, der undankbare Achilles Tatius, und sein Mitschuldiger, Agelastes, sind verführt worden, zu unserer Gefangennehmung oder Ermordung mitzuwirken, und, unglückliches Griechenland! in dem Augenblick, wo du der Sorgfalt eines zärtlichen Vaters am meisten bedurftest, solltest du durch einen so plötzlichen und unerwarteten Schlag seiner beraubt werden!«
Hier weinte der Kaiser, ob wegen der Gefahr, die seinen Unterthanen, ob wegen der, die seinem eigenen Leben drohte, ist schwer zu sagen.
»Es scheint,« sagte Irene, »Eure kaiserliche Hoheit ist etwas langsam, Mittel gegen die Gefahr zu ergreifen.«
»Mit Eurer gnädigsten Erlaubniß, Mutter,« antwortete die Prinzessin, »ich möchte lieber sagen, er war zu schnell, daran zu glauben. Gewiß, das Zeugniß eines Warägers, auch wenn er der tapferste Krieger ist, ist nur ein schwacher Beweis gegen die Ehre Eures Schwiegersohns, die bewährte Tapferkeit und Treue des Anführers Eurer Leibwache, den hohen Verstand, die Tugend und die tiefe Weisheit Eures größten Philosophen« –
»Und die Einbildung einer übergelehrten Tochter,« sagte der Kaiser, »die ihrem Vater kein Urtheil in Dingen zugesteht, die ihn am meisten angehen. Ich sage dir, Anna, ich kenne Jeden von ihnen, und weiß es, wie weit man auf sie vertrauen kann; die Ehre deines Nicephorus, die Tapferkeit und Treue des Akoluthos, und die Tugend und Weisheit des Agelastes – hatte ich sie nicht Alle in meinem Säckel? Und wäre mein Säckel voll geblieben und mein Arm stark wie vormals, so würden sie immer daselbst geblieben sein. Aber die Schmetterlinge fliegen fort, wenn das Wetter kalt wird, und ohne ihren Beistand muß ich dem Sturme begegnen. Du sprichst von Mangel an Beweis? Ich habe hinlänglichen Beweis, wenn ich Gefahr sehe; dieser ehrliche Soldat hat mir Winke gegeben, die mit meinen eigenen sorgfältig gesammelten Bemerkungen übereinstimmten. Er soll der Führer der Waräger sein; er soll an die Stelle des Verräthers zum Akoluthos ernannt werden; und wer weiß, was später noch geschieht?«
»Möge es Eurer Hoheit gefallen,« sagte der Waräger, der bisher geschwiegen hatte, »viele Leute steigen in diesem Lande durch den Fall ihrer früheren Beschützer zu Würden empor; doch meinem Gewissen steht dieser Weg zur Größe nicht an; da ich überdies einen Freund wiedergefunden habe, von dem ich lange getrennt war, so werde ich bald Eure kaiserliche Erlaubniß nachsuchen, um von hier weggehen zu können, wo ich so viele Feinde zurücklassen werde, und um mein Leben, wie andere meiner Landsleute auch, unter den Fahnen König Wilhelm's von Schottland zu lassen« –
»Mich von dir trennen, Mann ohne Gleichen!« rief der Kaiser mit Nachdruck aus; »wo finde ich einen anderen Soldaten – Beschützer – Freund von deiner Treue?«
