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– – Schüttle du die Beutel
Der reichen Aebte; setze du in Freiheit
Gefangene Engelsthaler – –
Buch, Glock' und Kerze schreckt mich nimmer ab,
Sobald mir Gold und Silber winkt –
König Johann.
Die Nacht ward stürmisch, Wind und Regenschauer tobten durcheinander. »Ja, ja,« sagte der Bettler, als er seinen Platz auf der trockenen Seite des großen Eichbaums einnahm, um seinen Gefährten zu erwarten – »ja, die menschliche Natur ist doch ein närrisches, seltsames Ding! – Nichts, als die Aussicht auf großen Gewinn, könnte den Dousterswivel herausbringen in einem solchen Sturm, um zwölf Uhr Nachts, wo die Gespenster umgehn! Und bin ich nicht ein noch größerer Narr als er, daß ich hier auf ihn warte?«
Nachdem er diese weisen Betrachtungen angestellt, hüllte er sich dicht in seinen Kittel und heftete den Blick auf den Mond, wie er zwischen den stürmischen und düstern Wolken hinging, welche der Wind von Zeit zu Zeit vorüberjagte. Der melancholische, unsichere Mondenschimmer, der zwischen den vorübereilenden Wolkenschatten hervorbrach, fiel auf die Wölbungen und Fenster des alten Gebäudes, welches so für den Augenblick völlig sichtbar gemacht wurde in seinem verfallenen Zustande, und darauf wieder zu einer düstern, undeutlichen und schattigen Masse wurde. Auch der kleine See empfing sein Theil von diesen vorüberziehenden Lichtstrahlen und zeigte seine weißen, vom Sturm aufgeregten Fluthen, die, wann die Wolken am Monde vorüberschwebten, nur durch ein dumpfes, murmelndes Plätschern am Ufer bemerkbar waren. Das waldige Thal wiederholte bei jedem Windstoße, der durch seine enge Schlucht brauste, das tiefe und manchfache Stöhnen, womit die Bäume dem Wirbelwind antworteten, – und diese Töne sanken wieder, wenn der Sturm vorüber war, zu einem schwachen verhallenden Aechzen herab, ähnlich den Seufzern eines erschöpften Missethäters, nachdem er die ersten Schmerzen der Tortur überstanden hat. In diesen Tönen würde der Aberglaube reiche Nahrung für jenen Zustand aufgeregten Grauens gefunden haben, den er fürchtet und doch liebt. Aber solche Empfindungen kannte Edie nicht. Sein Geist irrte zurück nach den Scenen seiner Jugend.
»Ich habe in Deutschland und Amerika auf dem Vorposten gestanden«, sagte er zu sich selbst, »in noch schlimmern Nächten als diese, und wo ich wußte, daß wohl ein Dutzend ihrer Scharfschützen im Dickicht vor mir lagen. Aber ich war immer gehörig munter und Niemand hat den Edie schlafend gefunden.«
Während er so vor sich hinmurmelte, hatte er instinktmäßig seinen treuen Stab geschultert, die Stellung einer Schildwache auf dem Posten angenommen und rief nun, als Jemand auf den Baum zukam, mit einer Stimme, die besser zu seinen militärischen Erinnerungen, als zu seinem jetzigen Zustande paßte: »Halt – Wer da!«
»Der Teufel, guter Edie,« antwortete Dousterswivel, »warum schreien Sie so laut, wie ein Bärenhäuter, oder – ich meine, wie eine Schildwache?«
»Eben weil ich in dem Augenblick eine Schildwache zu sein glaubte,« antwortete der Bettler, »'s ist eine böse Nacht – haben Sie die Laterne und einen Sack zum Silber mitgebracht?«
»Ja, ja, mein guter Freund,« sagte der Deutsche, »hier ist er, ein sogenannter Quersack – die eine Hälfte für Sie, die andre für mich – ich werd' ihn dann auf mein Pferd legen, um Ihnen die Mühe zu sparen, da Sie ein alter Mann sind.«
»Sie haben also ein Pferd mitgebracht?« fragte Edie Ochiltree.
