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Achtzehntes Kapitel.

Als der Imbiß beendet war, nahm Sir Arthur den Bericht über die Mysterien der Wünschelrute wieder auf – ein Thema, über das er vor kurzem mit Dusterschieler gesprochen hatte.

»Mein Freund, Herr Oldbuck, wird jetzt soweit eingeweiht sein, daß er den Geschichten, die Sie uns über die letzten Entdeckungen Ihrer Brüder in Deutschland erzählt haben, mit größerer Achtung lauschen wird.«

»Ach, Sir Arthur, das war kein Gegenstand, über den Sie mit diesen Herren hätten reden sollen, weil es eben gerade der Mangel an Glauben und Tschuversicht ist, wodurch das große Unternehmen tscherstört wird.«

»Zum wenigsten lassen Sie meine Tochter die Erzählung vorlesen, die sie aus der Geschichte Martin Waldecks gemacht hat.«

»Ah, das war eine sehr wahre Geschichte, aber Fräulein Wardour, sie ist so klng und so geischtreich, sie wird daraus eine richtige Romantsche gemacht haben, wie Goethe oder Wieland, bei meinem ehelichen Worte!«

»Die Wahrheit zu sagen, Herr Dusterschieler,« antwortete Fräulein Wardour, »in dieser Legende herrschte an sich das Romantische derartig vor dem Wahrscheinlichen vor, daß es für eine Liebhaberin des Feenlandes wie mich selbstverständlich war, die Farben noch ein wenig stärker aufzutragen, um sie in ihrer Art vollkommen zu machen. Aber ich habe sie hier, und wenn wir in diesem Schatten hier bleiben wollen, bis die Hitze des Tages ein wenig nachgelassen hat, und wenn Sie meine minderwertige Ausarbeitung freundlich hinnehmen wollen, so wird vielleicht Sir Arthur oder Herr Oldbuck uns die Geschichte vorlesen.«

»Ich nicht,« sagte Sir Arthur, »ich war nie ein Freund vom lauten Lesen.«

»Ich auch nicht,« sagte Oldbuck, »ich habe meine Brille vergessen. Aber hier ist Herr Lovel, der hat scharfe Augen und eine gute Stimme.«

Das Amt des Vorlesers wurde also an Lovel gegeben, und Fräulein Wardour reichte ihm mit leiser Verlegenheit ein kleines Schreibheft, das er mit leisem Beben entgegennahm. Die Blätter waren beschrieben von jener schönen Hand, nach deren Besitz er als nach dem höchsten Glück der Welt schmachtete. Aber er mußte seine Bewegung unterdrücken, er warf einen Blick über das Manuskript, wie um sich ein wenig an die Handschrift zu gewöhnen, sammelte sich und las der Gesellschaft die folgende Erzählung vor:

»Martin Waldecks Schicksale.« Die Umrisse dieser Erzählung sind dem Deutschen entnommen, der Verfasser vermag aber im Augenblick nicht zu sagen, in welcher der verschiedenen Sammlungen deutscher Sagen das Original zu finden ist.

»Die abgelegenen einsamen Höhen des Harzes in Deutschland, vor allem aber der Berg mit Namen Blocksberg oder vielmehr der Brocken, sind Lieblingsschauplätze für Geschichten von Hexen, Dämonen und Erscheinungen. Die Beschäftigungen der Einwohner, die entweder Förster oder Bergmänner sind, stimmen für Aberglauben besonders empfänglich, und die natürlichen Phänomene, die sie in ihrem einsamen oder unterirdischen Gewerbe mit ansehen, werden von ihnen oft auf die Einmischung von Kobolden oder magischen Gewalten zurückgeführt.

