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Hier ist's, wo einst, bei Kerzenschein, erklang
Gebet der Priester und ihr Nachtgesang;
Zu
dem Ort mag ein müder Geist gern wallen;
Denn Zorn und Rach' erlischt in diesen Hallen:
Mitleid hat hier der
Reue Trost geliehn,
Der Stolz mußt' oft mit einem Thränenstrom entfliehn.
Crabbe.
Der Morgen am Freitag war so heiter und schön, als wäre gar keine Lustpartie beabsichtigt worden; und das ist ein seltener Fall, sowohl im Roman, als im wirklichen Leben. Lovel, der den wohlthätigen Einfluß des Wetters fühlte und sich der Aussicht freute, noch einmal mit Miß Wardour zusammen kommen zu können, trabte dem Versammlungsorte mit froherm Muthe zu, als er seit langer Zeit empfunden hatte. Seine Aussichten schienen sich in vieler Hinsicht freundlich und hell vor ihm zu gestalten, und die Hoffnung, obwohl, wie die Morgensonne, durch Nebel brechend, schien doch den Pfad vor ihm erleuchten zu wollen. Er war, wie sich nach seiner frohen Gemüthsstimmung erwarten ließ, der erste auf dem Platze, und, was sich gleichfalls von selber verstand, seine Blicke waren unablässig auf der Straße nach Knockwinnock hin gerichtet, so daß ihm die Ankunft der Familie Monkbarns nur durch das Schmettern des Posthorns gemeldet wurde, als der Wagen bereits hinter ihm heranrollte. In diesem Fuhrwerk befand sich nun erstlich die stattliche Figur des Mr. Oldbuck selbst; zweitens, die kaum minder ansehnliche Person des ehrwürdigen Mr. Blattergowl, Pfarrers von Trotscosey, dem Kirchspiel, in welchem Monkbarns und Knockwinnock beide lagen. Der ehrwürdige Herr war mit einer Stutzperücke versehn, auf deren Gipfel ein gleichseitiger dreieckiger Hut saß. Jene war das Muster der drei noch übrigen Perücken des Kirchspiels, welche, wie Monkbarns zu bemerken pflegte, nach Art der drei Vergleichungsgrade unterschieden waren – Sir Arthur's Perücke war der Positiv, seine eigene der Comparativ, und die gewaltig hochgethürmte des würdigen Geistlichen der Superlativ. Der Oberaufseher dieser alterthümlichen Gegenstände des Schmucks, welcher meinte, oder zu meinen vorgab, er könne bei einer Gelegenheit nicht gut abwesend sein, wo alle drei versammelt waren, hatte sich hinten auf den Wagen gesetzt, »nur um bei der Hand zu sein, wenn die Herren etwa seine Hilfe brauchen sollten, bevor sie sich zu Tische setzten.« Zwischen den zwei massenhaften Figuren Monkbarns und des Geistlichen war, gleich einer Nähnadel, die zarte Gestalt der Mary M'Intyre eingefügt, da es ihre Tante vorgezogen hatte, lieber auf der Pfarre einen Besuch zu machen und ein behagliches Gespräch mit Miß Beckie Blattergowl zu halten, als die Ruinen der Priorei St. Ruth zu untersuchen.
