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Frau von Lescomte.


Paul, sagte der Hofgerichtsamtsverwalter von S., indem er eine Prise nahm und den Kopf mit halbgeöffnetem Munde an die Rückenlehne seines Armsessels legte, um das kommende Niesen abzuwarten – das Abschiednehmen ist eine höchst wehmüthige Sache. Kürzen wir es ab. Ich will Dir auch keine Lehren und Ermahnungen mit auf den Weg geben; denn wenn ich Dir die Erfahrungen meines Lebens mittheilte, was bliebe Dir zu lernen übrig? Und zum Lernen ist der Mensch erschaffen, eine helle Glasflasche – schwach und zerbrechlich wie sie, in welche die Jahre den geistigen Inhalt gießen müssen. Nur soviel laß Dir gesagt sein, erwarte nicht zuviel vom Leben; die Menschen sind langweilig und das Wetter ist schlecht. Erwirb Dir nicht einen wahren Freund, sondern viele falsche. Den wahren wirst Du unterstützen müssen, ohne viel von ihm zu haben, weil er eben nur einer ist. Die falschen kannst Du benutzen, da sie zu einer Menge Dienstleistungen ausreichen, und am Ende, wenn sie Dir lästig werden, darfst Du sie ohne Gewissensbisse fallen lassen. Sei verschlossen gegen Jedermann und lasse es schwer sein, mit Dir bekannt zu werden. Man wird es desto eifriger suchen und die, welchen Du einmal im Theater Deinen Zettel liehest, werden Dich laut preisen, um zu zeigen, wie rückhaltlos Du ihnen Dein sonst seltenes Vertrauen geschenkt hast. Wenn es Dir Vergnügen macht, ein Narr zu scheinen oder eine Zeitlang zu sein, so gib diesem Hange ohne Gêne nach, es übt den Geist, mit Geschmack ein Narr zu sein, es schützt gegen die Philister wie Tabakrauchen gegen die Mücken und indem es Dir eine harmlose Beschäftigung gibt, bereitet es der Weisheit die Wege zu Deinem Herzen vor. Denn auch die Weisheit ist ein Weib, die den Mann stärker liebt, welchen sie einer andern abjagt, als die unbestrittene und leichte Eroberung. Strebe nie dahin, ein liebenswürdiger junger Mann zu heißen: es waren keine liebenswürdigen Männer, welche durch Thaten oder Gedanken die Welt eroberten und weder Keppler noch Samuel Pufendorf sind jemals liebenswürdige junge Männer gewesen. Willst Du Dir lange eines Freundes oder eines Weibes Liebe erhalten, so maltraitiere sie zur Abwechselung, das heißt cum grano salis; das ist der einzig dauerhafte Kitt. Wenn Du fühlst, daß Du Gefahr läufst, in die allgemeine Verflachung der Gesellschaft zu gerathen, so verliebe Dich in eine Frau, die häßlich ist; sie wird Dich augenblicklich der Gesellschaft entreißen. Du wirst mit ihr schwärmen müssen, und zudem wirst Du nur bei häßlichen Frauen lernen, was wahre Liebe ist. Die häßlichen Frauen haben vor den schönen unendlich viel voraus. Sei nie mit den Worten karg, durch welche Du Andern ein Vergnügen machen kannst; Deine Meinung kannst Du deshalb für Dich behalten und denken, was die Türken unter ihre Urtheile schreiben: Gott weiß es besser. – Von edlen Frauen kannst Du nie zu gut denken; Du magst immer Deinen Verstand dem ihrigen unterordnen und nach ihrem Rath Deine Entschlüsse richten; aber setze nie Vernunft bei ihnen voraus. Verwundere Dich nie über etwas, ausgenommen bei großen Herren, wenn sie Dir Merkwürdigkeiten erzählen, was ihre Lieblingsunterhaltung ist. – Du wirst bald finden, daß nur eine Menschenklasse selten ist: das sind die Könige, die nichtgekrönten mein' ich, die in sich selbst das Gefühl innerer Hoheit tragen. Geselle Dich zu ihnen, wo Du ihrer findet, es ist ein schlechter Steuermann, jenes Gefühl, wenn es gilt, die Klippen des Lebens zu umschiffen; aber es ist etwas Besseres; es ist ein Vogel Rock, der auf seinen Schwingen darüber fortträgt.

Die Stimme des alten Herrn nahm jetzt einen andern Ton an; er richtete sich empor, sein Gesicht röthete sich und er fuhr dann immer wärmer werdend fort: –

Höre mich, Paul – erhalte Dir Deine innere Reinheit, erhalte Dir Dein lebendiges Gefühl für die großartige Schönheit der Natur und jene Fähigkeit Deines Gemüths, in ein kindliches Schwärmen zu gerathen, da, wo eine große und erhabene Idee vor Dich hintritt, mag sie nun von der Kunst einen Körper erhalten haben, mag sie im Gewande und umgeben von dem glänzenden Herrschergefolge Deiner alten und ehrwürdigen Religion erscheinen, mag sie endlich von den kaiserlichen Stirnen leuchten, die, verklärt von ihr über dem Strome der Geschichte emportauchen. Ich habe Dich beobachtet, wenn etwas Erhabenes und Schönes sich Dir zeigt, ein kühner, dem Gott der Wahrheit mit dreistem Griff die Hand schüttelnder Gedanke sowol, wie eine erschütternde religiöse Ceremonie, in welcher die Schwäche des Menschen und die ungeheure Idee, daß es einen lebendigen Gott und eine Ewigkeit gibt, ihre Symbole verschlingen – ich habe Dich beobachtet, wie Du ergriffen wirst, wie es gleich einem Blitz in Deine Seele schlägt und, jeden Nerv elektrisierend, eine stolz aufjauchzende Freude in Dir wach ruft. So lange Du Dir diese Fähigkeit erhältst, trägst Du Dein Königthum mit Dir herum und bist glücklich, wenn auch oft Dein eigenes Herzblut strömen muß, um Deinen Purpurmantel zu färben. So lange wirst Du, an Deiner innern Seelenhoheit Dich aufrecht haltend, ein edler Mensch bleiben. Der Gedanke, daß ein Gott, ein Tod und ein Gericht ist, wird Dich nicht vor Dir selber schützen, wenn ein gewaltiges Gefühl Dich Dir untreu zu machen droht; denn das Gefühl ist stärker als der Gedanke, wie der Dichter mächtiger als der Denker. Aber das Bewußtsein Deiner innern Hoheit wird es, sobald es fest mit Dir verwachsen ist; denn es ist Gedanke und Gefühl zugleich. Und, Paul, wenn Du den Anfang meiner Worte nicht mit dem Schlusse reimen kannst, so denke, daß Dein alter Großvater wohl wußte, wie die Jugend das Umgekehrte von dem zu befolgen geneigt ist, was man ihr räth; aber daß er am Ende warm wurde und sprach, wie es ihm ums Herz ist, denn, Paul, er hat Dich lieb und – der alte Herr zerdrückte eine Thräne, welche an seinen Wimpern hing, die erste, die Paul je in seinem Auge gesehen – und er bittet Dich, daß Du jetzt sehr schnell fortgehst.

