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II.
1747


Erstes Kapitel.

Der Vertreter Frankreichs bei der Republik des heiligen Marcus war im Jahre 1747 ein Graf von Montaigu, der am Hofe des Königs von Frankreich als Hauptmann der Garde eine sehr stattliche Figur gemacht und zur Belohnung dafür zum Gesandten befördert war. Er füllte seine glänzende Stellung aus, wie er seinen Posten in den Reihen der Maison militaire du Roi ausgefüllt hatte, das heißt, durch den Aplomb seiner schweigenden Erscheinung; die Geschäfte und Alles, was mit ihnen zusammenhing, überließ er seinen Leuten und in erster Reihe seinem Secretär. Der junge, in der Mitte der Dreißig stehende Mann aber, welcher in dem erwähnten Jahre diese Stelle inne hatte, hieß Jean Jacques Rousseau.

Es war eines hellen Wintermorgens.

Der berühmte Philosoph, der damals noch sehr entfernt von dem Gedanken war, den Schlüssel zu den Herzen der Menschen zu finden und sie »zu bessern und zu belehren«, war einzig mit dem Schlüssel zu den chiffrirten Depeschen beschäftigt, die auf einem großen Tische vor ihm lagen und höchst unphilosophische Dinge enthielten – bedeutungslose Hofberichte, Neuigkeiten, Aufträge, welchen man die überflüssige Ehre der Geheimschrift angethan. Er saß in dem großen Geschäftssaal der französischen Gesandtschaft, seinen Rücken dem Kamin zuwendend, welcher den weiten Raum sehr unzulänglich erwärmte.

Neben ihm saß sein Gehülfe, der kleine zierliche Abbé de Binis, ebenfalls in eine der Depeschen, welche der letzte Kurier gebracht, vertieft.

Die Thür öffnete sich und der Gesandte trat ein.

»Mein lieber Rousseau«, sagte er, »hier ist noch eine Depesche. Sie kommt vom Herzog von Gesvres, dem ersten Kammerherrn des Königs, und beschäftigt sich mit unserer ersten Sängerin –«

»Mit der Corallina, Excellenz?« fragte Rousseau, sich erhebend.

»Mit eben der. Sie wissen, die Corallina war im Herbst mit ihrem Vater Varonese in Paris; sie hat sich dort mit dem Sänger Aimond verlobt und Vater und Tochter haben sich contractlich verpflichtet, während dieses Winters in der italienischen Oper in Paris aufzutreten. Herr Veronese hat auch zweitausend Francs Reiseentschädigung ausbezahlt erhalten. Aber wer nicht kommt, seinen Contract zu erfüllen, ist Signor Veronese nebst seiner bewunderten Tochter. Der Herzog von Gesvres reclamirt nun beide durch unsere Vermittelung. Erledigen Sie das!«

Damit warf der Gesandte die Depesche auf den Tisch, an welchem die beiden Jünger der Diplomatie arbeiteten, und verließ den Saal wieder.

»Erledigen Sie das!« wiederholte Rousseau, unwillig ihm nachschauend. »Als ob es so leicht wäre, wie eine Auster von Chioggia hinunterzuschlucken.«

Der Abbé Binis lachte. Er war länger als Rousseau an die Art und Weise, wie die Excellenz mit den Geschäften umsprang, gewöhnt.

»Den Venetianern ihre Corallina zu entführen!« fuhr Rousseau fort.

»Sie gehört zu der Truppe von San-Luca«, sagte der Abbé, »und die Truppe von San-Luca gehört dem Signor Giustiniani, und dieser würde wahrscheinlich lieber seine eigene Tochter, wenn er eine hätte, entführen lassen, als sein Juwel, die Corallina!«

»Dazu kommt, daß Signor Giustiniani ein Nobile ist, dessen Namen im goldenen Buche der Republik steht, daß es also für unsereinen, der zu einer fremden Gesandtschaft gehört, unmöglich ist, persönlich mit ihm zu verkehren.« Den Patriciern Venedigs war bekanntlich bei den strengsten Strafen jede Berührung mit den Mitgliedern der fremden Gesandtschaften untersagt.

»Es bleibt nichts übrig«, fuhr der Abbé fort, »als daß Sie Ihre Zuflucht zu Ihrem gewöhnlichen Retter in der Noth, dem Herrn de Blond nehmen!«

Herr Le Blond war der französische Consul, dem das Hemmniß des Verkehrs mit dem Adel Venedigs nicht im Wege stand. Rousseau beschloß, sich sofort an ihn zu wenden. Er überließ dem Abbé Binis, seine Chiffreschrift zu Ende zu studiren, nahm seinen Mantel und ging, um sich in einer der Gondeln, welche an den Stufen des Palastes lagen, zu Herrn Le Blond führen zu lassen.

Herr Le Blond schien nicht sehr erfreut über den Auftrag, welchen man ihm brachte, weder über die Aussicht, eine Verhandlung mit dem hochmüthigen, in seinem Wesen schroffen Nobile führen und eine Reclamation bei ihm durchsetzen zu sollen, noch auch über die, im Falle des Gelingens von Jedermann beschuldigt zu werden, daß er Venedig um den Genuß gebracht, welchen ihm die Perle des San-Luca-Theaters an wenigstens zwei Abenden in der Woche gewährte.

Trotzdem versprach er sein Bestes zu thun; der Oberkammerherr des Königs von Frankreich war kein Mann, dessen Aufträge man leicht nahm. Rousseau kehrte in den Gesandtschaftspalast zurück.

Nach einer Stunde erschien Herr Le Blond, um Bericht zu erstatten.

»Nun, haben Sie etwas ausgerichtet?« fragte, als er in den Arbeitssaal trat, Rousseau ihn lebhaft.

»Ich habe allerdings etwas ausgerichtet«, versetzte Herr Le Blond sarkastisch lächelnd. »Ich habe Signor Giustiniani in großen Zorn versetzt, das ist eins; ich habe bewerkstelligt, daß er die Signora Corallina, die in seinem Palaste wohnt, von nun an wie eine Gefangene hüten wird; und drittens, daß ein großes freundschaftliches Interesse für den Herrn von der französischen Gesandtschaft in ihm erweckt worden ist, der sich hier zum Vertreter der Wünsche des Herrn Herzogs von Gesvres macht. Ich kann Ihnen nur rathen, Herr Rousseau, die Sache auf sich beruhen zu lassen, es könnten mit der weitern Verfolgung derselben persönliche Unannehmlichkeiten für Sie verbunden sein. Sie wissen, wessen man sich von diesen tückischen Italienern zu versehen hat, wenn man ihre Liebesintriguen und noch mehr, wenn man ihre Geldinteressen durchkreuzt.«

»Und beim Signor Giustiniani spielen vielleicht in diesem Falle beide durcheinander«, bemerkte der Abbé Binis. »Ich habe so etwas andeuten hören; es wäre auch ein Wunder, wenn er der schönen Corallina nicht den Hof machte.«

Rousseau war erröthet. Das Betragen des Patriciers, der offenbar im Unrecht war, empörte ihn. Brachte doch sein ganzes Leben hindurch jedes Unrecht, jedes gewaltthätige Benehmen, dessen Zeuge er wurde, sein reizbares Blut in Wallung. Aber nach längerer Erörterung der Sache mußte er Le Blond Recht geben, daß hier sehr wenig Aussicht sei, irgend etwas zu erreichen, und daß man nichts thun könne, als dem Herzog von Gesvres antworten, der Herr Veronese sei mit seiner Tochter für den Winter wieder in die Truppe des Impresario von San-Luca eingetreten, der sie schon länger angehört habe, und der Impresario dieses Theaters sei ein hochangesehener Patricier, einer des großen Raths. Es sei wenig Aussicht vorhanden, die Reclamation durchzusetzen, falls nicht Seine Majestät die Sache einer Staatsaction werth erachten und damit drohen wolle, ihre Galeeren von Toulon auslaufen und vor die Lagunen von Malamocco senden zu wollen.

Rousseau entwarf die Depesche, der Abbé schrieb sie ab, der Graf Montaigu unterzeichnete sie und die Sache war erledigt.

So schien es wenigstens ein paar Wochen lang, während deren nicht mehr davon geredet wurde und Rousseau, dessen Interesse erregt war, sich nur näher nach allen Verhältnissen der Sängerin wie ihres Impresario und Tyrannen erkundigte.

Am Ende dieser Zeit, als Rousseau eines Morgens in den Saal der Legation trat, fand er den Abbé Binis im Gespräch mit einem Fremden; der Abbé stand mit dem Rücken an den Kamin gelehnt, der Fremde, eine sehr schön gebaute und höchst elegant gekleidete Gestalt, sprach mit lebhaften Gesticulationen. Als der letztere sich Rousseau zugewandt, erblickte er die ausdrucksvollen, aber nicht mehr sehr frischen Züge eines schönen Männerkopfes mit dunkeln, feurigen Augen; das Antlitz trug Spuren, daß ihm entweder Leidenschaften oder lange Gedankenarbeit nicht fremd geblieben.

»Herr Aimond, der erste Sänger der italienischen Oper in Paris!« sagte der Abbé vorstellend.

»Ah«, entgegnete, von dem ihm bekannten Namen freudig überrascht, Rousseau, »seien Sie willkommen in Venedig. Sie kommen, seine Musikinstitute kennen zu lernen?«

»Allerdings«, versetzte der Sänger, »und ich bin hocherfreut, daß mein erster Gang hier mich zu der Bekanntschaft eines um die Musik so verdienten Herrn führt. Sie sind Herr Rousseau, dessen System, die Notenzeichen durch Zahlen zu ersetzen –«

»Von der Akademie verworfen wurde«, fiel Rousseau erröthend und ein wenig verlegen ein. »Reden wir nicht davon, mein Herr. Als Knabe zog ich einst in die Welt mit einem Heronsbrunnen, in der vollen Zuversicht, auf dies Spielzeug und die Bewunderung, welche es in jedem Dorfe finden werde, mein Glück bauen zu können. Als erwachsener Mensch bin ich nicht klüger geworden und zog in gleicher Zuversicht mit meinem Notensystem aus, das mich zu Ehren und Reichthümern führen sollte. Aber ach, der Heronsbrunnen und das System sind in gleicher Weise gescheitert, und darum sehen Sie mich hier als Secretär Seiner Excellenz des Grafen Montaigu, bereit, Ihnen in Allem zu dienen, was Ihnen den Aufenthalt in Venedig angenehm machen kann.«

Herr Aimond verbeugte sich tief und sagte dann:

»Sie verpflichten mich in hohem Grade, Herr Rousseau, und geben mir den Muth, Ihnen zu gestehen, daß eben der Wunsch, die Unterstützung der Herren von unserer Gesandtschaft zu finden, mich zu Ihnen führt. Ich bin nämlich nicht ganz allein der Musikinstitute Venedigs wegen hierher gekommen –«

»Bitte, lassen Sie sich nieder!«

Der Abbé von Binis schob einen Sessel herbei, und während man sich setzte, fuhr der Fremde fort:

»Ich bin der Verlobte der Signora Corallina.«

»Ah!« rief Rousseau aus. »Ganz richtig, ich hörte das noch unlängst!«

»Signora Corallina«, sprach der Sänger weiter, »ist für Paris engagirt, man erwartet sie dort sehnlich, aber sie kommt nicht!«

»Freilich, freilich – der Herzog von Gesvres –«

»Der Herzog von Gesvres eben sendet mich«, fiel der Sänger ein. »»Gehen Sie, Aimond«, sagte er, »Sie sind ihr Bräutigam, und was unsere Herren Diplomaten in Venedig nicht vermögen, wird der Geliebte vermögen. Wenn es nicht anders geht, so entführen Sie sie, wir müssen die Corallina haben, der König will sie hören. Kommen Sie nicht ohne sie zurück.««

»Das ist leichter gesagt als ausgeführt!« schaltete hier achselzuckend der kleine Abbé ein.

»Und doch muß es ausgeführt werden«, fuhr der Sänger fort; »ich bin in der That entschlossen, nicht ohne meine Braut zurückzukehren. Ich muß Ihnen gestehen, daß die Aufsicht, die Gefangenschaft, in welcher Signor Giustiniani meine Braut zu erhalten sich erdreistet, mich beunruhigt, beängstigt und empört.«

»Italienische Sitten«, warf Binis ein. »Ein Unglücklicher, der sich einem Impresario zu eigen gibt, ist hier sein recht- und willenloser Sklave!«

»Ich kenne diese Sitte«, sagte Aimond, indem die Röthe des Zorns in seine Wangen stieg, »aber ich denke, es geht über alle Sitte hinaus, wenn Giustiniani mir gestern, als ich mich in seinem Palast meldete, sagen ließ, ich würde meine Braut nicht anders als in seiner Gegenwart sehen. Ich bin empört davongegangen –«

»Das ist allerdings empörend«, fiel Rousseau jetzt ein, »und dieser stolze Signore verdiente eine Züchtigung! Aber wie sie ihm geben? Er wird sagen: Der Contract, den Veronese mit mir eingegangen, ist so gut und gültig, wie der, den er mit der Pariser Unternehmung einging, und er wird die Corallina nicht ziehen lassen!«

»So muß man sie entführen, mit List oder Gewalt«, sagte Aimond heftig. »Ist denn Venedig mit seinen Masken, seinen Gondeln, seinen Abenteuern nicht der Ort, wo –«

»Man einen Theatercoup ausführen kann?« unterbrach ihn Rousseau lächelnd. »Ich fürchte, dagegen wird Niemand mehr als Signor Giustiniani gerüstet sein. Und dann ist eine Entführung ein Criminalverbrechen, zu dem ich nicht die Hand bieten kann. Wir müssen einen andern Hebel einsetzen und ich glaube, ich habe einen gefunden. Sie müssen Ihre Braut heirathen. Wären Sie dazu entschlossen?«

»O sicherlich«, gab Aimond lachend zur Antwort; »wenn das möglich zu machen wäre, so würde ich doppelt glücklich von Venedig scheiden! Das Mittel würde mir noch schöner scheinen als der Zweck.«

»Als Gatte der schönen Primadonna würden Sie über Sie zu verfügen haben, nicht mehr dieser wortbrüchige Veronese; sie würde Ihnen zu folgen haben, jeder Widerstand Giustiniani's hätte keinen Schein von Recht mehr und würde unnütz sein.«

»Gewiß, gewiß, aber die Ausführung dieses Plans?«

»Wird schwer sein, aber nicht unmöglich«, sagte Rousseau nachdenkend. »Haben Sie die Güte, mir Ihren Paß zu lassen, ich werde desselben bedürfen. Und nun erweisen Sie mir die Ehre, mit mir unter den Procuratien zu frühstücken; wir werden dort Herrn Le Blond treffen, unsern Consul; er wird uns einige Aufklärungen, deren ich noch bedarf, geben, und ich denke, der Plan, der mir wie ein Embryo im Kopfe liegt, wird dort zu seiner Reife kommen können.«

Zweites Kapitel.

