Gustav Schwab
Erzählungen aus den alten Volksbüchern
Gustav Schwab

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Herzog Ernst

Im Herzogtum Bayern und Österreich regierte vorzeiten Herzog Ernst, der mit Adelheid, der Tochter König Lothars, vermählt war. Diese gebar ihrem Gatten einen Sohn, der in der Taufe ebenfalls den Namen Ernst erhielt. Nach kurzer Zeit jedoch wurde dem Kind der Vater durch den Tod entrissen, was seine Mutter Adelheid in großen Kummer versetzte.

Die einzige Freude, die ihr blieb, war ihr Sohn, der eine hervorragende Erziehung genoß und in jeder Richtung ein vorbildlicher Mann zu werden versprach. Besondere Freundschaft pflegte der Jüngling mit einem Grafen namens Wetzel, der ihm nahe verwandt war, und die Mutter des jungen Herzogs hatte ihre Freude daran.

Die Ritter und Herren des Landes baten den jungen Herzog Ernst unaufhörlich, er solle seiner Mutter Adelheid doch raten, sich wieder zu verheiraten. Auch an die Herzogin selbst richteten sie ihre Bitte. Sie aber schlug es ihnen immer ab. Endlich versprach sie ihrem Sohn auf sein stetes Drängen, wenn es ihrem Geschlecht keinen Schaden bringe, wolle sie wieder eine Ehe eingehen.

Nun herrschte damals im Römischen Reich Kaiser Otto I. aus dem Stamme der Sachsenherzoge. Als er noch jung war, wurde ihm eine schöne Frau angetraut, Ottogebe, aus dem erlauchten Hause des Königs von England. Aber nur kurze Zeit hatte Kaiser Otto glücklich mit ihr gelebt, da rief sie der unerbittliche Tod von seiner Seite ab.

Lange Zeit lebte Kaiser Otto in Trauer und Einsamkeit. Dann aber beschloß er, sich wieder zu vermählen, berief seinen Rat zusammen und trug ihm die Sache vor. Da legten ihm seine Räte nahe, einen Boten an die Herzogin von Bayern und Österreich zu senden und sie zu befragen, ob sie den Kaiser zum Gemahl wählen wolle.

Auf diese Botschaft hin berief die Herzogin sogleich die Edlen ihres Landes sowie ihren Sohn Ernst, legte ihnen den Antrag vor und bat sie um ihre Meinung. Die Herren gingen darüber zu Rat, und alle waren für die Heirat. Sie baten daher den Herzog Ernst, seiner Mutter mitzuteilen, was der Rat der Edlen beschlossen habe. Herzog Ernst tat dies. Erschrocken gab die Herzogin zur Antwort: »Mein lieber Sohn, ich fürchte sehr, wenn ich nach dem Rat der Edlen und deinem eigenen 256 Rat mich mit dem Kaiser vermähle, so könnte zwischen ihm und dir Zwietracht entstehen, was mir großen Kummer bereiten würde.« Da antwortete Herzog Ernst: »Liebste Mutter, diese Sorge sollte Euch nicht von der Ehe mit dem Fürsten abhalten. Ich selbst will mit Hilfe Gottes dem Kaiser im Glück wie im Unglück allezeit gehorsam sein, so daß ich stets den Willen seiner kaiserlichen Majestät ausführen werde.«

Diese Worte des jungen Fürsten bewogen die Frau, Kaiser Otto durch seinen Boten sagen zu lassen, daß sie zur Ehe geneigt sei. Kaiser Otto freute sich, als sein Abgesandter mit so fröhlicher Nachricht wiederkehrte. Sofort versammelte er alle Fürsten und Lehensherren und machte sich mit großer Gefolgschaft und Herrlichkeit nach Bayern auf. Die Herzogin wurde ihm von ihrem Sohn, Herzog Ernst, und andern Herren ihres Landes würdig und mit großem Gefolge entgegengeführt. Der Kaiser aber brachte sie unter lautem Jubel des Volkes in die Stadt Mainz. Dort hielt er Hochzeit, wie es einem so mächtigen Kaiser gebührte.

Nach den Festlichkeiten besuchte Kaiser Otto mit seiner Gemahlin noch manche Stadt des Reiches. Dann zog Herzog Ernst mit großem Gefolge an den Hof des Kaisers und wurde höflichst empfangen. Der junge Herzog erwies sich in allem gegen den Kaiser als williger Sohn, der ihm gern untertänig und gehorsam sein wollte. Später traf auch Frau Adelheid, die Kaiserin, mit vielen Jungfrauen ein und begrüßte ihren Sohn mit großer Freude. Da nahm ihn der Kaiser bei der Hand und erklärte: »Mein lieber Sohn, ich liebe deine Mutter von ganzem Herzen. Auch dir möchte ich gern gefällig sein; ich beabsichtige, dir dein Land zu vergrößern; denn ich bin dir sehr gewogen.« Die Kaiserin aber sprach zu ihrem Sohn: »Geliebter Sohn, ich bitte dich flehentlich, halte deinen Vater in Ehren und sei ihm immer gehorsam!« Zugleich überreichte sie ihm herrliche Kleinodien und beschenkte alle seine Herren und Diener, jeden nach seinem Stand. Darauf schieden sie voneinander.

Aber dieses friedliche Leben währte nicht lange. Denn es verkehrte einer am Hof, der Pfalzgraf Heinrich, ein ungetreuer, falscher Mann, der die Einigkeit und das ruhige Leben, das der Kaiser und die Kaiserin mit ihrem Sohn führten, nicht mitansehen konnte. Er verklagte daher den jungen Fürsten fälschlich beim Kaiser und eröffnete dem Herrscher: »Ihr seid ein getreuer Vater des Reiches! 257 Aber ich habe einiges über Euren Sohn, Herzog Ernst, vorzubringen, den Ihr so lieb habt und mehr als die andern Räte ehrt. Dieser Fürst trachtet früh und spät, Eurem Leben ein Ende zu machen und das ganze Reich allein zu beherrschen. Darum seht Euch vor, ehe er seine böse Absicht in die Tat umsetzt, sonst ist Euer Leben verloren«

Als der Kaiser das hörte, rief er zornig: »Was sagst du, Heinrich? Woher hast du diese Nachricht? Wenn mir das ein anderer sagte, ich wollte ihn töten lassen! Wenn ich wüßte, daß du das aus Haß gegen meinen Sohn tust, sollte auch dir das gleiche widerfahren; denn ich habe noch nie Unrechtes von Herzog Ernst gesehen oder gehört, sowenig als von seiner Mutter, der Kaiserin. Ich kann es nimmer glauben. Sag mir, von wem du das gehört hast, damit ich der Sache auf den Grund komme!«

Da erwiderte Pfalzgraf Heinrich: »Nicht von einem allein habe ich es gehört, sondern von mehreren Seiten; dazu habe ich auch an ihm selbst gemerkt, daß er auf Bübereien sinnt. Darum, gnädigster Herr und Kaiser, wollte ich Eure Majestät warnen; denn das bin ich verpflichtet zu tun.«

»Das will ich meinem kaiserlichen Herrn nun raten«, fuhr der Falsche fort: »Während sich Euer Sohn in Regensburg aufhält, sammelt Ihr heimlich und ohne der Kaiserin Wissen Kriegsvolk, schickt es ihm entgegen und laßt ihn aus dem Land verjagen!« Der Kaiser befolgte diesen Rat. Er brachte durch Herrn Heinrich in kurzer Zeit eine große Schar tapferer Ritter zusammen, an deren Spitze der Pfalzgraf selbst gestellt wurde; das alles geschah ohne Wissen der Kaiserin. Dann zog der Bösewicht wider den Herzog, verwüstete Österreich, erschlug viele Leute und hauste hierauf ebenso grimmig in Würzburg wie in Bamberg. Nichtsdestoweniger schickten die Städte einen Gesandten an ihren Schutzherrn Herzog Ernst nach Regensburg und ließen ihm alles melden.

