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Oberammergau im Schnee, – wer hat's schon gesehen? ... Bis an das erste Fenstergesimse der bemalten Häuschen reicht er hinauf und oft noch weiter. Der Bahnschlitten fährt durch die krummen Gassen, jeder schaufelt ein Weglein die Staffel hinab bis zum Nachbar, und drinnen in den getäfelten Stuben werden mächtige Scheite in die großen alten Kachelöfen geschoben. – Oberammergau im Schnee, in der Einsamkeit und zur Weihnachtszeit, ja, das ist ein anderes Bild, als die Fremden es gewohnt sind!
Ein Trupp Buben und junger Burschen mit Rucksäcken, Fausthandschuhen und roten Nasen kommt vom Wald und geht der Kirche zu.
»Habt's öös enker Moos?« ruft eine Männerstimme aus dem halbgeöffneten Fensterchen der Schmiede heraus.
»Gott sei Dank, ja,« sagt einer der Burschen und wischt sich trotz der schneidenden Kälte die Schweißtropfen von der Stirne. »Öös dürft mr's glaub'n, daß dös a schwar's Stück Arbeit war bei dem glatten Boden, – wann's weg'n dr Kripp'n net g'wes'n wär, i hätt's sonst net tan!« Und die jungen Leute verschwinden im Kirchhof.
Der Schmiedmeister Rutz – in der Passionszeit der Chorführer – nimmt rasch seine Kappe vom Nagel und sagt zu seinem Weib, das gerade den Schmarrenteig zum Mittagessen macht: »I kimm bald wieder, fangt's nur derweil an mit dem Ess'n, muaß schaug'n, wie weit sie mit dem Aufstell'n der Kripp'n sind!«
»Derf i aa mit, Votta?« fragt eine helle Kinderstimme, und der kleinen fünfjährigen Mathilde wird geschwind eine »Haub'n« auf den blonden Kopf gesetzt, und sie trippelt glückselig neben dem Vater zur Kirche. Am Mesnerhaus steht ihr Kamerad, der Tonerl, und hat die blauroten Hände in den Hosentaschen.
»Kimmst mit?« frägt Mathildele.
»Noa!« sagt der Bub etwas trotzig. »Der Mesnervetter ist schon seit heut fruah beim Christkinderl drüben! ... I hob ihm helf'n woll'n, no hob i aber 'm Gloriaengel den Flügel abbroch'n, – no hat er g'sagt, i soll mi zum Kuckuck scheer'n,« und dem Tonerl zuckte es um den Mund.
»Bist holt a dalketer Bua!« sagte der Schmied lachend.
Das Maderl aber rief voll Mitleid: »I kimm bald z'ruck, nachher muaß i dir was sog'n!«
In der weiten, großen Oberammergauer Petrikirche sah es heute bunt aus! Hunderte von alten, geschnitzten Figuren in Brokat und Seide gekleidet, lagen herum oder waren schon aufgestellt. Der Mesner, der beim Passionsspiel so vornehm und stolz den Nathanael darstellt, der Schnitzer Rendl, der Bürgermeister Lang und Johann Zwink – Pilatus, Kaiphas, Petrus und Judas aus dem Spiel – waren hier einträchtig versammelt, um, uralter Sitte gemäß, die »Kripp'n« kunstgerecht nach frommer Art und nach einem Vermächtnis aufzustellen. Es gibt keine Familie im Dorf, die nicht im Laufe der Zeiten eine oder die andere der Figuren dazu gestiftet hätte, und in der Weihnachtszeit werden Beruf und Arbeit hintangesetzt, um sich diesem Werke zu weihen.
Oben am Altar ist die Stadt Jerusalem aufgebaut, und weiter unten Bethlehem mit der eigentlichen Krippe. Auf Tischen, mit Moos und Tannenzweigen bedeckt, die ganze Seitenwand der Kirche entlang, entwickelt sich der stattliche Zug von Hirten und von den heiligen drei Königen mit ihrem Gefolge, meist angedunkelte, künstlerisch geschnitzte, mit feinem Sinn gekleidete Gestalten.
Vom Eingang her kommt der Herr Pfarrer und mit ihm ein stattlicher Mann mit langem, gelocktem Haar, den alle mit sichtlicher Auszeichnung grüßen.
»Dös is guat, daß Hochwürden kommen und der Herr Mayr aa!« (der damalige Christusdarsteller) sagt der Mesner, der eben dem Krippenöchslein die abgebrochenen Ohren anleimt. »Mr san jetzt no gar net 'm reinen, ob mr heuer d' Mutter Gottes sitz'n oder steh'n lass'n soll'n!« sagte er.