Als sich die Mitglieder der Gesellschaft Monkbarns und Lovel wechselseitig begrüßten, kam des Baronets Wagen, eine offene Chaise, auf dem Versammlungsorte an, welche mit den dampfenden Braunen, den stattlichen Kutschern, dem Wappen am Schlag und zwei Vorreitern einen starken Contrast bildete gegen das morsche Fuhrwerk und die ärmlichen Mähren, welche den Alterthümler und seine Gefährten hierher gebracht hatten. Der Hauptplatz des Wagens war von Sir Arthur und seiner Tochter eingenommen. Beim ersten Blick, den Miß Wardour und Lovel wechselten, erröthete sie tief; aber sie hatte sich offenbar fest vorgenommen, ihn als Freund zu empfangen, und nur als solchen – und in der Art, wie sie seinen höflichen Gruß erwiederte, bewies sie eben so viel Fassung als Artigkeit. Sir Arthur ließ den Wagen halten, um seinem Erretter freundlich die Hand zu schütteln, und zugleich das Vergnügen auszudrücken, daß ihm Gelegenheit werde, seinen Dank persönlich auszusprechen; sodann sagte er, in einem Tone, wie man ohne viel Umstände Jemand vorstellt: »Mr. Dousterswivel – Mr. Lovel.«
Lovel nahm so viel Notiz, als nöthig war, von dem deutschen Adepten, welcher auf dem Rücksitze saß, der gewöhnlich abhängigen oder untergeordneten Personen eingeräumt wird. Die zuvorkommende und demüthige Verbeugung, mit welcher Lovel seinen ziemlich nachlässigen Gruß von dem Fremden erwiedert sah, steigerte noch seinen innern Widerwillen, den er bereits gegen jenen empfand; und die zusammengezogenen Augenbrauen des Alterthümlers zeigten deutlich, daß auch ihm die Vermehrung der Gesellschaft mißfiel. Die übrigen Mitglieder der Gesellschaft begrüßten einander nur flüchtig, bis endlich die Wagen, nachdem man einen etwa anderthalbstündigen Weg zurückgelegt hatte, vor den Vier Hufeisen, einem kleinen Landwirthshaus, hielten. Demüthig öffnete hier Caxon die Wagenthür und ließ den Tritt herunter, während die Insassen der freiherrlichen Chaise durch gewandtere Diener beim Aussteigen unterstützt wurden.
Hier begrüßte man sich auf's Neue; die jungen Damen drückten einander die Hand, und Oldbuck, ganz in seinem Elemente, setzte sich, als Führer und Cicerone, an die Spitze der Gesellschaft, welche nun zu Fuße dem Gegenstand ihrer Neugier zuwandelte. Oldbuck sorgte dafür, Lovel immer dicht an seiner Seite zu halten, weil dieser der beste Zuhörer in der Gesellschaft war, und gelegentlich richtete er auch ein Wort der Belehrung und Erklärung an Miß Wardour und Mary M'Intyre, welche hinter ihm hergingen. Den Baronet und den Geistlichen vermied er eher, da er überzeugt war, beide wären der Meinung, sie verständen dergleichen Dinge eben so gut oder besser, als er; und Dousterswivel, abgesehen davon, daß er ihn überhaupt als einen Charlatan betrachtete, stand so sehr im Zusammenhang mit dem befürchteten Verlust bei der Bergwerksangelegenheit, daß er ihn gar nicht ansehen mochte. Die beiden letztgenannten Satelliten bewegten sich daher nur treulich um Sir Arthur, dem sie, als der vornehmsten Person in der Gesellschaft, natürlich ohnehin die meiste Aufmerksamkeit zu beweisen hatten.
Es ist häufig der Fall, daß die schönsten Punkte schottischer Landschaften in einem einsamen Thal verborgen liegen, und daß man das Land in jeder Richtung durchreisen kann, ohne von einer naheliegenden Sehenswürdigkeit etwas zu wissen, wenn man nicht durch bestimmte Absicht oder Zufall nach dem Orte geführt wird. Dies ist besonders der Fall in der Umgegend von Fairport, die im Allgemeinen offen, frei und flach daliegt. Hier und da aber haben die Bäche und kleinen Flüsse Thäler, Schluchten, oder, wie sie in der Landessprache heißen, Dens gebildet, auf deren hohen und felsigen Wänden Bäume und Gebüsche aller Art Schutz finden und mit üppiger Fruchtbarkeit emporwachsen, die um so erfreulicher ist, da sie einen unerwarteten Gegensatz zu dem allgemeinen Charakter der Gegend bildet. Dies war vorzüglich der Fall, als man sich den Ruinen von St. Ruth näherte, denn der Weg führte anfangs nur über eine Schaftrift, zur Seite eines steilen und kahlen Hügels. Allmählig indeß senkte sich dieser Pfad und wand sich um den Abhang des Hügels herum; Bäume begannen sich zu zeigen, anfangs einzeln, alt und unansehnlich, mit Flocken von Wolle an den Stämmen und die Wurzeln zu Gruben ausgehöhlt, worin die Schafe gern ruhen, – ein Anblick, der dem Auge eines Freundes des Malerischen weit angenehmer ist, als dem eines Gärtners oder Försters. Allmälig erschienen die Bäume in Gruppen, umgeben und untermischt mit Schlehen- und Haselbüschen; und endlich traten diese Gruppen so dicht zusammen, daß, – obwohl hier und da ein offener Raum zwischen ihren Zweigen blieb, oder auch ein schmaler Strich Haideland vorkam, welcher dem Samen, den sie ausgestreut hatten, die Nahrung verweigert hatte, und also offen und unbewachsen blieb; – daß man trotzdem das Ganze einen Wald nennen konnte. Die Wände des Thales begannen näher zusammen zu treten; das Rauschen eines Baches ließ sich aus der Tiefe hören, und wo die Waldung Oeffnungen zur Durchsicht gewährte, sah man seine Fluth klar und eilend unter dem waldigen Dache hinwallen.