»O ja, mein Freund, dort steht es angebunden,« erwiederte der Adept.
»Nun, ich habe auch ein Wort bei dem Handel zu reden – von meinem Antheil soll nichts auf Ihres Pferdes Rücken kommen.«
»Ach, was hätten Sie denn dabei zu fürchten?« sagte der Fremde.
»Nichts weiter, als Pferd, Reiter und Geld aus dem Gesichte zu verlieren,« erwiederte der Landstreicher.
»Wissen Sie auch, daß Sie dann einen Gentleman zum Schuft machen wollen?«
»Manche Gentlemen,« erwiederte Ochiltree, »verstehn es, sich selber dazu zu machen – aber wozu streiten? Haben Sie Lust zum Werke, so beginnen Sie; wo nicht, so will ich zu dem guten Strohlager in Ringan Aikwoods Scheune zurückgehen, die ich ungern genug verließ, und Hacke und Schaufel will ich wieder hinthun, wo ich sie hergenommen habe.«
Dousterswivel überlegte einen Augenblick, ob er nicht, wenn er Edie fortgehen ließe, den ganzen erwarteten Reichthum für sich allein verschaffen könnte. Der Mangel an Werkzeugen jedoch, so wie die Ungewißheit, ob er, wenn er sie auch hätte, das Grab ohne Beistand werde ausräumen können, und vor Allem der Widerwille, den er in Folge der Erfahrungen der ersten Nacht empfand, sich allein den Schrecknissen bei Misticot's Grabe auszusetzen, sagte ihm, daß er damit zu viel wagen würde. Indem er sich daher seinen gewöhnlichen heitern Ton anzunehmen bemühte, obwohl er im Innern wüthend war, bat er »seinen guten Freund Mr. Edie Ochiltree, ihm den Weg zu zeigen, und versicherte, er stimme Allem bei, was ein so vortrefflicher Freund vorschlage.«
»Nun wohlan,« sagte Edie, »nehmen Sie Ihre Füße in Acht zwischen dem hohen Gras und den lockern Steinen – wenn wir nur das Licht erhalten, bei dem schrecklichen Winde. Aber manchmal kommt ja der Mond etwas durch die Wolken.«
Mit diesen Worten ging der alte Edie, welchem sich der Adept dicht anschloß, nach den Ruinen voraus, machte aber vor denselben plötzlich Halt.
»Sie sind ein Gelehrter, Mr. Dousterswivel, und sind vertraut mit den wunderlichen Werken der Natur. Wollen Sie mir nun etwas beantworten? Glauben Sie, daß Gespenster und Geister auf dieser Erde wandeln? Glauben Sie daran, ja oder nein?«
»Nun, guter Mr. Edie,« flüsterte Dousterswivel in ermahnendem Tone, »ist dies die Zeit und der Ort, um solche Fragen zu thun?«
»Ei sicherlich, es ist Zeit und Ort, Mr. Dousterswivel; denn soviel kann ich Ihnen nur sagen: man erzählt, der alte Misticot gehe um. Nun würde dies gerade eine garstige Nacht sein, um ihm zu begegnen, und wer weiß, ob er's nicht recht übel nimmt, wenn wir seinen Schatz holen wollen?«
»Alle guten Geister« – murmelte der Adept, indem er den Rest der Beschwörung vor Zittern nicht laut aussprechen konnte, – »ich wünschte sehr, Sie sprächen nicht so, Mr. Edie, denn nach Allem, was ich in der ersten Nacht gehört habe, glaube ich allerdings« –
»Nun, ich,« sagte Ochiltree, indem er die Kirche betrat, und mit trotziger Geberde den Arm ausstreckte, »ich wollt' ihm schon Eins versetzen, wenn er in diesem Augenblick erschiene – er ist nur ein körperloser Geist, aber wir sind mit Körpern versehn.«
»Um des Himmels willen,« sagte Dousterswivel, »sprechen Sie doch nicht von Körpern und körperlosen Wesen!«
