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Den Blicken der beiden Ritter zeigte sich eines jener Verließe damaliger Schreckenszeit, die ihre Opfer in Nacht und Finsternis, ohne Aussicht auf Rettung oder Flucht, begruben. Große Ringe an den Wänden, von welchen die Ketten herabhingen, an die man die unglücklichen Gefangenen schmiedete. Plumpe Schlösser an den eisernen Türen, die mit den Angeln um die Wette knarrten. Das Tageslicht fand seinen Weg in solch unterirdisches Loch bloß in der Mittagsstunde durch einen gewundenen Gang, in welchem die Sonnenstrahlen sich brachen, so daß sie den Weg bis zur Tiefe des Kellers hinunter nicht fanden, während Wind und Regen frei und unbehindert eindringen konnten.
Die Anschauung der neueren Zeit, daß ein Gefangener so lange als unschuldig zu erachten sei, bis er nicht durch gerichtlichen Spruch als schuldig erklärt worden, wurde in jener Zeit roher Gewalt nicht verstanden. Dem in Gefangenschaft verfallenen Unglücklichen wurde elende Kost, außer Brot und Wasser gemeinhin nichts, verabreicht und eine Lampe oder sonstwelche Linderung seines Elends nur, wenn er sich ruhig und still verhielt und keinerlei Neigung verriet, seinem Wärter das Leben durch Fluchtversuche schwer zu machen.
In ein solches Verließ hatte man Bertram, den Sänger, geworfen; indessen hatten ihm Mäßigung und Geduld diejenige Milderung seines Schicksals verschafft, die ihm der Gefangenwärter gewähren konnte oder durfte. Es war ihm erlaubt worden, das alte Buch mit hinunter Zu nehmen, auch Papier und Schreibzeug, um sich die Zeit zu kürzen.
Als die Ritter eintraten, hob er das Haupt.
Sir John de Walton nahm, zu dem jüngeren Ritter gewendet, das Wort.
»Da Ihr das Geheimnis zu kennen scheint, Sir Aymer de Valence, in welches der Gefangene sich zu hüllen beliebt, will ich es Euch anheimgeben, die Unterhaltung mit ihm zu führen. Hat der Mann unnötigerweise Drangsal gelitten, so wird es meine Pflicht sein, ihn zu entschädigen, was indes meiner Meinung nach keine Sache von Bedeutung sein wird.«
Bertram heftete die Augen fest auf den Schloßhauptmann, las indes nichts dort, was auf bessere Bekanntschaft mit dem Geheimnis seiner Gefangenschaft gedeutet hätte. Als er aber die Augen von Sir de Walton hinüber auf Sir Aymer lenkte, überflog sein Gesicht ein Schimmer von Fröhlichkeit, und der Blick, der zwischen ihnen gewechselt wurde, verriet beiderseitiges Einverständniss.
»Ihr kennt also mein Geheimnis, Herr Ritter, und wißt, wer die Person ist, die sich unter dem Namen Augustin birgt?«
Sir Aymer tauschte mit dem Sänger einen bejahenden Blick aus, während sich die Äugen des Schloßhauptmanns mit grimmigem Ausdruck von dem letzteren zum ersteren, wandten.
»Sir Aymer,« rief er, »so wahr Ihr zum Ritter geschlagen wurdet und so wahr Ihr ein Christ seid, der nach dem Tode auf Erlösung hofft, gebt mir den Sinn dieses Geheimnisses preis! Vielleicht meint Ihr, gerechte Ursache gegen mich zur Klage zu haben. Ist dies der Fall, so soll Euch alle Genugtuung von mir werden, diesem Ritter zu geben vermag.«
Im nämlichen Augenblick nahm der Sänger das Wort.
»Ich fordere diesen Ritter,« sprach er, »bei seinem Rittergelübde auf, kein Geheimnis einer Person von Ruf und Ehre aufzudecken, sofern er nicht aufs bestimmteste versichert ist, daß er mit vollständiger Einwilligung derselben handelt.«
»Dieses Schreiben wird Eure Bedenklichkeiten beseitigen«, sprach Sir Aymer und übergab dem Sänger das aus der Abtei gebrachte Schriftstück. »Und Euch, Sir John de Walton, möge die Versicherung dienen, daß ich alles Mißverständnis zwischen uns, als aus einer Kette von Umständen hervorgegangen, die kein Sterblicher zu begreifen vermochte, für vergessen und aus der Welt geschafft ansehe, Laßt mich Euch weiterhin versichern, teurer Sir John, – und ich schließe hieran die Bitte, Euch nicht hierdurch gekränkt fühlen zu wollen – daß ich um der Schmerzen willen, die dieses Schriftstück für Euch bergen kann, Euch ritterlich bemitleide und beistehen werde, sie mannhaft zu ertragen. Bertram aber, der getreue Sänger, wird nun ersehen, daß er ohne Bedenken ein Geheimnis aufdecken kann, das er ohne dieses Schreiben, das ich ihm hiermit behändige, sicherlich mit unerschütterlicher Treue bewahrt haben würde.«
Zugleich überreichte der Ritter Sir John de Walton ein zweites Schriftstück, in welchem er seine Gedanken über das Geheimnis, das über dem Sänger und Sängerknaben obwaltete, niedergelegt hatte.