Unter den verschiedenen Sagen, die in diesem wilden Lande umgehen, ist eine besonders beliebt und verbreitet, nach der im Harz eine Art Schutzgeist hausen soll in Gestalt eines wilden Mannes von riesigem Wuchse, der ums Haupt und um die Hüften einen Kranz von Eichenblättern und in der Hand eine mit den Wurzeln herausgerissene Fichte trägt. Es steht fest, daß viele Leute beteuern, sie hätten eine solche Gestalt in der gleichen Richtung wie sie mit Riesenschritten dahingehen sehen. Wenn eine enge Klamm zwei Berge trennte, habe sie die Kluft mit einem Satze überschritten. Die Tatsache dieser Erscheinung wird so allgemein zugegeben, daß die moderne Wissenschaft sich mit ihr hat abfinden müssen und sich nur dadurch hat helfen können, daß sie sie auf eine optische Täuschung zurückführt. Der Schatten desjenigen, der das Spukbild sieht, fällt auf eine Nebelwolke gleich dem Bilde, das die Laterna magica auf ein weißes Tuch wirft, und durch diese Luftspiegelung soll das sogenannte Brockengespenst entstehen.

In früheren Zeiten stand der Geist mit den Einwohnern in vertrauterm Verkehr, und nach den Traditionen des Harzes pflegte er mit der Willkür, die man gewöhnlich diesen erdgeborenen Kräften zuschreibt, sich in die Angelegenheiten der Sterblichen einzumischen, bald zu ihrem Wohl, bald zu ihrem Wehe. Es wurde aber auch beobachtet, daß selbst seine Gaben, – sich nach langer Zeit erst für die, denen sie verliehen worden waren, als verderbenbringend erwiesen, und es war nichts Seltenes, daß die Hirten, in der Sorge um ihre Herden, lange Gebete verfaßten, deren Quintessenz immer eine Warnung war, in irgendwelchen unmittelbaren oder mittelbaren Verkehr mit dem Harzgeiste zu treten. Die Schicksale Martin Waldecks sind oft von den Alten ihren Kindern erzählt worden, wenn sie leichtsinnig über eine Gefahr spotteten, die nach ihrer Meinung nur eine Sache der Einbildung sei.

Ein fahrender Kapuziner hatte sich die Kanzel der kleinen, mit Stroh gedeckten Kirche eines Dörfleins im Harzbezirk, mit Namen Morgenbrod, zu eigen gemacht. Hier predigte er nun gegen die Gottlosigkeit der Bewohner, gegen ihre Gemeinschaften mit bösen Feinden, Hexen und Elfen und vor allem mit dem Waldkobold des Harzes.

Die Lehren Luthers hatten sich schon unter der Bauernschaft verbreitet, denn das Vorkommnis fällt unter die Regierung Karls V., und sie verlachten den ehrwürdigen Mann und verhöhnten ihn um des Eifers willen, mit dem er bei der Sache war. Je heftiger er nun gegen sie wetterte, um so mehr wuchs auch ihr Widerspruch. Es paßte den Einwohnern nicht, daß ein stiller Geist, der so viele Menschenalter hindurch den Brockenberg bewohnt hatte, kurzweg mit Baal, Astaroth und Beelzebub selber zusammengeworfen und in Grund und Boden verdammt wurde.

Die Befürchtung, daß der Geist sich an ihnen rächen könnte, weil sie einem solchen ungerechten Urteil ihr Ohr liehen, wurde noch durch das nationale Interesse, das sie für ihren Geist hatten, bestärkt. Ein wandernder Mönch, sagten sie, der heute hier ist und morgen wieder weg, mag reden, was ihm gefällt. Wir aber, die ständigen und alten Einwohner des Landes, sind der Gnade des beleidigten Geistes anheimgegeben und müssen natürlich für alles büßen. Durch solche Betrachtungen aufgebracht, begnügten sich die Einwohner schließlich nicht mehr mit Schmähungen, sondern griffen zu Steinen, und als sie den Priester mit einem wackern Hagel überschüttet hatten, jagten sie ihn aus ihrem Sprengel hinaus, daß er anderswo gegen die Geister predigen möge.

Drei junge Männer waren auch mit dabei gewesen und waren eben auf der Heimkehr zu der Hütte, wo sie der mühseligen und ärmlichen Beschäftigung oblagen, Holzkohle für die Hochöfen zu bereiten. Unterwegs kam die Rede natürlich auf den Harzgeist und auf die Lehren des Kapuziners.