Es lag im Charakter unseres Gesandtschaftssecretärs, der eine so scheue und indolente Natur zeigte und so wenig das praktisch Richtige zu treffen wußte, wo es sich um seine eigenen Interessen handelte, daß er stoßweise von Erregungen zu eifrigem Handeln erfaßt wurde und eine Lust an der Intrigue verrieth, die sonst seinem ganzen Wesen fremd zu sein schien. Dies Wesen war aber aus einer Menge von Gegensätzen gebildet, wie es seine »Bekenntnisse« uns zu entwickeln suchen.

So grübelte er jetzt mit wunderbarem Eifer über einen Plan, den hochmüthigen und gewaltthätigen Patricier um die Perle seiner Theaterunternehmung zu bringen. Zur Ausführung bedurfte er zunächst eines freilich schwer zu erhaltenden Documents, einer Erlaubniß des Senats für einen der Pfarrer Venedigs, den Sieur Aimond sofort und ohne die Erledigung der sonstigen gesetzlichen Erfordernisse zu verlangen, zu trauen. Solche Licenzen wurden ertheilt, aber sie zu erhalten gelang nur sehr einflußreichen Personen, Mitgliedern des Senats oder wer ihnen an Rang gleich stand. Jedenfalls war es unmöglich, diese Erlaubniß zu erlangen, ohne die Gefahr, daß Giustiniani, der zum großen Rath gehörte, Kunde davon erhielt.

»So muß uns«, sagte Rousseau, als Le Blond diesen Einwurf erhob, »so muß uns Giustiniani selber die Erlaubniß verschaffen!«

»Daran werden Sie nicht denken«, fiel Le Blond ein, »er wird sich hüten!«

»Doch, doch«, versetzte unser Gesandtschaftssecretär. »Hat Giustiniani Sie je gesehen, Herr Aimond?«

»Nein, soviel ich weiß!«

»Desto besser. So hüten Sie sich, als Herr Aimond ihm zu Gesichte zu kommen. Hüllen Sie sich in ein völliges Incognito – Sie sind erst gestern angekommen, Niemand hat Ihren Paß gesehen – Sie können es! Nach dem Blicke, welchen ich in Ihren Paß warf, heißen Sie Sieur Charles Aimond de Saint-Esprée – ich werde Ihnen einen neuen Paß ausfertigen, worin Sie Sieur Charles de Saint-Esprée genannt werden. Niemand hier vermuthet dann, daß Sie der gefeierte Monsieur Aimond sind, und unser gestrenger Nobile wird in völlige Sicherheit von dieser Seite eingewiegt werden.«

»Und dann?« sagte der Sänger.

»Dann wird Herr Le Blond Sie in ein paar Häuser einführen, worin Sie etwas von der venetianischen Gesellschaft sehen. Sie geben sich das Ansehen eines französischen Glücksritters und suchen vor allen Dingen die Bekanntschaft des kleinen Signore Paolucci zu machen, der im vorigen Winter die Impresa des Theaters San-Samuele hatte, der der Concurrent unseres Nobile war und von diesem natürlich von ganzem Herzen gehaßt wird, obwohl beide auf sehr freundschaftlichem Fuße verkehren, wie ich neulich zu bemerken Gelegenheit hatte, als ich sie auf der Gallerie des Dogenpalastes auf und ab schreiten und wechselsweise aus ihren goldenen Tabatièren schnupfen sah. Aber Sie machen nicht allein seine Bekanntschaft, Sie machen seine Eroberung, was Ihnen bei seiner Schwärmerei für Musik nicht schwer sein wird. Sie machen nebenbei die Eroberung seiner Tochter – Sie machen ihr wenigstens in einer möglichst auffälligen Weise den Hof; Sie singen in irgend einer größern Gesellschaft ein Duett mit ihr – man wird von Ihrer Stimme reden, Ihre Persönlichkeit, Ihre Beflissenheit um Signora Lucia wird auffallen, und dies wird genügen –«

»Es wird noch in dieser Woche eine Abendgesellschaft bei dem Signore Paolucci stattfinden, bei der ich Sie einführen kann«, sagte Le Blond.

»Aber meine Braut«, gab Aimond zur Antwort »ich fürchte, sie wird meine Treulosigkeit übel vermerken, wenn sie davon hört.«

»Corallina lebt im Palast Giustiniani's vollständig abgeschlossen. Sie sieht nur einige Mitglieder ihrer Truppe! Und zudem müssen wir trachten, ihr ein Briefchen von Ihnen zukommen zu lassen, worin Sie ihr Kunde von unserem Plan geben und sie auffordern, sich zur Ausführung desselben bereit zu halten.«

»Wenn ich diesen Plan erst selbst durchschaute«, fiel Aimond ein.

»Ich glaube ihn doch hinlänglich verrathen zu haben«, entgegnete lächelnd der Gesandtschaftssecretär. »Er läuft darauf hinaus, daß sich eine dazu passende Persönlichkeit bei dem Signore Giustiniani um die Trauungserlaubniß für den französischen Glücksritter Sieur Charles de Saint-Esprée verwendet. Dazu gibt man unserem Nobile ganz heimlich zu verstehen, daß die Dame, mit welcher Sie sich im Stillen trauen lassen, welche Sie entführen wollen, Niemand anders sei als die Signora Lucia, des Signore Paolucci hübsches und, wie man sagt, ein wenig leichtsinniges Töchterlein. Glauben Sie nicht, daß Giustiniani sich höchst beeifert zeigen wird, unsern Wunsch zu erfüllen? Er müßte kein Italiener sein!«

Le Blond lachte, Aimond rief aus:

»In der That, ich bin mit aller Achtung vor Ihren musikalischen Talenten nach Venedig gekommen, aber hoffentlich werde ich Grund haben, noch mehr Achtung vor Ihren diplomatischen Talenten zu hegen, wenn ich von Venedig scheide, Herr Gesandtschaftssecretär!«

»Ich werde Alles thun, was ich kann, um diese gute Meinung zu rechtfertigen, Herr Aimond«, gab Rousseau geschmeichelt zur Antwort.

In der That war seine nicht kleine Eitelkeit aufgestachelt, die Sache, von der, wenn sie gelang, ganz Paris reden mußte, glorreich zu Ende zu führen. Er forderte Aimond auf, seinen Theil der gemeinschaftlichen Aufgabe mit Eifer in Angriff zu nehmen, während er über die Ausführung des Uebrigen nachdenken und sie einleiten wolle. Und so trennte sich die kleine Gesellschaft unter den Procuratien. Herr Le Blond hatte noch zum Schlusse die Versicherung gegeben, daß er nöthigenfalls die Verhandlung mit Giustiniani auf sich nehmen wolle, um diesen zur Erwirkung des Erlaubnißscheins zu bewegen. Der lebhafte kleine Mann war für das Complot bereits viel zu sehr enthusiasmirt, um dabei an die Gefahren zu denken, vor denen er doch nach seiner neulichen Unterhaltung mit Giustiniani Rousseau selber gewarnt hatte.

Drittes Kapitel.

Die Aufgabe, eine Rolle zu spielen, konnte für Herrn Aimond, den berühmten Bühnenhelden, nicht schwer sein. Er war nicht säumig, die, welche ihm der Secretär der französischen Gesandtschaft zuertheilt hatte, auszuführen, und feierte darin einen Erfolg, wie er vorauszusehen war. Seine erste Erscheinung hatte eingenommen; es war die Erscheinung eines der besten Gesellschaft angehörenden Mannes; seine Unterhaltung und sein Geist hatte alle Personen gefesselt, welchen er vorgestellt worden, und seine Huldigungen waren von der Signorina Lucia, der er sie sogleich zugewandt, mit einer Koketterie aufgenommen worden, welche bewies, wie willkommen sie waren. Kurz, die Erscheinung des französischen Cavaliers machte Aufsehen und ward Gegenstand der Unterhaltung in der Gesellschaft, obwohl er einer Klasse von Menschen, jenen abenteuernden französischen Edelleuten ohne Vermögen und rechte Heimat anzugehören schien, die sich damals so viel in der Welt glücksuchend umhertrieben und naturgemäß in keiner großen Achtung standen.

Herr von Saint-Esprée hatte bereits an mehreren Abenden Signorina Lucia in ihrer Loge in der Oper von San-Luca unterhalten dürfen. Er befand sich heute im Hause des Herrn Paolucci, da es eben der Tag war, an welchem dieser die Gemächer seines Hauses am Canal grande seinen Freunden geöffnet hatte.

Es wurde Musik gemacht, Lucia hatte eine Arie aus der neuen Oper »Artaxerxes« von Hasse gesungen; man hatte ihrer hübschen, feinen Stimme allerlei Complimente gemacht und dann von dem Werthe des neuen Werkes gesprochen. Auch Aimond hatte sich in dies Thema gemischt.

»Sie reden mit solcher Sicherheit von diesen Dingen, Mein lieber Saint-Esprée«, nahm nun der Herr des Hauses das Wort, »daß ich darauf schwören möchte, Sie urtheilen von der Musik nicht als Laie, Sie treiben sie selbst ein wenig.«

»Ich bin allerdings ein wenig Dilettant«, versetzte Aimond bescheiden lächelnd.

»Nun, so geben Sie uns eine Probe – tragen Sie etwas vor«, sagte Paolucci ermuthigend. »Sie haben an dem Beifall, welchen meine Tochter fand, gesehen, daß die Gesellschaft nicht aus unerbittlichen Kunstrichtern besteht.«

Paolucci nöthigte seinen Gast zum Instrument.

Dieser setzte sich, präludirte und begann ein kleines französisches Volkslied.

Schon nach den ersten Noten wurde die Gesellschaft aufmerksam auf den fremden Dilettanten. Es trat eine allgemeine Stille ein. Als Aimond geendet hatte, sah er, daß sich die Anwesenden sämmtlich in den Saal, wo er sich befand, gedrängt hatten, und jetzt brach ein allgemeiner Beifall aus.

»Aber«, rief Paolucci aus, »mein theurer Freund, Sie haben einen wundervollen Tenor – weshalb sagten Sie uns das nicht früher? O ich bitte Sie, Sie dürfen das Instrument nicht fortlegen, ohne uns noch mehr Proben dieser ausgezeichneten Stimme gegeben zu haben!«

»Sie sind zu gütig, Signor Paolucci, doch bin ich gern bereit dazu.«

Aimond setzte sich wieder, und nachdem er die Einleitung gespielt, begann er eine große heroische Arie aus einer Oper Scarlatti's.

Während die Tonwellen seines mächtigen Organs dahinrollten, ein Strom von Wohllaut, den der Ausdruck einer erhabenen Leidenschaft fortriß, verklärte sich Signor Paolucci's Antlitz, als ob er in den geöffneten Himmel schaue. Er zitterte, er war außer sich vor Entzücken, und als Aimond geendet, umarmte er ihn mit stürmischem Jubel, während Alles rings umher sich in den Ausbrüchen der höchsten Bewunderung ergoß.

»Welche Stimme!« rief Paolucci aus. »Sie sind groß, Sie sind größer als Alles, was auf unsern Bühnen arbeitet. Mein Himmel, warum entzücken Sie nicht die Welt von der Bühne herab?«

»Ihr Lob ist zu überschwänglich, Signor Paolucci; ich kann nicht im entferntesten daran denken, mich zu messen mit –«

»Mit allen, mit allen können Sie sich messen«, fiel Paolucci ein. »Sie müssen, Sie müssen sich der Bühne zuwenden; ich, ich, ein erfahrener Mann in diesen Dingen, verspreche Ihnen den glänzendsten Erfolg, Ruhm, Schätze. Wäre mir eine Kraft wie die Ihre sicher, ich begänne noch heute wieder eine Truppe zu bilden, ich übernähme wieder das Theater von San-Samuele, und ich vernichtete damit diesen tückischen Giustiniani, der mich ruinirt, der mir mit seiner Corallina für diesen Winter alle Concurrenz unmöglich gemacht hat – o wir würden ihn zu Grunde richten mit einer Stimme wie die Ihre!«

Aimond fuhr fort, diese enthusiastischen Lobsprüche abzulehnen; um sich ihnen zu entziehen, trug er noch ein paar Lieder vor, die den Herrn vom Hause vollends in Schwärmerei für seinen Gast versetzten. Aimond mußte ihm versprechen, schon am folgenden Tage wiederkommen zu wollen; Paolucci bezeigte große Lust, den Mann mit dem wunderbaren Tenor während seines ganzen Aufenthalts in Venedig in Beschlag zu nehmen.

Aimond widersetzte sich dem nicht zu sehr. Er kam am andern und an den folgenden Tagen ins Haus Paoluccsi's, er sang, er machte Lucia den Hof, er hörte des Hausherrn Versicherungen an, daß ihm nur eine Stimme wie die des Herrn von Saint-Esprée fehle, um seinen Nebenbuhler Giustiniani zu ruiniren.

Bei dem Allem fühlte sich Aimond von einer schweren Sorge bedrückt. Er hatte, wie wir gesehen, sich am Tage seiner Ankunft in Giustiniani's Palast bei Corallina melden lassen und hatte darauf einen Bescheid von Giustiniani selbst erhalten. War seine Meldung zu seiner Braut gelangt? Oder hatte, wenn dies auch nicht geschehen, Giustiniani es Corallina mitgetheilt, daß er in Venedig sei? Was mußte dann Corallina von ihm denken, was mußte sie glauben? Er hatte ihr allerdings geschrieben, um ihr sein Benehmen zu erklären. Er hatte das Billet Rousseau anvertraut. Aber Rousseau hatte es nicht an seine Adresse befördern können. Auf der Bühne in San-Luca war Corallina von Argusaugen bewacht, im Palaste Giustiniani war kein Diener zu ermitteln, dessen man durch eine Bestechung, die er angenommen, auch wirklich sicher geworden wäre, und man durfte nur mit der höchsten Behutsamkeit verfahren; denn fiel das Billet in Giustiniani's Hände, so war Alles verloren!

»Ich halte diese Unruhe nicht länger aus«, sagte Aimond eines Morgens zu Rousseau; »wenn Sie nicht heute noch mein Billet an Corallina gelangen zu lassen wissen, so schleiche ich mich in irgend einer Verkleidung heute Abend, wo Corallina auftreten wird, im Theater San-Luca hinter die Coulissen und spreche mit ihr, allen Giustinianis in der Welt zum Trotz –«

»Und Corallina wird erschrocken zusammenfahren, aufschreien, eine kleine Scene machen, die Alles verräth«, sagte der Gesandtschaftssecretär. »Sie werden das lassen, Monsieur Aimond, oder ich ziehe meine Hand von Ihnen ab! Nein, nein, ich weiß bessern Rath. Wenn Herr Paolucci, wie Sie mir sagten, so sehr für die Idee schwärmt, vermittelst Ihres Beistandes Giustiniani zu ruiniren, so sagen wir ihm offen, daß auch wir nichts Besseres wollen. Gestehen wir ihm, daß wir Giustiniani seine Primadonna entführen wollen, und nehmen wir seine Hülfe in Anspruch. Er ist mit Giustiniani von alter Zeit her wohl bekannt, die Herren machen sich Anstandsbesuche, Paolucci darf als ehemaliger Theaterunternehmer auch hinter den Coulissen von San-Luca erscheinen, ohne zu sehr aufzufallen, er darf der Corallina einen Strauß mit Ihrem Billet darin überreichen –«

»Sie haben Recht. Ihr Gedanke ist vortrefflich«, sagte Aimond erheitert. »Operiren wir mit einem dieser habsüchtigen und rachsüchtigen Leute gegen den andern. Ich will noch heute Paolucci sondiren; geben Sie mir dazu mein Billet an Corallina zurück.«

»Hier ist es«, versetzte Rousseau, indem er es aus seiner Brieftasche nahm.