Paul ging; er war im Begriff auf lange Zeit der Heimat Lebewohl zu sagen; seine Studien waren beendet und nun kam der letzte Theil seiner Ausbildung, das Reisen. Zuerst sandte ihn der Großvater in das südliche Deutschland; er sollte einen Großoheim in Salzburg besuchen, dann die deutsche Kaiserstadt sehen und über Venedig und die Schweiz heimkehren, um, ein gemachter Mann, ein Amt in seiner Vaterstadt zu übernehmen.

Der nächste Zielpunkt seiner Reise wurde bald und glücklich erreicht. Von der Seite der Donau herkommend, sah Paul an einem sonnigen, mit blauem Dufte über den Bergen stehenden Morgen zum erstenmal Salzburg vor sich. Es war ein Augenblick, in welchem eine jener Entzückungen ihn dahinriß, von denen sein Großvater gesprochen hatte.

Unter seinem südlich tief gefärbten und klaren blauen Himmel lag es vor ihm, dies schöne und stolze Juvavum, nach dessen Reizen es schon den verwöhnten Sohn Hesperiens, den Römer zog. Es war nicht wie eine andere deutsche Stadt, alterthümlich und imposant durch gothische Baue und dreist in die Wolken greifende Thürme: es machte einen ganz andern Eindruck auf ihn, mit seinen Villen im dichten Grün, seinen flachen Dächern, seinem Bergschloß, seinem ganzen südlichen Charakter, in dessen Wärme der ewige Schnee des doppelzinkigen Watzmann kühlend niederblinkte, während die andern ungeheuren Alpenwände, für welche das Wort riesenhaft nicht mehr ausreicht, dicht im Halbkreis herangetreten schienen, das schönste Kleinod des deutschen Landes zu schirmen. Es leuchtete wie eine Scenerie aus einem Wundermährchen, wie eine Stadt des fabelreichen Orients sich in einer Dichterphantasie spiegelt, wie vor Tasso's Augen das rosenreiche Damaskus oder das glänzende Samarkand der Zaubersage geschwebt haben mag.

So lag es in der Ferne vor ihm, weißglänzend und sonnenhell, mehr eine Fata Morgana als eine deutsche Stadt ihm scheinend, und phantastische Bilder von ihm fordernd, um sich damit zu bevölkern. Er holte sie lieber aus den fernsten Welttheilen, in Karavanen durch ihre Thore ziehend, weiß gewandet auf dem Schiffe der Wüste sich schaukelnd, schleierflatternd und schimmernd im Schmucke der arabischen Seide, der perlenumschlungenen Turbane – als daß es ihm eingefallen wäre, die Wand des marmornen Untersbergs drüben zu öffnen und den Kaiser Barbarossa mit seinen schlummernden Rittern daraus hervor über die Ebene reiten zu lassen zum Einzuge in diese, wie in ew'ger Jugend glänzend schöne Stadt. Die zum erstenmal gesehenen Alpen machten diesen durchaus mährchenhaften, tausendundeine Nacht-artigen Eindruck auf ihn.

Wenn in irgend einer, so liegt in der Physiognomie dieser Gegend Musik, deren Harmonien sich um die tiefernsten zum Himmel aufbrausenden Orgeltöne der Alpen gruppieren; darum sind, die diese Musik verstanden und belauscht haben, groß genug geworden, um die stolzen Namen Mozart, Michael Haydn, Joseph Haydn und Carl Maria von Weber zu führen. Salzburg ist die Heimat deutscher Musik.

Als Paul sich der Stadt mehr näherte, verschwand freilich der durchaus fremdartige Eindruck, der südlich phantastische Charakter, den sie aus der Ferne ihm zeigte; die Alpen traten weiter zurück und umstanden nicht mehr so dicht die glänzenden Dächer, daß man sich noch hätte der Träumerei hingeben können, der Berg des Mograby habe sich vor den Blicken des Wanderers geöffnet, um die Zauberstadt in seinem Innern zu zeigen; aber dennoch enthüllte jede Wendung der Straße neue Schönheiten und als Paul auf der Salzachbrücke, zum letztenmal, ehe ihn die Gassen aufnahmen, die Blicke über die Gegend schweifen ließ, hinauf und hinab – segnete er mit hochklopfendem Herzen die Götter der Wanderschaft, die ihn diesem Ziele zugeführt.