Der Schloßhauptmann hatte kaum, den dort offenbarten Namen gelesen, als ihn auch der Sänger laut nannte, um gleich darauf das von dem jüngeren Ritter erhaltene Schreiben an den älteren weiter zu geben. Die Weiße Feder, die über der Sturmhaube des Ritters wehte, war nicht weißer als das Angesicht des Ritters ob der erstaunlichen Kunde, die er von Zwei Seiten zugleich erhielt, daß hinter jenem vermeintlichen Knaben, den er mit persönlicher Drangsal bedroht und einer so harten Behandlung unterworfen hatte, die Dame verborgen sei, die nach damaliger Redeweise »seiner Gedanken Fürstin und seiner Handlungen Herrscherin« war. Im ersten Augenblick schien Sir John de Walton die trüben, schlimmen Folgen kaum Zu begreifen, die sich aus solch unglücklicher Kette von Irrungen als wahrscheinliche Folge ergeben mußten. Er nahm dem Sänger das Schreiben aus der Hand und als sein Auge, beim, trüben Schein der Kerkerlampe jetzt über die Buchstaben glitt, ohne daß ein bestimmter Eindruck in seinem Begriffsvermögen geweckt zu werden schien, da überkam selbst, Sir Aymer die Besorgnis, seinem Vorgesetzten möge der rechte Gebrauch, geistiger Fähigkeiten abhanden kommen.
»Um des Himmels willen, Herr Ritter,« rief er, »seid ein Mann und ertragt mit Festigkeit diese unerwarteten Vorgänge, die kein menschlicher Verstand zu finden vermocht hätte und die meines Trachtens von schlimmen Folgen unmöglich begleitet sein können. Die schöne Dame kann sich nicht verletzt fühlen durch eine Kette von Umständen, die auf nichts anderes als Euren Pflichteifer zurückzuführen sind. Rafft Euch auf, damit sich nicht sagen lasse, Furcht vor dem finsteren Blick eines Weibes habe den Mut des kühnsten Ritters von England geschwächt. Seid nach wie vor der Mann und Ritter, dem man den Namen »Walton der Unerschütterliche« gab! Laßt uns erst sehen, ob die Dame wirklich beleidigt wurde, bevor wir den Schluß auf ihre Unversöhnlichkeit ziehen. Wessen Fehlern sind all diese Irrtümer beizumessen? Wo haben wir ihre Quelle zu suchen? Mit aller Achtung sage ich es: Einzig und allein dem Eigensinne der Dame selbst! Besitzt jemand ein Recht, Leute im Dienst zu tadeln, wenn sie Wanderern den Zutritt zu den Schlosse verweigern, die nicht im Besitz der Parole sind? Leben wir im Krieg oder im Frieden? Verscheucht also diese finstere Niedergeschlagenheit, die sich schlecht ausnimmt auf der Stirn eines mit dem Schwert umgürteten Ritters!«
Sir John machte eine Anstrengung zu sprechen. Mit Mühe gelang es ihm.
»Aymer de Valence,« sprach er, »Ihr spielt mit Eurem Leben, wenn Ihr einen Wahnsinnigen reizt!« Darauf schwieg er wieder.