Oldbuck gab sich nun das volle Ansehen eines Cicerone, und gab der Gesellschaft die sorgsame Weisung, keinen Fuß breit von dem Wege zu weichen, den er angab, wofern man den erwarteten Anblick in bester Vollkommenheit genießen wolle. »Sie sind glücklich, mich zum Führer zu haben, Miß Wardour,« sagte der Veteran, indem er Hand und Kopf taktmäßig wiegte, während er mit Nachdruck recitirte:
»Ich kenne jeden Steg und grünen Pfad,
Weiß jede busch'ge Thalschlucht dieses Waldes,
Und jede Schattenlaub' in jeder Richtung.«
– Ach! hol's der Teufel! – dieses Gestrüpp hat Caxon's Mühe total vernichtet, und meine Perücke beinah' in's Wasser geworfen – das hat man vom Versehersagen.«
»Ohne Sorge, theurer Sir,« sagte Miß Wardour, »Ihr treuer Gehilfe ist ja bereit, jedes solche Mißgeschick wieder gut zu machen, und wenn Sie dann damit wieder erscheinen in seiner ursprünglichen Herrlichkeit, so will ich die Stelle citiren:
»So sinkt das Tagsgestirn in's Wellengrab,
Doch hebt es neu sein feuchtes Haupt empor,
Und sendet seiner neuen Strahlen Glanz
In junger Pracht« –
»O, genug, genug!« antwortete Oldbuck; »Ich konnte ja wissen, was es heißt, Ihnen einen Vortheil über mich geben. – Aber hier ist etwas, was Ihre Lust zur Satire bändigen wird, denn ich weiß, daß Sie eine Freundin der Natur sind.« – Und in der That, kaum waren sie ihm durch eine Oeffnung in einer niedrigen, alten und verfallenen Mauer gefolgt, als sie plötzlich von einer eben so unerwarteten, als anziehenden Scene überrascht wurden.
Sie standen ziemlich hoch am Abhange des Thals, welches sich plötzlich zu einer Art Amphitheater öffnete, um einem tiefen, klaren See, der einige Acker Landes bedeckte, und einer kleinen Ebene ringsherum Raum zu geben. Die Thalwände stiegen überall steil empor; hier und da wechselten sie mit Felsen ab, und an andern Stellen waren sie von Buschwerk bedeckt, welches unregelmäßig und wild umher wuchs und die Einförmigkeit des grünen Weidegrundes unterbrach. Unten entlud sich der See in einen rauschenden und wilden Waldbach, welcher, seit die Gesellschaft das Thal betrat, ihr Gefährte gewesen war. An der Stelle, wo er seinem »mütterlichen See« entsprang, standen die Ruinen, deren wegen man gekommen war. Ihr Umfang war nicht bedeutend: aber ihre eigenthümliche Schönheit, so wie der wilde und abgeschiedene Charakter des Ortes, an welchem sie lagen, gab ihnen ein Interesse und einen Werth, welcher den von wichtigern Resten der Baukunst übertraf, die in der Nähe gewöhnlicher Gebäude liegen und minder romantische Umgebungen haben. Das östliche Fenster der Kirche war noch ganz vorhanden, mit all seiner Zierrath und Bildwerk; die Seitenwände wurden von leichten Bogen getragen, deren luftige Säulen frei der Mauer gegenüber standen und, mit Laubwerk und andern Zierrathen geschmückt, dem Gebäude Abwechselung und Leichtigkeit gaben. Das Dach und das westliche Ende der Kirche waren völlig zerstört, doch schien das letztere die eine Seite eines viereckigen Platzes gebildet zu haben, wovon zwei andre von den Klostergebäuden und die vierte vom Garten formirt wurde. Diejenige Seite dieser Gebäude, die den Bach überragte, war zum Theil auf einem steilen und abschüssigen Felsen erbaut; der Ort nämlich hatte gelegentlich auch kriegerischen Zwecken gedient und war, während der Kriege unter Montrose mit vielem Blutvergießen genommen worden. Der Boden, den früher der Garten einnahm, war noch durch einige Obstbäume bezeichnet. In größerer Entfernung von dem Gebäude sah man einzelne Eichen, Buchen und Nußbäume, die eine bedeutende Größe erreicht hatten. Den übrigen Raum zwischen dem Berge und den Ruinen