»Gnädigster Herr,« versetzte der Angelsachse, »ich bin jedenfalls dankbar für Eure Güte und Gnade; doch laßt mich Euch bitten, mich bei meinem eigenen Namen zu nennen, und mir Eure Verzeihung zu schenken, da ich die Veranlassung gewesen bin, eine solche Verwirrung unter Euren Dienern zu bewirken. Nicht nur ist mir das Schicksal, das Achilles Tatius, meinen Wohlthäter, den Cäsar, der mir nichts Böses that, und selbst Agelastes bedroht, peinigend, insofern meine Anzeige dazu mitwirkte; sondern, wie ich weiß, ereignete es sich auch oft, daß Diejenigen, die Eure kaiserliche Majestät heute mit allen Gnadenversicherungen überhäuft, morgen das Futter sind, das Krähen und Dohlen fett macht. Und das, muß ich sagen, ist eine Aussicht, für die ich nicht meine englischen Glieder an das griechische Gestade gebracht haben wollte.«
»Dich bei deinem eigenen Namen nennen, Edward,« sagte der Kaiser (dann brummte er bei Seite: »Beim Himmel, ich habe den Namen des Barbaren schon wieder vergessen!«) – »bei deinem eigenen Namen, das soll vorläufig gewiß geschehen, bis wir einen anderen gefunden haben werden, der dem Vertrauen, das wir in dich setzen, entspricht. Für jetzt lies diese Schrift, die, wie ich glaube, Alles enthält, was wir von dieser Verschwörung kennen gelernt haben, und gib sie diesem ungläubigen Weibe, das an die Gefahr des Kaisers nicht eher glaubt, bis die Dolche der Verschwornen in seinem Leibe wühlen.«
Hereward that, wie ihm befohlen ward; und als er die Schrift gelesen, und durch ein Kopfnicken erklärt hatte, daß er mit dem Inhalt einverstanden sei, überreichte er sie der Kaiserin, die nicht so bald Einsicht davon genommen hatte, als sie von bitterem Unwillen übermannt wurde, und ihre Tochter voll des lebhaftesten Eifers bat: »Hier lies – lies, und urtheile über die Dankbarkeit und Liebe deines Cäsars!«
Die Prinzessin Anna Comnena erwachte aus einem trüben, schweren Nachsinnen; sie betrachtete zuerst die bezeichnete Stelle mit geringer Neugier, die jedoch bald auf den höchsten Grad gesteigert wurde. Sie hielt die Schrift wie der Falke die Beute, ihr Auge leuchtete vor Unwillen, und gleich einem Vogel, der in Wuth geräth, schrie sie: »Blutdürstiger, doppelsinniger Verräther! was wolltest du thun? Ja, Vater,« sagte sie, indem sie voll Wuth aufsprang, »nicht länger soll die Stimme einer getäuschten Prinzessin sich erheben, um den Verräther Nicephorus vor der verdienten Strafe zu schützen! Glaubte er, daß eine in der Purpurkammer Geborne sich scheiden, vielleicht morden ließe mit der kleinen Formel der Römer: Die Schlüssel heraus, und aus dem Haus? Die lakonische Ehescheidungsformel der Römer. Was, eine Prinzessin aus dem Blute der Comnenen sollte der Haushälterin des Geringsten der Quiriten gleichgeachtet werden!«
Indem sie dies sagte, trocknete sie sich die Thränen, und ihr Gesicht, dessen gewöhnlicher Ausdruck schön und gütig war, wurde von Wuth entstellt. Hereward betrachtete sie mit Furcht, Widerwillen und Mitleid. Sie begann von Neuem zu wüthen: denn die Natur, die sie mit hohen Gaben ausgestattet hatte, hatte ihr auch eine Leidenschaftlichkeit verliehen, die mächtiger war als der kalte Ehrgeiz ihrer Mutter und die listige und trügerische Politik ihres Vaters.
