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Erinnerungen aus Algier

Toulon

Wir gehen unter Segel! ich habe Passage erhalten auf der Gabarre » La Lionne«, Kapitän Missiessy. Er führt den Grafen Roger mit seiner Frau, einer Tochter des Generals Guilleminot, nach Konstantinopel, und die Frau des Generals Trézèl nach Morea, soll aber noch vorher Depeschen an den Admiral Duperré mitnehmen, bei welcher Gelegenheit auch ich ab- und übergeben werden kann.

An Bord der »Lionne«

Seeleben! Höchst angenehme und erfreuliche Reisegesellschaft. – Graf Roger ist ein sehr interessanter und liebenswürdiger junger Mann und muß es wohl sein, da man sich es eingesteht, obzwar er die niedlichste, interessanteste Frau hat. – Nebstbei einen herrlichen kleinen Buben, der auf dem Verdeck umhertobt. – Ferners ein zum Generalstabe gehöriger, vielseitig gebildeter, ausgezeichneter Offizier, Oberstleutnant Bourjoli. – Der Kapitän, und darauf kommt beim Seeleben so viel an, wie auf den lieben Herrgott zu Lande, ist ein höchst anständiger, artiger Mann; und so leben wir denn recht zufrieden die paar Tage hindurch, welche die Überfahrt dauern mag.

Auf der Höhe der Balearischen Inseln

Nicht so geschwind; wir haben widrigen Wind, beinahe Sturm. Die Damen und Graf Roger sind krank; der kleine Junge ist einem Matrosen übergeben, der ihn mit der Zärtlichkeit und Sorgsamkeit einer Kindsfrau abwartet. Er hat ihn in einen kegelförmigen Korb gesteckt, der unten breit und unter den Achseln zusammen läuft, da der Junge durchaus nicht vom Verdeck herab will, auf diese Art aber wohl von einer Seite zur andern herumrutscht, jedoch nicht umfallen kann. Ich erwarte mit Sehnsucht besseren Wind.

Im Angesicht der Küste von Afrika

Da ist sie! Das ist die Küste des ersten fremden Weltteils, den ich sehe. Grün und buschig mit kleinen, hellen, weißen Punkten, die gleich viereckigen Grabsteinen glänzen und Wohnungen sein sollen. Ich dachte mir die afrikanische Küste trocken und sandig, nicht grün und bergig. Es ist nicht mit allen Küsten so! Viele denkt man sich blumig und duftend, und findet trockene Einöden, rauhe Klippen hinter der Brandung!

Fortwährender Sturm, besonders die Nacht. Wir wurden unsanft herumgeworfen, – Menschen – Waffen – Flaschen – Gerätschaften aller Art wirbelten im untern Schiffsraum in der Finsternis herum, da die Laterne ausgelöscht war. Ich war froh, als ich meine Stiefel zur Hand kriegte und mich in das Freie auf das Verdeck flüchten konnte.

Wieder Sturm! Die ganze Nacht auf dem Verdeck, – Fieberanfall: erst jetzt erfahren, daß es in diesem Klima höchst unvorsichtig ist, ohne sehr warme Bekleidung sich der Nachtluft auszusetzen. Auch der Augen wegen ist dies sehr abzuraten.


Wir haben jetzt zur Abwechslung vollkommene Windstille und befinden uns kaum eine Viertelmeile von der Küste. Der Kapitän besorgt, falls diese heftigen Windstöße von Nordost sich wiederholen, an die Küste geschleudert zu werden. Wegen des sandigen Grundes ist auch kein sicherer Ankerplatz zu finden. An der Küste aber würde uns von Seite der Einwohner keine freundliche Aufnahme zuteil, und unsere Köpfe würden bald als Trophäen an irgendeinem Torflügel, wie bei uns die ausgestopften oder aufgenagelten Eulen, Fledermäuse und sonstiges Ungeziefer, figurieren. Wir lassen also das Schiff mit zwei Booten vom Lande wegbugsieren. Der Kapitän und die Offiziere sind keineswegs ruhig, verschweigen aber den Damen unsere mißliche Lage, vertrauen dieselbe aber sowohl dem Grafen Roger als mir, und stecken mit sehr beunruhigten Gesichtern beisammen. Ich denke, es wird wohl so arg nicht sein, und von unsern achtzehn Zwölfpfündern läßt sich noch immer ein Wort des Trostes hoffen.

Im Angesicht des Kaps Matifou

Richtig! bei der Nacht wieder so nahe gegen das Ufer getrieben worden, als wir uns während des Tages mühsam fortgerudert hatten. Da sich viele Eingeborne an der Küste zeigten, ließ man zur Vorsorge einige Patronen und Kugeln auf das Verdeck in die Batterien bringen. Als die Damen des Morgens heraufkamen, befrugen sie einen Pilotin (Obermatrosen), wozu diese Gegenstände, welche den wenigen disponiblen Raum sehr beengten, heraufgebracht waren. Der Pilotin war in der Verlegenheit, um sie nicht zu beunruhigen, eine Antwort zu finden. Endlich versicherte er: » qu'il fallait porter les boulets à l'air de temps en temps pour ne pas les laisser moisir« daß man die Kanonenkugeln von Zeit zu Zeit lüften müsse, damit sie nicht schimmelig würden, als wäre von Äpfeln die Rede. Die Damen aber waren mit der Antwort zufrieden, bekümmerten sich nicht mehr um Kugeln und Kartätschenbüchsen und waren den ganzen Tag wohlgemut und guter Dinge.

Im Angesicht von Torre Chica

Gott sei Dank! Heute nacht günstiger Wind gekommen, und diesen Morgen befanden wir uns mitten unter der imposanten Kriegsflotte. – Kaum hatten wir und noch ein anderer zur Armee stoßender Offizier Zeit, unsere Siebensachen zusammenzuraffen. – Der Anblick der Flotte war herrlich. Unser kleines Fahrzeug schwamm wie eine Nußschale unter den großen Ungetümen herum, welche mit ihren Wimpeln und Flaggen die See bedeckten. Ein furchtbarer Sturm, derselbe, der uns in der vorletzten Nacht so nahe der ungastfreundlichen Küste gebracht und hier noch greulicher gewütet, hatte die Flotte dem Untergang nahe gebracht. Am Strande lagen auch viele Kauffahrtei- und Transportschiffe, welche sämtlich mehr oder minder beschädigt waren. Es läßt sich denken, welches Unheil für die ganze Expedition, da zwar die Truppen schon gelandet, sehr vieles aber an Schieß- und Mundbedarf noch nicht ausgeladen war, daraus hätte entstehen können.

Oberstleutnant Bourjoli, der zum Generalstabe gehörte, und ich setzten uns in ein Boot, nachdem wir so schnell und herzlich als möglich von unsern Reisegefährten, Graf Roger und den beiden liebenswürdigen Damen und dem herzigen Kinde Abschied genommen hatten, um den Kapitän an Bord der »Provence«, auf welcher die Admiralsflagge wehte, zu begleiten. Ich schenkte dem freundlichen Roger, dessen angenehmer und geistreicher Unterhaltung ich sehr genußreiche Augenblicke und nützliche Notizen verdankte, noch einen sehr guten Raufdegen, der aber nur in der zivilisierten Welt und nicht gegen die Beduinen von Nutzen sein konnte, drückte ihm die Hand, und beeilte mich, den andern zu folgen. Man scheidet oft nach vierzehn Tagen, welche man zusammen auf dem engen Raum eines Schiffes zugebracht hat, schwerer auseinander als nach vierzehn Jahren gewöhnlicher Verhältnisse, denn rasch entwickelt sich bei dieser beständigen Reibung der Charaktere jede sympathische oder auch antipathische Beziehung.

Wir ruderten schnell auf die »Provence« los. – Admiral Duperré empfing uns eben nicht sehr freundlich. Es ist eine kurze, gedrungene Gestalt und hat die Figur und Manier eines Ebers, hinter welcher sich aber die Schlauheit eines Fuchses verbergen soll. Ob diese soi-disant angeblich seemännischen Fassons, welche ich aber bei sehr tüchtigen Seeleuten, namentlich dem englischen Lord Cochrane, Kapitän Schomburg, auch bei den Admiralen Rigny, Rosamel u. a. durchaus vermißte, zum Metier gehören, bezweifle ich. Es war ehemals auch nicht selten bei den Landarmeen so: weil zuweilen ein roher, unwissender Junker ein tüchtiger Soldat ist und aus einem liederlichen Studenten oft ein glänzender, tapferer Offizier wird, so folgt noch nicht, daß man schon deswegen ein würdiger Kriegsmann sei, weil man roh und unwissend ist, oder Anspruch auf Beförderung habe, weil man ein wüster Gesell und ein Schuldenmacher ist. Es kommt mir so vor, als wolle man die Folge ziehen, daß, weil ein kräftiges, feuriges Pferd zuweilen schlägt und bäumt, jede bissige oder stützige Bestie auch ein gutes Pferd sein müsse. Übrigens ist der Ruf des Admirals Duperré durch einige glänzende Gefechte in den indischen Gewässern begründet, seine Tapferkeit unbestritten, und seine Fähigkeiten sind bekannt. Über seinen Charakter mögen jene entscheiden, welche denselben in den entscheidenden Situationen seiner militärischen und politischen Laufbahn zu beobachten mehr Gelegenheit gehabt haben.


Also die Landung vorüber, und heute wurde, wie uns der Kanonendonner, den wir hörten, ankündigte, eine Schlacht geschlagen, die wir demnach versäumt, doch – il vaut mieux tard que jamais besser spät als gar nicht – nun ans Land!

Brummend erteilte uns Admiral Duperré den Bescheid, uns an das Land setzen zu lassen. Wir nahmen daher vom Kapitän Missiessy Abschied, der uns versprach, unsere Effekten von der »Lionne« nachzusenden, und ein Boot der »Provence« brachte Oberstleutnant Bourjoli, mich und meinen Diener, einen alten Palatinal-Husaren, an das Land, nämlich zu dem Vorgebirge, oder vielmehr der Landzunge von Torre Chica, welche die Franzosen zur Landung benützt und schon an der Kehle tüchtig verschanzt hatten. Mehrere Abteilungen der Marine- und Landtruppen waren innerhalb dieser Verschanzungen gelagert, deren innerer Raum mit zahllosen Fässern, Ballen und Kisten, Wagen, Lafetten, Geschützen und sonstigen Gerätschaften angefüllt war, welche teilweise bereits unter großen, in der Eile errichteten Holzschuppen untergebracht waren. Unter solchen Hangars lagen auch mehrere hundert Verwundete, für welche emsig gesorgt wurde, und denen man in ihren luftigen Spitälern alle erdenkliche Aufmerksamkeit schenkte. – Es war ein bewegtes, farbenreiches Bild, ein Regen, Weben, Tragen, Schieben allerorten, und in jedem Gesichte guter Wille und Eifer, aber auch gespannte Erwartung der Zukunft, welche auf diesem unheimlichen fremden Boden, in dieser abenteuerlichen Situation sich entwickeln werde. Da saßen wir denn am Ufer, bald kam das uns gesendete Boot der »Lionne«, brachte unsere Mantelsäcke und Felleisen und ein Lebewohl vom Kapitän und den übrigen Passagieren der »Lionne«, welche wir auch alsbald unter Segel gehen und in nordöstlicher Richtung sich entfernen sahen.

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Jetzt erst fühlten wir, daß wir dem afrikanischen Boden angehörten! Wir waren in einer neuen, fremden Welt; die rege Spannung, in welcher ich den ganzen Tag gewesen, verließ mich, ein Fieberanfall trat unmittelbar und darauf eine große Ermattung mit unerträglichem Durst ein. Trotz meiner Erschöpfung benutzte ich diese Zeit, um den Generalintendanten Herrn Denniée aufzusuchen, an den ich Empfehlungsbriefe hatte. Dieser liebenswürdige, gebildete Mann empfing mich, trotzdem daß er mit Geschäften überhäuft war, in seinem Zelte auf das gütigste und zuvorkommendste; durch seine Hilfe fand ich auch ein Maultier zu kaufen, auf welches ich mein weniges, notwendiges Gepäcke lud. Das übrige, überflüssige hatte ich sämtlich an die Matrosen der »Lionne« verschenkt. Herr Denniée erfreute mich noch mit ein Paar Flaschen Bordeaux und etwas Obst und kündigte mir an, daß bei der Abendkühle ein Transport von mehreren hundert Mann aus dem Lager ab und dem Heere nachmarschieren, ich also am besten tun würde, mich dieser Abteilung anzuschließen. Ich befolgte auch seinen Rat; meldete mich bei dem Kommandanten, welcher den Transport führte, und marschierte mit demselben nach Sonnenuntergang ab. Der Weg ging durch sandiges Hügelland, wir wateten im Sande bis über die Knöchel und erreichten ziemlich ermüdet, nachdem wir mehreren Wagen mit Verwundeten begegnet hatten, das Schlachtfeld von Hiaouli, welches uns der Anblick toter Menschen und Pferde verriet. Das an jenem Tage, nämlich vorgestern, verlassene und von den Franzosen eroberte Araberlager stand noch auf den Anhöhen, welche die Araber damals besetzt hielten, und wir suchten in den Zelten Obdach und wollten einige Stunden Ruhe uns gönnen. Die Menge Ungeziefer aber, von welchem es in diesem Zelte wimmelte, trieb mich wieder in das Freie, und ich zog vor, mich bei einem benachbarten Wachfeuer niederzulassen. Hier warf ich auch meinen österreichischen Reitermantel von mir, welcher mich für einen Beduinen halten machte und alle Posten und Schildwachen in Aufregung brachte. Mit Tagesanbruch erklangen die Hörner, welche Tagwache bei den französischen Reitern, die bei dem Lager biwakierten, bliesen; auf dieses Zeichen setzten auch wir uns wieder in Marsch, begleitet von einer Schwadron dieser Reiter, welche uns beschützen sollte, statt aber hinter oder neben uns – vor uns marschierte. Trotz der größten Anstrengung konnten wir nicht nachkommen, bald war ein Zwischenraum von mehreren tausend Schritten zwischen uns, und hätten die Araber uns angefallen, so wären wir, da der größte Teil, bestehend aus Ärzten, Rekonvaleszenten, Offizieren und sonstigem Personale, nur mit Seitengewehren bewaffnet, folglich kaum widerstandsfähig war, früher niedergesäbelt gewesen, als die vormarschierende Eskorte uns hätte schützen können. Trotzdem liefen wir wie sinnlos im Sande den Reitern nach. – Nicht weit vom Lager lag der kopflose Leichnam eines Gendarmen, welchen die Beduinen, die sich hinter der Armee herum und zwischen die marschierenden Abteilungen geschlichen und in den Hohlwegen und Gebüschen verborgen hielten, am vorigen Abend geschlachtet hatten. Auf diese Art soll diesen Morgen der junge Leutnant Amocos, Sohn des berühmten Gymnastikers, umgekommen sein.

Nach einem zweistündigen Marsch erreichten wir eine Anhöhe, von welcher wir vor uns das Vorrücken der französischen Armee in zwei Treffen gegen die Anhöhen von Sidi-Kalef erblicken konnten. Nicht weit von uns standen zwei Regimenter, es war die Brigade Montlivault. Ich empfahl mich nun bei dem Offiziere, welcher den Transport geführt hatte, und schloß mich an obbesagte Brigade, deren Chef, der tapfere und ausgezeichnete General Montlivault, früher bei der österreichischen Armee, ich glaube bei den kroatischen Grenzregimentern, gedient hatte. Dieser nahm mich sehr gütig an und teilte mich einer Positionsbatterie zu, welche eben in das Feuer rückte. Unsere Aufgabe, sechs schwere türkische Geschütze zu demontieren, war leicht und nicht sehr gefahrvoll, da die Türken von der Anhöhe herab ihr Geschütz so schlecht richteten, daß sie uns beständig überschossen. Nun gingen unsere Bewegungen, da noch nicht alle Pferde unserer Bespannung ausgeschifft waren, ziemlich langsam; allein der Eifer, die Anstrengung und Geschicklichkeit der Bedienungsmannschaft ersetzte diesen Mißstand um so leichter, als die Türken ihr schweres Schiffgeschütz gar nicht bewegen und es nach einem etwa halbstündigen Feuer zugleich mit den Anhöhen verlassen mußten. Sie sprengten noch eine Art Flattermine, jedoch ganz ohne damit Schaden zu machen, in die Luft und zogen sich gegen Algier zurück, nachdem sie noch auf die en échiquier schachbrettförmig aufgestellten zwei Bataillone des einundzwanzigsten Regiments einen herzhaften Angriff mit Yatagan und Pistolen in der Faust gemacht, wodurch das erste Bataillon auch hart mitgenommen wurde. Mit furchtbarem Allah-Geschrei rückten die Türken, größtenteils Seeleute, in hellen Haufen dicht an die Front des Bataillons vor, welches sie kaltblütig bis auf achtzig Schritte herankommen ließ und ihnen ein volle Ladung auf diese kurze Distanz gab. Allein dies hielt die Türken nicht ab. Sie stürmten unaufhaltsam heran, feuerten à bout portant ganz aus der Nähe ihre Pistolen und Tromblons ab, warfen sich in die Bajonette, und es begann ein Handgemenge, in welchem die kurzen Waffen und die physische Kraft der Muselmänner ihnen einen entschiedenen Vorteil gab. Ich sah von einem Sandhügel dem Angriffe zu; nach der Decharge verhüllte mir der Pulverdampf das Gefecht; als jener sich aber zerteilte, sah ich die Kämpfenden in einen Knäuel verwirrt. Mitten unter den Tschakos (welche, mit weißer Leinwand überzogen, leicht zu erkennen waren) tauchten grüne Turbane und rote Käppchen auf, und die Yatagane und kurzen Säbel der Türken blitzten hoch empor. Nur in der Mitte des Bataillons hielt sich noch ein Häuflein tapferer Soldaten mit undurchbrochenen Reihen und schützte die hochflatternde weiße Fahne und die Person des Obersten, welcher mit größter Kaltblütigkeit fortfuhr zu kommandieren. Doch schon war der wütende Feind nahe daran, Hand an ihn zu legen, und nur wenige Rotten trennten noch die Fahne von den wilden, kühnen Angreifern, als das zweite Bataillon mit gefälltem Bajonette im Sturmschritt heranrückte. Die Türken, durch diesen Angriff stutzig gemacht, sammelten sich rückwärts und wurden, von dem langen und heftigen Kampfe erschöpft und in Unordnung gebracht, bald zurückgedrückt und in die rückwärts liegenden Schluchten zurückgeworfen, und in diesem Defilé von einer verfolgenden reitenden Batterie mit Kartätschen beschossen und fast vernichtet.

