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II. Theil.
Auf einen Schelmen anderthalben.

* * *

1.

Die Sonne scheint hell und glänzend auf ein stattliches Landhaus: sie prallt blendend von den weißen Wänden desselben zurück und sucht sogar durch die Ritzen der grünen Jalousien zu dringen, die vor ihr verschlossen sind, obwohl man die Fensterflügel dahinter weit geöffnet hat, um die Wärme einzulassen, welche ihre Strahlen der frischen würzigen Frühlingsluft mitgetheilt haben. Zwei helle Mädchenstimmen, Gekicher und Gelächter tönen aus diesen geöffneten Fenstern hervor.

Ein wohlbeleibter Herr, »in den besten Jahren,« der auf einer terrassenartig erhöhten Veranda unter dem Schutzdache einer blau und weiß gestreiften Marquise sitzt, hebt zuweilen das Strohhut bedeckte Haupt empor, wie auf das Geplauder in seiner Nähe zu lauschen. Ein freundlich heiterer Ausdruck lagert sich dann auf sein ehrliches, männlich gebräuntes Antlitz; aber nicht lange horcht er so – ein kurzes Lächeln zuckt um seine Lippe, und dann beugt sich sein Haupt, und seine dunkeln Augen unter starken schwarzen Brauen heften sich wieder auf das mächtig große Zeitungsblatt in seiner Hand. Endlich vertieft er sich völlig darin und ist ganz versunken – es muß wohl eine sehr interessante Staatsschrift sein, irgend ein »verzuckerter Donnerkeil« einer diplomatischen Note, was da mitgetheilt wird und ihn so fesselt, daß seine Augen sich gar nicht mehr scheinen losreißen zu können.

Wir aber benutzen diese günstige Gelegenheit, aus den Gebüschpartien des kleinen Parks, der das Landhaus umgibt, und uns bis jetzt verborgen gehalten hat, unbeachtet vorzutreten, leise hinter dem Rücken des Lesenden Herrn über thaufeuchte Rasenstücke zu schreiten und unter das offene Fenster zu schlüpfen, aus welchem jene hellen, verlockenden Stimmen tönen. Es ist freilich sehr vorwitzig; es ist lasterhaft, an den Thüren zu horchen; offene Fenster sind in diesen Grundsatz der gesellschaftlichen Moral ohne allen Zweifel mit einbegriffen: aber was wir vernehmen wollen, das lautet ja nicht wie irgend eine Unterredung über wichtige und ernste Dinge, die uns nicht angehen; es lautet wie ein süßer, sommerlicher Lerchenschlag; wie ein fröhliches Singen muthwilliger Waldvögel – dem dürfen wir zuhören. Lerchenschlag ist kein Ding, das uns nichts anginge, und der Waldvöglein Gesang im lustigen sonnigen Mai ertönt für alle Welt. Und so lauschen wir, und allmälig – ja, allmälig erheben wir uns auf die Spitzen unsrer Füße und durch die unterste Lücke der geschlossenen Jalousien blinzeln und spähen wir sogar in das Innere des Raumes.

Was wir belauschen, das ist ganz amusant und was wir sehen, ist noch viel amusanter – es ist ein auffallend hübsches junges Mädchen, das vor einem Toilettenspiegel sitzt und die dicken schwarzen Haarflechten mit den Haarnadeln feststeckt, welche ein anderes junges Mädchen, das neben ihr steht, ihr zureicht. Das letztere ist ebenfalls ganz hübsch, nur nicht in der Art, wie die junge Dame; ihr volles, rothes Gesichtchen ist viel runder, das Näschen ist nicht so zierlich und fein, sondern etwas keck aufgeworfen; die Augen sind blau, das in natürlichen Locken niederhängende Haar ist hellblond – und außer diesem Gegensatz von Brünette und Blondine ist noch ein anderer Gegensatz da – der von Stadt und Land, von Damentoilette und Nationaltracht. Das junge Mädchen neben der Dame vor dem Spiegel trägt auf ihrem blonden Haare ein goldgesticktes Mützchen; sie ist in ein knappes Jäckchen von dunkelgrünem Zeuge und einem faltigen, bis auf die Knöchel niederfallenden, unten mit farbigem Band gesäumten Rock gekleidet.