Pauls Großonkel war Domherr zu Salzburg. Diese Herren, die in einem rothen Ornate zu Chore gingen, als ob sie Cardinäle seien, waren nicht wenig stolz auf ihre Kathedrale und ihr Stift und nebenbei auf sich selber; war doch Salzburg das erste Erzbisthum Deutschlands, dessen Prälat in Regensburg mit eben so viel Pferden auffahren durfte, als der Kurfürst von Mainz selber. Grund genug, daß Paul einige Beklemmung fühlte, als er zum erstenmale vor die Augen des vornehmen hochwürdig hochwohlgebornen Onkels trat, dessen Namen er früher immer nur mit einem gewissen Respekte hatte aussprechen hören. Es war in einem großen aber höchst wohnlichen Zimmer, mit Teppichen, schweren Damastvorhängen, marmornen Kaminsims und Trumeaux mit Marmorplatten, welche auf vergoldeten Satyrbeinen ruhten, vor jedem Spiegel eine Gruppe zierlicher Porzellanfiguren – kurz die ganze damalige mit sich selbst, mit den Zimmern, mit den Häusern, mit den Menschen, mit den Sitten und mit den Ansichten der Zeit harmonierende Ausstattung, welche wir jetzt im Rococo-Geschmack nennen, und die so geeignet ist, die Räume gemüthlich und wohnlich zu füllen, und über dem der müßigen Phantasie eine Menge freundlicher Bilder zuzuführen, für welche wir in unserer geradlinigen und kahlen Eleganz nirgends Anhaltspunkte finden. Der Domherr von S. war ein großer, ziemlich schlanker Mann, jünger als sein Bruder, Pauls Großvater, aber weniger Geist und Ausdruck in einer stark gerötheten und etwas verschwommenen Physiognomie verrathend. Er saß auf einem Sopha, durch die Blätter eines Weinstocks, der mit seinen Reben über die Fenster fortwucherte, vor den Sonnenstrahlen geschützt, die sich nun damit zu beschäftigen schienen, einem Körbchen voll Trauben auf dem Tische neben ihm noch einige nachträgliche Süßigkeit und Reife zu geben. Ein Bologneser lag in der Ecke des Sophas, ein schönes Windspiel auf dem Teppich unter dem Tische. So schien der Domherr, in diesem Augenblick wenigstens, kein unglücklicher Mann genannt werden zu dürfen; denn, abgesehen von der luxuriösen und bequemen Eleganz, die ihn umgab, von dieser anheimelnden Sonntagmorgenstille in seinem Gemach, in welchem man das Tiktak der Pendule und das Schnarchen des Bolognesers hören konnte; von der Freundlichkeit der rebenumsponnenen Fenster, durch welche sich dem Blicke eine großartig schöne Aussicht auf den Schloßberg und die Felsenkapellen des heiligen Maximus bot; – abgesehen von allem dem, kniete auch noch eine schöne Sünderin neben ihm, nämlich auf einem Schemel vor der Lehne des Sophas, auf welche er seinen Arm stützte, um mit der Hand seine Wange in ihrer zu der Büßenden geneigten Lage zu erhalten.

Als Paul eintrat und sah, daß er eine Störung mache, blieb er verlegen auf der Schwelle stehen. Die Kniende war erröthend aufgesprungen, der Domherr ging mit einem unwilligen Gesichte dem Eindringling entgegen.

Wer sind Sie, wer hat Sie hierher gewiesen? Frau von Lescomte, ich bitte, bitte, bitte Sie tausendmal um Verzeihung, ich werde meinen Bedienten fortschicken! – Nun, Herr? –

Paul hatte über den Empfang, der so ganz anders ausfiel, als er erwartet hatte, die Worte vergessen, mit welchen er sich dem Oheim vorzustellen gedachte. Schweigend überreichte er deshalb das Schreiben, welches der Großvater ihm mitgegeben hatte. Des Domherrn Züge nahmen, als er kaum es eröffnet, einen sehr heitern Ausdruck an.

Paul Mallincrodt, ei, willkommen Junge bei Deinem alten Onkel – das ist mir nun sehr, sehr, sehr lieb – mein Gott, wie der kleine Paul groß, groß, groß geworden ist, – der Domherr hatte die Gewohnheit, die Worte, auf welche er den Ton legen wollte dreimal nach einander sehr rasch auszusprechen.

Frau von Lescomte, fuhr er fort – geltens, wir beichten ein andermal – schauen Sie einmal den prächtigen jungen Mann da an, – mach eine Verbeugung, Paul – das ist meiner Nichte Kind, aus M. Nein, das ist mir eine wahre, wahre, wahre Freude.

Der Domherr bethätigte diese Freude dadurch, daß er Paul bei den Ohren nahm und auf beide Wangen küßte. Dann zog er die Klingel und rief nach Erfrischungen.

Paul, Du wirst müde und hungrig sein, da setz Dich. Frau von Lescomte, Sie wollen doch nicht gehen? O nein, nein, nein, bleiben Sie, es muß sich Jemand mit mir über meinen Neffen freuen, sehen Sie, das sind ganz die großen blauen Augen von meiner guten, guten Therese, Wangen hat er so rosig, wie ein Mädchen und gelernt hat er auch etwas, schreibt mir mein Bruder – Gott segne Dich, Du kleiner Schelm!

Aber mein hochwürdiger Herr Onkel, so gar klein bin ich doch nicht mehr!

Dieser Bemerkung ließ sich nichts entgegenstellen. Paul hatte, genau gemessen, mindestens fünf und einen halben Schuh Höhe und auf der Oberlippe einen zwar schmalen und jugendlich bescheidenen, aber darum nicht minder unverwerflichen Zeugen, daß er aus den Kinderschuhen getreten.

Nicht klein mehr? wahrhaftig, Du bist in die Höhe gegangen – ein Junge zum Malen – wer hätte das gedacht – es kommt mir vor, wie gestern, als ich bei Euch in M. war und Du über Tisch zu pfeifen anfingst und dann verlegen den Daumen in den Mund stecktest – weißt Du noch, wie Dein Großvater so zornig wurde, hauptsächlich weil es noch obendrein ein Sonntag war, an welchem ihm so etwas passieren mußte, und wie er mit dem Suppenlöffel nach Dir schlug, ha, ha, ha! – ich hab's ihm immer gesagt, er wurde zu wüthend, wenn er einmal anfing, – sonst ein Mann wie ein Lamm, Frau von Lescomte!

Paul hatte allen Grund, sich zu der Aufnahme Glück zu wünschen, welche ihm von dem herzlichen alten Manne wurde; doch hätte er in diesem Augenblick Vieles darum gegeben, die fremde Dame nicht zum Zeugen zu haben, da er ihr gegenüber aus einer Verlegenheit in die andere gerieth, besonders, als ihm der Onkel geheißen eine Verbeugung zu machen, wie einem kleinen Buben, dem man die Mütze abnimmt.