»Nun gut,« sagte der Bettler, den Schirm von der Laterne nehmend, »hier ist der Stein, und, Geist oder nicht Geist, ich will noch ein Bischen tiefer in's Grab.« Er sprang hinab zu der Stelle, wo man am Morgen die kostbare Kiste herausgehoben hatte. Nachdem er einige Streiche geführt, ward er müde, oder er gab vor, müde zu sein, und sagte zu seinem Gefährten: »Ich bin alt und schwach, und kann es nicht ausführen – Sie können hereingehen und die Schaufel ein Bischen nehmen, um die Erde herauszuwerfen; hernach will ich Sie wieder ablösen.«
Dousterswivel nahm die Stelle ein, die ihm der Bettler räumte, und arbeitete mit all dem Eifer, den die erwachte Habsucht, verbunden mit dem ängstlichen Wunsche, das Unternehmen beendigen und den Ort so bald als möglich verlassen zu können, einem so geizigen, argwöhnischen und furchtsamen Geiste nur einflößen konnte.
Edie, der ganz ruhig an der Seite des Loches stand, begnügte sich damit, seinen Genossen zu angestrengter Arbeit zu ermahnen. »Meiner Treu! Wenige haben wohl für solch Tagelohn gearbeitet; und wenn es auch nur den zehnten Theil von der Größe der Kiste Nr. I hat, so wird es doch doppelt so viel werth sein, wenn es mit Gold, statt Silber, gefüllt ist. – Der Teufel! Sie arbeiten, als wären Sie bei Hacke und Spaten erzogen – Sie könnten jeden Tag Ihre gute halbe Krone damit verdienen. Nehmen Sie Ihre Zehen vor dem Stein in Acht!« dabei stieß er an einen großen Stein, den der Adept mit Mühe herausgehoben hatte, und den nun Edie wieder hineinwarf, wobei die Beine des Deutschen nicht wenig in Gefahr kamen.
So vom Bettler ermahnt, kämpfte und schaffte Dousterswivel eifrig unter den Steinen und der festen Erde, wie ein Pferd arbeitend und im Stillen deutsche Flüche murmelnd. Wenn solche unheilige Worte seinen Lippen entflohen, wechselte Edie sogleich seinen Ton gegen ihn.
»O, schwören Sie nicht, schwören Sie nicht! wer weiß, wer uns zuhört! – Ach! Gott schütz' uns, was ist dort! – O, 's ist nur ein Efeuzweig, der von der Wand herabhängt; als der Mond darauf schien, sah es aus wie der Arm eines Todten, mit einem Licht in der Hand; ich dacht' es wäre Misticot selber. Aber nur unbesorgt, arbeiten Sie flott – werfen Sie die Erde hier heraus – der Henker, Sie wissen ein Grab so hübsch zu machen, wie Will Winnet selber! Was halten Sie denn inne? – Sie sind gerade weit genug, um den Fund zu erhaschen.«
»Ach!« sagte der Deutsche im Tone des Unwillens und der getäuschten Erwartung, »ach, ich bin ja jetzt auf den Fels hinab, worauf die verfluchten Ruinen (Gott verzeih' mir!) gegründet sind.«
»Ei,« sagte der Bettler, »da wird sich ganz gewiß etwas finden; es wird nur ein flacher Stein sein, den man dahin gelegt hat, um das Gold zu verbergen; nehmen Sie die Spitzhacke, Freund, und schlagen Sie kräftig drauf los – ein tüchtiger Hieb wird den Stein gewiß zersplittern, darauf will ich schwören – Ja, so wird es gehen – der Teufel, er führt ja Hiebe wie Wallace selber!«
In der That führte der Adept, durch Edie's Ermahnungen bewogen, einige verzweifelte Schläge und dabei zerbrach, nicht das, wogegen er schlug, denn dies war, wie er schon ganz recht vermuthet, allerdings der solide Felsengrund, sondern das Werkzeug, welches er führte, und zugleich thaten ihm die Arme bis zum Schulterblatt weh.