Als der Bote mit dieser Kunde zu dem Herzog kam, erschrak dieser, begab sich zu seinem Freund Wetzel und erzählte es ihm unter Tränen. »Allmächtiger«, rief er, »welche Verleumdung mag meinem Vater zu Ohren gekommen sein, daß er es vermocht hat, so gegen mich vorzugehen!«

Bekümmert berief er seine Räte und gab ihnen den Brief, den die Bürger von Bamberg an ihn abgeschickt hatten. Als sie den Inhalt gelesen und daraus ersehen hatten, welches Blutbad der Pfalzgraf 258 angerichtet hatte, beschlossen sie, daß Herzog Ernst sein bestes Kriegsvolk, das er im Land besaß, an sich ziehen und den Feind aus dem Land schlagen sollte. Also sammelte nun Herzog Ernst seine Ritter, an viertausend streitbare Männer, und zog mit ihnen Bamberg zu. Als dies Pfalzgraf Heinrich vernahm, ließ er in der Stadt Bamberg eine Besatzung zurück und wandte sich mit seiner übrigen Macht gegen Herzog Ernst. Es kam zu einem hitzigen Kampf, bei dem Herzog Ernst die Oberhand behielt; der Pfalzgraf entkam mit nur wenigen Reitern.

Er ritt geradewegs zum Kaiser und meldete ihm, daß ihm sein Sohn Ernst fast alle seine Streiter erschlagen habe und daß er ihm mit seinen Scharen zu mächtig gewesen sei. Zornig erklärte der Kaiser: »Das will ich nicht ungerächt lassen; von all seiner Habe soll mein Sohn verjagt werden!« Und nun sammelte er ein großes Heer und eroberte eine Stadt nach der andern. Bekümmert sandte der junge Fürst einen Boten zu seinem Vater und ließ ihn bitten, daß er doch sein Land nicht so verwüsten möchte; denn er habe doch Seiner Majestät nichts Böses zugefügt, weder mit Worten noch mit der Tat; er fühle sich ganz schuldlos und könne daher nicht begreifen, warum er vom Kaiser mit Krieg heimgesucht werde. Der Bote brachte dem Kaiser den Brief im Beisein der Kaiserin, und diese verlangte heimlich von dem Boten, er solle sie nochmals aufsuchen, ehe er wieder abreise.

Der Kaiser hatte den Brief genau gelesen; er ging zornig wie ein grimmiger Löwe im Saal umher. Die Kaiserin näherte sich ihm und sprach: »Allergnädigster Herr, ich bitte Euch, beharrt nicht in solchem Zorn gegen unsern Sohn!« Der Kaiser aber gab zur Antwort: »Liebe Frau, die Übeltat, die er an mir zu verüben gedachte, ist zu groß, als daß ich sie vergessen könnte.« Aber die Kaiserin drängte nur noch flehentlicher: »So bitte ich um Gottes willen, ordnet wenigstens eine Zusammenkunft beider Teile an, damit man doch auf den Grund der Verfolgung komme, die gegen meinen unschuldigen Sohn angezettelt worden ist!«

Aber der Kaiser war nicht dazu zu bewegen. Traurig ging die Kaiserin in ihr Gemach und klagte ihre Not vor Gott. Da war ihr, als käme eine Stimme vom Himmel, die sagte: »An all diesen Dingen ist der Pfalzgraf schuld.« In dieser Sorge ließ sie den Boten ihres Sohnes Ernst holen und befahl ihm, ihren Sohn über den Zorn des 259 Kaisers zu unterrichten, vor allem aber ihm zu sagen, all das Unglück habe nur Pfalzgraf Heinrich angerichtet, und er allein sei der Urheber dieser Verräterei. Mit diesem Bescheid ritt der Bote in Eile nach Regensburg und berichtete alles seinem Herrn.

Damals hielt Kaiser Otto gerade einen Reichstag zu Speyer, und viele Fürsten und Herren waren dort versammelt. Diese Gelegenheit nahm Herzog Ernst wahr und ritt mit seinem Freund und dem Diener nach Speyer. Dort stiegen sie in des Kaisers Quartier von ihren Rossen, hießen den Diener die Pferde halten und gingen in den Palast. Sie fanden den Kaiser mit dem Pfalzgrafen allein. Herzog Ernst trat vor den Grafen und sprach: »Du meineidiger, treuloser Schuft, warum verleumdest du mich bei meinem Vater?« Mit diesen Worten riß er sein Schwert aus der Scheide und erstach seinen Feind.

Entsetzt über den wilden Zorn seines Sohnes eilte der Kaiser in eine Kapelle hinab. Dort verbarg er sich. Als Herzog Ernst sah, daß sein Vater entkommen war und der Pfalzgraf tot zu seinen Füßen lag, lief er mit seinem Gefährten Wetzel die Treppe hinab zu den Rossen, bei denen sie den Diener gelassen hatten. Da saßen alle drei wieder auf und ritten in Eile fort.

Der Kaiser blieb eine gute Weile angstvoll in der Kapelle verborgen. Erst als er keinen Ton mehr hörte, kam er hervor und sagte den Herren, was sich begeben habe. Auf die Kunde von diesem ruchlosen Mord entstand in der ganzen Stadt großer Aufruhr; Reiter wurden auf alle Straßen ausgeschickt mit dem Befehl, wenn sie Herzog Ernst mit seinem Begleiter, dem Grafen Wetzel, und einem Diener begegneten, sollten sie alle drei ohne Gnade fesseln, denn sie seien vogelfrei. Aber die drei Reiter entkamen. Zornig schwor der Kaiser bei seinem Reich, daß er diese Tat nicht ungerächt lassen wolle.

Inzwischen war der Leichnam des Pfalzgrafen mit großer Feierlichkeit begraben worden. Dann berief der Kaiser seine Fürsten und Herren zu Rat, und es wurde nun beschlossen, Herzog Ernst aus seinem Land zu vertreiben. Der Kaiser sammelte ein Heer von zwölftausend Mann und ritt auf Regensburg zu, denn er meinte, sein Sohn wäre dort. Die Belagerung der Stadt währte lange, und die Einwohner wurden sehr besorgt, weil ihr Herr, der Herzog Ernst, nicht zum Entsatz kam. Schließlich schickten sie einen Boten zum Herzog, um ihm die große Not zu klagen, in der sie schwebten, und ihm zu 260 melden, daß sie sich dem Kaiser ergeben müßten, wenn ihnen nicht bald Hilfe käme.

Die Botschaft gelangte glücklich zu dem jungen Fürsten. Traurig fragte er seinen Freund Wetzel: »Freund, was soll ich Unglücklicher anfangen? Des Lands und der Leute bin ich beraubt, niemanden habe ich, auf den ich mich verlassen könnte; hilft Gott meinen Untertanen nicht, so sind sie verloren!« Er schickte den Abgesandten eilig wieder nach Regensburg zurück und ließ die Bürger bitten, sie sollten sich nur noch kurze Zeit halten, er hoffe, bald bei ihnen zu sein. Der Bote eilte heim und meldete dies den Bewohnern der eingeschlossenen Stadt.

Herzog Ernst aber ritt unverzüglich zu dem Herzog von Sachsen und klagte ihm seine Not. »Darum, edler Fürst«, schloß er, »bitte ich Euch, mir eine Anzahl Kriegsleute zu geben, damit ich sicher nach Regensburg komme, um meine kostbarsten Kleinode wegzuschaffen und meinen getreuen Bürgern zu danken. Dann will ich in ein anderes Land ziehen. Diese Bitte, hoffe ich, werdet Ihr mir in meiner Not nicht abschlagen.«

Der Herzog antwortete freundlich: »Lieber junger Fürst, Ihr sollt nicht umsonst gebeten haben.« Er befahl, daß sich fünftausend Mann rüsten sollten, und ritt selbst mit an der Spitze dieser Streitmacht. Als sie gegen Regensburg kamen, sahen sie Kaiser Otto mit seinem Heer davor gelagert. Als der Kaiser soviel Kriegsvolk kommen sah, gebot er seinem Heer, den Kampf aufzunehmen und die Feinde zu vertreiben. Aber der Herzog von Sachsen begehrte mit Kaiser Otto zu unterhandeln; so vernahm dieser aus des Herzogs eigenem Mund, daß es seine Absicht sei, den Fürsten Ernst in die Stadt Regensburg zu bringen. Da sprach Kaiser Otto: »Ist es richtig, daß Ihr meinen Feind beschützt, der meinen Pfalzgrafen Heinrich an meiner Seite erstochen hat und auch mich ermordet hätte, wenn ich nicht entkommen wäre? Soll ich dem ungetreuen Sohn dies nachsehen? Nein, er hat es nicht verdient!«

Der Herzog von Sachsen erwiderte mit demütigen Worten: »Allergnädigster Herr und Kaiser, nehmt mir's nicht übel, ich wollte Euch bitten, Eurem Sohn zu vergeben. Wer weiß, ob er an den Dingen wirklich schuld hat, deretwegen er bei Euch angeschwärzt worden ist.« Aber der Kaiser wies den Herzog ab. Traurig ritt dieser zu seinem Freund zurück. 261

Unterdessen merkten die Bürger in der Stadt, daß Herzog Ernst in der Nähe sei. Sogleich schickten sie ihm Boten, er solle in die Stadt kommen; sie wollten Leib und Leben für ihn lassen und ihm untertänig sein. Darauf rüstete sich Herzog Ernst, begab sich zum Fürsten von Sachsen und bat ihn um einige Reiter und Landsknechte. In deren Begleitung ritt Herzog Ernst in die Stadt; denn Kaiser Otto fürchtete die Sachsen. Nachdem Herzog Ernst wohlbehalten hinter den Toren der Stadt Regensburg angekommen war, ritt der Sachsenherzog wieder in seine Heimat zurück.