Frau von Lescomte entgingen diese Verlegenheiten nicht; und, weil sie selbst so eben in einer ähnlichen Situation gewesen, wie jetzt der junge Mann – der als ein Fremder sie beim Ausschütten ihrer zartesten Herzensgeheimnisse überraschte – mochte sie besonders geneigt sein, gutmüthig und scherzend darüber fortzuhelfen. Paul wußte ihr Dank dafür. Zwischen Menschen, die vor einander verlegen erröthet sind, ist immer wie mit den zartesten unsichtbaren Fäden eine Art Beziehung und Verhältniß angesponnen. Als die Dame sich mit einigen, von Geist und Gefühl zeugenden Bemerkungen in das Gespräch gemischt hatte und endlich anfing, sich darin etwas breiter auszudehnen, als es dem Oheim lieb war, dem tausend Fragen nach den Seinen in der Heimat auf den Lippen schwebten – war es Paul bald, als sei sie keine Fremde mehr für ihn, und als sie ging, war es ihr gelungen, ihre Erscheinung ihm so wohlthuend zu machen, daß sie ihm wie eine alte Bekannte vorkam.

Eine sehr geistreiche Frau das, sagte der Onkel; es sprudelt nur so alles aus ihr heraus, weiß Gott, woher sie's zusammenholt, alle ihre Einfälle; aber müde, müde, müde kann sie machen!

Frau von Lescomte war hübsch, eine ziemlich starke, nicht große Gestalt, mit Gesichtszügen, die einen edlen und lebhaften Ausdruck hatten und nie verfehlten, auf die Männer eine gewisse Anziehungskraft zu üben. Eine näher eingehende Kritik hätten diese Züge freilich nicht ertragen. Ihr dunkles Auge hatte einen unbehaglich funkelnden Glanz; um die schmalen Lippen lag ein gewisser Zug von Kühnheit und Hohn, freilich leise genug angedeutet, um Vielen entgehen zu können, und die Unterlippe zeigte sich oft stark zerbissen. Ihr Teint zeigte, daß sie eine südliche Heimat haben mußte, und so war es in der That; sie war eine Piemonteserin und war aus Turin nach Salzburg gekommen, in Begleitung einer Tante, die hier Verwandte besaß. Sie gehörte zu den Charakteren, deren Stellung in der Gesellschaft einen Maßstab für diese selber gibt; von Menschen von Geist werden sie aufgesucht, wird ihnen das gestattet, wonach sie streben, den Mittelpunkt der Unterhaltung zu bilden, weil sie in der That gut unterhalten; die Philister dagegen verdrängen sie, aber hinter ihrem Rücken werden jene eine weit ärgere Mediance gegen sie üben, als die letztern.

Paul war mit Frauen wenig und mit geistreichen nie in Berührung gekommen; um so größer war der Reiz, der für ihn in dem Verkehr lag, welchen er bald auf das Lebhafteste mit ihr einleitete. Sie wußte durch so viel behagliches Geplauder ihn zu unterhalten, durch soviel phantastische oder naive Einfälle ihn zu ergötzen und wieder durch offnes Kundgeben von warmem Gefühl zu interessieren, sie fand so viel Berührungspunkte mit seinem Ideenkreise, daß er, kaum acht Tage in Salzburg, einem Oheim gestand:

Aber in der That, lieber Herr Onkel, Frau von Lescomte ist eine höchst liebenswürdige und ganz unvergleichliche Dame!

Der Oheim antwortete nicht, sondern nahm seinen Thomas a Kempis in grünem Sammet und Silberbeschlag von seinem Tische und ihn öffnend, las er:

» Laissez les femmes; mais recommandez à Dieu toutes celles, qui sont vertueuses.«

Paul war in einem großen Respekt vor Thomas von Kempen aufgezogen, trotzdem fand er in diesem Augenblick den großen Asceten so albern wie nur möglich und ging aus, um mit Frau von Lescomte eine Fußpartie nach Hellbrunn zu machen, wie er Tags zuvor verabredet hatte.

Als sie unter der herrlichen Allee von uralten Eichen, im Anblick des Untersbergs und des schönen Thals der meergrünen »Igonta« einherschritten, konnte Paul nicht umhin, sein Entzücken über dieses gesegnete Land auszusprechen.

Sie haben wohl recht, die Gegend ist schön, sagte Frau von Lescomte, und es gibt Stunden, wo ich ganz mit Ihnen dafür schwärmen könnte. Aber ich muß Ihnen gestehen, gewöhnlich habe ich keine Zeit für die Gegend. Ja den Untersberg dort, den lasse ich mir gefallen; ich kann ihn nicht sehen, ohne zu grübeln, wie ich es möglich machen könnte, mir die dichten Marmorwände aufzuschließen, und mit meinen neugierigen Blicken über die ganze fabelhafte Herrlichkeit zu kommen, die in dem Innern stecken soll. So recht tief möchte ich dem alten Rothbart in seine schlummertrunkenen Augen sehen, so recht bis in den Herzensgrund des alten Kaisers hinab, um zu erforschen, was für Träume er durch seine Seele ziehen läßt, wie es ihn anweht, so eigen, wenn solch ein Gast aus unserm Jahrhundert zu ihm tritt mit seinem ganzen närrischen Gefolge von chinesischen Ideen, wie er dann voll Wehmuth an seine Zeit denkt, die verschwundene grandiose Zeit, wo sich die Ritter noch vor Frauenwürde so recht demüthig tief in den Staub beugten, ganz wie sich's gebührt!

Haben Sie Veranlassung gefunden, meine gnädige Frau, solche Ritter nur in der Zeit des alten Kaisers zu suchen?

