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Jean Jacques Rousseau! Welch ein Name! Welche Welt von Gedanken entsteht in uns, wenn wir ihn nennen hören; welches Bild von der Macht und dem Einfluß eines einzigen Geistes auf das Menschengeschlecht; welche Gefühle werden in uns wach, der Sympathie mit der wundersamen Stärke seiner Empfindungen, des Mitleids mit seinen Schicksalen, des Unwillens über seine unbegreiflichen Schwächen, der Bewunderung endlich jener beispiellosen Aufrichtigkeit, womit uns diese Schicksale geschildert, diese Schwächen eingestanden werden!

Nie war ein Charakter mehr aus sonst unverträglichen Elementen gemischt, nie standen in einem Menschen die Kraft und die Schwäche dichter neben einander. Der Eigenschaften, welche sich scheinbar völlig ausschließen müssen, lag eine Fülle in ihm friedlich neben einander. Er war schüchtern, blöde, linkisch, verlegen und konnte die Verwogenheit selbst sein; er war leichtgläubig, lenkbar, hingebend, der Urtypus eines Idealisten, und dennoch war er ebenso fähig zu raschen und entscheidenden Entschlüssen und zu energischem Handeln, wenn der Moment es von ihm verlangte.

Das trat am meisten hervor damals, als er mit einem Amt bekleidet war, welches ihm täglich praktische Lebensaufgaben zuführte – in seiner kurzen Glanzzeit in Venedig, die ach sobald mit einer grausamen Katastrophe endete; es war nicht das Schicksal des armen Jean Jacques, sich lange in Ruhe und Sorglosigkeit zu schaukeln.

Es war das in jener Zeit von 1747, als noch alle venetianische Herrlichkeit üppigsten Lebensgenusses in voller Blüte stand. Die Signora Albrizzi, die venetianische Staël, die berühmte geistreiche Frau, welche so lange das Haus Tartochi-Albrizzi zu einem Versammlungsort ausgezeichneter Menschen machte und einen Theil ihrer Erlebnisse in ihrem Buche »Ritratti« niedergelegt hat, wußte sich mehrerer Gestalten aus jener Epoche noch sehr wohl zu erinnern. Wenn sie, die im Jahre 1836 im Alter von vollen achtzig starb, ihr altes Venedig mit seinen lustigen Intriguen, seiner bewegten, ebenso bunten als glänzenden Gesellschaft, seinen Musik- und seinen Zauberfesten schilderte, die ganze jetzt wie im Canal grande versunkene Herrlichkeit, dann unterließ sie auch nicht, die Namen Corallina und Jean Jacques Rousseau zu nennen; und weil sie beide Namen, von denen der eine in so völlige Dunkelheit versunken, der andere so hellstrahlend geblieben, stets zusammen und in einem Athem nannte, so blieben in dem Kreise, der sie umringte, die Fragen dann auch nicht aus, wer die Corallina sei und was Rousseau mit ihr zu schaffen habe.

»Wer die Corallina war?« antwortete die alte Dame alsdann. »Und das wissen diese Herren, die doch sicherlich sämmtlich Casanova's Denkwürdigkeiten kennen und darin die Corallina erwähnt gefunden haben müssen, nicht? Die Corallina war eine bewundernswürdige Sängerin, die unser abenteuerlicher Landsmann – so hat man mir erzählt, denn ich selbst, das brauche ich nicht zu versichern, habe ihn nicht gelesen; ich habe mich gehütet, die Hände nach dem garstigen Buche, das man so amüsant nennt, auszustrecken – die unser Landsmann in Paris antraf. Und daß er sie in Paris antraf, daran war Niemand anders als Rousseau schuld. Schlagen Sie das siebente Buch seiner »Bekenntnisse« auf – wo ist das Buch? Holen Sie es mir.«

Die »Bekenntnisse« Rousseau's wurden ihr gebracht, die Signora blätterte darin und endlich zeigte sie einem der Herren eine Stelle, der dieselbe vorlas:

» Quelquefois je m'aventurais à des démarches hasardeuses dont plusieurs m'ont réussi. Je m'en rappelle une, dont le souvenir me fait encore rire. On ne se douterait guère que. C'est à moi que les amateurs du spectacle à Paris ont dû Coralline et sa soeur Camille; rien cependant n'est plus vrai!«

»Nichts in der That ist wahrer!« fiel die alte Dame ein. »Dieser kleine Jean Jacques mit den weichen Wangen und den anmuthigen Zügen, welche fast die eines jungen Mädchens waren, fädelte den Streich ein, der die Enthusiasten Venedigs um die Corallina brachte. O, er war ein verschmitzter Intriguant –«

»Rousseau ein Intriguant?« rief der Herr, welcher eben gelesen hatte, aus.

»So ist es«, versetzte die Signora mit lächelndem Kopfnicken. »Rousseau war Alles: ein menschenscheuer Einsiedler und ein Diplomat, ein Philosoph und ein verliebter Narr, ein Egoist und ein schwärmerischer Vorkämpfer für Recht und Humanität, wo er irgend ein Unrecht, eine Gewaltthat, eine Handlung der Tyrannei erblickte. Wollen Sie für sein Talent zur Diplomatie und zur Intrigue einen Beweis? Ich kann Ihnen ihrer zwei geben, zwei Episoden aus dem Leben Jean Jacques', zwei Geschichten. Wollen Sie sie anhören?«

Alles war begierig, die Geschichten aus dem Leben Rousseau's zu hören, und Signora Albrizzi erzählte ihrem lautlos horchenden Kreise dann die zwei Episoden, die auf den folgenden Blättern wiedergegeben sind.

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