»Spotten Sie meiner nur nicht gar zu viel, gnädiges Fräulein,« sagt die kleine Landschönheit eben, während die junge Dame sie mit ihren offenherzigen Augen anblickt und dabei lachend ihre weißen Perlenzähnchen zeigt – »spotten Sie nur nicht zu viel!«

»Du bist aber auch gar zu komisch in Deiner ländlichen Unwissenheit, Fränzchen,« fällt die junge Dame ein – »glaubst Du's denn wirklich?«

»Nun weshalb nicht? Sie sagen's ja!«

»Daß die Reifen ein Fallschirm sind, den ich umschnallen will, wenn wir auf die Berge steigen, für den Fall, daß ich unversehens in irgend eine Schlucht stürzte?«

»Was soll es denn sonst sein?« sagt Fränzchen, indem sie ein modernes Stahlreifengestell von dem kleinen Eckdivan nimmt und betrachtet; »es sieht just so aus wie ein Korb!« fährt sie dann nachdenklich fort.

»Ein Korb? Welche Idee!«

»Und ist es auch ein Korb!« wiederholt Fränzchen. »Ich habe mir sagen lassen,« setzt sie dann plötzlich laut auflachend hinzu, »die Damen in der Stadt gäben ihren Freiern, die sie abweisen wollten, einen Korb zum Präsent. Es scheint, Sie haben sich für vorkommende Fälle aus Vorsicht versehen.«

»Kleine Bosheit,« fällt lachend die junge Dame ein – »Du wirst schon sehen, wozu der Korb dient, sogleich werde ich ihn anziehen und unter dem Rocke tragen.«

Fränzchen schüttelt den Kopf.

»Das ist nun wieder nicht wahr! Sie halten mich auch für gar zu dumm, daß ich Das glauben soll.«

»Du glaubst es nicht? Es ist ja Mode!«

»Sie ziehen mich auf! Mode? Dann würde man ja den Stadtdamen nachsagen, daß sie die Körbe, die sie auszutheilen keine Gelegenheit mehr hätten, jetzt unter ihren Röcken trügen!«

Beide Mädchen brachen wieder einmal in ein herzliches Lachen aus.

Dann warf Fränzchen das räthselhafte Reifengestell fort und sagte:

»Nun, machen Sie sich fertig, gnädiges Fräulein; ich brenne vor Begierde, Ihnen unsern Pachthof zu zeigen – meine Milchkammer und meine jungen Puter; und die allerliebsten kleinen goldgelben jungen Enten.«

»Enten? Hast Du denn Enten?W

»Nun gewiß!«

»Enten – ich habe geglaubt, die gäbe es nur in Zeitungen?«

»In den Zeitungen? da soll es junge Enten geben? Was ist das denn?«

»Ja, Fränzchen, da fragst Du mich zu viel. Ich weiß nur, daß der Papa immer sagt: da ist wieder eine Ente, wenn er die Zeitungen lieft.«

Fränzchen schüttelte verwundert den Kopf. Das gnädige Fräulein aber stand auf; mit dem Ordnen des Haares war sie zu Ende; der feierlichste Act der Toilette begann, der Reifrock wurde angelegt, und Fränzchen, statt der jungen Dame nun behilflich zu sein, die helle Jaconetrobe darüber zu werfen, stand stumm und starr vor Verwunderung

»Wahrhaftig Sie tragen das? Sie wollen damit umhergeh'n?« rief sie aus.

»Nun sicherlich!«

Fränzchen schlug die Hände vor Staunen zusammen. Sie hatte so etwas noch nicht gesehen. Daß Kinder in einem Fallkorb umherrutschten, wußte sie; daß erwachsene junge Damen, die doch nicht mehr auf die Erde fallen konnten, in einer solchen Vorrichtung einhersegelten, schien ihr gar zu komisch. Sie lachte endlich wieder laut auf. Marianne, die junge Dame, vollendete unterdeß, während sie Fränzchens Fröhlichkeit unbefangen theilte, ihren Anzug, nahm eine leichte Echarpe, einen hellen Strohhut und ihren Sonnenschirm, und Beide verließen dann das kleine Ankleidezimmer und das sonnige Landhaus.

Marianne von Romsdorf war seit langer Zeit zum ersten Male wieder auf dem Lande. Ihr Vater, den wir in seine Zeitungslectüre versunken gelassen haben, hatte sich viele Jahre hindurch als Diplomat in einer Stadt des Auslandes aufgehalten. Sein einziges Töchterchen hatte er unterdeß nach dem frühen Tode seiner Gattin einer Schwester in der Hauptstadt zur Erziehung übergeben. Vor einem halben Jahre hatte ihn der Tod eines älteren Bruders zum Erben eines großen reichen Majorats gemacht; er hatte nun seine Entlassung aus dem Staatsdienst genommen, hatte sich beim ersten Nahen des Frühlings auf sein Gut hinausbegeben und hier Alles neu und wohnlich herrichten, und dann sein Töchterchen zu sich herauskommen lassen. Vor zwei Tagen war Marianne angelangt; allein, bloß von einer Zofe begleitet, denn die Tante, die das Landleben nicht liebte, war der Einladung des Bruders ausgewichen und stellte erst für den Herbst ihren Besuch in Aussicht.