Schauen Sie einmal den prächtigen jungen Mann da an! sagte Frau von Lescomte gutmüthig spottend, und die Stimme des Domherrn nachahmend: Gott segne Dich, Du kleiner Schelm! Aber im Ernst, was glauben Sie, mein junger Freund, was solch einem alten Träumer wie dem in dem Berge da für wunderliche Kaisergedanken durch den Kopf ziehen? Weshalb kommt er nicht hervor? Dürre Eichen gibt's ja genug, an welche er seinen Schild hängen könnte und andere dürre Stämme auch in der Welt, Gott sei's geklagt; laß er den ersten besten charmanten jungen Herrn nehmen, der ihm begegnet, der thut dieselben Dienste – aber freilich, der Baum soll grünen und blühen, wenn des Rothbarts Schild daran gehängt ist, und das heiße ich zu viel verlangt von solch einer Figur, wie sie die Welt bevölkern. Nun aber sagen Sie mir, Paul, wie denken Sie sich das Innere des Berges und des alten Kaisers? Ich möchte hören, wie sich das in Ihrer Phantasie abspiegelt, ob Sie fähig sind, es recht tief psychologisch aus der Seele einer solchen sagenhaften grandiosen Gestalt hervorzuholen? Haben Sie die Gabe, Eindrücke, poetische Eindrücke von den Dingen zu empfangen, sieht dies Sie mit der besondern, jenes Sie mit jener sprechenden, ausdrucksvollen, eigenthümliche Bilder in Ihnen weckenden Physiognomie an?

Paul fühlte etwas für ihn Unschmeichelhaftes und wenig Verbindliches aus der selbstgefälligen Weise heraus, womit diese Fragen gestellt wurden.

Allerdings, sagte er, ich sehe in jeder zersprungenen Baumrinde eine Hieroglyphenschrift, in jedem Wipfel eine eigene Seelenstimmung des Baumes ausgedrückt; ja jedes Thiergesicht drückt für mich einen besondern Charakter aus, während die Menschengesichter mir sehr oft todt bleiben.

Das mag natürlich zu erklären sein, versetzte seine Begleiterin; und doch, die Menschen beschäftigen mich viel, die Menschen sind mir wichtiger als die Natur, wenn ich beide zusammen habe. Ich kann mich nicht enthalten, bei jeder fremden Gestalt aus ihr herauslesen zu wollen, was ihre Vergangenheit gewesen ist, was für eine Geschichte ihr Herz erlebt hat, welche vernarbte und vielleicht noch blutende Wunden es birgt; ich möchte dann meine Hand weich, lindernd, heilend auf diese Wunden legen können, möchte den Pulsschlag des Gefühls, das Zucken des Schmerzes darin nach den innersten Regungen ausforschen, wie ein eifriger, Hülfe bringender Arzt; o es ist so schön, zu trösten, zu verbinden, wo es blutet, zu heilen! weshalb nur gehen die Menschen so stumm, schweigsam, mißtrauisch und zugeknöpft neben einander her und zeigen ihr Leid nicht? Es hat ja doch Jeder seinen Schmerz, sein Kreuz. Weshalb soll ich nicht gestehen, daß auch ich das meine habe, ein schweres, niederdrückendes Leid? – O, eins versprechen Sie mir, mein Freund, sein Sie immer offen gegen mich; verkennen Sie das dringende Verlangen nicht, das ich habe, meinen Freunden ihre Bürden tragen zu helfen, sie ihnen ganz abzunehmen, wenn es möglich wäre! O nur kindliches Vertrauen!

Frau von Lescomte schien in eine wehmüthige Stimmung zu gerathen. Paul, dem die Sentimentalität stets etwas Angst machte, weil er befürchtete, eine ungeschickte, dem Anschein nach gefühllose Rolle in einer empfindsamen Scene zu spielen, da es nichts weniger, als sein Fach war, ging schweigend neben ihr, bis sie fortfuhr, und zwar gegen sein Erwarten plötzlich wieder sehr heitern Tones:

Man sagt, daß der Untersberg sich zuweilen den Schäfern öffne; wie wär's also, wenn Sie sich einmal ans Beobachten gäben, ob nicht dem alten Herrn endlich eine gnädige Audienzenlaune kommt? Sie könnten mich dann rufen, wenn's an der Zeit wäre, und ich brächte Ihnen aus Dankbarkeit eine ganz köstliche Rüstung von einem jener Ritter mit heraus, die sich vor Frauenwürde demüthig tief in den Staub beugten. Sie behaupteten ja, daß sie Ihnen stehen würde, sagten Sie nicht so?

Paul wußte nicht recht, was zu antworten, und deshalb war es ihm erwünscht, daß sie am Ziele ihrer Wanderung angekommen; das Besehen der vielfachen abenteuerlichen Kunststücke und Spielereien, zu denen hier das schönste und klarste Element dressiert ist, verhinderte ein zusammenhängendes Gespräch. In dem kleinen Schlosse, einer hübschen Reliquie aus der Zeit der Renaissance, zeigte Frau von Lescomte Paul in einem der Alfresco ausgemalten Gemächer das Bild des Erbauers, des galanten Cardinal-Erzbischofs Markus Sittikus von Hohenems.

Haben Sie sich je so einen Cardinal gedacht? Sehen Sie, wie er im weißen Atlaskleide nach spanischem Schnitt, das Barett mit Straußfedern in der Hand, dieser schönen und stattlichen Dame eine rothe Nelke überreicht – mit welcher Anmuth, welcher Courtoisie!

Wie, das ein Cardinal, dies glatte jugendliche Gesicht, mit dem hellblonden Henriquatre? Bei Gott, ein schöner Cardinal!

In der That, ein schöner Cardinal, und daß er Ihnen deshalb nicht recht ist, mein lieber Freund, das ist eins der Vorurtheile, die Sie aus M. mitgebracht haben und die ich Ihnen mit der Zeit noch sammt und sonders abgewöhnen muß. Weshalb soll ein Cardinal nicht ein schöner junger Mann sein und einer Dame eine rothe Nelke überreichen? Ist Johannes ein schlechterer Apostel darum, weil er ein mädchenhaft schönes Gesicht und Ringellocken hat, wie es auf allen Bildern zu sehen? Nein, er ist der geistreichste, der geliebteste von allen. Kann des Cardinals Herz unter dem weißseidnen, geschlitzten und gepufften Wams, unter einem goldbefranzten spanischen Mantel nicht eben so apostolische, erhabene, gotterfüllte Ideen, nicht eben so für das Reich Gottes auf Erden schwärmende Gefühle hegen, wie ein alter graubärtiger Prälat unter einer violetten oder purpurnen Soutane mit ellenlanger Schleppe? Die Kirche ist ja eine streitende; sollen ihre Feldherrn, denn abgelebte Greise sein? Ein alter General hat nie große Eroberungen gemacht!

