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Fragmente aus dem Tagebuche eines Facciosos / 1838

Wien

Ich komme aus den »Puritanern«! Das vermaledeite Duo: » Suona la tromba intrepida!« »Es schmettert die furchtlose Trompete« – turbiert mich vom Kopf bis zu den Füßen. – In den Füßen, weil ich lächerlicherweise die Kärntnerstraße herabdefiliert bin, im Takte der tromba intrepida, mit dem spanischen Rohre in der Hand, rechts und links salutierend! und im Kopfe, weil mir allerlei Ideen darin herumtoben, welche nicht ganz in eine vierteljahrhundertlange friedliche Epoche passen. Es dünkt mich, eine so schwüle, schlaffe Luft in der geistigen Welt zu wehen, welche, man mag sagen, was man will, auch von Zeit zu Zeit eines Gewittersturmes bedarf, um sich aufzufrischen.

Für die jüngern Leute, welche in dieser Glanzepoche der Dampf- und Eisenbahnmirakel aufgewachsen sind, welche das goldene Zeitalter und das goldene Kalb anbeten, ist dieses Bedürfnis weit geringer; aber unsereiner, den die Mutter unter dem Donner der Kanonen einlullte, an dessen Wiege die Riesenschatten der napoleonischen Kaiserzeit vorüberwandelten, der in der damaligen eisernen Zeit mit der Feuertaufe sub invocatione unter Anrufung Schills, Hofers, Körners getauft wurde, dem ist und wird nicht wohl in dieser Aktienwelt; mitsamt aller ihrer Dampf-, Gold- und Papierherrlichkeit ist es denn doch eine Misere. Es ist doch schade um alle jene großen Zelebritäten der Kriegszeit, während die Zelebritäten sich jetzt lediglich auf die Elßler, Taglioni, Lablache, Liszt und Döbler beschränken.

Und endlich ist es gut, daß der Tod zuweilen mit Eisen- und Bleiworten zum erbebenden Menschenherzen spreche, damit es wieder sich freue am grünen Schmelz der Wiesen und am sanften frischen Schlage der Nachtigall. Ich wenigstens habe stets bei drei Veranlassungen das hohe Lied von Gottes Herrlichkeit zu hören geglaubt: entweder im Orkan oder beim Kanonengebrüll; an einem schönen Sommermorgen, wenn in den Auen die lieben, kleinen Vöglein erwachen; und dann – das ist aber schon lange her – als sie mir ein Lied sang von Liebe und Versöhnung, und aus schönen blauen Augen ein Himmel herausstrahlte, mild und warm genug, um allen Haß, den die Hölle seit Jahrtausenden zusammengekocht hatte, in süße Tränen aufzulösen! –

Heute die Zeitungen gelesen – Cabreras Mutter ist füsiliert worden. – General Balbao ließ ein fünfjähriges Kind, Mina in Lecarrez siebzehn Weiber erschießen! Vor Bilbao haben die Urbanos die Töchter eines karlistischen Generals bei ihren Ausfällen an ihrer Spitze herausgeschleppt, damit der unglückliche Vater stets in Besorgnis sei, mit dem eigenen Geschoß seine Kinder zu töten! – In dem bedrängten Morella haben die Karlisten die schwarze Fahne aufgesteckt, zum Zeichen, daß sie weder Pardon geben noch zu nehmen gesonnen seien! –

Das alles gefällt mir, und da gäbe es ja eine Gelegenheit, die Tromba und die Posaune mit dem obligaten Akkompagnement der Kanonenschläge als Pauke und des Flintenfeuers als Pikkolo zu hören!

Nebstbei möchte ich ein Land sehen, wo man noch zu lieben, zu hassen und zu glauben versteht. Wo das » Stabat mater« im Orgelklang und Weihrauchdampf gesungen, und im Blütenduft der Orangen die Jota und die Cachucha getanzt wird, wo die braune schwarzäugige Mañola eine kleine Dilettantin im Mordfache ist, und ihre kleine Navaja am Strumpfbande trägt – der Kapuziner tapfer als Tirailleur mit dem Trombon und der Eskopette auf den rauchenden Trümmern Saragossas improvisiert, wo der Majo, der sogenannte deutsche Lump, sich zu einer poetischen Figur graduiert und selbst der Straßenräuber mit seiner Gitarre anmutig auf Provinzialtheatern gastieren könnte. Ja, da muß ich hin – will mitbeten, mitschießen und mittanzen, will Pulver und Jasmin riechen, Orgeln, Musketenschüsse und Gitarre hören, und Facciosos, Mañolas, Kapuziner und Guerillas sehen.

Drum – den Mantelsack gepackt – der alte Aventurier à la Latréaumont Abenteurer nach Art des Latréaumont (Verschwörer, † 1674) ist bald mit seinem Gepäck fertig, hierin dem griechischen Weisen gleich – en avant vorwärts, und den alten Spruch beherzigt:

» Auf Gott vertraut, brav zugehaut

Die Reise.

Schirrmeister ruft, der Postillon
Schnalzt mit der Peitsche drein,
Die Rosse scharren wiehernd schon,
Es muß geschieden sein.

Die Sonne, die dem Menschen scheint,
Geht unter mit dem Tag,
Die Liebe lacht, die Liebe weint,
Solang sie dauern mag.

Und ob du rot die Augen weinst
Und mich und dich betrübst,
Vergessen wirst du mich dereinst,
Wie du mich heute liebst!


Die andern sind gar sehr betrübt,
Sie lernen erst das Scheiden,
Gar lange schon, was ich geliebt,
Hab' ich gelernt zu meiden.

Ich denk' an dies, ich denk' an das,
Derweil die Räder rollen,
Der Nachbar frägt – ich weiß nit was,
Ich hab's nicht wissen wollen.

Ich seh' hinaus zum Wagenschlag –
Viel tausend Lichter funkeln –
Die Trän', die ich im Auge trag',
Verberg' ich auch im Dunkeln.


Rasch, Kutscher, fort, von Ort zu Ort,
Vorbei an Hof und Haus –
Es sitzen, ach, die Menschen dort
Und sehen froh heraus!

Wer borgt der Nacht so hellen Strahl
Wie dort der Kerzenglanz,
Dort freun sie sich im hohen Saal
Bei Geigenspiel und Tanz!

Und jede Hütte, noch so klein,
Sie birgt ein freundlich Licht,
Mensch läßt den Menschen nicht allein,
Selbst den Gestorbnen nicht.

Gastfreundlich kräuselt sich der Rauch
Und winkt zu süßer Rast,
Des Lebensmahles würziger Hauch
Lad' Wandrer mild zu Gast. –

Drum, Kutscher, schnell von Ort zu Ort,
Vorbei an Hof und Haus,
Beglückte Menschen blicken dort
Auf meinen Schmerz heraus.

Da sitzen sie und freuen sich,
Und lieben sich in Ruh',
Oft frag' ich mich, warum nicht ich
Daheim dasselbe tu?


Der Teufel hol' die Narretei,
Die mich von dannen trieb,
Und werd' ich einmal wieder frei,
Ich bleib' bei meiner Lieb'!

Dann drück' ich froh in meinem Haus
Mein Weib ans treue Herz!
Vergessend all den Saus und Braus,
Und Wandrers Not und Schmerz!

Dann rollt wohl auch in dunkler Nacht
Dahin ein Wagen schnell,
Ich sitz' und halte frohe Wacht
An meinem Fenster hell.

Und küss' mein Weib und denk' dabei,
Viel Glück und gut Quartier.
Dem Wandrer bleibt die Erde frei,
Ich aber bleib' bei dir! –

 

Bordeaux, den 7. September

Ich bin glücklich mit allerhand Kreuz- und Querzügen durch Frankreich der französischen Polizei entwischt. Ich hielt mich nur kurze Zeit in dem glänzenden Paris auf, welches wie die Bildsäule des Nabuchodonosor oben lauter Gold und Silber, unten aber schmutziger Kot ist, – durcheilte die Normandie, wanderte längs den herrlichen Ufern der Loire, in der blühenden Touraine, durchzog einen Teil der so eigentümlichen interessanten Bretagne, betrat den blutgetränkten geheiligten Boden der Vendée und kam endlich nach Bordeaux. Hier wäre ich fast durch den sonderbarsten Zufall, schon so nahe am Ziele, der französischen Polizei in die Hände gefallen. Mein unter dem Namen J. G. Wolf, Weinhändler aus Preßburg, ausgestellter Paß wurde nämlich von Herrn G***, einem der hier aufgestellten karlistischen Agenten, auf das Polizeibureau getragen, unter dem Vorgeben, eine vorübergehende Unpäßlichkeit verhindere mich, persönlich zu erscheinen. Herr G*** aber kam ganz verstört zurück und erklärte mir, er befürchte, daß ich entdeckt sei, da der Präfekt bei Lesung des im Passe genannten Namens ausgerufen habe: » Ah, le voilà!« – und hinzugesetzt, der Paß und der darin bezeichnete Mann seien schon als verdächtig signalisiert, und der Besitzer habe sich ungesäumt ihm vorzustellen. Ich gestehe, daß ich durch diese Eröffnung in keine geringe Verlegenheit geriet, beschloß aber, zum schlechten Spiel gute Miene zu machen, und begab mich ohneweiters am nächsten Morgen in das verhängnisvolle Bureau, mein Gesicht und Figur in die größtmögliche kaufmännische Gravität hüllend. Der Präfekt empfing mich artig, aber kalt, und als ich um die Beschleunigung der Ausfertigung meiner Paßurkunde bat, deren baldige Einhändigung dringende Geschäfte mir sehr wünschenswert machten, frug er mich ziemlich spitz um meinen Namen und Gewerbe. » Wolf, négociant en vins de Presbourg« – »Vous m'avez, parbleu, l'air bien plus militaire que négociant!« – »C'est possible, Monsieur, d'autant plus que j'ai, comme la plupart de mes compatriotes, porté quelques années le dolman et la sabretache.« – »Vous parlez bien le français pour un étranger!« – »J'ai été prisonnier de guerre en France, et j'y ai vécu plus tard assez longtemps pour apprendre la langue d'un pays, que j'ai appris à chérir et à aimer!« – »Vous aimez donc la France, Monsieur?« »Wolf, Weinhändler aus Preßburg.« – »Sie sehen mir, bei Gott, viel eher nach einem Militär als nach einem Kaufmann aus.« – »Möglich, Herr, um so mehr, als ich, wie die meisten meiner Landsleute, einige Jahre als Husar gedient habe.« – »Sie sprechen gut französisch für einen Fremden!« – »Ich war Kriegsgefangener in Frankreich und habe später lange genug hier gelebt, um die Sprache eines Landes zu erlernen, das ich schätzen und lieben gelernt habe!« – »Sie lieben also Frankreich, Herr?« – – und die geschmeichelte Nationaleitelkeit erheiterte schon einigermaßen die finstern Wolken auf der Stirne des Prokonsuls. – » Qui ne l'aimerait pas lorsque l'on la connaît, c'est la perle de l'univers!« – » Oui, je sais que les Hongrois nous aiment, ce sont des ennemis formidables et des amis sincères; vous êtes de Presbourg?« – » Oui, Monsieur le Préfet, c'est là que j'habite.« – » Ne connaîtriez vous pas, par hazard, un seigneur de votre pays qui sert comme Général dans les troupes du Prétendent? »Wer würde es nicht lieben, der es kennt, es ist die Perle des Erdkreises!« – »Ja, ich weiß es, die Ungarn lieben uns, sie sind furchtbare Feinde und aufrichtige Freunde; Sie sind aus Preßburg?« – »Ja, Herr Präfekt, dort wohne ich.« – »Kennen Sie nicht vielleicht zufällig einen Edelmann aus Ihrem Vaterland, der als General in den Truppen des Prätendenten dient? – – (Nun fing es mir an, etwas bange zu werden.) Il a un nom hongrois ou polonais, mais ici il voyage toujours sous le pseudonyme de ›Wolf‹ et c'est sous le même nom que vous êtes désigné!« Er hat einen ungarischen oder polnischen Namen, aber hier reist er immer unter dem Decknamen ›Wolf‹ und denselben Namen führen Sie!« und damit fixierte er mich zwischen die Augen, als wollte er daraus die Wahrheit herauslesen! O Präfekt, wie wenig kennst du das menschliche Herz! Schon als Schulknabe konnte ich stundenlang die verpönten Äpfel oder Pflaumen in des Professors eigenem Kaputrock aufbewahren, ohne mich bei der Inquirierung durch eine verzogene Miene zu verraten, und als Leutnant habe ich oft den ganzen Ball hindurch zehn Mädchen dasselbe vorgelogen, oder, was noch häufiger geschieht, mich von ihnen anlügen lassen, ohne dabei meine Physiognomie zu alterieren. Auch jetzt blickte ich fest und treuherzig in das imposante Rhadamantus-Antlitz des Präfekten, denn mir fing an die Sache klar zu werden. Fürst L***, Brigadier in den Diensten des Prätendenten, dessen Schlauheit und Kühnheit alle Bemühungen der französischen Polizeibehörde, welche bei seinen mannigfaltigen und wichtigen Sendungen über die Pyrenäen sich seiner Person oder seiner Papiere zu versichern suchte, zunichte gemacht hatte, bediente sich unter den Millionen möglicher Pseudonyme zufälligerweise gerade des nämlichen von mir gewählten! Dies war bekannt, und jeder diesen Namen führende Paß als verdächtig bezeichnet worden. » Ne connaîtriez-vous pas ce prince en question?« »Kennen Sie nicht vielleicht den bewußten Fürsten?« wiederholte der Präfekt seine Frage. Ganz unbefangen erwiderte ich: » Certainement, d'autant plus que sa mère est de mon pays, d'une famille très considérée, et je me rappelle de l'avoir très souvent rencontrée.« – » Ce ne serait pas vous, par exemple?« »Gewiß, um so mehr, als seine Mutter aus meinem Geburtsort ist, aus einer sehr angesehenen Familie, und ich erinnere mich, ihr sehr oft begegnet zu sein.« – »Sie werden es doch nicht am Ende selbst sein?« platzte nun der Mann mit seinem Verdacht heraus! – Lächelnd berief ich mich auf das in Betreff des Fürsten *** gegebene Signalement.

» Agé – 25 ans – Vous voyez, Monsieur le Préfet, que malgré que je puisse me flatter d'être assez bien conservé, vous avouerez vous même, que la prétention du cinquième lustre serait assez audacieuse.« »Alter – 25 Jahre – Sie sehen, Herr Präfekt, daß Sie selbst, obwohl ich mir schmeicheln kann, ziemlich gut erhalten zu sein, zugeben müssen, daß es von mir ziemlich gewagt wäre, auf das fünfte Lustrum Anspruch zu erheben« Der Präfekt lächelnd weiter lesend: » une balafre au visage?« – »Les cicatrices que je porte, ne sont pas au visage, Monsieur le Préfet me permettra de les lui montrer en me débarrassant de mes vêtements« »Eine Narbe im Gesicht?« – »Die Narben, die ich besitze, sind nicht im Gesicht, der Herr Präfekt wird mir gestatten, die Kleider abzulegen, damit ich sie ihm zeigen kann«, und damit machte ich Anstalt, mich in das adamitische Galakostüm zu versetzen. – » Non, c'est le visage, qui me suffit,« meinte er, » taille svelte et élancée,« ich wies auf meine breitschultrige, wohlbeleibte Figur, die eben nicht sylphenartig sich produzierte, » cheveux noirs bouclés, petite moustache noire« »Danke, das Gesicht genügt mir,« … »schlanker und aufrechter Wuchs,« … »schwarze gelockte Haare, kleiner schwarzer Schnurrbart«, ich drehte meinen roten Schnurrbart zwischen den Fingern! Überzeugt warf nun der Präfekt den Paß hin: » C'est clair, c'est un mésentendu! Ce général carliste s'est, soit par hazard, soit par intention, servi de votre nom, Monsieur, et vous pouvez vous féliciter, que cette méprise se soit expliquée, car vous auriez eu nombre de desagréments. Ces maudits factieux, ces gaillards-là, qui ne veulent pas se soumettre à un gouvernement raisonnable, qui ne veulent pas être libres, vils esclaves, qui à toute force repoussent la civilisation, les armes à la main, et s'imaginent, que l'on les laissera indépendants dans leurs montagnes, – viennent nous troubler et infester les frontières et il est malheureux, qu'ils trouvent quelques fois, souvent même, aide et assistance chez les populations basques et les légitimistes français de ce côté-ci des Pyrénées. Au fait vous, Monsieur, vous m'avez l'air trop sensible pour donner dans ces folies.« – » Au fait, Monsieur le Préfet, je suis abonné du Constitutionnel et nullement partisan des gens, qui osent croire davantage à un bonheur qu'ils s'imaginent avoir, qu'à celui qu'on leur promet; du reste je ne m'entends pas en politique, mes affaires me conduisent à Bordeaux et ma santé me fait désirer de passer quelque temps aux eaux de Cambon.« – »C'est ça, on vous visera votre passeport, ce n'est pas à des voyageurs paisibles, à d'honnêtes négocians, aux membres du tiers-état, si respectable dans tous les pays, – que je ferais des entraves. – Ah, pour les nobles orgueilleux ou ces gueux de républicains, ces farouches ›va-nu-pieds‹: ah! ceux-là on les vexe, c'est autre chose! tenez, Monsieur, je suis pour l'égalité, tous les hommes sont égaux devant la loi, voilà pourquoi il faut tenir la main sur ces légitimistes et ces jacobins, qui prétendent qu'ils ont les mêmes droits que le reste de la population éclairée et paisible de la France! oui, il faut serrer ces gens-là, croyez-moi, si l'on veut abolir les préjugés et voir régner la liberté et l'égalité! à-bas les calotins et les St. Simonistes. – La moralité du citoyen consiste à payer ses impôts et à faire son service de garde nationale! voilà ma religion à moi, je n'en ai pas d'autre! Qu'en dites-vous, honorable étranger?« »Es ist klar, das ist ein Mißverständnis! Dieser carlistische General hat sich, sei es durch Zufall, sei es mit Absicht, Ihres Namens bedient, Herr, und Sie können sich beglückwünschen, daß dieses Mißverständnis sich aufgeklärt hat, denn Sie hätten sonst eine Menge Unannehmlichkeiten gehabt. Diese vermaledeiten Parteigänger, diese Lumpen, die sich nicht einer vernünftigen Regierung unterwerfen wollen, die nicht frei sein wollen, feile Sklaven, die mit aller Gewalt die Zivilisation zurückstoßen mit den Waffen in der Hand und sich einbilden, daß man sie unabhängig in ihren Bergen lassen wird, – die kommen, unser Grenzgebiet in Unruhe und Verwirrung zu bringen, und leider finden sie manchmal, ja sogar häufig, Hilfe und Unterstützung bei der baskischen Bevölkerung und den französischen Legitimisten diesseits der Pyrenäen. Im Grund genommen scheinen Sie, Herr, mir zu vernünftig, als daß Sie sich mit diesen Narreteien abgeben.« – »In der Tat, Herr Präfekt, ich bin Abonnent des ›Constitutionnel‹ und keineswegs Parteigänger von Leuten, die es wagen, mehr an ein Glück zu glauben, dessen Besitz sie sich einbilden, als an dasjenige, das man ihnen verspricht; übrigens verstehe ich nichts von Politik, meine Geschäfte führen mich nach Bordeaux, und meine Gesundheit läßt mich wünschen, einige Zeit in den Bädern von Cambon zu verbringen.« – »So ist's recht, man wird Ihnen Ihren Paß vidieren, ich werde doch nicht friedlichen Reisenden, ehrenhaften Kaufleuten, Mitgliedern des dritten Standes, der in allen Ländern so achtbar ist, Hindernisse bereiten. – Ach, was die stolzen Adeligen betrifft oder diese Lumpen von Republikanern, diese rohen ›Barfußläufer‹: ach! die kann man placken, das ist etwas anderes! sehen Sie, Herr, ich bin für die Gleichheit, alle Menschen sind gleich vor dem Gesetz, deshalb muß man diese Legitimisten und diese Jakobiner kurz halten, die behaupten, daß sie Anspruch auf dieselben Rechte haben wie die übrige aufgeklärte und friedliche Bevölkerung Frankreichs! ja, man muß diesen Leuten auf die Hühneraugen treten, glauben Sie mir, wenn man die Vorurteile vernichten und die Freiheit und die Gleichheit herrschen sehen will! nieder mit den Pfaffen und den Saint-Simonisten. – Die Moralität eines Bürgers besteht darin, daß er seine Steuern bezahlt und als Nationalgardist seinen Dienst verrichtet, das ist meine Religion, ich habe keine andere! Was sagen Sie dazu, ehrenwerter Fremder?«

Nicht sehr erbaut über die etwas unklaren politischen und religiösen Glaubensbekenntnisse des Funktionärs der Regierung, begnügte ich mich, mit stummem Danke den nunmehr in aller Ordnung und Form vidierten Paß in meine Brusttasche zu verwahren, und entfernte mich mit meinem kostbaren Schatz. Wenige Stunden darauf war ich auf der Landstraße, glücklich, daß der alte »Wolf« der Falle entkommen war, die man dem jungen gelegt, und beide Wölfe spotteten bald in den Schluchten der Pyrenäen der Nachstellungen der französischen Polizei.

 

Bordeaux, den 7. September

Heute in der Nacht rollte das vierrädrige Ungetüm, welches man die Messagerie Lafitte et Caillard Postwagen nennt, bei Strömen von Regen in Bordeaux herein; auf dem Platze angelangt, spie das Ungeheuer, wie das trojanische Roß Gewaffnete, seine Scharen beschlafhaubter und regenmantelumhüllter Reisenden in die finstere Nacht hinaus. Von dem Rücken des Untiers, nämlich der sogenannten Imperiale, kletterte jemand herunter, der in seinen Träumen wohl bessere Nächte zugebracht hatte. Der Unglückliche hatte seit drei Tagen gelernt, wie es der Besatzung der Türme zu Mut sein müsse, welche wir in unserer Jugend in der Bilderbibel so mannhaft in den Schlachten der Assyrier und Perser auf den Rücken der Elefanten streiten sahen, nur mit dem Unterschiede, daß der nüchterne Elefant der Vorzeit wohl selten Sprünge machte, eine solche Messagerie der Gegenwart aber wie besoffen umherschwankt. Mit einer solchen Unvorsichtigkeit und in solchen gefährlichen Verhältnissen gefahren werden, ist beispiellos. Man jagt mit diesen Karren bei finsterer Nacht bergauf und bergab, beinahe ohne Zügel, der mindeste Unfall kann den schwerbeladenen Wagen umwerfen machen, und dann Gnade Gott der unglücklichen Turmbesatzung! Dabei darf man weder dem Kutscher noch Kondukteur im mindesten Einspruch machen oder gar grob werden! Im übrigen war die Reise angenehm. Am 4. verließen wir abends Paris, die Nacht war schön und mondhell. Wir rasselten fort und kamen früh am 5. in Orleans an. Die Ufer der Loire bis Blois und Tours sind eine der reizendsten Gegenden Europas, wie ein Garten, und hier nur begreift man das Dikton: la belle France die sprichwörtliche Redensart: das schöne Frankreich, welches in der Champagne und Picardie eine bittere Ironie scheint. Interessante Reisegesellschafter hatte ich einen Studenten, der von Paris heimkehrte, – einen himmellangen Virginier, der von Hâvre kam, um eine Schiffsladung Tabak in Empfang zu nehmen, – einen Geistlichen, der nach Bordeaux, – und zwei Schauspielerinnen, die nach Marseille reisten. Wer übrigens auf jeder Post von diesem Dache der Imperiale, wo ich thronte, auf- und absteigt, der kann bei Madame Saqui aux funambules bei den Seiltänzern debutieren oder alle Tage als Ziegeldecker einstehen, und wäre ich nicht in so manchem Mastkorb als Einwohner oder Zimmerherr logiert gewesen, ich wäre in meinen jetzigen Adlerhorst entweder nie hinein- oder nie wieder herausgekommen. Diese Quantität von Dampfwägen, Messagerien und Dampfbooten, die Leichtigkeit, damit zu reisen, die tables d'hôte, die nach und nach überall eingeführt werden, bringen die Menschen und die Klassen in so nahe Berührung, daß sie die Elemente der Gesellschaft nach und nach ganz verschmelzen. Ich weiß nicht, ob diese Verschmelzung ein sauté Ragout (meist von Hühnern oder Wild) oder vielmehr ein hachis gehacktes Fleisch genannt werden dürfte!