Ich kannte einen Offizier dieses Bataillons, Kapitän Trobriant, der mir später erzählte, wie es ihm bei diesem Angriff ergangen war. Er stand am Eck des Karrees und war sehr erstaunt, als nach der gegebenen Decharge er, noch durch das Feuer und den Rauch geblendet, sich plötzlich von einer Riesenfaust am Kragen gefaßt, aus der Front herausgerissen und an den Boden geworfen fühlte; ein kräftiger Fußtritt auf die Brust und ein Hieb über den Kopf, welchen er mit seinem Säbel, dessen Klinge absprang, nur halb auffangen konnte, raubte ihm einen Augenblick die Besinnung. Als er zu sich kam, tobten und mordeten die Türken um ihn und über ihn. Er stellte sich aber tot und blieb regungslos liegen, obzwar man rechts und links von ihm die Köpfe der Gefallenen abschnitt. Endlich hörte er die französischen Trommeln; die Türken eilten zurück, und er stand, zwar zerbläut, blutend und erschöpft, jedoch über die Konservation seines Kopfes sehr erfreut, von dem blutgetränkten Boden auf, um sich den vorrückenden Waffengenossen anzuschließen, hatte aber nebst dem besagten Hieb und mehreren Kontusionen vier Stiche erhalten, welche ihn zwangen, sich an den Verbandort tragen zu lassen. – Nie sah ich so schöne und pittoreske Gestalten als die Leichname, welche in diesem Hohlweg aufgehäuft lagen. Doch machte mir einen widrigen Eindruck der Anblick eines Negers, der neben einer Kanone, die er vermutlich bedient hatte, niedergestreckt lag. Eine Kugel hatte ihm den Hirnschädel weggerissen, und die weiße Gehirnmasse im Kontraste zu dem schwarzen Gesicht gab einen abscheulichen Anblick.

Wir setzten noch bis gegen Abend unsere Verfolgung fort. Endlich erhielt unsere Batterie Befehl, haltzumachen. Vorher kam ein Schwarm Reiter, einen kleinen untersetzten Mann in blauer Uniform mit Federhut und weißer Feldbinde an der Spitze, zu uns herangesprengt. Es war General Bourmont mit seiner Suite. Ich stellte mich ihm vor, er konnte sich nur einen Augenblick aufhalten, sagte mir aber ein paar sehr verbindliche und passende Worte und lud mich abends in sein Hauptquartier. Erschöpft warf ich mich nun neben unserer Batterie nieder, mein Fieber schüttelte mich; bald war es mir, als glühte ich in einer Feueresse, bald fror mich, als säße ich am Nordpol. Ein brennender Durst quälte mich, – und dieser war nicht zu löschen, obzwar die Offiziere der Batterie mir aus ihren Feldflaschen Rum mit Zucker und Wasser vermischt zu trinken gaben. Seit zweimal vierundzwanzig Stunden hatte ich nichts genossen, war die letzten zwanzig Stunden unausgesetzt auf den Beinen! Ich sank erschöpft in das Gras, und obschon die Geschütze noch einige Schüsse auf die sich zurückziehenden weißen Massen der Beduinen machten, schlief ich fest ein. Während des Schlafes verfiel ich in einen sehr starken Schweiß, und als nach etwa zwei Stunden die Batterie in das Lager rückte und man mich erweckte, fühlte ich mich wie neugeboren. Der Fieberanfall war vorüber und ist auch seitdem nicht wiedergekommen. Die heftige Erschütterung der physischen und moralischen Natur hatte vermutlich diese wohltätige Krisis herbeigeführt.

Nun begab ich mich zu einem weißen Hause in der Ebene, welches man mir als das Hauptquartier bezeichnete. Dort fand ich den Obergeneral, welcher mich sehr gütig empfing und vorläufig bei seiner Person zur Dienstleistung bestimmte. Drei seiner Söhne (der vierte ist eben heute an der Spitze seiner Grenadiere verwundet worden und später an der Wunde erlegen, der älteste hat sich seitdem in der Vendée sowohl als in Portugal durch seine Tapferkeit ausgezeichnet), wahre Gentilshommes français französische Edelleute im schönsten Sinne, behandeln mich mit wahrer soldatischer und ritterlicher Zuvorkommenheit. So auch die andern Herren seines Gefolges, Oberst Bartillat, die Herren d'O, Trélan – und andere, die ich teils schon früher kannte, teils kennen lernte. Hier fand ich auch den ausgezeichneten Chef und General, Herzog d'Escars, die Blume der Ritterschaft, – General Berthézène und Damremont, wahre Bilder der Kaisergarde; General Achard, den Helden; den tapferen und ritterlichen Clouet, Poret de Mervan, Hurel, Lahitte, Valagé; die Chefs des Generalstabes: General Désprês und General Tholozé, lauter Namen, welche später mehr oder weniger historische Bedeutung erhielten. Und somit bin ich installiert und gehe einer interessanten Episode meines Lebens und meiner militärischen Existenz entgegen.

Der Grenadier

Der französische Soldat muß auf eigentümliche Weise behandelt werden. Vor allem muß man mit ihm sprechen und auch ihn sprechen lassen. Das strenge Stillschweigen, welches die Disziplin bei den nordischen Heeren gebietet, wäre ihm durchaus unerträglich, und er wäre nicht imstande, seine Zunge unbedingt im Zaume zu halten. Sprechen und mit sich sprechen lassen ist dem Franzosen, wie den Weibern, ein unüberwindliches Bedürfnis. Dagegen muß man aber billig bemerken, daß er auch viel lieber und williger anhört und mit mehr Vertrauen die Worte seines Vorgesetzten aufnimmt und in Betracht zieht, besonders wenn dieselben als Antworten auf seine Fragen angebracht werden, als dies gewöhnlich bei andern Armeen, Deutschen, Engländern oder Slaven, der Fall ist, welche am Ende eines Gesprächs, wenn je ein solches mit einem Vorgesetzten stattfindet, eher in Mißtrauen oder Starrsinn bestärkt als durch die erheblichsten und einfachsten Gründe eines Bessern belehrt worden sind, welches beim Franzosen weit leichter erreicht wird. Nur der Ungar teilt diese Eigenschaft in demselben Grade mit dem Franzosen, und was oft die strengsten Befehle oder Strafen nicht vermögen, wird ein wohlangebrachtes, zutrauliches Wort bewirken.

Ich selbst war in der Lage, dieses Experiment zu machen. Während der Belagerung wurden in den Gärten und entlegenen Fußsteigen viele ermordete Franzosen gefunden, deren Leichen auf gräßliche Weise verstümmelt waren. Der Kopf, mit ausgestochenen Augen und abgeschnittenen Ohren, steckte gewöhnlich auf irgend einem Baumzweig oder lag zwischen den Schenkeln des Körpers; die Zunge war aus dem Munde herausgeschnitten oder -gerissen, – die Finger und Zehen waren an verschiedenen Gelenken abgelöst oder gebrochen, und zwar so, daß es zu vermuten stand, daß diese grausamen Verstümmlungen langsam an dem unglücklichen Schlachtopfer verübt worden waren. Dieser Anblick hatte natürlicherweise die Soldaten zur höchsten Wut gereizt, und sie waren nicht eben zur Milde gegen die Gefangenen geneigt, die man machte, welcher Fall jedoch selten eintrat. Einmal doch brachte man unter der Bedeckung von vier Gendarmen etwa zwölf gefangene Araber, größtenteils verwundet, welche einer Streifpatrouille in die Hände gefallen waren, die gegen das vor Bab el Oued lagernde Kontingent des Beys von Constantine gestreift hatte. Unter diesen Gefangenen befand sich ein Scheich oder vornehmer Araber, welchem eine Musketenkugel das rechte Schienbein zerschmettert hatte. Die Gefangenen lagerten auf einer kleinen Wiese und wurden mit Brot und Wasser gelabt, welche Wohltat bei der großen Hitze und ihrer Erschöpfung ihnen sehr zustatten kam. Mittlerweile bildete sich um sie ein dichter Kreis neugieriger Soldaten, anfangs lediglich, um sie anzugaffen, nach und nach aber ließen einige der Umstehenden Worte von Rache, Wiedervergeltung, übergroßer Milde usw. fallen. Dieses anfänglich dumpfe Murren wurde immer stärker und artete endlich in ein offenes Toben aus. – Wütende Lästerungen wurden gebrüllt, man drohte den Gefangenen mit Fäusten und Stöcken, und der Kreis um dieselben – welchen nur zwei Gendarmen freizuhalten sich bemühten, da die beiden andern sich unvorsichtigerweise entfernt hatten, um Wasser und Brot zu holen – verengte sich immer mehr und mehr. Die Araber stierten teilnahmlos mit stoischem Gleichmut in die tobende, sie bedrohende Masse hinein, und diese starre Gleichgültigkeit vermehrte noch die Ungeduld der so reizbaren, lebhaften Franzosen. Ich stand gleichfalls unter dem Haufen und konnte aus der steigenden Erregung deutlich entnehmen, daß die Gefangenen nunmehr wirklich in positiver Lebensgefahr schwebten und die paar Gendarmen, sobald die erste Tätlichkeit vorgefallen sein und nur einer der Umstehenden sich an einem der Araber vergriffen haben würde, nicht mehr vermocht hätten, dem Sturme Einhalt zu tun. Am bemerklichsten machten sich durch ihre aufregenden Reden ein paar Vivandières (Marketenderinnen), besonders eine ziemlich hübsche, welche, vermutlich durch einen kürzlich erlittenen Verlust erbittert, alles aufbot, die Umstehenden aufzureizen. Besonders adressierte sie ihre Philippika an einen neben ihr stehenden Grenadier vom siebenunddreißigsten Regiment, dessen rote Epauletten und Unteroffiziersborten ihn bemerkbar machten, und welchen sie im vorhinein durch einige Gläschen Branntwein und sehr warme Blicke in eine ziemlich erhitzte Stimmung versetzt hatte. » Comment souffrez-vous que ces monstres, qui ont assassiné et mutilé vos camarades, viennent se goberger à votre barbe! Voyez, comme ils se moquent de vous! Ce sont certainement eux, qui sont venus rôder cette nuit autour du camp, qui ont assassiné la Violette, et le beau Picard du 21me; – et vous êtes là, vous autres, à croiser les mains, et à leur souhaiter bon appétit! Ah, si j'étais homme; – mais vous autres, vous n'avez pas de sang dans les veines, sang de crapaud!« »Wie könnt ihr's leiden, daß diese Ungeheuer, die eure Kameraden umgebracht und verstümmelt haben, kommen, um sich euch ins Gesicht vor euren Augen zu brüsten! Schaut, wie sie sich über euch lustig machen! Sicherlich sind sie heute nacht um das Lager herumgeschlichen und haben Violette und den schönen Picard vom Einundzwanzigsten niedergemacht; – und ihr steht da, ihr, und kreuzt die Arme und wünscht ihnen guten Appetit! Ah, wenn ich ein Mann wäre; – aber ihr, ihr habt ja kein Blut in den Adern, Krötenblut!« – – und damit schoß die leidenschaftliche Provenzalin, denn als solche gab sie ihre Aussprache kund, dunkle Blicke aus ihren schwarzen Augen auf den ohnehin schon von Wut, Wein und Liebe glühenden Grenadier, der schon im Streite mit einem Gendarmen, den er zurückdrängte, drohend die Hand an sein Seitengewehr legte und behauptete, einer der Araber verhöhne ihn mit allerhand unziemlichen Grimassen. » S'il me vexe, je lui prouverai, à ce chien de Bédouin, qu'avec mon briquet je lui coupe le cou tout aussi proprement, qu'il l'entend faire lui-même, le vilain!« »Wenn er mich ärgert, werde ich es ihm schon zeigen, diesem Hund von einem Beduinen, daß ich ihm mit meinem Krautmesser ebenso geschickt den Hals abschneiden kann, wie er selbst es tun möchte, das Scheusal!« – Er war auch nicht wenig geneigt, seine Drohung in Vollzug zu setzen, und drängte, durch die Reden der Vivandière Marketenderin und der andern Umstehenden angefeuert, welche sich gerne ohne direkte Einwirkung das Schauspiel einer derlei blutigen Vergeltung verschafft hätten, den Gendarmen immer weiter zurück.

Ich versuchte es nunmehr, ihn zu besänftigen, und indem ich mich ihm vertraulich näherte und seinen Arm vom Seitengewehre sanft zurückzog, sagte ich: » Voilà ce que vous ne ferez pas!« – » Et pourquoi pas, s'il vous plaît? Et qui m'empêchera? Vous, peut-être, Monsieur l'étranger?« – » Vous êtes Grenadier?« – » Oui, Monsieur.« – » Du 37me?« – » Oui, Monsieur.« – » Et caporal?« – » Oui, Monsieur.« – » Eh bien, je vous dis que vous ne tirerez pas votre arme et que vous ne toucherez pas cet homme que voilà.« – » Et pourquoi pas, mille tonnerres? Pourquoi ne vengerais-je pas mes camarades assassinés, en faisant éternuer ce scélérat pour lui faire passer l'appétit, et en lui faisant rendre du sang pour du sang! Pourquoi ne le ferais-je pas, puisque nos généraux l'oublient?« – » Pourquoi? Parce que jamais je ne croirai qu'un Grenadier français, qu'un caporal du 37me de ligne, sache ou veuille faire le métier de bourreau.« – » Oui, mais eux, ne l'ont-ils pas fait?« – » Comment? Vous, Français, vous terniriez la gloire et l'honneur de votre nation, en vous comparant à ces malheureux, qui ne savent pas ce que c'est que la civilisation? Et vous, Français, vous vous abaisseriez à maltraiter un ennemi désarmé? Vous feriez usage de votre arme contre un malheureux sauvage sans défense? Non, jamais je ne le croirai, à moins de l'avoir vu, et j'espère que je ne le verrai pas pour l'honneur de l'armée française!« »Das werden Sie nicht tun!« – »Und warum nicht, bitte? Und wer wird mich hindern? Sie vielleicht, Herr Fremder?« – »Sie sind Grenadier?« – »Ja.« – »Vom 37.?« – »Ja.« – »Und Korporal?« – »Ja.« – »Nun denn, ich sage Ihnen, Sie werden Ihre Waffe nicht ziehen und diesen Mann dort nicht berühren.« – »Und warum nicht, Himmelkreuzdonnerwetter? Warum sollte ich nicht meine niedergemetzelten Kameraden rächen und diesen Schurken niesen machen, daß ihm der Appetit vergeht, und ihn Blut mit Blut zurückzahlen lassen? Warum sollte ich das nicht, da nun einmal unsere Generale es vergessen?« – »Warum? Weil ich niemals glauben werde, daß ein französischer Grenadier, ein Korporal vom 37. Linienregiment das Handwerk des Henkers versteht oder ausüben will.« – »Ja, aber sie haben's doch auch getan?« – »Was? Sie, ein Franzose, wollen den Ruhm und die Ehre Ihrer Nation beflecken durch einen Vergleich mit diesen Unglücklichen, die nicht einmal wissen, was Zivilisation heißt? Und Sie, ein Franzose, wollen sich so weit erniedrigen, einen entwaffneten Feind zu mißhandeln? Sie wollen Ihre Waffe gegen einen unglücklichen Wilden gebrauchen, der noch dazu wehrlos ist? Nein, nie werde ich das glauben, bevor ich es nicht gesehen habe, und ich hoffe, daß ich es nicht sehen werde, zur Ehre der französischen Armee!« – Verwundert blickte er mich an, steckte den halbgezogenen Säbel wieder ein, sich zur Marketenderin wendend. » Margot, le Monsieur a raison, ils ne sont pas civilisés ces gueux-là et nous, nous sommes Français, c'est autre chose, – je suis Grenadier et ne serai pas bourreau« »Margot, der Herr hat recht, sie sind nicht zivilisiert, diese Lumpe dort, und wir, wir sind Franzosen, das ist etwas anderes, – ich bin Grenadier und will kein Henker sein« – und trotz Trunkenheit und Aufreizung entfernte er sich aus dem Gewühl, welches übrigens auch bald durch die mit Verstärkung heraneilenden Gendarmen zerstreut wurde, wobei ich mir aber schmeichle, durch meine argumenta ad hominem die bedrohten Araber in einem ziemlich gefährlichen Augenblicke nicht wenig geschützt zu haben.

3. Juli

Ich habe heute von einem Offizier des siebenunddreißigsten Regiments einen sehr hübschen Hengst gekauft, welcher bei Hiaouli erbeutet wurde, nebst dem eigentümlichen Sattel und Zeug. Ersterer ist durch einen ganz besonders hohen Sattelkranz sowohl vorne als rückwärts merkwürdig. Man sitzt wie in einem Lehnstuhl oder vielmehr wie in den Kinderstühlen, wo die Kinder weder vorne noch rückwärts herausfallen können. Die Steigbügel sind schaufelartig und die inneren Kanten scharf, das Gebiß äußerst scharf und mit acht Zoll langen Balken. – Während ich dem Verkäufer, in einem gleich neben dem Hauptquartier liegenden Garten auf dem Rasen sitzend, die Goldstücke auszahlte, welche den Preis ausmachten, schlug eine Bombe, kaum zwei Schritte von uns, in den Boden ein, wühlte das Erdreich auf und bedeckte uns beide, Käufer und Verkäufer, mit Sand und Kot, erstickte aber in der Erde. » Elle a failli nous donner reçu et quittance« »Sie hätte uns beinahe Empfangsschein und Zahlungsbestätigung gegeben«, sagte phlegmatisch mein Gläubiger. Ich zählte die Summe vollends auf, er strich sie ein und empfahl sich. Ich aber nahm mir vor, mir einen andern Ort zu meinen Börsenverhandlungen zu wählen. –

Nachtwache

Der sogenannte panische Schreck, nämlich eine moralische Erschütterung, welche uns vor einer nicht einmal recht erkannten Gefahr ergreift, beschleicht oder vielmehr überrascht wohl jeden ein paarmal in seinem Leben. Es ist wie die Wirkung einer Faszination, welche uns verhindert, die Gefahr selbst recht ins Auge zu fassen, und somit uns nicht Zeit läßt, die Mittel, ihr zu entrinnen oder zu begegnen, richtig zu beurteilen. Man kann in diesem Punkte, so wie beim Jähzorn, selbst zu seiner Erziehung beitragen, wenn man sich gewöhnt, bei derlei Ereignissen, bevor man handelt oder spricht, einige Minuten sich ganz passiv zu verhalten. In dieser Beziehung wäre es recht passend, ein mehr oder minder kurzes Stoßgebet sich selbst herzusagen, während dem man Zeit fände, sich zu fassen. Gewöhnlich genügt dann eine kurze Zeit, um uns die Seelenruhe wiederzugeben, welche notwendig ist, um nicht bei einer solchen Gelegenheit, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, durch das, was man tut oder spricht, erst das Übel recht zu vergrößern.

Es scheint aber, daß ich in jener Epoche meines Lebens diesen Teil meiner Edukation noch nicht vollendet hatte, und ich will ehrlich ein paar Gelegenheiten eingestehen, in welchen ich durch meine Übereilung und durch die ungeprüfte Einwirkung meiner Phantasie eine ziemlich lächerliche Figur gespielt habe.