»Er soll es büßen,« sagte die Prinzessin; »er soll es schwer büßen! Falscher, lächelnder, hinterlistiger Verräther! – und um so einer unweiblichen Barbarin willen! Ich habe etwas davon gemerkt in dem Lusthause dieses alten Thoren; und doch, wenn dieser unwürdige Cäsar sein Leben in einem Kampfe aussetzt, so ist das weniger klug von ihm, als ich zu glauben Ursache habe. Glaubt Ihr, Vater, daß er die Tollheit begeht, uns durch eine so offene Verachtung zu brandmarken? und wollt Ihr uns nicht ein Mittel angeben, unsere Rache zu sichern?«
»Vortrefflich!« dachte der Kaiser, »die Schwierigkeit ist beseitigt; in ihrem Schnauben nach Rache wird sie eher des Zaums als der Sporen bedürfen. Wenn jedes eifersüchtige Weib in Constantinopel seine Rache so unaufhaltsam verfolgen wollte, so müßten unsere Gesetze, wie die des Drako, nicht mit Dinte, sondern mit Blut geschrieben werden. – Höret mich nun,« sagte er laut, »mein Weib, meine Tochter, und du, theurer Edward, und ihr drei allein sollt erfahren, auf welche Art ich das Schiff des Staats durch diese Untiefen lenken will. Betrachten wir genau die Mittel, die sie anwenden wollen,« fuhr Alexius fort, »dies wird uns lehren, wie wir ihnen begegnen sollen. Eine gewisse Anzahl der Waräger ist leider durch die Hetzereien ihres schurkischen Befehlshabers verführt. Ein Theil von ihnen wird sich eifrig um unsere Person versammeln – der Verräther Ursel, wähnen Einige von ihnen, sei todt; doch wäre dies wirklich der Fall, so würde sein Name hinreichen, seine alten Parteigenossen zu vereinigen – ich habe Mittel, ihnen hierin genugzuthun, doch will ich sie für jetzt verschweigen. – Auch ein großer Theil der unsterblichen Leibwache hat der Verführung Raum gegeben; sie sollen die Handvoll Waräger unterstützen, die unsere Person angreifen sollen. – Nun, eine geringe Aenderung in der Aufstellung der Wachen, wozu du, mein treuer Edward, oder wie du heißen magst, vollkommene Vollmacht erhalten sollst, wird die Pläne der Verräther zerstören, und die Treugesinnten werden die Meuterer so in die Mitte nehmen, daß die Kraft derselben mit leichter Mühe gebrochen werden kann.«
»Und der Zweikampf, gnädigster Herr?« sagte der Sachse.
»Du wärest kein ächter Waräger, hättest du darnach nicht gefragt,« sagte der Kaiser, indem er ihm freundlich zunickte. »Was den Zweikampf betrifft, so hat sich der Cäsar dazu verbindlich gemacht, und ich will dafür sorgen, daß er nicht davon zurücktreten kann. Er kann es mit Ehre nicht vermeiden, mit diesem Weib zu kämpfen, wie seltsam dieser Kampf auch sein mag; und komme daraus, was wolle, die Verschwörung wird ausbrechen, und da sie vorbereitete und bewaffnete Leute antreffen wird, so wird sie im Blut der Verräther gedämpft werden!«
»Meine Rache bedarf dieses Kampfes nicht,« sagte die Prinzessin; »und auch Eure kaiserliche Ehre will, daß die Gräfin geschützt werde.«
»Das ist nicht meine Sache,« sagte der Kaiser. »Sie ist mit ihrem Gemahl uneingeladen hierhergekommen. Er hat sich unverschämt in meiner Gegenwart benommen, und verdient die Folgen, welche sein tolles Abenteuer für ihn und sein Weib haben mag. Wahrhaftig, ich wollte nicht viel mehr, als ihm mit den Thieren, die sie in ihrer Unwissenheit für bezaubert halten, Schrecken einjagen, und sein Weib durch die Leidenschaftlichkeit eines griechischen Liebhabers ein wenig beunruhigen, und hierbei sollte meine Rache stehen bleiben. Doch ich kann jetzt das Weib unter meinen Schutz nehmen, da die kleine Rache jetzt genommen ist.«