Ich zweifle ja gar nicht daran, daß diesem galanten Markus Sittikus die Jugend bei seinen Eroberungen nicht im Wege gestanden habe, warf Paul lächelnd ein.

Um Gottes willen nur nicht die Meinungen jener zweibeinigen gerupften Thiergattung adoptiert, welche der Witz der Musenstädte Philister genannt hat. Dies Geschlecht ist so verbreitet, so zahllos, daß man sich nie der Hoffnung wird hingeben dürfen, es könne je aussterben; trotzdem sollte man eine ungelehrte Gesellschaft, eine Akademie der frohen Künste errichten, die sich nur damit zu beschäftigen hätte, Mittel gegen sein zu großes Umsichgreifen zu erfinden. Auf der einen Seite habe ich ein unendliches Mitleid mit ihnen; es erfaßt mich eine Angst, wenn ich ihr Denken und Treiben beobachte, als könnten diese Menschen unmöglich unsterblich sein, als sei das geistige Princip, der Seelenstoff viel zu schwach und kümmerlich in ihnen, um die schlimme Krisis der Todesstunde überdauern, um sich aus dem hinsinkenden Körper zusammenraffen und sich daraus abstrahieren zu können. Ich glaube, daß eine kräftige und energische Psyche dazu gehört, um jenen Moment überstehen zu können, um nicht ganz zu erlöschen, wie die Thierseelen erlöschen. Woher sollte der Psyche diese Kraft kommen, wenn sie das ganze Leben hindurch mit lauter Lappalien aufgefüttert ist und nie die gesunde und nahrhafte Kost markiger Gedanken erhalten hat, nie der herzstärkende Trunk erhabener und stolz aufstrebender Gefühle aus dem Kelche der Poesie über ihre Lippen gekommen ist?

Paul hemmte stutzend seine Schritte.

Aber, meine Gnädigste, Sie sind ja eine ganz fürchterliche Ketzerin! und wer hätte Ihnen so viel Strenge zugetraut, der Hälfte der Menschen die Fortdauer nach dem Tode abzusprechen?

Haben Sie nicht Moses und die Propheten? Sind Ihnen nicht kräftig genug die Worte zugedonnert: Ihr sollt anbeten im Geiste und in der Wahrheit! das heißt, gebt eurer Psyche Nahrung, damit sie nicht stirbt. Warum beten sie nicht an, weshalb sind sie Ungläubige am Gedanken und am Gefühl, weshalb suchen sie die Wahrheit nicht? Was thun sie hier auf der Welt; glauben Sie, Gott habe sich die Mühe gegeben, sie auf diese wunderbare, tiefsinnig von einer geheimnißvollen Poesie umschleierte Weise ins Leben zu rufen, um Früchte zu verzehren, Hasen zu schießen, Häringe und Butter zu verkaufen und sich einander zu chikanieren? Nein – glauben Sie mir, Paul, der leitende Urwille dieser Welt ist ein sehr strenger und straft Jeden an seinem Theuersten, an der verwundbarsten Stelle. Ebenso richtig, wenn auch nicht so schön, wie wir unsern Gott als die Liebe, faßten die Juden ihren Jehovah als den rächenden Zorn. Auch uns, die wir vielleicht mit Grund hoffen können, jene Krisis der Urständ ohne Vernichtung zu überstehen, wird es schlimm ergehen; hören Sie, Paul, es ist mein voller Ernst; ich weiß das aus Erfahrung; ein seltsamer Traum hat es mir offenbart: sobald die Seele den todten Körper verlassen hat, eine Art nebelhaften Schattens bildend, kommen von allen Seiten die bösen Geister der Laster, welche während ihres Erdenlebens Theil an ihr hatten; fledermausartige scheußliche Gestalten, die den Theil der Seele, welchen sie einmal besessen, nicht fahren lassen wollen; sie schlagen ihre Krallen in sie, hier der Neid, dort die Eitelkeit, dort der Hochmuth; sie reißen sie wie in einzelne Flocken auseinander, nur der edle und gute Theil bleibt übrig, voll unendlichen Schmerzes über dies Zertheiltsein, voll sehnsüchtigen Dranges nach seinen entführten Bruchstücken und nicht im Stande, sich aufzuschwingen in die bessern Räume, wo er die Seinen in der Gottheit weiß, – ehe nicht die Eintracht und das Glück mit den geraubten Theilen seines Ich zu ihm zurückkehrt, bis dahin schwebt er zwischen hier und jenseits; er spuckt – ja, es ist gräßlich, aber ich habe die bestimmte Ahnung, daß ich einst spucken gehen muß – O Paul, Sie hören mir zu mit einer nichtssagenden und ungläubigen Miene; hätten Sie mit mir dies unser letztes Ende, wenn auch nur im Traume, erlebt, es hätte Ihnen einen Angstschrei ausgepreßt über das traurige Geschick der Menschen, einen Weheruf bei dem Gedanken an den strengen Richter. – Ja, Paul, es gibt einen Teufel – fuhr sie dann fort, sich ängstlich in seinen Arm hängend, und es ist ganz schrecklich, zuweilen, besonders Abends, wage ich in keines Menschen Auge blicken, weil mir ist, er blicke heraus!

Sie waren auf dem Heimwege; unter dem dichten Laubdache der Allee dunkelte es; die einzelnen Fußgänger, welche ihnen begegneten, wurden immer weniger erkennbar und schlichen zuletzt wie schwarze Gestalten an den Stämmen entlang und an unsern Wanderern meist ohne Gruß vorüber. In den Blättern rauschte ein melancholischer Abendwind. Endlich wurde es völlig Nacht und nur in der Ferne sah man die Lichter der Stadt schimmern. Zuweilen strich ein Nachtvogel, dicht an den verspäteten Spaziergängern her, wie ein dunkler Gedanke, den die Nacht bringt, sagte Frau von Lescomte.

Weht Sie nicht auch, wenn Sie Abends gehen, manchmal ein kalter Zug, ein Gefühl von Schauer an irgend einer Stelle an? fragte Paul; mir ist es oft so, und ich denke, an einem solchen Orte ist ein Verbrechen begangen, ein Frevel ausgebrütet.