»Heda, Bursche! da geht Ringan's Spitzhacke flöten!« rief Edie; »'s ist eine Schande für das Fairporter Volk, so zerbrechliche Waare zu liefern. Frisch, greifen Sie wieder zum Spaten, Mr. Dümsterteufel!«
Der Adept kletterte, ohne zu antworten, aus der Grube, die nun wohl sechs Fuß tief war, und redete dann seinen Gefährten mit einer Stimme an, die vor Wuth zitterte. »Wissen Sie auch, Mr. Edie Ochiltree, wer es ist, mit dem Sie Ihre Späße und Possen getrieben haben?«
»Wahrlich, Mr. Dümsterteufel, wahrlich ich kenne Sie und habe Sie schon lange gekannt; aber von Spaß ist hier gar keine Rede, denn mich verlangt ernstlich, all' unsre Schätze zu sehen; wir sollten jetzt schon beide Seiten unsers Quersacks voll haben – ich hoffe doch, er wird groß genug sein, um den ganzen Reichthum zu fassen?«
»Sehn Sie, Sie schlechter alter Mensch,« sagte der zornentbrannte Philosoph, »wenn Sie sich noch einen Scherz mit mir erlauben, so schlag' ich Ihnen den Hirnkasten mit dem Spaten auseinander!«
»Und wo wären denn unterdeß meine Hände und meine Spitzhacke?« erwiederte Edie in einem sehr furchtlosen Tone. »Ja, ja, Mr. Dümsterteufel, ich habe nicht darum so lange in der Welt gelebt, um mich zuletzt so hinauswerfen zu lassen. Was hilfts denn, Bester, wenn Sie sich mit Ihren Freunden zanken? Ich wette, wir finden den Schatz in einer Minute.« Mit diesen Worten sprang er in die Grube und ergriff den Spaten.
»Das schwör' ich Ihnen,« sagte der Adept, dessen Argwohn nun völlig rege war, »haben Sie mir einen Possen gespielt, so geb' ich Ihnen dafür einen Streich, Mr. Edie.«
»Nun hör' ihn einer,« sagte Ochiltree; »er weiß, wie man die Leute in Athem erhält – der Teufel, ich glaube, er ist selber schon einmal tüchtig gehetzt worden.«
Bei dieser Bemerkung, welche offenbar auf den frühern Auftritt zwischen Dousterswivel und Sir Arthur anspielte, verlor der Philosoph den letzten Rest von Geduld, der ihm noch geblieben, und da er überhaupt leidenschaftlichen Charakters war, hob er die zerbrochene Hacke auf, um sie auf des alten Mannes Kopf zu werfen. Der Streich wäre jedenfalls tödtlich geworden, hätte nicht jener, dem er galt, mit ernster und fester Stimme ausgerufen: »Schämen Sie sich, Mensch! – Meinen Sie, Himmel oder Erde würd' es dulden, daß Sie einen alten Mann ermorden, der Ihr Vater sein könnte? – Schauen Sie hinter sich, Mensch!«