Von Tours kommt man aus der Touraine in den Poitou. Hier findet man schon die eigentümliche, mit Hecken durchschnittene Gegend, die einzelnen Gehöfte, welche in dem Krieg der Vendée, der sich bis in diese Gegend zog, das Land so vorteilhaft zu diesem Kampfe gestalteten. Chatellerault war schon blutgetränkter Boden in jener Zeit. Am 6. blieben wir über Mittag in Angoulême, in der Nacht erreichten wir, nachdem wir auf einer fliegenden Brücke die Garonne übersetzt hatten, Bordeaux bei einem Regenstrom. Ich wandelte den ganzen Tag am Hafendamm umher. Die Stadt hat eine großartig merkantile Physiognomie. Die Garonne, mit großen Schiffen bedeckt, erinnert an den Bosphor, hübsche Mädchen mit südlichen Augen, den Madras um den Kopf gewickelt, arbeiten in den offenen Butiken. Das Volk hat hier einen charakteristisch südlichen Ausdruck, ist auch freundlicher, artiger, intelligenter als in den nördlichen Hafenstädten. Große Gebäude, schöne Monumente, eine herrliche Börse, Theater, große Plätze geben der Stadt eine großartige Tournure. Der Handel mit Amerika und Westindien ist blühend, allein schade, daß das schmutzige Hâvre ihm jetzt so großen Abbruch tut.

 

Bayonne, den 11. September

Seit gestern glücklich hier eingetroffen. – Ehevorgestern kam der vertraute Bote, eine schwarze Gestalt mit großem Backenbart, der mich bis Bayonne begleitet und mein Gepäck übernahm. Meine Bagage wurde sortiert. Ich zog den Elegant aus, Frack, bunte Gilets, weiße Hemden, parfümierte Handschuhe, alles blieb zurück, und es bleibt nur der Lanzenknecht, schwere Stiefel, lederbesetzte Reithosen, Reitermantel und die » Vivat Maria Theresia!« Aufschrift auf meinem Säbel

Vorgestern früh verließ ich Bordeaux auf einem mit allerlei Gesindel wie ein Kälberwagen beladenen Fuhrwerk. Der Weg war herrlich. Die Sonne glänzte auf die Landschaft wie der Strahl der Freude auf ein laubbekränztes Römerglas, und die weinumrankten Gehege wanden sich liebend um freundliche Wohnungen. Hübsche Mädchen mit schwarzen Augen und behende lebhafte Bursche mit ihren blauen Baskenmützen wanderten singend an uns vorüber. Es war Sonntag. Durch eine Landschaft, freundlich und schön wie ein Garten, geht der Weg bis Roquefort, einer Stadt, schon den spanischen oder süditalienischen Charakter tragend. Dann kommt man durch einen Strich der Landes, nämlich unbebaute Heiden und Kieferwaldungen. In Mont Marsan wurde zu Abend gegessen, und wurden unsere Pässe visitiert. Morgens sieben Uhr waren wir in der Nähe von Bayonne, der Kondukteur ließ mich den Augenblick benützen, wo alle Reisenden zu Fuß eine Anhöhe hinaufstiegen, und mich in einen Wald seitwärts verlieren. Dort blieb ich, bis ein Guide kam, der mich mit Jean auf allerhand Wald- und Seitenwegen durch eine Hintertür in ein einsam gelegenes Landhaus brachte. Dort ward ich von dem lahmen Hausherrn und seiner buckligen Ehehälfte, einem echt legitimistischen Ehepaar, sehr freundlich empfangen, jedoch mir angekündigt, daß ich bis abends in der Dachstube versteckt bleiben müsse. Eine Art Ragout, aus einem in Knoblauch und Öl gesottenen, mit rotem Pfeffer und Safran stark gewürzten Huhn bestehend, nebst einer guten Flasche Wein nahm zwar eine halbe Stunde unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, dann aber, ohne Buch, ohne Schreibmaterialien, endlich auch ohne Zigarren, ward uns die Zeit entsetzlich lang, und ich segnete den Augenblick, als mit einbrechender Dämmerung ein junger Baske, Adrien, uns endlich abholte. Dieser führte uns über Hecken und Zäune, durch Schluchten und Abwege dem etwa noch drei Meilen entfernten Bayonne zu. Es war ein herrlicher Abend; die Sterne glühten aus der azurblauen Himmelswölbung, und in der Ferne stiegen die Pyrenäen majestätisch wie ein dunkler, meine ungewisse Zukunft verhüllender Vorhang empor. Endlich versanken auch sie im düstern Nachtdunkel, da aber befanden wir uns auf der Heerstraße, und eine Menge Lichter bezeichneten die vor uns liegende Stadt. Es war ein ergötzlich Schauspiel, mich und meinen dicken Jean über Hecken und Zäune lançadieren zu sehen, und wir lachten oft gegenseitig auf, wenn wir einander über ein derlei Gepfähl springen oder durch irgend eine Hecke uns durchwinden sahen. Endlich gelangten wir an das Tor, und da man uns für Spaziergänger hielt, so kamen wir glücklich an den Gendarmen und Douaniers vorüber; es war kein geringer Stein von meiner Brust gefallen, als ich das Tor hinter mir hatte. So wandelten wir durch die Vorstadt St. Esprit, dann über die große Schiffbrücke, welche diese Vorstadt von der eigentlichen Stadt trennt, welche jenseits des Adour liegt, und gelangten glücklich in das uns angezeigte Gasthaus, wo ich mein sämtliches Reisegepäck und auch meine Reisegefährten, den Grafen B*** und Freiherrn von J, fand. Ich war schon im vorhinein an Mr. de la Gr–, den hiesigen Agenten, empfohlen. Er ist ein sehr artiger, liebenswürdiger Mann von einnehmendem Äußern; er soupierte mit mir, und da ich vor Müdigkeit fast umsank, so verließ er mich bald. Ich schlief den Schlaf des Gerechten, bis mich heute um sechs Uhr der Kondukteur weckte, den ich zahlen wollte. Der Tag verging mit Ankauf von allerhand Gerätschaften, welche meine weitere Reise erforderte, und Konversationen mit allen Gattungen Schleichhändlern.

Bayonne ist ein wahres Schleichhändlernest, sogar die Kinder nehmen schon die Gewohnheit an, ihre Butterbemmen unter den Kitteln oder Rockschößen zu verbergen. Jetzt besonders beschäftigt sich die ganze Bevölkerung der Stadt und Umgegend mit allerhand abenteuerlicher und kühner, aber meistens verbotener Betriebsamkeit, und man sieht es jedermann an Gang, Miene und Sprache an, daß er etwas tut, was er nicht öffentlich getan haben will.

Meine Reisegefährten, welche die unglückliche Idee hatten, in den Pyrenäen Gemsen zu jagen, sind beide heute vom Fieber befallen worden. Das Klima wirkt auf alle Fremden mehr oder weniger. Mich hatte seit meiner Ankunft in Bordeaux eine eigene Art von Unwohlsein befallen, von dem ich aber gottlob hergestellt bin.

Heute wurden wir kostümiert. Ein kurzer Schafpelz (die Zamarra), ein rotes Barett und Reitvêtements, mit Leder besetzt, eine rotseidene Binde sind unser Gewand. Einem famosen Contrebandier, früher ein Freund Minas im Befreiungskriege, später ein Vertrauter Zumalacarreguys, wurde ich heute übergeben. Es ist ein Baske, klein, gedrungen, kräftig in Miene, Gestalt und Wort. Sein Handschlag bürgt für alles. Tausende von Franken hat er glücklich über die Grenze geschafft, Waffen, Gepäcke, Pferde. – Er übernahm heute meine Waffen, ein Paar gute englische Pistolen, ein Geschenk des Kapitän M***, und meinen Säbel, den ich ihm anvertraute, obwohl ich ihm Treue geschworen. Mr. de la Gr – lud mich zu Tische ein. Ein deliziöses Diner, vielleicht das letzte, welches ich lange Zeit machen werde. Unsere Hausfrau, sehr hübsch, mit schwarzen Augen, ließ es sich nicht nehmen, mir mein Barett mit eigenen Händen zu adjustieren und die Sturmbänder anzunähen. Daß doch die Frauen immer an den Leuten Interesse nehmen, von denen sie nicht sicher sind, ob sie sie wiedersehen werden.

 

Zugarramurdi, den 13. September

Gestern früh verließ ich Bayonne in Begleitung zweier Herren in einer Postchaise und fuhr drei Meilen von da nach Cambon, einem kleinen in den Pyrenäen gelegenen Badeorte. Dies erregte kein Aufsehen. Dort wurde ich einem bekannten Contrebandier, Herrn R**, mit meiner Bagage übergeben. Der Weg bis Cambon ist herrlich. Die Vegetation blühte im üppigsten Grün, man fährt in einem Tale, welches wie ein Kaleidoskop mit jedem Schritte neue Schönheiten entwickelt. Die baskischen Häuser erinnern viel an unser Gebirgsland. Die Kirchen haben gleichfalls etwas Eigentümliches. Les femmes se placent dans la nef, tandis que les hommes remplissent trois galeries, qui entourent l'intérieur de l'église. Die Frauen nehmen im Kirchenschiff Platz, während die Männer drei Galerien füllen, die um den Innenraum der Kirche laufen Die Kirchhöfe sind durchgehends mit Rosensträuchen bepflanzt, welches ich eine schöne Idee finde.

Kurz, die Fahrt von Bayonne bis Cambon war eine wahre Lustreise. Der Mann, dem ich übergeben war, ein wahrer type de roman eine wahre Romanfigur, wohnt in Espaleto, eine Stunde von Cambon. Dort langten wir zu Mittag an und speisten mit ihm. Es war gerade Markt in Espaleto, dies gewährte den Vorteil, daß wir mit der Menge von Fußgängern, welche sich dahin begaben, unvermerkt hingelangten. Dort hatte ich auch Gelegenheit, alle die eigentümlichen Gestalten dieses merkwürdigen Landes und Volkes zu betrachten.

Ein Leutnant der Gendarmerie speiste mit uns, während zahllose Schleichhändler im Nebengemach unbemerkt nacheinander ankamen, sich entkleideten, ihre Pakete deponierten und wieder verschwanden. Ich hatte all mein Geld in einer Geldkatze um den bloßen Leib gewickelt, zwei kleine Pistolen in der Tasche, ein Kreditiv für den hiesigen Pfarrer in meinem Hemdärmel verborgen, und so trat ich bei eintretender Dunkelheit meine abenteuerliche Wanderung an. Dunkle Gewitterwolken stiegen am Himmel empor und prophezeiten eine in der Contrebandistensprache »günstige, schöne Nacht«. Ein kleiner Junge, der mit andern Buben spielend vor uns herlief, geleitete uns unvermerkt bis außer den Ort. Dann ging ein anderer Führer vor uns her. So schritten wir rüstig eine Meile weit. Alles ward dunkel, der Mond war glücklicherweise durch schwere Wolken verdeckt, nur hie und da flammten Hirtenfeuer auf den Berggipfeln. Ein Douanier begegnete uns. Ein Gendarm stand auf der Observation, das Gesicht gegen die Grenze, den Rücken gegen mich gekehrt.

Ich bedachte, daß, wenn ich es erwartete, von ihm angesprochen zu werden, er mir vermutlich meine Papiere abfordern und mich somit in die größte Verlegenheit bringen würde. Es war noch licht genug, um das rote Band an meinem Knopfloche zu sehen. Ich beschloß daher, das Prävenire zu spielen, und gerade auf ihn losgehend, frug ich ihn dreist, wo Ainhoa (Anouet), das letzte französische Dorf an der Grenze, liege. Er antwortete salutierend und zeigte es mir. Ich fuhr im Gespräche fort: » Dites donc, mon brave, vous ne sauriez me dire, si le Capitaine Renouard, qui commande les Voltigeurs du 37me, s'y trouve encore?« – » Écoutez, Monsieur, je n'ai pas l'honneur de le connaître; je sais bien, qu'il y a des Voltigeurs à Ainhoa pour garder la frontière, mais je ne sais pas comment s'appelle le Capitaine.« »Sagen Sie mir doch, mein Freund, wissen Sie nicht, ob der Kapitän Renouard, der die Voltigeurs vom 37. Regiment befehligt, sich noch dort befindet?« – »Hören Sie, Herr, ich habe nicht die Ehre, ihn zu kennen; ich weiß zwar, daß Voltigeurs in Ainhoa zum Grenzschutz stehen, aber ich weiß nicht, wie ihr Hauptmann heißt« (Ich hatte glücklich erraten, daß dort Voltigeurs garnisonierten; fuhr also getrost fort) » Souvenez-vous donc, un petit gros, – moustache foncée, un peu grisonnante.« – » Un ancien?« – » Je crois que c'est ça, mais je ne saurais l'assurer.« – » Mais moi, ce sera bien lui.« – » Ah ça, dites donc, la route est-elle sûre? il y a tant de mauvais garnements en mouvement et je vous l'avoue, j'ai quelque argent sur moi. Ne pourriez-vous pas m'accompagner?« – » Je n'ôserais, je suis ici en observation.« – » Mais ce n'est qu'une petite demie lieue, voyons, mon brave, voilà cent sous, et faisons une petite trotte, dans une demie heure vous serez de retour.« »Erinnern Sie sich doch, ein kleiner Dicker, – mit dunklem, ein wenig angegrautem Schnurrbart.« – »Ein altgedienter?« – »Ich glaube wohl, aber ich könnte es nicht mit Bestimmtheit sagen.« – »Aber ich, er wird es schon sein.« – »Nun, sagen Sie mir doch noch, ist die Straße sicher? Es ist soviel schlechtes Gesindel unterwegs, und ich gestehe es Ihnen, ich habe etwas Geld bei mir. Könnten Sie mich nicht begleiten?« – »Ich möchte es nicht wagen, ich stehe hier auf Wache.« – »Aber es ist ja kaum eine halbe Meile, nun, mein Freund, hier sind fünf Franken, setzen wir uns ein wenig in Trab, in einer halben Stunde sind Sie wieder zurück« – Er willigte ein. – Die andern Contrebandisten schlichen langsam hinter den Gebüschen fort, während der gefällige Gendarm mich selbst bis angesichts des Grenzdorfes begleitete, wo er dankbar die fünf Franken annahm und auf seinen Posten zurückeilte. So erreichten wir den letzten Grenzort Anouet. – Dort mußte ich meinen Rock ausziehen, meinen Hut ablegen und wurde dagegen mit einer baskischen Jacke und Boina (Tellermütze) bekleidet.

Vor dem Orte wartete, in einen dunklen Mantel gehüllt, auf seinem Maultier Don R***. Dort gesellten sich noch mehrere Basken zu uns, und singend wanderten wir glücklich durch das Dorf, an der Grenzwache vorbei, welche uns für baskische Bauern hielt, welche etwas benebelt vom Markte in Espaleto heimkehrten, schlüpften seitwärts über eine Gartenmauer und eilten der Grenze zu. Ein dunkles Gebäude lag vor uns, es war das letzte Grenzhaus, – im Tale rauschte ein Waldbach, – drüben war Spanien! – Hier trennten wir uns, Jean mit einem, ich mit einem andern Führer. Don R*** blieb mit dem vierten zurück, um den Rückweg zu decken. Ich wandelte nun schweigend, wie auf der Birsch, am Bache fort. Plötzlich kniff mein Führer mich in den Arm und sprang mit mir in den Waldbach hinein, anfangs bis an die Knie, dann bis an den Hals, so blieben wir unbeweglich. – Nun bemerkte ich richtig zwei Douaniers, welche den Fußsteig, den wir gegangen, entgegenkamen. Sie hatten Geräusch gehört, blieben stehen, dachten aber, es sei das Brausen des Waldbaches, unsere Köpfe hielten sie in der Dunkelheit für Baumstöcke. Ich hielt den Atem ein – endlich gingen sie weiter. Mit zwei Sätzen waren wir am jenseitigen Ufer, » en Espagne« »in Spanien«, rief mein Baske, und wir holten endlich Atem, wir waren auf spanischem Boden, und wären jetzt auch die Zollwächter herübergekommen, so konnte ich sie ohneweiters niederknallen.

Noch zwei Meilen wandelte ich bis an das erste spanische Dorf Zugarramurdi; ein Posten, nämlich ein Baske in Hemdärmeln, Mütze, Flinte mit Bajonett, rief uns an; auf die Antwort meines Führers ließ er uns weiter. Durchnäßt und ermüdet, kam ich in des Pfarrers Wohnung an. Er saß noch mit einem Offizier (die silbernen Troddeln auf der Mütze und der feine schwarze Schafpelz bezeichneten ihn als solchen) beim Glase Wein. – Ich sah in meiner zerrissenen Jacke, durchnäßt, mit Schlamm bedeckt, nicht sehr respektgebietend aus und konnte mich auch nicht recht verständlich machen, bis ich endlich meine alte lateinische Sprachfertigkeit zu Hilfe nahm und mich so ziemlich explizierte. Es ward mir eine kleine Kammer und ein gutes Bett angewiesen, und durchnäßt und ermüdet, wie ich war, schlief ich bald ein, obzwar nicht beruhigt über Jeans Schicksal, der endlich diesen Morgen erst nach ähnlichen Fährlichkeiten eintraf. Meine Bagage und Briefe kommen erst nach. Letztere übergab Don R*** seiner Tochter, welche sie morgen in ihrem Mieder eingenäht herüberbringt.

Diesen Morgen weckte mich Trompetenklang. Eine Kompanie des fünften navarresischen Bataillons exerzierte auf dem Platz. Rote Mützen, Sandalen an den Füßen, bunt, bald mit einem grauen Kittel, oder einer blauen, roten oder grünen Jacke bekleidet, sehr von der Sonne verbrannte Gesichter, nervige Gestalten. Für einen Menschen, der die Ausrückungen auf dem Glacis gewohnt ist, allerdings ein etwas kurioser Anblick, denn, aufrichtig gesagt, sieht diese Truppe eher einer Räuberbande gleich, obzwar sie vielleicht ihre Vorzüge hat, die eben in dieser Eigentümlichkeit, daß sie fast gar nichts bedarf als Waffen, liegen. Heute bekam ich auch meinen Rock wieder. Morgen kommt die Bagage.

In der Schenke, welche knapp an unsere Wohnstube anstößt, geht es lustig her. Die Volontärs singen ein Facciosenlied, dessen beinahe wehmütige Weise mit eintönigem, immer wiederkehrendem Ritornell etwas Ergreifendes hat, um so mehr, als die von wilder Kampflust und blutiger Rachgierde zeugenden Ausdrücke im Kontraste mit den einfachen Worten stehen. Ich versuche es, das Lied, beinahe wörtlich übersetzt, hier einzuschalten, und finde darin die Charakteristik des ganzen Krieges treffend bezeichnet:

Komm, du mein Offizier,
Viva el rey! Es lebe der König!
Und setz' dich her zu mir,
Dann zusammen rufen wir:
Viva el rey!

Sind wir in Kampfesnot,
Viva el rey!
Hör' ich wohl dein Gebot,
Folge dir in den Tod,
Viva el rey!

Bin ich auch nackt und bloß,
Viva el rey!
Find' ich bald Rock und Roß
Dort beim Christinen-Troß,
Viva el rey!

Fürcht' den Christino nicht,
Viva el rey!
Er scheut mein Angesicht,
Der feige Bösewicht,
Viva el rey!

Mit ihm hat's keine Not,
Viva el rey!
Schießt nur die Weiber tot,
Frißt ihrer Waisen Brot,
Viva el rey!

Mordet den schwachen Greis,
Viva el rey!
Nie andrer Lorber Reis
War seiner Siege Preis,
Viva el rey!

Feiger Christinenknecht!
Viva el rey!
Du kommst mir eben recht, –
's sind meine Schuhe schlecht!
Viva el rey!

Brauchst weder Schuh noch Brot,
Viva el rey!
Liegst an der Erde tot,
Färbst sie schon blutig rot,
Viva el rey!

Drum mache dir nichts draus,
Viva el rey!
Zieh' Hemd und Rock dir aus
Und nimm das Geld heraus,
Viva el rey!

Bald mit heißem Mut
Viva el rey!
Sühn' ich der Mutter Blut
Am Feind mit voller Wut,
Viva el rey!

Die Flinte von der Wand!
Viva el rey!
Die Navaja in der Hand,
Rächen wir der Kirche Brand,
Viva el rey!

Färbt uns der Negros Blut,
Viva el rey!
Wärmt uns ihrer Dächer Glut,
Ist uns Facciosos gut,
Viva el rey!

 

Zugarramurdi, den 14. September

Noch immer sitze ich hier auf dem hölzernen Balkon der Pfarrerwohnung und erwarte mein Gepäck und meine Briefe. » Ein Rock, ein Gott und eine Geliebte,« ist zwar ein altes Sprichwort, aber ein Paar durchlöcherte Stiefel ohne Sohlen und ein Schnupftuch, wenn man den Schnupfen hat, ist keine komfortable Lage.

Heute ist Kreuzerhöhungstag. Das Glockengeläute erinnert mich an das Klirren der Bauernwägen in unserm Gebirge. Auch fand eine Art Kirchenparade des hier liegenden fünften navarresischen Bataillons statt. Was würden unsere Kriegsleute sagen, wenn sie diese Truppe sehen sollten. Nicht ein Mann dem andern gleich. Offiziere und Soldaten größtenteils mit Sandalen, – ein Drittel der Mannschaft hat graue Mäntel, die andern irgend eine zerlumpte Uniform eines erschlagenen englischen oder christinischen Soldaten, gelb, blau, grün. Die Offiziere durch nichts unterschieden als durch kleine Borten auf den Achseln, welche die Möglichkeit vorstellen, Epauletten zu tragen, die aber wie der Vogel Phönix nur ein fabelhaftes Gebilde der Phantasie sind. Patrontaschen existieren nicht, die Patronen werden in ledernen Gürteln ( Canana) um den Leib geschnallt, das Bajonett steckt an demselben Gürtel wie ein Dolch, manchmal mit, meistens ohne Scheide; von Halsbinden, Strümpfen, Handschuhen bei Offizieren und Gemeinen keine Spur. Die meisten Offiziere tragen einen kurzen schwarzen Schafpelz, zuweilen rote, meistens bloß leinene Beinkleider. Sold bekommen sie oft monatelang keinen, dagegen Rationen richtig. Dies ist die Schattenseite. Wenn ich aber beifüge, daß von dreizehn Offizieren, welche heute mit den zwei anwesenden Kompanien ausrückten, sieben noch von ihren Wunden rekonvaleszieren; wenn ich sage, daß trotz dieser langwierigen Strapazen und Entbehrungen die Mannschaft heiter und fröhlich ist, fast keine Desertion trotz der nahen Grenze stattfindet; wenn man die nervigen, behenden Gestalten, diese sonnverbrannten, ausdrucksvollen Gesichter betrachtet, so beurteilt man diese Kriegsleute anders. Sie marschieren wie keine Truppe in der Welt, brauchen wenig Lebensmittel, haben keine oder wenig Bedürfnisse, sind findig und klug, tapfer und genügsam, und das sind Eigenschaften, welche eine schöne Montur und gleiche Haltung ziemlich aufwiegen. Übrigens ist es wahr, daß diese Figuren ohneweiters als Figuranten in »Fra Diavolo« oder »Rinaldo Rinaldini« auftreten könnten. Und leid ist es mir, sie nicht zeichnen zu können. Eine mißtönige, einförmige Musik, aus ein paar Trommeln und Trompeten bestehend, begleitet den Marsch. Meistens spielen sie baskische Märsche, zuweilen wagt der Kapellmeister, ein zerlumpter französischer Deserteur, der sich tambour major compositeur nennt, sich an eine andere Melodie, aber es scheint mir dies ein verräterisches Angriffsmittel zu sein, welches Freund und Feind in die Flucht schlägt. Die Basken lieben sehr ihre eigentümlichen Melodien. Das dritte Bataillon Navarra, welches unter Zumalacarreguy einen sehr großen Ruf erlangt hatte, war »Requeté« genannt. Dieses ist der Name eines baskischen Tanzes, welchen sie immer sangen, wenn sie zum Angriffe vorrückten. Dasselbe Bataillon, als es mit seinen Lumpen vor dem König defilierte und man es besser bekleiden wollte, rief einstimmig: »Gebt uns mehr Patronen!« – Welche Menschen, die einer solchen Begeisterung fähig sind! Die Energie, mit welcher die Provinzen ihre Eigentümlichkeit und Individualität gegen die alles verflachende aufgedrungene Nivellierungssucht moderner Afterzivilisation verfechten, wird ihnen auf ewig in der Geschichte einen ehrenvollen Platz sichern, und keine Departementbenennung wird je die Namen Navarra, Biscaya, Alava und Guipozcoa verwischen.