In Romsdorf – das ist auch der Name unseres schönen Landsitzes, der Mittelpunkt der großen Majoratsherrschaft – hatte Marianne jedoch eine Gespielin aus ihren frühesten Kindertagen wiedergefunden. Fränzchen, die Tochter eines der Pachter, der auf dem nächsten Oekonomiehof wohnte, war ihre Milchschwester.

Fränzchen mußte noch in der ersten Stunde, nachdem Marianne angekommen war, herbeigeholt werden. Den vorigen Tag hatte das Fräulein damit zugebracht, ihre Sachen auszupacken und zu ordnen, auf heute Morgen war Fränzchen wieder bestellt worden, um Marianne zu einem Gange durch die Meierei abzuholen und ihr als Mentor durch das ihr fremde Gebiet ländlichen Daseins und ländlicher Lebensformen zu dienen.

Sie waren auf der Rückseite aus dem Landhause getreten, und nachdem sie an einem nicht unbeträchtlichen See entlang, der hier sich ausdehnte, auf den kiesbedeckten Pfaden der englischen Anlage geschritten, bogen sie rechts ab in eine Allee alter Pappeln, welche nach dem Oekonomiehofe führte. Sie waren aus ihrem lustigen Geplauder nicht herausgekommen. Hundert Dinge regten Mariannens Lachlust an. Ein Karren, bespannt mit einem großen, äußerst ernst und tiefsinnig aussehenden Stiere begegnete ihnen; der Knecht trieb ihn mit scheltenden Zurufen zur Seite, um Platz zu machen.

»Dieser rohe Mensch,« sagte Marianne, »wie kann man nur einem so ehrwürdig aussehenden Geschöpfe Beleidigungen sagen!«

»Ein Ochse nimmt das nicht übel, gnädiges Fräulein,« lachte Fränzchen auf.

»Aber was ist das?« fuhr Marianne fort, indem sie auf ein ihr seltsam scheinendes Ackergeräth deutete, welches auf dem Karren lag und eine Menge in die Höhe starrender Stacheln hatte.

»Das ist eine Egge.«

»Eine Egge? – und was macht man damit?«

»Kennen Sie Das nicht?« versetzte Fränzchen schelmisch, »darauf müssen die Knechte, wenn sie träg waren oder Abends trunken nach Hause kamen, schlafen!«

»Wirklich? Die armen Menschen!« rief das Fräulein aus. »Das ist ja entsetzlich!«

Fränzchen lachte wieder unbändig.

»Du hast mich zum Besten, meinst Du, ich merkte das nicht? Aber warte – wenn Du so fortfährst, werde ich mir nichts zeigen lassen von Dir, nicht einmal Deine lächerlichen Enten – höchstens Deinen Schatz unter den jungen Burschen, die dort auf der Wiese das Heu rechen!«

»Den kann ich Ihnen nicht zeigen, gnädiges Fräulein.«

»Und weshalb nicht?

»Weil ich keinen habe.«

»Leugne nur nicht; meine Jungfer hat es mir längst verrathen.«

Fränzchen schüttelte ernsthaft werdend den Kopf.

»Dein Schatz wäre also auch eine Ente?« lachte Marianne.

Fränzchen lachte diesmal nicht. Sie seufzte.

»Ich habe keinen Schatz, das versichere ich Sie,« sagte sie dann. »Unser Eins ist recht schlimm daran. Wenn mir auch Einer den Hof macht und Wunders wie verliebt thut – so muß ich doch immer denken, das ist alles Falschheit, er weiß, daß Dein Vater etwas vor sich gebracht hat auf der Pachtung und für noch viel reicher gilt, als er es ist.«

Auch Mariannen's Züge, die eben noch so voll kindlicher Heiterkeit gestrahlt, wurden bei diesen Worten ernst.

»Da haben wir ja ganz ein und dasselbe Schicksal!« sagte sie.

»Wie – bei Ihnen ist das doch etwas anderes!« fiel Fränzchen ein.