Große Freude herrschte bei den Bürgern, als sie ihren Herrn wieder in der Stadt hatten; sie hofften, er würde jetzt bei ihnen bleiben. Aber es geschah anders. Denn Herzog Ernst erklärte ihnen: »Bürger der Stadt, ihr seht den großen Zorn meines Vaters, des Kaisers Otto, der mich von Land und Leuten vertreiben will. Er hat auch die Macht dazu, deshalb will ich mich nicht weiter wehren. Darum, liebe Brüder, bitte ich dringend, fleht meinen Vater um Gnade an, damit er jedem von euch erlaube, auf der Flucht so viel von seiner Habe mitzunehmen, als er tragen kann, und euch friedlich aus der Stadt ziehen lasse; alles andre müßt ihr zurücklassen.«

Über diesen Vorschlag berieten sich die Bürger und beschlossen zuletzt, zu bleiben und mit Weib und Kind zu sterben. Also nahm Herzog Ernst unter Tränen Abschied von ihnen, barg aus seinem Schloß zu Regensburg die wertvollsten Kleinode und ritt mit dem Sachsenvolk ungefährdet wieder aus der Stadt durch das Lager des Kaisers bis in das Land Sachsen zu seinem Bundesgenossen, dem Herzog Heinrich.

So sahen sich die Bürger allein; ihr Herr war von ihnen geritten, sie wußten nicht, was sie tun sollten. Der Kaiser befahl jetzt seinen Söldnern, zum Sturm auf die Stadt zu rüsten. Die Bürger sahen dies besorgt mit an. Sie dachten, wenn sie dem Kaiser die Tore öffneten, würde er sie töten lassen und die Stadt bis auf den Grund niederbrennen, wie er ihnen gedroht hatte. Einige aber meinten, man solle dem Kaiser die Schlüssel der Stadt ausliefern und ihn um Gnade anflehen. Er würde doch nicht so unbarmherzig sein, als er im Zorn gesprochen hätte.

Schließlich taten sie ihre Tore weit auf, die Ratsherren gingen vor die Stadt dem Kaiser entgegen und baten um Gnade, indem sie ihm in aller Demut die Schlüssel der Stadt überreichten. Kaiser Otto war 262 von Natur großmütig; als er ihre Trauer sah, dauerten sie ihn, und er sprach: »Weil ihr mir freiwillig die Tore geöffnet habt, will ich euch begnadigen.« So schwuren sie ihm Treue und hielten den Eid, wie es ehrlichen Bürgern geziemt.

Darauf zog der Kaiser von der Stadt ab und eroberte alles Land, das früher dem Herzog gehört hatte, trotzdem dieser mit Hilfe des Sachsenherzogs tapferen Widerstand leistete. Aber die Streitkräfte des Kaisers waren zu stark. Als Herzog Ernst erfuhr, daß sein Feind neuen Zuwachs an Heeresmacht anforderte, sandte er dem Herzog von Sachsen seine Kriegsleute wieder zurück und verschanzte sich selbst mit Graf Wetzel und etwa fünfzig der besten Ritter in einer starken Feste.

»Liebe Herren«, sprach er zu ihnen, »ich bitte euch, mit mir einen Kreuzzug nach dem Heiligen Grab zu unternehmen. Ich habe kein Schloß und keine Stadt mehr, wo ich sicher wäre; darum will ich das Land hier verlassen. Meinethalben soll kein unschuldiges Blut mehr vergossen werden, es ist schon jetzt zuviel davon geflossen.« Freudig gelobten die Ritter, mit ihm zu ziehen, wofür er ihnen dankbar war.

Auch die Kaiserin erfuhr allmählich, daß ihr Sohn aus Bayern fortziehen wollte. Sie schickte ihm daher ohne Wissen seines Vaters heimlich Silber, dazu viele andere Kleinode und wünschte ihm vielmals Glück auf den weiten Weg. Dieses Vermögen teilte der junge Fürst unter seine Ritter aus und besoldete sie damit. Darauf zogen sie die Donau stromabwärts und erreichten nach einigen Monaten Konstantinopel. Dort empfing sie der oströmische Kaiser herzlich und tat ihnen große Ehre an. An diesem Hof blieb Herzog Ernst mit seiner Ritterschaft längere Zeit, bis ein Segelschiff kam, mit allen Lebensbedürfnissen versehen und mit den besten Schiffsleuten besetzt. Dann fuhr Herzog Ernst mit seinen Begleitern ab, und mit ihm viele andere Fromme, die ihn in zwölf Schiffen begleiteten, weil sie die Fahrt nach Jerusalem auch gern unternehmen wollten.

Endlich erblickten die Steuerleute eine Küste, steuerten mutig darauf zu und erreichten in kurzer Zeit Land. Sobald sie das Schiff verlassen hatten, bestiegen sie ihre Rosse, ließen das Fahrzeug mit den Schiffsleuten vor Anker liegen und folgten der Richtung auf eine in weiter Ferne liegende Stadt, der sie sich aber nicht zu nähern wagten, weil niemand wußte, wo sie waren und wer die Stadt 263 bewohnte. Die Stadt umgaben eine hohe, starke Mauer und ein breiter Wassergraben, auch gewaltige Basteien und ein mächtiger Wall dienten zu ihrem Schutz.

Die Völker, die in diesem Land wohnten, hießen die AgrippinerSagenhaftes Inselvolk.. Herzog Ernst aber ritt mit seinen Begleitern um die Stadt, zögerte jedoch hineinzugehen.

So hielten sie sich vier Tage auf und wußten noch immer nicht, in welchem Land sie waren. Endlich betraten sie die Stadt. Aber kein Mensch war darin. Lange ritten sie in den Gassen umher, gelangten endlich vor ein gewaltiges Schloß, betraten dieses und kamen bald in einen hohen Saal. Dort fanden sie gedeckte Tische, die mit Speise und Trank reichlich versehen waren, als ob Hochzeit gehalten werden sollte. Da setzte sich Herzog Ernst mit seinem Gefolge nieder, und sie aßen und tranken sich satt. Nun schickten sie auch den Schiffsleuten zum Essen und ließen das Schiff mit Lebensmitteln versehen, so daß sie wohl für ein halbes Jahr genug hatten. Dann begaben sie sich wieder auf das Schiff und blieben die ganze Nacht dort. Am nächsten Tag ging Herzog Ernst mit seinem Freund Wetzel wieder in das Schloß. Da fanden sie eine Kammer, in der standen zwei herrliche Betten mit Decken von Brokat, und auch die Bettstellen waren von lauterem Gold. Mitten in dem Raum stand ein Tisch, mit einem köstlichen Tuch gedeckt, auf dem die herrlichsten Gerichte standen. Dann folgte ein kleiner Saal und weiter ein Garten mit einer prächtigen Fontäne, die in zwei goldene Tröge sprang.

Da sprach Herzog Ernst: »Freund Wetzel, hier laßt uns baden.« Das taten sie und gingen dann in die Kammer zu Bett. Nachdem sie genug gerastet hatten, machten sie einen Gang durch die Stadt. Plötzlich erblickte Graf Wetzel ein großes Heer daherziehen, und wie er es näher betrachtete, erkannte er, daß alle Leute von unten bis an den Hals wie Menschen gestaltet waren, oben aber Kranichhälse hatten. »Liebster Herr«, fragte Wetzel, »seht Ihr nicht das Volk, das dort herzieht?« Da bemerkte es auch Herzog Ernst und erwiderte: »Was ist zu tun? Ich denke, wir verbergen uns, damit wir sehen, was sie vorhaben!« So versteckten sich die beiden hinter einer Tür und sahen zu, was die Agrippiner unternahmen.