Max und Georg Waldeck, die beiden älteren Brüder, waren allerdings der Meinung, daß die Sprache des Kapuziners unbedacht und verwerflich gewesen sei, hegten aber die volle Überzeugung, daß es im höchsten Grade gefahrvoll sei, seine Gaben anzunehmen oder irgend welchen Verkehr mit ihm zu pflegen. Er sei wohl mächtig, das gaben sie zu, aber auch launisch und willkürlich, und die, die mit ihm Verkehr hätten, kämen selten zu einem guten Ende.

Hätte er nicht dem tapfern Ritter Eckbert von Rabenwald das berühmte schwarze Roß gegeben, mit dem er alle Kämpen auf dem großen Turnier zu Bremen besiegt habe? und hätte nicht dasselbe Roß sich nachher mit ihm in einen so tiefen schauerlichen Abgrund gestürzt, daß man Roß und Reiter nie wieder gesehen habe? Hätte er nicht der Dame Gertrud Trodden einen seltsamen Zauber, Butter zu bereiten, anvertraut? und sei sie nicht nachher als Hexe von dem Oberkriminalgericht des Kurfürstentums verbrannt worden, weil sie sich dieser Verleihung bedient hätte?

Aber diese und noch viele andere Beispiele, die sie dafür anführten, daß die anscheinenden Wohltaten des Geistes zu guter Letzt Unglück und Verderben im Gefolge hätten, machten nicht den geringsten Eindruck auf Martin Waldeck, den jüngsten der Brüder.

Martin war jugendlich, rasch und ungestüm. Er war ein Meister in all den Fertigkeiten, die einen Bergbewohner auszeichnen, und die Vertrautheit mit all den Gefahren, die sie mit sich bringen, hatte ihn mutig und unerschrocken gemacht. Er lachte über die Furchtsamkeit der Brüder.

»Redet mir nicht solche Torheiten,« sagte er, »der Geist ist ein guter Geist – er lebt unter uns, als wäre er selber ein Bauer wie wir – er streift auf den einsamen Höhen und in den Verstecken der Berge herum wie ein Jäger oder Ziegenhirt – und wer den Harz und seine wilden Landschaften liebt, kann nicht gleichgültigen Herzens sehen, wie es den kühnen Kindern dieses Bodens ergeht. Aber wenn der Geist so boshaft wäre, wie ihr ihn machen wollt, wie könnte er dann Macht über Sterbliche erlangen, da sie ja bloß sich seiner Gaben bedienen, ohne daß sie sich verpflichten, sich seinem Willen zu unterwerfen? Nicht die Gaben des Koboldes sind es, die uns Gefahr bringen, sondern in dem Gebrauche, den wir davon machen, liegt unsere eigene Verantwortung. Und sollte der Geist jetzt selber vor mir erscheinen und mir eine Gold- oder Silbergrube zeigen, so wollte ich schon wacker zu graben anfangen, ehe er noch den Rücken gekehrt hätte, und würde mich sicher wissen unterm Schutze eines, der weit größer ist als er, dabei würde ich aber den Reichtum, den er mir gezeiget hätte, zu wohltätigem Gebrauche verwenden.«

Hierauf erwiderte der ältere Bruder, schlecht erworbener Reichtum werde selten gut angewendet. Martin aber erklärte voller Eigendünkel, er würde sich in seinen Gewohnheiten, seiner Gesinnung und seinem Charakter nicht im geringsten ändern, und wären auch alle Schätze des Harzes sein eigen.

Sein Bruder bat Martin, nicht so wild über so eine Sache zu schwatzen, und mit einiger Mühe gelang es ihm, ihn davon abzubringen, indem er seine Gedanken auf die bevorstehende Eberjagd lenkte. Unter diesem Gespräch kamen sie nach ihrer Hütte, einem elenden Wigwam, der an der einen Seite einer wilden, engen, romantischen Schlucht in der Einöde des Brockens lag. Sie lösten ihre Schwester ab, die unterdessen an dem Kohlenmeiler gewacht hatte, denn der Brand bedarf ständiger Beobachtung und Aufmerksamkeit. Dann teilten sie sich in die Wache über Nacht, wie es immer ihre Gewohnheit war. Einer hielt stets die Wache, während seine Brüder schliefen.