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Gestern abends kamen die meisten Offiziere des Bataillons in dem Hause zusammen, wo ich wohne. Größtenteils Leute aus dem Bauernstande, wie überhaupt in dem hiesigen Lager weit mehr demokratisches Prinzip ist als drüben oder in England. Diese Leute betragen sich untereinander äußerst einfach, anständig und gesittet. Alles nannte sich wechselseitig Caballero, aber wahrhaftig, sie waren in ihren Sandalen und Schafpelzen mehr gentlemanlike , oder vielmehr ritterlicher, als es in dieser Lage ein ähnliches Offizierkorps glänzender Nationalgarden sein würde.

Ein spanischer Oberst, D. José Arrospide, ein sehr schöner und interessanter junger Mann mit herrlichen Augen, welcher von Cabreras Heerscharen kommt und gestern den Tag hier zubrachte, ist heute dahin abgegangen. Er machte mir eine höchst interessante Beschreibung von Cabrera, der jung, liebenswürdig, tapfer, hübsch sein soll. Dies ist ein Beweis, daß man auch ein guter General sein kann, ohne ein mürrischer Flegel zu sein.

Die Navarresen spielen Ball auf dem Kirchhofe, der vor meinem Fenster liegt. Nach dem Exerzieren ist dies ihre Lieblingserholung. – Sie treiben sich um ein offenes Grab herum, welches morgen ausgefüllt werden soll. Ist das Treiben der Menschen auf dieser Erde etwas anders als ein Ballspiel um ein offenes Grab? Der Ball ist Fortuna, und mancher, bevor der Ball ihm zufliegt, purzelt in dasselbe hinein.

Papa R***, der Contrebandist, ist diesen Vormittag durchgekommen; er hat mir einen Teil meines Gepäcks mitgebracht. Es war Zeit, denn ich war dans la plus grande détresse de toilette in der größten Bedrängnis wegen meiner Toilette. Heute habe ich auch meinen Pferdeankauf gehabt. Einen kleinen andalusischen Hengst, einen Fuchs und einen Schimmel, dann ein Maultier. Eines der Pferde werde ich einem Freunde, der morgen nachkommt, überlassen. Eine Teufelei ist es hier mit der Pferdefütterung. Man findet keinen Hafer, gewöhnlich gibt man Gerste, aber auch die ist jetzt nicht zu finden. Folglich muß man die Pferde mit Häckerling und Kukuruz füttern, wobei sie aber, wenn man nicht vorsichtig ist, leicht die Kolik bekommen.

Jean hat eine Promenade gemacht und wurde von einem Marodeur um Tabak angesprochen; als er ihm keinen gab, griff er nach ihm; Jean aber gab ihm, wie er sich ausdrückte, eine von der mittelfeinen Gattung und findet den Zufall ganz einfach. Auch der Bote, der heute die Korrespondenz von Bayonne brachte, ward, wahrscheinlich von Muñagorris Leuten, angefallen und ihm seine Pakete abgenommen. Es ist kein Wunder; die Leute werden nicht bezahlt und sind monatelang ohne Sold, Offiziere sowohl als Gemeine, weshalb sie nebst dem Aussehen eines echten Räubergesindels vielleicht auch etwas von dessen Inklinationen angenommen haben dürften. »Not bricht Eisen,« sagt man, ich sage: »Not macht Diebe.«

 

15. September

Die Trompeter des Bataillons üben sich, ihr Chef und Instruktor läßt die armen Knaben, denn die ganze Musik besteht aus solchen, da die ganze waffenfähige Mannschaft einrangiert ist, unablässig blasen und trommeln. Die wehmütigen und doch kriegerischen Fanfaren klingen über den Platz zu mir herüber, sie erinnern mich an meine Jugendzeit, als ich Soldat ward. Jetzt klingen diese fremdartigen Töne wieder, wie mich Pulverdampf umwölkt, an mich heran. – Sie sind es, welche seit fünf Jahren diese Truppen zum Sturm begleiten. Übrigens kann ich mir nicht verhehlen, daß die, welche ich hier sehe, ganze Staffagen zu »Rinaldo Rinaldini« abgeben, und man glaubt, unter einem Räubergesindel zu leben. Sie haben viel von den griechischen Klephten.

Muñagorri ist mit seiner Schar an der Grenze. Wenn er, um die englischen Subsidien zu verdienen, eine Demonstration machen wollte, könnte er uns leicht hier angreifen, und ich finde, daß man zu wenig Vorsicht anwendet; ein schlichter Verhau mit vorliegendem Graben, kaum einige Posten ganz nahe vorm Ort und wenige Patrouillen sichern uns gegen jene Seite.

Da der oftgenannte Kapellmeister Mr. F*** wenig Auswahl in seinen Musikstücken hat, so hat er, vermutlich ohne auf die Bedeutung zu denken, sowohl die Marseillaise als die Parisienne einstudieren lassen. Allerdings werden beide Melodien so gespielt, daß sie kaum zu erkennen sind, aber es wäre doch sonderbar, ein karlistisches Bataillon unter dem Klange der Marseillaise vorrücken zu sehen. Cela prouve, que ce n'est pas le ton qui fait la musique, mais que c'est l'idée, qu'on y attache. Das beweist, daß nicht der Klang die Musik macht, sondern der Gedanke, den man ihr unterlegt

Heute ist eine Quantität Geld, welches von Bayonne gekommen war, in das Hauptquartier abgegangen. Die Eskorte, welche sie begleitete, hätte die beste Staffage zu einem Salvator Rosa abgeben können.

 

16. September

Heute sind mir endlich alle meine Papiere zugekommen. Es ist Sonntag und Kirchenparade. Ich habe einem armen alten Kapuziner, welcher dem greulichen Massacre der Mönche in Saragossa entkam und hier bloß von Almosen lebt, einen Taler gegeben, damit er eine Messe für mich lese. Er war mir sehr dankbar. Der hiesige Pfarrer ist auch ein Kapuziner, eine etwas derbere Natur. Der andere dagegen ein recht lieber und recht vernünftig denkender Mann, mit dem ich mich recht wohl unterhielt. Überhaupt ist die spanische Geistlichkeit keineswegs das, als was sie verschrien ist. Die weltliche ist nur zu sehr aufgeklärt; die Mönche aber sind ein wesentliches Element der spanischen Volkstümlichkeit. Daß die Regierung der Königin auf einmal achtzigtausend Menschen, nämlich die Klostergeistlichkeit, in die bittere Wahl des Hungertodes oder des Widerstandes setzte, daß man Greise, die nur ruhig zu sterben wünschten, mit zwanzig Kreuzern täglich hinausstieß in das feindlich fremde Leben, daß man sie mordete und verbrannte, daß man Cabreras Mutter und Frau erschoß, daß Mina und Rodil in Bastan und Navarra sengten und töteten, dies sind die wahren und wirksamen Reaktionsmittel gewesen, welche der karlistischen Partei den energischen Stempel aufdrückten, den sie in diesem Kampfe entwickelte und aus deren Wirkungen sich die Heere der Karlisten rekrutierten, während bei der entgegengesetzten Partei Soldaten und Nationalgardisten mehr für ihre eigenen Führer gefährlich wurden als für den Feind.

Es ist sonst eben nicht lustig hier. Mein Essen sind Eier in Speck (Butter gibt es keine hier) gekocht. Der Wein, der in Bocksschläuchen aufbewahrt wird, ist zwar gut, aber stark und schmeckt nach diesen verdammten Bocksschläuchen. Nur die Schokolade ist hier deliziös. – Es sind Ruinen hier, jedes Haus ist verfallen, aber mit Altanen versehen und mit Efeu bewachsen. Chaque maison a l'air d'avoir été un castel. Jedes Haus sieht aus, als ob es eine Burg gewesen wäre Die Menschen sind zerlumpt, aber in seinem alten Kommißkaput drapiert sich ein Navarrese stets wie ein verkleideter Kavalier, und die Bauerndirnen sehen aus wie maskierte Damen d'une partie fine. auf einer heimlichen Vergnügungsfahrt

 

19. September

Jean hat uns gestern ein Huhn in Reis als Leckerbissen gekocht. Heute nacht sollten wir von Muñagorri angegriffen werden. Man war aber von seinem Vorhaben unterrichtet, und er zog sich wieder zurück. Vor drei Jahren überfielen christinische Parteigänger diesen Ort, und in demselben Zimmer oder Kammer, wo ich schlafe, wurden zwei Karlisten auf der Treppe getötet, ein dritter gefangen und auf der Stelle erschossen. – Ein Mädchen von siebzehn Jahren, welches Briefe getragen hatte, wurde gleichfalls erschossen. – Kuriose Art, liberale Grundsätze zu verbreiten!

 

Vera, den 21. September

Gestern, obzwar noch unsere Waffen und allerhand Requisiten zurück waren, brachen wir dennoch am Mittag von Zugarramurdi auf, den Weg westlich der französischen Grenze einschlagend, welcher längere Zeit knapp längs derselben fortlief. Wir können von Glück sagen, daß wir Muñagorris Streifern nicht in die Hände gefallen sind. Drei Meilen hatten wir zu machen, anfangs über steiles Gebirge und Saumwege. Eine herrliche Aussicht bot sich uns dar, als wir den Hauptrücken erstiegen hatten, links die Gipfel der Pyrenäen, rechts die Ebene von St. Jean de Luz und im Hintergrunde das Meer. Gegen Abend stiegen wir in das Tal herab, in welchem das Städtchen Vera liegt. Dasselbe wurde vor kurzer Zeit bei einem Einfall der Christinos so hart mitgenommen, daß wir in einer großen, ganz verwüsteten Posada (Wirtshaus) kaum in einer elenden Stube ohne Fenster und nur mit einer aus einem Bettladen improvisierten Türe ein notdürftiges Unterkommen fanden. Die Pferde, welche uns die Roßhändler neuerdings herüberzuschwärzen versprachen, sind noch nicht da, und wir haben die Exspektanz, vielleicht wieder einen oder gar zwei Tage hier Trübsal blasen zu müssen. Gestern abend bekamen wir zum Nachtmahl etwas in schlechtem Öl gekochten Reis und ein paar gebratene Tauben. – Heute mittag wird Jean ein Paprikahuhn improvisieren; – das Wirtsmädchen, welches Dolores heißt, geht ihm dabei fleißig an die Hand. Dolores! statt Kathi, oder Mizzi, oder Pepi, c'est bien là de la couleur locale? ist das nicht Lokalfarbe? Übrigens ist einem unter diesem Gesindel gar nicht heimlich, und ich werde froh sein, wenn ich einmal im königlichen Hauptquartier angelangt sein werde. Übrigens ist der hiesige Kommissär D. J*** ein sehr artiger, zuvorkommender Mann, unter dessen Schutz wir so ziemlich sicher sein können.

 

22. September

Nach einer sehr regnerischen Nacht ist ein heiterer Morgen erschienen, und die goldbekränzten Häupter der Pyrenäen gucken freundlich aus der Nebeldecke hervor. Es war Zugarramurdi ein kleines Paris gegen diesen unglücklichen verwüsteten Ort, und wie ausgeweinte Augenhöhlen blicken einem die ausgebrannten schwarzen Fensterblenden und Torwege entgegen. Diese Nacht schlief ich, wie die vorige, auf meine Pferdedecken hingestreckt, den Reisesack unter dem Kopfe, die Pistolen daneben. – Zu essen ist fast nichts zu bekommen. Doch haben wir einen alten Hahn aufgetrieben, der uns heute noch erhalten soll. – Der Weg von Vera über Goyzaeta ist nicht ratsam, weil er zu nahe an der christinischen Linie, welche Hernani inne hat, vorübergeht, daher gehen wir südlich auf St. Esteban und von da erst westlich auf Tolosa. – Gestern wohnte ich in der armen verwüsteten Kirche dem Gottesdienste bei. Kugeln haben die Wände gezeichnet und lassen allein weiße Stellen wie Wunden auf den mit Rauch geschwärzten Mauern zurück. –

»Es ist der Krieg ein roh gewaltsam Handwerk!« Und es ist unglaublich, wie die Menschen sich selbst geflissentlich diese schöne Erde so greulich verderben!

Ich war diesen Nachmittag, die Ruinen des Forts anzusehen, welches die Christinos vor drei Monaten zerstört haben.

Man zeigte mir den Ort, wo eine junge Frau, die sich mit ihrem Kinde im Arme flüchtete, von den Chapelgorris eingeholt und mit dem Kinde, von Bajonettstichen durchbohrt, den Geist aufgab. – Mein Säbel klirrte in der Scheide! –

Der französische Deserteur Mr. F***, trompette sergeant major Stabstrompeter etc., leitete mich und zeigte mir auch ein Haus, où il avait eu une bonne amie wo er ein Schätzchen gehabt hatte, setzte aber hinzu: » C'est le diable avec une femme espagnole! rien que de vous voir vous occuper d'une autre ou lui adresser la parole, elle est capable de vous donner un coup de couteau, ou d'empoisonner celle, qu'elle soupçonne être sa rivale, c'est vexant et embarrassant tout de même pour un Français.« »Aber da sitzt der Knoten bei einer Spanierin! Sie braucht einen nur sehen, wie man sich mit einer andern beschäftigt oder das Wort an sie richtet, so ist sie schon imstande, einem einen Messerstich zu versetzen oder diejenige zu vergiften, die sie als Nebenbuhlerin im Verdacht hat, und das ist für einen Franzosen geradeso ärgerlich als mißlich« Ich dachte mir: tout comme chez nous! Ganz wie bei uns!

Einer der Herren, die mit mir sind, ging eine Viertelstunde weit von hier baden, wozu ich ihn begleitete, nebst einem Mann von unserer Eskorte, jeder bewaffnet.

Man spielt soeben einen Fandango, darauf Cachucha, dann eine Mazur und endlich eine Tyrolienne. – Zuletzt den berühmten Regeto, eigentlich ein Hirtenlied, letztlich der Sturmmarsch der Navarresen.

 

23. September

Noch immer erwarte ich das versprochene Pferd und unsere Waffen. Es ist sehr nachteilig, da wir viel Geld verzehren, indem man alles hier um teures Geld schwer bekommt; ein Huhn kostet zwei bis drei Franken. Man lebt so teuer wie in London.

Der mehrerwähnte Trompeter F*** ist heute nacht desertiert. Wird er erwischt, so wird er erschossen. Er war bestimmt, uns als Eskorte zu begleiten, und es ist gut, daß er früher fort ist. Zwar geschah dies infolge eines Streites, den er gestern mit seinem Vorgesetzten hatte und wofür er bestraft zu werden fürchtete. Ich werde froh sein, wenn wir aus diesem unheimlichen Räubernest heraus sein werden.

 

Esteban, den 24. September

Wir sind gestern noch glücklich aus dem verruchten Vera heraus. Als man uns die Zeche machte, die wir auf dem Boden, den Sattel unter dem Kopf, schliefen, ohne Salz ein beinahe rohes Stück Fleisch verzehren mußten, kaum ein Lichtstümplein hatten, verlangte die Wirtin zwei Unzen (160 Franken). Auf unsere Weigerung, diese Summe zu bezahlen, entstand ein furchtbarer Lärm, die Männer, Amanten der Weiber, lauter löbliche, königliche Freiwillige, kamen herbei, die Weiber kreischten, die Männer brüllten. Endlich rief ich den Kommissär, der sie mit hundert Pazetos abfertigte. Ich bezahlte aber die sechzig Franken, nämlich dreißig für die Soldaten und dreißig in die Kirche. Demungeachtet hielt man es geraten, uns einen Offizier und drei Mann Eskorte mehr mitzugeben. Wir brachen um zwei Uhr auf und erreichten abends das fünf Meilen weit entfernte Städtchen St. Esteban.

Der Weg ist für die Beine schlecht, nämlich steinig und felsig; dagegen herrlich für das Auge. Man geht an den Ufern der Bidassoa fort, durch herrliches Grün und Kastanienwälder. Die Gegend erinnerte mich viel an jene in Bulgarien, von Adrianopel nach Ternowa, längs der Jantza. Doch ist diese noch schöner – lauter Landschaften nach Salvator Rosa. Die Staffagen dazu fehlen nicht. Die Menschen drapieren sich in ihren Lumpen und die Ruinen in ihrem herrlichen Efeu, so daß hier ein Bettler und ein alter verfallener Meierhof Tableau machen. In St. Esteban kamen wir spät an. Ein Wirtshaus, gegen welches die Judenschenken in Polen noch Hôtel garnis sind. Jenes in Barkany wäre ein Clarendon-Hotel! Dazu die Vorbereitungen zum Schlafen: Pistolen unter dem Kopfkissen, den Säbel an das Bett, das Geld um den Leib geschnallt, die Türe verriegelt, und ein Tisch davorgestellt. O Nachtlager von Granada! –

Heute oder morgen hoffe ich Tolosa zu erreichen. Ich habe einen Grenadier vom fünften Bataillon mit, einen Navarresen; es ist der schönste Soldat, den ich je sah. Er schläft immer vor meiner Tür, hat im Gürtel ein Messer wie ein kolossales Taschenfeidel, welches aber eigentlich zum Bauchaufschlitzen bestimmt ist und Navaja heißt. Anfangs war mir der Kerl ganz unheimlich, aber jetzt fange ich an, ihm zu trauen. Es ist ein junger, aber ernster Bursche. Wenn ich ihn lobe, so blitzen seine Augen, das ist immer ein gutes Zeichen. Er heißt José Eguia.

 

Tolosa, den 28. September

Der Marsch von St. Esteban nach Tolosa war nicht minder beschwerlich als gefährlich. In St. Esteban besichtigte ich noch ein dort befindliches Kavalleriedepot, größtenteils aus demontierten Reitern bestehend. Es waren kräftige Gestalten, benarbte Gesichter.

Von dort zogen wir, nachdem wir von unserer Eskorte und dem sie führenden Offizier Abschied genommen und statt derer zwei tüchtige Burschen, Halbinvaliden von Zumalacarreguys Guiden, aber rüstiger und flinker als mancher deutsche Rekrut – der Gegend und der Verhältnisse wohl kundig – erhalten hatten, weiter gegen Leiza.

Die zwei Guardias di Seguridad Sicherheitswachleute, eine Gattung Gendarmen, waren vortreffliche Individuen. Der eine, El Zoppo (der Lahme), durch eine Schußwunde hinkend, dabei aber flinker mit anderthalb Beinen als ein deutscher Musketier mit zwei ganzen, schloß den Zug, den ich mit dem andern jüngeren eröffnete.

Die Gegend war weniger wild und bergig als die letztlich durchwandelten Schluchten zwischen Vera und St. Esteban, aber diese Gegend ist wegen ihrer christinischen Gesinnung bei den Karlisten übel berüchtigt. Wir waren auch nicht weit über St. Esteban hinaus, als aus dem Dickicht zwei Schüsse auf unseren Nachtrab fielen. Einer unserer Maulesel wurde dadurch scheu und warf das Gepäck ab. Dies verursachte einigen Aufenthalt. Ich eilte mit dem Guiden zurück und fand schon Graf B. und Baron J. mit unseren Leuten, José Eguia, meinem Jean und des Grafen B. mitgenommenem Jäger Franz schlagfertig versammelt. Auch geschah kein fernerer Angriff, der Maulesel wurde wieder bepackt, und wir zogen ferner unangefochten weiter.

Die Nacht blieben wir in einer eine Stunde von Leiza befindlichen einsamen Mühle, wo wir uns verbarrikadierten und, die Nacht am Küchenfeuer sitzend, uns von dem braven Zoppo allerhand Geschichten von Tio Tomas' (Zumalacarreguys) Taten erzählen ließen. Der Kerl, mit seinem um den Kopf gewundenen bunten Tuch, seinen blitzenden Augen, seinem nackten braunen Hals, die Zigarette im Munde, den Tromblon neben sich, die blinkende Navaja im Gürtel, hätte ein herrliches Modell zu einem Genrebild geliefert. Wenn er von Tio Tomas sprach, funkelte, blinkte, blitzte alles in und um ihn, Augen, Zigarre, Waffe.

Einige von St. Esteban mitgebrachte Lebensmittel und unsere mit Wein gefüllten Bocksschläuche halfen uns, die Nacht recht gemütlich zuzubringen, und des andern Morgens erreichten wir gegen Mittag Tolosa, ein freundliches, durch die jetzigen Zeitläufe bedeutendes, sehr lebhaftes Städtchen, welches nebst Estella und Durango als die Hauptorte der karlistischen Partei in den baskischen Provinzen gilt. Dort installiert, machte ich die Bekanntschaft mehrerer ausgezeichneter Offiziere, des Oberst Sabathiel, eines Vendéers, der unter Zumalacarreguy eine seiner Guidenkompanien, später ein aus den Überläufern der algerischen Legion formiertes Bataillon bildete und kommandierte.

Die fabelhafte Tapferkeit und Verwegenheit beider Truppen läßt schließen, welchen Grad von Entschlossenheit ihr Führer an den Tag legen mußte, um der erste unter diesen kühnen Waghälsen zu bleiben. Von sieben Wunden kaum genesen, erwartete er hier eine neue Bestimmung, da sein Bataillon seit der Zeit vollkommen aufgerieben ist. Es ist eine schöne, kräftige Gestalt, in der weißen, mit grünen Troddeln besetzten Zamarra, den scharlachroten Beinkleidern und weißer, mit schwarzer Quaste besetzten Boina sich ziemlich abenteuerlich ausnehmend. Oberst Trovo von der Artillerie und ein sehr ausgezeichneter, liebenswürdiger deutscher Offizier, Oberstleutnant Roth, waren sehr interessante Bekanntschaften.

Sabathiel führte uns auch zu dem einstweilen hier ebenfalls eine Bestimmung erwartenden greisen General Moreno, der, wie bekannt, in den spanischen Wirren eine bedeutende, zuweilen blutige Rolle gespielt hat. Er ist als das Haupt der sogenannten kastilianischen Partei bekannt. Es ist ohne Zweifel ein Mann von ausgezeichneten militärischen Fähigkeiten und, zumal hierzulande, seltenen Kenntnissen in seinem Fache. Schlau, unternehmend, wenn auch von seinen Feinden als ränkesüchtig und grausam dargestellt, wird erst die Zukunft erlauben, seinen Einfluß unparteiisch darzustellen. Ich fand an ihm einen einnehmenden, sehr interessant sich ausdrückenden Greis von ehrwürdigem, aber auch kräftigem Aussehen, der uns freundlich empfing und sich lange mit uns unterhielt. Sein Anzug war ein langer blauer Oberrock, und nur die scharlachrote, mit goldenen Quasten besetzte Boina bezeichnete den General.

Den Abend brachten wir zu Tolosa mit den zahlreichen hier anwesenden, größtenteils jungen Offizieren des karlistischen Heeres recht heiter und gemütlich zu. Kameradschaftlich und mit freundschaftlicher Zuvorkommenheit von diesen Herren empfangen, hatten wir Ursache, uns von der nächsten Zukunft in ihren Reihen die erfreulichsten und ehrenvollsten Begegnisse zu versprechen.