Diese zogen feierlich in die Stadt; ihr König hatte in seiner Begleitung eine schöne Jungfrau, die er offenbar mit seinen Untertanen 264 Brautfahrern abgenommen hatte. Nun setzte sich der beschnabelte König mit seinen Leuten im Palast zu Tisch. Aber sie merkten bald, daß Speisen verschwunden waren, und konnten sich nicht erklären, wie das zugegangen sei. Doch aßen und tranken sie sich voll und begannen bald zu schnattern und zu singen. Es gab auch Musik. Der König saß neben der schönen Jungfrau und bot ihr öfters den Schnabel, damit sie ihn küsse. Aber die Jungfrau wandte traurig den Mund seitwärts und dachte: »O Gott, wäre ich weit weg von diesen scheußlichen Geschöpfen! Wenn ich in einem Wald voll wilder Tiere wäre, ich wollte mich glücklicher fühlen.«

Die beiden Zuschauer hinter der Tür sahen den Kummer der Jungfrau und sagten zueinander: »Wie könnten wir die Jungfrau retten?«

»Ich will«, erklärte Herzog Ernst, »mein Leben daransetzen, die schöne Maid zu befreien!« Doch ließen sie die Sache eine Weile auf sich beruhen und meinten: »Wenn wir nur unsere Ritter bei uns hätten, wir wollten unter sie fahren!« Die Ritter im Schiffe jedoch dachten: »Wollte Gott, daß wir unsern Herzog Ernst und den Grafen Wetzel wieder bei uns hätten; wir fürchten, sie sind tot.«

Die Mahlzeit der Agrippiner hatte lange gewährt, sie hatten großes Geschnatter getrieben, aber nun kam die Zeit, daß jeder nach Hause gehen sollte. »Mein lieber Freund«, flüsterte der Herzog seinem Gefährten zu, »wie wollen wir es anfangen, daß wir ihnen die Jungfrau entreißen? Ich denke, wir springen hervor und töten den König!«

»Nein«, entgegnete Wetzel, »wir wollen achtgeben, wann der König zu Bett geht, dann wollen wir die Jungfrau holen.« Dieser Rat gefiel dem Herzog. Als nun das Mahl zu Ende war, ging alles nach Hause. Das Gesinde war trunken und schnalzte wie die Enten, der König aber begab sich in die schön geschmückte Kammer. Dann sprangen Ernst und Wetzel aus ihrem Schlupfwinkel und schlugen einen Diener zu Boden. Der andere entrann, kam in des Königs Kammer und schrie: »Die Inder sind da und wollen die Jungfrau holen!« Sogleich sprang der König der Jungfrau entgegen und stach sie mit seinem spitzen Schnabel in die Brust, daß sie zusammenbrach. Als die Helden dies sahen, wurden sie grimmig; Herzog Ernst sprang auf den König zu und durchbohrte ihn mit dem Schwert.

Nun wurden die Helden von den Agrippinern umringt, daß sie sich ihrer kaum erwehren konnten. Doch trieben sie die Angreifer zur 265 Kammer hinaus, verschlossen die Tür und hoben die Jungfrau auf. Aber sie war so schwer verwundet, daß sie kaum reden konnte. Endlich flüsterte sie: »Ihr kühnen Helden, hättet ihr mich meinem Vater lebend heimgebracht, so wäre ich die Gattin eines von euch beiden geworden; jetzt aber kann das nicht sein, ich muß sterben. Gott wolle meiner Seele barmherzig sein!« In Herzog Ernsts Armen gab sie ihren Geist auf.

Als die Helden sahen, daß die Jungfrau verschieden war, sagten sie zueinander: »Nun wollen wir uns wehren, oder wir sind des Todes!« Herzog Ernst und Wetzel zogen sich hierauf nach dem Schiff zurück, wobei sie tapfer auf die Feinde hieben; aber die Agrippiner schossen mit vergifteten Pfeilen nach ihnen. Da entwichen die Helden in ihr Schiff und hatten große Mühe, die vielen Verwundeten zu bergen. Dann segelten sie davon.

Doch Herzog Ernst und seine Ritter dankten Gott von ganzem Herzen, daß er sie von den Kranichsköpfen erlöst hatte. Mehrere Ritter aber waren schwer von den Giftpfeilen der Feinde verwundet. Nach ihrem Tod band man sie auf Bretter, und unter den Klagen der Übriggebliebenen wurden sie dem Meere übergeben.

Vier Tage fuhren die Ritter mit gutem Wind dahin, als neues Unglück sie erwartete. Denn am fünften Tag erhob sich ein ungeheurer Sturm, daß Herzog Ernst meinte, das Schiff müßte untergehen. Der Steuermann wußte nicht, wo sie wären; denn es herrschte finstere Nacht. Als der Tag anbrach, ging der Kapitän aufs Verdeck und sah sich um. Da erschrak er: »Allmächtiger Gott, wir sind verloren!«

»Was ist's, warum schreist du so?« fragte drunten im Schiff der Herzog.

»Herr, bittet Gott um Gnade«, antwortete der Schiffer, »wir sind ganz nahe beim Magnetberg und können nicht mehr davonkommen. Alle Schiffe, die Ihr da seht, hat der Berg an sich gezogen!«

Herzog Ernst rief ihm zu: »Steig herunter und versuche, ob wir das Schiff nicht wenden können!« Aber der Schiffer erwiderte: »Das ist unmöglich.« Sogleich begann die Kraft des Berges das Schiff an sich zu ziehen, daß es in Stücke ging. Einige faßten Trümmer und versuchten, sich auf in der Ferne liegende Wracks zu retten. Auf einem dieser Schiffe trafen Herzog Ernst und sein Freund Wetzel mit noch einigen Rittern zusammen, im ganzen ihrer sieben. Dort fanden sie 266 viele Tote, die sie auf das Verdeck schleppten. Da kamen Greifvögel geflogen, ergriffen die Leichname und brachten sie ihren Jungen zum Fraß.

So irrten sie traurig auf dem Schiff hin und her. Da stieß Wetzel plötzlich auf einen Raum, wo er viele Rinderhäute liegen sah. Er ging zu Ernst und sprach: »Lieber Herr, sollen wir hier elend sterben? Ich schlage folgendes vor: Es sind im Schiff viele Ochsenhäute gelagert, darein wollen wir uns nähen, und dann sollen uns die andern Ritter auf das Schiff legen. Sobald nun die Greifen kommen, werden sie meinen, es sei ein Leichnam, und uns in ihr Nest tragen, den Jungen zum Fraß. So gelangen wir wenigstens sicher über das Meer!« Herzog Ernst war damit einverstanden. »Aber«, meinte er, »wir müssen wohl unsere Rüstung anlegen; denn der Greif wird uns sonst mit seinen spitzigen Klauen arg verletzen.«

Beim Durchsuchen des Schiffs hatten sie in einem Winkel auch viele Edelsteine gefunden. Sie steckten zu sich, soviel sie konnten, legten ihre Rüstung an und ließen sich zusammen in zwei Ochsenhäute nähen. Dann wurden sie oben auf das Schiff gelegt. Unmittelbar darauf kam ein großer Greif, der nahm beide mit und trug sie hinweg, als ob ein Habicht eine Lerche dahintrüge.

Als der Greif sein Nest erreichte, legte er seine Beute nieder und schwang sich wieder in die Luft. Als die beiden Herren sich nun allein fanden, fragte Herzog Ernst den Wetzel: »Lieber Freund, lebst du noch?« Der aber konnte vor Müdigkeit kaum antworten und stöhnte: »Wenn uns Gott nicht hilft, können wir nicht davonkommen; denn ich habe in meinen Armen keine Kraft mehr, daß ich mich aus der Ochsenhaut befreien könnte!« Da sagte Herzog Ernst: »Warte ein wenig, bis wir wieder zu Kräften kommen!«

So lagen die beiden eine Stunde und fürchteten, daß der alte Greif wiederkommen würde. Dann fing Herzog Ernst an, sich aus der Ochsenhaut zu befreien, und als er die Fessel geöffnet hatte, schnitt er seinem Freund Wetzel die Stricke durch. Nun erblickten sie die jungen Greifen; die waren bereits gewaltige Raubvögel. Die Ritter stiegen aus dem Nest und sahen sich um; da gewahrten sie, daß sie der Greif über das große Meer getragen hatte, doch wußten sie nicht, wo sie waren. Es war ihnen aber auch einerlei; sie dachten nur an ihren Hunger und aßen Wurzeln, die sie zwischen den Steinen fanden. 267

Unterdessen berieten sich die Zurückgebliebenen in dem Schiff. Zwei von ihnen ließen sich auch in eine Ochsenhaut nähen. Sie wurden ebenfalls von dem Greifen geholt und in sein Nest gebracht. Als sie merkten, daß der Greif weggeflogen war, stiegen sie aus dem Nest und eilten in den Wald; sie hofften, hier ihren Herrn und seinen Freund zu finden. Die übrigen drei im Schiff wußten nicht, was sie tun sollten. Zuletzt sprach einer von ihnen: »Meine Meinung wäre, daß ihr zwei euch auch in eine Ochsenhaut nähen ließet. Dann will ich allein in dem Schiff bleiben, solang mir Gott das Leben schenkt!« Diesem Rat folgten die zwei und legten ihre Rüstung an, während sie der dritte in zwei Ochsenhäute nähte. Dann mühte er sich lange mit ihnen ab, bis er sie auf das Verdeck brachte. Nach Stunden kam der Greif in schnellem Flug, nahm sie in seine Klauen und trug sie über das Meer zu seinem Nest.