Max Waldeck, der älteste, hatte während der ersten Stunden der Nacht die Wache, und er erschrak sehr, als er an dem gegenüberliegenden Rande der Schlucht, – ein riesiges Feuer erblickte, um das Gestalten mit phantastischen Gebärden herumtanzten. Max wollte erst seine Brüder rufen, aber er dachte an die tollkühne Art des jüngsten, und da es doch unmöglich war, den älteren zu wecken, ohne den jüngsten zu stören und da er auch das Bild für einen Spuk des Harzgeistes hielt, der sie vielleicht für Martins waghalsige Worte an diesem Abend strafen wollte, so hielt er es für das beste, zu seinem Schutze die Gebete herzumurmeln, die ihm bekannt waren, und mit großer Furcht und tiefem Mißbehagen die seltsame und beängstigende Erscheinung zu beobachten. Das Feuer hatte eine Weile geloht und verblaßte dann in der Finsternis mehr und mehr, bis es völlig erloschen schien, und der Rest von Maxens Wache war nur noch durch die Erinnerung an den überstandenen Schrecken gestört.

Nun hatte Georg den Platz seines ältern Bruders inne, der sich zur Ruhe niedergelegt hatte. Die Erscheinung eines riesigen lodernden Feuers an der andern Seite der Schlucht zeigte sich abermals dem Auge des Wächters. Wie zuvor war es von Gestalten umgeben, die, wie an schattenhaften Formen zu erkennen war, sich zwischen dem rotglühenden Licht und dem Zuschauer befanden und es gespenstisch umschwirrten, als betrieben sie eine mystische Zeremonie.

Georg war zwar ebenso vorsichtig, aber doch beherzter als sein Bruder. Er beschloß, sich die seltsame Erscheinung aus größerer Nähe anzusehen, er überschritt das Wässerchen, das zwischen den beiden Hängen der Schlucht dahinfloß, kletterte an der entgegengesetzten Seite empor und näherte sich bis auf einen Pfeilschuß dem Feuer, das augenscheinlich noch ebenso hell lohte, als wie er es zuerst wahrgenommen hatte.

Die Erscheinungen, die es umschwirrten, glichen den Schemen, die ein wilder Traum hervorbringt, und er fühlte sich bestärkt in dem Gedanken, der ihm von vornherein gekommen war, daß die Gestalten nicht der Menschenwelt angehörten. Unter diesen seltsamen unirdischen Gestalten unterschied Georg Waldeck die eines Riesen, der ganz behaart war und in der Hand eine mit den Wurzeln ausgerissene Fichte trug, mit der er ab und zu das lodernde Feuer zu schüren schien. Er trug nichts weiter als ein Gewinde von Eichenblättern um Stirn und Lenden.

Dem verborgenen Zuschauer sank das Herz, als er die wohlbekannte Erscheinung des Harzgeistes erkannte, wie sie ihm so oft von den alten Hirten und Weidmännern beschrieben worden war, die seine Gestalt durch die Berge hatten schreiten sehen. Er wandte sich und wollte flüchten, aber er besann sich, tadelte sich seiner Feigheit wegen und sprach bei sich selber den Vers des Psalmisten: »Alle guten Geister loben den Herrn!« – der in diesem Lande für eine wirksame Beschwörungsformel gilt. Dann wandte er sich noch einmal nach dem Fleck, wo er das Feuer gesehen hatte, aber es war nicht mehr sichtbar.

Der bleiche Mond allein beleuchtete die Seite des Tales, und als Georg mit zitterndem Schritt, feuchter Stirn und unter der Kappe zu Berge gestiegenem Haar nach dem Flecke hinging, wo eben noch das Feuer zu sehen gewesen war – der Platz war an einer verwitterten Eiche unfehlbar kenntlich – da war auf dem Waldboden nicht die geringste Spur von dem, was er gesehen hatte, zu entdecken. Moos und wilde Blumen zeigten keine Brandspuren, und die Zweige der Eiche, die vor kurzem noch umhüllt von Flammen und Rauch erschienen waren, zeigten sich benetzt vom Tau der Mitternacht.