Ich wollte mein vor kurzem gekauftes Pferd etwas in das Freie bringen und zugleich dem Moder- und Pestilenzgeruch der verschiedenen toten Körper, welche in der Umgebung des Hauptquartiers, besonders in den zur Tranchee und zum Fort l'Empereur führenden Hohlwege lagen, auf einige Stunden entrinnen. Ich sattelte demnach mein Pferd und wollte einen Ritt auf unsern äußersten linken Flügel zur Brigade Achard machen und dort den General und einige andere Bekannte besuchen. Der Weg führte durch Weingärten und zwischen Hecken, und man passierte mehrere Schluchten und Ravins. Obzwar ich ziemlich die Gabe habe, mich zu orientieren, so fing ich doch an, mich nicht mehr recht in diese Eng- und Hohlwege zu finden und befrug drei Franzosen, welche bei einer Quelle auf Vorposten standen, um den Weg. Sie schienen mir aber selbst nicht recht im klaren zu sein und versicherten mich, nach einigem Nachsinnen, ich solle noch einige hundert Schritte fortreiten, dann trenne sich der Weg, und ich solle dann rechts, beileibe aber nicht links fortreiten, indem der erstere Pfad mich wahrscheinlich gerade zur Brigade Achard, der zweite aber schnurstracks zu den Beduinen des Beys von Constantine führen müsse, welche keine halbe Meile von hier lagerten. Ich ritt also weiter; allein nach etwa tausend Schritten kam ich zwar an die vorbeschriebene Wegscheidung, nur daß statt zwei – drei Wege hier zusammentrafen. » In medio virtus« »In der Mitte liegt das Gute«, dachte ich, und wählte den mittleren. Aber kaum war ich beiläufig fünfhundert Schritte weiter geritten, als hinter den Hecken ein Schuß fiel und ich zugleich mehrere Reiter mit schwarzem Turban und Burnus um die Ecke des Weges im vollen Laufe auf mich losreiten sah. In der Überzeugung, auf einen feindlichen Hinterhalt gestoßen zu sein, warf ich mein Pferd schnell herum, riß meinen Säbel aus der Scheide und jagte, um den Vorsprung zu benützen, pfeilschnell dem Vorposten zu, die Reiter aber folgten mir mit Windesschnelle und einem, wie mir auffiel, kläglichen Geheul; – ich hatte eben Zeit, dem Vorposten zuzurufen: » aux armes« »Zu den Waffen!«, als sie schon knapp hinter mir waren. Nun bemerkte ich, daß vier zu Pferde, zwei aber auf Mauleseln ritten, keiner aber mich mit einer Waffe bedrohte. Mittlerweile hatten die drei Soldaten ihre Waffen ergriffen und erwarteten im Anschlage die Angreifer. Wer aber malt unser Erstaunen, als diese, welche schon einen Büchsenschuß nahe herangekommen waren und nun Anstalten zu ihrem Empfange bemerkten, mit Schreien und Jammern sich vom Sattel herab auf den Boden warfen, gar kläglich gebärdeten und endlich mit allerhand Friedenszeichen, halb gehend, halb auf der Erde kriechend, sich näherten. Es waren dies nämlich sechs Juden, welche ein nahes Landhaus, wohin sie sich aus der belagerten Stadt geflüchtet hatten, bewohnten. Neuerdings in ihrem Zufluchtsorte durch den Kriegslärm beunruhigt, waren sie im Begriffe, in das Hauptquartier zu reiten, um dort Schutz zu suchen. Von weitem hatten sie einen Reiter, nämlich mich, bemerkt und hatten sich an mich anschließen wollen, waren also bona fide im guten Glauben herangetrabt, aber auf die äußerste Vedette gestoßen, die, durch ihre Anzahl, Kleidung und Eile getäuscht, gleich nach dem » qui vive« »Wer da?« auf sie gefeuert, aber glücklicherweise ins Blaue geschossen hatte. Die Kugel war aber nahe an ihnen vorübergepfiffen, und die armen Teufel eilten um so mehr, mich zu erreichen und sich unter meinen Schutz zu stellen, nicht ahnend, daß sie selbst es waren, welchen ich mit so übergroßer Hast zu entkommen suchte. Das Mißverständnis klärte sich bald auf; sie bestiegen wohlgemut ihre Tiere, und ich geleitete sie bis an das Hauptquartier; höchlich erfreut, daß mich niemand, von sechs Juden gejagt, hatte davonsprengen sehen. Daß ich mein Abenteuer sorgsam verschwieg, läßt sich denken.


Ein ähnlicher Fall ereignete sich später in Algier. Hier war ich es aber nicht allein, sondern eine ganze Gesellschaft, welche an der Mystifikation Anteil nahm. Um diesen Fall aber zu schildern, muß man die damals herrschende Stimmung in Betracht ziehen. So kühn und begeistert nämlich die Franzosen im Angriffe oder in dem Zeitpunkte errungener Vorteile sind, so nachteilig wirkt auf ihre moralische Natur jede erlittene Schlappe. Der Erfolg erzeugt bei ihnen eine Reihe günstiger Ereignisse, aber jede mißlungene Unternehmung äußert sich ebenfalls im quadratischen Verhältnisse durch die Entmutigung, welche sie hervorbringt. Sie sind des Sieges immer gewiß und erreichen ihn sehr oft, eben weil sie nicht daran zweifeln; dagegen sind sie im entgegengesetzten Falle so verwundert, wenn er ihnen nicht zuteil wird, daß die höchste Begeisterung in diesem Falle oft der vollkommensten Entmutigung Platz macht. So waren nach der Affäre von Belida die abenteuerlichsten, grundlosesten Gerüchte sowohl im Heere als im Hauptquartier im Umlauf, und die leicht erregbare Phantasie der Franzosen war dergestalt unter dem Einfluß dieser phantastischen Besorgnisse, daß selbst die abenteuerlichsten Erzählungen Glauben fanden. Man sprach von 40.000 Arabern, welche sich am Kap Matifou gesammelt haben sollten; von einer englischen Flotte, welche heransegle, um die französische zu zerstören; hauptsächlich aber von weit ausgebreiteten Verschwörungen der Mauren und zurückgebliebenen Türken in der Stadt selbst, deren Zweck die Öffnung der Tore, Übergabe der Stadt an die Araber und die allgemeine Niedermetzelung der Franzosen nach dem Muster der Sizilianischen Vesper oder der Bartholomäusnacht sein sollte. Man beschäftigte sich an einem schwülen Nachmittage in der Cassoba viel mit diesen Gerüchten, einige Tief- und Vielwisser vom Generalstabe oder den Dolmetschern gaben sich die Miene, hierüber mehr zu wissen, als sie wohl eingestehen dürften, und es geschah, wie es bei derlei Gelegenheiten oft der Fall ist, daß einer die Einbildungskraft des andern immer mehr aufregte, so daß am Ende wir alle im Innern mehr oder weniger von der Wahrscheinlichkeit irgendeiner großen Katastrophe überzeugt waren. Wenn man viel von Gespenstern spricht, so glaubt man deren in jeder Ecke zu sehen. Nun ergab es sich, daß ein gewisser Graf Ch…, welcher ein Franzose in portugiesischen Diensten war und durch seinen ritterlichen, aber höchst phantastischen und abenteuerlichen Charakter bekannt war, mir den Antrag machte, mit ihm einen Spaziergang nach dem Hafen zu machen, um die Kühle zu genießen, und dann in seiner Wohnung, beim spanischen Konsul, dessen Haus am Strande lag, über Nacht zu bleiben. Dies war mir eine sehr angenehme Proposition, da wir in der Cassoba dergestalt zusammengepfercht waren, daß man, besonders des Nachts, in den kleinen, durch einige kleine, vergitterte Fenster nur spärlich Luft und Licht empfangenden Kammern oft zu ersticken glaubte. Ich verlangte also von unserm Chef, Oberst Bartillat, die Erlaubnis, die Nacht auszubleiben, und es schien mir, wiewohl ich späterhin von ihm selbst erfuhr, mich geirrt zu haben, daß er mir dieselbe nur nach einigem Zögern erteilte.

Ich begleitete demnach Ch… in die Stadt; es war gerade Markt gehalten worden und mehrere Deputationen waren diesen Nachmittag im Schlosse gewesen; es hatte eine kleine Veränderung der Truppen (Dislokation) in den Kasernen stattgefunden; nebstbei waren wirklich, infolge der vielen nachteiligen Gerüchte, einige Wachposten an den Toren verstärkt worden. Da wir unter dem Einfluß der eben erhaltenen Eindrücke uns befanden, dünkte uns folglich alles in einer ganz ungewöhnlichen Aufregung. Wir machten einen Spaziergang am Meere und unterhielten uns von nichts als den möglichen Angriffen, Aufständen und Komplotten. Als es dunkel wurde, kehrten wir heim und fanden den Herrn des Hauses, der spanischer Konsul war, seinen Sekretär und einen alten Franzosen, der als Brigadier in spanischen Diensten stand und gekommen war, dem Feldzuge als Amateur beizuwohnen, beschäftigt, Schokolade zu trinken und dieselben wenig trostreichen Gegenstände abzuhandeln, wobei sie Mangel an Vorsicht, Leichtsinn und Unbesonnenheit den französischen Behörden zur Last legten und sich nebstbei auf mannigfaltige Beispiele, der alte General aus seinem Kriegsleben, die Spanier in bezug auf ihren mehrjährigen Aufenthalt in Algier, beriefen. Besonders konnten letztere nicht genug von der Tücke, der Schlauheit und Grausamkeit der Mauren und Araber erzählen. Dies alles war nicht geeignet, uns zu beruhigen. Wir saßen also noch spät unter trüben Ahnungen beisammen, als plötzlich des Generals alter Bedienter hereinstürzte, mit der Nachricht: » on bat la générale« (es wird Alarm geschlagen). – Es ist wirklich sonderbar, daß wir sämtlich den Kopf, jeder auf seine Art, verloren. Ch … glücklich, endlich seinen guten Degen zu versuchen, wollte schnurstracks auf die Straße und die Cassoba; der Konsul beschwor uns, zu bleiben und sein Haus nicht zu verlassen; der General und ich eilten mit dem Bedienten, die Ausgänge zu verrammeln; – der Sekretär brachte eilig alle im Hause befindlichen Pistolen und Flinten nebst einem Vorrat von Pulver und Blei herbei, und wir beschäftigten uns vor allem mit der Verfertigung von Patronen und können von Glück sagen, daß wir bei diesem Geschäfte, welches bei offenem Lichte und höchst eilig vorgenommen wurde, der reellen Gefahr, in die Luft zu fliegen, – glücklich entkommen sind.

Ch… ließ sich aber nicht lange halten, mit dem Ausrufe: » s'ils veulent me prendre vif, je me fais sauter!« »Wenn sie mich lebendig fangen wollen, erschieße ich mich!« steckte er etwa fünfzig Patronen in die Brusttasche und eilte auf die Gasse; umsonst stellte ich ihm vor, daß, wenn die Stadt wirklich in Aufruhr sei, er unmöglich durch die langen Gassen bis in die Cassoba gelangen könne und wir vielmehr, da wir uns schon hier befänden, darauf angewiesen wären, uns an Ort und Stelle unsers Lebens zu wehren, – »mein Platz ist bei meinem Feldherrn,« entgegnete er und eilte beim Tore hinaus, welches ich nunmehr mit Hilfe des Sekretärs und zweier spanischen Bedienten mit Fässern und Kisten verrammelte.

Vier ganz harmlosen Kabylen, welche als Taglöhner im Hause verwendet wurden und im Stalle schliefen, banden wir die Hände auf den Rücken und sperrten sie einzeln ein; die armen Teufel, ganz schlaftrunken und verwundert, ließen sich ohne den mindesten Widerstand binden und einsperren. Nun teilten wir uns, »des Überfalls gewärtig«, ein. Die beiden Bedienten bewachten den Hofraum; der alte General und der Konsul die inneren Gemächer, und der Sekretär und ich, alle bis auf die Zähne bewaffnet, besetzten die Terrasse, welche als Dach des Hauses diente, und welche, da man damals in Algier weit bequemer auf den breiten, ebenen Dächern als in den engen, holperigen Straßen fortkommen konnte, – mir der eigentliche Angriffspunkt dünkte. Da kauerten wir denn, die bloßen Degen und ein vorrätiges Gewehr neben uns legend, ein anderes, scharf geladenes in der Hand, die Pistolen im Gürtel, hinter dem Brustgeländer der Terrasse. Ich muß noch lachen, denke ich, mit welcher Beängstigung wir die herrliche laue Nachtluft einatmeten. Es fielen hie und da in der Ferne einzelne Schüsse, dies war aber eben nichts Ungewöhnliches, denn die französischen Vorposten waren, zumal des Nachts, nicht geizig mit ihren Schüssen, und ich erinnere mich, daß ein Chasseur, welcher im Gebüsch nahe vor sich ein Geräusch hörte, ohne weiters darauf losknallte; als man den getroffenen Feind noch im Todeskampfe gar mächtig um sich herumschlagen hörte, eilte man hin und fand ein herrliches Maultier, welches dort gar gemütlich geweidet hatte. Sonst hatten die einzelnen Schüsse mich keineswegs befremdet, jetzt aber, mit meiner erhitzten Phantasie, dünkten sie mir ein heftiges Gefecht zu verkünden.

Auch glaubte ich in den Straßen und naheliegenden Häusern Geheul und Gewinsel, vermutlich von gemordeten Weibern und Kindern, zu hören; als ich aber ganz leise meinem Genossen diese Bemerkung mitteilte, versicherte er mir, dies seien Hunde und Katzen, welche allnächtlich in Algier dieses Wesen trieben. Dagegen glaubte er in der Ferne das Rollen und Knistern von Pelotonfeuer zu hören; bei näherer Beachtung aber erklärte ich ihm, dies sei das Geräusch der Brandung, welches in der Ferne diesen Effekt mache. So beängstigten und beruhigten wir uns gegenseitig, als wir plötzlich auf einer etwa zweihundert Schritte abwärts liegenden Terrasse einen riesengroßen, in seinen Mantel gehüllten Beduinen entdeckten, der uns unbeweglich zu beobachten schien. Wir richteten uns leise empor: »Macht er einen Schritt, so liegt er,« flüsterte ich. – »Beileibe nicht,« sagte der Spanier, »wir müssen unbemerkt bleiben und nur im äußersten Falle schießen.« – Wir warteten also, auf den Knien liegend, die Büchse im Anschlag, etwa eine halbe Stunde. Der Beduine rührte sich nicht. Endlich riß mir die Geduld, ich drückte los, – gleich darauf mein Kamerad, – die Kugeln mußten nahe an ihm vorübergepfiffen haben, er blieb unbeweglich. Wir luden von neuem und warteten noch eine Stunde in drückender Ungewißheit, er wich nicht von seinem Posten! Endlich fing es an zu grauen, und es fiel mir auf, daß der Mantel des Beduinen auf einer Seite weiß wurde, auf der andern dunkel blieb. Auch war seine Größe und Unbeweglichkeit doch ganz ungewöhnlich! Endlich ging die Sonne auf und beleuchtete den blendend weißen Beduinen, welcher nichts als der frisch angestrichene Schornstein des amerikanischen Konsulats war.

Beschämt teilten wir uns gegenseitig unsere zwar beruhigende, aber ziemlich ridiküle Entdeckung mit. Mittlerweile war es ganz Tag geworden, das Pseudo-Geheul des Kindermordes in Bethlehem war verstummt, – auf den frischen blauen Wogen schifften die Ruderboote, welche täglich frühmorgens von der Reede kommen, um Lebensmittel zu kaufen, am Strande vorbei! Alles ruhig und friedlich. Nun stiegen wir zu dem Konsul und dem General und mit beiden in den Hof hinab; wir fanden alle unsere Genossen zwar unter dem Gewehr, aber ziemlich schlaftrunken. Nunmehr öffneten wir vorsichtig das Tor, und der eine Bediente wurde auf Kundschaft geschickt. Er fand in den Straßen alles ruhig, es war durchaus nichts Besonderes vorgefallen, nur am Abend waren wirklich ein paar Kompagnien zur Verstärkung der Torwachen vorbeimarschiert, deren ganz einfachen Trommelschlag der alte Franzose für den Generalmarsch gehalten hatte; im übrigen hatte also unsere eigene Phantasie uns mystifiziert. Ich hatte nunmehr nichts Eiligeres zu tun, als die armen Kabylen ihrer Bande zu entledigen, die, wie es wohl oft zu geschehen pflegt, ebensowenig wußten, warum sie eingesperrt, als warum sie entlassen wurden. Wir deponierten unsere Waffen, schämten uns und frühstückten stillschweigend die treffliche Schokolade, welche uns der Konsul, bevor wir uns trennten, auftischen ließ. Ich empfahl mich nunmehr und stieg in die Cassoba hinauf. Zum Glück wußte niemand, wo ich gewesen, und ich fand die Herren, welche die Nacht die Inspektion hatten, wütend über Ch…, der mitten in der Nacht mit Säbel und Pistolen hereingerumpelt sei, von einem nächtlichen Überfall und allerhand derlei tollem Unsinn geschwatzt und sie alle vom Lager aufgesprengt und in Bewegung gebracht habe, bis sich endlich nach einigen Stunden die Grundlosigkeit seiner Angaben ergeben habe, nichtsdestoweniger aber die ganze Nacht verdorben und schlaflos hingebracht worden sei. – »Sie sind glücklich,« sagte man mir, »daß Sie abwesend waren, und haben vermutlich geschlafen wie eine Ratze oder gewacht wie ein Seliger, – während wir hier von einem tollen Kerl gefoppt wurden!« Ich sagte nichts; – denn wer den Schaden hat, hat auch den Spott, und ohne der beneidenden Zumutung zu widersprechen, legte ich mich auf mein Lager, um so schnell als möglich die schlaflose Nacht gutzumachen.

Der arme Ch… war nämlich, stets in der Meinung, das Hauptquartier von der bevorstehenden Gefahr eiligst in Kenntnis setzen zu müssen, glücklich bis in die Festung gelangt, hatte alles aufgeweckt und in Unordnung gebracht, und war endlich, nachdem er ein paar Stunden sich herumgetrieben hatte, heimgekehrt. Dank sei es aber unsern Vorsichtsmaßregeln, jeder Versuch war mißlungen, in das verrammelte Haus zu dringen und er ging in das nächste Wachzimmer, um dort seine üble Laune zu verschlafen.

Man kann denken, daß wir nie, auch nicht gegeneinander von dieser Nacht und der lächerlichen Situation, in der wir uns befanden, Erwähnung zu machen für geraten fanden.

Der junge Löwe

Als wir in die Cassoba eingezogen, saß ich abends wohlgemut auf einem der Diwane, welche längs einer, zum ehemaligen Harem führenden Galerie angebracht waren, als ich mich an den Beinen gezupft fühlte, – ich blickte hin und glaubte einen großen Kater oder jungen Fleischerhund zu erblicken. Bei näherer Besichtigung ergab es sich, daß es ein ganz junger zahmer Löwe war, welcher dem Dey geschenkt worden und ganz zahm im Palaste herumlief. Das arme Tier war in der Verwirrung vergessen worden, fürchtete sich vor den fremd aussehenden Menschen, und nur der Hunger hatte es aus seinem Versteck getrieben. Ich labte ihn mit Milch und Brot, und in einigen Tagen war er wieder ganz zahm, und wir alle hatten Freude an dem freundlichen, niedlichen, kleinen Löwenprinzen. Eines Morgens aber fand ich ihn blutend und sterbend; er hatte sich in die untern Hofräume gewagt und war von einer Schildwache, welche auf diesen befremdlichen Besuch nicht vorbereitet war, mit dem Bajonett durchstochen worden.

