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Die Schlinge.


Fünftes Kapitel.


Zu dem angekündigten Familienrath fuhr man nach Surenburg hinüber, um Herrn von Mainhövel nicht auszuschließen, der nie seine vier Wände verließ. Die Anzahl der Zusammengekommenen war ziemlich groß; denn da die Personen, mit welchen sich unsere Erzählung beschäftigt, unter sich durch die verworrensten Verwandtschaftsbande vielfach verschlungen sind, so war nach Surenburg gekommen, was eben in der Nähe gewesen oder was Lust und Neugier genug gehabt hatte, um die Mühen des Weges nicht zu scheuen.

Heydenreich Tondern war nicht da; ihn hatte die Angelegenheit der Stelle, welche, da Valerian sie ausgeschlagen, ihm übertragen werden sollte, in die Hauptstadt des Landes geführt. Auch Sasseneck, den die heutige Verhandlung am meisten berühren sollte, war nicht anwesend; seine Wunde hielt ihn auf seinem Gute zurück.

Theo trat am Arme der Tante Crispine in das Zimmer des Freiherrn von Mainhövel. Als ihren Vormund begrüßte sie ihn mit Ehrerbietung und Freundlichkeit, doch auch mit einiger zaghaften Zurückhaltung, denn sie hatte immer eine gewisse Scheu vor diesem zornigen Manne gefühlt, und jetzt doppelt, weil sie sich bewußt war, ihn gekränkt zu haben.

Sie gedachte des Briefes, den sie durch den Arzt an ihn hatte schreiben lassen.

Auch Mainhövel gedachte desselben; und da er weder vergessen, noch auch sich verstellen konnte, aber die Regeln ritterlichen Anstands gegen eine Dame nicht außer Acht lassen wollte, so zog er vor, Theo gar nicht zu bemerken und aus seinen Gebrechen einen ähnlichen Vortheil zu ziehen, wie ihn Taube so oft aus dem ihren zu ziehen wissen.

Lieber Onkel, sagte Theo, seine großen, knochigen Finger in ihre weichen Hände nehmend, lieber Onkel, es freut mich, daß ich Sie so außerordentlich wohl aussehend finde.

Allerdings, wenn man schon unter dem Kurfürsten Maximilian Franz zusammen Ecarté gespielt hat, wie wir Beiden, liebe Crispine, kann man sich auf sein Aussehen etwas zu Gute thun.

Die Tante Crispine ist eben ans Fenster gegangen, Onkel, sagte Theo erröthend, während Allgunde sarkastisch lächelnd hinter sie trat.

Ah, Sie sind's, liebe Amalie! Bitte um Verzeihung. Sie haben gute Nachrichten von Ihrem Aeltesten, hoffe ich? Und Mäxchen ist jetzt auch aus Freiburg zurück, hat man mir gesagt?

Theo wandte sich ab, denn sie verstand jetzt den alten Ritter. In ihre Seele aber kehrte alle die Beklemmung zurück, welche sie so oft in solcher Gesellschaft empfunden hatte, wo sie mitten in einem Walde von Vorurtheilen durch jede unumwundene Meinungsäußerung gegen irgend ein traditionelles Dogma zu verstoßen fürchten mußte, das mit um so argwöhnischerer Heftigkeit aufrecht erhalten wurde, je größer der ererbte Unsinn war, welcher sich darauf stützte. Und wahrhaft wunderbar war, wie weit dieser Argwohn durch Verschlingung und Verkettung verschiedenster Verhältnisse hindurch den Personen und Dingen folgte.

Theo hatte deshalb seit längerer Zeit die Politik befolgt, in solchen Zusammenkünften gar nicht zu reden und ja nicht irgend einem Dinge zu nahe zu treten, das im vierten, fünften Verkettungsgliede mit einem andern Dinge zusammenhing, welches sich in religiöser oder politischer Beziehung allgemeiner Billigung erfreute; oder um nicht gar ein Ding zu loben, bei dem das Umgekehrte der Fall, das vielleicht mit hochverrätherischen Ansichten über Adel und Kirche im vierzehnten Verwandtschaftsgrade liirt war.