 

Durango, den 29. September

Vorgestern noch fiel der Regen in Strömen, allein seit gestern früh hellte sich das Wetter zum schönsten Tag aus, welches zu unserem Marsch ein sehr günstiger Umstand war. Nachdem ich noch vor der Abreise von einem Rittmeister der navarresischen Lanciers einen hübschen andalusischen Fuchsen, obzwar etwas kleiner Statur, gekauft hatte, traten wir den Marsch an und verließen das freundliche Tolosa, die Heerstraße ( camino reale) einschlagend, welche nordwestlich gegen Bilbao führt. So selten in Spanien der Wanderer auf Spuren öffentlicher Baukunst stößt, so vortrefflich sind diese, wenn auch nicht zahlreichen Beispiele derselben, welche beweisen, was mit mehr Eifer und Sorgfalt der Regierungen und Behörden dieser Staat, der in zwei Weltteilen eine so große Rolle spielte, auch in dieser Hinsicht hätte leisten können. Wenn und wo man auf Heerstraßen, Brücken, Festen stößt, kann man sich nicht enthalten, die Großartigkeit in Anlage und Ausführung, welche dabei vorherrscht, zu bewundern. Land und Volk sind großartige Ruinen, auch in ihrem Verfall Ehrfurcht gebietend. Der Stempel hoher Schwungkraft, stolzer Würde ist der Physiognomie des ganzen Volkes unverkennbar eingeprägt! Ich möchte sagen, der verblichene zerfetzte Purpurmantel, das zerrissene Samtwams eines zum Bettler gewordenen Königs.

Bald, nachdem man Tolosa verlassen hat, steigt man den Bergrücken hinan, von dessen Gipfel sich eine herrliche Aussicht gegen St. Sebastian bis an den Golf von Biscaya dem trunkenen Auge eröffnet. Wir begegneten einen Landmann, bewaffnet wie hier jedermann, und auch sein Söhnlein, ein Knabe von höchstens zehn Jahren, führte eine kleine Muskete und trug den Patronengürtel ( canana) übergeschnallt. Es müßten Generationen erst aussterben, bevor der Krieg erlischt, der sich hier zwischen der Volkstümlichkeit und aufgedrungenen Elementen entzündet hat. Der Großvater war Guerillero, der Vater ist es, der Sohn wird es, und der Enkel träumt und spielt es. Ja, der Bürgerkrieg ist, wie gewisse Krankheiten im menschlichen Organismus, endlich sozusagen im Lebensprinzip dieses Volkes verschmolzen und beinahe ein normaler Zustand geworden.

Noch eine andere interessante Begegnis war jene des Hauptmanns Vial, eines in der Dresdner Militärakademie erzogenen jungen Spaniers, der mit uns auf dem Marsche zusammentraf und eine Strecke Weges in unserer Gesellschaft zurücklegte. Seine Kenntnis der deutschen Sprache war uns höchst angenehm, und er gab uns während unseres kurzen Zusammenseins viele sehr interessante Notizen über die hiesigen politischen und militärischen Verhältnisse.

Weiter kommt man in ein schönes Tal, in welchem das freundliche Städtchen Aspezzia liegt. Dicht daneben erhebt sich eine gewölbte Kuppel. Es ist die mächtigste, geistige Waffenschmiede der Geschichte, nämlich das Kloster des heiligen Ignatius von Loyola, zugleich der Ort, wo er geboren wurde und wohnte. Er war nämlich spanischer Hauptmann, wurde bei der Belagerung von Pampeluna verwundet, zog sich auf ein Kastell zurück, und wurde daselbst so von Andacht ergriffen, daß er das Waffenhandwerk verließ, sich dem geistlichen Stande widmete und endlich den Orden der Jesuiten stiftete, dessen Einfluß so mächtig auf das Schicksal der letzten Jahrhunderte einwirkte.

Im Jesuitenkloster wurden uns einige Zöglinge in der Musik und in gymnastischen Übungen, Fechten, Tanzen etc. produziert. Der Abt, Pater Gil, schien mir ein nicht allein wissenschaftlich höchst gebildeter, sondern auch ein sehr feiner, liebenswürdiger Mann, sein Umgang ebenso anziehend als interessant, seine Ansichten über Welt und Menschen duldsam und praktisch, und auch die Art, wie er die Erziehung seiner Zöglinge leitet, vollkommen auf das wirkliche Leben und dessen Bedürfnisse gerichtet zu sein, weit mehr als dies zuweilen, zumal in Deutschland, beachtet wird, wo die Professoren glauben, man reife auf der Schulbank zum Manne, und wer einmal ???ôýðôù ich schlage und amo ich liebe konjugieren könne, der brauche nur in der Grammatik fest zu werden, um in allen Verhältnissen und Beziehungen des Lebens das wahre Schlagwort zu finden! ???Ôýðôù und amo sind wohl wahre Schlag- und Losungswörter des Lebens, aber wie man sie » im Leben« abwandelt, das steht in keiner Sprachlehre und in keinem Wörterbuche.

Die jungen Leute fochten recht gut und spielten recht hübsch Klavier, Talente, welche in einem deutschen, von Geistlichen geleiteten Erziehungshause wohl für überflüssig und zeitraubend angesehen würden, im Leben aber wenigstens so viel gelten und mehr nützen als Metaphysik und Scholastik. Einige Passagen aus der »Norma« zauberten mich in das Kärntnertortheater zurück und haben mich tief, tief ergriffen!

Graf B. hat von Tolosa aus die Vorpostenkette in Begleitung des Oberstleutnants Roth, eines hier angestellten Deutschen, beritten und die Christinos in ihrem weißen Riemzeug und Lagermützen, wodurch sie sich von den Karlisten unterscheiden, die kein Riemzeug haben, da sie die Patronen im Gürtel führen und baskische Mützen tragen, auf Pikett gesehen und einige Schüsse mit ihnen gewechselt.

Graf B. hat auch die Bekanntschaft von Zumalacarreguys Nichte gemacht, die sehr hübsch sein soll; er fand sie auf einem Schemel sitzend, eben beschäftigt, Bohnen auszuschoten. In Deutschland oder Frankreich würde eine Dame in keiner geringen Verlegenheit sein, bei einer solchen Beschäftigung überrascht zu werden; hierzulande herrscht aber noch so viel patriarchalische Sitte und Einfachheit, daß, weit entfernt, sich seines wirtlichen häuslichen Tuns und Treibens zu schämen, man vielmehr den Gast in dessen innere Wesenheit einzuweihen keinen Anstand nimmt, ihn dadurch als ein Glied der Familie, als eigentlichen Hausfreund betrachtend, welches mir der schönste Beweis echter patriarchalischer Gastfreundschaft dünkt. Dabei verläßt diese Basken nie, wie dies auch bei den Orientalen der Fall ist, eine gewisse einfache Würde, welche eben, weil sie nicht künstlich angeeignet, sondern selbstgefühlt und angestammt ist, gleich weit entfernt von lächerlichem Stolz, trotzigem Übermut und niedriger Kriecherei bleibt. Überhaupt scheinen mir diese Basken ein herrliches Völklein. Geistig lebhaft, klug, kühn, tätig; physisch nervig, ausdauernd, flink. Auch bezeichnet diese vorzügliche Abstammung ihr eigentümlicher physischer Körperbau, das frische lebendige Auge, die schlanken, nervigen Glieder der Männer, der kleine Fuß und die nette Hand bei den Frauen auch der untersten Klassen. Nichts, weder im Aussehen, noch im Benehmen ist bei den Basken, was man bei uns gemein zu nennen pflegt. Ihre Gesetze und Institutionen sind beinahe republikanisch, und sie haben wohl recht, dieselben gegen die Zentralisation und Fusion mit den ihnen in vieler Hinsicht weder ähnlichen, ja kaum gleichkommenden Landesteilen der übrigen Halbinsel zu verteidigen. Auch sind sie von dem mächtigsten aller aristokratischen Gefühle beseelt, der aristocratie de race Rassenaristokratie. Jeder Baske meint, er sei sangue puro, d. h. Vollblut, nämlich rein von maurischer oder jüdischer Abkunft, und insofern dünkt er sich adeliger als jeder Grande von Spanien. Der wahre Adel läßt sich nicht machen. Er entspringt aus der Geschichte eines Volkes, läßt sich weder geben noch nehmen, ist ein Eigentum der Nation und nicht der einzelnen, – darüber anderswo mehr.

Graf B. hat ferners einem merkwürdigen Strafakt beigewohnt, dem sogenannten » emplumar«, einfedern. Bei diesem Bürgerkriege und dem lebhaften Anteil, welchen die gesamte, auch die weibliche Bevölkerung daran nimmt, wurde das ganze Kundschaftswesen, ja auch die Übersendung wichtiger Nachrichten größtenteils von Frauen und Mädchen besorgt, welche sich unter allerhand Vorwänden leichter und unbemerkter durch die feindlichen Streifparteien oder feindlich gesinnten Orte schleichen konnten. Früher wurden dieselben, wenn sie ertappt wurden, ohne weiteres erschossen. Mina ließ siebzehn Weiber aus Häusern, in welchen man versteckte Munition fand, füsilieren, und die Christinos befolgen noch diese Sitte. Zumalacarreguy aber traf eine andere Maßregel, die mehr Erfolg gehabt hat. Werden nämlich Frauenzimmer gefangen, welche dem Feinde als Kundschafter gedient haben, so schneidet man ihnen die Haare ab, schmiert sie mit Teer ein, bestreut sie mit Federn, setzt sie nackt rücklings auf Esel und führt sie in diesem Aufzug mit klingendem Spiele durch das Lager, wornach sie ausgepeitscht werden. Da die spanischen Frauen durchgängig sehr schönes Haar haben, auf welches sie sehr stolz sind, so auch wegen der anderen Agrements dieser Operation, fürchten die Weiber diese Strafe beinahe eben so sehr als die des Erschießens.

 

Durango, 30. September

Heute gehe ich mit Graf B. nach Ellorio, wo das königliche Hauptquartier sich befindet. Gern möchte ich von dort meine Briefe über die Pyrenäen absenden, welches nicht immer leicht ist. Ich schließe dieses Blatt.

 

Ellorio, 30. abends

Hier in Ellorio, wo ich heute nachmittag angelangt bin, hatte ich mehrere Besuche (hier ist das königliche Hoflager) abzustatten, um meine morgige Vorstellung beim König vorzubereiten. Beim Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herrn Tejeira, fand ich ein Paket Briefe, sie waren ein wahres Labsal.

Heute sah ich ein paar Lanzenreiter des Pfarrers Merino und gelbe Lanciers vom christinischen Regiment Princesa, stattliche Leute, obzwar sie in ihren gelben Röcken aussahen wie Kanarienvögel. Überhaupt kommen täglich viele Deserteurs aus dem christinischen Lager. Es ist unleugbar, daß die karlistische Partei eine große moralische Superiorität für sich hat. Beweis dessen, daß, während die Desertion beim Feinde sehr häufig eingerissen ist, dieselbe, trotzdem daß unsere Scharen oft wochenlang ohne Sold, Monate ohne Montur, kaum mit einem Fetzen als Mantel, mit einer Leinwandhose im Winter bekleidet, oft ohne Schuhe, dennoch sehr selten und unter den Provinzialtruppen gar nicht stattfindet.

 

Durango, 2. Oktober

Ich bin gestern allen Ministern, dem Bischof von Leon, dem Duca di Labandero etc. etc. vorgestellt worden. Mitten zwischen kosakenähnlichen roten Lanzenreitern, umgeben von einem etwas abenteuerlich aussehenden Generalstabe, ritt ein altes Männchen mit rundem wachstaffetbedeckten Hut, mit einer Gerte in der Hand, »ganz ohne Waffen«, wie Scholz sagt, nur am Sattel des vortrefflichen andalusischen Hengstes hing ein tüchtiger Tromblon, angetan mit einem kurzen abgenützten Schafpelz, aber mit blitzenden, stechenden Augen im gelben, mumienartigen Gesicht – es war der Pfarrer Merino, der eben aus Aragon heimkehrt mit einer Beute von dreihundert Pferden.

Ein anderer dicker, ganz freundlich aussehender Mann, mit kleinen blitzenden, aber stechenden Augen in dem sonnverbrannten Gesichte, im übrigen so ziemlich einem ehrlichen Bräumeister ähnlich, im braunen Überrock, ist der bekannte Parteigänger Tristany!

Diese Leute haben Rollen gespielt, gegen welche alle Baschen in Griechenland nur Limonadespäße gemacht haben. Abends wurde ich dem König und Don Sebastian vorgestellt. Ich wurde sehr gnädig aufgenommen, erhielt meinen Rang als Oberst und wurde vorläufig bestimmt, im Hauptquartier beim General Marotto verwendet zu werden. Das Hauptquartier ist in der Nähe von Balmaceda. Marotto soll ein sehr ausgezeichneter Mann sein, und man setzt allgemein viel Vertrauen auf seine Tatkraft, Tapferkeit und Einsicht.

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Heute bin ich in Durango, um einiges an Pferden, Rüstung usw. noch auszubessern und einzurichten und kehre morgen wieder nach Ellorio zurück. Meine Uniform ist ein gewöhnlicher blauer Überrock mit dem Distinktionszeichen auf den Ärmeln, wie bei uns in Österreich, gewöhnlich aber ein schwarzer Schafpelz (Zamarra), nebst einer roten Mütze. Dies ist die allgemeine Tracht der hiesigen Offiziere.

 

Ellorio, 4. Oktober

Gestern nachmittag bin ich wieder von Durango zurückgekehrt. Ich bewohne eine Art »verwunschenen« Palast mit großen Säulen, breiten Steintreppen, großen Wappenschildern, Marmortafeln, aber zerbrochenen Fensterscheiben und aufgerissenem Fußboden, welcher einem verjagten christinischen Grafen gehörte. Decken werden auf den Boden, Pistolen daneben gelegt, Fenster und Türen mit Laden geschlossen und sorgsam verriegelt, und somit gute Nacht.

Heute wurde ich dem Erzbischof von Cuba vorgestellt. Ein liebenswürdiger Mann mit schöner, ausdrucksvoller Physiognomie. Eine andere interessante Bekanntschaft war jene des Oberst Merry, Adjutant des Don Sebastian, von Abkunft ein Irländer, aber längst in Spanien naturalisiert.

 

Estella, 7. Oktober

Nur in der Eile zeichne ich ein paar Zeilen auf diesem mir von einem mitleidigen Adjutanten geliehenen Blatt Papier. Von diesem Krieg, diesen Märschen, diesem Lande und allem, was darauf und darin existiert, macht man sich keinen Begriff.

Vorgestern früh ritt ich nach Durango, um mir einige Kleinigkeiten beizuschaffen. Dort fand ich alle Straßen voll Truppen und alles in der größten Bewegung. General Marotto mit seinem Hauptquartier machte hier einige Stunden halt. Ich eilte, mich dem General vorzustellen. Eine imposante soldatische Gestalt mit Adlernase, gewaltigem Schnurrbart und Augen gleich jenen des Tigers, des yeux de velours Samtaugen, die schmeicheln können und dann wieder glühen. Er empfing mich anfangs trocken und stolz, nahm aber bald einen freundlichen Ton an und teilte mir mit, er gedenke, in einer Stunde ober Estella dem Feinde entgegenzugehen, es stünde bei mir, ihn zu begleiten oder, wenn ich wollte, in das königliche Hauptquartier nach Ellorio zurückzugehen, wenn ich etwa noch einige Geschäfte dort zu vollbringen hätte.

Da blieb nun freilich keine Wahl. Ich zäumte und sattelte meinen »Gendarm« (so heißt mein Fuchs), steckte als einzige Bagage ein paar Fußsocken und ein Foulard in die Tasche, somit vom Kopf bis zu den Füßen mit Wäsche versehen, im übrigen, wie ich gehe und stehe, setzte mich aufs Pferd, ließ meinem Jean nach Ellorio sagen, mir nach Möglichkeit zu folgen, und schloß mich dem Hauptquartier an, welches eben, den General an der Spitze, zum Tore aus der Straße nach Mandragon hinaustrabte. Es war eine kuriose Empfindung, so plötzlich unter ganz fremde Kameraden gesetzt zu sein. Wir sahen uns auch gegenseitig ziemlich verwundert an, wie wenn plötzlich ein fremder Vogel in einen Hühnerhof kommt. Es war ein buntes Gemisch von Offizieren, Militärbeamten, Geistlichen, Ordonnanzen, bewaffneten Guerillaführern; manche in allerhand Uniformen, andere in Zivilröcken, beschnürten Pekeschen, die meisten aber trugen die oftbenannte Zamarra, d. i. den schwarzen Schafpelz (obzwar es in dieser Jahreszeit noch sehr warm war), alle aber die charakteristische Boina auf dem Kopf, rote, weiße mit goldenen, silbernen oder schwarzen Quasten; die weißen mit schwarzen Quasten bezeichneten das Bataillon der Chapelchurís, Weißmützen, im Gegensatz der christinischen Chapelgorrís, Rotmützen, welche kein Quartier Quartier: hier »Pardon« erhalten oder geben. Viele fremde Offiziere tragen auch diese weißen Boinas, auch Cabrera wählte sich diese Farbe. Marotto und die meisten Generale tragen rote mit goldenen Quasten.

Es gelang mir bald, einige Bekanntschaften zu machen. Erstlich den tapfern Obersten Reyna, Bruder des vor zwei Jahren gebliebenen, ausgezeichneten Stabsoffiziers dieses Namens. Reyna ist der Typus eines vortrefflichen Reiteroffiziers. Seine Tapferkeit und Kühnheit waren sprichwörtlich geworden. Eine Schußwunde durch den Leib, von der er kaum genesen, hielt ihn einige Zeit vom Kriegsschauplatz entfernt. Jetzt wurde er bei Marotto als Secretario del Estato mayor, etwa was bei uns Generaladjutant, angestellt, indem man zu dieser Charge bei den jetzigen Verhältnissen einen im Heere allgemein geachteten, mit der Natur dieses Krieges und den vorliegenden Persönlichkeiten wohl vertrauten, vor allem aber über Parteigeist erhabenen und allen Intrigen unzugänglichen Mann brauchte. Dies alles ist Reyna. Seine herrliche Gestalt auf dem schnaubenden, andalusischen Rappenhengste gab ein echtes Bild der vormaligen Mohrenritter, die in Cordova turnierten. – Er ist bei den Karlisten das Gegenstück zu dem ritterlichen Reitergeneral der Christinos, Don Diego Leon. Der andere Chef des Hauptquartiers ist der navarrische General Carmano. Mein Introduzent bei allen diesen Herren war ein Adjutant des Generals, ein alter Franzose, Oberstleutnant Duffau, der sich an mich anschloß und mir auch später beigegeben blieb.

Als wir am Abend Mondragon erreichten, war ich so ziemlich mit den meisten Herren bekannt. In Mondragon erhielt ich mein Quartier zugleich mit unserm Feldkaplan beim Vikar. Da ich keine Ordonnanz hatte, so mußte ich meinen »Gendarm« selbst versorgen, und ich dankte es meinen Lehrjahren als Kadett, daß ich gelernt habe, mich im Stall umzutun. Als ich das arme Tier versorgt hatte, wurde ich von meinem Hauswirte mit vortrefflicher Schokolade und süßem Wein, in welchen man eine Art Zuckerbiskuit auflöst, bedient, ich parlierte nach Möglichkeit halb spanisch, halb latein. Ob er mich verstanden hat, weiß ich nicht, wohl aber, daß ich, was er mir erzählte, nicht verraten werde. So kam der Abend heran, die letzte Zigarre war ausgeraucht, und ich begab mich in mein Kämmerlein. Da alle Läden zu waren, so erwachte ich erst, als es schon Tag war. Schnell sprang ich auf, ich wußte, daß mit Tagesanbruch aufgebrochen wurde, laufe in den Stall, sattle, zäume, sprenge nach dem Hauptplatz vor das Quartier des Generals, aber alle Straßen waren leer, seit einer Stunde war alles abmarschiert, kein Mensch wußte wohin. Man denke sich meine Verlegenheit. Ich jagte also auf gut Glück die nächste vorliegende Straße fort. Ich mochte ungefähr zwei Stunden geritten sein, als ich in einem vorliegenden Tale ein großes, weißes, wie befestigt scheinendes Gebäude erblickte; auf dieses wollte ich eben zureiten, als ich zufälligerweise auf drei Geistliche stoße, welche dieselbe Straße wandeln. Auf meine Frage – nach dem Gruße: Ave Maria sin pecado –, ob sie nicht etwa dem General mit seinem Gefolge begegnet seien, verneinten sie es, ich erfuhr aber, daß ich gerade auf der Straße nach Pampeluna mich befinde und dieses Haus eine von den Christinos besetzte, als Blockhaus befestigte Venta sei. Noch zweihundert Schritte und ich wäre ihnen gerade in die Falle geritten. Man kann sich denken, daß ich eilig umkehrte und bis Mondragon zurückritt, von wo ich nach Oñate gewiesen wurde und dort endlich glücklich den General einholte. Duffau teilte mir seitdem auch sogleich einen Lancier als Ordonnanz bei.

In Oñate wurde ich beiden Generalen Montenegro, zwei Brüdern, beide durch Tapferkeit und Kenntnisse sehr ausgezeichnete Artillerieoffiziere, vorgestellt. Der eine ist Chef der karlistischen Artillerie, und unter seiner obersten Leitung stehen das Artilleriedepot und die sonstigen größtenteils diesem talentvollen und tätigen General ihr Bestehen verdankenden Anstalten für Geschützwesen, worunter eine Kanonengießerei und Bohrmaschine besonderes Augenmerk um so mehr verdienen, als die Trefflichkeit ihrer Leistungen im umgekehrten Verhältnis mit den geringen und unzulänglichen Mitteln steht, welche verwendet werden konnten. In dieser Hinsicht besonders verdient die karlistische Partei, und zumal ihre Anführer in den Provinzen, Bewunderung. Diese Ausdauer, dieser allgemeine feste Wille der gesamten karlistischen Bevölkerung allein macht den Widerstand erklärbar.

Sie mußten erst schaffen, was den Gegnern im vollen Maße zu Gebot stand. Aber Wille und Ausdauer kann alles; die besten und geschicktesten Arbeiter aus den zahlreichen Eisen- und Gußwerken, aus den Waffenschmieden und Fabriken in den Provinzen Biscaya, Guypuzcoa und Navarra ließen sich herbei, bloß um die tägliche Soldatenration für Don Carlos zu arbeiten. Fleiß und guter Wille ersetzten, was an Erfahrung und Instruktion gebrach. Anfangs schmiedete man Geschütze, da man noch keine Mittel hatte, deren zu gießen. So sah ich einige Röhren, welche von geschmiedeter Arbeit waren, das Gewicht eines Sechspfünders hatten und vierundzwanzigpfündige Kugeln schossen. Sie waren ein Geschenk der Eisenwerke von Eybar. Es gelang endlich auch Wurfgeschütze und die dazu gehörigen Projektile zu erzeugen. In Katalonien bedient man sich auch gläserner Granaten. Lange dauerte es, bis man das Flechten der Kartätschenbüchsen erlernte, endlich wurden die Arbeiter auch darin eingeübt. Frauen und Mädchen sind mit Verfertigung der Seile und Bindfäden zum Geschützbedarf beschäftigt.