Der letzte, der ganz allein auf dem Schiff zurückgeblieben war, hatte bald nichts mehr zu essen und kam vor Hunger und Durst elend auf dem Schiff um. Inzwischen waren die zwei andern Gesellen in großer Furcht und Müdigkeit eine Zeitlang im Nest des Greifen gelegen. Schließlich kamen sie aus dem Nest in den Wald, wohin die andern gegangen waren, ihren Herrn zu suchen; aber sie konnten ihn nicht finden.

Wie nun die beiden letzten durstig im Wald nach ihrem Herrn suchten, sah der eine einen Hirsch daherspringen, der an einer Quelle trinken wollte. Als der Hirsch sich dem Wasser näherte, machte er plötzlich kehrt und lief davon, als ob man ihn jagte. Daraus schlossen die zwei, daß jemand in der Nähe sein müsse und eilten hinzu. Sie fanden die zwei andern Gesellen in einem Versteck sitzen, worüber sich alle vier nicht wenig freuten. Sie erfrischten sich an dem fließenden Wasser, dann beratschlagten sie, wie sie ihren Herrn in dem dichten Walde finden könnten. Zuletzt erkletterte einer einen hohen Baum und erspähte zwei Leute in der Ferne. Da fing er an zu pfeifen und zu rufen. Als Herzog Ernst und der Graf die Signale hörten, blieben sie stehen und horchten. So trafen sich alle sechs und freuten sich darüber von Herzen. Als sie eine Weile miteinander im Wald dahingeschritten waren, kamen sie zu einer tiefen Schlucht, in der ein reißendes Wasser floß. Sie stiegen mit vieler Mühe über die Felsen, bis sie auf den Grund der Schlucht kamen, und gingen längs des Wassers fort in der Hoffnung, irgendeinen Weg zu finden. Aber es 268 war vergebens; denn je weiter sie vordrangen, desto enger wurde die Schlucht. Nun wußten sie nicht, was sie tun sollten, standen beieinander und überlegten.

Da befahl Herzog Ernst seinen Rittern, sie sollten große Bäume fällen. Das taten sie, trugen die Stämme zusammen und legten Weiden und anderes junges Gesträuch darauf. »Meine lieben Freunde«, tröstete sie Herzog Ernst, »wer mit mir durch diese Schlucht fahren will, der folge mir.« Als sie in eine Höhle gekommen waren, wurde es stockfinster, so daß keiner den andern sehen konnte. Das Fahrzeug schwankte von einer Seite zur andern, so daß sie meinten, es müsse in Stücke gehen. Eine Weile ging es quer, dann wieder der Länge nach; das Wasser brauste so sehr, daß keiner hören konnte, was der andere sprach. Diese ungestüme Fahrt im Dunklen dauerte geraume Zeit. Plötzlich überstrahlte sie ein roter Schimmer. Die Höhle begann zu glühen und der Felsen leuchtete hell wie Feuer. Als sie ganz nahe waren, schlug Herzog Ernst ein Stück davon ab. Es war wertvollster Karfunkelstein.

Plötzlich erreichte das Flußbett wieder die freie Landschaft, sonnig erglänzten die Ufer, wo sie anlegten. Da sahen sie in der Ferne eine große Stadt, worüber sie froh waren, denn der Hunger quälte sie. Nun legten sie ihre Harnische an und gingen zur Stadt. Da kamen ihnen seltsame Leute entgegen, die hatten nur ein Auge über der Nase; sie heißen Zyklopen, sonst nennt man das Volk auch Arimasper. Viele kamen herbeigelaufen, bestaunten den Herzog mit seinen Leuten und wunderten sich sehr, daß es Menschen mit zwei Augen gebe. Sie meinten, es wären Wilde, und meldeten den seltsamen Besuch dem Herrn der Stadt. Als dieser es vernahm, ließ er die Fremden zu sich rufen. Er empfing sie aufs freundlichste, und sie dankten ihm mit großer Ehrerbietung. Herzog Ernst aber bat: »Laßt uns doch etwas zu essen bringen, denn wir haben seit Tagen nichts als Wurzeln gegessen!« Da befahl der Herr, daß man ihnen auftische. Herzog Ernst und seine Gefährten aßen und tranken sich nun satt.

Nach der Mahlzeit führte der Herr der Stadt den Herzog und seinen Freund in sein Gemach und fragte sie, woher sie denn wären. Da erzählte Ernst seinem Wirt alle Abenteuer, die er und seine Genossen mitgemacht hatten.

Am Ende erfuhr der König der Arimasper selbst, daß Herzog Ernst in seinem Reich wäre. Sogleich sandte er einen Boten an das Oberhaupt 269 der Stadt, daß er die Fremden zu sich bitte. Der Herzog mit seinen Rittern wurde vom König empfangen, und dieser gewann sie in der Folge sehr lieb.

Die Ritter waren schon längere Zeit im Land des Einäugigen gewesen, als dem König gemeldet wurde, daß die Sciapoden wieder ins Land gefallen seien und eine Stadt niedergebrannt hätten. Ernst fragte ihn, was das für Leute wären. Da erwiderte der König: »Es sind harte Feinde, Leute, die aus dem Morgenland kommen; man nennt sie Sciapoden oder Einfüßler; denn sie haben nur einen einzigen Fuß. Sie hüpfen so geschwind mit dem einen Fuß, daß sie niemand einholen kann. Wenn sie aber auf das Meer kommen, da sind sie noch viel geschwinder als auf dem trockenen Land.« Herzog Ernst antwortete: »Gnädiger Herr, ich bitte Euch, mir einige tapfere Männer zu geben, dann will ich es wagen, sie aus dem Land zu jagen.« Dieser Wunsch wurde dem Herzog vom König bewilligt, und so ritt er mit seinen Gesellen und den ihm beigegebenen Kriegern an das Meer. In einem erbitterten Ringen schlugen sie fast alle Feinde tot; nur einen nahm Herzog Ernst gefangen. Als sie heimkamen, wurden sie von allen Einwohnern, besonders vom König, mit Jubel empfangen.

Bald nach diesem Vorfall kam ein anderes Volk, die Panochen genannt, und forderten Zins von dem König der Arimasper. Diese Völker haben so große Ohren, daß ihre Läppchen bis auf die Erde hangen. Da fragte der König Herzog Ernst um Rat, ob er ihnen den üblichen Zins ausfolgen solle. Der kühne Held erwiderte: »Nein! Gebt mir das Kriegsvolk wieder, das ich vorher hatte, dann will ich sie mit List vertreiben!«

Wieder wurde Herzog Ernst nach errungenem Sieg vom König und allem Volk aufs feierlichste empfangen.

Aber das Königreich der Arimasper hatte neuerlich großes Unglück; diesmal kamen die Riesen und forderten ebenfalls Tribut von dem König. Der Abgesandte aus dem Reich der Riesen war nahezu zwölf Schuh groß, und jeder, der ihn sah, entsetzte sich über seine Größe. Der Riese erklärte mit trotzigen Worten: »König, du sollst wissen, daß du meinem Herrn, dem König der Riesen, den Zins zu geben schuldig bist; wenn du es nicht bald tust, werden wir dein Land bis auf den Grund zerstören.« Darüber erschrak der König sehr und schickte sofort nach Herzog Ernst, der auf seinem Landsitz war, den ihm der König eingeräumt hatte. Aber Herzog Ernst widerriet 270 dem König und sagte zu dem Riesenboten, er solle lieber heimziehen und seinem Herrn melden, wenn die Riesen die Haut jucke, sollten sie kommen, sie werde ihnen gekratzt werden.