»Es war eine schlechte Rache,« sagte die Kaiserin, »daß ein Mann in deinen Jahren und mit einem Weib, das einige Achtung fordern kann, sich dazu hergab, einen so schönen Mann, wie den Grafen Robert, und seine Amazone zu beunruhigen.«
»Erlaube,« sagte der Kaiser, »das Letztere habe ich meinem Schwiegersohne, dem Cäsar, überlassen.«
Doch kaum hatte der arme Kaiser eine Schleuse verstopft, als er gerade dadurch eine andere, gefährlichere öffnete. »Desto größere Schande für Eure kaiserliche Weisheit!« rief die Prinzessin Anna Comnena aus; »es ist eine Schande, daß Ihr bei Eurer Weisheit und Eurem Bart Euch damit abgebt, durch solche ungeziemende Possen das häusliche Glück Eurer eigenen Tochter zu stören! Wer kann sagen, daß der Cäsar Nicephorus Briennius je nach einem fremden Weibe schielte, bis der Kaiser ihn dazu aufforderte, und ihn in ein Gewebe von Ränken und Verrath verwickelte, in dem er das Leben seines Schwiegervaters bedrohte?«
»Tochter! Tochter! Tochter!« sagte die Kaiserin; »Tochter einer Wölfin, willst du wohl deinen Vater zu einer Zeit angreifen, wo er alle Mühe hat, sein Leben zu vertheidigen!«
»Schweigt, ich bitte euch Beide darum, mit eurem sinnlosen Geschrei,« antwortete Alexius, »und laßt mich um mein Leben kämpfen, ohne mich durch eure Thorheit zu stören. Gott weiß es, ob ich ein Mann bin, der Jemanden zu einem nur scheinbaren, geschweige zu einem wirklichen Unrecht ermuthigt.«
Er sprach diese Worte, indem er sich mit einem schweren Seufzer bekreuzte. Sein Weib Irene, die sich unterdessen vor ihn hingestellt hatte, sagte nun mit einer Bitterkeit, wie sie nur lang verhaltener, ehelicher Haß erzeugen konnte, zu ihm: »Alexius, bringe diese Sache, wie du willst, zu Ende; du hast als Heuchler gelebt, und wirst auch als solcher sterben.« Als sie dies mit edler Entrüstung gesagt hatte, verließ sie das Gemach, indem sie ihre Tochter mit sich führte.
Der Kaiser sah ihr etwas verlegen nach. Bald faßte er sich jedoch wieder, und sagte mit dem Ausdruck beleidigter Würde zu Hereward: »Ach! mein bester Edward –« (denn dieser Name saß wie eingewurzelt in dem Gedächtniß des Kaisers statt des weniger wohlklingenden Hereward) »du siehst, wie es selbst dem Größesten geht, und wie in schwierigen Augenblicken der Kaiser gleich dem geringsten Bürger von Constantinopel Unannehmlichkeiten ausgesetzt ist; indessen mein Zutrauen gegen dich ist so groß, Edward, daß ich es gerne sähe, wenn du glaubtest, daß meine Tochter Anna Comnena nicht den Charakter ihrer Mutter, sondern eher den meinigen hat, da sie, wie du siehst, gewissenhaft das Eheband achtet, das ihrer unwürdig ist, und das sie mit einem besseren vertauschen soll. Edward, du besitzest mein ganzes Vertrauen. Der Zufall verschafft uns Gelegenheit (Heil uns, wenn wir sie wohl benutzen!), die sämmtlichen Verräther auf einem Kampfesfeld versammeln zu können. An jenem Tage erinnere dich, wie die Franken bei ihren Turnieren zu sagen pflegen, daß schöne Augen nach dir schauen. Du kannst kein Geschenk, das in meiner Macht steht, ersinnen, womit ich dich nicht gerne belohnte.«
»Ist nicht nöthig,« sagte der Waräger etwas kalt; »mein höchster Ehrgeiz ist, die Grabschrift zu verdienen: Hereward war treu. Dennoch möchte ich gerne von Eurem kaiserlichen Zutrauen eine Probe haben, die Euch aber vielleicht nicht gefallen dürfte.«
»So!« sagte der Kaiser. »Sag's kurz, was wünschest du?«
»Die Erlaubniß, nach dem Lager des Herzogs von Bouillon zu gehen,« versetzte Hereward, »und seine Gegenwart in den Schranken zu begehren, um bei diesem seltsamen Zweikampf zu zeugen.«