bedeckte ein grüner Rasenplatz, den die tägliche Weide der Schafe besser in Ordnung hielt, als wenn er der Sichel und Harke unterworfen gewesen wäre. Die ganze Scene athmete eine Ruhe, die zum Herzen sprach, ohne eintönig zu sein. Das dunkle, tiefe Becken, worin der klare, blaue See ruhte, der die aus seiner Oberfläche wachsenden Wasserlilien und die Bäume, die hier und da ihre Aeste über's Ufer streckten, abspiegelte, bildete einen schönen Gegensatz zu der Eile und dem Toben des Baches, welcher aus dem See hervorbrach, als wolle er der Haft entspringen, und dann in's Thal hinab stürzte, indem er um den Fuß des Felsen rauschte, auf welchem die Ruinen lagen, wobei er sprudelnd und schäumend mit jedem Stein kämpfte, der seinem Laufe im Wege stand. Ein ähnlicher Contrast war zwischen der ebenen grünen Matte, worauf die Ruinen standen, und den hohen, einzeln darauf stehenden Waldbäumen sichtbar, wenn man sie mit den abhängigen Wänden verglich, die sich in geringer Entfernung ringsum erhoben, theils mit leichtem Buschholz bedeckt, theils mit purpurrother Haide überzogen, steil emporsteigend, und theils als graue Felsstücke übereinandergethürmt, die blos von Moos, oder den kühnen Pflanzen geschmückt wurden, welche auch auf den dürrsten Felsklippen Wurzel zu fassen wissen.
»Hier war der Zufluchtsort der Gelehrsamkeit in den Tagen der Finsterniß, Mr. Lovel,« sagte Oldbuck, um den sich jetzt die Gesellschaft gruppirt hatte, während man die so unerwartet geöffnete romantische Aussicht bewunderte; »hier ruhten die Weisen, die der Welt müde waren, und weiheten sich entweder der zukünftigen, oder dem Dienste der Geschlechter, die ihnen in dieser Welt folgen sollten. Ich werde Ihnen gleich die Bibliothek zeigen – sehen Sie das Mauerstück mit den viereckigen Fenstern? dort war sie, versehn, wie ein altes Manuscript in meinem Besitze versichert, mit fünftausend Bänden. Und hier möchte ich wohl in die Klage des gelehrten Leland einstimmen, der, den Untergang der Klosterbiliotheken bedauernd, gleich Rahel, die ihre Kinder beweint, rief: wären blos päpstliche Bullen, Decrete, Breves, Decretalien und andrer ähnlicher Teufelskram, ja, wenn Heytesburg's Sophismen, die Universalien des Porphyrius, Aristoteles' Logica, und Dunse's Gottesgelahrtheit, nebst ähnlichem, lausigem Lumpenzeug (bitt um Verzeihung, Miß Wardour,) aus unsern Bibliotheken geworfen worden, zum Besten der Gewürzkrämer, Lichterzieher, Käseweiber und ähnlicher Gewerbsleute, so könnten wir uns wohl zufrieden geben. Aber unsre alten Chroniken, unsre edlen Historien, unsre gelehrten Commentare und Nationaldenkmäler auf solche Weise entehrt und verachtet zu haben, das hat unsre Nation entwürdigt und uns selber in den Augen der Nachwelt bis auf die fernsten Geschlechter mit Schmach bedeckt – O Vernachlässigung, wie hast du unserm Lande geschadet!«
»Und, o John Knox,« sagte der Baronet, »durch dessen Ansehen und unter dessen Auspicien das patriotische Werk vollendet ward!«
Der Alterthümler, der sich hier gewissermaßen in seiner eignen Schlinge gefangen sah, wandte sich ab und hustete, um damit ein leichtes Erröthen zu bemänteln, während er murmelte: »was den Apostel der schottischen Reformation betrifft« –
Aber Miß Wardour unterbrach ein so gefährliches Gespräch: »Bitte, welchen Autor citirten Sie, Mr. Oldbuck?«
»Den gelehrten Leland, Miß Wardour, der um den Verstand kam, als er die Zerstörung der Klosterbibliotheken in England sah.«
»Nun, ich denke,« antwortete die junge Dame, »sein Unglück hat manchem der neuern Alterthumsforscher den Verstand erhalten, der sonst sicherlich in einem so ungeheuren Meere der Gelehrsamkeit ertrunken wäre, hätte man es nicht etwas durch eine Ableitung vermindert.«