»Sollte das Schicksal mit ihm enden,
So fiel er ehrlich von Soldatenhänden.«

Auch mehrere zahme Strauße fand man in dem Garten des Deys. Diesen armen Vögeln aber erging es schlechter. Ein General, der ihrer habhaft wurde, fand für gut, ihre Federn pour sa petite aimée für seine kleine Geliebte rupfen zu lassen. Ungerupft kommt man nicht leicht aus den Händen eines Eroberers, besonders wenn er sich gerne mit fremden Federn schmückt. Wer keine Federn hat, muß Haare lassen! –

Cassoba, Juli

Ein Maréchal des logis Wachtmeister der Jäger, der von Torre Chica kam, wurde unterwegs von sieben Beduinen angefallen. Sie verfolgten ihn beinahe eine deutsche Meile weit. Obzwar durch einen Schuß in den Schenkel und zwei Hiebe, einen auf den Kopf und einen andern am Arm, verwundet, gelang es ihm, zwei zu töten und zwei andere schwer zu verwunden, wonach endlich die drei übrigen die Verfolgung aufgaben. Der Obergeneral ließ sich diesen tapfern Mann vorstellen, übernahm selbst die von ihm überbrachten Depeschen und versprach ihm das Legionskreuz. Es ist unverzeihlich von der Regierung, daß er nicht das Recht hat, es sogleich zu geben. Derlei Belohnungen sind nur dann recht wirksam, wenn sie im Augenblicke der Tat gegeben werden. –

Gestern abends bei dem Obergeneral zu Tische. Man brachte zuletzt einen uralten Kognak, auf den Besitzungen des Grafen Bourmont in der Bretagne erzeugt. In Ermanglung von Gläsern trank man ihn aus Kaffeeschalen. Der ölige Geschmack ließ nicht die Stärke des hundertjährigen Getränkes bemerken; – ich lobte ihn, – da behaupteten die Söhne des Marschalls, ich sei ein Deutscher und müsse mich auf das Trinken verstehen, der Marschall selbst vereinigte seine Aufmunterungen, und man nötigte mir ein paar solche Tassen auf, jedenfalls mehr als notwendig war. Anfangs machte dies keine Veränderung, allein als ich nach etwa einer Stunde in mein Biwak ging und einige Zigarren geraucht hatte, fühlte ich erst die betäubende Wirkung. Ich eilte, mich auf mein Lager zu werfen, in der Hoffnung, in ein paar Stunden den verdammten Rausch ausgeschlafen zu haben. Allein kaum war ich im ersten Schlafe, so wurde ich geweckt. Es hieß, der Obergeneral wolle die Laufgräben besichtigen. Ich fühlte meinen Kopf noch ganz betäubt, nahm mir aber fest vor, kein Wort zu reden und nie von den Fußstapfen meines Vordermannes abzuweichen. Diesem festen Prinzip und dessen Ausführung hatte ich es zu danken, daß niemand aus der Umgebung meinen Zustand ahnen konnte. Stillschweigend schlich ich, der dritte oder vierte, hinter dem General und konnte hoffen, nach und nach ganz der Wirkung des verdammten Kognaks los zu werden. Nun aber kamen wir in den Erdwerken auf einige Gräben und sonstige schwierige Stellen. Der General, etwas beleibt und kein geübter Kletterer, verlangte einen Führer mit rüstigem Arme und sicherm Tritt; sein Adjutant Trélan, auf den er sich gewöhnlich zu stützen pflegte, war abwesend; ich, unter den Herren vom Generalstabe, welche folgten, allerdings der kräftigste; man sagte dem General: que j'étais chasseur et montagnard daß ich ein Jäger und Bergbewohner sei, folglich ganz zu diesem Behufe tauglich. » Alors je vous demanderai votre bras»Dann bitte ich um Ihren Arm« sagte der General und stützte sich auf meinen Arm, » mais ne me laissez pas tomber« »aber lassen Sie mich nicht stürzen«. Ich habe nie die Kraft meines Willens so erprobt als in diesem Augenblicke! Die Todesangst, als betrunken zu gelten, wirkte so mächtig, daß sie mir meine ganze ruhige Besinnung wiedergab. Über zwei Stunden führte und stützte ich den Feldherrn, – allein, als wir heimkehrten, war ich so erschöpft, daß ich halb ohnmächtig auf mein Lager sank und der ganze Rausch in seiner vollen Kraft wiederkehrte. Glücklicherweise hatte ich jetzt Muße, ihn ungestört auszuschlafen, habe mir diesen Fall aber zur Warnung dienen lassen und konnte jahrelang keinen Tropfen Branntwein auf die Zunge bringen.

Ein Spadassin

Es ist ein bärtiger Franzose hier, der, als ich wegen seiner grünen Uniform ihn für einen Russen ansah, mir ganz pikiert sagte, er bitte mich, ihm keine Injurien zu sagen ( NB. es stand ein russischer Offizier daneben), er sei ein alter Chouan und wolle nichts anderes sein und nicht anders aussehen. Ich antwortete, ich habe nie weder einen alten noch einen neuen Chouan gesehen, wisse also nicht, daß sie so aussähen, einstweilen bliebe ich aber doch dabei, daß er mir wie ein Russe vorgekommen sei.

M…, so hieß er, war ein tapferer Soldat, aber ein ebenso wütender Royalist, als er früher Bonapartist gewesen war. Während der Restauration, wo so viele politische Duelle stattfanden, war er einer der Hauptgladiatoren der Legitimität, nebstbei hatte er die beiden Brüder eines Mädchens, welches er verführt und die ihn deswegen gefordert, nacheinander im Zweikampf erlegt. Dabei hatte er aber beständig die zwei Worte: l'autel et le trône Altar und Thron im Munde, welche schon stereotype Ausdrücke in seiner Rede geworden waren. Wir hatten schon einige Male etwas unsanft uns angelassen; auch diesmal drehte ich ihm den Rücken und wollte geflissentlich jeden Konflikt vermeiden, der nur viel Lärm gemacht und endlich für mich als Fremden immer auf alle Fälle nachteilig gewirkt hätte. Nachmittags ging ich aber zufällig bei seiner Wohnung vorüber und fand ihn eben im Garten beschäftigt, seine Pistolen zu putzen. »Oha!« rief er mir zu, »kommen Sie her und bewundern Sie meine Duellwaffen, – es sind meine Geliebten, und die Sorge ihrer Toilette überlasse ich niemand andern« – es waren auch wirklich schön gearbeitete Pistolen von Lapage, gezogen, und mit Stecher. » Voulez-vous en tâter?« »Wollen Sie sich schlagen?« sagte er. Ich überhörte die herausfordernde Rede; entschlossen, eine deutlichere Mahnung abzuwarten, welche ich mir aber alsdann auch minder glimpflich zu beantworten vornahm. – »Das sind also die in Frankreich üblichen Duellpistolen?« fragte ich. – »Allerdings, und bei Ihnen, schießt man denn da mit Wasserspritzen?« – »Nein, aber dies sind bei uns sogenannte Scheibenpistolen, welche der Gebrauch beim Zweikampf nicht gestattet.« – »Also was für Schlüsselbüchsen nehmt Ihr denn?« – »Gewöhnliche Sattelpistolen.« – »Das ist das beste Mittel, sich nicht zu treffen.« – »Geschieht doch bisweilen,« entgegnete ich ernst. »Auf welche Distanz schießen Sie gewöhnlich?« – »Nun, auf fünfundzwanzig bis dreißig Schritte.« – »So,« sagte ich, »aber mit solchen Pistolen schießen die guten Schützen bei uns auf hundert und mehr Schritte, und der schlechteste wenigstens auf fünfzig.« – »Sie schneiden gewaltig auf!« rief er. – »Ich bin bei uns nur ein sehr mittelmäßiger Schütze, aber wenn Sie erlauben, will ich die Pistolen versuchen.« – »Wir werden das Wunder sehen«, sagte er und lud sie. – Ich wählte mir ein in einiger Entfernung stehendes Bäumchen, und es gelang mir, es in der Mitte zu treffen. – »Sapperment, gut geschossen,« sagte M…, und nachdem er die Distanz abgeschritten hatte, – »sechsundfünfzig Schritte, meiner Treu, gut geschossen.« – Ich nahm die zweite Pistole, und es glückte mir, die zweite Kugel einen Zoll neben die erste zu setzen. – »Vortrefflich, einzig!« rief M… nunmehr in dem freundlichsten Tone. »Sie sind ein Schütze erster Stärke.« – »Strafen Sie mich nicht Lügen, ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich in Deutschland nur ein höchst mittelmäßiger Schütze bin, und ich bitte, mir nicht zu widersprechen; auf alle Fälle entnehmen Sie aber, daß ich nicht Unrecht hatte und nicht aufschnitt, als ich Ihnen sagte, daß man sich auch bei uns bisweilen träfe!« – »Ganz überzeugt, mein bester Freund, vollkommen überzeugt! Famos, vortrefflich! Lassen Sie uns in die Butike (so nannte man eine Art Restaurant, wo die Offiziere gewöhnlich hingingen) wandeln und ein paar Flaschen Champagner trinken« – und von dieser Zeit an waren wir Castor und Pollux! –


Mit einem fremden Obersten befand sich im Hauptquartier ein schlanker, hübscher, blondlockiger, sehr junger Offizier, dessen stille, sanfte Manieren mit dem etwas tollen und lauten Treiben der andern Herren ziemlich kontrastierte. D…, so hieß er, war freundlich und höflich mit jedermann, hielt sich aber ziemlich abgesondert, nur seinem Obersten ging er nicht von der Seite und war unablässig damit beschäftigt, ihm alle Bequemlichkeiten zu verschaffen; wenn er nicht bei ihm sein konnte, zeichnete oder schrieb er für ihn. Trotzdem, daß er wenig mit uns lebte, hatten wir ihn doch alle sehr gern, er übte eine Art Zauber auf uns aus. Im Feuer war er kalt und unerschrocken, dagegen mied er jede Gelegenheit, in das Handgemenge zu kommen, wozu dagegen die französischen jungen Offiziere mit Leidenschaft die Gelegenheit suchten. Bei einem andern würde das alles ziemlich befremdet haben, wenn aber D… seine feinen weißen Hände zeigte, seinen kleinen leichten Degen wies und mit seiner sanften, melodischen Stimme sagte, er könne kein Blut sehen, so fand man es ganz natürlich. D… stand früher als wir alle auf, wusch sich abseits und blieb trotz der großen Hitze stets den ganzen Tag über mit zugeknöpfter Uniform. Wein trank er wenig, Branntwein gar keinen; dagegen war er den ganzen Tag beschäftigt, Orangen auszupressen und Limonade zu machen.

Späterhin begriff ich das eigentliche Verhältnis. D… war nämlich ein Weib, und noch dazu ein sehr hübsches, – die Geliebte des Obersten, die sich entschlossen hatte, in dieser Verkleidung ihn zu begleiten, alle Gefahren und Beschwerden mit ihm zu teilen; voll Standhaftigkeit diese Rolle durchführte, und erst, wie ich später erfuhr, bei ihrer Rückkunft nach Paris, als die augenblickliche Spannung vorüber war, ihn verließ, um einen andern Offizier, dem sie vielleicht in Algier nicht ihre Schuhe zu putzen gegeben hätte, zum Anbeter zu wählen.

Der Strumpf

Unter meinen Bekannten befand sich ein sehr hübscher, junger Offizier, aus Korsika gebürtig. Gebaut wie ein Herkules, mit einem Kopf, der zu dem eines Antinous hätte als Modell dienen können, und braunen Locken, welche jedem Perückenmacher das Wasser in die Zähne locken mußten.

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S…, so hieß er, war aber auch in seiner Garnison als Herzenswürger bekannt und folglich im vollkommenen Selbstbewußtsein seiner Verführungskraft. Einst fand ich ihn in der Abenddämmerung auf unserer Terrasse, welche ziemlich einsam war, beschäftigt, mit einem kleinen Operngucker auf eine andere naheliegende, durch einen ziemlich großen Garten von uns geschiedene Terrasse zu operieren. Er winkte mir, mich zu verbergen, und bald bemerkte ich auch wirklich zwei Frauen, eine Maureskin und eine alte Negerin, welche von drüben herüberblickten. S… vertraute mir an, daß er schon seit mehreren Tagen diese, wie durch das Fernrohr ersichtlich, sehr hübsche Frau bemerkt habe, wie er sich durch beständiges Patrouillieren vor ihrem Hause, bei der einzigen Gelegenheit, wo eine Maureskin sichtbar wird, wenn sie nämlich in das Bad wandelt, bemerkbar gemacht habe und wie sie seitdem, obwohl sie recht gut wisse, daß er sie von der Terrasse unablässig betrachte, dennoch, wenn er allein sei, sich unverschleiert auf der Terrasse aufhalte, auch, so viel er in der Entfernung ausnehmen könne, nach Möglichkeit seine Blicke zu beantworten scheine. Anfangs hielt ich diese Wahrnehmungen für eine, in der etwas gesteigerten Selbstliebe meines Freundes ihren Grund findende optische Täuschung der Eitelkeit, allein bald blieb mir kein Zweifel, daß er bemerkt und verstanden sei. Am Abend des nächsten Tages fanden sich die beiden Frauen wieder auf der Terrasse ein und stellten drei Blumentöpfe auf. Ich brachte dem S… drei ähnliche, die in unserm Korridor standen, und er stellte sie seinerseits auf. Dies war der Anfang der telegraphischen Korrespondenz, deren einzelne Fortschritte ich übergehen will. Genug, es gelang S… endlich, den Badewächter zu bestechen, welcher ihm zuerst mit der Negerin eine Zusammenkunft verschaffte. Diese erzählte ihm ganz einfach, daß ihre Herrin zwar glühend in ihn verliebt sei, allein keine Gelegenheit habe, ihn zu sprechen, da ihr Mann, ein ältlicher, sehr reicher, aber höchst eifersüchtiger Mann aus Belida, der nur auf einige Zeit Geschäfte halber für den Augenblick sein Haus in Algier bewohne, sie streng bewache und sie außer dem Hause keine Bekannten, folglich, außer in das Bad, nie auszukommen Gelegenheit habe. S… bat, versprach, beschwor, und endlich erhielt er eine Bestellung in einem kleinen abgelegenen Judenhause bei Bab el Oued. Mehrere Male traf er mit seiner Geliebten dort zusammen und hatte nichts Eiligeres zu tun, als mir alle Umstände dieser Zusammenkünfte zu erzählen. Er beschrieb sie als ein blasses, schmächtiges, junges Weib mit schwarzen Augen und glühenden Sinnen. Er war zu beschränkt, um den Unterschied einer orientalischen Feuerliebe von einer Pariser bonne fortune Frauengunst zu beurteilen, und fand die Hingebung der jungen Frau, welche für ihn das Leben wagte, beinahe anstößig, besonders, als er ihrer nach und nach überdrüssig ward. Man muß wissen, daß sich in Algier eine große Anzahl leichtfertiger Dirnen befand. Da man natürlicherweise nicht verbieten konnte, sich ihnen zu nähern, dagegen jedes Verfolgen oder Ansprechen auf öffentlicher Straße einer ehrbaren, muselmännischen Frauensperson streng untersagt war, so unterschied man erstere leicht dadurch, daß sie gewöhnlich nach europäischer Sitte sehr zierlich durchwirkte Strümpfe trugen, während eine anständige muselmännische Frau stets den bloßen Fuß in den zierlichen Pantoffel steckt, weil es nach den dortigen Sitten viele Gelegenheiten gibt, wo der Fuß unbekleidet sein soll. Wenn daher Muselmänner und deren Frauen auf der Straße einer Weibsperson mit Strümpfen begegneten, so wichen sie ihr mit Abscheu aus dem Wege. Kumru, so hieß unsere Maureskin, hatte daher, um ohne Aufsehen bis in das entlegene Quartier zu gelangen, derlei Strümpfe angelegt, und man kann denken, welches Opfer ihr Zartgefühl dadurch ihrer Liebe brachte. Demungeachtet fing die Sache schon an, S… etwas lästig zu werden. Allein plötzlich sah er sie nicht mehr, sie erschien weder bei dem gewöhnlichen Stelldichein, weder im Bade, noch auf der Terrasse. – Eines Abends, als wir beide eben auf derselben lauerten, fiel ein Schuß, – die Kugel pfiff über unsere Köpfe. Der Schuß war mutmaßlich aus dem Garten gekommen, wir machten die Anzeige. Des andern Tages begab sich die Polizei hin, fand aber das Tor gesperrt, – als man es erbrach, war das Haus leer, die Bewohner waren abgereist, nur im Garten fand sich ein frisch gegrabener Fleck, wie ein Grab. – Als man es eröffnete, fand man Kumrus Leichnam, durch Gift und Verwesung schon unkenntlich. Der Maure war mit seiner ganzen Dienerschaft nach Belida gezogen, und es gelang nicht, seiner habhaft zu werden; wohl erfuhren wir aber später durch den Badwächter, daß er einst beim Nachhausekommen unvermutet seine Frau überrascht habe, wie sie eben die verhängnisvollen Strümpfe in der Ecke des Diwans verbergen wollte. Er zwang sie, noch denselben Abend das Gift zu nehmen, – wartete den nächsten Abend zu seinem Mordversuch auf S… ab und flüchtete nach dessen Mißlingen aus Algier. Auch die Negerin blieb verschwunden, und es konnte deren Schicksal nicht ausgemittelt werden.