»Daß er mit seinen Kreuznarren zurückkommt,« sagte der Kaiser, »und unter dem Vorwand, seinen Verbündeten Recht zu verschaffen, Constantinopel plündert? Nicht wahr, Waräger, das ist deine Meinung?«
»Der Himmel bewahre,« versetzte Hereward rasch; »der Herzog von Bouillon soll mit einer mäßigen Begleitung von Rittern kommen, damit man der Gräfin von Paris keine Falle stelle.«
»Gut, auch hierin will ich dir willfahren,« sagte der Kaiser; »doch wenn du mein Vertrauen täuschest, Edward, so bedenke, daß du aller meiner Freundschaft verlustig sein wirst, und daß dich überdies die Verdammniß nicht verfehlen kann, die Den erwartet, der mit einem Kusse verräth.«
»Was deinen Lohn betrifft, gnädigster Herr,« antwortete der Waräger, »so verzichte ich gänzlich darauf. Wenn die Krone auf deinem Haupt und das Zepter in deiner Hand wieder befestigt sein werden, dann will ich dich bitten, mich zum Lohn für meine geringen Dienste von diesem Hofe wegziehen, und nach der fernen Insel zurückkehren zu lassen, wo ich geboren ward. Einstweilen halte mich nicht für treulos, weil ich für jetzt die Mittel habe, es mit Erfolg sein zu können. Eure kaiserliche Hoheit wird erfahren, daß Hereward so treu ist, wie Eure rechte Hand der linken.« – Als er dies gesagt hatte, beurlaubte er sich mit einer tiefen Verbeugung.
Der Kaiser blickte ihm mit einem Gesicht nach, worin sich Zweifel und Bewunderung mischten.
»Ich habe ihn mit Allem, was er von mir verlangt hat, ausgerüstet,« sagte er; »sogar mit der Macht, mich zu verderben, wenn das sein Wille ist. Er darf nur ein Wörtchen sagen, und dies bekreuzte Narrenheer kehrt gold- und rachedürstend mit Feuer und Schwert zurück, um Constantinopel niederzubrennen, und Salz auf die Brandstätte zu streuen. Ich habe gethan, was ich entschlossen war, nie zu thun: ich habe mein Reich und mein Leben von der Treue eines vom Weib gebornen Mannes abhängig gemacht. Wie oft hab' ich nicht gesagt, ja geschworen, daß ich mich einer solchen Gefahr nicht aussetzen wollte, und doch bin ich nach und nach dazu gekommen! Ich weiß nicht – in dem Gesicht und in der Rede dieses Mannes ist eine Treuherzigkeit, die mich hinreißt; und, was unglaublich scheint, mein Vertrauen zu ihm ist in dem Maaße gestiegen, als ich die geringe Macht erkannte, die ich über ihn habe. Gleich dem listigen Fischer zeige ich ihm jede erdenkliche Lockspeise, deren manche selbst ein König nicht verschmähen würde; ihm machte keine derselben Lust; und doch schnappt er, möchte ich sagen, nach dem bloßen Angelhaken, und tritt in meine Dienste ohne einen Schein von Eigennutz. – Sollte dies Falschheit sein? oder ist es sogenannte Uneigennützigkeit? – Wenn er falsch wäre, noch wäre es Zeit – er ist noch nicht über die Brücke – er hat die Wache des Pallastes, die kein Zandern und keinen Ungehorsam kennt, noch nicht im Rücken – Doch nein – Ich wäre dann allein im Lande, ohne Freund und Vertrauten. – Ich höre das Knarren des äußeren Thors, das Bewußtsein der Gefahr schärft mein Gehör. – Das Thor schlägt zu – der Würfel ist gefallen. Er ist in Freiheit – und Alexius Comnenus steht oder fällt mit der zweifelhaften Treue eines warägischen Miethlings.« Er schlug in die Hände; ein Sclave erschien, von dem er Wein verlangte. Er trank, und das Herz in ihm ward erfreut. »Ich bin entschlossen,« sagte er, »und will mit Gleichmuth die gute oder böse Entscheidung abwarten.«
Nachdem er dies gesprochen hatte, zog er sich in sein Gemach zurück, und kam den ganzen Abend nicht mehr zum Vorschein.