»Nun, Gott sei Dank, dazu ist nun keine Gefahr mehr – man hat uns kaum einen Löffel davon übrig gelassen.«
Mit diesen Worten führte Mr. Oldbuck die Gefährten auf einem steilen aber sichern Pfade den Abhang hinab, welcher sie bald zu der grünen Wiese brachte, worauf die Ruinen standen. »Hier lebten sie,« fuhr der Alterthümler fort, »ohne weitere Beschäftigung, als die Spuren grauen Alterthums zu erforschen, Manuscripte abzuschreiben und neue Werke zur Belehrung der Nachwelt zu verfassen.«
»Und,« fügte der Baronet hinzu, »um die Gebräuche des Gottesdienstes mit einem Pompe und einer Pracht zu üben, wie sie des Priesterstandes würdig sind!«
»Und wenn Ihre Herrlichkeit, Sir Arthur, erlauben,« sagte der Deutsche mit einem tiefen Bückling, »die Mönche machten auch wohl so manches merkwürdige Experiment in ihren Laboratorien, sowohl was die Chemie, als die magia naturalis betrifft.«
»Ich denke,« sagte der Geistliche, »sie hätten genug zu thun gehabt, wenn sie die Zehnten und Einkünfte von drei guten Kirchspielen einsammelten.«
»Und das Alles,« fügte Miß Wardour, dem Alterthümler zunickend, hinzu, »ohne von einem Weibsbild gestört zu werden.«
»Freilich, meine schöne Feindin,« sagte Oldbuck; das war ein Paradies, wo keine Eva zugelassen ward, und um so mehr müssen wir uns wundern, wie es die guten Väter verlieren konnten.«
Mit solchen kritischen Bemerkungen über die Lebensweise derjenigen, die die Ruinen einst besessen hatten, wandelten sie eine Zeitlang von einem moosbewachsenen Denkmal zum andern, wobei Oldbuck den Führer machte, welcher mit großer Sicherheit den Grundriß des Gebäudes erklärte und der Gesellschaft die vielen verwitterten Inschriften vorlas und erklärte, welche sich auf den Denkmalen der Todten oder unter den leeren Nischen der Heiligenbilder befanden. »Aus welchem Grunde,« fragte endlich Miß Wardour den Alterthümler, »hat uns die Tradition nur so kärgliche Nachrichten über die Bewohner dieser stattlichen Gebäude aufbewahrt, die mit so viel Aufwand von Mühe und Kunst errichtet wurden, und deren Eigenthümer zu ihrer Zeit so mächtige und einflußreiche Männer waren? Der geringste Thurm eines freibeuterischen Barons oder Squires, der von seiner Lanze und seinem Schwerte lebte, ist durch eine besondere Sage geheiligt, und jeder Schäfer kann Ihnen mit Genauigkeit die Namen und Thaten seiner Bewohner angeben; aber fragen Sie einen Landmann in Betreff dieser schönen und weitläufigen Ueberreste – dieser Thürme, dieser Bogen und gewölbten Fenster, mit so viel Kosten erbaut, so reichen wenige Worte zu seiner Antwort hin: – »Die Mönche haben's vor alter Zeit gebaut.«
Diese Frage war etwas kitzlich. Sir Arthur blickte aufwärts, als hoffe er zu einer Antwort inspirirt zu werden. Oldbuck schob seine Perücke zurück. Der Geistliche war der Meinung, seine Pfarrkinder wären zu tief von der wahren, gereinigten Lehre durchdrungen, als daß sie noch die Erinnerung an die papistischen Landplagen bewahren sollten, an diese Reste des großen umnachtenden Baumes der Gottlosigkeit, dessen Wurzeln in den Eingeweiden der sieben Hügel der Verdammniß ruhen. Lovel glaubte, die Frage ließe sich leicht lösen, wenn man erwäge, welche Ereignisse in den Gemüthern der Masse des Volkes den stärksten Eindruck zurücklassen. »Es wären dies,« behauptete er, »nicht solche, die dem gemächlichen Lauf eines befruchtenden Baches glichen, sondern die sich der plötzlichen und reißenden Wuth eines ungeheuren Stroms vergleichen ließen. Die Merkmale, nach welchen der gemeine Mann die Zeit berechnet, haben immer Bezug auf eine Periode der Furcht und des Schreckens, und werden durch einen Sturm, ein Erdbeben oder den Ausbruch einer Rebellion bezeichnet. Wenn es solche Ereignisse sind, die im Gedächtniß des Volkes am längsten fortleben, wer wird sich dann wundern,« schloß er, »daß der rauhe Krieger in der Erinnerung lebt, während die friedlichen Aebte der Vergessenheit anheimgegeben sind?«