»Und wie weit sind wir in der Angelegenheit der Trauungserlaubniß?« fragte Aimond.

»Ich habe Le Blond gestern gesprochen«, antwortete Rousseau. »Er hat Ihren neuen, blos auf den Namen Saint-Esprée lautenden Paß und wollte die erste Gelegenheit ergreifen, mit dem Nobile zu reden – vielleicht hat er es schon gethan – das hören Sie am besten selbst von ihm!«

»Gut denn«, entgegnete Aimond; »so will ich mich zuerst zu Paolucci begeben und sehen, ob ich eine gute Stunde bei ihm finde, um mich ihm zu eröffnen – und dann zu Le Blond!«

»Machen Sie die gute Stunde bei Paolucci sich selbst – lassen Sie ihm die Hoffnung durchschimmern, daß Sie, wenn Sie die Corallina mit seiner Hülfe entführen, sich im folgenden Winter mit ihr zu seiner Verfügung stellen werden, falls er wirklich an eine neue Impresa denkt!«

»In der That«, sagte lächelnd Aimond, »Sie sind unerschöpflich an Auskunftsmitteln – nous verrons – wenn es nöthig sein sollte, will ich diesen Wink nicht unbenutzt lassen. Uebrigens ist mir nichts willkommener als eine offene Erklärung an den Signor Paolucci, wer ich bin und was ich hier beabsichtige. Denn meine kleinen Aufmerksamkeiten für die Signorina Lucia beginnen von dieser mit einer so offen zur Schau getragenen Genugthuung aufgenommen zu werden, daß, wenn ich nicht sehr irre, Signor Paolucci ein wenig stutzig geworden ist. Mir schien sein Auge mißtrauisch beobachtend auf uns zu liegen, als ich gestern Abend in seine Loge trat und mich mit seiner Tochter unterhielt. Ich möchte seiner Sorge in dieser Beziehung ein Ende machen.«

»Vielleicht ist das auch für Signora Lucia's Herzensruhe zu wünschen«, fiel Rousseau neckend ein. »Also gehen Sie und ziehen den guten kleinen Herrn offen ins Geheimniß!«

Viertes Kapitel.

Aimond verließ den Palast der Gesandtschaft, ohne zu ahnen, welche Scenen in diesem Augenblick im Palast Giustiniani und zwar in einem für kleinere Gesangproben bestimmten Saale desselben sich abspielten.

Der Musikdirector des Luca-Theaters saß am Instrument und begleitete einen Sänger und eine Sängerin, welche neben ihm standen und ein Duett einübten; ein halbes Dutzend von Mitgliedern der Bühne plauderte zusammen im Hintergrunde, in einer Fensternische aber standen ein Herr und eine Dame; die Dame eine mittelgroße Gestalt von feinern und zierlichern Formen, als sie gewöhnlich von italienischen Schönheiten gezeigt werden, sonst aber vollberechtigt, eine italienische Schönheit genannt zu werden. Das üppige blauschwarze Haar umrahmte ein regelmäßiges zartes Oval des Gesichts, in welchem die feinen bogenförmigen Brauen sich über außerordentlich schön geschnittenen dunklen Augen ausspannten, deren Farbe ein sammetweiches Braun war und die so hell und klar und gütig dreinschauten, als ob ein ewiger stiller Frieden in der Seele ruhe, die aus diesen süßen Augensternen blickte. Sie war in einer Morgentoilette, die, wenn sie auch nicht gerade von duftiger Frische und koketter Sorgsamkeit zeugte, welche Damen, die der Bühne angehören, nun einmal nicht ihr eigen nennen, doch ihrer verführerischen Gestalt keinen Eintrag that. Die nur bis zum Ellbogen reichenden weiten Aermel des Jäckchens von weißem Stoff, dessen Schöße auf einen Rock von dunkelblauer Seide niederfielen, ließen einen Unterarm von vollendeter Schönheit frei.

Der Herr, der vor ihr stand, mochte fünfzig Jahre haben. Er war groß, mager, seine Züge waren scharf geschnitten, seine Augen groß, aber unruhig, unstät bewegt; über dem ganzen Antlitz lag der ins Olivengelbe schillernde braune Teint der Südländer. Er war in gepuderter Perrücke, braunem Rock mit großen übersponnenen Knöpfen und schwarzen Kniehosen; dabei trug er einen schmalen Galanteriedegen und einen dreieckigen Hut mit galonirtem Federrand; er hatte den Hut auf dem Kopfe, auch während er mit der Dame vor ihm sprach.

Doch sprach er mit großer Lebhaftigkeit und wie sehr beflissen, ihr zu gefallen, zu dieser Dame. Er plauderte mit jenem künstlich angenommenen Tone kindlicher Harmlosigkeit und mit dem süßlich zugespitzten Munde zu ihr, der bei Frauen auf zänkische Naturen deutet und bei Männern darauf, daß sie alte Thoren sind. Die Corallina aber, denn sie war es, schien durch dies Geplauder wenig erheitert; ihre rothen Lippen waren wie zum Schmollen aufgeworfen und auf ihren feinen Zügen lag ein Ausdruck von Verdruß.

»Und ich singe die Partie doch nicht!« sagte sie, als Signor Giustiniani inne hielt; »sie ist viel zu hoch für meine Stimme und ich habe nicht Lust, meine Stimme für Ihr Luca-Theater zu ruiniren, ich werde sie länger nöthig haben!«

»Schließen wir Frieden, Bellissima«, fiel der Signor ein. »Entschließe Dich, sie einzuüben, und ich schenke Dir das Kleid von Brocatstoff, das Du in der Rolle nöthig haben wirst! Soll ich mich erst an Deinen Vater wenden, damit er sich einmischt? Du weißt, Du hast keinen so sanften und demüthig bittenden Mahner an ihm, wie ich es bin. Sprich ja, Corallina, und ich kann gehen; meine Zeit drängt, ich habe einem Bekannten versprochen, ihm einen Dienst im Palaste der Signorie zu leisten. Interessirt es Dich, eine hübsche Liebesintrigue zu erfahren? Kennst Du die Signora Lucia Paolucci?«

Giustiniani hatte, als er dies sagte, seine Stimme zum leisesten Flüstern gedämpft.

Corallina horchte auf.

»Sie ist mir gezeigt worden«, antwortete sie, »in ihrer Loge im Theater. Seit einigen Abenden sehe ich von Zeit zu Zeit einen Herrn in ihrer Loge auftauchen, der –«

»Der? Du vollendest nicht?«

»Der mir bekannt scheint«, warf Corallina wie ausweichend hin.

»Und woher könntest Du ihn kennen?«

»Ich sagte nur, er scheine mir bekannt; er vermeidet es ein wenig auffällig, sein Gesicht der Bühne zuzuwenden, wenigstens wenn ich auf der Bühne beschäftigt bin – doch ich täusche mich wohl!«

Corallina wollte sich abwenden und das Gespräch fallen lassen, aber Giustiniani legte seine Hand auf ihren Arm.

»Um eben diesen Herrn handelt es sich. Höre zu«, flüsterte er weiter. »Es ist ein französischer Glücksritter, einer jener Windbeutel, mit denen Frankreich die Höfe, die Bäder und unsere glückliche Stadt Venedig versorgt. Er soll nebenbei eine schöne Stimme haben; Signor Paolucci schwärmt deshalb für ihn und noch mehr des Signore lebenslustiges Töchterlein, scheint es, denn heute hat mich der französische Consul angegangen, diesem Monsieur eine Trauungserlaubniß auszuwirken; er beabsichtigt sich mit einer schönen Tochter unserer gesegneten Meereskönigin heimlich zu vermählen und mit ihr durchzugehen!«

»Mit Lucia Paolucci?« rief Corallina aus.

»Still, still, Kind, nicht so laut. Niemand darf das wissen, und am wenigsten darf ich selber das wissen.«

Giustiniani lächelte mit seinem ganzen boshaften Gesicht.

»Und wie heißt dieser Franzose?« fragte Corallina erregt, indem sie jetzt ebenso leise flüsterte wie der Signor, obwohl der Gesang der beiden Operisten am Instrumente es völlig unmöglich machte, etwas von der Unterredung zu verstehen.

»Wie er heißt? Das kann ich Dir ganz genau sagen; ich mußte seinen Paß haben, um die Erlaubniß für ihn zu erwirken, und darin kannst Du selbst es lesen!«

Signor Giustiniani zog den Paß hervor, entfaltete ihn und reichte ihn Corallina.

Diese warf einen Blick hinein. Plötzlich stieß sie einen leisen Schrei aus, ließ das Blatt zur Erde fallen, und während Todtenblässe die feine rosige Farbe ihres Gesichts verdrängte, starrte sie mit großen Augen den vor ihr stehenden Mann an.

»Um Gotteswillen – Sie betrügen mich – dieser Mann will die Tochter Pao –«

Giustiniani's Hand lag auf ihrem Munde.

»Bei San Marco!« flüsterte er heftig, »schreie das nicht laut in die Welt hinein. Was hast Du?«

»Das fragen Sie noch? Wissen Sie, wer dieser französische Herr ist?«

»Wie soll ich es wissen?«

»Das ist Aimond, mein Bräutigam, der Sänger Aimond –«

»Nicht möglich!«

»Ich sage es Ihnen!« rief Corallina aus. »Aimond heißt mit seinem ganzen Namen Charles Aimond de Saint-Esprée. O der Treulose, der Verräther!«

Corallina's vorhin so sanfte braune Taubenaugen flammten dunkel, schwarz, mit einem erschreckenden Ausdruck der Wuth, ihre Hände zitterten, ihre ganze Gestalt schien zu beben. »Der Abscheuliche! Darum verbarg er sich stets so tief in dem Hintergrund von Paolucci's Loge! Er verbarg sich vor mir, ich sollte nicht ahnen, daß er in Venedig sei!« eiferte sie.

Giustiniani hatte den Paß vom Boden aufgerafft und jetzt streichelte er sich nachdenklich das Kinn. Die Versicherung Corallina's hatte nichts, was ihn sehr überraschen konnte. Er wußte ja, daß Aimond in Venedig war; dieser hatte sich in seinem Palaste gemeldet und war dann nicht wieder erschienen. Erschrocken, besorgt, daß er gekommen, um Corallina ihm abwendig zu machen, hatte Giustiniani sein Wiederkommen erwartet, ohne Corallina von seiner Anwesenheit zu unterrichten. Dies wäre immer noch früh genug gewesen, wenn der Sänger sich noch einmal eingestellt und auf einer Unterredung mit Corallina bestanden hätte. Aber er war nicht wiedergekommen. Giustiniani hatte auch nichts von heimlichen Versuchen des Franzosen, sich seiner Braut zu nähern, bemerkt; so hatte er sich beruhigt. Der Signor Aimond hatte wohl Corallina zu gut behütet gefunden und die Absicht, sie nach Paris zu holen, wenn er zu diesem Ende nach Venedig gekommen war, aufgegeben.

So dachte Giustiniani, bis ihm jetzt klar wurde, daß der Sänger aus einem ganz andern Grunde so rasch für ihn verschollen. Er hatte eine andere Flamme gefunden, er hatte seine Sängerin vergessen, er hatte die Eroberung einer Venetianerin aus einem reichen, angesehenen Hause gemacht, er wollte diese entführen. Der Franzose war nicht dumm, es verlohnte sich freilich besser der Mühe; eine Paolucci und eine Bühnenprinzessin – darunter konnte die Wahl nicht schwer sein!

Ein Lächeln inniger Befriedigung glitt über seine Züge.

»Il traditore« sagte er mit tragischem Pathos. »Er hat Dich vergessen, der Bösewicht!«

»Aber Sie, Signor, Sie werden ihm die Erlaubniß, von der Sie reden, nicht verschaffen – nimmermehr!«

»Verachte ihn, Corallina, und laß ihn heirathen, wen er will!«

»Nein, nein, wenn Sie nicht wollen, daß ich zu ihm eile und ihn im Zorne tödte, erdrossele –«

»Das will ich allerdings nicht. Du wirst nichts Deiner Unwürdiges thun, Du wirst keinen Versuch machen, ihn aufzusuchen, ihm zu schreiben, ich will es nicht, ich werde es auf jede Weise zu verhindern wissen«, sagte Giustiniani streng.

»Nun wohl, so schwören Sie mir, daß Sie ihm jene Erlaubniß nicht verschaffen, und daß Sie auch im Palaste der Signorie dafür sorgen, daß Sie ihm überhaupt nicht ertheilt wird!«

Giustiniani schwieg.

»Schwören Sie es mir«, drängte Corallina.

»Wirst Du dann jene Rolle übernehmen?«

»Jede Rolle, welche Sie wollen!«

»Gut! Deine Hand darauf! Ich gelobe es Dir!«

Corallina gab ihm die Hand.

»Ich habe Ihren Schwur, Ihr Wort!«

»Du hast es! Es ist abgemacht. Laß Dir von dem Kapellmeister die Rolle geben. Ich muß fort. Addio, cara mia!«

Giustiniani nickte ihr zu, grüßte im Vorübergehen die Gruppe am Klavier mit einer gnädigen Handbewegung, lüftete den Hut, als er an der inmitten des Saales stehenden Gruppe von Mitgliedern seines Theaters, unter denen Veronese und Camilla, Corallina's Vater und Schwester, vorüberging, und verschwand.

Zwei Minuten später ruhte er auf den schwarzen Kissen seiner Gondel, welche, von zwei Ruderern getrieben, pfeilschnell in der Richtung nach dem Palast der Signorie dahinschoß.

Ein boshaftes Lächeln zuckte um seine Lippen.

»Das nimmt eine vortreffliche Wendung«, sagte er sich. »Monsieur Aimond läßt seine Braut sitzen und brennt mit Signora Lucia durch, Signora Corallina aber wird in ihrem ganzen Leben nicht mehr daran denken, nach Paris zu gehen, wo sie den Treulosen wiederfinden, vielleicht mit ihm zusammen Liebesduette singen müßte. Vortrefflich! Ich werde dafür sorgen, daß er auf die gewünschte Trauungserlaubniß nicht zu lange zu warten hat, er soll sie noch heute ausgefertigt erhalten, oder ich will nicht Nobile sein! Und dieser Biedermann Paolucci! Ich denke, seine Musikschwärmerei bekommt, wenn sein Töchterchen mit einem Sänger durchgeht, einen harten Stoß und er denkt nie wieder daran, mir Concurrenz zu machen!« –

Die Corallina hatte unterdeß ebenfalls das Musikzimmer verlassen. Sie hatte sich in ihr Wohnzimmer im Palaste geflüchtet, um ihre Aufregung zu verbergen, um allein zu sein mit ihren Gedanken der Wuth, der Rachsucht, der Verzweiflung. An der Wahrheit der Worte Giustiniani's konnte sie nicht zweifeln. Hatte sie nicht selbst mit eigenen Augen Aimond in der Loge Lucia's gesehen? Und weshalb kam er nicht, der Treulose? Er war in Venedig und kümmerte sich nicht um sie; mochte Giustiniani sie bewachen, Briefe auffangen, er konnte Aimond, ihrem Bräutigam, nicht den Zutritt zu ihr verwehren, wenn dieser sich offen einstellte und darauf bestand, sie zu sprechen!