Dousterswivel wandte sich instinktmäßig und sah, zu seiner höchsten Ueberraschung, eine große, düstere Gestalt dicht neben sich stehen. Die Erscheinung ließ ihm nicht Zeit, eine Beschwörung oder so etwas zu äußern, sondern ging gleich zur That und maß des Adepten Schultern drei oder vier mal mit so gewaltigen Schlägen, daß er unter dem Gewicht derselben niedersank und einige Minuten vor Furcht und Schmerz besinnungslos liegen blieb. Als er zu sich selbst kam, befand er sich allein in der verfallenen Kirche, auf der weichen und modrigen Erde liegend, die er aus Misticot's Grabe geworfen hatte. Er erhob sich mit einem Gefühle, welches aus Zorn, Schmerz und Schrecken gemischt war, und erst, nachdem er einige Minuten aufrecht gesessen, konnte er seine Gedanken so weit ordnen, um sich zu besinnen, wie er hieher gekommen sei oder in welcher Absicht. Als er sich an Alles wieder erinnerte, blieb ihm kein Zweifel, daß die Lockspeise, die ihm Ochiltree vorgehalten, um ihn an den einsamen Ort zu locken, die Spöttereien, durch die er ihn zum Streite gereizt hatte, und der Beistand, der ihm so rasch zur Hand war, um den Streit auf die angegebene Weise zu endigen, daß diese Umstände sämmtlich nur Theile eines verabredeten Planes gewesen, um Hermann Dousterswivel in Schande und Schaden zu bringen. Er konnte sich kaum denken, daß er die Anstrengung, die Angst und die Prügel, die er erdulden mußte, einzig der Bosheit Edie Ochiltree's verdanke; vielmehr vermuthete er, daß der Bettler eine Rolle gespielt habe, die ihm von einer bedeutendern Person eingegeben worden sei. Sein Argwohn schwankte zwischen Oldbuck und Sir Arthur Wardour. Der erstere hatte sich nicht bemüht, seinen Widerwillen gegen ihn zu verbergen; aber den letztern hatte er schwer beleidigt; und obwohl er nicht glaubte, daß Sir Arthur seine Schlechtigkeit in ihrem vollen Umfange kenne, so lag doch die Vermuthung nah, daß er genug von der Wahrheit erfahren haben könne, um begierig nach Rache zu werden. Ochiltree hatte ja auch noch auf einen Umstand angespielt, welcher nach des Adepten sehr begründeter Annahme nur ihm selber und Sir Arthur bekannt war, und daher von letzterem mitgetheilt sein mußte. Die Sprache Oldbuck's deutete auch auf eine Ueberzeugung von seiner Schelmerei, und Sir Arthur hatte dem Allen zugehört, ohne ihn eben eifrig zu vertheidigen. Uebrigens war auch die Art, auf welche nach des Adepten Dafürhalten der Baronet seine Rache gegen ihn ausgeübt hatte, dem Verfahren in andern Ländern sehr ähnlich, womit Dousterswivel besser bekannt war, als mit den Gewohnheiten des nördlichen Britanniens. Bei ihm war, wie bei vielen schlechten Menschen, der Argwohn, beleidigt zu sein, und die Lust, sich zu rächen, ganz eng mit einander verbunden. Daher hatte sich Dousterswivel kaum wieder aufgerichtet, als er auch im Stillen seinem Wohlthäter Verderben schwur, und zum Unglück besaß er nur zu viele Macht, um dasselbe zu beschleunigen.