»Wenn Sie erlauben, meine Herren und Damen, und indem ich Sir Arthur und Miß Wardour um Verzeihung bitte, so wie diesen würdigen Geistlichen und meinen guten Freund Mr. Oldenbuck, der mein Landsmann ist, so wie den guten Mr. Lovel: – ich glaube, jenes Alles war eine Wirkung der Hand des Ruhms.«
»Welcher Hand?« rief Oldbuck.
»Der Hand des Ruhms, mein guter Mr. Oldenbuck; es ist dies ein großes und schreckliches Geheimniß, womit die Mönche ihre Schätze zu verbergen pflegten, als sie durch die Reformation aus ihren Klöstern vertrieben wurden.«
»In der That? Erzählen Sie uns doch davon,« sagte Oldbuck, »denn ein solches Geheimniß ist wohl wissenswerth.«
»Ja, mein guter Mr. Oldenbuck, Sie werden mich nur auslachen – Aber die Hand des Ruhms ist sehr wohlbekannt in den Ländern, wo Ihre würdigen Vorfahren lebten. Es ist nämlich die Hand, die man einem todten Menschen abgehauen hat, der wegen Mord gehängt wurde. Sie wird ganz dürr geräuchert beim Rauche von Wachholderholz, und fügt man etwas Eibenholz, wie Sie's nennen, hinzu, so wird es noch besser sein – oder wird doch wenigstens nichts schaden. Dann nehmen Sie etwas Fett vom Bären, vom Dachs und vom großen Eber, so wie von einem säugenden Kinde, das noch nicht getauft ist (denn dies sind sehr wesentliche Dinge!) und machen eine Kerze daraus, stecken sie zu gehöriger Stunde und Minute in die Hand des Ruhms, mit den nöthigen Ceremonien, und so wird derjenige, welcher nach Schätzen sucht, überall keine finden.«
»Darauf wag' ich einen körperlichen Eid,« sagte der Antiquar. »Und pflegte man, Mr. Dousterswivel, in Westphalen von diesem eleganten Leuchter Gebrauch zu machen?«
»Stets, Mr. Oldenbuck, wenn sie wollten, daß Niemand von dem, was sie vor hatten, sprechen sollte – und die Mönche thaten dies stets, wenn sie ihre Kirchengefäße versteckten, ihre großen Kelche und die Ringe, nebst den kostbaren Steinen und Juwelen.«
»Aber trotzdem habt Ihr Ritter vom Rosenkreuz ohne Zweifel Mittel, den Zauber zu lösen und zu entdecken, was die armen Mönche mit so vieler Mühe zu verbergen wußten?«
»Ach! guter Mr. Oldenbuck,« erwiederte der Adept, das Haupt geheimnißvoll schüttelnd, »Sie sind sehr schwergläubig; hätten Sie aber die gewaltig große Silberschüssel gesehen, so massiv, Sir Arthur, von so schöner Arbeit, Miß Wardour, und das silberne Kreuz, welches wir (nämlich Schröpfer und ich,) für den Herrn Freigrafen von Blunderhaus fanden, so würden Sie wohl auch ein Gläubiger werden.«
»Wer es sieht, wird's glauben, wahrhaftig – Aber worin bestand Ihre Kunst, was war Ihr Geheimniß, Mr. Dousterswivel?«
»O, Mr. Oldenbuck, das ist freilich mein kleines Geheimniß, mein guter Sir; Sie werden vergeben, daß ich das nicht sage, aber Sie mögen wissen, daß es noch andre Mittel gibt, so z. B. ein Traum, den Sie dreimal träumen, das ist ein gutes Mittel.«
»Das freut mich,« sagte Oldbuck; »ich habe einen Freund,« (dabei blickte er auf Lovel,) »der besonders begünstigt ist durch Besuche der Königin Mab.«
»Sodann haben wir Sympathien und Antipathien, und die besondern Kräfte und Tugenden, so verschiedenen Kräutern eigen sind, so wie auch der kleinen Wünschelruthe.«
»Lieber möcht' ich doch eines dieser Wunder sehen, als nur davon hören,« sagte Miß Wardour.