Und was thun jetzt? Sollte sie sich verlassen auf Giustiniani's Versprechen, daß er die Verbindung verhindern wolle? Sollte sie bauen auf das Wort eines Mannes, der in dieser Sache ein ganz anderes Interesse hatte als sie, der ganz erfreut sein mußte, wenn Aimond sich für ihn unschädlich und ungefährlich machte und Paolucci einen Streich spielte? Hatte sich nicht just deshalb sicherlich der französische Consul gerade an Giustiniani gewendet? Gerade an Giustiniani, der den Unwissenden, den Ueberraschten gewiß nur vor ihr gespielt hatte, der sicherlich wußte, wer der Signor de Saint-Esprée war! Es wäre Thorheit gewesen, auf Giustiniani zu bauen. Er hatte ihr sein Wort gegeben, aber was machte sich ein solcher Mann daraus! Sie mußte Gewißheit haben. Aber wie sie sich verschaffen?

Corallina sann hin und her. Endlich klingelte sie und nach einer Weile erschien eine alte Zofe, die Giustiniani ihr halb als Dienerin, halb als Wächterin beigegeben.

»Teodora«, sagte sie, »ich habe nothwendig mit der Tänzerin Morina zu reden. Willst Du zu ihr gehen und sie bitten, mich noch in dieser Stunde zu besuchen?«

»Die Morina? Die Morina haßt Sie, Signorina, und wird Ihnen eine schnöde Antwort geben lassen, wenn –«

»Versuche es immerhin. Sag' ihr, ich hätte mit ihr in ihrem eigenen Interesse zu reden, ihr eine wichtige, hörst Du, eine sehr wichtige Mittheilung zu machen, welche sie selber beträfe; ich hoffe, die Neugierde treibt sie alsdann schon her. Aber noch heute, hörst Du, noch in dieser Stunde womöglich!«

»Gut«, versetzte Teodora verwundert, »ich will thun, was Sie wünschen, Signorina; es ist Ihre Sache, ob Sie sich einer hochmüthigen Erwiderung von der naseweisen Ballerina aussetzen wollen!«

»Es ist meine Sache, also geh!«

Teodora ging und Corallina harrte gespannt auf ihre Rückkehr. Die Balletprinzessin war ihre Feindin, denn sie war die erklärte Geliebte Giustiniani's, und sie war eifersüchtig auf die Corallina, auf die der edle Impresario des Luca-Theaters einen Werth legte, die er mit einer Sorgfalt umgab, welche die Morina durchaus nicht durch Corallina's künstlerische Bedeutung und ihren Werth für das Theaterunternehmen gerechtfertigt glaubte, sondern ganz andern Motiven zuschrieb.

Just darauf hatte Corallina ihren kleinen Plan gebaut und sie hatte sich nicht getäuscht darin.

Eine Viertelstunde war verflossen und die Zofe trat wieder ein, hinter ihr die Morina in einem kurzen Rocke, der ihren bewundernswürdigen Fuß und die feinen Knöchel sehen ließ, in einer mit schwarzen Spitzen besetzten Mantille, die sie über den Kopf und die Stirn geworfen hatte, einen Fächer und eine Halbmaske in der Hand.

»Ich war auf dem Wege zur Probe«, sagte sie kurz und kühl, ohne zu grüßen und wie um anzudeuten, daß sie nicht gekommen, wenn sie nicht ohnehin hätte ausgehen wollen.

»Das nimmt der Liebenswürdigkeit, womit Sie kommen, nichts von ihrem Werth«, versetzte unbefangen Carollina. »Nehmen Sie dort Platz und ich will Ihnen erklären, was mich bewog, Sie darum zu bitten. Du magst gehen, Teodora.«

Teodora machte ein verdrossenes Gesicht, aber sie gehorchte und verließ das Zimmer.

»Ich höre«, sagte Morina, sich in ihrem Sessel niederlassend und nachlässig zurücklegend und die Mantille mit einer Bewegung des Kopfes und der Schultern, die sehr hochmüthig und sehr graziös zugleich war, zurückwerfend.

»Sie wissen«, begann Corallina, »ich bin mit dem Sänger Aimond von der Pariser Oper seit langem verlobt.«

»Man sagt so«, lispelte Morina, gleichmüthig ihren Fächer auseinanderbreitend.

»Ich war es wenigstens«, fuhr Corallina fort, »denn er hat mich verlassen, um der Tochter des Signore Paolucci den Hof zu machen.«

»Der Lucia Paolucci?« fragte Morina aufhorchend. »Ist er denn hier, Ihr Monsieur Aimond?«

»Er ist schon längere Zeit hier und birgt sich unter dem Namen eines Herrn Saint-Esprée.«

»Ach, der Treulose!« sagte Morina mit einem Tone, der nur sehr lose die Maske des Bedauerns vorgenommen hatte und einen höhnischen Triumph verrieth.

»Sie können denken, wie sehr ich über diese Abscheulichkeit, über diese grenzenlose Perfidie außer mir bin«, fuhr Corallina, ohne sich dadurch beirren zu lassen, fort. »Und Sie können ebenfalls denken, daß ich nicht Lust habe, still und schweigend dem zuzuschauen! Nein, man kennt mich nicht, wenn man solche Geduld und Sanftmuth von mir voraussetzt. Ich habe beschlossen, es auf jede Weise zu hintertreiben!«

»Darin haben Sie Recht«, fiel Morina ein. »Rächen Sie sich an dem Ungetreuen! Aber was geht es mich an? Ich werde Ihnen darin nicht beistehen können!«

»O doch, o doch! Hören Sie nur, Sie werden es gewiß!«

»Ich bin begierig.«

»Aimond bedarf, um sich mit dieser Lucia Paolucci zu verbinden und sie dann zu entführen, einer Trauungserlaubniß von der Signorie.«

»Möglich«, sagte Morina, »es sei denn, daß die Signorina ihm ohne Trauung folgte! Weshalb nicht, wenn sie überhaupt mit ihm durchgeht?«

»Sie muß das nicht wollen, denn sonst hätte Aimond nicht nöthig gehabt, sich um eine solche Erlaubniß zu bewerben, sonst hätte man sich nicht an Giustiniani gewandt, sie ihm zu verschaffen.«

»An Giustiniani?«

»An Niemand anders als ihn; er sprach mir davon und so erfuhr ich Alles.«

»In der That, durch ihn!« rief Morina mit einem zornigen Blitzen des Auges aus. »Er theilt Ihnen solche Amtsangelegenheiten mit?«

»Und er«, sprach Corallina, die mit Vergnügen diese eifersüchtige Wallung bemerkte, »er gab meinen Bitten nach und schwur mir, dem treulosen Menschen diese Erlaubniß nicht ertheilen zu wollen, auch dafür Sorge tragen zu wollen, daß sie ihm in der Signorie nicht ausgestellt werde!«

»Nun, dann können Sie ja beruhigt sein!« fiel Morina kalt ein.

»Beruhigt? Ich bin es durchaus nicht. Ich bemerkte wohl, daß seine Augen vor Freude leuchteten bei der Entdeckung, daß mein Bräutigam mir die Treue breche und auf immer für mich verloren sei!«

»Ich kann es mir denken, er ist so falsch!« murmelte Morina zwischen den Zähnen.

»Und deshalb fürchte ich ihn, fürchte, daß er viel lieber Aimond's abscheulichen Vorsatz begünstigen wird, um dann meiner ganz sicher zu sein; und ich, ich will nun einmal nicht«, fuhr Corallina zornig und mit bebenden Lippen fort, »daß dies Vorhaben, diese Entführung gelinge, ich will es nicht, daß Giustiniani, dem gegenüber ich als die Braut eines Andern so viel Vertheidigungsmittel hatte, triumphire –«

»Sie haben Recht, Sie haben Recht!« fiel hier Morina und diesmal sehr lebhaft ein. »Ihre Ehre leidet es nicht, daß Aimond, der Ihr Bräutigam, hier, fast unter Ihren Augen, ein solches Verbrechen ausführt. Sie müssen Alles aufwenden, Corallina, es zu verhindern!«

»Ich bin ja auch entschlossen dazu, und deshalb muß ich wissen, ob Giustiniani das Gelübde hält, welches er mir geleistet hat, oder nicht. Wenn er dafür sorgt, daß Aimond jene Trauungserlaubniß nicht erhält, so kann ich fürs erste beruhigt sein und über die Mittel nachdenken, mich mit Aimond wieder in Verbindung zu setzen, ihn zu mir zurückzuführen; wenn aber Giustiniani falsch und treulos handelt und nur das thut, worin er seinen Vortheil erblickt, dann muß ich sofort etwas Entscheidendes thun!«

Morina nickte nur ihren Beifall zu diesen Worten.

»Ich muß also wissen«, fuhr Corallina fort, »was Giustiniani thut, und darum wende ich mich an Sie, Morina!«

»An mich?« fragte diese gedehnt.

»Sie können nicht wollen«, antwortete Corallina eifrig, »daß Giustiniani – seien wir offen gegen einander – Sie können nicht wollen, daß er Aimond's Vorhaben begünstigt und ich immer mehr in seine Gewalt gerathe.«

Morina machte mit trotzigem Lippenaufwerfen ein sehr hochmüthiges Gesicht, aber innerlich fühlte sie vollständig die Richtigkeit dieser Bemerkung.

»Darum«, sprach Corallina weiter, »bitte ich Sie, stehen Sie mir bei. Giustiniani liebt Sie, er hat vor Ihnen kein Geheimniß, er hat wenigstens keine, die Sie ihm, wenn Sie wollen, nicht entlocken könnten. O thun Sie es diesmal um meinetwillen, stehen Sie mir bei, entlocken Sie ihm, was er thut, ergründen Sie, ob er mir Wort hält, ob er dafür sorgt, daß die Signorie jene Erlaubniß nicht ertheilt, oder ob er meineidig genug ist, eine solche Erlaubniß gar noch zu befürworten und auszuwirken!«

Morina schwieg anfangs, dann sagte sie flüsternd:

»Und wo sollte ich Ihnen das Ergebniß meiner Unterhaltung mit ihm darüber zukommen lassen?«

»Im Theater, heute Abend, wenn es möglich ist.«

»Ich trete im Ballet: Der Bienenkorb auf.«

»Und ich werde, da ich nicht zu singen habe, in meiner Loge sein. Ein bloßes Zeichen würde mir genügen!«

»Nun wohl«, versetzte Morina, »so verabreden wir ein Zeichen!«

»Etwas, das für mich wie ein Ja oder Nein ist, eine Bewegung, ein Wink der Hand, der mir sagt: er hielt Wort, oder: er betrog dich!«

Morina nickte wieder mit dem Kopfe.

»Ich werde das Meinige thun«, sagte sie, »um zu erfahren, was Giustiniani gethan hat; wenn es mir bis heute Abend gelingt, so werde ich an meiner rechten Schläfe entweder eine rothe oder eine weiße Rose tragen. Die weiße Rose heißt: er hielt sein Versprechen, die rothe bedeutet: er betrog Dich und hat in der Signorie die Trauungserlaubniß bewirkt.«

»Gut, gut, so sei es!« rief Corallina aus. »O ich danke Ihnen, Morina, Sie sollen sehen, daß Sie keine Undankbare verpflichtet haben!«

Dabei streckte Corallina ihrer hübschen Feindin und Bundesgenossin die Hand hin.

Morina berührte sie mit den Spitzen ihrer Finger und brach dann auf, nachdem sie mit einem gönnerhaften Lächeln Abschied genommen.

Nachdem dies kleine Complot geschlossen worden, zu dem der gemeinsame Vortheil die beiden feindlichen Mächte so rasch zusammengeführt hatte, erwartete Corallina in fieberhafter Spannung den Abend.

Der Abend kam und mit ihm die Theaterstunde, und mit der Oper das Ballet und mit dem Ballet als Bienenkönigin die Morina. Als sie aus den Coulissen hervorschwebte, gewahrte Corallina erbleichend mit dem ersten Blick an ihrer linken Schläfe die rothe Rose!

»Nun wohl«, murmelte sie bei diesem Anblicke ingrimmig zwischen den Zähnen, »so verlasse ich mich auf Niemand mehr als auf mich selber und gehe den geradesten Weg!«

Als die Theatervorstellung zu Ende, als sie wieder in ihrem Zimmer im Palaste Giustiniani's war, schloß sie dieses sorgfältig ab und setzte sich nieder, um einen Brief zu schreiben.

Sie schrieb an den Signore Paolucci.

Es waren wenige Worte, aber sie genügten, um diesem das ganze Complot, das, wie Corallina glaubte, gegen ihn von Aimond und seiner Tochter Lucia geschmiedet worden, zu verrathen.

Als der Brief fertig, versteckte Corallina ihn in ihrem Kleide und begann über den Weg nachzusinnen, auf welchem sie ihn ganz sicher an seine Adresse gelangen lassen könne.

Fünftes Kapitel.

Aimond war sehr freudig überrascht, als er am andern Morgen bei Rousseau eintrat und dieser ihm entgegenrief:

»Sie kommen gerade im rechten Augenblick, Herr Aimond. Vor einer Viertelstunde war unser vortrefflicher Consul hier, um mir die Trauungserlaubniß zu bringen. In der Frühe dieses Morgens hat Signor Giustiniani sie gesendet; hier ist sie, vollständig in Ordnung, gezeichnet von zwei Signoren und untersiegelt mit dem geflügelten Löwen des heiligen Marcus. Sie haben jedoch zehn Zechinen dafür zu erlegen und eine für den Boten, zusammen neunundneunzig Livres.«

Aimond nahm begierig das Document und zahlte die geforderte Summe.

»Sprachen Sie schon mit Paolucci?« fuhr Rousseau fort.

»Noch nicht, ich fand ihn gestern nicht daheim; aber es wird jetzt die höchste Zeit.«

»Allerdings, Sie dürfen es nicht verschieben. Und haben Sie eine günstige Antwort von ihm, so wenden Sie sich jetzt wegen der Trauung an den Pfarrer von Santa-Maria della Salute. Die Kirche liegt in der Nähe, und der Pfarrer soll ein Mann sein, mit dem man sich leicht verständigt, wenn man seine Dienste für solche Anliegen, wie das Ihre, in Anspruch nimmt. Le Blond sagt es mir. Sie dürfen die Zechinen freilich nicht sparen.«

»Gut«, versetzte Aimond, »und ich denke, Sie schlagen mir die Bitte nicht ab, mich als Zeuge zu begleiten; als Zeugin und Brautführerin für Corallina hoffe ich Signora Lucia zu gewinnen.«

»Sind Sie so sicher, daß Signora Lucia dieser Verbindung ihren Beifall schenken wird?«

»Ich zweifle nicht daran«, sagte Aimond.