Ärgerlich ging der Rote heim zu seinen Riesen und meldete ihnen diese höhnische Botschaft. Da wurden sie zornig und fielen in das Gebiet der Arimasper ein. Der Herzog aber zog den Riesen mit seinen Kriegern entgegen. Die Feinde verbargen sich in einem Wald und beabsichtigten einen nächtlichen Überfall. Aber Herzog Ernst hielt gute Wache, so daß er ihnen nicht gelang.

Schließlich aber mußten die Feinde weichen, doch entrannen sie bis auf einen; der war schwer verwundet. Da nahm ihn Herzog Ernst mit sich und ließ seine Wunden verbinden. Dann ritt er mit seinem Kriegsvolk zu dem König zurück und wurde von diesem vor allem Volk in Ehren empfangen. Herzog Ernst aber zog nun mit seinen Genossen und noch anderem Gefolge aus dem Land der Arimasper fort.

Unterwegs sprach er zu seinem Freund Wetzel: »Lieber Freund, ich habe gehört, daß es im Fernen Osten ganz kleine Menschen gibt, die in stetem Streit mit den Kranichen liegen. Ich habe Lust, diese Menschen kennenzulernen; darum ziehe mit mir!« Graf Wetzel war einverstanden. Sie bestiegen ein Schiff und fuhren zunächst nach Osten. Dort nahmen sie ihren Weg zu den Pygmäen oder dem Zwergenvolk. Als diese den Herzog mit seinem Gefolge sahen, erschraken sie vor den großen Leuten und baten sie um Frieden. Herzog Ernst erklärte: »Wir sind nicht gekommen, den Frieden zu brechen, wir wollen euch vielmehr Frieden bringen!«

Froh sprach einer aus dem Zwergenvolk zu dem Herzog: »Gnädiger Herr, die Vögel tun uns großen Schaden; wir können ihretwegen bei Tag nicht arbeiten, sondern müssen es bei Nacht tun!« Unterdessen kam ihr König, fiel dem Herzog zu Füßen und begrüßte ihn mit seinen Rittern demütig. Mit Tagesanbruch ging Herzog Ernst nebst einigen Zwergen aus und ließ sie einen Streit mit den Kranichen anfangen. Die Vögel kamen geflogen und erstachen mit ihren spitzen Schnäbeln viele von den Kleinen. Herzog Ernst aber ritt mit etlichen Rittern hinzu und erschlug eine solche Menge Vögel, daß das Feld voll toter Kraniche lag und die Bewohner ein ganzes Jahr von ihrem Fleisch zu essen hatten!

Als Herzog Ernst nach dem Vorfall wieder zum König kam, ließ dieser ihm viel Gold und Edelsteine anbieten, aber der Herzog wollte 271 nichts davon, sondern bat den König nur, ihm zwei kleine Männlein zu geben. Das tat er mit Freuden und gab ihm zwei Zwerge zu Knechten. Hierauf verabschiedete sich Herzog Ernst und fuhr mit seinem Volk wieder zu den Arimaspern. Die wunderlichen Leute, die er gefangen, und zwar die beiden Zwerge und den Riesen, hatte er bei sich. Wenn er sich einen Spaß machen wollte, ließ er sie miteinander streiten. Er lebte gut in dem Land; denn der Zyklopenkönig hatte ihm fünf große Städte und Schlösser geschenkt.

Einmal ging der Herzog mit seinen Dienern am Meeresstrand spazieren. Plötzlich bemerkte er ein Schiff mit Mohren an Bord. Neugierig ging er hinzu und fragte die Leute, woher sie wären. Der Schiffsherr erwiderte: »Wir kommen aus dem Fernen Osten und sind vom Wind hergetrieben worden!« Herzog Ernst fragte sie weiter nach ihrem Glauben. Sie antworteten, sie wären gläubige Christen. »Sag mir«, erkundigte sich der Herzog weiter, »hat jenes Land auch Kriege zu führen?«

»Ja«, entgegnete der Schiffer, »es hatte eine Zeitlang schweren Krieg mit dem Sultan von Babylonien. Dieser hat die Bewohner des christlichen Glaubens wegen bekriegt und das halbe Land mit Feuer verwüstet. Aber seit einem Jahr gibt es Frieden mit diesem König, doch fürchte ich, der Streit wird bald wieder anfangen; denn ehe wir aus dem Land zogen, ging das Gerücht, er wolle in unser Königreich einfallen.«

Nun lud Herzog Ernst den Schiffsherrn mit den Seinigen zu sich auf das Schloß ein und ließ sie dort aufs beste verpflegen. Inzwischen rief er seinen Freund Wetzel und seinen Kämmerer zu sich und sprach: »Liebe Freunde, wollen wir nicht zu diesen Mohren ziehen? Der Mohrenkönig ist den Christen wohlgesinnt. Soll ich hier unter den Heiden mein Leben enden? Das will ich nicht, selbst wenn ich wüßte, daß es mir übler gehen sollte, als es mir bisher ergangen ist. Was ratet ihr?« Sie erklärten sich bereit, ihrem Herrn auf die Reise zu folgen. Da nahm der Herzog seine Leute, bestieg mit Wetzel und seinen andern Rittern samt den Mohren das Schiff und fuhr ohne Abschied aus dem Königreich der Arimasper ab.

Im Fernen Osten angekommen, eilten die Mohren sofort zu ihrem König und meldeten ihm, daß ein tapferer Held mit ihnen gefahren sei. Der König ging den Gästen entgegen und begrüßte dann Herzog Ernst mit großer Achtung und bat sie, seine Gäste zu sein. Da meldete 272 eines Tages ein Bote des Sultans von Babylonien: »König der Mohren, ich bin von meinem Herrn zu dir geschickt, um dir zu sagen, wenn du von deinem Glauben nicht abstehst, so will er dich mit deinem ganzen Land vernichten; darnach richte dich!«

Der König erschrak und wußte nicht, was er antworten sollte. Aber Herzog Ernst erwiderte kurz: »Sag deinem König, er solle kommen; wir wollen auf ihn als Kriegsleute warten!« Dann wandte er sich zum König: »Warum seid Ihr so sorgenvoll? Ihr seid doch Gebieter in Eurem Lande! Und wenn Ihr nur zehn Männer hättet, so solltet Ihr Euch nicht fürchten! Es geschieht doch alles nur um des Wortes Gottes willen!« Diese Rede gefiel dem König; er antwortete dem Herzog: »Freund, Eure Worte haben mich gestärkt. Nun will ich es wagen, dem Feind Widerstand zu leisten, und sollte mein Königreich dabei zugrunde gehen.«

Als beide Heere einander in Schlachtordnung gegenüberstanden, feuerte der König von Babylon seine Heerhaufen an, beherzt dreinzuschlagen; sie sollten vor allem trachten, das Banner zu erobern. Er wußte aber nicht, daß es ein kühner Held, Herzog Ernst, trug.

Als man zum Angriff blies, erhob sich ein Getöse, daß man es auf eine Meile hätte hören können. Die Heiden wagten es, dem Herzog das Banner streitig zu machen, aber das bekam ihnen übel; denn Graf Wetzel stand mit seinen Rittern fest und hieb so tapfer auf die Heiden ein, daß es um ihn her viele Gefallene gab. Besonders der Riese schlug mit seiner Keule so furchtbar um sich, daß ihm kein Heide standhalten konnte.

Der König von Babylon sah das große Gemetzel um Herzog Ernsts Banner; er jagte in Eile auf ihn zu, als wollte er ihn niederreiten, aber Graf Wetzel versetzte ihm mit seinem Schwert einen so harten Schlag, daß der Sultan mitsamt dem Roß zu Boden stürzte. Als die andern Heiden das sahen, wollten sie ihrem König zu Hilfe kommen, aber der Riese streckte mit seiner Keule so viele Heiden nieder, daß keiner helfen konnte. Und so nahm ihn Graf Wetzel gefangen. Da wurden die Heiden verzagt und flohen. Jetzt faßten sich die Mohren erst ein Herz und stürmten ihrem Gegner mit aller Gewalt nach, so daß nur wenige entkamen.