»Weißt Du denn nicht,« entgegnete Marianne, »daß mein Vater sehr, sehr reich ist und ich seine einzige Erbin bin?«

»Nun ja – aber die schönen feinen jungen Herren in der Stadt, die so elegant sind und so stolz aussehen, die werden doch nicht lügen, gerade so wie unsere Dorfburschen das verstehen!«

»Das denkst Du? o, die verstehen das noch ganz anders – die sind viel, viel schlimmer!«

»Das kann ich nicht glauben, gnädiges Fräulein – wie könnten sie denn so vornehme und stolze Mienen machen? Und die, die bei den Soldaten sind und gold'ne Kragen und Schnüre und Pelzjacken tragen – ach, die werden einem armen Mädchen gewiß nichts vorlügen, die sind gar zu schön! Im vorigen Herbst hab' ich ihrer eine ganze Schaar mit den Truppen vorüberziehen sehen!«

»O ländliche Einfalt – gränzenlose Unschuld!« rief jetzt vor Lachen stehen bleibend Marianne – »Du willst Dir den Glauben an die Tugend unsrer Hußarenofficiere nicht erschüttern lassen! Sieh, ich will Dir etwas erzählen. Im vorigen Winter schwor mir eine dieser Deiner Ideale in gold'nen Schnüren und Dolman, er werde sich auf den Fleck todtschießen, wenn ich ihn nicht erhöre, und als ich ihm doch einen Korb gab, verlobte er sich vier Wochen nachher mit einer Freundin, die freilich viel weniger reich ist als ich.«

»Das ist ja abscheulich!«

»Daß er sich nicht todt schoß?«

Fränzchen antwortete nicht. Die Enthüllung, welche Marianne ihr machte, schien eine Weile ihre Denkthätigkeit in Anspruch zu nehmen.

»Und höre – ich will Dir noch mehr erzählen, Fränzchen,« fuhr das Fräulein fort. »Warum sollte ich es Dir nicht anvertrauen? Nächstens kommt ein junger Mann hierhin – er ist ein entfernter Vetter, der lange auf Reisen war – ich habe ihn als Kind wohl einige Male gesehen, aber seitdem nicht mehr; der Oheim aber, weißt Du, der gestorben ist und der dem Papa die Güter vererbt hat, der hat in seinem Testament bestimmt, der Vetter solle hierher kommen, und wenn wir uns gefielen, dann –«

»Dann sollen Sie ihn heirathen?« rief Fränzchen gespannt und eifrig aus.

Marianne nickte erröthend mit dem Kopfe.

»Und Sie fürchten, er wird Ihnen nicht gefallen?« fuhr Fränzchen fort.

»Wenn er so ist, wie die anderen jungen Herren in der Stadt oder gar wie Deine Engel im Schnürrock – dann schwerlich. Aber das wäre das Schlimmste nicht – ich bin ja nicht gezwungen, ihn zu nehmen! Viel schlimmer wäre es, wenn er mir gefiele, und ich ihm nicht gefiele und er mich doch über seine Gesinnungen täuschte und mich betröge, und nachdem er mir alles Mögliche betheuert und geschworen, womit sich ein Mädchenherz bethören läßt, hernach, wenn es zu spät ist, mich in das tiefste Elend stürzte.«

Marianne schien in diesem Augenblicke von dies ganze Elend vorauszusehen, zu fühlen – sie hatte sich ordentlich in eine Rührung, in ein Mitleiden mit sich selbst hineingeredet, und das letzte Wort sprach sie mit zitternder Lippe.

»Wie wird er denn so schlecht sein!« meinte Fränzchen tröstend.

»Ach, Fränzchen«, versetzte Marianne mit einem tiefen Seufzer, »ich bin ja, wie die Leute sagen, sehr reich – die reichste Erbin im Lande, und um das Geld, Du glaubst nicht, was die Menschen alles darum thun!«

»Ja, Sie sind sehr reich – das ist freilich schlimm! Aber was ist da zu machen? Sie müssen ihn auf die Probe stellen.«

»Das ist leicht gesagt – willst Du etwa mit Deiner ländlichen Coquetterie das unternehmen und ihn mit Deinem goldgestickten Mützchen zu verführen suchen?«

Beide Mädchen brachen wieder in ein Gelächter aus – Mariannens beklommener Ernst war bei dem Gedanken an eine solche Rolle Fränzchens sofort wieder verflogen und die alte Heiterkeit war wieder da, als sie jetzt die Schwelle des erreichten Meierhofes betraten. –


2.

Es waren ein paar Wochen verflossen. Die Kinderfreundschaft, welche sich zwischen Marianne und Fränzchen sofort neu belebt hatte, nachdem sie sich wiedergesehen, war unterdeß in ein täglich inniger werdendes Seelenbündniß übergegangen. Man kennt die Wärme und begeisterte Gluth solcher Bündnisse.