Der Schnitzer versuchte nun sachverständig einige Stellungen, und alles besprach mit Ernst und Hingebung diese wichtige Frage, bis die Glocken Mittag läuteten, und der Pfarrer, der sich mit feinem Verständnis beteiligt hatte, das Zeichen zum Aufbruch gab.
»Woaßt, Christus-Mayr,« sagte der Schmied auf dem Heimweg zu diesem, »nächst der Passion ist's halt doch 's Schönst im ganz'n Jahr, wenn mr d' Kripp'n aufstellen kann!«
Das Thildele, des Schmiedmeisters Rutz fünfjähriges Töchterlein, das alles in der Kirche mit offenem Munde angestaunt hatte, denn vom vorigen Jahr war ihm die Erinnerung nur dunkel, war geschwind ins Haus des Hafners Lang gesprungen, wo der einige Jahre ältere Tonerl, der spätere bekannte Christusdarsteller, gerade einen großen Knödel in den Mund schob, und hatte ihm ins Ohr geflüstert: »Um vier haben's g'sagt, sei alles ferti, do kimm i noch zu dir und hol di ab, na schaug'n mr alles mitsamm'n an!«
Die Dämmerung bricht in den Bergen rasch herein. Das Mädel hatte Wort gehalten. Der Vater war in der Schmiede, die Mutter bei einer Nachbarin, in der Stube nebenan übten ein paar junge Leute das Halleluja für morgen ein.
Die zwei Kinder huschten ungesehen durch den Schnee über den Kirchhofweg, drückten mit vereinten Kräften die schwere Türe auf, und zu ihrer Freude war die Kirche leer. Sorgsam bekreuzte sich Mathilderl, sie reichte gerade mit ihrer Hand zum Weihkessel hinauf, und gab von dem »Weihbrunnen« auch dem neben ihr stehenden Tonerl ab. Dann schritten sie mit heiliger Scheu Hand in Hand den Weg zum Hochaltar hinauf und verbeugten sich.
»Sixt, Tonerl, die heilige Mutter derf sitz'n!« sagte das kleine Mädchen mit gedämpfter Stimme und sichtlicher Genugtuung. Es war ihr heute früh nicht richtig erschienen, daß man vom Stehen gesprochen hatte. – Ein letzter Abendstrahl fiel noch zu den gemalten Fenstern herein, und die Kinder liefen hinauf und herunter und besahen sich alles. Tonerl hatte seine Scheu und sein schlechtes Gewissen wieder verloren, und er konnte nicht unterlassen, da und dort mit den steifgefrorenen Fingern hinzutippen.
»Schau, Tonerl, die schönen Kronen von die heilig'n drei König!« sagte Thilderl voll Ehrfurcht. »Die san von Gold und lauter Edelstein!«
»Holz ist aber drunter!« sagte der alles gründlich nehmende Tonerl und griff dabei, zwecks näherer Untersuchung, nach der Krone des Mohrenkönigs.
Bums! – tat es einen großen Fall, und die Krone mitsamt dem Kopf war heruntergefallen und hatte dem armen König auch noch seine Spende von Weihrauch und Myrrhen aus den Händen geschlagen.
Zitternd und mit hochklopfendem Herzen sahen's die Kinder und zogen sich in ihrer Angst zum Hochaltar zurück, wo sie sich eng aneinandergedrängt hinsetzten. Dem Tonerl war's wieder sehr unbehaglich. »I will hoam!« sagte er energisch und zog die Gespielin eilig am Rock hinter sich drein durch die Kirche. Aber, o weh, die Haupttüre war geschlossen worden, und auch die anderen gaben trotz allem Rütteln nicht nach.
Der Abendschein war längst erloschen, die Farben an den Fenstern verblichen und die zwei Kinder standen angstvoll in der Dunkelheit. Von Zeit zu Zeit polterten sie nun mit den kleinen Fäusten an die eisenbeschlagene Tür, schließlich auch noch mit den Schuhen, aber es nützte nichts. Niemand hörte sie, auch dann nicht, als das kleine Mädchen leise vor sich hinweinte: »Wär ich doch bei meiner Muatta ...« Ganz müde hockten die zwei endlich auf den kalten Steinboden nieder.
Das Mäderl faßte sich zuerst wieder, denn sie hatte die Verantwortung und war die Verführerin gewesen.
»Kimm, Tonerl, mr gängen zum Christkindl!« sagte sie, und sie tappten zu ihrem vorigen Platze am Hochaltar zurück.
»Sei stad und woan net, i erzähl dr was Schönes!«
»Aber mi friert's aso!« sagte das Thilderl, dem's einen tiefen Herzstoß gab, und es hauchte in die Hände. Dann nahm es sein rotes Röckchen zusammen und wickelte sich und dem Tonerl, der sich nun neben sie gesetzt, die kalten Hände hinein. Ein Schimmer des ewigen Lichts fiel auf die Krippe und auf das Jesuskind, und sie saßen eine Zeitlang still.