Darauf eilte Ernst mit seinem Freund Wetzel zum König von Babylon und sprach: »König der Heiden, warum unterstehst du dich, die Christenheit zu bekämpfen und von ihrem Glauben abzubringen?« 273

Der König von Babylon antwortete zaghaft: »Du kühner Held, wer magst du sein? Du hast meinem Volk große Verluste zugefügt; wenn du mit deinem Gesellen, der mich gefangen hat, nicht gewesen wärest, so würde ich den Mohrenkönig besiegt haben. Nun aber bin ich ein gefangener Mann und werde es mein Leben lang bleiben, wenn du mir nicht aus der Gefangenschaft hilfst. Komme ich aber von hier los, so will ich dich mit meinem Volke bis nach der Stadt Jerusalem begleiten und werde keinen Krieg mehr gegen die Mohren führen.«

So bereitwillige Worte hörte der Mohr nicht ungern; er nahm Herzog Ernst beiseite und fragte ihn: »Was meint Ihr von solchen Verheißungen?« Herzog Ernst erwiderte: »Mein Rat wäre, daß Ihr ihn freigebt und Euch einen Eid schwören laßt, daß er seine Zusage halten wolle. Dann will ich mit ihm auf dem nächsten Weg nach Jerusalem ziehen; denn er hat mir sicheres Geleit durch sein Land zugesagt.« Nun gab der König von Indien seine Zustimmung. Da schwur der Sultan vor Gott und den Menschen für sich und seine Nachkommen, seine Zusage zu halten und das Königreich der Mohren nie wieder kriegerisch zu überfallen.

Als dies geschehen war, nahm Herzog Ernst von dem Mohrenkönig Abschied und zog mit seinen Rittern und dem Sultan von Babylon fort.

Allmählich erfuhren viele heidnische Herren die Rückkehr ihres Königs, deshalb ritten sie ihm mit viel Gefolge entgegen und empfingen ihn samt Herzog Ernst und Graf Wetzel aufs prächtigste. Dann zogen sie weiter, bis sie in die schöne Stadt Babylon kamen, wo Herzog Ernst drei Wochen als Gast des Sultans verblieb. Während sich der Herzog zur Weiterreise rüstete, ließ ihm der Sultan viel Gold und Silber bringen und schenkte ihm mancherlei Kleinode. Dieses Geschenk nahm Herzog Ernst mit großem Dank an und bat den König um zweitausend wohlbewaffnete Heiden als Begleitung. Dann nahm er Abschied von seinem Gastherrn und ritt mit den Dienern auf Jerusalem zu. Als sie in die Nähe dieser Stadt kamen, sprachen die Heiden zum Herzog: »Ihr wißt, lieber Herr, daß wir jetzt von Euch scheiden müssen; denn nun seid Ihr im Gebiet der Christenheit, da dürfen wir nicht hinein, sonst schlüge man uns alle tot. Darum bitten wir, uns jetzt zu entlassen.«

Der Herzog dankte ihnen herzlich für die Ehre, die sie ihm erwiesen hatten, und sandte sie nach Babylon zurück. Als er nun hart 274 vor der Stadt war, schickte er seine absonderlichen Leute mit einem Diener voraus und behielt nur den Riesen mit seiner großen Lanze bei sich. Als der Diener mit den seltsamen Geschöpfen durch die Stadt Jerusalem zog, lief ihm das Volk nach und bestaunte die merkwürdigen Leute. Die Straße wurde so voll von Pilgern, daß niemand zu dem Haus kommen konnte, in das der Diener eingekehrt war. Dann ritt auch Herzog Ernst mit seinem Freund Wetzel nebst dem Riesen und den beiden andern Dienern in die Stadt.

Nachdem sich das Volk ein wenig verlaufen hatte, gingen einige vornehme Pilger, die Herzog Ernst kannten, zu dem König von Jerusalem und erzählten ihm, daß der Herzog mit seltsamen Menschen gekommen wäre und daß seine alten, getreuen Gefährten fast alle bei einem Seesturm umgekommen seien. Der König suchte sogleich Herzog Ernst auf, begrüßte ihn voll Hochachtung und führte ihn in seinen königlichen Palast.

Darauf begaben sie sich zum Heiligen Grab und kehrten nach verrichteter Andacht mit dem König wieder in den Palast zurück.

Als der Herzog schon ein halbes Jahr in Jerusalem weilte, kamen zwei Pilger dahin, die ihn wohl kannten. In die Heimat zurückgekehrt, meldeten diese dem Kaiser Otto, daß sein Sohn, Herzog Ernst, in Jerusalem sei und viele wunderbare Leute aus seltsamen Ländern mit sich führe. Darüber wunderte sich der Kaiser sehr und erzählte es sogleich seiner Gemahlin. Über diese Nachricht freute sich die Kaiserin.

Herzog Ernst hielt sich nun ein ganzes Jahr in Jerusalem auf, dann sprach er zum König: »Gnädiger Herr, ich bitte, mich von Euch verabschieden zu dürfen; denn es ist nunmehr Zeit, mein Vaterland aufzusuchen.« Da ließ ihm der König zwei Schiffe ausrüsten, mit denen der Herzog samt seinen Begleitern nach Frankreich fuhr. Sie kamen mit gutem Wind an die Küste des Tyrrhenischen Meeres, und von da eilten sie nach Paris. Nachdem sie zwei Tage in der Stadt geweilt hatten, wurde einer seiner seltsamen Männer, den Ernst aus dem Arimasperland mitgebracht hatte, krank. Es war einer der Sciapoden, der einen so großen Fuß hatte, daß er sich vor den Sonnenstrahlen damit beschatten konnte. Dieser starb zu Paris. Herzog Ernst erklärte darauf hin zu Graf Wetzel: »Lieber Freund, wir wollen wieder auf die See und nach Rom pilgern. Dann wollen wir zusehen, wie wir auf raschestem Weg nach Deutschland kommen!« 275

Da erwiderte Graf Wetzel: »Mein Herr und Freund, ich rate Euch folgendes: Ihr habt doch von unserm Wirt gehört, daß Kaiser Otto einen Reichstag zu Nürnberg halten will. Dorthin wollen wir reisen und unsere Leute heimlich mit einem Wagen hinführen lassen, damit der Kaiser unsere Ankunft nicht bemerkt.«

Dieser Rat gefiel Herzog Ernst, und er antwortete: »Noch heute wollen wir uns auf den Weg machen!« Und das taten sie auch. Herzog Ernst ließ zwei große gedeckte Wagen besorgen und nahm noch zwei Knechte auf, verbot ihnen aber, jemand zu sagen, was in dem Wagen sei. Und nun ritt der Herzog mit seinem Freund Wetzel und seinem Gefolge aus der Stadt. Die zwei Reisewagen fuhren hintennach. Wo sie in eine Herberge kamen, gebot Herzog Ernst dem Wirt, daß er niemand etwas von den merkwürdigen Leuten sagen sollte, die er mit sich führte. Aber der Riese mußte stets nebenherlaufen, worüber die Menge staunte. Nach Überqueren der Alpen erreichte der Zug die Donau. Dann ritt Herzog Ernst mit den Seinigen auf die Stadt Nürnberg zu, wo sie kein Mensch kannte; auch hielten sie sich mit ihrem Gefolge ganz heimlich in der Stadt auf.

Später traf auch der Kaiser mit seiner Gemahlin und dem Gefolge in der Stadt ein. Nun war es an einem Feiertag morgens, wo jedermann in die Kirche ging. Die Kaiserin war mit etlichen Jungfrauen auch vorgefahren. Da sah Herzog Ernst seine Mutter und sagte zu seinem Gefährten: »Was meinst du? Jetzt ist meine Mutter in der Kirche; soll ich hineingehen und mich stellen wie ein Bettler, der ein Almosen begehrt?« Diesen Vorschlag billigte Wetzel; daraufhin begaben sie sich miteinander in die Kirche.