Mariannens Vater ließ seinem Töchterchen völlige Freiheit, mit ihrer Freundin zu verkehren, mit ihr umherzuschweifen. Er war mit der Verwaltung seiner Güter vollauf beschäftigt. Da er dieselben erst vor Kurzem übernommen, da in den letzten Lebensjahren seines verstorbenen Bruders viel vernachlässigt war, hatte er Geschäfte genug. Diese verlangten zuweilen seine Anwesenheit auf den andern Gütern, und so kam es, daß er Tage lang verreist war, und seine Tochter als unumschränkte Herrin ihrer Zeit zurückließ. –

Es war während einer solchen Abwesenheit ihres Vaters, an einem sommerlich warmen Nachmittage, daß Marianne mit Fränzchen einen weiten Spaziergang unternommen hatte. Die beiden jungen Märchen waren den See entlang geschritten, der auf der Rückseite vom Haus Romsdorf lag. Statt aber in die uns bekannte Allee einzubiegen, die zu dem etwa eine Viertelstunde von dem Herrenhause entfernten Meierhofe führte, waren sie das Ufer des Gewässers entlang weiter gewandert und so endlich in den dunkelschattigen Wald gekommen, der mit prächtigem Hochholz den ganzen Grund zwischen dem rechts sich hinstreckenden Gebirgszuge und dem See einnahm.

Mitten durch den Wald lief eine Landstraße, die von hier, am Meierhofe vorüber, nach dem Dorfe führte, das zu Haus Romsdorf gehörte. Aber nicht diesen Fahrweg, sondern einen Fußsteig verfolgten die beiden Spaziergängerinnen, welche dicht am Wasser her unten den sich über das Gestade Vorstreckenden Baumwipfeln fortlief. Marianne fand es wundervoll unter den kühlen und schattigen Aesten, in der tiefen stillen Waldeinsamkeit und neben dem klaren, blauen Gewässer, das spiegelglatt zur Seite lag.

Fränzchen mahnte vergeblich, daß es Zeit sei, umzukehren; Marianne bestand auf dem »immer weiter Schweifen«, und so kamen sie bis an das Ende des Sees, gewiß eine halbe Stunde von Romsdorf entfernt. Hier aber fühlte das gnädige Fräulein plötzlich eine bedeutende Ermüdung. Sie konnte nicht mehr. Sie war halbtodt. Sie war vollständig aufgelöst. Sie fühlte sich gränzenlos fatiguirt.

»Nun, so setzen wir uns,« sagte Fränzchen ruhig. »Hier auf den Wurzeln dieser großen Buche!«

»Du hast Recht – O, welch' allerliebstes Plätzchen zum Ausruhen das ist! Wie still und heimlich! Man meint, man ist hundert Stunden von jedem Ort, von jeder lebenden Menschenseele! Und die wundervollen Blumen dort! Wie nennt man sie, Fränzchen?«

»Die dort am Ufer?« antwortete Fränzchen, indem sie auf einige rothe Orchideen, die an dem Wiesenrand des Sees wuchsen, deutete, »ich glaube sie heißen Knabenkraut.«

»Knabenkraut – welch närrischer Name – aber die mein' ich ja gar nicht – ich meine die schönen weißen Kelche dort im Wasser, dicht am Ufer.«

»Ach die – das sind Seerosen!«

»Sie sind prächtig,« fuhr Marianne fort, »wie schön das stehen müßte, solch eine Seerose im Haar – in meinen braunen Locken – geh, pflück mir eine, Fränzchen.«

Fränzchen erfüllte diese Bitte nicht.

»Das geht nicht,« sagte sie; »sie stehen dem Ufer nicht so nahe, daß man sie erreichen könnte.«

»So nimmt man etwas, einen dürren Ast oder Stecken, um sie herbeizuholen,« fiel Marianne ein.

»Es ist gefährlich,« entgegnete Fränzchen.

Marianne sprang trotz der entsetzlichen Ermüdung, über die sie geklagt hatte, lebhaft auf; sie hatte einen dürren abgefallenen Ast in ihrer Nähe entdeckt, mit dem sich die Blume holen lassen mußte – augenblicklich ergriff sie ihn und machte sich an's Werk. Das Ufer des Sees war weder steil noch abschüssig, mit einem schmalen Rasenstreifen verlief es ganz allmälig in's Wasser. Marianne konnte mit ihren eleganten Schnürstiefelchen deshalb so dicht an's Wasser treten, daß dieses die Spitzen ihres schmalen Füßchens süßte. Sie streckte die mit dem Ast bewaffnete Rechte nach der nächsten Blume aus und erfaßte sie glücklich damit; die schöne Seerose näherte sich leis herbeigezogen dem Ufer.

»Siehst Du, daß ich sie bekomme!« rief Marianne fröhlich aus.

»Es ist wahr – ich hätte es nicht gedacht!« erwiederte Fränzchen.

Die Blume näherte sich immer mehr, sie war beinahe mit dem Arme zu erreichen – da hörte plötzlich ihre elastische Willfährigkeit, sich aus ihrem angeborenen Elemente entführen zu lassen, auf; wahrscheinlich war der lange rankenhafte Stiel, der sie im Grunde festhielt, eben nicht länger.