»Nun, versuchen Sie Ihr Glück – wer weiß! Aber dann werden Sie mich nicht hinzuziehen können – ich darf nicht mit Signora Paolucci eine solche Pathenschaft bei Ihrer Verbindung übernehmen, denn Paolucci gehört zu den Nobiles und wir von den Gesandtschaften leben von diesen Leuten durch eine unübersteigliche Scheidewand getrennt; wir haben uns einander als von der Pest Angesteckte zu betrachten. Wenn Sie jedoch statt meiner Le Blond wollen, so wird er hoffentlich nichts einzuwenden haben. Auch werde ich mich in der Kirche als Zuschauer einstellen.«

Aimond war mit dem Consul statt des Gesandtschaftssecretärs zufrieden und verabschiedete sich, nachdem er Rousseau seine Dankbarkeit betheuert, um Paolucci aufzusuchen.

Signor Paolucci war für den Herrn von Saint-Esprée zu jeder Tagesstunde zu Hause. Als Aimond bei ihm eingeführt wurde, fand er den lebhaften alten Herrn auf einer Ottomane liegend, Eiswasser schlürfend und ein dolce far niente von Zeit zu Zeit dadurch unterbrechend, daß er einen Band der Memoiren Goldoni's aufnahm, ein paar Seiten darin las und dann das Buch wieder hinwarf, um die gemalte Decke seines Zimmers anzustarren. Aimond's Eintreten, zu einer Stunde, welche in dem mehr in der Nacht als am Tage lebenden Venedig für einen Besuch eine ungewöhnlich frühe war, ließ ihn sehr überrascht aufblicken.

»Ah, Monsieur de Saint-Esprée«, rief er, sich halb erhebend, aus. »Sie sehen aus, als ob etwas Besonderes Sie herführte!«

»Dem ist in der That so, Signor Paolucci!« versetzte Aimond.

»Was bringen Sie denn?« fuhr der Italiener fort, indem er auf einen Sessel deutete.

Aimond ließ sich nieder und erwiderte:

»Ich bringe Ihnen ein Bekenntniß – ein Bekenntniß, welches ich Ihnen mit dem vollsten Vertrauen, das man auf die Güte eines Menschen setzen kann, zu machen mich entschlossen habe.«

»Ein Bekenntniß?« erwiderte Paolucci, sich völlig aufrecht setzend und etwas von unangenehmem Betroffensein in seinen Zügen verrathend. »Ich bin nicht neugierig, Monsieur de Saint-Esprée, und es hat mitunter sein Gefährliches, Bekenntnisse, die nicht verlangt werden, zu machen.«

»Mag sein«, fiel Aimond ein, »aber es drängt mich, offen gegen Sie zu sein. Sie haben mich mit so viel unverdienter Huld und Güte aufgenommen, Sie haben mir mit solchem Vertrauen Ihr Haus geöffnet, mich in den Kreis Ihrer Gesellschaft gezogen, mir den Aufenthalt in Venedig dadurch zu einem wahren Feste gemacht – es wäre unverantwortlich, es wäre elend, wenn ich fortführe, Sie zu täuschen –«

»Ah, Sie haben mich also bisher getäuscht?« rief Paolucci mit großer Verdrossenheit aus, indem er in Gedanken hinzusetzte: »Es ist richtig, er macht Lucia zum Gegenstand seiner Wünsche und will mit einer Werbung herausrücken. Der freche Abenteurer!«

»Ich habe Sie getäuscht«, fuhr Aimond fort. »Aber indem ich jetzt aufhöre, es zu thun, und Ihnen meine Bekenntnisse mache, werde ich auf Ihre Verschwiegenheit rechnen können?«

»Meine Verschwiegenheit? Ich wüßte nicht, was Sie daran zweifeln lassen könnte. Indiscretion ist der letzte Fehler, welchen man uns Venetianern vorwerfen könnte, denk' ich!«

»Ich habe also Ihr Wort?«

»Das Wort eines Nobile!«

»Wohl denn! So hören Sie: Ich bin nicht, was ich Ihnen scheine, als was ich mich Ihnen vorstellen ließ – ein französischer Glücksritter. Ich bin Aimond, der erste Tenor der italienischen Oper in Paris.«

»Ah, in der That!« rief Signor Paolucci höchst überrascht aus. »Und glauben Sie mir deshalb weniger willkommen zu sein, daß Sie so zerknirscht von diesem Bekenntnisse redeten?«

»Das nicht, aber meine Bekenntnisse sind noch nicht zu Ende!«

»So?« sagte Paolucci ein wenig beklommen.

»Ich bin«, fuhr Aimond fort, »zu einem besondern Zwecke in Venedig. Ich will mir eine Frau aus Venedig holen –«

»Herr Aimond«, rief Paolucci erschrocken, »was kann es nützen, daß Sie mir Bekenntnisse in einer Angelegenheit machen, welche mich unmöglich, ich sage ganz unmöglich berühren kann!«

»Doch bitte ich, mich fortfahren zu lassen. Es war im Herbste, als Signor Veronese mit seiner Tochter Corallina zu Gastrollen Paris besuchte. Corallina machte meine Eroberung in einem Grade, daß ich ihr meine Hand anbot; sie nahm sie an, sie ward meine Braut –«

»Ah, die Corallina!« rief Paolucci wie elektrisirt aus. »Um die Corallina handelt es sich?«

»Um Niemand anders.«

»Vortrefflich, vortrefflich«, sagte Paolucci, dem plötzlich ein Stein vom Herzen gefallen schien und der nun die äußerste Spannung auf die Bekenntnisse Aimond's verrieth, denen er eben noch mit so viel Eifer Einhalt zu thun gestrebt hatte. »Erzählen Sie weiter!«

»Corallina ward meine Braut, Veronese aber ließ sich von ihr und mir bewegen, einen Contract mit der Verwaltung unserer italienischen Oper abzuschließen, wonach beide während dieses Winters dieser Unternehmung angehören wollten. Zugleich sollte dann um Neujahr meine und Corallina's Verbindung stattfinden. Nach Venedig zurückgekehrt, hat jedoch Veronese seine Verpflichtungen vergessen, hat sich aufs neue von Giustiniani engagiren lassen, und keine Mahnungen bei Veronese, keine Reclamationen bei Giustiniani haben etwas gefruchtet.«

»Ja, man kennt das, man kennt das!« fiel Paolucei lachend ein.

»Die Reclamationen«, sprach Aimond weiter, »haben nur dazu gedient, Giustiniani im höchsten Grade argwöhnisch zu machen. Er hält die Corallina in seinem Palaste eingeschlossen und bewacht sie wie ein Drache seinen Schatz!«

»Er ist ein Tyrann, ein Unmensch, fähig zu Allem«, rief Paolucci aus. »O, ich kenn' ihn!«

»Nun wohl«, fuhr Aimond fort, »da die Dinge so stehen, bin ich zu dem Entschlusse gekommen, mich mit Corallina hier in Venedig trauen zu lassen, ganz insgeheim, hinter Giustiniani's Rücken. Ist sie mein Weib, so muß sie mir folgen, Niemand in der Welt darf dann noch zwischen sie und mich treten, Veronese's Gewalt über sie hört auf –«

»Sie heirathen?« rief Paolucci aus. »Das wäre ein vortreffliches Mittel, aber wie wollen Sie es zu Stande bringen?«

»Ich habe die Trauungserlaubniß dazu in der Tasche; ich kann von jedem Pfarrer Venedigs daraufhin ohne weiteres getraut werden. Das Einzige, was mir im Wege steht, ist, daß es mir bis heute nicht gelang, auf ganz sicherem Wege mich mit Corallina in Verbindung zu setzen; es war nicht möglich, eine Persönlichkeit zu finden, der man mit voller Sicherheit eine Botschaft an sie anvertrauen konnte. Und doch ist es höchste Zeit, daß sie erfährt, was ich beabsichtige, und daß ich von ihr erfahre, in welcher Stunde es ihr möglich sein werde, aus dem Palaste Giustiniani zu entkommen, nur auf eine halbe Stunde zu entkommen und sich in die ihr nahe Kirche von Santa-Maria della Salute zu begeben.«

»Sind Sie so sicher, daß sie einwilligt?«

»Ich zweifle keinen Augenblick daran, wenn nur das Mittel gefunden wäre, ihr eine schriftliche oder mündliche Mittheilung zu machen. Und dies, Signor Paolucci, führt mich zu Ihnen. Wenn Sie sich meiner in dieser Verlegenheit erbarmen wollten – Sie können Giustiniani's Palast, können während der Proben sein Theater besuchen; die Gelegenheit, Corallina zu sprechen, würde sich Ihnen so leicht bieten –«

»Ah«, rief Paolucci überrascht aus, »Sie muthen mir Da eine schöne Rolle zu, bei San-Marco, mein lieber Aimond! Was denken Sie!«

»Daß Sie sich meiner Noth erbarmen und auch gern dazu mitwirken würden, der Gewaltthätigkeit dieses Giustiniani ein Opfer zu entführen, das –«

»Und dieser Gewaltthätigkeit Giustiniani's soll ich trotzen – ich alter, schwacher Mann? Wenn er erführe, daß ich bei dem Complot mitgewirkt, welches ihm seine Corallina entzieht, seine Unternehmung ruinirt, er würde nicht rasten, bis er sich blutig gerächt hätte. Nein, nein, Herr von Saint-Esprée – Herr Aimond, wollt' ich sagen – muthen Sie mir nicht etwas zu, das mich zittern macht.«

»Dann fühle ich mich völlig hülflos!« sagte Aimond betreten. »Und hätten Sie mir nicht wenigstens einen Rath zu ertheilen, einen Wink zu geben, wie –«

»Einen Wink?« sagte der Italiener nachdenklich. Die Feigheit und die Lust, Giustiniani einen Streich gespielt zu sehen, welcher diesen so schmerzlich treffen mußte, kämpften augenscheinlich in ihm; am Ende schien die letztere die Oberhand zu bekommen; er antwortete zögernd: »Ich könnte etwas für Sie thun. Der Souffleur des San-Luca-Theaters stand früher, als ich noch Impresario war, in meinen Diensten. Ich hatte Gelegenheit, den Menschen zu verpflichten, und ich glaube, daß er mir unbedingt ergeben ist. Die Gelegenheit, mit Corallina zu reden, kann ihm nicht fehlen. Ich will den Mann noch heute zu mir bescheiden lassen; da er im Verkehr mit meiner Dienerschaft steht, kann das, ohne auffällig zu sein, ausgeführt werden. Ich werde ihm sagen, daß ein Freund von mir seiner Dienste bedürfe, und ich werde ihn zu Ihnen senden; er soll noch heute Nacht, nach der Vorstellung in San-Luca, in Ihr Quartier kommen. Er heißt Castruccio. Sie sollen selbst mit ihm reden. Ob er Ihr Verlangen erfüllen wird, dafür kann ich Ihnen nicht einstehen. Aber ich kann mich dafür verbürgen, daß er schweigen und Sie nicht verrathen wird.«

»Sie machen mich zeitlebens zu Ihrem Diener, Signor Paolucci.«

»Ich wünsche von Herzen, daß Ihr Plan gelinge, Herr Aimond, und ich denke, dieser Fuchs Castruccio ist Ihr Mann.«

»Hoffen wir es«, sagte Aimond. »Und wenn es mir gelingt, würde Ihre Güte so weit gehen, daß Sie Signora Lucia erlaubten, als Corallina's Brautführerin und Zeugin bei der Trauung gegenwärtig zu sein? Ich kenne keine Dame in Venedig, bei der ich so viel Güte für uns voraussetzen dürfte!«

»Meine Tochter Lucia?« erwiderte Paolucci ein wenig gedehnt. »Ich würde nicht ganz ohne Unruhe dabei sein.«

»Aber die Trauung soll nachts in aller Heimlichkeit vollzogen werden, und wer wird Signora Lucia unter der Maske, die sie nehmen würde, erkennen?«

»Nun ja«, versetzte der Italiener, »ich bin nicht dagegen; machen Sie es mit meiner Tochter selbst aus, ob sie Ihnen den Dienst leisten will.«

»Ich danke Ihnen von Herzensgrunde, Signor Paolucci«, rief Aimond aus und erhob sich, um dem alten Herrn die Hand zu schütteln.

»Darf ich mich bei Signora Lucia melden lassen?« fragte er dabei.

»Ich will Sie zu ihr führen«, entgegnete Paolucci, der von dem Allem sehr lebhaft bewegt war und sich ebenfalls erhob, um mit kleinen trippelnden Schritten Aimond voran in die Wohnung seiner Tochter zu eilen.

Eine halbe Stunde nachher verließ Aimond mit sehr befriedigten Mienen das Haus Paolucci's, um sich nach der Kirche hinüberrudern zu lassen. Auch bei dem Pfarrer von Santa-Maria della Salute mußte er auf keine Schwierigkeiten gestoßen sein; er kam nach einer Unterredung von einer Viertelstunde von ihm zurück, denselben Ausdruck freudiger Erregtheit in seinen Zügen, und ließ sich nach seinem Quartiere rudern, um dort die Nacht und das Erscheinen des Souffleurs abzuwarten.

Sechstes Kapitel.

Der Tag, welcher für Charles Aimond de Saint-Esprée so glücklich begonnen, sollte nicht enden, ohne die alte Wahrheit zu bestätigen, daß, wie es Tage gibt, an welchen uns Alles mißlingt und Verdruß und Widerwärtigkeiten sich häufen, es andere gibt, an welchen Alles sich glücklich gestaltet, Alles zusammenzutreffen scheint, unsere Wünsche zu erfüllen. Es mochte elf Uhr in der Nacht sein, als der Kellner der Stella d'oro des Hotels, in welchem Aimond seine Wohnung genommen, in das Zimmer des letztern einen Fremden einführte, der sich alsbald als Signor Cesare Castruccio, Souffleur des San-Luca-Theaters, zu erkennen gab. Es war ein magerer, ziemlich großer Mann mit einem langen, tief durchfurchten Gesichte und mit einem Ausdrucke, der Aimond nicht gerade aufgefordert hätte, vorzugsweise ihm sein Vertrauen zu schenken. Aber Paolucci war für ihn eingestanden, Aimond hatte keine Wahl, er wagte es darauf und schenkte ihm sein Vertrauen. »Also, Signor Castruccio«, schloß er seine Mittheilung, »wollen Sie mir dienen? Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich Ihnen jeden Preis zahlen werde, den Sie auf Ihre Vermittlung setzen.«

Der Italiener machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und dann sagte er, mit dem Kopfe nickend und wie nachsinnend:

»Es ist ein wenig viel verlangt, Signor Aimond; wird es entdeckt, daß Cesare Castruccio die Hand dabei im Spiele hatte, so bin ich um meine Stelle; und ich habe Familie, Signor, Weib und Kinder, drei, nein, vier Kinder, das jüngste ist drei Tage alt –«

»Wie sollt' es entdeckt werden? Die Signora Corallina wird sicherlich ebenso wenig daran denken als ich, Sie zu verrathen, wenn Sie einen Brief von mir an sie besorgen und eine Antwort von ihr –«

Castruccio machte wieder seine Handbewegung und wiegte mit einem schlauen Blicke seinen Kopf.