Von Oñate ritt ich mit dem General nach Sesama, Zumalacarreguys Heimat, wo er auch starb. In demselben Hause bei seinen Verwandten abgestiegen. Hier erhielten auch ein Sergeant und zwei Volontärs der Grenadierkompagnie des dritten Bataillons Navarra das Ferdinandskreuz und eine Geldbelohnung. Die Veranlassung dazu ist interessant genug und gibt nebstbei ein Bild des Charakters des hiesigen Krieges, um ausgezeichnet zu werden. Als die Christinos dieses Frühjahr Sesama überfielen und den größten Teil der Besatzung niedermetzelten, flüchtete sich der Rest in die feste Kirche und endlich, als diese auch erstürmt wurde, ein Sergeant mit acht Mann auf den Turm. Da diese kleine Besatzung die hinaufführenden Treppen hinter sich abgeworfen hatte, so konnte man nicht zu ihr hinaufdringen, sie machte den ganzen Tag ein höchst unbequemes Feuer auf den Platz herab. Endlich gerieten die Christinos auf den Einfall, den Turm mit Reisig und Stroh zu umgeben, hoffend, die hartnäckigen Verteidiger in den Flammen zu ersticken. Aber kaum waren diese verloschen, so knallte es wieder vom Turmbalkon herab. Jetzt begnügten sich die Christinos, die Kirche und den Ausgang des Turmes zu besetzen, in der Erwartung, Qualm, Hunger und Durst würden ihre Gegner endlich zur Übergabe zwingen, widrigenfalls sie in diesem Ugolinoturm ohnehin verschmachten müßten. Auch wurde es am Abend des zweiten Tages ganz still auf dem Turme; der kühne Sergeant aber hatte die Glockenstränge mit hinaufgenommen, und die Christinos, welche hauptsächlich die Ausgänge in der Kirche selbst und auf den Hauptplatz beachteten, hatten ein kleines Seitenfenster unbemerkt gelassen, welches oben angebracht war und auf den Kirchhof hinausging. Bei demselben ließen sich die acht Mann, der Sergeant zuletzt, an den Seilen herab. Die schlummernde einzelne Schildwache, welche diesen Posten bewachte, wurde überfallen, ein Griff, welcher den Mund stopft, ein schneller Messerstich, – der englische Legionär röchelte am Boden, und die neun Navarresen, halb gebraten, geräuchert und fast verschmachtet, überstiegen glücklich und unbemerkt die Kirchhofmauer, Gott dankend, dem Verderben entronnen zu sein; denn durch die Kugeln, das Feuer und endlich den halsbrecherischen Rückzug hätte Freund Hain per varios modos auf verschiedene Weise sich ihnen vorstellen können. Während sie aber eilig bei den letzten Häusern des auch vom Feinde besetzten Ortes vorbeischlichen, bemerkten sie in einem bloß durch eine niedrige Mauer von ihnen getrennten Garten eine halbe Kompagnie von der englischen Legion, welche dort gelagert war und sorglos um die verglimmenden Lagerfeuer im Schlummer versunken herumlag. Da erwacht in ihnen die transpyrenäische Blutgier; noch haben sie einige Patronen in der Canana – sie können der Versuchung nicht widerstehen, noch einige dieser gehaßten Feinde zu vertilgen, die Gelegenheit ist zu schön, der Mond leuchtet herrlich auf die Gruppen der Feinde, kein Schuß kann fehlen; – sie laden, legen an, und die Decharge streckt mehrere Engländer zu Boden, die sich blutend am Biwakfeuer herumwälzen, weckt aber zugleich die Schlummernden. Die zwar eiligst fliehenden Navarresen werden verfolgt, und durch Anstrengung, Hunger und Mangel entkräftet, meist verwundet und durch den Blutverlust erschöpft, fallen sechs von ihnen in die Hände der Verfolger und werden niedergemacht, dem Sergeant aber mit zwei Mann gelang es, obzwar verwundet, zu entkommen. Er ist ein kleiner, schwarzer, junger Bursche, aber auf alle Fälle ein Teufelskerl, der sich schmeicheln kann, was man sagt, hart gesotten worden zu sein. Überhaupt sind die Spanier in Verteidigung, besonders gemauerter Gebäude, weniger in offenen Verschanzungen, von einer bewunderungswürdigen Hartnäckigkeit. Daß selten Pardon gegeben wird, scheint mir bei ihnen wie bei den Türken und Orientalen, welche ebenfalls bei solchen Gelegenheiten exzellieren, ein Hauptgrund dieser Ausdauer. Wir andern kokettieren gewöhnlich instinktweise schon vor dem Angriff mit dem Gedanken der Übergabe. Weiß man aber, daß diese und der Tod identisch sind, so fällt man lieber, die Waffen in der Hand, als sich dann abschlachten zu lassen. Die Navarresen und die meisten Guerillas haben den richtigen Instinkt dieser Fechtart, und da jedes Städtchen, jedes Dorf, jede Kirche, Venta, Posada, jeder Bauernhof eine improvisierte Feste ist, so marschieren sie am Abende gern noch ein paar Stunden weiter, trotz Ermüdung und Dunkelheit, um das Biwak im Freien zu vermeiden und einen solchen festen Ort zu erreichen, aus dem sie aber auch dann nicht so leicht herauszubringen sind.

Wir setzten noch abends über bedeutende Berghöhen unsern Marsch fort und hielten erst bei einer Venta (großem Wirtshause) an der Straße nach Pampeluna an. Der größte Teil des Gefolges blieb in einem benachbarten Dorfe. Oberst Reyna, Oberstleutnant Duffau und ich begleiteten den General, der mich einlud, seine Abendmahlzeit zu teilen. Es war das erstemal, daß ich näher und vertrauter mit ihm zu sprechen Gelegenheit hatte, und ich kann nicht leugnen, daß er mir eine bedeutende militärische Persönlichkeit erschien.

Sehr interessant waren mir seine Mitteilungen aus den amerikanischen Kriegen, in denen er, damals Kamerad Rodils, Esparteros, Quirogas, Quesadas und aller später unter der Benennung » Ayacuchas« so bekannten militärischen Notabilitäten, eine bedeutende Rolle spielte. Die blutige, leidenschaftliche Kriegsweise jenseits des Ozeans hat diese Herren auf ihre jetzigen Rollen ziemlich praktisch vorbereitet. Übrigens scheint mir Marotto sich Zumalacarreguy zum Vorbild gemacht zu haben. Erreicht er ihn, so ist die damals erst sich bildende und doch siegreiche karlistische Sache bei ihrer jetzigen größeren moralischen Entwicklung und materiellen Konsistenz der Überlegenheit sicher! Endlich ging der General zur Ruhe, er legte sich auf seine Manta, seine goldenen Sporen und Doppelpistolen wurden ihm zur Seite gelegt, und ich wickelte mich in meinen Mantel, legte mich vor die Türe, und müde und erschöpft schlummerte ich trefflich.

Vor Tagesanbruch brachen wir auf, da wir wegen unserer Schwäche einem Angriff der Besatzung von Pampeluna ausweichen wollten, und marschierten auf Saumwegen und durch Bergschlünde über die Sierra d'Urbanza gegen Estella. Man würde mir es nicht glauben, würde ich beschreiben, welchen Weg wir mit Menschen, Pferden und Geschütz marschiert (das letztere wird von Mauleseln getragen); mir wurde, trotzdem daß ich als Gemsenjäger mit dem Gebirge vertraut bin, mehr als einmal schwindlicht, wenn ich an diesen Abgründen vorüberritt. Eine Stunde von Estella blieben wir. Gott gebe, daß mir etwas von meinen Effekten nachkömmt! Hätte ich nur noch ein Schnupftuch oder Hemde. Zum Glück habe ich keinen Schnupfen, und es regnet nicht! Die Sierra von Urbanza rechts, das herrliche Tal von Pampeluna, die Campagna links sind zwei Kontraste, wie ich sie nie sah. Der General sehr freundlich. Morgen rücken wir auf Estella vor.

 

Estella, 8. Oktober

Ich saß eben bei meinem sehr frugalen Mittagmahle, als Jean mit seinem immer gleichen Mondgesicht anlangte. Jetzt habe ich wieder Wäsche und Geld. Ich erwarte auch morgen meinen Waffengefährten, den jungen Grafen B. Um drei Uhr Glockengeläute und Nachricht eines neuen durch General Cabrera erfochtenen Sieges, der allenfalls auch die Bewegungen am Ebro beschleunigen dürfte. Es ist nicht begreiflich, daß der Feind seine Macht nicht benützt, um zugleich von Bilbao aus gegen Durango und von Pampeluna gegen Tolosa zu rücken. Allein es ist kein Zweifel, daß es ihm an Selbstvertrauen mangelt. Mir ist von den ungeheuern Märschen ein Pferd lahm geworden, ich muß den größten Teil meines Gepäckes hier zurücklassen, und es geht nichts mit als ein kleiner Mantelsack. Man lebt wie ein Beduine. Diese Zeilen schreibe ich dir aus dem Quartier eines jungen Deutschen, des ausgezeichneten Genieoffiziers Obersten Strauß. Überhaupt befinden sich mehrere sehr ausgezeichnete und talentvolle fremde Offiziere hier. Einige von ihnen besiegelten bereits ihre Ergebenheit für die gerechte Sache mit ihrem Blute und starben den Heldentod, aber es gibt deren noch genug hier, um Spanien zu beweisen, daß die in Europa verlassene Sache des legitimen Königs bei einigen ritterlichen Kriegerherzen noch Anklang findet, so wie jene der glorreichen Maria Theresia, gerade im Unglück und von den Mächtigen angefeindet, am meisten Sympathie erregte.

Unter den fremden Offizieren, die ich hier kennen zu lernen das Vergnügen hatte, muß ich den Oberstleutnant Roth, einen Badener, von Swiedersky und Hauptmann Keltsch, beide Preußen, Oberleutnant Linde, die beiden Schweizerbrüder Servent, vor allem aber die beiden ausgezeichneten Obersten im Generalstabe, Baron Rahden und Vicomte Barrès, erwähnen, welche durch ihre Kenntnisse und Tapferkeit der karlistischen Sache während des Krieges unschätzbare Dienste leisteten und nach dessen Beendigung auch ihre talentvollen Federn der Aufzeichnung der ruhmvollen Geschichte ihrer Waffenbrüder widmeten. Von dem tapfern Sabathiel sprach ich schon. Alles wäre gut, wenn die Indisziplin der Truppen, insbesondere der Navarresen, nicht so groß wäre, obzwar auch hierin General Marottos kräftige und einsichtsvolle Führung viel gefördert hat.

 

Morentin bei Estella, 10. Oktober

Seit gestern bin ich mit Marotto hier; ich hatte gestern vormittag ein langes und interessantes Gespräch mit ihm. Nach Tisch trug er mir an, ihn vorwärts zu begleiten; sein Gefolge bestand nur aus einigen Personen, und der Rest des Hauptquartiers bleibt vorderhand in Estella. Das Wetter war sehr schlecht, der Regen fiel in Strömen, und die karlistischen Bataillons, welche von Durango anher marschierten, wateten im Kot. Es sind nämlich viele Truppen, die Reiterei Merinos sowohl als die in Durango neuformierten kastilianischen Bataillons anher gezogen worden, um den Feind, welcher unter Esparteros Befehl etwa drei Stunden von Estella steht, aufzuhalten, falls er über seine Linie einen Einfall machen sollte.

Es war ein erbarmungswürdiger Anblick, diese armen Knaben, ihre schlechten Schuhe in der Hand, mit nackten Füßen über Kies und Rollsand marschieren oder im Morast waten zu sehen. Doch schleppten sie sich fort, und heute früh sind die Truppen fast sämtlich an Ort und Stelle und in den benachbarten Ortschaften untergebracht. Die Navarresen mit ihren Sandalen haben, glaube ich, das Marschieren erfunden. Die laufen acht bis zehn Meilen des Tages wie nichts, und gibt es dann noch etwas zu stehlen, so sind sie leicht wieder auf den Beinen, ja wenn sie keine andere Beschäftigung haben, so sieht man bei den angestrengtesten Märschen, nach ihrem frugalen Mahle und kurzer Siesta, am Abend Offiziere und Soldaten auf dem nächsten Platze Ball schlagen, ein Spiel, welches die Navarresen leidenschaftlich lieben, das von alt und jung, niedrig und vornehm gespielt wird und nicht wenig zur Entwicklung ihrer Muskelkraft und Behendigkeit beiträgt, wenigstens auf alle Fälle mehr als unser beliebtes Kegelschieben bei den untern oder das Billardspiel bei den höhern Klassen. Heute schlechtes Wetter und fast nichts zu essen für Mann und Pferd. Ich habe nur ein halbes Huhn und Speck nebst einer Wurst.

 

11. Oktober

Noch immer in dem miserablen kleinen Morentin. Ich bin nicht verwöhnt, aber das ist ein Hundeleben. Die Sonne scheint aber hell in meine kleine Kammer, meine Pferde sind gesund, und ich kann einige Augenblicke ungestört derer, die mir lieb sind, gedenken; was will ich mehr!

Von meinem Fenster sehe ich deutlich die vom Feinde besetzten Ortschaften. Wenn er angreift, kann es ihm schlecht gehen, wenn wir aber angreifen, haben wir viel zu verlieren und für den Augenblick wenig zu gewinnen, da wir mehr auf das Spiel setzen, als es uns einbringen kann.

Gestern kamen mehrere Überläufer, sagten aus, der Feind sammle sich, allein man glaube an keinen ernstlichen Angriff. Ein armer christinischer Leutnant wurde grausam ermordet, als er sich heimlich abends von seinem Bataillon entfernte, um, wie man glaubt, ein Liebesrendezvous im benachbarten Orte zu halten, da er schon mehrmal die Anwesenheit in dieser Gegend dazu benützte. War es auf dem Rückweg, so hat der arme Teufel doch wenigstens etwas davon gehabt.

General Marotto ist eine interessante Persönlichkeit, sein Blick hat einen eigenen Zauber, der bald imponiert, bald beinahe schmeichelnd einnimmt, es ist etwas darin vom Tiger, etwas Wollüstig-Blutiges. Der Mann muß in seiner Jugend für Frauen unwiderstehlich gewesen sein. Liebt sie jetzt noch sehr. Man muß hier durchaus der Sprache mächtig sein oder braucht einen Dolmetscher weit mehr als in Konstantinopel. Es ist keine Kleinigkeit, das Vorurteil, ja den Haß zu besiegen, welchen die Fremden im allgemeinen einflößen, da sich ja sogar untereinander Navarrese und Kastilier, Katalone und Andalusier blutig hassen. Noch gestern mußte der General einen großen Teil der Mannschaft einer Eskadron, welche Kastilier waren, in eine andere übersetzen, weil der Streitigkeiten kein Ende war.

Nach und nach ist es mir gelungen, hier so ziemlich durchzukommen, und ich werde jetzt im allgemeinen sehr zuvorkommend und freundlich, besonders vom General, behandelt. Dies ist übrigens um so natürlicher, als ich durchaus gar nichts verlange.

Wir besichtigten heute mehrere Bataillone der navarresischen Division. Unter andern das dritte von Navarra! Diese Heldenschar wird gewöhnlich die »Requeté« genannt. Dies ist eigentlich die Benennung eines einfachen Hirtentanzes in den baskischen Provinzen. Unter Zumalacarreguy, um es den Christinos nachzumachen, welche mit klingendem Spiele anrücken, gingen sie gewöhnlich mit dieser Melodie, welche mit einigen Sackpfeifen und Handtrommeln in Ermangelung anderer Instrumente vorgespielt wurde, dem Feinde entgegen. Und bald wurde aus dem einfachen Bauerntanz ein dem Gegner furchtbarer Schlachtgesang, denn ein Sturm, beim Klang der Requeté unternommen, endete gewöhnlich mit der Niederlage des Feindes, um so gefürchteter, da das dritte Bataillon Navarra weder Pardon gab noch nahm. Gleichwie die Carmagnole und das Ça ira »So wird's gehn«, Revolutionslied von 1789, wurden die Klänge, welche so oft heiteren Frohsinn erregt halten, das Akkompagnement blutiger Szenen und Sterbegeröchels. Das dritte Bataillon Navarra und zwei Kompagnien Guiden formierten die Brigade, die Zumalacarreguy stets um sich hatte und welche bei seinen ersten Siegen den Ausschlag gab. Die beiden Kompagnien Guiden besonders bestanden aus lauter auserlesenen, von Zumalacarreguy selbst gewählten Leuten. Als das dritte Bataillon einst, nachdem es den ganzen Winter im Felde gelegen, in zerrissene Fetzen gehüllt, vor dem Könige defilierte, beschloß man einstimmig, es sobald als möglich mit neuer Montur zu versehen, und kündigte es ihm beim Vorbeimarschieren an. »Gebt uns lieber Patronen,« riefen diese braven Leute.

Endlich fand Zumalacarreguy einen vortrefflichen Ausweg, die tapfere Truppe zu bekleiden. Er befrug sie nämlich, welches feindliche Korps eine ihnen besonders gefällige Uniform trage, sie benannten, ich glaube, die Gardes Wallones die wallonischen Garden. »Wohlan denn,« sprach der Feldherr, »ich werde euch ihnen entgegenstellen und erlaube euch, in die Montur der Erschlagenen euch zu kleiden.« Das geschah, und bald war der größte Teil des Bataillons mit Röcken ihrer Gegner versehen. Nur die Boina und die statt der Patrontasche um den Leib geschnallte Canana unterschied die Navarresen von dem christinischen Regimente, welches man endlich zurückziehen mußte, um dieser fatalen Art, sich zu bekleiden, keine Gelegenheit zu geben. Es muß allerdings eine unangenehme Empfindung sein, einen Menschen in Hemdärmeln auf sich losgehen zu sehen, von dem man vorausweiß, daß er die Aussicht hat, entweder selbst zu frieren oder sich in unserm eigenen Rock nur dann erwärmen zu können, wenn er uns erst kaltgemacht hat. Überhaupt besitzen die baskischen Bataillone eine Fertigkeit im Auskleiden der Gefallenen, welche die geschicktesten Kammerdiener zuschanden macht, und ist ihnen ein Angriff gelungen, so muß man immer eine geraume Zeit dahingehen lassen, bis man sie wieder zusammenbringt, bevor sie die Toiletten der Gegner vollendet hatten. Den Engländern lassen sie die für sie unbrauchbaren schwarzen Halsbinden und Fußsocken, welches den sonst ganz nackten Leichen ein ganz barockes Aussehen gibt.

Was mir an dem General sehr gefällt, ist seine Liebhaberei für seine Pferde und Hunde. Er gleicht in diesem Punkte vollkommen dem verstorbenen General Bubna. In seinem Stall ist er am liebsten und am gesprächigsten. Ich fand ihn heute, wie er eben seinem andalusischen Hengste »Gitano« selbst die Ohren ausschor und einer alten Frau, die ihm eine bessere Schere brachte, die schönsten Danksagungen machte. Nichtsdestoweniger ist sein Benehmen ganz Kavalier und General, wenn er es sein will. Sein Gepäck besteht aus einem kleinen Mantelsack und einem Felleisen, weniger als bei uns ein Fähnrich mit in das Feld zu nehmen für unumgänglich notwendig erachtet.

Infolgedessen bin ich auch jetzt auf ein Beinkleid reduziert, und da man eben begriffen ist, es auszubessern, sitze ich an diesem Tische in weißen Unschuldskleidern.

Ich bin bei zwei uralten Leuten einquartiert, die ganz allein hier im Hause wohnen. Wir verstehen uns schon ganz leidlich, und wenn ich abends beim Herd sitze, fragen sie mich, wie weit denn eigentlich meine Heimat sei, und wenn ich sage, durch toda la Francia ed espo per toda l'Allemania durch ganz Frankreich und dann durch ganz Deutschland, so schlagen sie ein Kreuz und fragen, ob dort auch Katholiken seien?

 

Estella, 12. Oktober

Bin heute hereingekommen, wo ich endlich Jean und meine Bagage wiedergefunden habe. Gestern habe ich mir selbst mein Mittagmahl, ein halbes Pfund Fleisch, etwas Zwiebeln und Kohl kochen müssen, da Jean abwesend, ich aber in Morentin war, von wo ich dir schrieb; ob du aber den Brief bekommen wirst, ist etwas dubios, da die Gelegenheiten entsetzlich unsicher sind. Habe so manches gelernt, was mir nie genützt hat, und was ich oft gebraucht hätte, kann ich nicht, z. B.

1. mir einen Knopf annähen,

2. mir eine Suppe kochen,

3. mir mein Pferd selbst beschlagen.

Was nützt es mir, daß ich weiß, daß die Perser die Assyrier und die Mazedonier jene geschlagen haben, daß die Semiramis den Ninus oder Orestes die Klytämnestra umbrachte, daß ein Psammetichus Pharao von Ägypten und ein Krösus König in Lydien war; was nützt mir zu wissen, wieviel länger der Saturn braucht als der Merkur, um die Sonne zu umschwänzeln; was nützen mir das Axiom des Naturrechtes res nullius primo cedit occupanti niemandes Eigentum fällt dem zu, der es zuerst in Besitz nimmt und andere schweißbedüngte Resultate meiner Gelehrsamkeit, – damit kann ich Hungers sterben, wenn ich nicht essen kann, wie der Botokude, meine Hosen in der Hand tragen, wenn der Knopf gerissen ist, wenn ich nicht als Sansculotte oder Decamisado mich präsentieren will, und zu Fuß neben meinem Pferde herlaufen, wenn es lahm ist und ich gerade keinem Schmied begegne.

Gestern begleitete ich den General auf einer Rekognoszierung längs der feindlichen Linie. Wir ritten durch einen Fluß, die Arga, fast schwimmend. Die Gesellschaft bestand aus ihm, zwei Adjutanten, zwei Ordonnanzen, und meiner Wenigkeit. Wir waren kaum einige hundert Schritte auf dem jenseitigen Ufer geritten in der Richtung gegen Lerin, als einige christinische Streifer uns ansichtig wurden, welche Miene machten, uns unsere Promenade zu versalzen. Ich erkannte sie an ihren gelben Röcken. Sie jagten mir nach, und ich war froh, meine »Maria Theresia« an der Seite und noch froher, meinen flinken Fuchs zwischen den Beinen zu haben. Wir erreichten aber noch ganz a tempo den Fluß, und an dessen jenseitigem Ufer erwarteten uns einige vorgeeilte Pikette, welche unsere Verfolger mit einigen Karabinerschüssen in Respekt hielten.

Als ich heute in die Stadt hineinkam, strömte das Volk auf der Straße zusammen, dann Geschrei, Auseinanderlaufen, Jauchzen und Gebrüll, plötzlich ein wilder Ochse in vollem Lauf vorbei. Ich hatte eben Zeit, mich und mein Pferd in ein offenes Haustor zu salvieren. Glaubte, es sei ein Zufall, daß der rasende Ochse in den Straßen herumlief, erfuhr aber, es sei eine Volksbelustigung. Kurioser Gebrauch! Bei uns laufen wohl auch die Ochsen auf der Straße herum, aber sie sind nicht wild, und eigentlich hat auch niemand so besonderes Vergnügen an ihrem Begegnen, welches wenigstens gefahrlos ist.

Jean kocht mir endlich ein eßbares Mittagsmahl, welches nach der dreitägigen Kost von Morentin mir besser schmecken wird als ein Diner von Breton. Ich habe mir heute ein Pferd, einen andalusischen Mohrenkopf, gekauft, denn letzthin bei der Rekognoszierung war ich nicht à mon aise fühlte ich mich nicht ganz behaglich. Mein Rappe ist zwar gut, aber langsam, und mein kleiner Fuchs deliziös und flink, aber in der Länge nicht ausdauernd genug. Es fängt an, kalt zu werden, und der Schafpelz tut gut. Abends war ich in der Küche, um mich zu wärmen, und sitze jetzt bepelzt und mit der Mütze auf dem Kopfe und doch zähneklappernd am Tische, um diese Zeilen zu schreiben.

 

Aberin, 14. Oktober

Gestern abend kam ich von Estella nach Morentin zurück, meldete mich beim General und bekam mein Quartier eine kleine Viertelstunde von Morentin im Dorfe Aberin in einem großen Landhause, in welchem ich allein mit einem gewissen Oberstleutnant Duffau, einem seit fünf Jahren hier anwesenden Franzosen, wohne. Außerdem sind im Dorfe noch drei Kompagnien von des Pfarrers Merino Truppen.

Schnee liegt auf den Gipfeln der Pyrenäen, und es ist wirklich winterlich kalt. Kein Ofen, kein Kamin, keine Fensterscheiben!