In merkwürdig logischer Verkettung von Ursache und Wirkung traten jetzt unmittelbar nacheinander und wie Schlag auf Schlag folgende denkwürdige Ereignisse ein: Weil die Blume nicht mehr folgte, verstärkte Marianne, sich weiter vorüber beugend, den Druck, den sie mit dem dürren Ast auf den Kelch der Seerose ausübte; weil dieser Druck für einen dürren Ast zu stark wurde, so zerbrach er mit einem plötzlichen, höchst unvermutheten Zusammenknicken; weil er zerbrach, verlor die vorübergebeugte, ihn handhabende Marianne das Gleichgewicht; und weil sie das Gleichgewicht verlor, fiel sie vorüber in's Wasser.

In der That, das gnädige Fräulein lag beinahe der Länge nach im See; nur mit dem Oberkörper nicht; die vorgestreckten beiden Arme, die in einen tiefen weichen Schlamm geschossen waren, hielten glücklicher Weise noch den Kopf und die Brust über den Spiegel des Gewässers.

Die tückische Seerose tanzte lustig auf dem Wellenschlag, den Mariannens Fall verursachte, unmittelbar unter ihrem bleichen erschrockenen Angesicht; es war gränzenlos boshaft von der Seerose; sie schien dem unglücklichen jungen Mädchen höhnisch zuzurufen:

»Nun, nimm mich doch! Warum ergreifst Du mich nicht?«

Beim Fallen hatte Marianne einen Angstschrei ausgestoßen. Fränzchen aber war, wie verstummt von plötzlichem Entsetzen, leichenblaß aufgesprungen – ein: »Um Gotteswillen, Fräulein!« rang sich von ihrer Lippe – im nächsten Augenblick stand sie bis an die Knöchel im Wasser, hatte ihr gnädiges Fräulein am Arm ergriffen und dieser mit einer höchst energischen Kraftanstrengung auch schon geholfen, sich wieder aufzurichten

Die beiden jungen Mädchen standen alsbald wieder auf festem und sicherem Grund und Boden.

»Himmel, wie sehen Sie aus, Fräulein!« rief jetzt Fränzchen tief aufathmend.

»Gott, wie bin ich erschrocken!« stammelte Marianne; dann schöpfte auch sie eine Weile Athem, und endlich sagte sie mit einem ein wenig erzwungenen Lachen:

»Schöne Bescheerung das! Ich bin naß von unten bis oben. Und sieh' einmal meine Hände!«

Bei dem Anblick ihrer schmalen, sonst so weißen Hände, die vom Schlamme ganz schwarz überzogen waren und die Fäuste eines Essenkehrers beschämten, brach sie in ein wirkliches vom Herzen kommendes Lachen aus.

Unterdeß triefte ein Strom von Wasser an ihrem Kleide herunter, vom Gürtel bis zu den Füßen.

»Jetzt nur rasch – nur rasch zu Hause – wenn Sie nicht rasch in andere Kleider kommen, werden Sie sich tödlich erkälten,« rief Fränzchen.

Trotz dieser Mahnung wandte sich Marianne verzagt erst dem Wasser wieder zu; sie tauchte ihre Hände bis fast an den Ellenbogen hinein, um sie abzuwaschen.

»Gib mir Dein Sacktuch – mein's schwimmt dort lustig auf den Wellen, mit diesen abscheulichen Seerosen in die Wette!« sagte sie.

Fränzchen reichte ihr Tuch hin und nun begannen die beiden Mädchen, Marianne im raschesten Schreiten die Hände trocknend, heimzueilen; Fränzchen lief in großer Hast und Sorge voraus.

»Es ist nur gut, daß der gnädige Herr verreist ist,« sagte sie, »der würde einen schönen Schreck bekommen, wenn er Sie so in's Haus treten sähe!«

Marianne eilte vorwärts, so gut sie konnte; aber nachdem sie ein paar hundert Schritte gemacht hatte, rief sie in einem halb weinerlichen Tone aus:

»Ich kam nicht mehr, Fränzchen; ich habe die Kraft nicht mehr – ich kann in den nassen Kleidern, die so schwer wie Blei sind, nicht weiter.«

»Aber um Gottes willen, was machen wir denn? Versuchen Sie's doch nur!«

»Es geht nicht,« jammerte Marianne. »Wenn ich nur noch drei Schritte machen soll, fall' ich um vor Müdigkeit! Das nasse Zeug klebt mir überall am Körper fest – es ist schrecklich!«

»Sie müssen aber doch!«

»Lauf Du heim, hole mir trockene Kleider hierher – es ist anders nicht8 zu thun!« versetzte sie.