»Briefe?« sagte er. »Briefe sind gefährlich; sie werden verloren, werden gefunden, kommen in die unrechte Hand. Mit einem Briefe der Signora Corallina ist für Sie noch wenig gewonnen; Sie müssen die Signora selber haben und das ist die Schwierigkeit –«

»Freilich, das ist die Schwierigkeit, die es zu überwinden gibt. Giustiniani's Wachsamkeit muß getäuscht werden, Corallina muß Mittel und Wege finden, auf eine Stunde dem Palaste Giustiniani's zu entkommen. Ich habe mir gedacht, daß es möglich sein müsse nach einer Vorstellung auf dem San-Luca-Theater. Mit einer Maske versehen, wird sie statt der auf sie wartenden Gondel in eine andere schlüpfen und den Gondolier veranlassen können, sie rasch aus dem Gedränge der Gondeln an der Theaterthür fort nach der Kirche zu rudern.«

Castruccio gesticulirte lebhaft abwehrend. »Es kann gelingen«, sagte er eifrig, »aber auch mißlingen. Corallina hätte nicht allein ihre alte Zofe, welche ihr nicht von der Seite weicht, sondern auch ihre Schwester Camilla zu fürchten, die mit ihr in der Theatergondel heimzufahren pflegt; Schwestern, Sängerinnen, das lebt in ewigem Hader zusammen, beargwöhnt und controlirt sich; dann ist der alte Veronese und der ganze Haufen der andern Sänger und Sängerinnen da – es wäre ein Wunder, wenn die Signora es fertig brächte, zu entwischen.«

»Und was rathen Sie denn, lieber Castruccio?«

»Es kommt Alles darauf an, Signor, ob alle Ihre Vorbereitungen getroffen sind. Sind sie es, so ist die Sache fertig; sie ist fertig, wenn sie gleich morgen ausgeführt werden kann. Dann ist Cesare Castruccio der Mann, Ihnen zu helfen.«

»Gleich morgen? Dem steht nichts entgegen.«

»Wohl denn, so hören Sie. Ich sagte Ihnen, daß mein jüngstes Kind, ein Mädchen, drei Tage alt ist. Dies Kind wird morgen in den Nachmittagsstunden getauft. Ich habe Signora Corallina, meine Gönnerin, meine Wohlthäterin, schon vor Wochen zur Pathin gebeten. Sie hat es mir zugesagt. Sie ist ein Engel für uns armes Volk vom Theater; wenn nicht der tückische alte Veronese wäre, sie würde Alles, was sie einnimmt, hergeben, um einer armen Familie zu helfen, wo es fehlt. Signora Corallina wird um fünf Uhr in meine Wohnung kommen; Signor Veronese wird sie begleiten; wir werden nach San-Stefano zur Taufe fahren; wir werden nach meinem Hause zurückkehren und dort ein kleines Fest haben; wir werden Veronese dabei betrunken machen; und wenn die Stunde gekommen, werden wir, die Signora Corallina und ich, nach Santa-Maria della Salute fahren. Das ist, was ich übernehme, Signor Francese; das Andere ist Ihre Sache. Sind Sie zufrieden?«

»Vollkommen«, rief Aimond entzückt aus, »vollkommen! Ich hätte in ganz Venedig keinen Mann finden können wie Sie, Signor Castruccio. Wie soll ich Sie belohnen?«

»Gute Thaten belohnen sich selbst«, sagte lächelnd der Italiener. »Ich denke, es ist eine gute That, ein liebendes Paar, wie Signora Corallina und Sie, zusammenzubringen. Aber ich fürchte, daß ich meinen Brodherrn, diesen Giustiniani, der mich freilich wie ein Tyrann mißhandelt, betrüge und verrathe, das ist keine gute That. Für diesen Theil der Sache müßte also der Lohn von Ihnen kommen, Signor. Und Sie werden nicht feilschen bei einer solchen Sache. Sie werden meinem kleinen armen Täufling ein Angebinde in die Windeln schieben. Wir sind beide Galantuomini –«

»Wollen Sie mir nicht offen sagen, was Sie erwarten? Es wäre mir lieber –«

»Wozu«, fiel Castruccio ein, »wozu sollt' es dienen? Ich bin überzeugt, daß ein Herr wie der Signor Francese nicht unter hundert Zechinen dem Manne spendet, dem er sein Glück verdankt. Wozu soll ich fordern –«

»Gut, gut«, versetzte Aimond lächelnd und zu seinem Schreibtische gehend. »Nehmen Sie die Hälfte dieser Summe auf Abschlag; Sie werden Auslagen für einige Flaschen guten Cyper- und Chierweins haben, die Sie Signor Veronese vorsetzen müssen.«

Der Italiener strich behaglich die Goldstücke ein.

»Sorgen Sie nicht«, sagte er lachend, »der Wein wird gut und feurig sein. Also auf Wiedersehen, Signor Francese! Um welche Stunde soll es sein?«

»Um elf Uhr. Ist das zu früh?«

»Eher zu spät. Giustiniani könnte ungeduldig werden, wenn die Signora so lange ausbleibt, er könnte selbst kommen, um nach ihr zu sehen, und uns überraschen. Lassen Sie es zehn Uhr sein!«

»Wohl denn, zehn Uhr. Um zehn Uhr erwarte ich Sie mit Corallina an der Kirche Santa-Maria della Salute.«

»Verlassen Sie sich auf mich!«

Der Italiener ging. Von Aimond's Augen verscheuchte die freudige Erwartung während der ganzen Nacht den Schlummer.

Am andern Morgen in der Frühe schrieb er ein Billet an Signor Paolucci. Er dankte ihm für die Vermittelung des besten Helfers, den er habe finden können, und indem er ihm anzeigte, daß seine Trauung am Abende um zehn Uhr stattfinden werde, bat er, der Signora Lucia davon Kunde zu geben; im Vertrauen auf das gnädige Versprechen der Signora werde er um halb zehn im Hause Paolucci's erscheinen und Signora Lucia nach der Kirche abholen.

Sodann eilte Aimond zum Pfarrer von Santa-Maria, und nachdem er mit dem ehrwürdigen Herrn Alles verabredet, ging er ins Hotel der französischen Gesandtschaft, um Rousseau seine Erfolge mitzutheilen. Dieser wünschte ihm von Herzen Glück und wiederholte sein Versprechen, um zehn Uhr abends sich ebenfalls in der Kirche einzufinden.

Siebentes Kapitel.

Um die Stunde, in welcher Aimond bei Rousseau eintrat, lag Signor Paolucci wieder in seinem Gemache auf der Ottomane ausgestreckt, die Memoiren Goldoni's in der Hand, doch heute noch weniger von ihnen gefesselt, als er es gestern gewesen, wo ihn Aimond in der Beschäftigung damit gestört. Die zerstreut umherschweifenden Gedanken, welche gestern seine Sinne von der Lektüre abgezogen, hatten heute ein sehr bestimmtes Ziel und zwar ein Ziel, bei dem sie mit großem Wohlbehagen verweilten. Er dachte an Giustiniani's Aerger, an seine Wuth, an seine Verzweiflung, wenn er wahrnehme, daß er um seine Corallina betrogen, daß sie auf immer für ihn verloren sei; und zu diesem Streiche, der dem hochmüthigen Nobile gespielt werden sollte, hatte er, Paolucci, beigetragen, indem er Aimond einen Gehülfen im feindlichen Lager zugewiesen, und konnte doch sicher sein, daß es nie an den Tag komme, wie er die Hände im Complot gehabt. Signor Paolucci war in fröhlich gehobener Stimmung und ein spöttisches Lächeln zuckte um seinen Mund. War ihm doch auch die Sorge, daß sich zwischen dem französischen Sänger und seiner Lucia ein Liebesverhältniß entsponnen, gänzlich vom Herzen genommen. Paolucci war gestern selbst Zeuge gewesen, wie seine Tochter Aimond's Mittheilungen allerdings höchst erregt und gespannt, aber nur mit dem Eifer allgemeiner weiblicher Theilnahme für solche Dinge aufgenommen und wie sie ganz bereitwillig darauf eingegangen, der Signora Corallina den Dienst zu leisten, um welchen Aimond sie gebeten.

Ein Diener trat ein und brachte dem Nobile zwei Billets.

»Wer hat sie gebracht, Domenico?« fragte er, indem er die Adressen musterte.

»Das eine kommt aus der Stella d'oro. Das andere hat so eben ein Diener des San-Luca-Theaters gebracht. Er sagte, es sei wichtig und ich solle es Ihnen sogleich selbst übergeben.«

»Ah!« rief Paolucci aus. »Es wird von Castruccio sein«, setzte er für sich hinzu. »Du kannst gehen, Domenico. – Sehen wir zuerst, was der Franzose schreibt!«

Paolucci erbrach, während sein Diener sich entfernte, das Billet Aimond's und las es mit voller Befriedigung.

» Va bene, va bene«, sagte er. »Bringen wir Lucia diese Nachricht, aber sehen wir vorher, was Castruccio meldet.«

Er erbrach das zweite Billet. Es war nicht von Cesare Castruccio; es enthielt eine ganz andere Unterschrift und zwar keine andere als die: Corallina Veronese.

» Demonio! Was ist das?« rief Paolucci in die Höhe fahrend aus.

Er las die Worte:

 

»Signore! Man beabsichtigt, Sie auf eine unwürdige und grausame Weise zu hintergehen. Der Herr von Saint-Esprée, dem Sie Ihr Haus geöffnet haben, ist nicht, wofür er sich ausgibt, er ist nur ein Opernsänger aus Paris, der die Absicht hat, Ihre Tochter Lucia zu entführen. Signor Giustiniani, der mit Schadenfreude sieht, daß man Sie hinters Licht führt, hat ihm eine Trauungserlaubniß verschafft, und es soll an einem der nächsten Abende davon in einer der Kirchen Venedigs Gebrauch gemacht werden. Also sehen Sie sich vor. Da ich nicht zu verbergen habe, von wem Ihnen diese Warnung kommt, unterzeichne ich mit meinem Namen

Corallina Veronese.«

 

Wenn Signor Paolucci plötzlich von einer Natter gestochen worden wäre, wenn der Blitz vor ihm in die Erde geschlagen hätte, er würde nicht erschrockener, nicht entsetzter in die Höhe gefahren sein als jetzt, nachdem er diese Zeilen gelesen. Seine Hände zitterten, seine Züge wurden bleich, dann überflog sie die dunkle Röthe des heftigsten Zorns.

»Bei San-Marco! Bei allen Heiligen! Das ist stark! Dieser Elende! Mich so zu hintergehen und noch dabei seinen Spott mit mir zu treiben, indem er mich anscheinend zu seinem Vertrauten macht! Es ist unglaublich, es ist beispiellos! Es kann nicht wahr sein! Solche verwegene Unverschämtheit! Aber Corallina selbst schreibt es mir; sie sagt kein Wort davon, daß Aimond ihr Bräutigam sei; sie muß es wissen, sie am besten! Demonio! Demonio! Was beginne ich, diesen französischen Schwindler zu strafen? Ich Thor, der glaubte, solch ein Mensch stelle einer Sängerin nach, wenn er die Tochter eines Nobile berückt hat – ich Thor, ich Thor! Aber ich will mich rächen! Lucia sende ich auf ein Jahr ins Kloster, die Heuchlerin, die Schlange! Wie gut sie gestern die Scene spielte, die Rolle der Ueberraschten, der theilnehmenden Freundin! Aber dieser Franzose, was thu' ich diesem Franzosen an, um ihm zu zeigen, daß er die geprellten Väter in der Komödie, aber nicht im Hause Gennaro Paoluci's suchen muß – was thu' ich ihm an?«

Der entrüstete kleine Mann lief trippelnd vor Zorn in seinem Gemache auf und ab.

»Was besinne ich mich lange?« fuhr er dann fort. »Ist es nicht ein Verbrechen, ein ganz gemeines Criminalverbrechen, ein Mädchen zu entführen? Und die Tochter eines Nobile obendrein! Man soll ihm den Proceß machen, dem Schurken. Man soll ihn ins Gefängniß werfen! In die Pozzi mit ihm – ich will zum Signore Moriani – Moriani soll seine Sbirren nach ihm senden. Er will hierher kommen, um halb zehn, Lucia abzuholen – o er mag kommen; er soll die Gondel mit den Häschern der Republik an meiner Treppe finden, ganz bereit, ihn in Empfang zu nehmen!«

Paolucci schwang wüthend die silberne Schelle auf seinem Tische, und als Domenico hereineilte, rief er ihm entgegen:

»Schnell meine Perrücke, meinen Degen, meinen Rock – die Gondoliere sollen sich fertig machen; ich will zum Signor – was geht es Dich an, wohin ich will? Tummle Dich! Und höre, es wird Niemand zur Signora gelassen, Niemand, verstehst Du? Wenn ein Billet für sie kommt, so bringst Du es mir. Sei wachsam, hörst Du, oder ich jage Dich aus dem Dienst.«

Achtes Kapitel.

Es war Abend geworden.

Signore Cesare Castruccio's kleines schmales Haus in der Nähe des Campo San-Stefano war hell erleuchtet; der Boden der Wohnstube war mit Grün von der Terra firma bestreut; auf dem Tische in der Mitte stand eine Fülle von Speisen und Erfrischungen, dazwischen eine Anzahl langhalsiger, mit zierlichem Strohgeflecht umgebener Flaschen neben schönen geschliffenen Gläsern von den feinen und künstlichen Formen, für deren Erzeugung Venedig damals noch so berühmt war. Eine bunte, laute, lustige Versammlung saß auf Stühlen, Schemeln und hochrückigen Sesseln, wie es kam, um diesen Tisch oder neben zwei andern kleinern Tischen, die zur Ergänzung des Platzes dienten, der an dem großen zu mangeln begonnen. Signor Cesare's Brüder waren da und seine Schwäger und Schwägerinnen, es waren Sänger und Sängerinnen und Mitglieder der Kapelle des San-Luca-Theaters da, und dann Veronese und sodann Corallina und ihre Schwester Camilla. Cesare Castruccio war kein Mann, der geizte, wenn es einmal ein Familienfest zu feiern galt; er hatte eingeladen, wer ihm in den Wurf gekommen – er hatte ja um die Bewirthung heute keine Sorgen!