Man setzte sich. Zuerst war in der Angelegenheit Marie Sasseneck's ein Beschluß zu fassen. Es wurde sehr heftig darüber hin- und hergesprochen. Die Meisten gaben ihre Rathschläge um so sorgloser und vertheidigten sie um so eifriger, als sie das lebhafte Bewußtsein hatten, daß am Ende doch geschehen werde, was Allgunde und Mainhövel meinten und sie also das Vergnügen haben konnten, ihre Weisheit und ihre Beredtsamkeit zu entwickeln, ohne am Ende die Verantwortlichkeit für irgend eine durchgeführte Maßregel tragen zu müssen.

Einige der jüngern Männer waren für eine Trennung der beiden Ehegatten und für Einleitung des gerichtlichen Verfahrens zu diesem Ende, die Meisten aber waren entschieden dagegen. Besonders heftig sprachen sich die Frauen gegen die unglückliche Marie aus; es war, als ob sich jede Einzelne durch Marie Sasseneck's Schritte persönlich verletzt und beleidigt gefühlt, so bitter waren sie. Duldete doch so Manche von ihnen selbst unter Verhältnissen, die ganz anders waren, wie sie sich es hatte träumen lassen, als sie noch ein illusionenreiches Mädchen war. Doch, sie schwieg und duldete.

Durfte sie aber zugeben, daß die Gründe, welche sie dulden und schweigen machten, von einer Andern, wie Marie Sasseneck, außer Acht gelassen würden? Durfte sich eine Andere etwas herausnehmen wollen vor ihren Schwestern, durfte sie glücklicher sein wollen? Je schwerer eine Pflicht auf Jemanden lastet, je mühseliger es ihm wird, sie zu erfüllen, für desto heiliger wird er sie angesehen wissen wollen; und Niemand wird eine größere Erbitterung gegen einen alten Gefährten empfinden, als der Soldat, dem die Schlacht ein Bein abriß, gegen den Soldaten, der vor der Schlacht davonlief.

So kam es, daß man endlich den einstimmigen Beschluß faßte, erstens durch allgemeine Discretion über die Sache wo möglich jeden Scandal zu vermeiden, was Allen ihr erstes und vornehmstes Interesse schien. Dann übernahm der Graf Quernheim, als einer der nächsten Verwandten Marie Sasseneck's, sich zu dem beleidigten Gemahl zu begeben und ihm das ernstliche Versprechen einer rücksichtvollen, humanen und vernünftigen Behandlung seiner Frau und einer standesgemäßen Erziehung seines Kindes abzuverlangen. Auf diese Bedingung hin sollte Marie zu ihm zurückgeführt werden. Die geringste Klage aber, welche seine Frau gerechterweise wieder gegen ihn erheben werde, solle eine endliche Trennung zur Folge haben; Graf Quernheim erbot sich, alsdann Marie Sasseneck in seinem Hause aufzunehmen und zu beschützen.

Wenn man bedenkt, welches Vorurtheil die meisten der Anwesenden gegen die unglückliche Frau hegten – Dank den Einflüsterungen und offenen Behauptungen Allgundens und Tonderns – so muß dieser Beschluß noch äußerst milde und nachsichtig für die arme Frau genannt werden.

Im Anfange hatte man es zwar sehr seltsam gefunden, daß Valerian die junge Frau entführt haben sollte, da man ihn kaum je mit ihr zusammen gesehen; Niemand konnte behaupten, er sei Zeuge gewesen, daß sie nur mit einander gesprochen. Aber man war auch bald darin übereingekommen, daß leidende, stille Frauen einen unerklärlichen Reiz auf die Männer üben und dann, daß die Anziehungskraft eines gefahrvollen Abenteuers oft noch weit größer sei.