»Ja, meine sehr geehrte junge Lady, dies ist nur nicht Zeit und Ort, das große Wunder zu thun und all' das Geräth und die Schätze der Kirche zu finden; aber um Ihnen gefällig zu sein, und meinem Gönner Sir Arthur, und dem ehrwürdigen Pfarrer, so wie dem guten Mr. Oldbuck und Mr. Lovel, welcher ein so guter junger Gentleman ist, so will ich Ihnen zeigen, daß es möglich, sehr möglich ist, die Wasserquellen und die kleinen im Boden verborgenen Brünnlein zu entdecken, ohne Hacke, Spaten oder sonst ein Werkzeug.«
»Hm!« meinte der Antiquar, »ich habe schon von dieser Hexerei gehört. In unserm Lande wird es keine sehr ergiebige Kunst sein. Sie sollten damit nach Spanien oder Portugal gehen, um Ihre Rechnung zu finden.«
»Ach, mein guter Master Oldenbuck, dort ist die Inquisition und das Autodafé – man würde mich verbrennen, der ich nur ein schlichter Philosoph bin, wie wenn ich ein großer Zauberer wäre.«
»Sie würden dann ihre Kohlen wegwerfen,« sagte Oldbuck; »aber,« fuhr er leise zu Lovel fort, »wenn sie ihn als einen der unverschämtesten Schurken, der je eine Zunge mißbrauchte, an den Pranger stellten, so würde die Strafe seinen Diensten angemessener sein. Doch lassen Sie uns sehen – ich glaube, er ist im Begriff uns eine seiner Taschenspielereien zu zeigen.«
Wirklich hatte sich jetzt der Deutsche nach einem, etwas von den Ruinen entfernten Gebüsch begeben, und that, als suche er dort eifrig nach einer Zauberruthe, wie sie zu seinem geheimnißvollen Vorhaben nöthig sei. Nachdem er mehrere abgeschnitten, geprüft und weggeworfen hatte, versah er sich endlich mit einem kleinen Haselzweig, welcher gabelförmig endete und der nach seiner Versicherung die Tugend besaß, das beabsichtigte Experiment vollbringen zu helfen. Die gabelförmigen Enden der Ruthe hielt er je zwischen einem Daum und einem Finger, und indem er so die Ruthe aufwärts hielt, begann er die verfallenen Räume zu durchschreiten, während die Gesellschaft voll Verwunderung folgte. »Ich glaube, hier war kein Wasser,« sagte der Adept, als er die Runde durch verschiedene Theile des Gebäudes gemacht hatte, ohne eines der Merkmale zu entdecken, die er vorgeblich erwartete – »Ich glaube, diese schottischen Mönche fanden das Wasser zu kalt für das Klima, und tranken stets den guten erquicklichen Rheinwein – doch, aha! – sehen Sie hier.« – Die Umstehenden bemerkten allerdings, daß sich die Ruthe zwischen seinen Fingern drehte, obwohl er behauptete, sie ganz fest zu halten. – »Hier ist sicherlich Wasser genug vorhanden,« – und indem er sich nach verschiedenen Seiten wandte, je nachdem sich die Bewegung der Wünschelruthe zu vermehren oder zu vermindern schien, war er endlich in einen leeren und dachlosen Raum gekommen, welcher die Klosterküche gewesen war, und hier neigte sich die Ruthe von selbst so, daß sie fast senkrecht hinab wies. »Hier ist der Ort,« sagte der Adept, »und wenn Sie hier kein Wasser finden, so will ich Ihnen Allen die Erlaubniß geben, mich einen unverschämten Schuft zu nennen.«