Ich bitte Sie, machen Sie mich nicht ängstlicher, als ich mich selbst schon geschwatzt habe, versetzte seine Begleiterin, furchtsam sich an ihn schmiegend. – Ich fürchte mich wie ein Hase; wollen Sie mich beschützen, wollen Sie mein Ritter sein in der Gefahr? setzte sie wie scherzend hinzu.

Mit aller meiner Kraft und bis zum letzten Blutstropfen.

Paul fühlte einen warmen Druck ihrer Hand auf seinem Unterarm, wo sie ruhte.

Wollen Sie mir auch nicht mehr damit wehe thun, daß Sie die Männer schlecht machen, welche schön sind?

Wenn Sie in Ihnen eine Vertheidigerin finden, gewiß nicht; ich habe es übrigens ja nie gethan, versetzte Paul, der wohl herausgefühlt hatte, daß jene Frage, nach dem Tone, in welchem sie geäußert, eine gewisse Bedeutsamkeit haben mußte.


Als Paul Frau von Lescomte wiedersah, war es in ihrem Boudoir, einem höchst wohnlich und geschmackvoll hergerichteten kleinen Zimmer, in dem ein Clavier fast um ein Drittel des Raumes mit einer Chaise longue stritt. Die Bewohnerin lag anmuthig auf diesem letztern Meuble hingegossen, von dem Reflex des durch zugezogene farbige Vorhänge fallenden Lichtes mit einem feinen und duftigen Rosenschimmer überhaucht. Ihre Locken fielen ringelnd über die Lehne, ihre Hand, die sehr hübsch war, hing nachlässig herab und ihre kleinen Füße ruhten auf den untern Querhölzern eines nahe gerückten Stuhles. Ueber ihr stand auf einer Console ein Gefäß mit einer Schlingpflanze, deren mit blauen Blumen vermischte Ranken und Blätter wie trauernd tief niederhingen und eine Art Laubdach über ihrem Kopfe bildeten. Als Paul eintrat, veränderte sie ihre Stellung, so daß aus der himmelblauseidnen Robe nicht mehr so deutlich umrissen die Contouren ihres runden Knies hervortraten – aber ohne den Effect des malerischen Bildes aufzuheben. Ihre Züge schienen Paul einen Ausdruck von Melancholie zu tragen.

Setzen Sie sich, mein junger Freund, sagte sie ausdruckslos und, wie es schien, der Gedankenreihe folgend, mit welcher sie sich so eben beschäftigt hatte.

Wenn ich Sie nicht störe, meine gnädige Frau –

Wenn Sie mich nicht stören? versetzte sie sich aufrichtend und in ihrem Gesicht einen Anflug von getäuschter Erwartung zeigend; ja ich glaube allerdings, daß Sie nicht so ganz unrecht haben, wenn Ihre Bescheidenheit Sie unter die Menschen stellt, welche stören können!

Und würde Ihre Huld mir einen andern Platz angewiesen haben?

Würden Sie behaupten, ihn verdient zu haben?

Leider kann ich es noch nicht!

Sie sind ein schlechter Ritter, Paul; die Rüstung aus dem Untersberg werde ich Ihnen nicht mitbringen. Kann man nicht auch ohne Thaten, durch sein bloßes Gefühl eine Stellung verdienen? Und sind wir Frauen nicht immer geneigt, gerade das letztere am bereitwilligsten zu belohnen? Sie ärgern mich; Sie bringen mich in die beste Laune, meine Philippika gegen die Philister wieder aufzunehmen, von denen ich neulich abgeschweift bin, um auf den Tod zu kommen, ganz natürlich, da sie der Tod des Schönen auf der Welt sind.

O mon ami, comme vous avez besoin d'être decrassé! Freuen Sie sich, in mir eine warme Freundin gefunden zu haben, die bei Ihnen mit der zarten und so recht wohlthuenden Schonung, deren nur eine Frau von tieferem Gefühl fähig ist, dies Geschäft übernehmen möchte, die jeden Stein des Anstoßes Ihnen aus dem Wege räumen möchte, indem sie Sie lehrt, ihn zu umgehen.

Ich weiß nicht, ob ich Ihnen rathen darf, ein solches Erziehungsexperiment vorzunehmen; jedenfalls werden Sie einen sehr hartnäckigen und ungelehrigen Zögling bekommen, sagte er, denn –

Halten Sie ein, unterbrach ihn Frau von Lescomte; Sie sind im Begriff, ein alltägliches Compliment zu machen, Sie wollten sagen: – denn ich darf dann hoffen, desto länger das Glück zu haben, Ihr Zögling zu sein – oder etwas dem Aehnliches, nicht wahr? Fangen wir gleich an; ich gebe Ihnen auf, dieselbe Schmeichelei mit mehr Grazie auszudrücken!

Paul hatte an jene Galanterie, welche Frau von Lescomte ihm aus dem Munde zu nehmen glaubte, nicht im Entferntesten gedacht; er hatte ganz etwas Anders sagen wollen. Doch wußte er das Mißverständniß zu benutzen und erwiederte: Wenn Sie mich so gut errathen haben, so werden Sie sich auch nicht darüber wundern, wenn ich bei dieser Frage nichts Besseres zu thun weiß, nichts, was bei dieser schalkhaften Absicht zweckmäßiger wäre, als das Manoeuvre zu wiederholen, wofür mein Großvater mit dem Terrinenlöffel nach mir schlug.

Frau von Lescomte lächelte; Sie sind ein gutes Kind, sagte sie, kommen Sie, um sich in einer anmuthigen Art, den Shawl zu tragen, üben zu können, sollen Sie mich in den Mirabel-Garten begleiten.

Paul nahm den Shawl und nachdem Frau von Lescomte ihren Hut aufgesetzt, gingen Beide, um im Schatten der Berceaus und Alleen, welche die Umgebung des Schlosses Mirabell verschönern, auf- und abzuwandeln. Es war viel beau monde um diese Stunde im Garten. Auch der Domherr schritt, auf sein langes spanisches Rohr gestützt, bald vor einer der gelungenen Statuen, bald vor einem Blumenbeete stehen bleibend, langsam und sich etwas abseits haltend, auf und ab.