Heute in Morentin beim General zu Tische. Wir beobachteten den ganzen Tag durch das Fernrohr des Feindes Bewegungen zwischen Lerin und Laraga. Espartero ist in Person hier, aber keine Rede davon, daß er uns angreifen sollte. Es ist in einem andern Kriege unerhört, kaum zwei Meilen vom Feinde sich alle Nacht auszukleiden und in das Bett zu legen; man tut es hier allgemein, nur verrammelt man vorher gut Türen und Fenster, und dann ist aber auch jedes Dorf, ja jedes Haus eine Festung. Übrigens ist es mir schon so zur Gewohnheit geworden, abends frische Kapseln auf meine Pistolen zu setzen und diese neben mein Kopfkissen zu legen, wie dir, deine Papilloten zu machen.

Diesen Morgen wurde ich beordert, das in der Nähe von Estella befindliche Spital zu visitieren. Da, wenn der Todesengel der Schlacht, nicht mehr eisengepanzert und feuererglühend, sondern hohläugig im Siechengewande giftatmend Nachlese hält, da erscheint er in seiner furchtbaren Gestalt. Es ist herzergreifend, diese armen Verwundeten zu sehen. An Ärzten und besonders an chirurgischen Instrumenten ist fühlbarer Mangel, und manche Amputation oder Operation mußte mit Taschen- oder Küchenmessern und mit abgestumpften Sägen vorgenommen werden. Auch an Scharpie ist Mangel. Desto bewunderungswürdiger ist die Pflege von seiten der zahlreichen Nonnen und barmherzigen Schwestern, welche sich derselben gewidmet haben. Merkwürdig ist es, daß trotz der vielfach vorkommenden Gelegenheit dieser durch das weibliche Geschlecht an größtenteils jungen Verwundeten und Kranken vollzogenen Pflege sich dennoch beinahe keine Veranlassung zu Skandal ereignet hat, welches bei dieser unvermeidlichen Gemeinschaft wohl vorauszusetzen wäre. Die Verpflegung ist gut und reichlich, und ob der Mangel an Arzneien und chirurgischen Instrumenten sehr zu bedauern sei, ist eine Frage, da die Zahl der auch ohne ihre Beihilfe Genesenden beinahe ebenso groß ist als in andern in dieser Hinsicht reichlich bedachten Hospitälern.

Ich fand auch mehrere christinische verwundete Gefangene, welche hier mit derselben Sorgfalt gepflegt wurden als unsere eigenen Volontarios. Dies ist keineswegs, besonders früher, mit gleichem vergolten worden, denn sowohl Mina als Rodil ließen bei ihren Streifzügen in Navarra und Biscaya nicht allein die verwundeten royalistischen Volontarios, besonders die Offiziere, welche ihnen in die Hände fielen, füsilieren, sondern sie ließen ihre Wut auch an Landleuten und Bürgern aus, wo dieselben etwa Unterkunft und Pflege gefunden hatten, so daß auch diese mit Vernichtung ihrer Habe, schweren Mißhandlungen, oft auch mit dem Leben für ihre Menschlichkeit und Mildtätigkeit büßen mußten. Besonders zeichnete sich in dieser Hinsicht der bekannte christinische Guerilla- oder Freikorpsführer Martin Barrea, eigentlich Zurbano genannt, durch seine wilde Blutgier und Grausamkeit aus. Noch muß ich hier eines Zuges erwähnen, welcher beweist, wie tief Haß und Parteiwut hier gewurzelt sind und wie weit, ja bis zum Rand des Grabes, sie den Menschen begleiten. Ein durch den Leib geschossener Navarrese lag im Spital neben einem Pesetero (christinischen Freiwilligen), welchem die Schenkel zerschmettert waren. Nachts konnten beide vor Schmerz nicht schlafen, und der Pesetero brüllte, dem Navarresen zum Ärger, die revolutionäre » tragala«. Umsonst ermahnte ihn dieser zur Ruhe, endlich rafft er sich wütend empor, ergreift seine unter dem Kopfkissen befindliche Navaja, wälzt sich bis zu seinem Nachbar und stößt diesem mit sicherer Hand das Messer in die Gurgel, welche er mit einigen Schnitten fast ganz vom Rumpfe trennt. Aber durch diese Anstrengung löst sich sein Verband, man findet ihn morgens verblutend und sterbend auf der verstümmelten Leiche seines feindlichen Nachbars! »Er mag nun singen jetzt«, stöhnte er und verschied.

Nachmittags ritt ich mit dem General und besichtigte das neunte und zehnte kastilische Bataillon und eine Schwadron Reiterei. Diese Truppen hatten bei weitem mehr Haltung und vorzüglichere Offiziere als die navarresischen Bataillone, welche ich bis jetzt zu sehen die Gelegenheit hatte.

Ein kleiner Tambour vom zehnten Bataillon, kaum vierzehn Jahre alt, wurde bei dieser Gelegenheit mit dem Ferdinandskreuz dekoriert. Dem kleinen Jungen hatte eine Kartätschenkugel seine Trommel zerschmettert, er läuft auf dem Schlachtfelde herum, bis er eine andere findet, und kommt gerade zu seiner Kompagnie zurück, als diese zum Sturm vorrückt; aber er wird, obzwar leicht, durch einen Streifschuß an der Hüfte verwundet; vom Verbandplatz kehrt er in das Gefecht nochmals zurück und findet seine Kompagnie eben wankend und den Rücken wendend; da bleibt der kleine Held allein stehen, schlägt Appell und Sturmschritt, die Weichenden sammeln sich um ihn, rücken nochmals beim Trommelschall vor und werfen siegreich den Feind zurück. Der kleine Junge verdient das Ehrenzeichen, welches ihn ziert, besser wie mancher besternte Salonheld; aber ich möchte wissen, ob er als Gymnasiast je eine erste Klasse oder Eminenz erhalten hätte? Ich glaube: nein, und so wie ihm auf diesem Schlachtfelde die Lorbeerkrone erblühte, um welche wir alten Soldaten ihn trotz unserer Glückwünsche doch etwas beneideten, so dürften ihm auf der Schulbank wohl eher die papiernen Eselsohren als die Lorbeerkrone beschieden gewesen sein.

 

Hauptquartier Morentin, am Theresientag 1838

Der Feind greift uns nicht an. Espartero kehrt nach Bilbao zurück, die gestrigen Bewegungen, welche er gegen unsere linke Flanke machte, dienten nur, um einen Konvoi zu sichern, der von Lerin nach Laraga bestimmt war. Daher kann ich heute nach Estella reiten, um eine warme Weste abzuholen, deren ich bei der eintretenden kalten Witterung sehr bedürftig bin. Alles ist hier entsetzlich teuer und schwer zu bekommen, und da man immer plötzlich aufbricht, um von einem Ende der Provinzen zum andern zu marschieren, während welcher Zeit man in Wildnissen und Einöden lebt, so muß man die Gelegenheit benützen, sich mit dem Notwendigsten zu versehen.

Diesen Morgen empfing ich den Befehl, den Pfarrer Merino zu begleiten, welcher mit drei Bataillonen Kastilianer und etwa zweihundert Pferden einen Streifzug in die linke Flanke Esparteros gegen Miranda unternehmen soll. Ich fand den merkwürdigen Parteigänger, einen siebzigjährigen Greis, aber voll Tätigkeit und Leben, schon an der Spitze seiner im Marsche befindlichen Truppen; die drei Bataillone, aus sehr jungen, kaum geworbenen Leuten, fast Knaben bestehend, mochten ungefähr tausend Bajonette ausmachen. Merino ritt einen vortrefflichen, gedrungenen andalusischen Hengst, er war mit einem blauen Oberrock, darüber mit der Zamarra bekleidet, auf dem Kopf einen runden, mit Wachstaffet überzogenen Hut. Am Sattel hing ein tüchtiger Tromblon. Die nackten knochigen Hände zeugten noch von Muskelkraft, und er hätte im Notfall auch recht gut einen Gegner eigenhändig beim Kragen packen können. Wir passierten die Arga, ließen Miranda links und zogen in die Direktion von Lerin. Mir war diese Gelegenheit, den alten Guerillaführer kennen zu lernen, höchst erwünscht. Seine Kenntnis aller Lokal- und Personsverhältnisse wäre viel wert, aber er scheint selbst von dem Erfolg unserer Expedition wenig zu erwarten und vor allem auf den Rückzug bedacht zu sein, woran er meines Erachtens auch wohl tut.

Behutsamkeit und Schlauheit sind bei dieser Kriegsführung auch die Haupteigenschaften des Parteigängers; mit Schnelligkeit und Ausdauer gepaart, überwiegen sie jede vorherrschende Tapferkeit, wenn diese jener Eigenschaften ermangelt. Merino schläft sehr wenig des Nachts und trinkt keinen Wein, sondern meistens Milch.

 

Estella, 20. Oktober

Unsere Expedition hat drei Tage gedauert. Schon am zweiten Abend stießen wir bei Laraga auf die Vorposten des gegen uns entsendeten D. Diego Leon, aus Karabiniers bestehend; der Feind entwickelte bald mehrere Kavallerie-Eskadronen, und wir hatten höchste Zeit, da das ebene Terrain jedes Zusammentreffen mit einer überlegenen Reiterei durchaus ungünstig gestalten mußte, uns in die Weinberge an den Ufern der Arga zu werfen. Wir liefen und trabten die halbe Nacht fort und erreichten noch in der Dunkelheit die Arga, welche kaum zwei Klafter breit und nicht tief, aber sehr reißend war. Es kam alles darauf an, vor Tagesanbruch den Fluß zwischen dem Feind und uns zu haben. Unser Fußvolk war auf dem schnellen Marsche auf etwa sechshundert Mann geschmolzen, der Rest war teils ermattet zurückgeblieben, teils hatten sich die Leute in die entlegenen Gebüsche verlaufen und verborgen, der größte Teil traf aber nachderhand nach und nach wieder ein.

Unsere Reiterei ritt gleich anfänglich durch die Furt; ihr folgte das Fußvolk. Aber die reißende Arga verlangte manches Opfer, und es war ein herzzerreißender Anblick, öfters trotz der Dunkelheit eine weiße oder rote Boina auf den Wellen schwimmen zu sehen, während der Angst- und Hilferuf des in den Fluten und in der Finsternis verschwindenden, fortgerissenen Ertrinkenden in der stürmischen Nacht verhallte. Es fiel mir endlich ein, aus meinen nach österreichischer Packordnung am Sattel angebrachten Umlauf- und Vorzugstricken und einem auf einem Maulesel vorgefundenen Seil eine lange Schnur zu machen. Diese wurde an einen Pfahl diesseits und mit ihrem andern Ende jenseits der Arga befestigt und bildete eine Art Geländer, an welchem die bis an die Achseln durch das Wasser Watenden die Richtung und einen Anhaltspunkt fanden.

Diese unbedeutend scheinende Maßregel rettete vielen das Leben, und wäre ich, statt mich in nutzlose Betrachtungen zu verlieren, früher auf diese praktische Idee verfallen, so hätten wir geringen oder vielleicht gar keinen Verlust gehabt. So ertranken etwa zwölf Mann, aber als es anfing zu grauen und der Tag aus den Regenwolken, welche uns die ganze Nacht mit Strömen überschütteten, hervorbrach, waren wir schon diesseits der Arga, und D. Diego Leons Karabiniers und Husaren, als sie am jenseitigen Ufer erschienen, mußten sich mit dem Nachsehen begnügen, da der mittlerweile immer mehr und mehr angeschwollene Fluß die weitere Verfolgung verhinderte. Nach und nach trafen auch unsere zurückgebliebenen Leute ein, und in den nächsten Tagen war das Korps des Merino wieder so ziemlich vollständig. Ich nahm von unserem greisen Anführer bei Lirio Abschied, um mich nach Estella zu begeben, wo ich wieder beim Hauptquartier einrückte und Muße fand, mich von den Beschwerlichkeiten dieses abenteuerlichen Zuges zu erholen.

 

Estella, 21. Oktober

Gestern abends bin ich hereingekommen, reite heute wieder nach Aberin hinaus, habe Speck, Zwiebeln, Kohl, Zucker und Schokolade gekauft, damit wir etwas zu essen haben. Unser Ort sollte gestern überfallen werden, ein infamer Kerl, ein Spion von Miranda, wo die Christinos sind, hatte sich in unser Haus geschlichen und ist in der Küche mit mir vorgestern noch am Feuer gesessen. Da aber das Haus und das ganze Dorf zu stark besetzt waren, so gab man das freundschaftliche Projekt auf. Heute sagte ein Überläufer es aus. Wird der Spion wieder erwischt, so wird er füsiliert. Heute aber wurde ein Volontär (alles dies Volk nennt sich königliche Freiwillige) füsiliert. Er hatte vor einigen Wochen einen Notär ermordet. Der König wollte die Strafe zu Galeeren auf lebenslang vermindern, wenn die Witwe des Gemordeten damit einverstanden sei. Die aber verweigerte ihre Einwilligung, und somit wurde die Strafe heute früh vollzogen. Derlei Exempel sind aber bei dem übergroßen Verfall der Disziplin durchaus notwendig.

Cabrera bedroht Saragossa. Die Urbanos lassen ihre Wut an wehrlosen, des Karlismus verdächtigen Menschen aus und haben deren an zweihundert erschossen. Cabrera wird es ihnen vermutlich mit Interessen vergelten. Der General Bilbao ließ sogar eine Familie losen, um ein Opfer zur Sühnung eines durch abwesende Mitglieder derselben an einem Christino verübten Totschlags zu wählen. Das Los traf ein fünfjähriges Kind, welches auch richtig niedergeschossen ward.

Aus Burgos zog die Nationalgarde, Urbanos, in die nächstliegenden des Karlismus verdächtigen Ortschaften. Die waffenfähige Mannschaft befand sich allerdings unter den königlichen Fahnen, doch fand man noch einige Greise und Knaben, etwa hundert an der Zahl. Man setzte ihnen Boinas auf, führte sie mit klingendem Spiele im Triumph nach der Stadt, und zwei Tage darauf übte sich die Nationalgarde im Feuerexerzitium, indem man diese Unglücklichen auf der Alameda füsilierte. Bei uns haben die Bürgergarden wohl zuweilen eine etwas spießbürgerliche Physiognomie, welche ihnen höchstens einen kleinen unschuldigen Spott zuzieht, obwohl sich dabei manches Ehrenwerte nicht abstreiten läßt, wenn sie auch zuweilen in ihrer äußeren Erscheinung dem wahren Soldaten etwas lächerlich vorkommen. Hier aber sind sie hassenswürdig, und ihre feige Grausamkeit verdient von dem zünftigen Krieger schonungslos im Blute gesühnt zu werden. Krieg hier ist Mord, und Mord ist Krieg. – Espartero entfernte sich wieder von unserer Linie, welches vermutlich auch eine Veränderung unsererseits mit sich bringen dürfte.

Wenn ich zurückkomme, wie wird mir der kleinste Lebensgenuß wert sein! Ich sitze an einer miserablen Öllampe, deren Docht ich in Ermanglung einer Lichtschere mit den Fingern putze. Kaffee habe ich seit vierzehn Tagen nicht gesehen. Tabak habe ich auch nicht mehr, außer Papierzigarren, welche das Volk raucht und an die ich mich endlich gewöhnt habe. Heute habe ich den französischen Roßwärter, den ich genommen hatte, wegen inkorrigiblen Saufens fortgeschickt. Morgen soll ich einen Navarresen von einem Freibataillon bekommen. Mein anderer Assistent, so heißen diese Kerls hier, ist ein begnadigter Mörder. Allein er fürchtet sich sehr vor Jean, der ihm trefflich imponiert. Unter was für Volk man hier lebt, kann man sich nicht vorstellen. Wir sehen, mich inklusive, auch sämtlich aus wie Karl Moors Gefährten auf der Wieden. Heute wurden hundertsiebzehn Gefangene und sieben Offiziere ausgewechselt. Zwei fremde Offiziere, die zum zweitenmal gefangen worden, waren früher erschossen worden. Zum Glück haben wir keine fremden Gefangenen, sonst wären die Repressalien unvermeidlich gewesen. Es erinnert mich dies Verfahren immer an die gewisse Geschichte: »Prügelst du meinen Juden, so prügle ich deinen Juden.« Es scheint, daß wir morgen diese Gegend verlassen und gegen Oñate oder Bilbao marschieren, da auch Espartero dahin abgegangen sein soll. In vier, höchstens sechs Wochen dürften die Operationen für dieses Jahr so ziemlich beendigt sein.

Ich will diesen Brief schließen, damit er in das Paket kommt. Die Kommunikation von hier an die Grenze (zirka zwölf deutsche Meilen) ist nicht schneller als die von Liverpool nach New York.

 

Aberin, am 22. Oktober

Es scheint gewiß, daß der Feind uns hier nicht angreift und daß wir diese Gegend verlassen. Mir ist leid um mein gutes Quartier, wo die Hausleute mich liebgewonnen haben. Daß der Feind seine strategischen Vorteile nicht benützt, er, der überall feste Linien und vortreffliche Positionen inne hat, ist ein Beweis seiner moralischen Schwäche, und nur in derselben läßt sich der Grund suchen, daß bis jetzt wir, die wir kaum einen festen Punkt haben, überall im Rücken und in der Flanke bedroht sind, mit ihm im Gleichgewicht geblieben sind.

Heute herrlicher Tag und deliziöser Abend. Beim General zu Tische. Es heißt, daß die Prinzessin von Beira in Elisondo angekommen sein soll. Ich kann es aber nicht glauben und würde nicht begreifen, wie man ihr zu diesem abenteuerlichen Unternehmen hätte raten können, denn alle Stunden kann ja das Hoflager selbst der größten Gefahr ausgesetzt sein, und wo dem Mann nur das eigene Schwert nützen kann, ist es besser, die Frau in Sicherheit zu wissen. Was hält den Feind ab, eine Pointe nach Durango oder Estella zu machen? Ein Zumalacarreguy an Esparteros Stelle, und wir würden nicht ruhig mit ausgezogenen Stiefeln weder allhier noch in Ellorio sitzen! Es erinnert mich hier alles an den Orient, – Klima, Himmel, Sitten, Tracht, Vegetation, Maulesel und Menschen.

 

Salina in Guypozcoa, 24. Oktober

Auf dem Marsche von Aberin nach Maesta in Alava erhielt ich gestern früh mehrere liebe Briefe aus dem Vaterlande! Die sie mir schrieben, dachten gewiß nicht gestern, daß in den wilden Gegenden am Fuße der Sierra d'Urbanza ein Reiter trabte, diese lieben unentsiegelten Briefe in der Zamarra, und den Augenblick nicht erwarten konnte, wo er sie lesen würde. Endlich machten wir, nachdem wir früh die Gegend von Estella verlassen, die Sierra d'Urbanza rechts lassend, über fünf Stunden marschiert waren, in Acedo halt, und während das neunte und zehnte Bataillon (vortreffliche Truppen mit vielen französischen Offizieren) defilierten und alles sich um etwas Imbiß umsah, las ich diese lieben Schreiben, Briefe, welche mich zurückzauberten an die blühenden Ufer der Donau, wo die Leute das Leben anders zu genießen wissen, als sich gegenseitig den Hals abzuschneiden!

Von unseren Märschen macht man sich keine Idee. Es ist ein wahres Räuberleben. Man weiß eine Stunde vorher nicht, ob und wohin marschiert wird. Es wird geblasen, und eine Stunde darauf zieht man ab hinter dem General, der oft plötzlich eine entgegengesetzte Richtung als die angesagte einschlägt. Man reitet über Berge, gegen welche der Balkan ein sanfter Hügel ist, und es wird mich gar nicht wundern, wenn es mir in Wien einfällt, im Trattnerhof in den vierten Stock hinaufzureiten. Daß die Pferde es aushalten, ist mir rätselhaft. Gepäck kann man gar keines mit sich führen als höchstens ein paar Mantelsäcke. Gestern abend erreichten wir Maesta in der Nähe von Vittoria. Da man einen Überfall des Parteigängers Martin Barrea ( El Mochuelo, die Nachteule, der später so berüchtigte Zurbano) befürchtete, so verbarrikadierte sich jeder in seinem Hause. Dies ist, da jedes Haus an und für sich eine kleine Festung bildet, das beste Vorkehrungsmittel. Wir waren vier Offiziere, Pistolen, Karabiner und Tromblons wurden geladen, und ich warf mich angezogen auf die Streu und träumte. In der Nacht wurden wir durch einige Schüsse alarmiert. Ich sprang auf, da aber die Lampe (von Kerzen ist hier keine Rede) ausgelöscht war, so sprang ich auf lauter Säbeln und Pistolen, die am Boden lagen, herum, welches gefährlicher war als der feindliche Angriff, der sich endlich als ein bloßer Alarm auswies. Mit Tagesanbruch brachen wir auf und verließen diesen gefährlichen Ort. Bei Acedo erreichten wir die Ebene von Vittoria, welches selbst zwei Meilen in der Ebene sich zeigte. Dort wurde im Freien Messe gelesen, dann weitermarschiert. Der Feind machte von Vittoria aus verwunderlicherweise keinen Versuch, uns anzugreifen, obzwar wir nur zwei Schwadronen und zwei Bataillone stark waren.

Bei dieser Gelegenheit bemühte ich mich vergebens, einem mich als Ordonnanz begleitenden Trompeter etwas zu erklären. Er sprach und verstand noch schlechter Spanisch als ich. Endlich brach er in ein »Mordkreuzsackerment« aus! Es fand sich, daß es ein Schmiedgeselle von Landau am Oberrhein war, bei der Fremdenlegion in Afrika engagiert, in Spanien von derselben zu den Karlisten desertiert. Die Freude des armen Burschen, als ich Deutsch mit ihm parlierte, war rührend! Viele Deutsche, Italiener, Piemontesen und Niederländer, auch Korsen und Franzosen dienen in den karlistischen Reihen, namentlich bei den sogenannten kastilianischen Bataillons; desto weniger Polen; diese sind durchgehends den christinischen Fahnen treu geblieben. Unsere Fremdenlegion enthält allerdings manches zuchtlose Gesindel, aber sie sind tapfer und kriegsgeübt, wie vielleicht keine Truppe in Europa es mehr sein könnte. Sie würden aber ohneweiters als lebendige Staffagen zu einem Gemälde von Wallensteins Lager passen. Die Schicksale dieser einzelnen Individuen gäben Stoff zu Bänden von romantischen Novellen! Wir hatten die Kühnheit, noch in der Ebene von Vittoria im Walde zu lagern und abzufüttern, dann marschierten wir beim Kastell Guibarra vorbei, welches die Karlisten innehaben, sahen das jüngst von den Christinos abgebrannte Städtchen, erreichten wieder unsere Berge jenseits der Ebene von Vittoria, marschierten auf der Straße, die von Vittoria nach Irun führt, noch drei Meilen, und betraten abends das sehr freundliche Städtchen Salina auf dieser Straße, wo ich ein gutes Quartier fand und diese Zeilen schreibe.

Ein Pfarrer und Alcalde, welche die Glocken in Acedo läuten ließen, um die Garnison von Vittoria von Marottos Ankunft zu unterrichten, sind füsiliert worden nebst dem Schulmeister. Ein alter Kapuziner verriet den Anschlag. Marotto ließ sich nichts merken, speiste noch beim Alcalde ganz wohlgemut und lud ihn ein, ihn beim Weggehen zu begleiten. Aber als wir kaum aus dem Orte herausritten, erklangen die Glocken, und man sah einige Reitertrupps aus Vittoria herausjagen. Da befahl Marotto dem Pfarrer, den Alcalden und den Schulmeister, welcher geläutet hatte, zum Tode vorzubereiten, und einige Minuten darauf gab er den Befehl, sie arkebusieren zu lassen. Als es sich aber darauf fand, daß der Pfarrer den Schlüssel zum Kirchturm hergegeben hatte, erlitt er dasselbe Schicksal, und die drei Leichname blieben am Wege liegen, wir aber setzten nach diesem traurigen, aber kurzen Aufenthalt unseren Marsch, und zwar sehr beschleunigt, fort.