Mit bebenden Schritten kehrte Georg zur Hütte zurück. Er dachte wie sein älterer Bruder und beschloß, nichts zu sagen, um in Martin nicht die tollkühne Neugier zu erwecken, die seiner Meinung nach nicht ganz frei von Gottlosigkeit war.

Nun war Martin an der Reihe zu wachen. Der Hahn im Hause hatte schon den ersten Schrei getan, und die Nacht war so gut wie vorüber. Als er den Meiler untersuchte, in welchem das Holz sich in Kohle zu verwandeln hatte, sah er zu seiner Verwunderung, daß das Feuer nicht hinreichend unterhalten worden war, denn über seinem nächtlichen Wege und seinen Folgen hatte Georg ganz den Hauptzweck seiner Wache vergessen.

Martins erster Gedanke war, die Schlummerer aufzurufen, aber als er sah, daß seine beiden Brüder ungewöhnlich fest und tief schliefen, da mochte er sie nicht aus der Ruhe reißen und machte sich daran, den Meiler ohne ihre Hilfe wieder in Ordnung zu bringen. Aber was er aufhäufte, schien feucht und zu dem Zwecke nicht geeignet, denn statt zuzunehmen, schien das Feuer nur noch mehr zu erlöschen. Martin ging nun, um von einem Holzstapel, wo sorgsam ausgesuchtes und getrocknetes Reisig aufeinander gehäuft war, ein paar Zweige zu holen, aber als er zurückkehrte, war das Feuer völlig aus.

Das war nun ein ernster Übelstand und drohte ihnen die Arbeit mehrerer Tage zu vernichten. Der Wächter, außer sich vor Verdruß, wollte nun Licht machen, um das Feuer wieder anzufachen, aber der Zunder war feucht, und seine Bemühungen blieben auch hier erfolglos. Nun wollte er seine Brüder wecken, denn die Sache duldete jetzt keinen Aufschub mehr, da flimmerten Blitze von Licht nicht nur durch das Fenster, sondern durch jeden Spalt der roh gebauten Hütte, und nun sah auch er die gleiche Erscheinung, die zuvor seine Brüder in Schrecken gesetzt hatte. Zuerst wollte nun auch er seine Brüder wecken, dann aber schloß er aus den Gebärden derer, die im Feuer zu arbeiten schienen, daß er eine übernatürliche Erscheinung vor sich habe.

»Ob das nun Menschen sind oder Gespenster,« sagte der unerschrockene Waldbewohner, »die dort eine so phantastische Zeremonie mit so seltsamem Gebärdenspiel betreiben, ich will gehen und sie um einen Feuerbrand bitten, daß ich unsern Meiler wieder anbrennen kann.«

Gleichzeitig gab er den Gedanken auf, seine Brüder zu wecken. Es herrschte der Glaube, daß derlei Abenteuer, wie er es jetzt vorhatte, nur von einem allein bestanden werden könnten. Er fürchtete auch, seine Brüder könnten ihn von seinem Vorhaben in ihrer Furchtsamkeit abhalten. Er riß daher seinen Eberspeer von der Wand, und nun ging der unerschrockene Martin Waldeck allein auf sein Abenteuer.

Mit dem gleichen Erfolg, aber mit weit höherem Mute überschritt Martin den Bach, stieg den Hügel hinan und näherte sich so weit der gespenstischen Versammlung, daß er in der Hauptfigur deutlich den Harzgeist an seinen Attributen erkennen konnte. Zum erstenmal in seinem sieben befiel ihn ein kalter Schauer. Aber der Gedanke, daß er vor kurzem erst mit kühnen Worten von dem Zusammentreffen gesprochen hatte, das jetzt stattfinden sollte, ja daß er es herbeigewünscht hatte, frischte seinen wankenden Mut wieder auf und er schritt mit verhältnismäßig festem Fuß auf das Feuer zu. Die Gestalten, die es umgaben, erschienen um so wilder, phantastischer und übernatürlicher, je näher er der Versammlung kam.

Mit einem lauten Gelächter mißtönenden, unnatürlichen Klanges wurde er empfangen. Betäubend gellte es ihm in die Ohren und klang ihm entsetzlicher, als ein Konzert der kläglichsten, traurigsten Töne hatte klingen können.

»Wer bist du?« fragte der Riese.