»Es ist mir lieb, daß Ihr wenigstens soviel sprechen könnt, Sir Walton,« versetzte der jüngere Ritter, »denn es ist nicht Scherz von mir, wenn ich sage, ich sähe Euch lieber im Streite mit mir, als daß Ihr Euch die Schuld an diesen Irrungen allein beimeßt. Nach meiner Meinung ist es durch die Lage der Dinge geboten, Bertram, den Sänger ohne Verzug in Freiheit zu setzen. Sodann will ich ihn ersuchen, sich so lange als unseren Gast anzusehen, bis es der Lady Augusta de Berkeley – denn wir dürfen nun Wohl diesen Namen an Stelle des früheren Augustin setzen – belieben wird, uns die gleiche Ehre zu erweisen. Ich hoffe, daß wir uns von seiner Seite sowohl der Freundlichkeit, uns in unseren Nachforschungen nach dem Verbleib der Flüchtigen zu unterstützen, versichert halten dürfen, als auch gütiger Vermittelung über all die Punkte, die ihr vielleicht ein Recht zu Mißfallen und Unzufriedenheit gegeben haben.« »Ein einziges Wort, bitte!« warf Sir John dazwischen; »zum Zeichen meines Bedauerns, Sänger, darüber, daß dich das Unheil traf, so Unwürdiges zu, leiden, sollst du eine Kette von Gold haben, schwerer als die eiserne, die dich fesselte!«
»Genug jetzt, Sir John! meine ich wenigstens,« bemerkte de Valence, »versprechen wir nichts, als bis dieser brave Mann ein Zeichen dessen was wir vollbringen wollen, sehen wird. Begleitet mich jetzt nach Eurem Gemach im Schlosse. Dort will ich noch über Dinge mit Euch sprechen, deren Kenntnis Euch von Wichtigkeit sein dürfte.«
Mit diesen Worten zog er Sir John aus dem Verließe, erteilte draußen Befehl, den Sänger auf der Stelle aus der Haft zu lassen und in sein früheres Zimmer zu führen, wo er mit aller Höflichkeit und Rücksicht zu behandeln sei, die einem Manne seines Gewerbes, der als Gast im Schlosse weile, gebühre; wenngleich ihm andererseits zu bedeuten sei, daß er vom Schlosse ohne verläßliche Begleitschaft keinen Fuß fetzen dürfe.
In Sir Johns Gemächern angelangt, Hub der Ritter ohne Verzug zu sprechen an wie folgt:
»Sir John de Walton, zunächst meine ich, ein wenig Frühstück mit einem Becher Muskateller möchte für uns beide wohl vorerst keine üble Sache sein!« Während der Schloßhauptmann Weisung in diesem Sinne an seinen Knappen erteilte, fuhr Sir Aymer fort: »Sodann glaube ich, was Eure Dame anbetrifft, bemerken zu dürfen, daß kein Grund zu der Annahme vorhanden ist, Lady Augusta de Berkeley, die Dame Eures Sinns und Herzens, habe ihren Liebhaber ausdrücklich von dem Pardon ausgeschlossen, den sie mir so bereitwillig und unverblümt in ihrem Schreiben erteilt. Ihr seid Wohl älter als ich, Sir John, und ich lasse gern gelten, daß Ihr höhere Weisheit und bessere Erfahrung besitzt als ich; aber ich halte aufrecht, daß kein Frauenzimmer, solange es nicht in seinem Verstande gestört ist, einem oberflächlichen Bekannten Pardon in der gleichen Sache erteilen könnte, wegen welcher sie unwiderruflich mit dem Liebhaber brechen sollte, dem sie ihr Wort verpfändet gehabt hat, trotzdem dessen Irrtum weder gröber war noch länger anhielt als derjenige des anderen!«
»Lästert nicht, de Valence,« erwiderte hierauf Sir John, »und verzeiht, wenn ich Euch, um der Wahrheit Gerechtigkeit zu geben und einen Engel zu Worte kommen zu lassen, dessen Besitz ich für immer verwirkt zu haben fürchte, auf den Unterschied aufmerksam mache, den ein Mädchen von Würde machen muß zwischen einer Kränkung, die ihr durch einen bloßen Bekannten und einer, die ihr durch denjenigen, den sie vor anderen der Auszeichnung wert hielt, zugefügt wurde.«
»Recht so»Sir John!« versetzte der andere, »recht so, daß Ihr endlich wieder zu überlegen und zu scheiden versucht, wenn auch zuvörderst noch ohne Glück oder, besser noch, ohne Verstand! Verzeiht mir das derbe Wort; wenn ich mich aber bislang' hin und wieder so benahm, daß ich nicht bloß dem Vorgesetzten, sondern auch dem Freunde Ursache zur Unzufriedenheit gab, so laßt mich das nunmehr durch den Versuch wettmachen, Eure verkehrte Logik auszumerzen und die richtige Überzeugung in Euch zu wecken. Indessen, Sir John, hier kommt der Muskateller und das Frühbrot; wollt Ihr Erfrischungen zu Euch nehmen oder sollen wir ohne Weingeist die Unterhaltung weiter führen?«
»Tut, wie Ihr wollt,« rief Sir John, »sprecht aber nicht weiter über Dinge, für die es Euch an dem richtigen Verständnis mangelt.«