Jedenfalls lag das noch von Niemanden widersprochene Factum vor: die beiden jungen Leute, Valerian von Schlettendorf und Sasseneck's entflohene Frau befanden sich zusammen in einem stillen, romantisch und einsam gelegenen Gebirgsschloß. Das hatte Tondern, hatten alle Diener und Leute Sasseneck's mit eigenen Augen gesehen.

Und wenn man es noch nicht geglaubt hätte, so würde man überzeugt worden sein, als Gräfin Allgunde von Quernheim sich von ihrem Vater dessen Brieftasche geben ließ und ein Schreiben des Rentmeisters Krauß zu Arnstein daraus nahm, worin dieser seinem Herrn gewissenhaften Bericht über die Vorgänge der letzten Tage und die Belagerung des Schlosses erstattete.

Allgunde las den Brief; die Frau von Sasseneck, hieß es darin, war zu Wagen nach Arnstein gekommen, gleich darauf zu Pferde der Graf Valerian von Schlettendorf und dieser hatte den Verwalter gedrängt, das Schloß vor dem nachsetzenden Sasseneck zu verrammeln. Dann kamen die Details der Belagerung, endlich das Duell Sasseneck's und Valerian's, in Folge dessen Letzterer nun verwundet in der Burg liege, von Marie Sasseneck's Händen treulich gepflegt.

Nachdem dieser Brief vorgelesen worden, nahm das Wort der Freiherr von Sackenrode, der ein alter Verehrer der Tante Crispine war und bisher sie in angelegentlichem Flüstern mit seinen Bewässerungsanstalten einer neuen Fohlenweide unterhalten hatte. Er sprach von der Aufführung Schlettendorfs. Voll Entrüstung verlangte er, daß man Valerian auf empfindliche Weise die Misbilligung seines ehrlosen und schmachvollen Betragens fühlen lasse.

Dieser Mensch hat meine ganze Verachtung! rief er aus.

Ehe er uns Allen so laut und anmaßend den Text gelesen über des Adels wahren Beruf, Stellung zur Zeit und was weiß ich Alles, hätte er freilich besser gethan, sich selbst als Edelmann zu zeigen, sagte Herr von Mainhövel.

Er führt sein modernes Adelthum ziemlich mittelalterlich ins Leben, fiel ein Anderer der Anwesenden ein: mit Frauenentführung, Burgenvertheidigung –

Aber nicht mit Ritterlichkeit! nahm Sackenrode wieder das Wort. Daß er mir meine beiden Pferde bis auf diese Stunde noch nicht zurückgeschickt hat – er kam zu Wagen und ich mußte ihn und seinen Reitknecht beritten machen – davon will ich nichts sagen, obwol er meinen besten Hunter, den Rino hat. Aber mich wie einen Narren zu Tondern zu jagen, dann weit vom Haus' ins Gebirge zu schleppen und wenn's nun endlich zum Klappen kommen soll, durchzugehen – das vergebe ich ihm nie! Als ich heimritt, kam Tondern mir entgegen. Der hat Augen gemacht; es hat mich ordentlich gerührt, wie bestürzt Tondern war; es ist eine brave Seele, der Heydenreich! So bestürzt über ein verfehltes Pistolenduell kann nur ein Mensch von einer ganz ausgezeichneten Bravour sein! Und Schlettendorf dagegen – es ist kläglich; nicht allein, daß er nicht den Muth hatte, einem Feinde Stand zu halten, er war auch zu feige, mir, seinem Secundanten, seine Weigerung, sich zu schießen, grade ins Gesicht zu sagen; er ging durch, während er mich im Schlafe wußte, und befahl noch, mich ja nicht zu wecken. O diese Maulhelden!

Welche Folterqualen Theo während dieser Verhandlungen erduldete, ist nicht zu beschreiben. Doch hatte sie es bis jetzt ausgehalten; sie saß todtenbleich, aber aufrechter, steifer Haltung, die Blicke in den Schoos gesenkt, zwischen dem Grafen Quernheim und der Tante Crispine da, von manchem rasch spähenden Seitenblick ihrer Nachbarn gestreift.