»Martin Waldeck, der Köhler,« antwortete der kühne Jüngling. »Und wer bist du?«

»Der König der Wüste und des Bergwerks,« erwiderte das Gespenst. »Und warum, wozu hast du dich so dreist zu meinen Mysterien herzugedrängt?«

»Ich wollte einen Brand suchen, daß ich mein Feuer wieder anbrennen kann,« antwortete Martin unerschrocken, und dann fragte er beherzt: »Was sind das für Mysterien, die Ihr hier feiert?«

»Wir feiern,« antwortete der Dämon huldvoll, »die Hochzeit des Hermes mit dem schwarzen Drachen. Aber nimm dein Feuer, um das du kamst, und geh wieder. Kein Sterblicher kann uns lange ansehen und doch dabei am Leben bleiben.«

Der Landmann bohrte seine Speerspitze in ein großes Stück lodernden Holzes, das er nur mit Mühe emporheben konnte, und dann wandte er sich nach der Hütte zurück. Hinter ihm erscholl wieder das Gelächter mit verdreifachter Heftigkeit und schallte noch weit in das enge Tal hinunter.

Als Martin nach der Hütte zurückkehrte, war es seine erste Sorge, so erstaunt er auch war über das, was er gesehen hatte, den Brand an den Meiler zu legen, so daß er gut wieder Feuer fangen sollte. Aber nach vielen Versuchen und nach harter Arbeit mit Blasebalg und Schürbalken erlosch die Kohle, die er vom Gespenst mitgenommen hatte, völlig, ohne die andern in Brand gesetzt zu haben.

Er wandte sich um und sah das Feuer noch auf dem Hügel brennen, nur die Gestalten darum her waren verschwunden. Er meinte, der Geist hätte nur Scherz mit ihm getrieben und so gab er der natürlichen Kühnheit seines Gemütes Raum. Er beschloß, das Abenteuer durchzuführen, und kehrte nach dem Feuer zurück, von dem er abermals, unangefochten von dem Dämon, in der gleichen Weise ein glühendes Stück Holzkohle mitnahm, ohne daß es ihm aber auch diesmal gelungen wäre, das Feuer anzustecken. Die Straflosigkeit hatte sein Ungestüm gesteigert, er beschloß ein drittes Mal das Wagestück zu unternehmen, und er hatte wieder das Glück wie die andern Male, daß er das Feuer erreichte. Aber als er sich abermals ein Stück von der brennenden Kohle angeeignet hatte und sich zur Rückkehr wandte, hörte er hinter sich die heisere, übernatürliche Stimme, die ihn zuvor angeredet hatte, die Worte sprechen: »Wage dich nicht ein viertes Mal hierher!«

Der Versuch, das Feuer mit dieser dritten Kohle anzubrennen, erwies sich ebenso erfolglos wie seine vorigen Bemühungen, und Martin gab das hoffnungslose Vorhaben auf und warf sich aus sein Blätterlager, entschlossen, nicht vor dem andern Morgen seinen Brüdern sein übernatürliches Abenteuer mitzuteilen. Vor körperlicher Erschöpfung und innerer Aufregung verfiel er in einen schweren Schlaf, ans dem ihn Rufe des Erstaunens und der Freude erweckten. Erstaunt, das Feuer beim Erwachen erloschen zu finden, hatten seine Brüder sich angeschickt, den Meiler wieder in Brand zu stecken – da hatten sie in der Asche drei riesige Metallblöcke gefunden, die sie mit Kennerblick (denn die meisten Bauersleute im Harz sind praktische Mineralogen) sofort als lauteres Gold erkannten.

Ihre freudigen Beglückwünschungen wurden allerdings ein wenig gedämpft, als sie von Martin erfuhren, auf welche Weise er den Schatz erlangt hatte. Da sie selber die nächtliche Erscheinung gesehen hatten, konnten sie an seinem Bericht nicht im mindesten zweifeln. Der Versuchung, den Reichtum ihres Bruders zu teilen, konnten sie jedoch nicht widerstehen. Martin Waldeck war nun das Oberhaupt der Familie und kaufte Land und Wälder und baute ein Schloß, erlangte ein Adelspatent und wurde zur Entrüstung aller alteingesessenen Adligen der Gegend mit den vollen Vorrechten eines Mannes von hohem Hause belehnt.