»Ich werde mir die Freiheit nehmen,« flüsterte der Alterthümler Lovel zu, »mag das Wasser gefunden werden, oder nicht.«
Ein Diener, der einen Korb mit kalter Küche und Erfrischungen gebracht hatte, ward nun nach einem benachbarten Jägerhause geschickt, um Hacke und Spaten zu holen. Nachdem man die lockern Steine und den Schutt von dem Orte entfernt hatte, den der Deutsche angegeben, kam man bald auf den Rand eines regelmäßig gebauten Brunnens; und als man mit Hilfe des Jägers und seines Sohnes den Schutt einige Fuß tief ausgeworfen hatte, begann das Wasser schnell zu steigen, zum Vergnügen des Philosophen, zum Staunen der Damen, Mr. Blattergowl's und Sir Arthur's, zur Ueberraschung Lovel's und zur Beschämung des ungläubigen Alterthümlers. Er unterließ indeß nicht seinen Zweifel am Wunder in Lovel's Ohr zu flüstern. »Das ist nur eine Posse,« sagte er; »der Schuft hat sich zuvor vom Dasein dieses alten Brunnens überzeugt, sei es durch welches Mittel es wolle, eh' er dieses mystische Gauklerstück zum Besten gab. Merken Sie auf seine nächsten Worte. Ich müßte mich sehr irren, wenn dies nicht das Vorspiel zu einem ernstern Betrug ist; sehn Sie, wie sich der Schuft wichtig macht und auf den guten Erfolg pocht, und wie er den armen Sir Arthur mit einer Fluth von Unsinn überschwemmt, den er ihm als Lehren verborgener Wissenschaft hingibt!«
»Sie sehen, mein werther Gönner, Sie sehen, meine guten Damen, auch Sie, würdiger Mr. Blattergowl, und selbst Sie, Mr. Lovel und Mr. Oldenbuck können es sehen, wofern Sie es sehen wollen, wie die Kunst keinen Feind hat, als die Unwissenheit. Sehen Sie dieses kleine Haselrüthchen – es taugt zu nichts weiter, als die kleinen Kinder zu strafen;« (»für deine Sünden möcht' ich dich dann mit einer neunschwänzigen Katze züchtigen,« sagte Oldbuck leise;) »aber geben Sie es in die Hände eines Philosophen – ja! dann macht es große Entdeckungen. Aber dies ist nichts, Sir Arthur – gar nichts, würdiger Dr. Blattergowl – gar nichts, meine Damen – gar nichts, Mr. Lovel und guter Mr. Oldenbuck – gar nichts gegen das, was die Kunst vermag. O! wenn da nur ein Mann wäre, der Geist und Muth hätte, so wollt' ich ihm bessere Dinge zeigen, als eine Wasserquelle – zeigen wollt' ich ihm« –
»Und dazu würde auch ein Bißchen Geld nöthig sein, nicht wahr?« sagte der Antiquar.
»Pah! eine Kleinigkeit, nicht der Rede werth, wär' allenfalls nöthig,« antwortete der Adept.
»Das dacht' ich schon,« erwiederte der Antiquar trocken; »inzwischen will ich Ihnen ohne Wünschelruthe eine treffliche Wildpretpastete und einen ausgezeichneten Madeira zeigen, und ich denke, das wird alles aufwiegen, was Mr. Dousterswivel's Kunst zu Wege bringen kann.«
Das Mahl nahm man fronde super viridi, wie sich Oldbuck ausdrückte, unter einer großen alten Eiche, genannt die Priorseiche, und die Gesellschaft, die sich ringsum gelagert hatte, that dem Inhalte des Korbes alle Ehre an.