Alles war in heiterster Laune; es schwatzte und plauderte und stritt und gesticulirte und trank dabei den süßen und feurigen Wein, den der Wirth heute so verschwenderisch zum Besten gab. Nur ein Wesen war auffallend schweigsam in dieser lustigen Gesellschaft, und dies Wesen war Corallina. Nicht daß sie von irgend einem Kummer oder einer Sorge bedrängt schien, es lag im Gegentheil ein Ausdruck von innerem Glück auf ihren Zügen; ihre dunklen Augen leuchteten in eigenthümlichem Glanze, wenn sie dieselben von Zeit zu Zeit auf Castruccio richtete und sich beider Blicke begegneten; aber sie war still inmitten der Lust, sie ging auf kein Gespräch ein, sie gab zerstreute Antworten, wenn man das Wort an sie richtete, und sie hielt sich zurückgezogen in der Ecke an dem kleinen Tische unter dem Fenster.

Castruccio hatte, als er sie heute Nachmittag vor der heiligen Taufhandlung hinaufgeführt zu der Wöchnerin, welche im zweiten Stock des Hauses lag, auf der dunklen Treppe einige rasche Worte zu ihr geflüstert, ein heftiges, eiliges Hin- und Herreden zwischen ihr und Castruccio war gefolgt, und von diesem Augenblicke an war das Wesen der schönen Sängerin wie verwandelt gewesen; sie sah zehnfach schöner aus seit diesem Augenblick, als sie je in ihren stolzesten Königinnen-Gewändern auf der Bühne gethan.

Und noch ein Gast war da, mit dem Castruccio heute geredet, um eine merkwürdige Veränderung in ihm hervorzubringen. Dies war Signore Paolucci. Er war eben gekommen, nachdem er ein heftiges Zwiegespräch mit seiner Tochter gehabt. Lucia war über den Ausbruch seines Zorns so erschrocken gewesen, daß sie anfangs keine Worte gefunden, etwas zu erwidern; dann aber hatte sie unter Thränen und Anrufung aller Heiligen des Himmels ihre Vertheidigung so nachdrücklich geführt, daß Paolucci nach und nach irre an der ganzen Sache geworden. Unter dem Strome von Worten und Ausrufungen und Betheuerungen, mit denen ihn die echt italienische Zungenfertigkeit Lucia's überflutet, war ihm der Gedanke gekommen, Castruccio herbescheiden zu lassen. Er wollte mit Castruccio über die Sache reden, er wollte von ihm vernehmen, was Aimond ihm gesagt, was er von der Sache halte. Er sandte zu Castruccio und erhielt die Nachricht, Castruccio könne unmöglich noch heute zu ihm kommen, da er ein Familienfest feiere. Verdrossen darüber, entschloß er sich in seiner Unruhe endlich, sich selbst auf den Weg zu Castruccio zu machen. Dieser fühlte sich im hohen Grade geschmeichelt, als ihm die Ankunft des vornehmen Signors – wie er glaubte, als uneingeladener Gast zu seinem Feste – gemeldet wurde; er eilte hinaus, ihn zu empfangen, ihn ins Haus zu führen, aber Paolucci hörte sehr schweigsam seine Bewillkommnungsrede an, trat, indem er Castruccio am Aermel faßte, mit ihm in den dunklen hintern Theil des Hausgangs und sagte:

»Castruccio, ich komme nicht um Deines Festes willen; mir liegt eine Sorge am Herzen, die mich herführt. Sprich, was hat dieser französische Herr, dem ich Dich empfahl, Dir gesagt, und was ist Deine Ueberzeugung von seiner Absicht? Sei ehrlich und wahr gegen mich, Castruccio –«

»Signor«, versetzte Castruccio betroffen, »war ich jemals etwas Anderes als ehrlich und wahr gegen Sie? Gegen Sie, meinen alten Patron, meinen Wohlthäter, meinen –«

»Laß gut sein, Castruccio, und gib mir Antwort auf meine Frage.«

»In welcher Sorge könnten Sie sein wegen dieses Signor Francese? Er will nichts thun, was unrecht ist, weder gegen Sie, noch gegen seine Braut, noch auch gegen Giustiniani; denn daß ein Mann seine Braut heirathet –«

»Seine Braut? Und glaubst Du in der That, daß es bei dieser ganzen heimlichen Trauung sich um seine Braut, um die Corallina handelt?«

»Und um wen sonst sollte es sich handeln? Es ist Alles vorbereitet, Alles in bester Ordnung. Um zehn Uhr ist die Trauung – in Santa-Maria. Die Corallina ist drinnen bei den Gästen; um halb zehn wird sie unter dem Vorwande, nach oben zu gehen, um von der Wöchnerin Abschied zu nehmen, das Zimmer verlassen; ich werde ihr folgen, aber, statt nach oben, sie rasch in die Gondel und nach Santa-Maria bringen.«

»In der That?« fragte Paolucci, und eine Centnerlast fiel ihm vom Herzen. »Aber so erkläre mir«, fuhr er fort, »weshalb schreibt mir die Corallina –«

»Ich kann weiter nichts erklären«, fiel ihm Castruccio in die Rede, »aber die Signora wird es können. Treten Sie doch ein, sprechen Sie sie selbst, Signor Paolucci; und dann kehren Sie nicht über meine Schwelle zurück an diesem Tage, ohne mein kleines bescheidenes Fest durch Ihr Bleiben glänzend und denkwürdig für immer gemacht zu haben. Ich bitte, Signor, treten Sie ein!«

Signor Paolucci war viel zu begierig, die Sängerin zu sprechen, als daß er des Hausherrn Einladung hätte ausschlagen wollen; er trat ein, er mischte sich unter die Gäste, er ließ sich der Primadonna vorstellen, er saß bald auch an dem kleinen Tische, an dem Corallina Platz genommen, und keine Viertelstunde war vergangen, bis Signore Paolucci Gelegenheit gefunden, mit der schönen Sängerin einige leise geflüsterte Reden zu wechseln, deren Ergebniß die völlige Beruhigung seiner Sorgen war. Corallina erklärte ihm ihren Brief und wie unrecht sie gethan, ihm zu schreiben, und wie thöricht sie an Aimond's Treue gezweifelt und wie erregt und voll Spannung und wie beklommen, aber auch wie glücklich sie sei; wie Castruccio ihr Zuversicht gegeben, daß Alles ohne Störung und Hemmniß verlaufen werde, und wie sie sich freue, aus der Gewalt ihres Tyrannen und ihres Vaters, der ganz für dessen Interesse gewonnen sei, zu entkommen und die Freiheit ihrem Geliebten verdanken zu sollen – kurz, Corallina, die den Abend hindurch so schweigsam gewesen, hatte Paolucci gegenüber ihre ganze Beredtsamkeit wiedergefunden und plauderte flüsternd sich in eine Erregung hinein, die ihr rosig angeglühtes Gesicht strahlen ließ.

Auch Paolucci's Gesicht strahlte jetzt bei allem dem; es strahlte bald auch von der Wirkung des trefflichen Weins, den Castruccio ihm eingoß, und in dieser Erregung bemerkte weder er noch Corallina, daß Signor Veronese, ein langer, magerer Mann mit einem grüngelben, blassen Gesichte, sie eine Weile aus seinen schmalen, tiefliegenden Augen scharf beobachtete und dann plötzlich hinter einer Gruppe von Gästen aus dem Gemache verschwunden war.

Sie ahnten nicht, welche Ueberraschung dies Verschwinden Veronese's ihnen bald bereiten sollte.

Eine Viertelstunde war vergangen, als plötzlich eine Bewegung unten im Raum um einen neueingetretenen Gast entstand. Corallina blickte auf und sah zu ihrem unsaglichen Erschrecken über die Häupter dieser sich tief verbeugenden Männer weg das häßliche Gesicht Giustiniani's sie anblicken.

Auch Paolucci wechselte in diesem Augenblicke die Farbe. »Giustiniani!« rief er aus.

»Um der Mutter Gottes willen, wozu kommt der? Sind wir verrathen?« flüsterte Corallina.

Aber bevor Paolucci hätte antworten können, trat Giustiniani lächelnd und mit verbindlichem Wesen auf Paolucci zu.

»Ich vernahm, welche ausgezeichnete Versammlung sich an Castruccio's Fest eingefunden hat«, sagte er. »Seid mir gegrüßt, Signor Paolucci! Wenn Ihr und unsere Corallina hier meine Gesellschaft nicht störend findet, so bitte ich um Erlaubniß, Euer Tischgenosse in diesem trauten Eckchen sein zu dürfen, wo Ihr die allgemeine Lust und Heiterkeit überschaut. Darf ich, Signor Paolucci?«

Paolucci hatte sich erhoben; er versicherte in den gewähltesten Ausdrücken, wie glücklich ihn das Erscheinen des verehrten Signore mache, und der Hausherr hatte unterdeß einen Sessel für den erlauchten Patron herbeigeschoben. Castruccio schien aufgelöst in Entzücken über die Ehre, welche seinem Hause, seiner cara moglie, seinem bambino und seiner Gesellschaft widerfahre; Corallina sah, daß ihm der helle Angstschweiß auf der Stirn perlte, und ihr eigenes Erschrecken wuchs durch dieses Zeichen des seinen nur noch ums Zehnfache. Den verstohlenen Blick, den ihr Castruccio zuwarf, verstand sie nicht; war er beruhigend oder war er nichts als ein stummer Angstblick? Sie wußte es nicht; sie saß bleich und regungslos und sah stumm und zerstreut, wie Castruccio sich um seinen zuletzt gekommenen Gast mühte, wie er die besten Erfrischungen brachte und ein großes Flügelglas vor Giustiniani hinstellte, das er mit einem goldenen, funkelnden Naß füllte. Die beiden Nobile stießen an und tranken; Castruccio füllte wieder, der Wein mußte beiden munden, Paolucci vorab, der einen hastigen schlauen Blick Castruccio's und eine Bewegung von dessen Hand zum Munde aufgefangen und, wie es schien, besser verstanden hatte als Corallina seine Augensprache. Paolucci trank und rühmte den Wein und brachte die Rede auf das Luca-Theater und pries Giustiniani's Erfolge und brachte es dahin, daß der stolze und geschmeichelte Nobile, in froher Laune, wie es schien, ohnehin, ebenfalls dem Weine tüchtig zusprach, während Castruccio fast nicht von seinem Stuhle wich, die Gläser zu füllen.

Nach einer Weile sprang Giustiniani auf.

»Aber wo ist Veronese geblieben?« rief er aus. »Dort unten sah ich ihn; er soll anstoßen mit mir auf das Wohl des Täuflings. Hierher, Veronese!«

Dabei nahm er das Glas, und bevor noch Veronese dem Rufe Gehör gegeben, war Giustiniani zu ihm ans Ende des großen Tisches gegangen, wo er ihm zuflüsterte:

»Du bist ein Narr, Veronese, mit Deinem Argwohn!«

»Aber vorhin dies Geflüster Corallina's mit Paolucci, in dessen Hause Aimond halbe Tage zubringt, was hatte es zu bedeuten?« fiel Veronese in demselben leisen Tone ein.

»Laß sie zusammen flüstern – ich weiß besser, was im Werke ist – denn im Werke ist etwas – ich sah es Castruccio an der Nasenspitze an – er hat den Paolucci bereits halb trunken gemacht und drängt immer noch weiter zum Trinken. Ich will nicht Giustiniani heißen, wenn es nicht darauf abgesehen ist, ihm einen Streich zu spielen. Du sollst es sehen, Veronese, sollst es sehen – man hat ihn hierher gelockt, während sein Töchterchen – nun, ha, ha, ha, Du wirst es sehen, Veronese!«

Er wandte sich rasch seinem Platze wieder zu und begann aufs neue mit Paolucci zu plaudern.

So verging eine halbe, eine ganze Stunde; das eifrige Zwiegespräch der beiden Herren begann an Worten immer reicher und an Logik schwächer zu werden; es ging in ein buntes Durcheinanderreden über, als es auf der goldenen Glocke am Sanct-Marcusplatz zu schlagen begann; die Riesen neben ihr ließen neunmal ihre Hämmer darauf fallen und die andern Thurmuhren der Stadt hallten die Schläge in solcher Folge nach, daß etwas von diesem Geräusch selbst in den Lärm, das Lachen und den lauten Stimmenwechsel in Castruccio's kleinem Hause drang. Giustiniani zog seine Uhr hervor und wollte sich erheben, um zu scheiden; wenn es Corallina gefällig sei, werde er sie heimgeleiten und in seiner Gondel mitnehmen, sagte er. Paolucci protestirte aufs heftigste dagegen, Giustiniani mußte sich halten lassen und noch einmal das große Flügelglas leeren, wonach er ziemlich schwer in seinen Sessel zurücksank und den Gedanken an die Heimkehr fürs erste aufgegeben zu haben schien. Es mochte eine Viertelstunde vergehen, ehe er unter den Gedanken, die in seinem Kopfe in wirrem Schwindel zu kreisen begonnen, den an seine Heimkehr wieder erfaßt zu haben und nun festzuhalten schien.

»Jetzt aber kommt, Paolucci, alter Knabe«, rief er lachend aus. »Oder wenn Ihr nicht kommen wollt, so bleibt ins Teufels Namen, solange Ihr mögt – ich aber gehe! Veronese, Corallina, kommt!«

»Laßt uns die Ehre Eurer Gegenwart nur noch so lange, bis Signora Corallina nach meiner Frau gesehen und ihrem kleinen Pathen gute Nacht gesagt«, fiel Castruccio ein.

Signora Corallina sprang hastig auf.

»Erlaubt, daß ich Euch führe«, rief Castruccio zu ihr gewendet aus und eilte ihr zuvor zu dem Gemache hinaus.

Paolucci zog Giustiniani wieder auf den Sessel nieder. Dieser fiel schwer zurück.

»Ich habe nie gewußt, daß Ihr ein solcher Weinschlauch seid, Paolucci«, sagte er. »Schämt Euch, schämt Euch! Ihr trinkt wie ein Deutscher; aber Castruccio's Wein ist gut – sehr gut – Veronese, es war ein guter Einfall von Dir – aber wo ist Veronese? Wo ist dieser Birbone von einem betrunkenen Sänger? Unter dem Tisch, wahrhaftig, er hat sich unter den Tisch getrunken. Bestia! Ruffiano!«

Giustiniani mußte nicht ganz klar mehr sehen. Veronese hatte sich keineswegs unter den Tisch getrunken, er lag auf demselben, hinten im Zimmer, die Arme vor sich ausgestreckt, das Haupt darauf gelegt, und dabei murmelte er Flüche und Betheuerungen durcheinander, Castruccio habe ihn vergiftet, Castruccio habe ihm einen Schlaftrunk gegeben, Castruccio wolle ihn durch Opium, das er in den Wein gegossen, tödten.

Giustiniani horchte auf.

»Wo ist Castruccio?« rief er heftig aus.