Aber obwohl der Durst nach Rache seine Seele erfüllte, so war doch jetzt nicht Zeit solchen Betrachtungen nachzuhängen. Die Stunde, der Ort, seine eigne Lage oder auch vielleicht die Nähe oder Gegenwart seiner Gegner, machten Selbsterhaltung zu seiner ersten Aufgabe. Die Laterne war umgeworfen und in der Verwirrung ausgelöscht worden. Der Wind, welcher früher so laut durch die Ruinen heulte, hatte sich nun ziemlich gelegt und war durch den Regen zu Ruhe gebracht worden, welcher stark niederfiel. Der Mond hatte sich aus gleichem Grunde gänzlich versteckt, und obwohl Dousterswivel einigermaßen mit den Ruinen bekannt war und wußte, daß er das östliche Thor der Kirche suchen müsse, so waren seine Gedanken doch so stark verwirrt, daß er einige Zeit nachsinnen mußte, ehe er Gewißheit hatte, welche Richtung einzuschlagen sei – In dieser Verwirrung begannen die Eingebungen des Aberglaubens, indem die Finsterniß und sein böses Gewissen zu Hilfe kamen, seine verstörte Einbildungskraft auf's Neue zu beunruhigen. »Aber nein!« sagte er muthig zu sich selber, »'s ist Alles Unsinn – Alles nur ein Theil der verdammten Possen und Betrügereien. Teufel! daß ein dickköpfiger schottischer Baronet, den ich fünf Jahr bei der Nase herumführte, den Hermann Dousterswivel betrügen sollte!«
Als er zu diesem Schlusse gekommen war, ereignete sich etwas, wodurch der Grund, auf welchen er gebaut hatte, bedeutend erschüttert wurde. Bei dem klagenden Seufzen des hinsterbenden Windes und dem Plätschern der Regentropfen, die auf Laub und Steine fielen, erhob sich, und offenbar nicht fern von dem Lauschenden, ein so traurig-ernster und feierlicher Gesang, als ob die geschiedenen Geister der Mönche, die einst diese verlassenen Räume bewohnt hatten, die Abgeschiedenheit und Oede betrauerten, welcher ihre heilige Wohnung jetzt hingegeben war. Dousterswivel, der jetzt wieder auf den Füßen stand und rings an der Wand der Kirche hintappte, stand plötzlich wie in den Boden gewurzelt, als dieser neue Schrecken eintrat. Jedes Vermögen seiner Seele schien sich in diesem Augenblick im Sinne des Gehörs zu concentriren, und alles drängte ihm einstimmig die Kunde auf, daß der tiefe, seltsame und langgehaltene Gesang die eigenthümliche Musik einer der feierlichsten Todtenweisen der römischen Kirche sei. Warum man sie in solcher Einsamkeit sang und von welcher Art die Sänger waren, dies waren Fragen, welche des Adepten erschreckte Phantasie gar nicht zu lösen versuchen durfte, da sie von all den deutschen Gebilden des Aberglaubens, Nixen, Erlkönigen, Währwölfen, schwarzen, weißen, blauen und grauen Geistern, aufgeregt war.
Bald ward ein andrer seiner Sinne mit der Untersuchung beschäftigt. Am äußersten Ende eines der Gänge der Kirche, wo einige Stufen abwärts führten, befand sich eine kleine eiserne Gitterthür, die, so viel er sich entsann, nach einem niedrigen Gewölbe, vielleicht der Sakristei, führte. Als er, die Richtung des Klanges verfolgend, sein Auge dorthin wandte, bemerkte er einen starken Widerschein rothen Lichtes, welches durch die Eisenstäbe schimmerte und die Stufen beschien, die hinunterführten. Dousterswivel war einen Augenblick ungewiß, was zu thun sei; dann, plötzlich einen verzweifelten Entschluß fassend, ging er auf die Stelle los, woher das Licht kam.