»Sixt, Tonerl, wia liab als es drein schaugt!« sagte die Kleine. Des Tonerls Auge war aber wo ganz anders haften geblieben! Über der Krippe schwebten die Gloriaengel, und dem einen davon hing der Flügel ganz schlaff und nur noch an einem Fädchen haltend, herab. Der Mesnervetter hatte ihn heute früh wohl fest angeklebt, aber in der Kälte war er scheint's abgesprungen, und das Ganze sah sehr schief und bedrohlich aus.
»Wann er aufs Christkind fall'n tat, nachher zerschlaget 'r 's,« sagte Tonerl mit zitternder Stimme. »Und wenn i 's Christkindl hing'macht hob, nachher gibt's koan Christtag net!« Und der Bub, um dessen Fassung es geschehen war, weinte nun laut hinaus. Das scholl so unheimlich in der dunklen Kirche, daß sich das Thilderl auch gewaltig fürchtete.
»Woan net, Tonerl,« tröstete sie wieder sich und ihn. »Schaug, 'm Christkindl ist no nia nix g'scheg'n! Erst neuli hot's a große Reis'n g'macht in ara Kist'n! Woaßt, in der Stadt, wo's koa Kirch'n hob'n und doch eine möcht'n. Und weil's iahnen am Geld fehlt, so hab'n 's unsere Kripp'n und die Engerln mitsamt dem Ochs und Esel entlehnt, und hob'n 's dort vor die fremden Leut herzeigt. Do ist's Christkind Eisenbahn g'fahr'n hin und z'ruck, aber der Votta hot g'sagt: 'm heiligen Kindl passiert koa Unglück!« Und mit frommen, glänzenden Augen sah die Kleine empor.
Der Tonerl aber hatte inzwischen mit Entsetzen wieder etwas anderes gesehen. Die Figur des geköpften Königs starrte so grauenhaft herüber. Eine weiße Krause und nichts darin, – die Hände, die die Spende getragen, streckte er von sich, ... und die eine, – die deutete gerade auf ihn. – Da verließ ihn gänzlich seine Beschützerrolle als Älterer, und er schrie: »Aber dem Balthasar ist der Kopf abig'fall'n, und wenn's der Votta sieht, no haut 'r mi! ... Und wer bös g'wes'n ist, darf 'm Passion net mitspiel'n! ... Außi möcht i!« brüllte nun der Tonerl aus allen Leibeskräften, denn dieser Gedanke, nicht mitspielen zu dürfen, war ja gar nicht zum Ausmalen. Und das Thilderl weinte jetzt auch laut mit, denn nun wußte es nichts mehr zu sagen, und die Angst schüttelte es! –
Da rasselte etwas unten an der Türe, das Schloß ging auf, eine Laterne kam herein und dahinter Menschen. Und das Mathilderl flog auf und schrie: »Muatta!« und flog ihr um den Hals. Und die Schmiedin und die Mesnerin sagten: »Jessas, Marie und Joseph, wie kimmt's öös böse Kinderln in die Kirch'n? ... Seit drei Stund'n suchen mr enk schon überall! ...«
Und der Mesnervetter, der den großen Schlüsselbund und die Laterne in der Hand trug, setzte alles beiseite und schüttelte den Buben, trotzdem er ihn gern hatte, an den Schultern. Der Vater aber vom Tonerl, der gleichfalls aufgeregt, auch dazukam, schrie ganz rauh: »Hob scho glaubt, i müaß di aus dr Ammer rauszieg'n! ... Wia kimmst jetzt du in die verschlossene Kirch'n eini, du Lausbub!« Dabei zauste er ihm ordentlich das Kraushaar, drückte ihn dabei aber ganz fest an sich.
»... Votta ... i hob 'm Balthasar 'n Rucker geb'n, no is sein Kopf abig'fall'n!« sagte der Tonerl, noch immer schluchzend, – er mußte zuerst sein Gewissen entlasten – war aber sehr erstaunt, als der sonst ziemlich strenge Vater sagte: »Jetzt mach du nur z'erst, daß d' ins warme Nest kimmst, zum Mohrenkopf-anleimen gibt's morgen fruah no Zeit gnuag!«
Das Mathilderl hatte unter Tränen im Bett die Mutter noch um Verzeihung gebeten, dann aber, als es seine warme Suppe gegessen, war es müde eingeschlafen und träumte weiter vom Christkind und von den heiligen Engeln. Aus dem Nebenraume aber klang's in glockenhellen Tönen:
»
Gloria in excelsis deo
Et in terra pax hominibus!«