»Hier, gnädiger Herr«, antwortete Castruccio, der eben wieder hereingeschlüpft war, »hier, gnädiger Herr! Hört nicht auf seine Reden, er ist vollständig ohne Verstand –«

»Ohne Verstand – ohne Verstand – ich fürchte, es ist der ganzen Bande nicht viel davon geblieben«, lallte Giustiniani. »Ich will fort – fort, Castruccio, ruf Corallina herbei – in meine Gondel mit ihr – geh, braver Castruccio, bestiehl die Theaterkasse nicht, um Deine Weinrechnung zu bezahlen; geh und hole Corallina; in die Gondel mit ihr, sag' ich – solange dieser Franzose in Venedig ist – aber da ist ja Paolucci – mein würdiger Freund Paolucci – setz' Dich und trink'; Du kannst lustig trinken; man bedarf Deiner daheim nicht; trink', trink' bis an den Morgen! Für Kopfweh für Dich ist ohnehin gesorgt – ha ha ha!«

»Für Kopfweh für mich? Ich denke, das Kopfweh wirst Du haben, alter Bösewicht, und ganz Venedig wird Dich auslachen mit Deinem Kopfweh!« rief Paolucci, in welchem der Wein plötzlich den alten Haß gegen Giustiniani aufkochen ließ.

»Alter Shylock«, fuhr Giustiniani, sich die Hände reibend, fort, »wie Du rufen wirst: Meine Tochter, meine Dukaten!«

»Meine Tochter? Was geht Dich meine Tochter an? Meine Tochter ist in Santa-Maria und – und hilft Dir eine Nase drehen, Giustiniani!«

Paolucci's Zorn war plötzlich in eine unbändige Heiterkeit übergegangen; er fiel vor Lachen in seinen Stuhl zurück.

»O, es ist kostbar, es ist unbezahlbar, es ist wundervoll – dieser dürre lange Stockfisch von einem Giustiniani, der von meiner Tochter schwatzt, statt an seine –«

Paolucci, der diese Worte halb vor Lachen erstickt hervorstieß, erhielt hier plötzlich einen Rippenstoß von Castruccio, der, neben ihm stehend, ihm zuflüsterte:

»Um Eures Heilands willen, Herr –«

Giustiniani aber hatte plötzlich die Farbe gewechselt. Seine Trunkenheit schien gewichen.

»In Santa-Maria – mir eine Nase drehen?« sagte er leise und schrie dann: »Corallina, wo ist Corallina? Redet dieser besoffene Weinschlauch die Wahrheit? Dann stehe Gott ihr bei! Corallina!«

»Sie ist oben, Herr, sie ist oben!« rief begütigend Castruccio aus, indem er sich vor Giustiniani stellte.

Dieser wollte davonstürzen und Castruccio beiseite schleudern.

Aber Castruccio hatte ihn am Arme erfaßt.

»Ich schwöre es Euch, Herr, Corallina ist oben; sie kommt, sie wird im Augenblick da sein. Ich will –«

»Fort mit Dir, Du bist ein Schurke, Castruccio«, rief Giustiniani, ihn zurückschleudernd, und damit eilte er weiter, in den schmalen Hausflur, zum Hause hinaus, auf die Stufen, an denen seine Gondel lag.

»He, Pietro, fass' Deine Ruder!«

»Ja, Herr«, antwortete Pietro aus der Gondel »nehmt meine Hand!«

Giustiniani war bereits in die Gondel gesprungen.

»Fort, fort, nach Santa-Maria della Salute! Habt Ihr eine Donna vorher abfahren sehen?«

»Es sind mehrere Gondeln abgestoßen mit heimkehrenden Gästen!«

»Habt Ihr die Corallina erkannt?«

Der Gondolier hatte Niemand erkannt; es war zu dunkel und die Damen trugen, wenn sie heimfuhren, Halbmasken gegen die Nachtluft.

Giustiniani begann sich zu beruhigen, sowie die Nachtluft sein glühendes Haupt kühlte. »Ich hätte eigentlich erst untersuchen können, ob Corallina nicht wirklich noch oben in Castruccio's Hause bei der Wöchnerin war«, sagte er sich. »Dieser betrunkene Paolucci hat mir, denk' ich, einen unnützen Schrecken eingejagt; ich werde lachen, wenn man morgen in Venedig sich erzählt – aber ist dies nicht Paolucci's Haus?« fuhr er fort, als die Gondel aus der schmalen Riga, an der Castruccio's Haus lag, in den Canal grande einbog. »Da könnt' ich ja gleich sehen, ob ich umsonst in Harnisch gerathen oder nicht, ob seine Lucia ruhig daheim ist oder mit dem verwünschten Franzosen in der Kirche. He, Pietro, halte rechts, lege am Hause Paolucci's an, ich will hinein.«

Pietro lenkte die Gondel rechts ab und hielt bald an den Stufen zu Paolucci's Hause.

Giustiniani sprang hinaus und ging die Stufen hinauf. Aus dem Schatten der Portalsäulen traten ihm zwei Männer entgegen.

»Wohin?« sagte der eine lakonisch.

»Wohin?« gab Giustiniani, der ihn in der Dunkelheit für einen Diener nahm, zur Antwort. »Zur Signorina, zu Signora Lucia; ich will sehen, ob –«

»Sie werden die Signorina nicht sehen, aber Sie werden uns folgen«, antwortete der Mann. »Kommen Sie –«

Dabei klatschte er zweimal mit den Händen und im Augenblick schoß aus dem nächsten Schattendunkel eine große Gondel heran, die, Giustiniani's Fahrzeug beiseite drängend, sich quer vor die Stufen der Treppe legte.

»Kommt hinein«, sagte der Mann neben Giustiniani, ihn am Arme fassend.

»Da hinein? Wer befiehlt mir das? Was wollt Ihr? Wer seid Ihr?«

»Wir sind von der Arsenalottenwache, Signor, und haben Befehl, Euch zu verhaften.«

»Mich – zu verhaften?«

»Vom Signor Moriani – im Namen des Raths der Zehn!«

»Bei San Marco, Ihr lügt! Wißt Ihr, wer ich bin?«

»Nein; es ist nicht von Interesse für uns. Kommt!«

»Mich, mich, den Nobile Giustiniani wollt Ihr verhaften?«

»Kommt, Herr, damit wir Euch nicht zu fesseln brauchen«, sagte ruhig der Arsenalotte.

» Demonio!« rief Giustiniani aus. »Dies ist mehr als ich begreifen kann. Gott steh' mir bei! Ihr bringt mich nicht in die Pozzi?«

»Wir bringen Euch, wohin wir Befehl haben«, erwiderte der lakonische Mann, der jetzt schon sammt seinem Genossen Giustiniani in die Gondel geführt hatte und ihn dort auf die Bank niederzog.

»Schweigt, Herr«, sagte er hier, sich neben ihm niederlassend, während die zwei Gondoliere ihre Ruder eintauchten und das Fahrzeug rasch in das Dunkel der Nacht schnellten, die über dem stummen Kanale lag.

Genau um dieselbe Zeit wurde stürmisch in der Stella d'oro die Thür zu Aimond's Zimmer aufgerissen und herein stürzte, Entsetzen in allen Zügen, Signor Castruccio.

»Um unseres Heilands willen, sputen Sie sich, eilen Sie, eilen Sie, Signor Aimond«, rief er aus und sank zitternd vor Aufregung in den nächsten Stuhl. »Dieser Giustiniani, dieser eingefleischte Teufel ist schon auf dem Wege nach Santa-Maria. Er wird uns alle erdrosseln. Eilen Sie, nehmen Sie wenigstens die Corallina vor ihm in Schutz, daß er sie nicht ermordet!«

Aimond, der eben seine Toilette für die Ceremonie in der Kirche beendet hatte und im Begriffe gewesen war, zu gehen, zunächst zum Hause Paolucci's, um Signora Lucia abzuholen, verlangte bestürzt von dem erschrockenen Menschen Aufklärungen; aber Castruccio gab nur verworrene Ausrufungen zur Antwort, aus denen Aimond entnahm, daß Corallina entschlüpft und allein zur Kirche gefahren, daß aber auch Alles entdeckt, Alles vereitelt sei, daß er nichts thun könne, als nur in größter Hast nach der Kirche zu eilen, um Corallina vor der Wuth Giustiniani's in Schutz zu nehmen.

»So kommen Sie doch, kommen Sie!« rief Aimond, über seine Schwelle eilend, aus.

»Ich? Ich soll Sie begleiten? Ich soll mich von Giustiniani in der Kirche betreffen lassen? Lieber in die Hölle!«

Aimond verlor die Zeit nicht mit Aufforderungen an Castruccio, ihm zu folgen. Er stürzte die Treppe des Hotels hinunter, draußen an den Landungsplatz, sprang in die bereitliegende Gondel und rief:

»Eine Zechine für jeden, wenn wir in zwei Minuten in Santa-Maria sind!«

»Euer Wort darauf, Signore!« antwortete einer der Gondoliere, und das leichte Fahrzeug flog bald wie ein Pfeil über das still schlummernde Gewässer hin.

Die zwei Minuten waren noch nicht verflossen, als die Gondel an den Quai vor der Kirche anstieß.

Man sah dämmerndes Licht aus den Fenstern der Kirche schimmern; ein gelber schmaler Lichtstreif zeigte an, daß der eine Flügel der Portalthür nur angelehnt stand.

Aimond eilte über den Quai, über die Portalstufen – er trat ins Innere des hohen, imposanten Raums.

Dieser war erleuchtet durch eine kleine Anzahl von Kerzen, welche auf dem Hochaltare entzündet waren. Das Licht drang nur sehr geschwächt bis in den vordern Raum der Kirche.

Aimond's Blick traf hier auf eine Gruppe von drei Personen, zwei Männer und eine Dame, die eine Halbmaske und einen Schleier trug.

»Ah, Monsieur Aimond!« flüsterte einer der Männer, ihm entgegentretend. »Wie gut, daß Sie früher kommen, als es verabredet war!«

Es war die Stimme Rousseau's.

Aimond eilte an ihm vorüber auf die Dame zu.

Sie flog ihm entgegen, sie warf sich an seine Brust und umschlang ihn krampfhaft zitternd mit ihren Armen.

»O rette, schütze mich!« flüsterte sie. »Ich bin in Todesangst, daß er mich verfolgt!«

»Corallina! Meine Braut, mein Weib«, sagte Aimond sie stürmisch an sich pressend, »fürchte nichts, Du bist in meinem Schutz und wirst es von nun an immer sein!«

»Aber eilen wir«, drängte Rousseau; »Corallina glaubt, daß Giustiniani sie verfolgt, daß er Alles zu nichte machen wird.«

Aimond zog den Arm Corallina's in den seinen und schritt mit ihr dem Altare zu.

Der zweite Herr – es war der Consul Le Blond, eilte ihnen vorauf und verschwand in der Thür der Sakristei.

Gleich darauf kehrte er mit dem Priester daraus zurück; ein Chorknabe mit einem Buche und einem Lichte folgte ihnen.

Das Brautpaar trat an die Stufen des Altars. Der Priester warf einen prüfenden Blick auf Aimond, als ob er sich von der Identität der Person überzeugen wolle, dann winkte er dem Paare und begann die Trauung.

Sie wurde ohne Störung vollzogen. Ohne Störung trug alsdann in der Sakristei das Paar seinen Namen in ein Register ein; Rousseau und Le Blond als Zeugen unterschrieben.

Man hatte Giustiniani nicht mehr zu fürchten. Seine Macht über Corallina war gebrochen. Man wollte sich in seinen Palast, in Corallina's Wohnung begeben; man wollte ihm ankündigen, was geschehen, und ihn auffordern, Corallina ungestört am folgenden Tage mit ihrem Gatten abreisen zu lassen.

Eben schritt man die Kirche hinab, der Portalthür zu, als diese sich öffnete und eine Männergestalt über die Schwelle trat.

»Da ist er!« flüsterte Corallina, erschrocken sich an Aimond schmiegend.

»Nicht er«, rief dieser aus, »das ist Paolucci!«

Paolucci war es in der That; er kam sehr unsichern Schritts heran, er focht mit den Händen in der Luft, er lachte laut.

»Still, still«, sagte Aimond ihm entgegentretend »Was ist geschehen?«

»Das Vortrefflichste, das Glücklichste, das Komischste, was geschehen konnte; Giustiniani ist verhaftet, er ist in Sicherheit gebracht, und wir sind sicher vor ihm!«

»Verhaftet? Giustiniani?« fragten alle wie aus einem Munde.

»Ich komme von meinem Hause«, stieß Paolucci, der vor Lachen kaum sprechen konnte, heraus, »da sagte man mir, daß die Staatsgondel mit den Arsenalotten da gewesen, daß sie Giustiniani, der ins Haus dringen wollte, aufgefangen und fortgeführt. Ich hatte sie für Euch bestellt, Signor Aimond, heute, als ich Euch noch für einen Verräther hielt, und nun fängt sie Giustiniani ein – es ist vortrefflich, – er wird Euch während der nächsten Stunden nichts anhaben!«

»So ist die Nacht unser«, rief Rousseau aus. »Aimond, benutzen Sie sie zur Abreise! Ich gehe, Ihren Paß bereit zu machen, Ihre Frau darin einzutragen; begeben Sie sich in den Palast Giustiniani, Le Blond wird Sie begleiten und dort Corallina's Sachen reclamiren, wenn man ihr Schwierigkeiten machen sollte. Er wird sie verlangen im Namen Frankreichs, dessen Unterthanin Corallina jetzt ist. Eilen Sie, und wenn Sie zur Reise gerüstet sind, kommen Sie zu mir, Ihren Paß zu holen, ich werde die ganze Nacht hindurch auf der Gesandtschaft Ihrer harren!«

Man gehorchte den Weisungen Rousseau's; die Gondeln wurden bestiegen und fuhren nach verschiedenen Seiten ab; nach dem Hause Paolucci's, wo dieser ruhig seinen Rausch ausschlafen konnte, nach dem Palaste Giustiniani's, wo man Alles durch einen Gondolier Giustiniani's, der die Nachricht, daß dieser verhaftet sei, gebracht, in Schreck und Bestürzung versetzt fand und wo sich Niemand der Abreise Corallina's widersetzte, da auch weder Veronese noch Camilla heimkam. Veronese lag in Rausch und Schlaf begraben in Castruccio's Hause und Camilla hatte ihn in diesem Zustande nicht verlassen wollen.

So konnte man schon um Mitternacht die nöthigen Papiere auf der Gesandtschaft entgegennehmen. Rousseau begleitete das neuvermählte Paar mit seinen besten Wünschen. Dieses landete eine Stunde später wohlbehalten und allen Gefahren entrückt zu Mestre, auf festem Land und Boden.

Giustiniani aber betrat erst am andern Morgen, nachdem man ihm viele Entschuldigungen gemacht, daß seine Verhaftung ein Mißverständniß gewesen, seinen Palast wieder. Daß er Corallina nicht mehr darin fand, überraschte ihn nicht. Er hatte es sich denken können. Aber als kluger Mann nahm er schweigend den Streich, den man ihm gespielt, hin; er jagte nicht einmal Castruccio aus seinem Dienste fort, aber er jagte, als die Stagione zu Ende, seine ganze Truppe fort.

 

Ende.


Druck von Bär & Hermann in Leipzig.
Papier von Julius Lange in Jeßnitz bei Dessau.

 


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