Endlich aber fühlte sie sich unfähig, den Zwang länger zu erdulden. Sie empfand einen Drang, sich aus dem Kreise dieser Menschen fort, ins Freie zu stürzen, aufzuathmen, einen Schrei des Wehes, der Verzweiflung auszustoßen, daß sie ohnmächtig geworden wäre, hätte sie nicht in raschem Entschluß den nöthigen Muth dazu gefaßt. Herbertine kam ihr dabei zu Hülfe.

Das Kind war schüchtern, aber neugierig seiner Cousine Theo, die ja, wie es gehört hatte, wahnsinnig gewesen, immer näher getreten. Endlich hatte die Kleine Muth bekommen und legte die Finger auf Theo's Stuhllehne, halb Zutrauen fassend zu ihrer lieben, alten Freundin, halb ängstlich und bereit, bei der ersten Bewegung Theo's davon zu huschen.

Herbertine, sagte Theo und ergriff ihre Hand, geh' mit mir, ich will deinen Garten sehen!

Herbertine lief erschrocken davon, aber trotz des Erstaunens der Gesellschaft folgte ihr Theo, froh, einen Vorwand gefunden zu haben, einerlei welchen. Als sie die Thüre des Saales hinter sich zugezogen, eilte sie dem vorausfliegenden Kinde in den Garten nach und kümmerte sich hier nicht mehr, hinter welcher Hecke Herbertine ihr scheues Persönchen verbarg. Sie warf sich auf eine Gartenbank nieder und während ihr Auge ausdrucklos die vernachlässigte Rückseite von Mainhövel's unvollendetem Prachtbau anstarrte, brachte sie eine der schwersten Stunden ihres Lebens zu.

Mit einbrechender Dämmerung kam Tante Crispine, die nach Allgundens Willen sie so lange sich selbst überlassen, doch sie von Zeit zu Zeit aus der Ferne beobachtet hatte, in den Garten hinab und sagte ihr, daß der Wagen zur Rückfahrt auf sie harre.

Es war, als ob alle Energie das arme Mädchen verlassen habe und als ob ihre frühere muthige und rasche Entschlossenheit gänzlich gebrochen sei. Sie hatte sich vorgenommen, nach ihrem eigenen Schlosse zurückzukehren; hatte sie es vergessen oder nicht den Muth mehr, diesen Entschluß kundzuthun? Sie ließ sich, ohne daß sie irgend ein Wort sprach, zu dem Wagen führen, der sie mit ihren Verwandten nach Haus Quernheim zurückbrachte.

Hier eilte sie auf ihr Zimmer, verschloß sich darin und weigerte sich, irgend Jemanden zu sehen.

Erst am andern Tage, gegen Mittag, als Algundens Stimme mit möglichst sanftem Rufe um Einlaß bat, öffnete sie ihre Thüre. Allgunde trat ein. Eine stille Heiterkeit lagerte auf ihrer Stirn; der Mund, der gewöhnlich die schmalen Lippen festgeschlossen hielt, war ein wenig geöffnet, ein Zeichen zufriedener Stimmung bei ihr. Aus Theo's zerknittertem Anzuge sah sie, daß diese die Nacht über unentkleidet geblieben, und rothe, geschwollene Augen zeigten ihr, daß mehr Thränen als Schlaf in diese Augen gekommen.

In einem solchen Zustande, angegriffen und heruntergebracht durch Schlaflosigkeit, betäubt durch Schmerz, bis zum Schwindligwerden hin- und hergeworfen zwischen den streitendsten Empfindungen und verschiedensten, heftigsten Gefühlen – so wollte Allgunde Theo sehen.

Sie streckte ihr die Hand entgegen, Theo aber wandte sich ab, als ob sie es nicht bemerke.

Wie hast du geschlafen, Theo? Du siehst angegriffen aus.

Was kommen Sie mir zu sagen, Cousine? fragte Theo trocken und abwehrend.