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An Bord der Korvette »Echo«

Es war ein schöner Sommermorgen im Anfang Augusts. – Hell erklang am Ufer das royalistische Nationallied:

» Vive Henri quatre›« »Es lebe Heinrich der Vierte« etc.,

welches die Musikbanden der vom Exerzieren heimkehrenden Regimenter mit Trommeln und Trompeten schmettern ließen. Von der Cassoba herab, auf den Wällen und Batterien, auf den Forts und dem Molo flatterte statt der roten Barbareskenflagge das weiße Panier des allerchristlichsten Königs mit Lilien. – L'Echo, eine schöne Korvette von vierundzwanzig Kanonen, Kapitän Graebe, zog dieselbe Flagge auf und lichtete bei einem erfrischenden Morgenwind die Anker, aus seinen Kanonen Hafen und Forts salutierend. Einige verhallende dumpfe Schläge und die aus den Schießscharten hervorleuchtenden Blitze und Rauchwolken gaben dankbare Antwort und waren der Abschiedsgruß, welchen uns die afrikanische Küste zurief. Wir hatten sie hier vor einigen Monaten in neugieriger Erwartung betreten; freudig kehrten wir nach Europa zurück, froh der gemachten Erfahrungen, in freudiger Bangigkeit unsere zurückgelassenen Lieben wiederzufinden. Die Gesellschaft bestand, außer dem Kapitän Graebe und seinen Seeoffizieren, aus dem Obersten Bartillat, welcher beauftragt war, mit dem ältesten der Söhne des Marschalls Grafen Bourmont die eroberten Fahnen und Trophäen in Paris zu den Füßen des Thrones zu legen; nebst diesen beiden Herren befanden sich noch einige jüngere Offiziere und ein gewisser Hauptmann Gauthier, welche gleichfalls nach Frankreich zurückkehrten, an Bord. Der Kapitän Graebe war ein langer, hagerer Mann, voll Würde und Anstand, höflich, aber ziemlich trocken, welcher die Feinheit und Manieren eines Edelmannes mit dem Ernste des Soldaten vereinigte, übrigens voll Bildung und Kenntnisse, welche noch durch vielfache und interessante Erfahrungen gereift waren. Nach den ersten Tagen – wir mußten nämlich einige Transportschiffe bis an die Meerenge von Gibraltar begleiten – waren wir alle heimisch auf dem Schiffe, und der Kapitän wußte den Ton, den er unter seinen Offizieren gang und gäbe gemacht hatte, auch auf die Passagiere auszudehnen. So angenehm sein Umgang auch war, so hielt er dennoch viel auf Disziplin und gewisse Gebräuche. So z. B. stand ich bei ihm sehr in Gnaden, demungeachtet gestattete er mir nie auf dem Verdeck zu rauchen. » Venez-vous promener avec moi sur l'arrière« »Gehen Sie mit mir auf dem Hinterdeck spazieren«, sagte er, wenn ich rauchend neben dem Mittelmast, wo es erlaubt ist, stand, – » quand vous aurez fini votre cigarre« »wenn Sie Ihre Zigarette zu Ende geraucht haben«. Kapitän Gauthier, eine Art riesenmäßiger Fierabras, mit rohen und gemeinen Sitten, war ihm allein zuwider, und er hielt ihn mit bewunderungswertem Takt stets in einer respektvollen Entfernung. Wir andern jungen Leute sahen mit Freuden dem Ziel unserer Reise entgegen, uns schon im vorhinein von den Festen und Vergnügungen unterhaltend, welche wir in Paris zu finden vermeinten und bei welchen wir als afrikanische Triumphatoren eine sehr interessante Rolle zu spielen hofften. Allein das Wetter schien unsere Wünsche nicht zu begünstigen, und wir wurden durch heftige Windstöße auf dem Rückwege von Gibraltar hin- und hergetrieben.

So saßen wir denn an einem trüben Nachmittag auf dem Verdeck und blickten auf die schäumende See hinaus. Ich beobachtete mit dem Fernrohre ein in beträchtlicher Entfernung segelndes Schiff, und es schien mir die ehmalige französische dreifarbige Flagge zu führen. Doch verhinderte mich der Abendnebel, länger es zu beobachten, und bald war das Schiff in der dunklen Ferne verschwunden. Ich teilte meine Bemerkung dem Kapitän mit, der aber glaubte, es sei eine holländische Flagge gewesen Die holländische Flagge ist dreifarbig, wie die französische, nur liegen die Streifen bei ihr horizontal, während sie bei der französischen vertikal laufen, deren Ähnlichkeit mich getäuscht haben könnte. Des andern Tages abends begegneten wir in der Nähe der Balearischen Inseln abermals ein Schiff, es war die Gabarre » la Lamproie«, von Toulon nach Algier segelnd. Wir zogen unsere Flagge auf, wer malt aber das allgemeine Erstaunen, als diesmal unverkennbar die drei ehemaligen französischen Nationalfarben uns entgegenwehten. Alles stürzte an den Backbord, drängte sich an die Brustwehr, kletterte trotz Disziplinarverbot auf die Kanonen und in das Takelwerk, um sich zu überzeugen, daß diese unerwartete Erscheinung kein Traum sei. Der Kapitän stieg auf den banc de quart auf die Kommandobrücke, sein Sprachrohr in der Hand, – er gebot Stille, sein Gebot ward pünktlich befolgt.

Jeder lauschte auf das bevorstehende Gespräch zwischen den beiden Kommandanten. Es konnte nur wenige Minuten währen und nur wenige Worte enthalten, und doch mußte deren Inhalt so hochwichtig für jeden der Passagiere sein. Die See ging hoch, nur das Knarren des Takelwerks und das Geräusch der an den Backbord hoch anschlagenden Wellen unterbrach das Schweigen.

Man hatte das Schiff durch ein gewisses Manöver in seinem Lauf gehemmt. Die »Lamproie« kam endlich näher, auch ihren Kommandanten konnte man, obzwar es schon zu dunkeln anfing, deutlich mit dem Sprachrohr auf seinem Quarterdeck ausnehmen. Folgende Worte wurden nun gewechselt, deren jedes in den Ohren und in der Brust der ganzen Bemannung widerhallte: » D'où venez-vous?« – » De Toulon.« – » Où allez-vous?« – » A Alger.« – » Pourquoi avez-vous pavillon tricolore?« – » Le gouvernement a changé; le Duc d'Orléans est Lieutenant-Général de la république, le pavillon tricolore est à présent le drapeau national!« »Woher kommen Sie?« – »Von Toulon.« – »Wohin fahren Sie?« – »Nach Algier.« – »Warum haben Sie die Trikolore gehißt?« – »Die Regierung hat gewechselt; der Herzog von Orleans ist Generalleutnant der Republik, die Trikolore ist jetzt die Nationalflagge!« –

Und ein heftiger Windstoß trieb die beiden Schiffe auseinander! Die »Lamproie« verschwand in Dunkel und Nebel. –

Der Kommandant befahl Ruhe, ließ die Mannschaft zum Befehl verlesen und berief seine Offiziere in seine Kajüte zum Konseil, wie auch den Oberst Bartillat und den jungen Bourmont. Auch mir erwies er die Ehre, mich dazu einzuladen. Als wir versammelt waren, hielt er uns folgende Rede, die mir bewies, daß bei Leuten seiner Art, die sich selbst zu raten wissen, der sogenannte Rat eine beruhigende, aber leere Formalität bleibt:

»Meine Herren! Obzwar ich vielleicht manche übrigens ehrenwerte Sympathie verletze, so gestehe ich, daß der Anblick der dreifarbenen Fahne mich fast zu Tränen gerührt hat. Ich bin ein Kind der Revolution, ein Soldat des Kaiserreichs, und diese drei Farben waren meine Wiege und der Thronhimmel, unter welchem meine Jugendträume ihre Apotheose feierten. Allein meine persönliche Neigung hat hierbei nichts zu bestimmen. Eben weil ich Soldat aus der alten, echten Kriegsschule bin, so kenne ich meine Pflicht, und diese ist, die Flagge, die mir übergeben worden, bis zum letzten Atemzuge zu verteidigen. Ich habe dieses Schiff unter weißer Flagge übernommen und werde es lebend nur unter weißer Flagge übergeben, bis ich mich überzeugt habe, daß diese Flagge nicht mehr die meines Vaterlandes ist. In diesem, meinem Entschlusse wird mich niemand wankend machen. Wir segeln nunmehr nach Toulon, wo wir unter weißer Flagge anlangen werden und wo sich alsdann das weitere entscheiden wird, wem ich mein Schiff zu übergeben habe. Von der Wahrheit und Festigkeit dieser meiner Willensmeinung werden Sie, meine Herren, hoffentlich überzeugt sein, so wie von meinem festen Entschluß, lieber meine Zigarre hier hinunterzuwerfen (hiermit klopfte er mit dem Fuße auf die unter dem Konseiltisch angebrachte Falltüre der Pulverkammer), als mein Schiff einer andern Autorität, als welcher es zusteht, zu übergeben oder mir eine andere Flagge aufdringen zu lassen.«

Somit hatten wir unsern Bescheid; nur einer der Offiziere machte den Kapitän aufmerksam, daß es doch den Umständen angemessen wäre, der Mannschaft einige Worte zu sagen. Der Kapitän befahl daher, sie auf dem Deck antreten zu lassen, legte seine Uniform mit Epauletten an, nur hatte er ganz sachte in seinem Gürtel zwei Doppelpistolen angebracht. Bald war er auf dem Verdeck, wo schon die kräftigen, gedrungenen, blaubehemdeten und strohbehuteten Mitglieder der untern Kammer in permanenter Sitzung aufgestellt waren. Der Kapitän sprach sie als seine Kinder an, welche seit Jahren gelernt hätten, ihn als ihren Führer und Leiter auf der Bahn der Ehre anzusehen, daß er sich schmeichle, ihr Vertrauen verdient zu haben und zu besitzen – dann wiederholte er ihnen die in der Pairskammer, so nenne ich das Konseil, gehaltenen Worte, betonte insbesondere das letzte Mittel, verbat sich bis zur Ankunft in Toulon alles unnütze Gerede über diesen Gegenstand und löste die Beratung mit dem einfachen Mandat: »Halb rechts, marsch!« auf.

Es blieb auch alles ganz ruhig, obzwar bei einem jeden von uns die innere Aufregung nicht zu verkennen war.

Nur der Kapitän Gauthier, gerade er, der sich am meisten der Wohltaten und Gnaden des Herzogs von Berry zu erfreuen gehabt hatte, erschien des andern Tages auf dem Deck mit einer, sein bonnet de police seine Dienstmütze verzierenden tellergroßen dreifarbigen Kokarde, sich geflissentlich ganz nahe vor den Kapitän, welcher eben spazieren ging, hinstellend. Dieser, obschon er nicht drei Schritte von ihm stand, rief den Inspektionsoffizier und befahl ihm mit lauter Stimme, dem Passagier Kapitän Gauthier zu befehlen, eine fremde, auf dem Schiffe nicht gestattete Kokarde sogleich abzulegen. Der riesige Gauthier wollte vortreten und wollte mit seiner rauhen Baßstimme allerhand Einwendungen machen. Der Kapitän aber sagte ihm ganz kalt, er habe mit ihm nichts zu sprechen, sondern gebe seine Befehle seinen Offizieren, welche wissen würden, sie vollziehen zu machen. Nun tobte Gauthier noch mehr, sprach von kleinen Tyrannen, denen er schon den Kopf zurecht setzen werde – da rief Graebe wieder ganz kaltblütig den Offizier und sagte: »Sagen Sie dem Kapitän Gauthier, daß, wenn er nicht Ruhe hält, Sie ihn binden lassen würden, und erinnern Sie ihn, daß, wenn er sich gegen mich vergißt, ich gezwungen sein würde, von meinem Recht, ihm als Meuterer ohneweiters eine Kugel vor den Kopf zu geben, Gebrauch zu machen.« Das wirkte. Gauthier stieg brummend hinab, steckte seine große Kokarde in die Tasche, murmelte zwar mancherlei davon, sobald er an das Land kommen würde, dem Muskadin seinen Text zu lesen. Ich bin ihm aber seither in Marseille und Toulon begegnet, und mir schien, es sei seine Wut so ziemlich ausgeraucht und er habe auch zu Lande gegen den kalten und entschlossenen Kapitän die Sentenz des Geistes im »Caspar der Thorringer«: »Friede ist besser« für heilsamer und den Umständen angemessener befunden.

Toulon

Wir sind also in der Reede von Toulon angelangt. Es war eine eigene Empfindung, eine wohltuende, als ich von weitem den blauen Streif am Horizont wahrnehmen konnte, der die europäische Küste andeutete, als man die fernen Umrisse der Berge erkannte, als endlich die Forts, die Bastiden, die weißen Häuser und die grünen Gärten sichtbar wurden. Am Abend lagen wir vor Anker. Ein Boot brachte Depeschen von der Admiralität. Infolge derselben ist die weiße Flagge, mit der wir angekommen sind und die ich also wohl zum letzten Male wehen sah, gestrichen und an ihrer Stelle eine aus einer holländischen Flagge improvisierte dreifarbige aufgezogen worden.

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Es war ein lichter, feuchter Herbstabend, vom Ufer hallten die Klänge der Marseillaise herüber, und von den Forts wehten die drei Farben! Vor wenig Wochen hatte ich an einem heitern Sommermorgen Afrika bei dem Klang von Henri quatre unter der weißen Oriflamme verlassen!

Toulon, am Bord des »Echo«

Wir sind in Quarantäne. Ich bin krank und sehr leidend. Der Kapitän pflegt mich wie ein Bruder. Die andern Herren wurden in dem Lazarett von Marseille abgesetzt, allein Graebe setzte es durch, daß ich als Marineoffizier qualifiziert wurde und die Erlaubnis erhielt, wenigstens die Hälfte der Quarantäne an Bord zuzubringen.

Toulon, am Bord des Spitalschiffes »Scipion«

Die Korvette mußte eiligst nach Mahon absegeln. Ich wurde also mittlerweile als Kranker am Bord des als Spitalschiff dienenden Linienschiffes » le Scipion« untergebracht. Mit inniger Rührung nahm ich vom wackern Kapitän und vom Schiffarzt Reusse, der mich mit mehr als ärztlicher Sorgfalt pflegte, Abschied. Weder der Schiffarzt noch die Matrosen, die mich gepflegt hatten, wollten irgendeine Belohnung an Geld annehmen, und es gelang mir nur mit Mühe, ihnen einige kleine Andenken aufzudringen: »Wir wollen nicht, daß Sie in Ihrer Heimat erzählen können, daß Franzosen sich die Dienste, welche sie Fremden leisten, die sich durch die Feuertaufe als ihre Landsleute nationalisieren, mit Geld bezahlen lassen.«

Ich kann diese edle Gesinnung nicht besser anerkennen, als wenn ich gestehe, daß ich einen Nationalzug darin erkannte, dem ich wo anders zu begegnen kaum hoffen dürfte.

Am Bord des »Scipion«. Acht Tage später.

Wir sind über dreihundert Kranke und Verwundete am Bord. Ich habe am Ende der untern, zum Krankensaal transformierten Batterie eine kleine Extrakabine, welche aber nur durch einen dünnen Verschlag getrennt ist – wenn man ihn zur Seite schiebt, bieten sich meinem Auge die langen Reihen der mit armen Leidenden besetzten Hängematten auf beiden Seiten der Batterie entgegen, welche durch die offenen Schießscharten Licht und Luft empfängt. Bei der Nacht, welche ich leider schlaflos zubringe, ist dies ein trauriger, dumpfer Aufenthalt. Die Schießlöcher sind fast sämtlich verschlossen, nur einige dumpfe Hornlampen erleuchten diese Seufzergalerie, in welcher das Gewinsel, das Jammern und Fluchen der Leidenden, das Röcheln der Sterbenden Dantes Höllenséjour versinnlicht. Alle Nacht sterben einige, und man hört oft die sonderbarsten Gespräche. » Je me sens devenir tout froid, mes jambes s'engourdissent, je vais avaler ma gaffe! – Tais-toi donc, tu ne me fais pas l'effet de siffler l'air du bouton de rose! – Mais c'est que c'est vexant tout de même de mourir comme cela, quand j'allais reçevoir mes trois mille francs de remplaçant faire danser les écus et les filles de Toulon!«

» Ah ça, voulez-vous bien vous taire«, rief endlich eine rauhe Stimme des Contremaître. » On meurt, on ne meurt pas, c'est à volonté, mais on ne fait pas de bruit, c'est en contrevention de la discipline, et la discipline avant tout!« »Ich fühle, wie ich ganz kalt werde, meine Beine erstarren, ich werde meinen Bootshaken verschlucken! – Sei doch still, du scheinst mir nicht gerade die Melodie von der Rosenknospe zu pfeifen! – Aber es ist gleichwohl ärgerlich so zu sterben, da ich gerade meine dreitausend Franken als Ersatzmann bekommen sollte und die Taler und die Mädchen von Toulon hätte tanzen lassen können!« – »Nun hört, wollt ihr wohl schweigen«, rief endlich eine rauhe Stimme des Bootsmannes. »Man stirbt oder man stirbt nicht, ganz nach Belieben, aber man macht keinen Lärm, das ist gegen die Disziplin, und die Disziplin vor allem!«

Froh bin ich, wenn der Morgen herankommt; da schlafe ich wohl ein paar Stündlein; dann kommen aber als wahre ägyptische Plage die Millionen Fliegen, welche mir das Gesicht bedecken und kein gezuckertes Glas Wasser unbedeckt an den Mund führen lassen, ohne zahllose Saphos zu liefern, welche in den versüßten Fluten ihre Leiden enden wollen. Abends tragen mich zwei gutmütige Matrosen auf das Verdeck, wo ich auch meine Pfeife rauchen darf und mich an der milden Luft und der blauen mit zahllosen Booten bedeckten See und dem herrlichen Panorama, welches die Küste gewährt, ergötze.

Am Vorderdeck führt mich wohl mein Weg an unheimlichen, weißen, länglichen Leinwandballen vorüber. Es sind die Kadaver der in der Nacht Gestorbenen, welche in ihre Hängematte eingenäht und mit einer Kanonenkugel beschwert abends in die See versenkt werden. Der Gedanke, nächstens auch dabei zu figurieren, fern von meinem Vaterlande und meinen Lieben, welche nicht einmal mein Grab besuchen würden, vergessen in der Flut, ist ein Gedanke, der mich in den langen Nächten oft wie ein Alp drückt. – Mit wahrer inniger Beruhigung erwarte ich den Morgen, wo Licht und Luft die bösen Gedanken verscheuchen. – Auch hier werde ich mit Zuvorkommenheit und Güte gepflegt. Werde auch diese Gastfreundlichkeit, welche ich in Frankreich genoß, nicht vergessen. Man muß das Elend kennen, um die Dankbarkeit zu lernen.

Lazarett von Toulon

Endlich hier im Lazarett untergebracht. – Abends liege ich und blicke aus meinem Käfig auf die herrliche See hinaus, über welche der blaue Südhimmel sich wölbt. Laue balsamische Düfte weht der Abendwind in mein Gemach, und so vergeht der Tag mit seiner Hitze, bis die Sterne draußen aufsteigen und in mir die Erinnerungen und beide sich widerspiegeln in der klaren Flut der See und der Seele. Und so vergeht wieder die Nacht, bis morgens auf der See und am Ufer alles sich regt und webt, die Morgenröte vergoldet das herrliche Bild, zahllose Boote, welche von den Schiffen kommen oder ihnen zueilen, beleben das Bild, die gesunde, kräftige, rüstige Bevölkerung der Küste, tüchtige Matrosen mit ihren blauen Hemden und Strohhüten, halbnackte Fischer und Lastträger mit braunen, nervigen Armen, hochaufgeschürzte Mädchen mit Fischkörben oder Gemüseballen treiben sich untereinander – bis endlich die Sonne emporsteigt, die freilich die vier kahlen Wände meines honetten Gefängnisses und meine äußere und innere Misere beleuchtet. Aber da kommt meistens ein wohltätiger Schlaf und läßt mich die Hitze des Tages und die Trockenheit der Vernunft vergessen, bis der milde Abend mir Duft, Luft, Sterne, Träume und Schäume wiederbringt.