Sie hier, Frau von Lescomte? fragte er, als er sie und seinen Neffen gewahrte. Sie betheuern immer, daß ihre Spaziergänge die einsamste Einsamkeit aufsuchten! In dem Tone, womit diese Worte geäußert wurden, lag ein Etwas von gutmüthiger Satyre. Frau von Lescomte lächelte erröthend, als sie versetzte: Meine Spaziergänge, aber dies ist der ihres Neffen, der Mirabell sehen will, Herr von S.

Ja, ja, ich verstehe, verstehe, verstehe schon; Sie nehmen einem alten Manne die Mühe ab, selbst zu gehen, um seinen Gast umherzuführen; und ich hoffe, setzte der Domherr hinzu, indem sein Gesicht einen kaustischen Ausdruck annahm – mein Neffe Paul führt sich galant genug auf, hat sich mit hinreichender Sorgfalt gekleidet und ist hübsch genug, um Ihnen vor all der schönen Welt hier Ehre, Ehre, Ehre zu machen!

Frau von Lescomte erröthete abermals, als sie versetzte:

Sie sind der perfideste und boshafteste Mann, der jemals darauf ausgegangen ist, eine arme Frau zu quälen. Nehmen Sie sich in Acht!

Paul hatte nichts von dem eigentlichen Sinne des Gesprächs verstanden, und konnte das Erröthen seiner Dame und ihr gezwungenes Lächeln so wenig verstehen, als weshalb sie dem gutmüthigen Onkel einen so harten Vorwurf machte. Doch mußte er sich gestehen, daß es Stunden gebe, wo der Onkel wirklich etwas lästig sei. So schien er ihm auch jetzt, wo er, die pikantere Unterhaltung mit der lebhaften Dame unterbrechend, den Cicerone machte, die Bedeutung der colossalen mythologischen Sandsteingruppen, an denen sie vorübergingen, erklärte, von den schönen verschwundenen Zeiten des Fürsterzbischofs Paris Lodron erzählte und von diesem auf das bewunderte Vorbild aller Fürstengröße, auf Ludwig XIV. überging. Paul fühlte sich in einer Stimmung, in welcher uns das Widersprechen nahe liegt, er warf die herzlose Perfidie jener Zeit, die Immoralität, die lettres de cachet und vieles Andere dem großen Ludwig vor, was der Domherr von der Persönlichkeit jenes Fürsten abzuwälzen sich bemühte.

Nehmen Sie nur jenes Beispiel von der grausamen und verrätherischen Politik, an welche der Name des Königs Ludwig XIV. erinnert, den Mann mit der eisernen Maske! sagte Paul.

Um Gottes willen, rief Frau von Lescomte, laßt den Vierzehnten bei seinen Vätern ruhen; ich habe einen weit unterhaltendern Stoff, ich habe die seltsamste, die unerhörteste, die wunderbarste Geschichte gehört: ich weiß eine Geschichte von einem zweiten Mann mit der eisernen Maske, nur mit dem Unterschiede, daß mein Mann eine Frau und die eiserne Maske von Sammet ist, und daß die Insel Marguerite nicht der Schauplatz ist, sondern die Nachbarschaft unserer guten Stadt Salzburg selber.

O erzählen Sie, fiel Paul ihr begierig ins Wort, während der Domherr wie ungläubig den Kopf schüttelte.

Ich habe eine Geschichte von der Frau meines Hauswirths; ihre Tochter ist an einen geschickten und renommierten Schlosser verheirathet, der seiner Frau und diese wieder ihrer Mutter im größten Geheimniß anvertraut hat, wie man ihn aufgefordert, in einem entlegenen einsamen Hause, eine feinere, in sein Geschäft schlagende Arbeit zu übernehmen. Der Aufforderung folgend, hat er in einem verlassenen alten Castell oder etwas Derartigem – denn ein gewöhnliches Haus ist's nicht gewesen und ein Edelhof auch nicht – ein künstliches Schloß reparieren müssen, das eine hochgewachsene, ganz schwarz gekleidete Dame mit einer venetianischen Halbmaske von Sammet vor dem Gesichte, von der Welt ab- und in ein großes und fast luxuriös eingerichtetes Zimmer eingesperrt gehalten hat. Nach der Arbeit ist er für sein Versprechen der Verschwiegenheit reich belohnt entlassen worden. Dies hat ihn jedoch nicht gehindert, in dem nächsten Hofe, den er erreicht, sich nach der gefangenen Dame zu erkundigen; die Leute haben geantwortet, das Factum sei auf den zunächst umherliegenden einzelnen Bauerhöfen bekannt, und das Gerücht gehe, daß es eine ganz vornehme Person welche von ihren Verwandten dort eingeschlossen gehalten werde; und weil das gewiß nicht für ihre Tugend ihr widerfahre, habe man sich nicht weiter darum gekümmert; einmal habe der Pfleger sich hineinmischen wollen; dem sei aber von dem Menschen, der sie bewache, einem Kerl mürrisch und schweigsam wie die Nacht, ein Brief vom Fürsterzbischof gezeigt worden, daß er schnell wieder abgezogen, und kurz darauf sei er versetzt worden.

Das ist, was ich von der Geschichte weiß, fuhr Frau von Lescomte fort, und ich denke, genug, um Ihre Neugierde aufs Höchste zu spannen.

In der That, sagte Paul, tief aufathmend, wie nach einer großen Spannung. Wissen Sie nicht, wie der Ort heißt?

Nein; auch über seine Entfernung von der Stadt habe ich nichts Bestimmtes erfahren.

Der Onkel schien die Geschichte entweder zu kennen, so daß sie ihn deshalb nicht interessierte, oder sie für erfunden zu halten. Er enthielt sich jeder Bemerkung. Und als Paul zu Hause angekommen das Gespräch über die räthselhafte Gefangene fortsetzen wollte, fiel er wie ablenkend und im trockenen Tone ihm mit der Frage ins Wort:

Hast Du noch keinen zerbrochenen Fächer, Ring oder dergleichen für Frau von Lescomte zum Goldarbeiter zu bringen gehabt?

Nein, lieber Onkel.

Nun es wird auch an Dich die Reihe kommen und dann Zeit werden, daß Du Deine Reise nach Wien fortsetzest.



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