»Eure Rede, Sir John, trifft nicht zu,« erwiderte Sir Aymer, nachdem er den Becher geleert hatte, »denn in betreff der Weiber kenne ich mich aus, und zwar recht gut! Ihr könnt nicht leugnen, daß sich Eure Lady Augusta, ob mit Recht oder Unrecht hat hier nichts zu sagen, sich auf diesem Meer der Liebe tiefer eingelassen hat, als es sonst Regel ist; daß sie Euch mit ziemlich hohem Grade von Kühnheit zum Ritter ihrer Wahl machte! So sehr ich selber sie um solches Freimuts willen schätze, läßt sich nicht in Abrede stellen, daß andere, vornehmlich Geschlechtsgenossinnen, sie auf grund solches Tuns für unbesonnen und übereilt ansehen werden – bitte, laßt mich ruhig sprechen, Sir John! – daß wer solche Meinung heget im Recht sei, sage ich ja nicht, im Gegenteil! Ich bin bereit, für die von ihr getroffene Wahl mit meiner Lanze auf jedem Turniere einzustehen. Indessen besorgt sie wahrscheinlich selbst eine ungerechte Auslegung, und diese Besorgnis verleitet sie allem Anschein nach, einen Anlaß wahrzunehmen, der sich ihr jetzt bietet, um ihr bisheriges Verhalten gewissermaßen ins Gleichgewicht zu setzen oder, wie ich mich vielleicht noch richtiger ausdrücke, den ungewöhnlichen Grad freimütigen Entgegenkommens, durch den sie Euch ermutigt hat, durch einen nicht minder ungewöhnlichen Grad von Strenge abzuschwächen, vielleicht auch sich selber gegenüber gutzumachen –«
»Ich habe Euch angehört, de Valence,« versetzte der Schloßhauptmann, »und kann wohl sagen, daß Eure Worte den Weg zu manchem weiblichen Herzen weisen können. Zum Herzen der Lady Augusta weisen sie ihn jedoch nicht! Zum wenigsten mir Nicht, denn, bei meinem Leben! ich kann und darf mir nicht herausnehmen, mich einer Auszeichnung durch sie für würdig zu erachten, die Eure Worte durchschimmern lassen.«
»In diesem Falle verbleibt mir bloß eins noch zu sagen,« erwiderte Sir Aymer, »daß die Dame, wie Ihr ja ganz richtig sagtet, das entscheidende Wort selbst sprechen muß! Um sie aber in diesen Stand zu setzen, ist es Vonnöten, ausfindig zu machen, wo sie verweilt: ein Umstand, über den ich leider nichts zu sagen vermag.«
»Wie? was sind das für Worte?« rief der Schloßhauptmann, dem das volle Maß seines Unglücks erst jetzt klar zu werden anfing, »wohin ist sie, und mit wem ist sie geflüchtet?«
»Sie ist geflüchtet,« bestätigte Sir Aymer, »vielleicht in der Absicht, sich einen Geliebten zu suchen, der nicht jeden kalten Luftzug als verderblich für seine Hoffnungen betrachtet. Vielleicht will sie den schwarzen Douglas oder einen anderen Helden der Distel Rose und Distel sind die beiden Embleme, um welche sich Engländer und Schotten scharen. mit ihren Gütern und Schlössern wie ihrer Schönheit lohnen für Tugenden, die sie ehedem bei Sir John de Walton suchte. Indessen im Ernste! Wenn ich zu solchen Worten greife, Sir John, so geschieht es, weil zurzeit in unserer Umgebung Ereignisse von höchster Wichtigkeit geschehen. Auf meinem gestrigen Abendritt nach Saint-Bride hinüber bin ich Zeuge von Dingen gewesen, die mich sattsam berechtigen, gegen jedermann Argwohn zu hegen. So schickte ich Euch als Gefangenen der greisen Küster der Douglas-Kirche, den ich widerspenstig fand, als ich ihm verschiedene Fragen stellte/ Von ihm jedoch ein andermal, trotzdem seine ruhmsüchtige Anspielung auf jene scheußliche Schlächterei des schwarzen Douglas, die seinem Schlosse den Zusatz am Blutsumpf gegeben, schnelle Ahndung heischte! Zunächst vermehrt die Flucht der Dame die Wirrnis, die dieses gefahrvolle und, wie mir vorkommt, verhexte Schloß erfüllt, in solchem Maße, daß zu nichts anderem Zeit verbleibt, als ihren Aufenthalt zu ermitteln.«
»Aymer de Valence!« rief Sir John de Walton in lebhaftem und doch feierlichem Tone, »dies Schloß soll verteidigt und gehalten werden wie bisher, damit Sankt Georgs Banner von seinen Zinnen wehe! Gleichviel wie sich mein Schicksal gestalte, so Will ich als treuer Geliebter der Lady Augusta de Berkeley sterben, sollte ich auch nicht länger ihr erwählter Ritter bleiben.«
»So! Jetzt seid Ihr wieder der Alte, Sir John! Jetzt sprecht Ihr wieder wie ein echter Rittersmann! Mit Eurer Erlaubnis will ich den Sänger jetzt zu uns entbieten; seine Treue gegen seine Herrin ist rühmenswert; er wird uns helfen, ihren Zufluchtsort zu ermitteln.«