Vor der Treppe ging Herzog Ernst auf die Kaiserin zu, grüßte sie ehrerbietig und sprach: »Gebt mir doch ein Almosen um Christi willen wegen Eures Sohnes Ernst!« Da entgegnete die Kaiserin: »Ach, lieber Freund, meinen Sohn hab' ich lange Zeit nicht gesehen. Wollte Gott, daß er noch am Leben wäre, ich würde Euch ein gutes Botenbrot geben!«

Schnell sprach der Herzog: »Gnädige Frau, gebt mir das Zehrgeld, dann muß ich mich wieder davonmachen; ich bin einmal in Ungnade bei meinem Vater und kann nicht auf Gnade rechnen.« Die Kaiserin rief erstaunt: »Was, Ihr seid selbst mein Sohn Ernst!«

»Ja, Mutter«, gab jener zur Antwort, »ich bin Euer Sohn; darum helft mir, daß ich wieder zu Gnaden kommen möge!« 276

Als nun die Kaiserin sah, daß ihr Sohn wieder heimgekommen war, riet sie ihm rasch: »O mein geliebter Sohn, da wir nicht Zeit haben, hier miteinander zu reden, will ich dir einen Weg zeigen, wie du bei deinem Vater Gnade finden kannst. Ich rate dir, daß du morgens, sobald der Bischof von Bamberg das Evangelium gesungen hat, mit deinem Freund, Graf Wetzel, dem Kaiser zu Füßen fällst und ihn bittest, dir um Christi willen zu verzeihen. Ich will noch heute den Bischof und andere geistliche Herren ersuchen, daß sie sich bei deinem Vater für dich verwenden. So hoffe ich, daß sich des Kaisers Herz erweichen werde.«

Herzog Ernst nahm getröstet Abschied von seiner Mutter. Als aber die Kaiserin von der Kirche heimgekommen war, ließ sie sogleich den Bischof von Bamberg rufen und bat ihn weinend, daß er ihr eine Bitte gewähren wolle. Das versprach er ihr gern, und sie sagte zu ihm: »Bischöflicher Fürst, mein Sohn Ernst ist mir vor der Kirche begegnet; er wird morgen während des Gottesdienstes einen Fußfall vor dem Kaiser tun und um Gnade flehen. Ich bitte Euch nun, ihm zu helfen, Gnade zu erlangen.«

Diese flehentlichen Worte der Kaiserin rührten den Bischof sehr; er versprach ihr, alles zu tun, was sie wolle.

Herzog Ernst hatte sehnsüchtig auf den nächsten Tag gewartet. Endlich war der Kaiser mit seinen Grafen in die Kirche gegangen. Da machten sich Ernst und Wetzel auf und zogen miteinander in die alte historische Kirche. Als sie eingetreten waren, blieb Herzog Ernst bei der Tür stehen, Graf Wetzel trat hinter einen Pfeiler und wartete; denn wenn der Kaiser seinen Sohn nicht begnadigen, sondern wieder zum Gefängnis verurteilen sollte, wollte Wetzel seinem Freund zu Hilfe eilen.

Zum Gottesdienst saß der Kaiser in vollem Prunk auf seinem Stuhl; die Kaiserin nahm neben ihm Platz. Der Bischof von Bamberg begann mit lauter Stimme das Evangelium zu singen. Dann wartete er kurz mit der Predigt, so wie es mit der Kaiserin verabredet war. Nun trat Herzog Ernst mutig vor seinen Vater; er hatte seinen Mantel über sein Angesicht geschlagen; fiel vor dem Kaiser auf die Knie nieder, neigte sein Haupt dreimal und sprach: »Allergnädigster Herr und Kaiser, ich bitte Eure Majestät, daß Ihr einem Sünder verzeihen wollt, der sich vor langer Zeit wider Euch vergangen hat, aber Gott weiß wohl, daß er unschuldig ist!« 277

Der Kaiser hörte die Bitte an und erwiderte: »Ohne die Übeltat zu kennen, wegen der du dich entschuldigst, kann ich dir schwer verzeihen!« Da stand die Kaiserin auf und bat: »Gnädiger Herr, vergebt diesem Menschen, weil er Euch an einem hohen Festtag so inständig bittet!« Desgleichen trat der Bischof von Bamberg mit vielen Kirchenfürsten herzu und schaltete sich fürbittend ein: »Gnädigster Herr und Kaiser, Ihr sollt diesem armen Menschen vergeben; Ihr wißt wohl, es ist vor Gott kein Sünder so groß, daß ihm nicht seine Sünden verziehen werden, wenn er wahre Reue hat!« Da erklärte der Kaiser: »Sie sollen ihm verziehen sein; doch will ich wissen, wer er ist, der vor mir kniet!«

Da warf Herzog Ernst seinen Mantel von seinem Angesicht zurück; der Kaiser erkannte seinen Sohn; Zorn entfärbte sein Gesicht. Herzog Ernst sah das, erschrak und winkte seinem Gesellen Wetzel, daß er achthaben sollte, wenn der Kaiser ihn gefangen abführen lassen wollte. Aber als der Kaiser sah, daß alle so eifrig Fürbitte für seinen Sohn einlegten, kam er zum Entschluß: »Lieber Sohn, wo ist dein Freund, Graf Wetzel, hingekommen?« Da antwortete Herzog Ernst: »Dort hinter dem Pfeiler steht er!« Wetzel kam freudig heran, und der Kaiser gab beiden den Friedenskuß.

Hierauf wurde ein Festmahl unter allerlei erfreulichen Gesprächen eingenommen. Herzog Ernst aber fragte: »Lieber Vater, ich bitte untertänig, mir doch zu sagen, warum Ihr mich aus meinem Land vertrieben habt, obwohl ich mich doch nie gegen Euch vergangen habe?«

»Mein Sohn«, erwiderte der Kaiser, »ich will dir nicht verhehlen, warum ich das getan habe. Pfalzgraf Heinrich kam einmal zu mir und meldete: ›Gnädiger Herr, es ist meine Pflicht, Euch zu warnen. Euer Sohn Ernst hat sich mehreren Herren gegenüber geäußert, wenn er seinen Vater allein anträfe, wolle er ihn töten, damit er das Reich allein bekäme.‹ Der Pfalzgraf beteuerte, er selbst habe diese Äußerung aus deinem Munde gehört. Darum schickte ich Kriegsleute gegen dich und wollte dich vertreiben lassen. Als ich auf dem Reichstag zu Speyer weilte, kamst du in meine Kammer und stachst den Pfalzgrafen nieder; wenn ich nicht in meine Kapelle entflohen wäre, ich glaube, du hättest mich auch erstochen! Da wurde ich noch zorniger und vertrieb dich ganz aus dem Land.«

Darauf erklärte Herzog Ernst: »So wahr Gott lebt, gnädiger Herr Vater, ich habe nie mit einem Wort wider Euch geredet; als ich 278 erfuhr, daß Euch der Pfalzgraf so schändlich belogen hatte, da hab' ich ihn getötet.« Der Kaiser wunderte sich nicht wenig über des Pfalzgrafen Verräterei.

Als das Mahl vorüber war, rief Herzog Ernst einen seiner Diener und sprach zu ihm: »Bring das wunderliche Volk aus der Herberge hierher, das ich mitgebracht habe!« Das tat der Diener.

Dann sagte Herzog Ernst: »Lieber Vater, diese Leute hier habe ich dem König der Arimasper unterworfen. Der Mensch mit dem einen Auge aber ist in jenem Königreich zu Hause. Einer von den Leuten, der nur einen einzigen Fuß hatte, ist mir in Paris gestorben. Einen Agrippiner konnte ich nicht mitbringen, deren König habe ich getötet. Diese Leute haben Kopf und Hals wie Kraniche, sehen aber sonst wie Menschen aus. Als wir von ihrem Land wegfuhren, kamen wir an den Magnetberg, da ging unser Schiff in Stücke und sieben von uns retteten sich auf ein anderes Schiff. Dort nähten wir uns in Ochsenhäute, ein Greif trug uns ans Land. Dann befuhren wir auf einem Floß in einer Schlucht ein reißendes Wasser, mußten durch einen großen Berg und kamen an leuchtendem Gestein vorüber; von dem habe ich dies Stück abgeschlagen.« Dann zog Herzog Ernst jenen Karfunkel heraus und gab ihn seinem Vater. Der Kaiser ließ ihn in die Krone des Reiches fügen. Der kostbare Stein wurde der »Waise« genannt, weil er unter den anderen Juwelen an Glanz und Größe nicht seinesgleichen hatDie deutsche Kaiserkrone mit dem »Waisen« befindet sich in der »Weltlichen Schatzkammer« zu Wien.. Hierauf berichtete Ernst noch weiter über alle seine Abenteuer.

Der Kaiser konnte des Staunens gar nicht müde werden. Endlich sprach er zu Herzog Ernst: »Mein lieber Sohn, weil du so viel mitgemacht hast, verspreche ich dir, daß du dein ganzes Land wieder haben sollst.« Herzog Ernst ritt mit seinem treuen Freund, dem Grafen Wetzel, in sein Land und ließ sich vom Volk, das ihn mit Freuden empfing, huldigen. Der Kaiser begab sich dann von Nürnberg nach Speyer und hielt prunkvollen Hof, weil sein Sohn wieder in das Land gekommen war. Die Kaiserin aber, Herzog Ernsts Mutter, bestellte Bauleute und ließ ein herrliches Münster in Salza errichten, in dem sie auch ihre letzte Ruhestätte fand.


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