Er rüstete sich mit dem Zeichen des Kreuzes und allen andern Beschwörungsformeln, auf die er sich nur besinnen konnte, während er nach dem Gitter hinging, durch welches er ungesehn beobachten konnte, was in dem Gewölbe vorging. Als er sich mit schüchternen und unsichern Schritten näherte, verhallte der Gesang nach einigen seltsamen, langgehaltenen Pausen in tiefem Schweigen. Als er das Gitter erreichte, erblickte er im Innern der Sakristei ein ganz eigenthümliches Schauspiel. Ein offenes Grab mit vier hohen, wohl sechs Fuß messenden Fackeln an jeder Ecke – eine Bahre mit einem Leichnam darauf, dessen Hände auf der Brust gefaltet waren, als solle er eben dem Grabe übergeben werden – Ein Priester in der Stola mit offenem Meßbuch – ein andrer Geistlicher in der Amtstracht, welcher den Weihkessel hielt – zwei Knaben in weißen Chorhemden mit den Räuchergeschirren – ein Mann von langer hagerer Gestalt, aber jetzt von Alter oder Schwachheit gebeugt, der zunächst dem Sarge und in tiefe Trauer gekleidet stand – dies waren die Hauptfiguren der Gruppe. In geringer Entfernung sah man jedoch noch einige Personen von beiden Geschlechtern, in langen Trauergewändern und Schleiern; fünf oder sechs andere, ebenfalls in Trauerkleidung, standen, noch weiter von der Bahre entfernt, an den Wänden des Gewölbes, ohne sich zu regen, und jeder trug eine große schwarze Wachskerze in der Hand. Das vom Rauch verdunkelte Licht so vieler Fackeln und der röthliche unbestimmte Wiederschein, den es ringsum verbreitete, gab der ganzen seltsamen Sache ein gespenstisches, zweideutiges, sonderbares Ansehn. Der Priester las jetzt laut, klar und deutlich aus dem Brevier in seiner Hand die feierlichen Worte, welche der Ritus der römischen Kirche geweiht hat, wenn der Staub dem Staube wiedergegeben werden soll. Indeß blieb Dousterswivel, in Erwägung der Stunde, des Ortes und des so unerwarteten Ereignisses, noch immer ungewiß, ob das, was er sah, wirkliche oder überirdische Ausübung von Gebräuchen sei, womit diese Mauern in frühern Zeiten vertraut waren, so selten sie auch jetzt in protestantischen Ländern, und am allerwenigsten in Schottland vorkommen. Er schwankte, ob er das Ende der Ceremonie abwarten, oder wieder in's Chor zu kommen suchen solle, als ihn eine Veränderung seiner Stellung einem der Leidtragenden durch das Gitter sichtbar machte. Die Person, die ihn zuerst erblickte, theilte ihre Entdeckung durch ein Zeichen dem Manne mit, der allein in der Nähe des Sarges stand, und jener durch ein Zeichen antwortete; darauf sonderten sich zwei Männer von den Uebrigen ab, schwebten mit geräuschlosen Schritten heran, als fürchteten sie die Feierlichkeit zu stören, und schlossen das Gitter auf, welches sie von dem Adepten trennte. Jeder faßte ihn bei einem Arme und mit einiger Gewalt, welcher er nicht zu widerstehen vermochte, hätt' ihm auch seine Furcht den Versuch erlaubt, setzten sie ihn auf den Boden der Kirche nieder und blieben, jeder auf einer Seite, neben ihm sitzen, als wollten sie ihn festhalten. Ueberzeugt, in der Gewalt Sterblicher, gleich ihm selbst, zu sein, hätte der Adept gern einige Fragen gethan; aber der Eine deutete nach dem Gewölbe, aus welchem man die Stimme des Priesters sehr deutlich vernahm, und der Andere legte den Finger auf den Mund zum Zeichen des Schweigens; der Deutsche hielt es für klug, diesem Winke zu gehorchen. So hielten sie ihn, bis ein lautes Alleluja, das durch die öden Wölbungen von St. Ruth schallte, die seltsame Ceremonie schloß, bei welcher ihn der Zufall Zeuge sein ließ.
Als das Echo der Hymne endlich verschollen war, sagte die eine der Personen, die den Adepten bewacht hatten, in recht vertraulichem und bekanntem Tone zu ihm: »Werther Sir, Mr. Dousterswivel, sind Sie es? Warum ließen Sie es uns nicht wissen, wenn Sie der Ceremonie gern beiwohnen wollten? – Mein Herr konnte nur nicht erlauben, daß Sie auf solche Weise herzuschlichen und zusahen.«
»Im Namen alles Guten, sagen Sie mir, wer Sie sind?« fragte dagegen der Deutsche.