Sein Mut in den Feldzügen des Landes wie in Privatfehden und die große Zahl von Söldnern, die er unterhielt, schützten ihn eine Zeitlang gegen den Haß, den seine plötzliche Erhebung und seine Arroganz und Dünkelhaftigkeit ihm zugezogen hatten.

Und nun war an Martin Waldecks Beispiel, wie es schon in manchen andern Fällen gewesen war, zu erkennen, wie wenig ein Sterblicher die Wirkung plötzlichen Wohlstandes auf seinen Charakter voraussehen kann. Die schlimmen Veranlagungen seiner Natur, die die Armut zurückgehalten und unterdrückt hatte, reiften und zeitigten ihre unglückselige Frucht, denn nun trat die Versuchung heran und nun hatte er ja auch die Mittel, all seinen Gelüsten nachzuhängen.

Eine böse Leidenschaft erweckte die andere. Der Teufel der Habgier rief den Dämon des Stolzes auf, und der Stolz wurde unterstützt durch Grausamkeit und Tyrannei. Waldeck war immer kühn und waghalsig gewesen, jetzt machte ihn das Vermögen wild und anmaßend. Bald war er verhaßt, nicht nur bei den Edelleuten, sondern im gleichen Maße unter dem niedern Volke, das mit doppeltem Unmut sah, wie die tyrannischen Rechte des Adels so gewissenlos von einem Manne ausgeübt wurden, der selber aus der Hefe des Volkes emporgestiegen war.

Sein Abenteuer war zwar sorgfältig geheim gehalten worden, doch begann man jetzt auch davon zu murmeln, und die Geistlichkeit begann schon den Beklagenswerten, der zu einem so großen Reichtum gelangt war, – und nicht einen beträchtlichen Teil der Kirche vermacht hatte, als einen Zauberer und Bundesgenossen der Geister zu brandmarken. Umgeben von Feinden in der großen Öffentlichkeit und im privaten Verkehr, gepeinigt von vielen Fehden und von der Kirche mit Exkommunikation bedroht, beklagte Martin Waldeck, oder wie er jetzt hieß, Baron von Waldeck, oftmals bitterlich, daß er nicht mehr der unbeneidete und unbelästigte, wenn auch von schwerer Arbeit bedrückte arme Köhler von früher war.

Aber unter all diesen Schwierigkeiten verließ ihn der Mut nicht, der vielmehr zu wachsen schien, je dringender die Gefahren wider ihn anstürmten, bis ein unglücklicher Zufall seinen Sturz beschleunigte.

Der regierende Herzog von Braunschweig hatte zu einem festlichen Turnier alle deutschen Edelleute von freier adliger Herkunft eingeladen, und Martin Waldeck, glänzend bewaffnet, begleitet von seinen beiden Brüdern und einem vornehm ausgerüsteten Gefolge, hatte die Anmaßung, unter der Ritterschaft der Provinz zu erscheinen, und stellte das Ansuchen, sich in die Listen einzuzeichnen. Das schien der Höhepunkt seiner Dünkelhaftigkeit zu sein. Tausend Stimmen riefen:

»Wir wollen keinen Kohlenbrenner bei unsern ritterlichen Spielen haben!«

Außer sich vor Zorn zog Martin sein Schwert und schlug den Herold nieder, der auf den allgemeinen Protest hin sich weigerte, ihn in die Listen einzutragen. Hundert Schwerter fuhren sogleich aus der Scheide, um dieses Verbrechen zu rächen, das den damaligen Begriffen nach eins der schwersten war, allein von Gotteslästerung und Königsmord überboten.