Ich will morgen ein gutes Pferd kaufen, einen prächtigen Andalusier, kostet aber tausendsechshundert Franken; indessen merke ich, daß ein gutes starkes Pferd und ein guter Säbel hier sehr notwendig sind.

 

Durango, 26. Oktober abends

Definitiv: das Leben eines Faccioso ist ein Hundsleben, wie nur der Pudel Florian es versucht haben kann. Der General ist nach Aspezzia in das königliche Hauptquartier. Dort ist die Prinzessin von Beira, jetzt Königin von Spanien und Navarra, da sie gestern der König geheiratet haben soll, angekommen. Das muß eine tüchtige Frau sein. Man spricht ihr einen sehr wohltätigen Einfluß zu.

Heute früh sechs Uhr verließen wir Salina und zogen über Mondragon und Ellorio wieder nach Durango, wo uns der General morgen einholt. Durango dünkt mir jetzt ein kleines Paris; Wäsche wechseln, abends Kerzen haben sind jetzt paradiesische Genüsse. Ich bin hier in einem sehr schönen Quartier vor der Stadt. Ein hübscher großer Garten mit Spätrosen und grünen Weinreben vor dem Fenster. Ich bin wieder gewaschen, etwas rasiert, blicke zum Fenster hinaus, zu dem schönen besternten Nachthimmel, und lasse die Magnetnadel im Herzen, welche nach Norden zeigt, ungehindert spielen.

Gestern abend empfing ich einen Besuch meines sehr höflichen und gebildeten Hausherrn. In diesem Hause wohnt sonst der König. Die Heirat der Prinzessin von Beira also ist richtig. Gestern abend machte ich in Begleitung ihres Mannes meiner Hausfrau einen Besuch. Die Dame spielte recht hübsch mehrere Sachen, unter andern auch einige Passagen aus »Norma«. Die Familie bewohnte lange Bilbao, wo viele englische Frauen hausen. Übrigens ist die ganze Gegend mit englischen Produkten aller Art überschwemmt. Papier, Tuch, Käse sogar sind englische Fabrikate. Begreiflich, daß es den Insulanern daran liegt, einen Zustand der Dinge zu unterhalten, der es ihnen möglich macht, durch den Verfall der hiesigen Industrie ihre Produkte und Fabrikate um schweres Geld abzusetzen. In diesen Gegenden ist das Volk durchgängig karlistisch. Die reicheren Leute sind viel Christinos, aber meistens geflüchtet und haben ihre Häuser verlassen. Die schönsten Häuser auf der Straße von Salina her stehen leer mit zerschlagenen Fensterscheiben.

Ich weiß nicht, wie lange wir noch hier bleiben, jede Stunde kann zum Aufbruch geblasen werden. Der Feind soll bei Balmaceda, verstärkt durch siebentausend Mann unter Narvaez, angegriffen haben. Vederemo! Wir werden sehen!

 

Balmaceda, 29. Oktober

Ich hatte bei meinem Abmarsch von Durango kaum Zeit, ein paar Zeilen zu schreiben. Vorgestern früh verließen wir Durango, marschierten auf der Landstraße fort bei Bilbao vorbei. Der General sagte mir, ich solle die Forts näher ansehen, welche die Stadt umgeben, jedoch würde ich mir einen Kanonenschuß abholen, welchen die Christinos nie ermangelten, auf die sich nähernden Gruppen oder einzelnen Reiter zu machen. Ich ließ mir natürlicherweise diese Einladung nicht wiederholen, ritt auch in Begleitung des Grafen Boos ganz nahe an die christinischen Posten hin. Wir beguckten die Position, erkannten auch ganz deutlich die Christinos an ihren weißen Pantalons und Fouragiermützen. Meine Ordonnanz machte allerhand unanständige Gestikulationen, welcher Witz bei unseren Vorposten lauten Beifall fand, allein es dauerte lange, bis sie uns mit dem versprochenen Kanonenschuß beehrten, der viele Klafter über unsere Köpfe hinüberging und ein paar hundert Schritte hinter mir einschlug. Wir hielten es aber überflüssig, eine zweite Probe der Schußfertigkeit der Artilleristen der unschuldigen Isabella abzuwarten, trabten wieder heim, und ich gestehe, daß es mir recht lieb war, als wir aus dem Kanonenbereiche heraus waren, über dessen fatale Eigenschaften bloße Wiß- und Schaubegierde mich nicht vollkommen beruhigten. Abends war ich in einem kleinen Orte an der Landstraße bei einem Pfarrer einquartiert, soupierte aber beim General.


Gestern früh mit Tagesanbruch aufgebrochen. Nach zwei Meilen die Landstraße verlassen bei einem verschanzten Orte. Dann über steinige Wege und durch Schluchten fünf Meilen bis Balmaceda marschiert, wo wir abends ankamen. Ein hübsches kleines Städtchen. Es dauerte lange, bis ich ein Quartier fand.

Endlich nahm mich der gütige Generaladjutant des Königs, Graf Los Valles, der sich während meines ganzen Aufenthaltes allhier stets sehr gefällig für mich erwies, auf. Bei ihm fand ich auch Cüstine, der die Königin von Salzburg hergebracht hat. Ich fange an, mich hier einzugewöhnen, habe auch einige recht artige Leute, Oberst Reyna, Bera, O'Donnel u. a. m. gefunden. Ich fand ein gutes Bett, schlief mich gut aus, besah mir diesen Morgen das hiesige Fort und die hier befindlichen Geschütze, sämtlich statt mit Pferden mit Ochsen bespannt. Mit Los Valles und Cüstine speiste ich beim General. – Vom Oberst Reyna heute einen tüchtigen andalusischen Hengst, schwarzbraun, um tausendfünfhundert Franken gekauft; ein tüchtiges Pferd, trefflich geritten, muß aber im Stall mit zwei Eisenketten angebunden werden, so wild ist er, allein stark und fest und im Reiten gehorsam und flink. Er heißt »Mahmud«. – Das Fort ist ein elendes Bergnest mit Erdwällen und für einen geschickten Feind auf einer Erdzunge leicht zugänglich, welcher Angriff auch von beiden Seiten von den umliegenden Höhen unterstützt werden könnte. Doch trotzte diese Feste mehreren Angriffen. – Es mangelt hier an geschickten Ingenieuroffizieren, die Obersten Rahden und Strauß sind die einzigen sachkundigen Offiziere dieser Waffe und werden nur zu wenig berücksichtigt und nicht darnach behandelt, andern ausgezeichneten Individuen dieser Waffe sonderlich Lust zu machen, sich hieher zu begeben, wie es namentlich noch vor kurzem mit dem so tapfern und in jeder Hinsicht ausgezeichneten Oberst Rahden der Fall war, welchem man für eine von einem rohen navarresischen Offizier erlittene subordinationswidrige Beleidigung noch bis jetzt die Genugtuung verweigert, und ihn verhindert, dieselbe, was dem tüchtigen preußischen Degen das liebste wäre, selbst zu nehmen. Desto mehr leistet hier die Artillerie unter der einsichtsvollen und geschickten Leitung der beiden Generale Montenegro. Oberstleutnant Vicomte Barrès, die Herren Laborde, Lalande, La Cour, Coetlagon, der schon anderwärts genannte kühne Oberst Sabathiel, Graf D'Hespenne (der früher bei dem leichten Reiterregimente Kaiser Ferdinand gestanden), sämtlich Franzosen; die Obersten Rahden und Strauß, Oberstleutnant Roth, die Hauptleute Keltsch, von Swiedersky, Linden, durchaus Preußen oder wenigstens Deutsche, – zwei Schweizer, namens Servent, einige Piemontesen, worunter besonders der tapfere Oberst Inchisa zu bemerken, sind die ausgezeichneteren Fremden, welche ich kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Viele haben ihr Blut und Leben der karlistischen Sache geopfert, darunter besonders ein Franzose, Aubry, den seine tollkühne Tapferkeit in die feindlichen Reihen führte, der gefangen und in Villareal de Zumarraga auf Befehl Minas füsiliert wurde, welches Schicksal auch mehrere preußische junge Offiziere erlitten.

Sehr bedauerte ich, nicht mit dem Fürsten Felix Lichnovsky, einem sowohl vor dem Feinde ausgezeichneten Offiziere, als einem im Felde der Literatur bekannten geistreichen Schriftsteller zusammenzutreffen. Es wäre mir eine sehr interessante Erscheinung gewesen, aber leider sollte mir erst später das Vergnügen, ihm zu begegnen, zuteil werden. Nachdem er eine bedeutende Stellung sowohl im Feld- als Hoflager eingenommen, den Rang als Brigadier bekleidet hatte, auch mit dem Großkreuz des militärischen Ferdinandsordens, einer in Spanien ebenso seltenen als rühmlichen Auszeichnung, beteilt worden war, so verließ er kurz vor meiner Ankunft in diplomatischen Sendungen die Provinzen und befand sich während meiner Anwesenheit alldort in Katalonien bei der Heeresabteilung des Grafen d'España Seine in der »Allgemeinen Zeitung« unter der Aufschrift: »Briefe aus Katalonien« gelieferten Aufsätze gehören zu den interessantesten und ansprechendsten Beiträgen über die Charakteristik der transpyrenäischen Zustände.

Während wir heute beim Essen saßen, brachte man einen Arrestanten. Es war der Alkalde eines nahe an Bilbao liegenden Dorfes; er hatte, wie ich später erfuhr, einige christinische Deserteurs, welche bei ihm eingesprochen hatten, ausgeliefert und sie waren in Bilbao füsiliert worden. Da mehrere Wochen keine karlistischen Truppen in der Nähe sich befanden, dünkte er sich sicher; allein die Rache schläft hierzulande nie ein. Als er die ganze Sache schon längst in Vergessenheit geraten wähnte, wurde plötzlich sein Wohnort, trotz der Nähe der christinischen Besatzung von Bilbao, von einer karlistischen Partida überfallen, er aus den Armen seiner Familie gerissen und nunmehr zum General gebracht, um seine Schuld zu büßen. Ich war eben im Begriff, dem letzteren die Bataille von Leipzig zu explizieren und manövrierte mit Brotkrumen und Papierschnitzeln auf dem abgedeckten Eßtische nach Herzenslust; das Salzfaß stellte Wachau, die Salatschüssel Probstheida und eine Wurst die Pleiße vor, als vier wilde Navarresen, von einem zerlumpten alten benarbten Offizier geführt, den blassen, vor Angst schon halbtoten Mann unter den Armen haltend, hereinbrachten. Dieser wollte dem General, der sich ganz ruhig die Zähne stocherte, zu Füßen sinken, wurde aber von seinen Begleitern unsanft zurückgehalten.

Der Offizier trug mit wenigen Worten dem General, der ohnehin schon um die ganze Sache wußte, das Faktum vor. Umsonst winselte der schuldige Alkalde, beteuernd, als Familienvater habe er, die Nähe der christinischen Besatzung berücksichtigend, welche ihm und den Seinigen, wenn er ihren Deserteurs Vorschub geleistet hätte, es sicher über kurz oder lang hätten entgelten lassen, nicht anders handeln können; umsonst flehte er um Erbarmen im Namen seiner Frau und unmündigen Kinder; der General fragte nur mehrere Male ganz kalt: » Usted sey el mismo« (»Sind Sie derselbe, damit kein Irrtum in der Person obwalte«), welches, wie er meinte, hier denn doch von Wichtigkeit sei. – »Ich bin es, ich bin der unglückliche Alkalde,« wimmerte der Mann, »aber bedenken Euer Exzellenz meine Lage, die Nähe der Christinos, die Obliegenheit und Verantwortlichkeit meines Amtes, mein armes Weib, meine Kinder!« Halb lächelnd und immer den Zahnstocher im Munde, sagte Marotto: » Che li manda un confessor« (»Man gebe ihm einen Beichtvater«), und somit wurde der Arrestant wieder bei der Türe hinausgedreht, und wir hörten ihn die Treppen hinabschleppen. Ich gestehe, daß ich der Meinung war, der General habe nur gescherzt, weil seine beinahe lächelnde Miene und seine kaltblütige Ruhe mich durchaus an kein Todesurteil aus seinem Munde schließen lassen konnten. Wir blieben noch geraume Zeit sitzen und ich war mit meiner Relation der Leipziger Schlacht gerade beim Angriff des kaiserlichen Kürassierregimentes unter dem tapfern Feldmarschallleutnant Graf Nostitz, des zweiten Pappenheims, auf die Têten der französischen Kolonnen. Marottos Augen glänzten von Teilnahme. » Adelante Muchachos, avanti Coraçores« »Vorwärts, Jungens, vorwärts, Kürassiere«, murmelte er, immer seinen halbzerkauten Zahnstocher zwischen den Zähnen, als plötzlich das Geknall mehrerer Musketen in dem benachbarten Garten mich in meiner Erzählung unterbrach; ich sprang überrascht vom Sitze auf, Marotto aber drückte mich ungeduldig auf denselben zurück und sagte ganz ruhig: »Was soll's? Man hat soeben den Lumpen erschossen! fahren Sie fort in Ihrer Erzählung, Herr!« Ich gestehe, daß ich dieser Mahnung nur ziemlich langsam nachzukommen vermochte, da ich gänzlich außer alle Fassung gekommen war und betroffen meinen Tischnachbarn und Landsmann, den Grafen Boos, anstarrte, auch erst nach einiger Zeit wieder Worte fand, um des Generals Wunsch zu genügen. Die andern Mitglieder der Gesellschaft waren solche Szenen schon mehr gewohnt, unsereinen affiziert aber ein derlei Vorfall doch immer genug – pour vous couper la parole! um einen in der Rede zu unterbrechen

So grausam ein solches Verfahren auch im ersten Augenblicke scheint, so sehr begreift man leider bei näherer Kenntnis der Sachverhältnisse, daß nur ein solches die notwendige terroristische Wirkung hervorbringt, ohne welche jene der beiden Parteien, welche mildere Maßregeln ergreifen wollte, ohnfehlbar verloren wäre. Die blutigen Repressalien sind eben das traurige Resultat des Bürgerkrieges, wo nur Blut wieder Blut sühnt und endlich wie in der Geschichte von der Henne und vom Ei kein Mensch mehr herausbringt, welche von beiden Parteien zuerst die blutige Mordsaat ausgestreut hat, die hernach üppig wuchernd emporkeimt!

 

29. Oktober

Kirche. Dann unsere Hauswirtin mich besucht. Ein altes Mütterlein, aber rein und nett, erinnerte mich viel an meine liebe gute Mutter, war recht freundlich und lieb mit mir. Habe sie die Stiege hinaufgeführt. Jetzt reiten wir die Linie von Villa Nueva, um das dortige Fort zu rekognoszieren.

 

Abends

Wir kommen von einem Ritte und einer Expedition gegen das Fort von Villa Nueva zurück. Das Ganze beschränkte sich auf eine starke Rekognoszierung, zu welchem Zwecke vier Kompagnien des siebenten und neunten kastilischen Bataillons aus den Linien vorrückten. Wir hatten hiebei Tote und einige Verwundete, worunter ein scharmanter junger französischer Offizier, ich glaube, er heißt Laborde, welcher kaum von zwei erhaltenen Bajonettstichen genesen ist und heute wieder einen dritten erhielt. Da man sein Hemde zerrissen hatte, um ihn zu verbinden, so hatte ich das Vergnügen, ihm mein im Mantelsack vorrätiges anbieten zu dürfen. Nach der Rekognoszierung wußten wir nicht viel mehr als vorher. Mir aber dünkte gleich anfangs, daß der General gut täte, ernsthaft gegen Villa Nueva vorzugehen, und daß energische Maßregeln, die baldige Eröffnung des Wallbruches und dann ein rascher Sturm den erwünschten Erfolg haben könnten, welcher bei jetzigen Zeitumständen, besonders wegen seines moralischen Einflusses von hoher Wichtigkeit sein dürfte. Cüstine geht in das Hoflager zurück. Er nimmt dies Blatt mit.

 

Durango, 31. Oktober

Vorgestern ließ der General einen Spion und gestern einen Volontär, der einen Sergeanten verwundet hatte und zum Feind übergehen wollte, füsilieren. Er stocherte sich die Zähne und sagte ganz kaltblütig: »Gebt ihnen einen Beichtvater«, dann diskurierte er ruhig weiter. Leider sind derlei Exempel hier sehr notwendig, und der General ist das noch aus dem amerikanischen Kriege, in welchem er einmal in einem Vormittag dreihundert Gefangene arkebusieren ließ, gewohnt.

Vorgestern verließ ich Balmaceda mit Depeschen für das königliche Hauptquartier. Will diese Gelegenheit benützen, mich der Königin vorzustellen. Hier versäume ich nichts mehr, da die eintretende schlechte Witterung jede militärische Operation unmöglich macht. Curo Merino und die andern Cabecillas und Guerillasführer sind nach Kastilien oder Aragonien zu Cabrera. Zeit meines Lebens werde ich die erste Raststation in Almerin, einem eine Stunde von Vittoria liegenden Dorfe, nicht vergessen! Unsere Gesellschaft bestand außer mir noch aus dem Hauptmann Servent (von Abkunft ein Schweizer, aber aus einer schon lange vom Vater auf den Sohn in der spanischen Armee dienenden Familie; überhaupt ist dies mit schweizerischen, wallonischen und irländischen Familien in Spanien häufig der Fall, woher so viele solcher Namen in derselben vorkommen, z. B. Servent, O'Donnel, Van der Meer, Van Halen etc. etc.) und einem Kapitän D. Manuel Ibañez, ein alter, erprobter, grauer Guerillero, welcher im Frieden als Contrebandist, im Kriege als Freibeuter figurierte und bei dieser Gelegenheit als mit allen Lokalitäts- und persönlichen Verhältnissen genau bekannt, den Führer mehrerer kleinen Karawanen abgab, welche außer uns dreien noch unsere vier Diener mit ihren Mauleseln in sich faßten. Wir waren den ersten Tag über den Col de Sanz gezogen, früh aufgebrochen, und gelangten des andern Morgens beizeiten in das Tal von Vittoria, durch welches wir etwa eine Meile fortpassieren mußten, um die jenseitigen Höhen zu gewinnen, auf denen der Weg gegen Durango fortzieht. Die ganze Ebene aber befand sich in der Gewalt der Christinos, welche eine starke Garnison in Vittoria hatten, und doch mußten wir, und zwar kaum eine Meile von den Werken dieser Stadt, vorüber. Es war eben Morgen, und die aufgehende Sonne beschien strahlend die herrliche Ebene von Vittoria, dessen Türme, im Morgenglanz vergoldet, vor uns aufstiegen.

Ibañez versicherte uns nun, es sei zu bedenklich, bei hellichtem Tage uns in die Ebene zu begeben, und schlug uns vor, den Tag über in Almerin zu rasten. Wir mußten ihm nachgeben, obzwar ich anfangs nicht wenig Bedenklichkeiten über diese Proposition äußern zu müssen glaubte. Wir ritten also geradeswegs zum Alkalden, wo Ibañez sich ohneweiters mit uns installierte, trotz den Protestationen des unglücklichen Alkalden, welcher uns inständigst bat, ihn und seine Familie (wobei par parenthèse nebenbei gesagt zwei bildhübsche schwarzlockige Señoritas zu berücksichtigen waren) durch unsere Einlagerung nicht zu kompromittieren. Ibañez versicherte ihn, er kenne zu gut seine Ergebenheit für König und Religion, um zu zweifeln, daß er es sich gewiß zur Ehre schätzen werde, durch unsere Beherbergung den Beweis dieser seiner loyalen Gesinnungen an den Tag zu legen. Der Himmel und das Gebet der holden Señoritas, besonders aber die Vorsicht und Verschwiegenheit des geachteten Wirtes selbst, werden uns vor jedem Un- oder vielmehr Überfall schützen, um so mehr, da ein solcher jedenfalls auf Rechnung desselben geschrieben und als Folge eines Verrates angesehen werden müßte. Die Folgen eines solchen Verdachtes könnten allerdings, fügte er bedeutend hinzu, für den betreffenden Herrn Wirt und dessen Familie sehr bedenklich sich gestalten. Er sei also überzeugt, daß dieser und seine werten Angehörigen keine Vorsichtsmaßregel unbeachtet lassen würden, um den Christinos die Anwesenheit seiner lieben Gäste zu verheimlichen und diesen ein paar ungestörte Stunden der Ruhe zu verschaffen. Der Alkalde, der uns vermutlich in seinem Herzen zu allen zehntausend Teufeln wünschte, machte nun gute Miene zum bösen Spiele und traktierte uns, unsere Leute und Pferde, auf das vortrefflichste. Der Pfarrer, welcher mittlerweile auch erschienen war, traf eine sehr sinnreiche Maßregel zu unserer Sicherheit, indem er eine lebendige Telegraphenlinie oder Vorpostenkette ausstellte. Es wurden nämlich ein paar Mädchen, jede mit einem Milchtopf oder Gemüsekorb, auf der Straße nach Vittoria detachiert, mit dem Auftrage, auf gewisse Distanzen stehen zu bleiben und die Straße zu beobachten. Jede hatte ihren Liebhaber, Cortejo, bei sich, welches kein Aufsehen erregen konnte. Sobald die erste, dem Tore von Vittoria zunächst stehende, irgend eine feindliche Abteilung, welche den Weg nach Algar eingeschlagen hätte, ansichtig geworden wäre, hätte der Cortejo den nächsten Posten avisiert, und so wären wir in sehr kurzer Zeit von dem Herannahen der Gefahr in Kenntnis und in die Möglichkeit versetzt worden, ihr noch beizeiten zu entkommen. Demungeachtet war mir nicht wohl zumute, wenn ich die Glocken in Vittoria läuten hörte und bedachte, daß, im Falle wir überfallen würden, dieselben Glocken des andern Tages unser Sterbegeläute ertönen lassen würden. Ich gestehe, daß ich also von der Rast sehr wenig profitierte. Ibañez dagegen, solcher Situationen schon lange gewöhnt, schlief und schnarchte wie ein Dachs. Endlich ward es Abend, und mit eintretender Dunkelheit nahmen wir, ich glaube zur großen Freude unseres Wirtes, Abschied; schlugen uns glücklich über die große Landstraße, knapp an einem christinischen aus Lanciers bestehenden Reiterpiket vorbei, und erreichten noch vor Mitternacht die uns schützenden Gebirge, in welchen Ibañez vortrefflich Bescheid wußte und mit anbrechendem Tag uns glücklich auf die Straße von Durango brachte. Er erzählte, er habe den Alkalden als einen Hauptchristino gekannt, es mir aber, um mich nicht zu beunruhigen, verschwiegen, und eben deswegen mit Sicherheit darauf gerechnet, daß er kein Mittel außeracht lassen würde, uns vor Gefahr zu bewahren, da im entgegengesetzten Falle er von dem karlistischen Pfarrer, der ein wachsames Auge auf ihn gehabt habe, angegeben und früh oder spät seine Treulosigkeit an ihm gesühnt worden wäre, ja vielleicht auch eine bloß aus Fahrlässigkeit herbeigeführte Ursache zum Verdacht genügt hätte, ihn der Rache der unversöhnlichen Karlisten preiszugeben. Ich fand dies alles recht gut, nahm mir aber vor, dem würdigen Manne diesmal zum ersten und zum letzten Male und nicht wieder mit meiner Gegenwart zur Last zu fallen.

 

Durango, 1. November

Gestern hatte ich wieder Gelegenheit, den Säbel zu ziehen. Da mein Weg ganz nahe vor Bilbao und den vorliegenden Werken vorüberführte, so stieg ich eine Anhöhe hinauf, um dieselben besser zu übersehen. Während ich ruhig mit meinem Fernrohr dasitze, laufen etwa zwanzig Urbanos den Berg heran. Ich hatte gerade noch Zeit aufzusitzen, und daß meine Sporen nicht untätig blieben, kannst du mir aufs Wort glauben; doch bald erreichte ich den ersten karlistischen Posten, und jetzt wandte sich das Blatt, wir wurden die Angreifer und brachten glücklich zwei verwundete Urbanos gefangen zurück. Bei Nacht und Regen langte ich in Durango an, legte mich zu Bette, dankte Gott, daß er mich nicht in die Hände dieser Spitzbuben hatte fallen lassen, die, wenn sie mich erwischt, auch erschossen hätten, und wiederholte den Wahlspruch: »Auf Gott vertraut, brav zugehaut.« – Heute verlasse ich mit Baron Los Valles und Cüstine Durango, um meinen Weg in das königliche Hauptquartier fortzusetzen.