»Wer ich bin? Ei, wer sollt' ich anders sein, als Ringan Aikwood, der Förster von Knockwinnock? – Und was machen Sie hier in so später Nacht, wofern Sie nicht dem Begräbniß der Lady beiwohnen wollten?«
»Sie müssen wissen, mein guter Förster Aikwood,« sagte der Deutsche aufstehend, »daß ich in dieser selbigen Nacht ermordet, beraubt und in Lebensgefahr gebracht worden bin.«
»Beraubt! wer sollte hier ein solches Verbrechen begehn? – Ermordet! nun, Sie sprechen noch ziemlich gut für einen ermordeten Mann. – In Furcht und Gefahr gebracht! aber durch wen, Mr. Dousterswivel?«
»Das will ich Ihnen sagen, Mr. Förster Aikwood Ringan; durch keinen andern, als den abscheulichen, schurkischen Blaukittel, den Sie Edie Ochiltree nennen.«
»Das kann ich nimmer glauben,« antwortete Ringan; »Edie war mir, wie auch schon meinem Vater, als ein treuer, ehrlicher und friedlicher Mann bekannt; und überdies schläft er ruhig in unserer Scheune, wo er schon seit Abends zehn Uhr liegt – Mag Sie daher angegriffen haben wer oder was nur immer will, Mr. Dousterswivel, ich bin gewiß, Edie ist schuldlos.«
»Mr. Förster Ringan Aikwood, ich weiß nicht, was Sie schuldlos nennen; aber bei all' seiner Ehrlichkeit und Sanftmuth, die Sie ihm zuschreiben, will ich Ihnen sagen, daß Ihr ehrlicher und sanfter Freund Edie Ochiltree mir diese Nacht fünfzig Pfund geraubt hat; und er ist jetzt so wenig in Ihrer Scheune, als ich jemals im Himmelreiche sein werde.«
»Gut, Sir, wollen Sie mit mir gehen, sobald die Begleiter des Begräbnisses fort sind, so wollen wir Ihnen bei mir ein Bett' zurecht machen, und wir können auch sehen, ob Edie in der Scheune ist. Zwei wild aussehende Kerls verließen allerdings die alte Kirche, als wir mit dem Leichnam ankamen, das ist gewiß; und der Priester, der es nicht gern hat, wenn ein Ketzer unsern kirchlichen Ceremonien zusieht, schickte ihnen zwei von unsern reitenden Begleitern nach; daher werden wir wohl noch etwas von ihnen erfahren.«
Mit diesen Worten legte die freundliche Gestalt mit Hilfe der stummen Person, die des Försters Sohn war, den Mantel ab und machte sich bereit, Dousterswivel nach dem Platze der Ruhe zu geleiten, welche der Adept so sehr bedurfte.
»Ich werde mich Morgen an die Obrigkeit wenden,« sagte er; »oder ich will das Gesetz gegen all' diese Menschen anrufen.«
Während er so Worte der Rache gegen die Ursache seines Mißgeschicks murmelte, hinkte er aus den Ruinen hervor, unterstützt von Ringan und dessen Sohne, deren Beistand seiner Schwäche wegen sehr nöthig war.
Als sie nun das Kloster verlassen, und die Wiese, auf welcher es stand, erreicht hatten, konnte Dousterswivel sehen, wie die Fackeln, die ihn so sehr beunruhigt hatten, sich in unregelmäßigem Zuge aus den Ruinen entfernten, während ihr Licht, gleich dem des ignis fatuus, an den Ufern des Sees schimmerte. Nachdem sie sich eine kurze Strecke auf dem Pfade fortbewegt hatten, waren sie auf einmal erloschen.
»Bei solchen Gelegenheiten löschen wir immer die Fackeln am heiligen Kreuz-Brunnen aus,« sagte der Förster zu seinem Gaste; und daher bot sich für Dousterswivel kein sichtbares Zeichen der Prozession mehr dar, obwohl er noch den fernen und mehr und mehr abnehmenden Schall der Rosseshufe in der Richtung vernehmen konnte, welche die Leidtragenden eingeschlagen hatten.