Ich habe Reis und zuweilen ein Huhn dazu, Orangen und Weintrauben in Fülle, also beständig Überfluß an vortrefflicher Limonade. Auch einen Vorrat an Schokolade, Zigarren, türkischem Tabak, lebe also vortrefflich.

Drei Bücher besitze ich. Das Evangelium, Körners »Leyer und Schwert« und Béranger, welchen mir der Schiffarzt Reusse schenkte. Letztere zwei Nationaldichter zu vergleichen, ist höchst interessant. »Das Gebet vor der Schlacht« und » Le dieu des bonnes gens« »Der Gott der braven Leute« – das Schwertlied und der » Vieux Sergeant« »Der alte Korporal«; die » Vivandière« »Die Marketenderin« und »Das Volk steht auf« sind ursprüngliche Charakterlaute zweier merkwürdiger Nationalitäten. Aber freilich ist Béranger volkstümlicher – alle Klassen, alle Provinzen Frankreichs singen ihn, denn er ist nicht allein erhebend, er ist unterhaltend, beißend –, er ist Franzose! – Unsern edlen Körner haben ja unsere Salonmenschen verachtet, unsere Spießbürger vergessen, und lebte sein Lied nicht in einigen wackern Soldaten- oder Studentenherzen, klänge es nicht zuweilen beim Kommers oder in der Kaserne aus ein paar jugendlichen mit Gerstensaft angefeuchteten Kehlen, wahrlich die Leier wäre zerbrochen, wie das Schwert begraben. Wo Tee getrunken wird, singt man französische Romanzen oder italienische Arien. – Aber in Frankreich, da trinken sie Champagner oder hellen roten Blutwein, und der ist ein zuträglicher Tau für Bérangers Lied, in welchem ich übrigens, zwischen leichtem Geklingel, zuweilen großartige ergreifende Töne zu entnehmen vermeine. Allerdings muß man, um sich mit ihm zu verstehen, sich etwas mit der französischen Nationalität verschmelzen, wie das mit mir in dieser letzten Zeit der Fall ist.

Toulon

Die Quarantäne ist überstanden; ich bin aus dem Lazarett entlassen und habe ein kleines Quartier in der Stadt bezogen. Kapitän Graebe Ich habe ihn nach Jahren wieder in der Levante als Linienschiffskapitän begegnet. Der gute Reusse begleitete ihn auch damals. ist auch in der Stadt. Er lebt mit seiner liebenswürdigen jungen Frau auf einer kleinen Bastide (Landhaus) in der Nähe der Stadt. Er besucht mich fleißig und hat auch mich in sein stilles, gemütliches Familienleben eingeführt. Schon während meines Aufenthaltes im Lazarett bewies er mir seine fortdauernde Aufmerksamkeit durch häufige Besuche, welche seine Frau durch gütige Sendungen von Konfitüren, Früchten und Blumen vermehrte. Es ist eine wohltuende Empfindung, wenn man so kräftige, entschiedene Charaktere in ihrem einfachen gemütlichen Stilleben betrachtet. Es ist wie eine schöne Frau, die im einfachen Negligé noch reizender aussieht. Desto ekelhafter und zurückstoßender sind in diesem Zustande die häßlichen im schmutzigen Morgenanzug.

Einst stand ich mit Graebe auf dem Hafendamm. Man spielte die Marseillaise, und ein junger Offizier pries sehr lebhaft diese Klänge, jubelnd, daß dieselben die alte Zeit verdrängt hätten. Graebe, der eigentlich im Herzen kein Legitimist war, aber jede Übertreibung oder Affektation haßte, blickte den jungen Mann ernstlich an und sagte: »Auch mich haben diese Töne in meiner Jugend sehr begeistert und bewegen mich noch jetzt mächtig; aber es mischen sich mit diesen Eindrücken manche bitteren Erinnerungen, denn ich bin ein wirkliches Kind der Revolution, und sie hat mich mit ihrer kräftigen Milch, der aber doch viel reines Blut beigesetzt war, großgesäugt. Ihr Vater, junger Mann, den ich kannte, war ein sehr ehrenwerter, edler Mann. Er fiel als Opfer seines Pflichtgefühls, da er die Disziplin und die Gesetze gegen das Toben der aufrührerischen Matrosen und Arbeiter in Schutz nehmen wollte, und – sehen Sie dort am Arsenal den réverbère die Straßenlaterne? – es ist derselbe, an welchem ich mich recht wohl erinnere, als Knabe, bei den Tönen derselben Marseillaise den Ehrenmann von einer Rotte betrunkener Wüteriche aufknüpfen gesehen zu haben, es ist nicht alles rosenfarb, was die versprochene Morgenröte der Revolution uns damals brachte.« Dies argumentum ad hominem wirkte, – der junge Mann schwieg fortan.

Toulon, Oktober

Wir haben minder schönes Wetter; ist es tolerabel, so gehe ich auf dem Hafendamme spazieren, und wandle dann in das Lesekabinett, wo ich mich über die Lügen der Journalisten ärgere, und begebe mich dann in meine Behausung, um abends zu baden, zu schwitzen, und mich erklecklich zu ennuyieren; die Confessions de Jean Jacques Die Bekenntnisse von Jean Jacques Rousseau und die Nouvelle Héloïse die Neue Heloise habe ich gelesen, mit besonderem Interesse die Memoiren des Fürsten von Ligne. Zuweilen gehe ich auch in das Café de la marine Kaffeehaus zur Marine.


Eine andere Bekanntschaft, welche mich sehr interessiert, ist die des mich behandelnden Arztes, Mr. Fleury Starb später an der Cholera., Directeur en chef de l'hôpital de la marine Chefarzt des Marinespitals. Es ist ein äußerst tüchtiger, erfahrener, wissenschaftlich gebildeter Mann, der mir viel und mancherlei von seinen vielfältigen Reisen, von Senegal, Guinea, Indien und St. Domingo erzählt. Mir scheint aus seinen Erfahrungen zu entnehmen, daß die nackten Leute ebenso boshafte, eigennützige, fleischfressende Affen sind, als ihre europäischen Stammesgenossen in Fracks und Glacéhandschuhen. Eigentlich fressen wir uns gewissermaßen ebensogut auf als die Kannibalen; nur die Sauce ist verschieden.

Toulon, Oktober

Ich glaube, daß die Menschen jenseits der Linie von denselben Narrheiten turbiert werden als diesseits. Wahr ist es, daß wir ihnen eine tüchtige Zugabe gebracht haben, um sie zu beglücken. Dankbar aber haben sie uns mit einer Unpäßlichkeit beschenkt, welche zu versüßen all ihr Zucker nicht hinreicht, so wie all ihr Gold die Pillen nicht vergolden kann, die wir dieserwegen hinabschlucken müssen.

Marseille, Oktober

Ich habe Toulon verlassen und bin hier in Marseille, welche Stadt ich doch, bevor ich das mittägliche Frankreich verlasse, noch zu besuchen mir vorgenommen hatte. Meine Fenster gehen gerade auf den Hafen, und das bunte Leben freut und ergötzt mich, und die milde Luft tut meiner physischen und geistigen Existenz wohl.

Marseille hat ein heiteres, lebenslustiges Aussehen, welches mit der ernsten, militärischen Physiognomie von Toulon kontrastiert, da ersterer Handelshafen, letzterer ausschließlich Kriegshafen ist. Im erstern blühen Goldäpfel, im letztern nur Lorbeeren. Auch sollen die Sitten hier viel freier sein. Die Touloner Damen, größtenteils Frauen und Töchter der in der Eskadre dienenden Offiziere, setzen einen Stolz darein, den Namen ihrer für sie Gefahren und Beschwerden erduldenden Familienväter während ihrer Abwesenheit fleckenlos zu erhalten. Auch ist es zu leicht, Abwesende, welche ihr Dienst fernhält, zu betrügen. Somit fällt ein Hauptmotiv der verliebten Intrigen, der Genuß der Emotion, der Reiz der zu besiegenden Hindernisse hinweg. Es ist also in Toulon nicht bon genre guter Ton, ein verbotenes Liebesverhältnis anzuknüpfen, und eine Dame, wenn sie auch an Religion, Scheu und Scham keine abhaltende Schranke mehr sieht, wird sich dennoch schwerlich herbeilassen, mauvais genre schlechter Ton (gegen den guten Ton zu verstoßen) zu sein. Dagegen ist in Marseille mehr, ja sogar sehr viel Luxus. Die Ehre ist nicht mehr das Hauptpalladium der Familien und der köstlichste Schatz, und somit ist das Vergnügen und der Genuß eine weit mächtigere Triebfeder, welcher beide Geschlechter nach Möglichkeit huldigen. Marseille trägt ganz den Charakter einer großen, lebendigen, genuß- und gewinnsüchtigen Handelsstadt. Die Verbindung mit dem Oriente gibt durch die vielen hier anwesenden Griechen, Türken und Afrikaner ein wahrhaft exotisches Lebensbild; Papageien und Affen zum Verkauf bevölkern und beschmutzen den Kai; Neger und Juden, Türken und Mauren, Europäer und Afrikaner, Spanier und Malteser, Matrosen und Kaufleute, Soldaten und Stutzer treiben sich bunt durcheinander.

Ich besuchte die Forts, Château d'If, Fort St. Nicolas, das Lazarett, in welchem einige Gemälde an die denkwürdige Epoche der letzten Pest im vorigen Jahrhundert erinnern usw. – Das alte Marseille, la vieille ville die Altstadt, ist noch ein Überrest der Griechenkolonie; dieser Teil der Stadt besteht aus engen Gassen, wie in den kleinen italischen Städten, ganz mit der dortigen Bauart, die Kathedrale soll ein alter Tempel der Diana sein. Julius Cäsar belagerte Marseille.

Hier ist noch viel Bewegung und Schwanken in den Meinungen und Ansichten der letzten Zeit, auch in der Armee. Mehrere Stabsoffiziere befinden sich im Fort St. Jean in Arrest, und unleugbar ist es, daß die Legitimisten und die Partei der Bourbons, die sich hier auch während der Revolution und zur Zeit der Restauration sehr entschieden gezeigt hat, auch jetzt noch bedeutende, zahlreiche und mächtige Elemente zu ihrer Disposition hat.

Duell in Marseille

Ich war mit der Messagerie nach Marseille gekommen. Drei junge Männer, es schienen mir Handelsleute oder Commis voyageurs Handlungsreisende, waren meine Reisegefährten. Sie kamen von Paris und waren von den neuartigen dortigen Ereignissen ganz begeistert, an denen sie mehr oder weniger Anteil genommen zu haben sich rühmten. Mich – der ich mich ganz still und zurückgezogen verhielt, da ich es den Umständen angemessen hielt, bei der politischen Aufregung des südlichen Frankreichs, wo die Leidenschaftlichkeit der Parteien weit heftiger ist, durchaus nicht die Aufmerksamkeit zu erregen – hielten sie wahrscheinlich nach Tracht und Sitte für einen schlichten, unbedeutenden Seemann, der Geschäfte oder Vergnügens halber nach der üppigen Handelsstadt reise. Ich mischte mich daher keineswegs in ihre Gespräche, und sie genierten sich auch nicht vor mir, sondern ignorierten mich gänzlich. Zwei von ihnen waren rüstige, lebensfrohe, aber ziemlich rohe Gesellen; der dritte ein feiner, wie eine Rose blühender Jüngling, groß, mit üppigem, schwarzem Lockenhaupt und dunklem, sanftem Auge. In einem Gasthofe, wo wir mittags speisten und ich nach Tische abseits saß und meine Zigarre rauchte, kam das Gespräch auf allerhand Liebesabenteuer, und der junge Mann, den man Alfred nannte, zeigte seinen Kameraden ein Päckchen feiner, parfümierter Briefe nebst einer herrlichen blonden Locke. »Das ist mein Talisman, mein höchster Schatz«, sagte er. Man frug, ob es ein Mädchen oder eine Frau sei. Er erwiderte, es sei eine junge Frau, deren Gemahl jedoch sehr eifersüchtig und mißtrauisch sei. – In den Julitagen sei er leicht verwundet worden. Seine Geliebte, als sie ihn vermißt und er ihr einige Tage keine Nachricht habe von sich geben können, wäre der Verzweiflung nahe gewesen, umsomehr, als sie ihren Schmerz und ihre Angst verbergen, ja ein heiteres Gesicht zeigen mußte. »Ich habe mich nur deswegen gefürchtet, daß meine Wunde von Bedeutung sein könne, weil meine Klotilde nicht einmal eine Träne auf mein Grab hätte weinen können«, sagte er. »Jetzt aber ist alles gut, ich hole mir ein hübsches Sümmchen von meinem Onkel in Marseille, der jetzt wegen der déconfiture Niederlage der Jesuiten und Bourbonisten guter Laune ist – denn er ist nicht umsonst ein ehemaliges Mitglied des Comité revolutionnaire des Revolutionsausschusses und ewiger Abonné Abonnent des Constitutionnel Le Constitutionnel (seit 1815), liberal-konservatives Oppositionsblatt, zwischen 1820 und 1830 die führende Pariser Tageszeitung, das Organ Thiers' gewesen –, verzeiht mir als Julihelden alle meine vorigen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden, ich mache mein Examen in Paris und lebe dann glücklich in der Nähe meiner Klotilde, welche ich im stillen schon für die saueren Liebkosungen, welche sie von ihrem brummigen Gemahl erdulden muß, zu entschädigen wissen werde. Le mystère, Messieurs, le mystère, voilà ce qui rend délicieux le fruit défendu.« »Das Geheimnis, meine Herren, das Geheimnis macht die verbotene Frucht so köstlich« – So sprachen sie hin und her, wir rollten weiter und trennten uns im Hôtel des Postes Gasthof zur Post, wo der Wagen anhielt.

Daneben war ein hellerleuchtetes Kaffeehaus. Ich begab mich hin und nahm an einem kleinen Tische in einem entfernten Winkel Platz. Nach und nach entfernten sich die übrigen Gäste. Nur zwei blieben noch im entgegengesetzten Winkel sitzen, zwei Gläser Grog vor sich: der eine war ein ältlicher, stattlicher und wohlbeleibter Herr mit hochrotem Gesicht, in dunkelfarbiger, bürgerlicher Kleidung, allein es ließ sich leicht erkennen, daß er der Geistlichkeit angehöre, der andere aber fiel mir auf. Es war ein hoher Fünfziger, sehr lang und hager; graue, ja fast weiße Haare, die jedoch in üppiger Menge auf seinem Kopf emporstarrten, gaben seinem blassen Gesicht einen eigenen unheimlichen Ausdruck. Ein dichtes, aber silberfarbnes Collier grec Kranzbart umfaßte das Gesicht, der nervige Hals war fast bloß, nur ein einfaches, nachlässig geschlungenes schwarzes Tuch umhüllte ihn. Ein blauer Gehrock, Pantalons von derselben Farbe, seidene Strümpfe, Schuhe mit dicken Sohlen nach Matrosenart, blendend weißes Gilet und Wäsche; ein dicker Knotenstock lehnte im Winkel, und der breitkrämpige Hut hing an der Wand; ein rotes Band im Knopfloch und eine weiße Blume daneben gesteckt – das ist das Signalement dieser Erscheinung. Auffallend war ein gewisses konvulsivisches Zucken um die schmalen Lippen und ein unheimliches Feuer, welches aus den großen gläsernen, graublauen Augen, wenn er seinen unsteten Blick fixierte, wie ein Basilisk verwundete. Es war, das sah man aus allem, ein Seemann, eine starke Eiche, zum Mast gezimmert durch die rauhe Axt des Schicksals, über die mancher Sturm gebraust haben, die aber zu zäh sein mußte, um zu splittern, und kühn dem Ungewitter und Blitz die Stirne bot. Es lag eine düstere Resignation und ein wilder Fanatismus in diesen Zügen. Die knochigen, breiten Hände mit Riesenfingern spreizten und ballten sich abwechselnd, je nachdem seine Konversation mit seinem Gefährten, dem Geistlichen, sich gestaltete. Plötzlich trat er zu mir – ich las eine royalistische Zeitschrift –, er zündete seine Zigarre an. – » C'est bien, Monsieur, c'est bien de ne pas lire les mensonges que publient ces infames journalistes jacobins!« »Das ist schön, Herr, das ist schön, daß Sie nicht die Lügen lesen, die diese niederträchtigen jakobinischen Journalisten in die Welt setzen!« – Ich sah nicht auf und gab keine Antwort, – er frug weiter: » Marin?« – » Oui, Monsieur.« – » Vous avez servi?« – » Oui, Monsieur.« – » Sous le drapeau blanc?« – » Oui, Monsieur.« – » Vous êtes encore embarqué?« – » Non, Monsieur.« – » Démissionaire?« – » Oui, Monsieur.« »Seemann?« – »Ja.« – »Sie haben gedient?« – »Ja.« – »Unter der weißen Flagge?« – »Ja.« – »Sie sind noch eingeschifft?« – »Nein.« – »Verabschiedet?« – »Ja.« – Und somit hatte die Interrogation zu meiner großen Satisfaktion, da sie mir trotz meiner Geduld doch zu lange dauerte, ein Ende.

Da führt ein böser Genius meine drei jungen Reisegefährten herein. Bald saßen sie an einem Tische und tranken trotz dem angepriesenen mystère Geheimnis einige Gläser Champagner auf Klotildens Wohl. Alles ging gut, als sie aber anfingen, die Marseillaise und die Parisienne zu singen, zuckte das Gesicht des grauen Mannes wie ein Gewitter im Schneegebirg. Den Kellner rufend, sagte er mit lauter Stimme: » Dites à ces polissons de ne pas m'importuner avec leurs chansons de Canaille!« »Sagen Sie diesen Gassenjungen, daß sie mich nicht mit ihren pöbelhaften Liedern belästigen sollen!« – – Wütend sprangen die jungen Leute auf, fragend, ob er sie meine? »Wen denn sonst,« sagte der Graue mit höhnischem Lächeln, »so viel ich weiß, brüllen Sie allein hier im Saale wie die Esel im Stalle.« – »Wir dürfen doch singen, was uns beliebt und Gesundheit zutrinken, wem wir wollen; vive la république et vive Clotilde!« – » Canaille l'une, comme l'autre« »hoch lebe die Republik, hoch lebe Clotilde!« – »Canaillen beide«, höhnte der Graue, und ein Glas von des Schwarzköpfigen Hand flog ihm an den Kopf; – langsam die Stirn, welche blutete und vom vergossenen Wein triefte, abwischend, sagte der Alte ganz ruhig: » A demain, au cap vert« »Auf Morgen, am grünen Vorgebirge« – und setzte sich nunmehr ganz gelassen nieder. Die jungen Leute schwuren hoch und teuer, er würde es mit dem Leben zahlen.