Waldeck wehrte sich wie ein Löwe, aber er wurde überwältigt, und auf der Stelle wurde ihm von den Richtern des Turniers der Prozeß gemacht. Er hatte den Frieden des Reiches gebrochen und die heilige Person eines Herolds erschlagen, und als entsprechende Ahndung ward über ihn, verhängt, daß ihm schmählich die rechte Hand abgeschlagen, ihm auch seine Adelsrechte abgesprochen und er aus der Stadt vertrieben werden sollte. Als ihm die Waffen abgenommen worden waren und er die Verstümmelung, die das harte Urteil über ihn verhängte, erlitten hatte, wurde er, das beklagenswerte Opfer seines Ehrgeizes, dem Pöbel überliefert. Der verfolgte ihn mit lautem Geschrei, ihn als Teufelskünstler und Tyrann verwünschend. Und schließlich fiel denn der Pöbel über ihn her. Seine Brüder (denn die Söldner waren geflüchtet) konnten ihn endlich nach vieler Mühe aus den Händen der Menge retten, die ihre Grausamkeit befriedigt hatte und, da er vom Blutverlust und den erlittenen Mißhandlungen halb tot war, von ihm abließ.

Sie fanden kein anderes Gefährt, ihn wegzuschaffen – so sinnreich war die Grausamkeit ihrer Feinde, – als einen Köhlerkarren, wie sie ihn früher selber benutzt hatten. Auf eine Schütte Stroh betteten sie ihn und konnten nicht hoffen, irgend ein Obdach zu erreichen, ehe noch der Tod ihn von seinen Qualen erlösen würde.

Auf dieser jammervollen Fahrt waren sie an die Grenze ihrer Heimat gelangt und befanden sich in einem Hohlweg zwischen zwei Bergen – da sahen sie eine Gestalt auf sich zukommen – auf den ersten Blick schien es ein alter Mann zu sein. Aber als er näher kam, nahmen Glieder und Wuchs an Größe zu, der Mantel fiel ihm von den Schultern, der Pilgerstab verwandelte sich in eine bei den Wurzeln herausgerissene Fichte, und die gigantische Gestalt des Harz-Geistes schritt in all ihrer Furchtbarkeit an ihnen vorüber. Als er bei dem Karren anlangte, auf dem der unglückliche Waldeck lag, zogen seine Züge sich breit auseinander zu einem Grinsen unsäglicher Verachtung und Boshaftigkeit.

»Wie behagt dir das Feuer, das meine Kohlen angefacht haben?« fragte er den Dulder.

Während seine Brüder vor Entsetzen kein Glied zu rühren vermochten, schien bei Martin in einem letzten Aufflammen feines Mutes noch einmal die Kraft zu erwachen. Er richtete sich in dem Karren auf, runzelte die Stirn und schüttelte die linke Faust nach dem Gespenst hin, mit einem Blick des Hasses und Trotzes. Der Kobold verschwand mit seinem gräßlichen schallenden Lachen, und Waldeck sank nunmehr nach dieser letzten Anstrengung in völlige Erschöpfung.

Die erschreckten Brüder kehrten ihr Gefährt nach den Türmen eines Klosters, die in einem Fichtenwalde am Wegesrande sich erhoben. Ein barfüßiger langbärtiger Kapuziner empfing sie barmherzig, und Martin lebte nur noch so lange, daß er die erste Beichte seit dem Tage, da er reich geworden war, ablegen und Absolution von ebendemselben Priester erlangen konnte, den am selben Tage vor drei Jahren die Menge – und er mit – aus Morgenbrod vertrieben hatte. Daß er drei Jahre sich seines unsicheren Reichtums erfreut hatte, und daß er dreimal nach. dem gespenstischen Feuer auf dem Hügel gegangen war, wurde für eine geheimnisvolle mystische Wechselbeziehung erklärt.

Die Leiche Martin Waldecks wurde bestattet in dem Kloster, wo er seinen Geist ausgehaucht hatte. Seine Brüder aber nahmen das Kleid des Ordens an und starben nach einem Leben der Mildtätigkeit und der Andacht. Sein Land, auf das niemand Anspruch geltend machen konnte, lag brach, bis der Kaiser es als verfallenes Lehen an sich nahm, und die Ruinen des Schlosses, das Waldeck nach seinem eigenen Namen genannt hatte, werden noch jetzt von Wald- und Bergleuten gemieden als Heimstätte böser Geister.

Unglück brachte rasch und schlimm erworbner Reichtum mit sich – wie zu ersehen war aus dem Schicksal Martin Waldecks.


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