»Und Sie wollen so lange hier allein bleiben?«

»Weshalb nicht? Geh, verliere keine Zeit.«

»Nun wohl,« sagte Fränzchen, »ich will aus allen Kräften eilen; aber unterdeß kommen Sie doch nur aus diesem kühlen Schatten fort – sehen Sie dort, dort ist eine Lichtung im Walde, wo die Sonne hineinscheint dort warten Sie, und lassen sich von der Sonne wärmen, bis ich zurück bin.«

»Ja, ja,« versetzte Marianne, indem sie sich der Stelle im Walde zuwandte, auf welche Fränzchen deutete; »habe keine Sorge, es wird mir nichts schaden, aber eile!«

Fränzchen schoß jetzt davon, das Herz von Sorge schwer, aber die Füße regend so leicht wie ein Rephuhn, das durch eine Ackerfurche flieht.

Marianne hatte sich unterdeß der sonnigen Lichtung zugewendet; sie war hier, durch das rings sie umgebende dichte Unterholz, vor jedem Blicke geschützt, wenn überhaupt in dieser stillen Waldeinsamkeit andere Blicke zu fürchten gewesen wären, als etwa die des Holzhähers, der auf einem nahen Baume ein ganz entsetzliches Getöse machte, wie wenn er alle beflügelten Waldbewohner zusammenrufen wollte, die wassertriefende Seejungfrau, die aus den Wellen gekommen, um in der Sonne spazieren zu gehen, anzuschauen; oder die des Buchfinken, der auf einem Aste saß und bald einen Triller schlug, bald das Köpfchen wendete, um zu untersuchen, ob das unten leise hin und hergehende fremde Menschenkind wohl einen seine Sicherheit gefährdenden Charakter habe.

Marianne hätte eigentlich, als sie so mutterseelen allein war, in dem fürchterlich schwer, feuchtkalt und im höchsten Grade unbehaglich an ihr niederhängenden Zeuge – eigentlich hätte sie gern ein wenig verzweifeln mögen; aber sie schämte sich vor sich selber über ihren Mangel an Heroismus, und deshalb nahm sie sich zusammen, und mit den Händen ihre Roben aufnehmend, gerade so, als wenn sie eben zu einer kleinen Menuette antreten wolle, schritt sie geduldig auf dem Moosteppich, der den Boden der Lichtung bedeckte, hin und her.

Almälig übte auch die Sonne ihre Kraft aus und gab ihr eine behagliche Wärme wieder.

Marianne ergab sich in den Gedanken, daß sie so recht, recht lange werde sich in Geduld üben können; aber siehe da, nach ihrer Schätzung war kaum die Zeit verflossen, in welcher sie Fränzchen in Romsdorf angekommen glauben konnte, als sie plötzlich den Zuruf des jungen Mädchens, ganz aus der Nähe, vernahm, dann die Zweige der Gebüsche, welche ihren Zufluchtsort umgaben, sich bewegen sah, und nun Fränzchen erblickte, wie sie mit einem großen Packen von Kleidungsstücken rücksichtslos gleich einem verfolgten Hirsch durch die Sträuche brach.

»Da bist Du schon?« rief Marianne erfreut aus – »hast Du denn Flügel gehabt?«

»Flügel nicht,« versetzte Fränzchen, »aber lassen Sie mich erst zu Athem kommen – nein, Flügel nicht, doch einen guten Einfall – ich bin gar nicht bis zum Herrenhause gelaufen – hin und her hätte es mehr als eine halbe Stunde Zeit weggenommen, ich bin nur bis zu unserem Hause gelaufen, bin in meine Kammer geeilt und habe meine eigenen Kleider herausgeholt, meinen ganzen Sonntagsstaat – da liegt er! Aber ich kann nicht mehr!«

Fränzchen ließ sich neben das Bündel Kleidungsstücke in's Moos niedergleiten. Mariannen aber kehrte ihre ganze Heiterkeit zurück.

»Welche Idee!« sagte sie; »das ist ja eine vollständige Maskerade – Dein Mieder, Deine Röcke, Dein Häubchen soll ich anziehen?«

»Weshalb nicht – wir sind von einer Größe und so wird es schon passen – die Hauptsache ist, daß Sie in trockene Kleider kommen.«

»Du hast Recht,« fiel Marianne lachend ein und begann sofort sich zu entkleiden.

Fränzchen erhob sich bald wieder und war ihr behülflich. So ging es rasch von Statten; die vier flinken Hände der beiden jungen Mädchen hatten nach wenig Minuten aus dem gnädigen Fräulein eine allerliebste Dorfschöne in knappem Mieder, in faltigem Rock, in gesticktem Sonntagsmützchen mit Rosabändern und Goldstickerei gemacht, die Metamorphose war vollständig.