 

Königliches Hauptquartier Azcoitia, 2. November

Gestern in Abybar bei dem sehr freundlichen Pfarrer Don Blas übernachtet. Sein Kaplan, ein Franziskanermönch, der auf eine Brèche so gut paßt als in die Sakristei, echter kolossaler Typus des Mönchtums! Früh verließ ich Abybar, kam vormittags hier an, wohne, da die Quartiere hier sehr schwer zu bekommen, mit Cüstine.

 

Abends

Zum ersten Male hier, seit vier Wochen, nicht mehr Faccioso; Zamarra und Pumphosen, Sporen und Leibbinde abgelegt. Bei Don Giuseppe Amora ein Diner gemacht, war sehr mittelmäßig für andere Gastronomen, mir dünkte es aber vortrefflicher als das beste Diner beim ehrenwerten Herrn Muntsch in »der Schwan«. König und Königin meine Aufwartung gemacht. Beide sehr gnädig. Die Umstände des Übergangs der Königin über die Grenze sind höchst romantisch und interessant. Sie und ihr Hoffräulein Dlle. Pylar waren als Bäuerinnen gekleidet, und die Art, wie sie den Verfolgungen der französischen Polizei, welche zwanzigtausend Franken Belohnung auf ihre Gefangennehmung gesetzt hatte, entgangen, ist dramatisch genug. Die weißen Hände des Fräuleins hätten sie in einem Dorfe beinahe verraten.

 

2. November

Heute vor drei Jahren saß ich in der Quarantäne vom Roten Turm. Damals glaubte ich an Auferstehung, jetzt bin ich deren gewiß. Unsterblichkeit der Seele, Fortdauer der Liebe, dieser aus Staub und Asche emporschwebende Phönix ist kein Phantasma, welches der göttliche Sonnenstrahl im leeren Azurblau des Himmels uns vorgaukelt, nein, es ist eine lebende, wirkliche Gestalt, die aus dem ewigen Firmament zuweilen durch den Modernebel, der uns umgibt, herabsteigt, um uns zu trösten über das verlorne Paradies.

Heute früh dem Infanten D. Sebastian meine Aufwartung gemacht. Es ist ein liebenswürdiger, sehr artiger junger Mann. Trotzdem, daß er sich in französischer Sprache etwas schwer ausdrückt, verrät sein Gespräch viele Instruktion und Kenntnisse. Er hat Graf Cüstine, der seine Mutter herüberbrachte, ein Paar sehr hübsche Pistolen geschenkt und ihm einen französischen Brief voll Zartheit und Gefühl geschrieben.

Man könnte hier durch Mildern und Konziliieren viel Gutes wirken. Schade, daß das schöne Wort: Versöhnung in manchen Sprachen nicht übersetzt werden kann! Heute zu Tische mit Don Giuseppe Amora und Don Ramirez, ein liebenswürdiger, hier nunmehr hochgestellter Mann; dann kam der Kanonikus Tristany, ein lieber dicker Herr, der in Generalsuniform einem Kanonikus und als Kanonikus einem Freibeuter gleichsieht. Er ist ein freundlicher Kerl, raucht seine Zigarette, die er in den Fingern wuzelt, wie ein unschuldiger Landpfarrer, ist auch zuweilen ein schnakischer Bursche; wenn er aber mit seinen stechenden Luchsaugen einen anblickt, erinnert man sich, daß er die gefangenen Franzosen lebendig eingraben und, während seine Zigarette brannte, manches Lebenslicht ausblasen ließ. Ich frug ihn, wen man in Katalonien mehr hasse, einen Franzosen oder einen Engländer? Nach langem Nachdenken erwiderte er: »Man bringt gern für eine Unze einen Franzosen um, aber man verzichtet ebenso gern auf diese Unze, wenn man einen Engländer expedieren darf.«

Ein paar andere Cabecillas, Balmaseda, der Pfarrer von Alio, und noch mehrere andere aus Katalonien herübergekommene Guerillasführer saßen auch da, sahen aus wie andere Leute, sind aber doch eine ganz besondere Spezies Raubtiere, mit denen man vorsichtig umgehen muß, will man, à la van Aken van Aken: Löwenbändiger, seinen Kopf in ihren Rachen stecken. Unter ihnen fiel mir besonders die ritterliche, ansehnliche Gestalt des tapfern Balmaseda auf, dessen äußere Erscheinung durchaus nichts von der ihm zugeschriebenen blutgierigen Wildheit verrät. Ein anderer gesellte sich später zu uns, recht elegant, halb militärisch, halb bürgerlich gekleidet, ein schöner Mann, es war der Pfarrer von Alio. Derlei eigentümliche Gestalten treten einem nur hier entgegen. Es lassen sich dieses Land und diese Elemente durchaus nicht aus der Entfernung und mit unseren Begriffen und Worten beurteilen. Diese Leute führen z. B. den Krieg auf ihre eigene Faust und müssen auch ganz unabhängig sein, um ihre Eigentümlichkeit zu bewahren.

 

Azcoitia, 2. November, abends

Kaum hatte ich heute meinen Brief an D. Amora übergeben, als die Nachricht kam, der Feind habe aus seiner Linie von Andoin bei Tolosa einen Ausfall gemacht. Ich ließ gleich satteln und kam in anderthalb Stunden hin, fand zwar noch das Gefecht im Gange, jedoch die Christinos schon im Rückzuge, da sie ihren Zweck, eine kleine Batterie von zwei Geschützen zu zerstören, erreicht hatten. Doch hatten sie siebzehn Tote und mehrere Verwundete und Gefangene verloren, worunter vier Mann einer Kompagnie der englischen Legion, denen um so weniger Pardon gegeben werden konnte, als eben vor wenigen Tagen dreizehn Gefangene von Balmasedas Korps und fünf von unserem Fremdenbataillon durch die Christinos arkebusiert worden sind. Ein Sergeant, ein hübscher, großer Mann, wurde an eine Gartenmauer geführt, »ist ein Ketzer, braucht keinen Beichtvater«, höhnten die Volontärs, der Brite aber hielt die Hand an die Stirn, »da schießt her«, sagte er, ich wandte das Gesicht ab, die Musketen knallten, am Boden lag der Krieger mit zerschmettertem Schädel, Hirn und Blut umher; in einem Nu war er nackt, und ein Volontär prangte im roten Kollet, ein anderer band der nackten Leiche seinen Sandalenriemen um den Fuß, und zog sie zu einem naheliegenden Loche, wo sie eingescharrt wurde. Das Blut und Gehirn lag noch umher, und als ich die Navarresen anhielt, es zu verscharren, meinten sie: »Das sei ein Leckerbissen für die Hunde, die schon kommen würden, es aufzulecken«; als ich aber einen Dollar blicken ließ, holten sie frischen Sand und bestreuten die Blutflecken. Später wurde auf demselben Flecke nahe vor dem Städtchen getanzt. Ich fragte eine muntere, auf dem frischgestampften Sande tanzende niedliche Señorita, ob sie wisse, wozu dieser Estrich gedient habe; »ja wohl,« meinte sie, mit den Fingern schnalzend und ihr Köpfchen zurückneigend, »hier ist füsiliert worden«, ohne durch diese Betrachtung in ihrer Lustigkeit sich im mindesten stören zu lassen!

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Als ich mit General Alzaa den sich zurückziehenden Christinos nachritt, sah ich unter mehreren Toten einen verwundeten christinischen Infanteristen sitzen. Er hatte, wie die meisten christinischen Truppen, auf dem Kopfe eine spitze Lagermütze nach französischer Form und weißes Riemzeug über den Kommißkaput, dessen Schöße er auf dem Unterleibe eingeschlagen mit den Händen hielt, als ob er etwas darin trüge. Es war ein junger, höchstens siebzehnjähriger Bursche, er wimmerte beständig: » O mia madre!« (meine Mutter!); als wir näher kamen, blieb er stehen, und ich bemerkte, daß er die aus dem durch eine Kartätschenkugel aufgeschlitzten Bauche heraushängenden Gedärme mit den Händen zurückhalte. Er klagte über Durst und begehrte zu trinken, ich gab ihm aus meiner Feldflasche etwas Branntwein, mit Wasser gemischt, er dankte und schleppte sich weiter. Der Tod mag wohl recht bald seinem Leiden ein Ende gemacht haben. Sollten jene, die aus Herrschsucht, Ehrgeiz oder Leichtsinn die Bürgerkriege anfachen, nicht solchen Szenen beiwohnen, um, wenn sie ein menschliches Herz in der Brust tragen, ihren Frevel einsehen und bereuen zu lernen! Und diesen Vorwurf müssen sich wohl jene machen, die nach Ferdinands VII. Tode Spanien auf den Weg der Revolution drängten, die alten Sitten und Gesetze stürzten und einer schwachen Frauenhand zumuteten, die Zügel der Regierung zu führen.

Die Karlisten, welche ich heute sah, fochten gut, viel Ungestüm im Angriff, von Ausdauer und Kaltblütigkeit keine Rede. Abends kam ich nach Hause, das Wetter schrecklich, der Regen fällt in Strömen. Ich bin in meiner Stube bei einer Frau, der von einem großen Vermögen nichts übrig geblieben ist als die Augen zum Weinen, und dennoch nicht klagt, sondern mich mit dem Gruße: » Viva el rey« Es lebe der König freundlich empfing und versicherte, sie würde alle ihre Opfer leicht verschmerzen, wenn Altar und Thron siegend verbleibe, todo para el rey y la religion! alles für den König und die Religion! Eine Fensterscheibe, ein Blatt Papier, eine Unschlittkerze sind hier im Lande Luxusartikel!

 

3. November

Heute allein in meinem Zimmer gegessen. An gebratene Hühner, an einen guten Rindsbraten wagt meine Phantasie sich gar nicht zu erinnern und an andere Leckerbissen noch weniger, und meine Wünsche versetzen derlei Phantasmata in die Wundermärchen von Tausendundeine Nacht. Mit Tristany den Nachmittag zugebracht, den Abend bei einer Marquise N…, die zwar hübsche schwarze Augen hat, aber so unverschämt lachte, als ein Offizier von Cabrera, der eben angekommen war, den Tod des Generals Pardiñas bei Maella und die Hinrichtung mehrerer Christinos erzählte, daß sie mir fast garstig vorkömmt.

 

4. November, St. Karlstag

Die Menschen sind und bleiben große Kinder. Auch unter dem Schwerte des Damokles spielen sie. Sie leisten im Falle der Not Verzicht auf alles, nur ihr Vergnügen lassen sie sich nicht rauben! Heute wurde hier ein ordentlicher Hof improvisiert. – Lever. – Hochamt. – Handkuß. Nachmittag: Stiergefecht, baskische Volkstänze und Konzert. Die Königin ist eine stattliche schöne Dame, der König war sehr freundlich.

Heute zwar etwas besseres Wetter, dennoch scheint es mir gewiß, daß, da Espartero uns bis jetzt nicht angegriffen hat, er es diesen Winter schwerlich unternehmen wird. Andererseits kann Marotto mit seinen eben in der Organisation begriffenen geringen Streitkräften, die doch das eigentliche Noyau des Heeres sind, keinen Angriff wagen, ohne die wichtigsten Interessen auf das Spiel zu setzen, somit glaube ich, daß der Winter in jenen Gegenden ziemlich ruhig vorübergehen wird. Ich will deshalb einige Tage mich in der Gegend von Tolosa aufhalten, wo vielleicht einige Vorpostengefechte das ewige Einerlei unterbrechen dürften.

Heute bei Hof brachte ich den Abend mit General Graf Negri, dem Verteidiger von Morella, zu. Er ist ein kleiner, ältlicher Mann mit weißen Haaren. Auch General Urbisando war da, eine hübsche, interessante Physiognomie, blaue Augen, schwarzes Lockenhaar.

 

5. November

Es ist hundekalt. Der Regen fällt in Strömen. Die Fenster sind nur mit Papier verklebt, und man kann sich nur in der Küche wärmen. Mit dem Spanischen geht es passabel. Bin ich aber sicher, daß diesen Winter nichts mehr geschieht, so wandere ich über die Pyrenäen zurück, und sollte ich wie ein Maulwurf mich durch den Schnee durchgraben.

 

Azcoitia, 6. November

Gestern abend war Illumination und Feuerwerk; das Volk tanzte und jubelte bei großen Feuern, in den Straßen Musik und Bewegung, heller Feuerglanz, abwechselnd mit tiefer Finsternis, buntfarbige Dirnen mit ihren langen Haarflechten tanzten mit den Soldaten. Wenn man bedenkt, daß dies alles zwei Stunden vom Feinde geschieht, daß dieselben Frauen vielleicht aus denselben Gassen, wo sie jetzt tanzen, und die in wenigen Stunden zum blutigen Walplatz verwandelt werden könnten, die verstümmelten Körper ihrer Tänzer werden wegtragen dürfen!

Aber das Ganze gewährte ein schönes eigentümliches Nachtstück mit charakteristischen Zügen. Der Hof geht morgen nach Estella. Ich habe mir vom Kriegsminister, Marquis Val de Espina, einen Urlaub nach Tolosa und an die Grenze erbeten. Gestern soll in Balmaceda wieder ein Corregidor vor dem Hause des Generals arkebusiert worden sein, weil er desertierte Christinos ausgeliefert hatte. Sie wurden in Bilbao erschossen, vierundzwanzig Stunden darauf er selbst von den Karlisten. Der General stocherte sich die Zähne und sagte wieder ganz ruhig: » Un confessor.«

Die weißen Boinas (Mützen) haben keinen Pardon zu erwarten. Deswegen tragen sie alle Fremden, welche ohnehin keine Gnade zu erwarten haben. Außerdem besteht ein ausgewähltes Bataillon Guypozcoaner, welche von ihren weißen Mützen Chapelchurís (Weißmützen), im Gegensatz der christinischen Chapelgorrís (Rotmützen) genannt werden; eine Art Freikorps, aus baskischen Überläufern zusammengesetzt und durch ihre Exzesse und Räubereien berüchtigt. Dagegen sind die Chapelchurís (Weißmützen) eine durch Tapferkeit vom Feinde ebenso gefürchtete, als durch ihre Disziplin in Freundesland geschätzte, von Freund und Feind aber hochgeachtete Truppe. Am allermeisten imponierte den Karlisten die algierische Legion, deren wilde Tapferkeit sich gegen die Beduinen erprobt hatte, und die auch kein Quartier Quartier: hier »Pardon« gaben. Sie trieben alles vor sich her, wurden aber von den Christinos schlecht behandelt, desertierten größtenteils, man stellte sie dann einander gegenüber, und sie rieben sich wechselseitig auf; sie bestand durchgehends aus Deutschen, Polen und Piemontesern. Seit dieser Zeit fürchteten die Karlisten keine christinische Truppe. Die christinische Kavallerie jedoch ist tüchtig und tapfer und der unserigen auch an Zahl weit überlegen. Besonders zeichnen sich die Coraçores (Kürassiere) und Grenadiere zu Pferde durch Haltung und Manier aus. Auch haben sie zahlreichere und bessere Artillerieoffiziere. Man behandelt mich jetzt vortrefflich, und ich freue mich auf meine Zurückkunft im nächsten Sommer.

 

 

Bayonne, 15. November

Nicht wenig verwundert wirst du sein, dieses Datum auf meinem Briefe zu finden, und doch ist es richtig, und die Pyrenäen liegen nicht mehr zwischen uns. Aber le bouquet de la fête das Ende der Lustbarkeit war die inhaltreichste Episode meines ganzen abenteuerlichen Zuges.

Ich begehrte im königlichen Hoflager die Erlaubnis, da ich für diesen Winter bei dem Heere von Navarra wenig Tätigkeit vermutete, die Positionen in den Provinzen zu besehen, und falls ich es wünschte, zu Cabreras Heer in Aragon mich zu begeben. Beides wurde mir zugestanden.

Ich verließ Azcoitia in Gesellschaft mehrerer Offiziere, welche nach Aragon und Katalonien zu Cabrera und d'España sich begaben, besichtigte die Positionen von Andoin, wurde der Nichte Zumalacarreguys vorgestellt, kam nach Goyzaeta, nachdem ich in der Nacht mich hart an den christinischen Vorposten vorbeigeschlichen hatte. Der Weg von Andoin nach Goyzaeta führt durch eine wahre Wildnis, man sieht in der Ferne St. Sebastian und Hernani. Als ich längs dem hohen Bergkamm fortritt, bemerkte ich unweit der Straße mehrere große Adler, welche bei meiner Annäherung nur langsam und schwerfällig sich emporhoben, ein paar blieben auch trotz meines Hinzuschreitens sitzen, bis ich dicht auf einige wenige Schritte vor ihnen stand, da flogen sie mit heiserem Gekrächze auf, aber so langsam, als ob Blei in ihren Schwingen läge. Nun erkannte ich auch die Ursache dieses schwerfälligen Fluges. Es lagen nämlich nicht weit abseits im Gebüsche mehrere unbegrabene Leichen, an denen sich das Raubgeflügel satt gemästet hatte. Sie waren nackt, nur die schwarzen Halsbinden und Fußsocken ließen sie als Engländer von der Legion erkennen, da diese Monturstücke, von welchen die Navarresen keinen Gebrauch machen, die einzigen ihnen belassenen waren.

Tags darauf setzten wir unsern Weg gegen Vera fort. Auf einem entgegengesetzten Abhange entdeckte ich zuerst einen sich nahenden Bajonettrechen. Das weiße Riemzeug und die verschiedenen Mützen machten mir die Kolonne sogleich als Christinos kenntlich, bevor noch die ersten Schüsse mit unserer Eskorte vom zweiten Bataillon Guypuzcoa gewechselt waren. An Widerstand war nicht zu denken, wir zogen uns zurück, ich aber rollte mit meinem Pferde, welches auf dem engen Fußsteige, durch die Schüsse wild gemacht, ausglitt, wenigstens hundert Schritte einen Abhang herunter. Daß ich mir nicht die Knochen breiweich zusammenbrach, bleibt mir noch ein Rätsel! Wir lagen, das Pferd und ich, in einem unten fließenden Bache, und das umherstehende dichte Gesträuch machte, daß die oben vorübermarschierenden Christinos uns nicht sehen konnten. Lange blieb ich unbeweglich liegen. Das Pferd raffte sich gleichfalls auf. Ich wagte es eine geraume Zeit nicht, mich zu rühren, aus Furcht, mich den vorüberziehenden Christinos zu verraten. Mein Bein schmerzte mich sehr, aber das frische Wasser des vorüberfließenden Baches, in welchen ich mein wundes Knie tauchte, gewährte mir Linderung. Endlich hörte ich Stimmen, da es aber bereits dunkel war, konnte ich nicht entnehmen, ob sie mir Christinos oder Karlisten verkündeten, und drückte mich tiefer in das Gebüsch, als sie aber sich näherten, hörte ich, daß die Herankommenden baskisch sprachen, welches meinen Besorgnissen ein Ende machte. Es waren richtig Leute von unserer Eskorte, die mich suchten und sehr erfreut waren, mich gefunden zu haben, nicht ohne Mühe mich auf das Pferd setzten und weitergeleiteten. Die Christinos waren mittlerweile gegen Fuentarabia weitermarschiert, und wir kamen spät abends glücklich in Vera an, wo ich meine andern Genossen und auch Jean mit meinem Maulesel fand. Zehnmal befühlte ich meine Gliedmaßen, um mich zu überzeugen, daß sie wirklich noch ganz seien. Alles war in Ordnung, nur mein rechtes Bein und das Knie durch eine starke Kontusion sehr angeschwollen und schmerzhaft. Die übrigen Herren benutzten die finstere Nacht, um die französische Grenze zu gewinnen, nachdem wir uns Glück zu der überstandenen Gefahr gewünscht hatten, die um so größer war, als die meisten von uns Fremde, folglich, falls die Christinos uns erwischt hätten, dem Füsilieren sehr ausgesetzt waren. Ich blieb die Nacht in Vera, erreichte Tags darauf Zugarramurdi, dessen runden Kirchturm ich mit bedeutendem Vergnügen von den Höhen jenseits entdeckte. » Hombre!« »Um Gottes willen!« rief der Pfarrer Don Basilio, als er mich heranklimmen sah und in meiner Facciosotracht kaum erkannte, » hombre!« riefen die Offiziere und Volontarios der Navarresen. Einen Tag blieb ich in Zugarramurdi. Die Muñagorris sind nach Val Carlos gewandert, nur einige treiben sich als Diebsvolk im Gebirge herum, werden aber durch die französischen Gendarmen und karlistischen Grenzsoldaten häufig aufgegriffen. Demungeachtet ist von Val Carlos aus die Kommunikation mit Elisondo und jene von Hernani aus mit Goyzaeta bedroht, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich aber hatte nicht Lust, vierzehn Tage in Zugarramurdi diese Wendung abzuwarten, und entschloß mich, nachdem ich zwei Tage mich dort aufgehalten hatte, es zu versuchen, nach Bayonne zu kommen. Mit bedeutender Anstrengung erreichte ich auch Sarré, und von da kam ich gestern abend in Bayonne an, wo ich bei der Dunkelheit trotz weißer Boina und Zamarra bei Regen und Sturm ohne Aufenthalt das Tor passierte. Ich mußte mich jedoch den Tag darauf melden, habe mich auch entschlossen, für den Winter den Feldzug aufzugeben. Man hat mich nach Bordeaux instradiert, aber aus Rücksicht für meinen beschädigten Fuß gestattet, ein paar Tage hier zu verweilen. Diese Zeit will ich benützen, um meine Pferde, die in Zugarramurdi geblieben sind, entweder dort zu verkaufen oder sie über die Grenze zu bringen und nach und nach meine Facciosophysiognomie abzulegen. Ich bewohne im Hotel de St. Etienne ein schönes Zimmer mit ordentlichen Fenstern, einer Tür, die schließt, einem Spiegel, einer Wanduhr, bekomme täglich ein gutes Diner, sogar Austern, und abends zwei Kerzen. Welche sardanapalische Genüsse! Freilich lebt der Mensch nicht vom Brot allein! – Mein Knie tut mir weh und ist sehr geschwollen. Auch gelüstet es mich gar nicht auszugehen, so behaglich ist mir am Kamin in meiner warmen Stube. Man wollte mich heute noch mit Gewalt von hier wegschicken, in welcher Absicht auch in der Frühe zwei Gendarmen mir einen Besuch abstatteten; allein der Souspräfekt nahm Rücksicht auf meinen kranken Fuß und erlaubte mir, noch zwei Tage länger zu verweilen.

Man muß, wie ich, tagelang in nassen Kleidern und Stiefeln gesteckt sein, um den Hochgenuß zu begreifen, den ich heute früh in meinem trockenen, warmen, breiten Bette fühlte. Man muß von Schokolade, Zwiebeln, Speck, Würsten und Knoblauch gelebt und den Wein aus Bocksschläuchen getrunken haben, um zu wissen, was es heißt, einmal wieder wie andere Menschen essen. Und es gibt noch andere Genüsse, an die man gar nicht denken darf, um sich nicht den Appetit zu verderben.

Abends brauche ich weder Pistolen noch Säbel zum Bett zu stellen, und doch denke ich mit einer Art Sehnsucht an das Leben voll Bewegung und Emotionen zurück; sind auch die Bilder, die es enthielt, mitunter Nachtstücke mit blutroten dunklen Schattierungen, so sind sie doch farbenreich und warm, und nicht matt und wässerig wie die Gestalten, die so häufig in den übrigen Verhältnissen die weiten leeren Räume der Existenz wie Gespenster ohne Leben und Blut ausfüllen!

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