Du bist ein Kind, versetzte Allgunde; aber ich will dir den Willen thun und gehen, da du nicht mit mir reden willst. Nur das wollte ich dir sagen: du kennst mich hinlänglich, um zu wissen, daß ich einen einmal gefaßten Entschluß nicht aufgebe. Du wirst also nicht überrascht sein, wenn ich auf deine Vermählung mit Tondern zurückkomme.

Theo sprang auf. Nichts davon! sagte sie zornig mit dem kleinen Fuße auf den Boden stampfend.

Höre mich erst aus, Theo. Ich kann dir nicht verhehlen, daß dein excentrisches Betragen, deine so oft rückhaltlos geäußerten freien Ansichten, dein wochenlanges Alleinhausen in Blankenaar, dein Aufenthalt bei den Bauern endlich dir geschadet haben. Man tadelt dich, man mistraut dir, man spottet deiner sogar, und wenn auch dein Ruf unangetastet ist, so ist er doch nicht mehr ganz Das, was der Ruf eines jungen Mädchens sein sollte. Nur Eines kann allem Diesem ein Ende machen – nur eine Heirath, und zwar eine kluge, durchaus passende, von Jedem als vernünftig anerkannte Heirath. Diese Heirath nun ist von uns Allen beschlossen, Mainhövel, dein mit den väterlichen Rechten ausgestatteter Vormund befiehlt sie dir, und unserer aller Interessen sind dabei mehr oder minder betheiligt. Wir haben, wie du selbst wissen kannst, gemeinschaftlich gefaßte Entschlüsse noch immer durchgesetzt und oft trotz größerer Hindernisse, als der Widerstand eines kindischen Eigensinnes ist. Daß du dieser Heirath nicht entgehen kannst, nicht entgehen wirst, siehst du ein –

Noch einmal, nein, nein, nein! rief Theo mit um so größerer Heftigkeit, als sie das ängstigende Gewicht dieser Worte nicht verkannte und aus ihrem eigenen lauten Nein eine Beruhigung für sich selbst ziehen wollte.

Da du nun, fuhr Allgunde ruhig fort, diese deine Bestimmung thörichter Weise als ein Unglück betrachtest, so bin ich gekommen, es dir von einer Seite zu zeigen, welche dich damit versöhnen kann, und ich müßte dein stolzes, reizbares und leidenschaftliches Gemüth nicht kennen, um nicht zu wissen, daß du mich ganz verstehen wirst.

Ich bin sehr neugierig auf diese versöhnende Seite! fiel Theo ein, indem sich auf ihrer Oberlippe ein zorniges Schwellen zeigte.

Es gibt Etwas auf Erden, das größer und zäher ist als jedes andere Gefühl, ein Elephant in der moralischen Welt, ein Riese gegen jede Leidenschaft, denn Leidenschaft verflackert, dies Etwas aber bleibt und –

Und das ist?

Die Eitelkeit eines Mannes! – Du warst im Begriffe, Theo, einer solchen Eitelkeit zur Beute zu werden, wie so viele unglückliche Frauen vor dir, welche glaubten, die Liebe eines Mannes lächle sie an, während doch nur seine geschmeichelte Eitelkeit sie anlächelte. Valerian kann jetzt in keinem andern Lichte mehr vor dir stehen, als in dem eines solchen Mannes. Eitel auf deine leichte – ja, ja, werde immerhin dunkelroth vor Zorn – sehr leichte Eroberung, Theo, hat es seinen Ehrgeiz gelabt, die reichste und begehrteste Erbin im Lande erhascht zu haben, vielleicht auch seine Habsucht, ein Dutzend reicher Güter zu seinen Besitzungen fügen zu können. Daß er dich nicht geliebt hat, beweist dir seine jetzige Aufführung; daß er im Gegentheil dich für ein leicht zu eroberndes, ja, ein leichtsinniges Geschöpf hält, dafür bürgt dir deine unbesonnene, thörichte Flucht, dein rasches Eingehen auf seine Bewerbungen und endlich der Umstand, daß er ein – Mann ist! Nur zu geneigt, immer das Schlechteste von uns zu glauben, weiß ein Mann nie Das zu schätzen, was er zu leicht erhält, was er nicht durch langes Mühen und Streben, durch Kampf und qualvolle Ungewißheit hindurch sich erringen muß. Daß ein Weib sich grade um so offener, rückhaltloser, rascher hingeben wird, jemehr ihre Leidenschaft tief, wahr und von Gottes Odem durchweht, kurz, je reiner und schöner sie ist – dafür hat ein Mann keinen Schlüssel in sich. Er glaubt es nicht. Für Das, was ihm schnell gegeben wird, verliert er schnell die Achtung. Aber nie verliert er die Eitelkeit; und ein erobertes Herz, mag er es noch so geringschätzen, kann ihm immer die empfindlichste Kränkung zufügen, wenn es sich von ihm losreißt und einen Strich durch die Don Juanliste seiner Eitelkeit macht.