Der Schwarze aber bestand darauf, daß er allein die Sache ausfechten wolle, beteuerte, morgen zur bestimmten Stunde zu erscheinen, und somit tobten sie fort. Der Graue stand ruhig auf, – und sich an mich wendend: » Monsieur, vous avez été témoin de l'insulte, veuillez être témoin de la satisfaction, – voilà mon adresse, Cannebierre Nr …; je vous attends demain à cinq heures. Bon soir, M. l'abbé! Demain il y aura un Jacobin de moins, et une âme damnée de plus.« »Herr, Sie sind Zeuge der Beleidigung gewesen, wollen Sie gefälligst Zeuge der Genugtuung sein, – hier meine Adresse, Cannebierre Nr …; ich erwarte Sie morgen um fünf Uhr. Guten Abend, Herr Abbé! Morgen wird es um einen Jakobiner weniger geben und um eine arme Seele mehr.« – Und somit nahm er Stock und Hut und entfernte sich, bald folgte ihm der Abbé. –

Nun erfuhr ich die Geschichte dieses seltsamen Mannes. Er war aus einer guten Familie in Marseille. Früh schon zur Marine bestimmt, wurde er in zarter Jugend vor der Revolution eingeschifft. Später gefangen, kam er erst nach mancherlei Schicksalen im Jahre dreiundneunzig nach Frankreich zurück, wollte sich vermählen, wurde aber in die Umtriebe von Toulon verwickelt, entkam nur durch ein Wunder nach England und erfuhr später, daß sein Vater, seine Mutter, ein Bruder, eine sechzehnjährige Schwester und seine Braut unter der Guillotine beim Schall der Marseillaise verblutet hatten. Durst nach Rache an den verhaßten Jakobinern war nun sein einziges Streben. Er trieb sich lange als Korsar oder Negerhändler in den indischen Gewässern herum und soll der dreifarbigen Fahne viel Schaden getan, sich selbst aber ein bedeutendes Vermögen erworben haben. Mit den Bourbons kehrte er zurück, machte sich in Marseille wohnhaft, lebte aber sehr zurückgezogen, sein beträchtliches Vermögen nur für die Armen, die dürftigen Seeleute und die Geistlichen anwendend. Almosen und Messen waren seine einzigen Ausgaben. Man kann sich denken, daß er unter dem Volke und bei der Geistlichkeit keine geringe Popularität erlangt hatte. Aber sonderbar genug, brachte er seine Zeit abwechselnd in der Kirche und bei den berühmtesten Fechtmeistern zu und hatte im Gebrauch des Degens und der Pistole es zu einer beispiellosen Geschicklichkeit gebracht. Im Jahre fünfzehn, als die royalistische Reaktion der Vendée ausbrach, trieb er sich an der Spitze einer aus seinen Anhängern bestehenden Bande längere Zeit umher. Als endlich auch diese Gelegenheit, seine Rache zu kühlen, durch die zurückkehrende öffentliche Ordnung ihm benommen wurde, suchte er jede Gelegenheit, wenigstens im Zweikampf irgend ein ihm durch revolutionäre Grundsätze bekanntes Individuum seiner Rache zu opfern. Je jünger, reicher, glücklicher das gewählte Opfer war, desto erwünschter schien es ihm. Der Gastwirt sagte mir, er wisse allein sieben junge Leute, welche durch seinen furchtbaren Degen gefallen seien.

Des andern Tages um fünf Uhr war ich bei dem sonderbaren Mann. Er wohnte zu ebener Erde in einem einfachen Stübchen, welches außer einem großen Kruzifix und einem mit einem schwarzen Flor verschleierten Bilde, worunter ein Datum und die Jahreszahl 1794 stand, zur ganzen Verzierung einige Seeinstrumente, ein Trombon und einen Totenkopf hatte. Das Bild war das Porträt seiner hingerichteten Braut, es war immer verschleiert, nur wenn er in dem Blute eines der Verhaßten sie gerächt zu haben glaubte, entschleierte er es auf acht Tage und gestattete sich dessen Anblick durch diese Zeit. Der Totenkopf aber war jener seiner Mutter. Sein Bett war eine gewöhnliche, an der Decke befestigte Hängematte. Als ich kam, verrichtete er eben sein Gebet; ein kleiner Neger brachte mir einstweilen eine Tasse Schokolade und eine Zigarre. Dann grüßte er mich so freundlich, als sollten wir zusammen eine kleine Morgenpromenade machen, öffnete einen Wandschrank, nahm eine Schatulle mit zwei englischen Pistolen und ein Paar vortreffliche Raufdegen heraus, welche ich unter den Arm nahm, und so wandelten wir in der frischen Morgenluft die Cannebierre entlang dem Hafen zu. – Die Schiffer schienen ihn alle gut zu kennen. » Pierre, ta barque.« »Peter, dein Boot« – Er setzte sich an das Steuerruder: » Vous aurez la complaisance de ramer, et nous laisserons Pierre ici; je me tiendrai au gouvernail pour ne pas me déranger la main.« »Sie werden so freundlich sein zu rudern, und wir werden Peter hier lassen; ich werde mich ans Steuer setzen, um meine Hand nicht unsicher zu machen« – Ich warf meinen Rock ab, ruderte frisch darauf los, auch hatten wir einen guten Wind, zogen ein Segel auf und erreichten bald das Cap vert grüne Vorgebirge.

Von weitem schon bemerkte ich unsere drei Jünglinge, welche nicht fern vom Ufer in dem Garten eines dort gelegenen Restaurants saßen und frühstückten. Dieser Garten ist gewöhnlich ein Belustigungsort von Marseille. Man findet vortreffliche Fische und bekommt in der wahren Vollkommenheit die berühmte Bollenbresse, ein Nationalgericht der Provenzalen, ebenso berühmt als die spanische Olla potrida. Wie oft wandelte in diesen Laubengängen am Arme des Geliebten die feurige Liebe in Gestalt einer hochgeschürzten, schwarzäugigen, lieblichen Provenzalin, mit braunem Teint und glühendem Blick, dem kleinen Fuß und der niedlichen Hand, feurig wie die Spanierin und geistreich wie die Pariserin! Wie oft suchte sich hier, was wo anders sich nicht finden durfte!

Auch diesmal fand man sich, aber es war nicht die Liebe, welche zusammenführte, es war der Haß, der Stiefbruder der Liebe, und der ist, wie die Schwester, in der Provence glühend, rasch und ungeduldig. Mein Geschäft war bald beendigt. Es bestand darin, die Herren zu fragen, welche Waffe sie wählen wollten, und mit wem der Kampf vor sich gehen sollte. Der schwarzgelockte Jüngling, er hieß Mr. L…, bestand darauf, daß er allein die Sache ausfechten wolle, und seine beiden Freunde mußten ihr Wort verbürgen, sich nicht weiter in dieselbe zu mischen. » Tu es trop gras,« »Du bist zu dick« sagte er zu dem einen, auf die wohlgenährte Figur weisend, » et toi, tu vas te marier, je suis un pilier de salle »und du, du wirst heiraten, ich bin ein Stammgast auf dem Fechtboden« (so nennt man in Paris die Habitués der Fechtböden), je ne veux pas abuser de ma force et de mon âge, voilà pourquoi je prendrais le pistolet, à moins que l'épée ne convienne à Monsieur?« »ich will nicht aus meiner Kraft und meiner Jugend Vorteil ziehen, daher würde ich die Pistole wählen, außer wenn dem Herrn der Degen angenehm wäre?« – – Ein freudiges Zucken belebte meines alten Kapitäns Gesicht: » L'épée c'est l'arme du gentilhomme français, je serais heureux de mourir en la serrant dans ma main.« – » Soit, – mais votre âge!« – » Sacredieu, on meurt plus facilement au tien qu'au mien, – dépêchons-nous, et en garde!« »Der Degen ist die Waffe des französischen Edelmannes, ich wäre glücklich, wenn ich mit ihm in der Hand stürbe.« – »Es sei, – aber Ihr Alter!« – »Gotts Blitz, man stirbt leichter in deinem als in meinem, – rasch, ausgelegt!« – – Wir standen ganz nahe an einem Düngerhaufen. – » Il sent bien mauvais ici« »Es riecht hier recht schlecht«, sagte L… – » Dans vingt quatre heures tu pueras bien davantage« »In vierundzwanzig Stunden wirst du noch viel mehr stinken«, rief der Kapitän, der mittlerweile sich entkleidet, Rock und Weste abgeworfen hatte, ihm höhnisch zu. Es war ein sonderbarer Anblick, der schöne Jüngling einerseits, übermütiges Vertrauen im Blick, mit seinen jugendlichen Formen, graziös und gelenkig, – ihm gegenüber diese lange Gestalt, halb nackt, denn sein blaues Hemd ließ die mit grauen Haaren bedeckten nervigen Arme und die breite narbige Brust bloß. In dem alten Manne ward jede Sehne zu Eisendraht; – ganz auf seine linke Hüfte gestützt, den langen Arm, auf dem ein rotes Herz mit einem Kreuz, drei Lilien und andere Zeichen nach Art der französischen Soldaten und Seeleute eingeätzt waren, vor sich hinhaltend, und den tückischen, mordgierigen Blick unverwandt auf den Gegner gerichtet, standen sie da wie die beiden Repräsentanten des alten und des neuen Frankreichs. » Ce ne sera qu'une égratignure« »Es wird nur eine Schramme«, sagte mir der eine der beiden Freunde; ich antwortete nichts, war aber im vorhinein überzeugt, daß mein Kapitän, der ein alter Praktikus war, die Sache ernsthafter betreiben würde. Der junge L…, dessen parfümierte Kleider neben mir dufteten, schien mir, nach der Prophezeiung seines Gegners, schon der Verwesung anheimgefallen. Er griff, rasch vortretend, heftig an. Dies bestärkte mich in meiner Prognostik, denn er konnte wohl ein geübter Fechter auf der Fechtschule sein, allein es war ein Beweis, daß er wenig ernsthafte Gänge gemacht haben konnte, da er einem unbekannten Gegner so unvorsichtig auf den Leib ging. Dieser benützte auch seine Hitze und retirierte Schritt vor Schritt, anfangs nur mit einigen Paraden und halbmarkierten Stößen Widerstand leistend. – Der junge L…, immer hitziger, übereilte sich, während jede Parade seines Gegners den ergrauten Fechtkünstler durch Richtigkeit und Kraft beurkundete. Endlich fiel er aus, eine kräftige Parade des Kapitäns schlug seinen Degen aus der Direktion, und bevor L… sich erheben konnte, ripostierte der Kapitän, in seiner ganzen Länge ausfallend, ganz wie ein Musterbild der académie royale des armes, – » la main élevée, le jarret tendu« der königlichen Fechtschule, – »den Arm erhoben, das Bein gestreckt,« –, – und der Degen drang fast an die halbe Klinge unter der Achsel ein. Der Kapitän machte eine unmerkliche Bewegung mit der Hand und stand wieder en garde! in Anfangsstellung! – – L… fühlte sich getroffen, ließ den Degen sinken, während die andere Hand an die Wunde griff, sein Blick verfinsterte sich, und er sank in die Arme seiner Freunde. Der Kapitän wischte gleichgültig seine Waffe ab, gab sie mir, kleidete sich ganz ruhig an, – » à l'honneur, Messieurs, – fallait pas chanter hier, vous ne pleureriez pas aujourd'hui« »empfehle mich, meine Herren, – hätten Sie gestern nicht gesungen, müßten Sie heute nicht weinen,« –, – und somit wandelten wir unserem Kahne zu. » C'est le dixseptième,« murmelte er, » mais l'ouvrage était facile, c'est un petit gringalet de salle d'armes de Paris, – mais c'était bien autre chose, quand j'avais encore à travailler avec des anciens officiers buonapartistes, des brigands de la Loire! – à la bonne heure, cela valait la peine!« »Das ist der siebzehnte,« murmelte er, »aber die Arbeit war leicht, es ist ein rechter Schwachmatikus von einem Pariser Fechtboden, – das war damals doch etwas ganz anderes, als ich es noch mit ehemaligen bonapartistischen Offizieren zu tun hatte, mit den Briganten von der Loire! – ah, das war der Mühe wert!« – – Es ist nicht möglich, die dunkle Energie dieser Rede zu übersetzen.

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Im Hafen angelangt, warf er, als wir aus dem Kahn traten, dem Schiffer ein paar Taler zu. » Tiens Pierre, voilà pour toi.« – – » Encore un requiem, avec une belle messe des trépassés à St. Géneviève; n'est-ce pas, mon capitaine?« – » Ça va sans dire« »Da, nimm, Peter, das ist für dich.« – – »Wieder ein Requiem, mit einer schönen Seelenmesse bei St. Genoveva; nicht wahr, Herr Kapitän?« – »Selbstverständlich« – – und somit langten wir in der Behausung des Kapitäns an. – Der kleine Neger brachte eine kalte Pastete, Austern und zwei Flaschen Vin d'Arbois. » Ça donne de l'appétit, une course à la pointe du jour« »Das macht Appetit, ein Spaziergang am frühen Morgen«, witzelte der Kapitän; »wie sich doch alles sonderbar fügt. Ich hatte schon lang wieder die Sehnsucht, den Flor von diesem Bild zu ziehen, und Sie müssen wissen, daß ich mich nur dann dessen würdig halte, wenn ich irgend einen Bonapartisten oder Jakobiner in die andere Welt geschickt habe, um diesem gemordeten Engel Abbitte zu tun, – und somit ging ich gestern mit meinem alten Freunde, dem Abbé, den ich noch von den Zeiten her kenne, wo er Feldpater bei den Chouans war, in das Gasthaus, hoffend, unter den Lesern der liberalen Blätter Korn auf meine Mühle zu finden. Allein die Teufelskellner verraten immer meine löbliche Absicht, und so oft ich komme, will niemand ein liberales Blatt verlangen. Als Sie, mein lieber, jetzt so werter Freund, erschienen, meinte ich anfangs den Rechten gefunden zu haben, und ich war ungeduldig, denn schon drei Stunden paßte ich auf einen Leser des Figaro Pariser Witzblatt (1825 begründet von Philadelphe-Maurice Alhoy, unter der Julimonarchie geleitet von Le Poitevin St.-Alme, 1854 wieder ins Leben gerufen, erst seit 1867 politisches Tageblatt) oder National Le National (1830-1851), das Blatt der liberalen Opposition, redigiert von Thiers und Carrat, den Anstiftern des Protestes der Journalisten gegen die Ordonnanzen Karls X. vom 25. Juli 1830, später republikanisch. Wie erfreut bin ich, daß ich gleich erkannte, in Ihnen keinen Freund solcher infamen Lektüre finden zu müssen, wie leid wäre mir, wenn ich mit Ihnen statt mit diesem Burschen zu tun ( travailler) bekommen hätte!« –

Ich konnte mir nur im stillen dazu Glück wünschen, gerade den Abend zuvor zufälligerweise diese Journale nicht begehrt zu haben und somit nicht der erste Gegenstand für die Mordpassion meines neuen guten Freundes gewesen zu sein. Wäre dies geschehen, so war L… um diese Stunde frisch und gesund und ich vielleicht an seiner Stelle. – »Glauben Sie, Kapitän, daß er stirbt, ist die Wunde tödlich?« frug ich. – »Gewiß,« antwortete er, ganz fein lächelnd, »ich habe nämlich den Gebrauch – versteht sich nur bei Jakobinern und Bonapartisten –, wenn ich en quarte in der Quart stoße, durch eine unmerkliche Bewegung en tierce in der Terz herauszuziehen, oder umgekehrt; hierdurch dreht sich die Klinge in der Wunde, das tötet, da bleibt er immer liegen – ich meine der Jakobiner oder Bonapartist –, denn die Lunge ist dann lädiert und kommt dann gleich der Brand dazu. Das muß ich, denn sonst hätte ich nichts von der sauern Arbeit, weil ich von diesem meinem lieben Bilde den Flor nur dann abziehe, wenn eine solche Viper wirklich zertreten, d. h. tot ist.« – Ich empfahl mich, versprechend, morgen wiederzukommen, um von diesem sonderbaren Originale Abschied zu nehmen. Als ich in mein Gasthaus, wo auch L… wohnte, kam, begegnete ich dem Arzte, der ihn eben besucht hatte. Er gab keine Hoffnung. Der Kapitän sagte richtig, die kleine anempfohlene Handbewegung und Klingendrehung hatte ihren Zweck erreicht, denn die Lunge war unheilbar verletzt. Des andern Tages früh war L… verschieden. Ich ging zum Kapitän, der mit dem Abbé heimkehrte: » L'Abbé vient de dire sa messe; c'est un bénéfice que je lui fais revenir dans ces sortes d'occasions, plutôt par amitié pour lui que par pitié pour l'âme damnée d'un Jacobin, qui vaut moins que celle d'un chien. – Entrez, monsieur.« »Der Abbé hat eben seine Messe gelesen; das ist eine Pfründe, die ich ihm bei solchen Gelegenheiten zukommen lasse, mehr aus Freundschaft für ihn, als aus Mitleid für die arme Seele eines Jakobiners, die weniger wert ist als eine Hundeseele. – Treten Sie ein, Herr.« – – Das Bild – ein wunderliebliches Mädchengesicht mit Fontangelocken in der Tracht der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts – war enthüllt. Ein gutes Frühstück, wie gestern, stand auf dem Tisch. » Après l'ouvrage faisons bombance.« »Nach der Arbeit das Vergnügen« Mit nassen Augen, sich gegen das Bild wendend, setzte er hinzu: » Thérèse, à ton souvenir!« »Therese, zu deinem Gedächtnis!« und leerte sein volles Glas auf einen Zug. – Gerührt und bewegt verließ ich den sonderbaren Mann. Im Gasthause begegnete ich auf der Treppe dem Sarge, welchen man eben für L… heraufschaffte. – Ich dachte: »Klotilde! du wirst nicht weinen dürfen und deine Tränen verstecken müssen, und das wird eine harte Buße sein, welche deine Liebe dir auferlegt!« –