Du bist stolz, Theo, und das muß dich heben über die Schmach, die Valerian dir zugefügt hat. Es ist in deine Hand gegeben, dich zu rächen. Entschließe dich zu dieser Rache, die dein jungfräuliches Gefühl fordert. Je rascher du dich entschließest, desto vollständiger deine Rache, desto befriedigter dein Stolz. Gib Heydenreich Tondern die Hand.

Theo schüttelte den Kopf, aber sie rief nicht mehr mit heftigem Eifer dreimal Nein! aus.

Heydenreich ist Valerian's Feind!

Theo antwortete nicht; sie hatte die Augen geschlossen und ihren Kopf an die Lehne ihres hohen Armsessels zurückgelegt.

Und noch Eins, fuhr Allgunde fort. Heydenreich liebt dich, aber da er deine Abneigung kennt, so hat er sich bereit erklärt, dir als Frau eine sehr unabhängige Stellung zu lassen; du wirst in Blankenaar bleiben können und er wird die meiste Zeit auf seinem Gute zubringen; auch sollst du frei über die Einkünfte von Blankenaar zu verfügen haben und Herrin deiner Handlungen bleiben; Winteraufenthalt, Badereisen, Alles soll von dir abhängen, und Tondern will dich so lange dir selbst überlassen, bis es ihm gelungen ist, dir das Vertrauen einzuflößen, welches seiner aufrichtigen und edeln Neigung bald gelingen muß zu erwecken.

Allgunde erhob sich. Die Arme über der Brust verschlingend, sah sie mit einem Ausdrucke, in welchem Stolz, Siegesahnung und triumphirende Bitterkeit sich spiegelten, auf das arme bleiche Mädchen nieder, das mit geschlossenen Augen in ihrem Sessel lag, die Arme matt und kraftlos niedersenkend.

Mit dir wäre ich am Ziele! jauchzte es in ihr. Sie wandte sich und ging, langsamen, sachten Schrittes, um das Zimmer zu verlassen.

Allgunde, sagte tonlos Theo, indem sie sich aufrichtete und ihre Stirn in die Fläche ihrer kalten, feuchten Hand legte, welche bleich und blaugeädert wie die einer Kranken war. Allgunde, ich fühle mich unwohl, es ist mir so ängstlich, wenn ich allein bin – es graust mir vor diesem stillen Schlosse, vor diesen Mauern, vor mir selbst. Ich will Jemand um mich haben – Jemand, dem ich vertraue – senden Sie meinen Wagen nach Birkenheim – ich will Sophie um mich haben – ich lasse sie bitten, mich zu besuchen.

Wer ist Sophie?

Die Tochter des Arztes, Pauli's.

Willst du nicht den Arzt selbst?

Nein, nein! sagte Theo, keinen Arzt, aber Sophie, Sophie will ich sehen!

Allgunde ging, um Theo's Wunsch zu willfahren, doch entschlossen, diese Sophie und ihre Gesinnungen erst auf die Probe zu stellen, ehe sie dieselbe als Gesellschafterin zu Theo führe.



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