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Reise nach Paris

Kurz darauf entschloß ich mich, Marseille zu verlassen. Ich hatte Ursachen, welche es mir wichtig machten, unerkannt wenigstens bis über Lyon hinauszukommen. Das ganze südliche Frankreich war damals in bedeutender Gärung; als Fremder, als ehemaliger Offizier in der Expeditionsarmee, der unter der weißen Fahne gedient, als Adjutant des Marschalls Bourmont konnte ich auf mannigfaltige Weise kompromittiert werden. – Diese Betrachtungen und der Wunsch, das südliche Frankreich, dessen Einwohner, Sitten und charakteristische Physiognomie näher kennenzulernen, bewog mich, meine Effekten mit dem Postwagen vorauszuschicken und in Gesellschaft zweier verabschiedeter Seeleute, welche über Lyon in ihre Heimat heimkehrten, die Reise zu Fuß zu machen. Ich nahm in Marseille von dem Generalleutnant de Lort und dem österreichischen Konsul, welche beide mich mit Gefälligkeiten überhäuft hatten, Abschied, verschaffte mir eine feuille de route als » Jacques Reiter, marin en congéMarschroute als »Jakob Reiter, verabschiedeter Matrose« und wandelte in meiner blauen Matrosenjacke, weißen Pantalons, Lederhut, rotem Halsflor, mit einem kleinen Felleisen auf dem Rücken und einem tüchtigen Knotenstocke in der Hand, an einem schönen Herbstabende mit meinen beiden Gefährten aus Marseille hinaus, und wir erreichten nach neun Tagen glücklich Lyon. Ich habe mich bei meinen oftmaligen Wanderungen überzeugt, daß dies die einzige Art ist, ein Land, welches man wirklich kennen lernen will, zu bereisen; denn nur so amalgamiert man sich mit dessen innern Bestandteilen, welche dem flüchtig oder vornehm Reisenden stets terra incognita unbekanntes Land bleiben, da er nur mit jenen Elementen des Volkslebens in Berührung tritt, welche durch die beständige Reibung mit fremden Beziehungen abgeglättet sind und ihre Eigentümlichkeit verloren haben. Es gibt Leute, welche Jahre und Tausende auf ihre Reisen verwendet haben und ein Land dennoch nur durch die Postillone, Aufwärterinnen, Kellner, Lohnbediente, folglich nicht von der besten Seite, – aus einigen Kaffee- oder Gasthäusern, folglich nicht von der sittlichsten, – und aus Büchern, folglich von der unpraktischen Seite (denn wie Heine richtig sagt, wer Bücher schreibt, hat nichts Besseres zu tun) – kennen. Die vornehme und die gelehrte Welt ähnelt sich überall, und diese liefern die meisten Reisenden und Reiseliteratoren. Wer aber nur die Poststraßen, Städte und Gasthäuser, Monumente und Museen, Bibliotheken und Akademien, Hoffeste und Kammern kennt, weiß noch blutwenig von einem Lande. Ich habe es in mehreren Ländern versucht. Man kann jahrelang jeden Winter nach Paris reisen, dort eingebürgert sein, die verschiedenen Hauptplätze besuchen, alle Tage in den Kammern sitzen und der Kommensal der Minister durch zehn Ministerien sein: – wer nicht in der Provinz gelebt hat, wer nicht die kleinen, oft kleinlichen, aber charakteristischen Interessen und Sitten des Departementallebens kennt, der kann Frankreich nicht beurteilen. Man kann Großbritannien auf der Stage, auf Eisenbahnen und Kanälen durchfahren, ohne sich von dem Leben eines country-gentleman eines Landedelmannes, eines echten farmer eines echten Landwirtes, – ohne sich besonders von der Wesenheit der irischen Zustände einen Begriff zu machen. Wer Spanien auf der Poststraße, Ungarn auf dem Dampfboot durchfliegt, hat gar nichts gesehen. Nach einem längeren Aufenthalt in den Seeplätzen der Levante und in Konstantinopel habe ich mich erst auf einer Landreise durch Kleinasien und später durch die europäische Türkei überzeugt, daß ich während jenes monatelangen Aufenthaltes sehr wenig in den Charakter des eigentlichen Volkslebens eingedrungen war. Sonderbar ist es, daß diese meine Behauptung vorzüglich von dem Lande gilt, wo am meisten gereist wird, von Italien. Ich habe Italien als Soldat und als Reisender durchzogen und bewohnt, und als ersterer, wo ich von Städtchen zu Städtchen wandeln, mit allen Klassen der Einwohner in unmittelbaren Verkehr treten mußte, mich überzeugt, daß ich als letzterer gar nicht imstande gewesen wäre, Land und Menschen zu kennen und zu beurteilen. Schon die Reise mit dem Vetturino ist ohne Vergleich erfahrungsreicher, so wie die mit der Karawane in der Levante. Wer aber mit der Post und mit Dampf reist, der lebt, ich möchte sagen, in einer Post- oder Dampfwelt, in einem Straßen- oder Reiseleben, welches von dem eigentlichen Volksleben sehr verschieden ist. Ich habe auf dieser Fußreise, wo wir des Abends oft in einem kleinen Dorfe in irgendeiner Schenke einkehrten, man uns gastlich ein paar Strohschemel zum Herde rückte, wenn die Familie, die Nachbarn und Gäste sich nach und nach versammelten und bei ein paar Schoppen Wein, welche der freigebige Jacques Reiter (der, wie meine Pseudo-Kameraden heimlich zu erzählen den Auftrag hatten, eine Erbschaft von ein paar tausend Franken gemacht hatte) – zum besten gab, der Abend verplaudert wurde, über Sitten und Charakter Südfrankreichs eine reichhaltigere Ausbeute gemacht, als ein jahrelanger gewöhnlicher Aufenthalt mir geliefert hätte. Oft verschmähten der Pfarrer und der Maire nicht, an dem dargebotenen Glase Wein teilzunehmen, die Mädchen schäkerten, die Männer schwatzten, und jeder Tag ließ mich einen tiefern Blick in irgendein Menschenherz, ein Familienleben oder ein öffentliches Interesse machen.

Das Wetter begünstigte diese meine romantische, statistische, sentimentale, politische, ökonomische, sanitäre Fußpromenade, infolge deren ich gegen Mitte Oktober in Lyon anlangte, dort den Postwagen bestellte, meine treuen Begleiter auf meine Kosten aufnahm und rasch gegen Paris fortrollte. Die Reise gewährte nichts Besonderes, außer einem ziemlich lächerlichen Abenteuer bei Lyon, welches aber übel hätte ausfallen können. Wir fuhren spät abends von Lyon weg. Meine Matrosen und mein eigener Diener hatten sich ziemlich gütlich getan und einer von ihnen, Mr. Florestan, Pilotin der »Echo«, mit einem ungeheuren schwarzen Backenbarte, saß, um die frische Luft zu genießen, auf dem Kutschbocke, seine Zigarre gemütlich schmauchend. Ich schlief sanft im Interieur. Plötzlich hielt der Wagen, – Florestan fluchte wie ein Heide, riß den Wagenschlag auf und langte meine zwei Pistolen hervor; ich, aus dem Schlafe erwachend, blickte heraus, und sah ein paar zerlumpte Kerls, mit Flinten und Bajonetten bewaffnet, welche sich eiligst in den Straßengraben retirierten. In der Meinung, es seien Banditen, ergriff auch ich ein paar Terzerole, der andere Matrose seinen Knüttel, mein Diener zog den Säbel, und mit ein paar Sätzen waren wir aus dem Wagen heraus und bereit, die Schlacht anzunehmen. Die klägliche Stimme aber eines der vermeinten sechs oder sieben Banditen, die aus dem Chausseegraben herauswimmerte: » Respect à l'ordre public« Achtung vor dem Gesetz, bewog mich, meine schlagfertigen Gefährten, besonders Florestan, der immer rief: » À l'abordage! à l'abordage! on va vous exterminer, chiens d'Anglais ou de Bedouins!« »Zum Angriff! Zum Angriff! Wir werden euch vertilgen, Hunde von Engländern oder Beduinen!«, zurückzuhalten. Ich fragte also, was er denn eigentlich wolle, und es fand sich, daß es eine Patrouille der Nationalgarde des nächsten Städtchens war, welche sich dort, wie überall, organisiert hatte, und welche, da man durchaus staatsgefährliche Flüchtlinge fangen wollte, den Auftrag hatte, die Reisenden um ihre Pässe zu befragen. In dem Bewußtsein seiner Würde und dem Pflichtgefühl seiner militärischen Funktion, hatte der Kommandant etwas barsch den Wagen angehalten. Florestan, aus seinen Träumen erwachend, und den Wagen von bewaffneten Bauern umrungen sehend, war auf die verzeihliche Vermutung gekommen, daß es nicht unsern Pässen, sondern unsern Beuteln gelte, und hatte somit kategorische Maßregeln zur Gegenwehr getroffen. Die unglücklichen Verteidiger der öffentlichen Ordnung waren nicht wenig erschrocken, als der bärtige Riesenkerl mit zwei langen Pistolen ihnen zu Leibe ging, aber ihr Entsetzen kannte keine Grenzen, als der Wagen, wie das trojanische Roß, von allen Seiten Bewaffnete ausspie, und die aus etwa sechs bis sieben Individuen bestehende Patrouille zerstäubte sich auf dem Felde, in den Äckern fortstolpernd. Nur der Chef, seiner Pflicht getreu, hielt sich standhaft in seiner Position im Chausseegraben, aus welchem ich ihn erst mit vielem sanftem Zureden herausbrachte, und ihm sogar bei der Wagenlaterne den Paß selbst vorlas, ihm versichernd, que je savais respecter toute consigne daß ich jede Weisung zu achten wisse. Weniger Respekt flößte die possierliche Figur, mit einem Seidenhute auf dem Kopfe, Holzschuhen an den Füßen, einer Patrontasche auf dem Rücken oder wo anders, deren Bandelier auf dem mageren Leichnam schlotterte, und der unschuldigen Flinte in der Hand, dem brutalen Florestan ein, der außer seinem Kapitän, dem Contremaître und höchstens dem Gendarmen in vollkommener Amtstracht keine Autorität auf der See und zu Lande anerkannte, und der mir beständig zuraunte: » Permettez-moi d'assommer ces gueux-là, – un tout petit peu!« Erlauben Sie mir, diese Lumpenkerle niederzuschlagen, – ein ganz klein wenig! – – Endlich versammelten sich seine Getreuen wie die verlorenen Küchlein um die Henne, ich schenkte ihnen ein paar Taler, um auf den gehabten Schreck etwas Stärkung zu sich zu nehmen, und gab ihnen den wohlmeinenden Rat, künftig bei derlei militärischen Extrafunktionen vorsichtiger zu Werke zu gehen, damit für sie kein Unheil entstände. Innig gerührt über die Taler und den guten Rat rückten die Trefflichen ihre Schlafhauben, wünschten uns eine gute Nacht, und wir rollten weiter.

Paris

Gestern bin ich in Paris angelangt. Afrika mit seinen Palmen, die Provence mit ihren lauen Lüften, ihren klaren Seen und ihrem Südhimmel liegen hinter mir. Schlachtenruf, Hörnerklang, Trommelschall, Kanonendonner, Siegesruf, Todesröcheln, Seesturm, Pulverdampf, Teergeruch und Jasminduft, – Erinnerungen der letzten sechs Monate liegen hinter mir, aber sie umgaukelten mich noch, als wir am Abend auf der von Sens kommenden Straße einherrollten durch die schmutzigen Vorstädte, in welchen in den kotigen, mit düstern, matt glimmenden Lampen sparsam beleuchteten Gassen zerlumpte Arbeiter ihre Branntweinkehlen im Gesang der Marseillaise oder Parisienne exerzierten, und von den auf dem Miste und in den Kloaken sich wälzenden Buben im süßen Diskant akkompagniert wurden. Dann kam ich in die hellerleuchteten Straßen. Alle Bedürfnisse des Luxus, welche das alte Europa als Stimulanz seiner dekrepiten Existenz bedarf, in den glänzenden Butiken als Kontrast und zum Hohn mit den finsteren Quartieren des Elends aufgehäuft! Wagen rollten den Theatern zu, in denen man einen Triller oder Sprung teurer bezahlt als Heldenblut und Wissenschaft, wo David und Dlle. Taglioni weit höher stehen als die Ärzte, welche sich in Smyrna die Pest einimpften, um sie heilen zu lernen! Geputzte Weiber ohne Herz, elegante Stutzer ohne Kraft wandeln an mir vorüber! Ordensbänder und Sterne eilen in die Spielhäuser, um in wenigen Stunden Summen zu vergeuden, welche Scharen hungernder und leidender Brüder jahrelang beglücken könnten. Das ist der Mensch! und specialiter im besonderen der Mensch in Europa! Wohl habt ihr recht, ihr wilden, freiheitstolzen Beduinen, daß ihr den Pesthauch der europäischen Zivilisation, ärger als das Kontagium aus dem Nilschlamm, entnervender als der Samum der Wüste, abtreibt mit Flinte und Yatagan, solange ihr nur könnt! Die See mit ihren Wundern, – das Hochgebirg mit seinen Gletschern, – den Wald mit seinem stillen Lauschen, – euch will ich suchen! Orient mit deinen Zauberfarben, Amerika mit deinem Urwald, zu euch will ich ziehen! – Ich war trübe gestimmt, wie diese Zeilen beweisen, aber auch mich ergriff bald der Sinnentaumel, mit welchem dieses Babylon, sobald man es betritt, jeden berauscht. Ich führte Mr. Florestan zu einem vornehmen Restaurateur. Die Revolution hat es gang und gäbe gemacht, daß man auch in dem gemeinsten Aufzug, die Zigarre im Mund, da erscheinen kann, wo einem sonst gewiß die Türe gewiesen worden wäre. Das Sonderbarste dabei aber ist, daß nicht die eleganten Stutzer, sondern vielmehr die anständigen Herren des Mittel- und Bürgerstandes, die Abonnés die Abonnenten des Constitutionnel Vgl. Note 51. oder des Temps Le Temps (1829-1842), Wochenblatt, begründet von Jacques Coste, unter Mitarbeit von Guizot. am allermeisten gegen eine Nachbarschaft mit einem Matrosen oder Arbeiter protestieren. L'aristocratie des capacités, – l'aristocratie d'argent Die Geistesaristokratie, – die Geldaristokratie soll die andere ersetzen. Aber ihre Köpfe stehen auch auf keinen festeren Hälsen, als jene sind, welche sie der Guillotine opferten, und eine Zeit wird kommen, wo der Proletär den Besitzenden ebenso arg drängen und beneiden wird, als jetzt der Bürger den Adel, wo die garde nationale Nationalgarde ebenso sehr für eine bewaffnete Tyrannei der Minorität gelten wird, als ehemals das feudalistische Ritterwesen, und der sogenannte tiers-état dritte Stand wird ebensowenig sich einer ewigen Superiorität erfreuen, als jene, welche er gestürzt hat. Ja, ich behaupte, daß er weniger Sympathie zum Volke hat, als das feudalistische Prinzip, weil der Grundbesitz schon an und für sich patriarchalischere Verhältnisse bedingt als die Industrie und das Städteleben! Was nützt das alles, wo die Religion, die Charitas, die versöhnende Menschenliebe fehlt! Wo Hochmut von oben, Neid von unten stets nebeneinander den Wagen ziehen, auf welchem das Menschengeschlecht seine Bahn durchfährt, ist keine Aussicht, denn keine politische Form vermag die soziale Dekomposition zu hemmen, welche einer Gesellschaft bevorsteht, in welcher das moralische Zement der Religion und Nächstenliebe fehlt.

Alle diese Betrachtungen verscheuchte der vortreffliche vin de St. Péray Wein von St. Péray (im Languedoc), welchen ich mit Florestan den diis ignotis den unbekannten Göttern opferte. Endlich kam ich auf den Gedanken, allen bestehenden Formen zum Trotz, mit Florestan in unserm Reisekostüme in die Große Oper zu gehen. Man gab: le Dieu et la Bayadère Der Gott und die Bajadere. Man muß sechs Monate auf der See und im Lager, oder was noch ärger ist, in der Quarantäne zugebracht haben, kein honettes Mittagmahl genossen, ein Frauenzimmer nur als seltene Erscheinung begegnet haben, um den Zauber zu begreifen, welchen dieser schnelle Übergang in eine andere Existenz ausübt. Wir saßen in der Oper wie die Derwische in Tausendundeiner Nacht! Dieses Lichtmeer um uns, die geputzten Damen in den Logen, die niedlichen Tänzerinnen, die Fülle von Musik, Glanz, Klang, Duft, – dieses Funkeln, Klingen, Singen, Springen erregt einen Nervenreiz, der auch meinen Florestan, dessen Nerven wohl so ziemlich die Qualität mäßiger Ankertaue haben mochten, übermächtig ergriff! » Le diable m'emporte, mais les larmes me viennent aux yeux, tout que j'ai du plaisir.« »Der Teufel soll mich holen, aber mir kommen die Tränen in die Augen, obwohl ich mich unterhalte« Und als die Bajadere, Dlle. Taglioni, verbrannt werden sollte, rollten ihm wirklich die hellen Tränen in den Bart.

Unsere Erscheinung, – zwei bärtige Kerle im blauen Schifferwams mit dem roten Bändchen im Lederhut und dem roten Halsflor, weißen Matrosenhosen und Nägelschuhen – frappierte mehrere Damen in einer Loge der avant-scène im Proszenium. Eine davon, eine herrliche Minerva- oder Junogestalt mit Rabenhaar, blickte mich mit einem Blitzstrahl an, den ich nie vergessen werde. Auch sie wendete ihren Blick nicht mehr von mir ab. Vergessend, daß ich einen armen unbekannten Matrosen vorstellte, stand ich, sie beim Ausgang erwartend; die Lakaien drängten mich fort, da kam sie, den schönen Arm in jenen eines eleganten Lion eingehängt, aber ihr Auge fand mich! » Encore cet homme! qu'il m'intéresse, et pourtant il me fait peur!« – » C'est une éspèce de Corsaire, de Jean Sbogar« »Wieder dieser Mann! wie er mich interessiert, und doch flößt er mir Angst ein!« – »Es ist eine Art Korsar (Held einer Verserzählung von Byron), eine Art Jean Sbogar (Held eines Romans von Charles Nodier)«, sagte der Begleiter. Der Wagen rollte vor, man drängte mich beiseite, aber beim Einsteigen bot sich meinen Blicken der niedlichste Fuß; ich lief voraus an die nächste Straßenecke, beim Schein einer Laterne ließ ich den Wagen nah an mir vorüberrollen. Sie bemerkte mich abermals. Ich ging wie berauscht nach Hause, träumte nicht mehr von Afrika, Beduinen, See und Quarantäne, sondern von Rabenhaar, Schneehals, durchbrochenen Strümpfen und niedlichen Füßchen. – Es sei genug, zu sagen, daß ich nach wenig Wochen, als ich in schwarzer Samtweste und ohne Bart, Malteserkreuz und Glacéhandschuhen, in einem Salon neben Gräfin L… saß, sie mir erzählte, daß ein sonderbarer Mensch sie einst in der Oper fixiert habe, daß sie an Sympathien und Magnetismus glaube und überzeugt sei, daß gewisse Menschen gegenseitig durch den Blick eine unwiderstehliche geheimnisvolle Influenz aufeinander ausüben. Obzwar sie keineswegs begreife, warum dieser ganz einfache Mensch ihre Aufmerksamkeit solange gefesselt habe, so habe sie ihrerseits dem Gefühl nicht widerstehen können, welches ihr das Bewußtsein gegeben, daß sie auf diese anscheinend wilde und rohe Natur eine gewisse Gewalt besitze. Dagegen hätte auch er eine gewisse Macht auf sie ausgeübt, die es ihr unmöglich gemacht, ihn unbemerkt zu lassen. – Sie sprach nur zu wahr. Unsere Lebensbahnen, einmal in Rapport gesetzt, verschlingen und verwickeln sich und lösen oder vielmehr zerreißen sich erst nach jahrelangen Freuden und Leiden, mit bitterm Schmerz und langem Widerstreben, dergestalt, daß diese Begegnung, weit gefährlicher als Sturm und Beduinen, auf jahrelang einen entscheidenden Einfluß auf mein Schicksal hatte, ja beinahe meine ganze Zukunft bedingte.


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