Marianne fühlte sich außerordentlich behaglich in diesem Costume – sie wurde ganz ausgelassen vor Heiterkeit; aller Schreck und aller Verdruß über das unangenehme Abenteuer waren verschwunden. Nur Eines vermißte sie – es waren nirgends in diesem uncultivirten Walde Spiegel angebracht, in denen sie ihre reizende kleine Figur einmal hätte betrachten können.

Fränzchen rollte die abgelegten Kleider des Fräuleins sorgsam zusammen, und nachdem sie dieselben zwischen die Wurzeln einer Eiche niedergelegt, stellte sie den Stahlreifenrock Mariannens darüber.

»So,« sagte sie, »bis einer der Knechte die Kleider von hier abzuholen kommt, wird sie da Niemand finden und stehlen; denn Niemand kommt hierher: höchstens ein Fuchs und der wird den räthselhaften Korb für eine Falle halten und davor Reißaus nehmen. Jetzt kommen Sie, Fräulein, jetzt rasch nach Hause – nach unserem Hause, ich habe dafür gesorgt, daß dort ein warmer Thee für Sie bereit ist – aber kommen Sie hierher, mir nach, wir dürfen nicht wieder den schattigen, kühlen Fußweg am Wasser entlang gehen, wir wollen den Fahrweg aufsuchen, wo Sie Sonne haben!«


3.

Sie schritten also dem breiten Fahrweg, der durch den Forst führte, nach. Er hatte allerdings den Vorzug, daß er voll von der Sonne beschienen wurde; die Bäume, welche rechts und links, durch Gräben abgetrennt, standen, warfen ihren Schatten nur auf der einen Seite darauf. Marianne fühlte sich bald durch und durch erwärmt; Fränzchen's Kleider waren dazu bedeutend bequemer als ihre eigenen. Aber einen Nachtheil hatte die Fahrstraße – sie war nicht so vollständig einsam und von Menschen verlassen, wie die Waldgegend, aus welcher die beiden jungen Mädchen kamen. Es begegneten ihnen Bauern aus der Nachbarschaft; ein paar Frauen, die, mit Regenschirmen und Rosenkränzen bewaffnet, einem Wallfahrtsort im Gebirge zuzuziehen schienen; endlich tauchten in der Ferne hinter ihnen ein paar Reiter auf.

Unsere beiden Spaziergängerinnen zogen freilich die Aufmerksamkeit der Begegnenden in keiner Weise auf sich; so waren sie denn auch nicht in Sorge wegen der hinter ihnen Herkommenden, die sich in gestrecktem Trabe näherten. Sie waren bald so nahe, daß Fränzchen, nach ihnen sich umwendend, ihrem Fräulein sagen konnte, wie sie aussähen:

»Es ist ein Herr und ein Reitknecht in einer grünen Livree mit silbernen Borten – ein sehr hübscher Mensch.«

»Wer, der Herr oder der Reitknecht?«

»O alle Beide, wenn Sie wollen – aber eigentlich meint' ich den Herrn. Er hat einen kleinen blonden Schnurrbart und trägt einen dunkelbraunen Rock mit gold'nen Knöpfen – er scheint nicht stolz zu sein, er läßt den Diener neben sich reiten; und jetzt – ich glaube wirklich, sie reden von uns, denn der Herr deutet mit dem Knopf seiner Reitpeitsche hierher.«

»Gott im Himmel,« sagte Marianne plötzlich erschrocken, »jetzt fehlte weiter nichts, als daß dies der erwartete Vetter Burkhard wäre! Ist er blond, sagst Du?«

»Blond und groß.«

»So ist er mir beschrieben,« sagte Marianne – »wenn er's wäre, ich sänke vor Scham in die Erde!«

»Still, sie kommen wirklich zu uns heran,« entgegnete Fränzchen.

Die beiden Reiter waren in der That im nächsten Augenblick neben den jungen Mädchen. Der junge Herr brachte sein Pferd in ruhigen Schritt und sich etwas vorüberbeugend, um den beiden lustwandelnden Schönen in's Gesicht zu sehen, sagte er:

»Wie weit ist Romsdorf noch entfernt?«

»Von dem Meierhofe dort vor uns eine kleine Viertelstunde,« versetzte Fränzchen.

»Richtig, er ist's – ich wette darauf – er ist's, « flüsterte Marianne – »nein, dies ist schrecklich!«

»Wollen Sie dahin?« fragte Fränzchen, die keinen Grund sah, sich von der Erscheinung eines hübschen jungen Herrn aus der Fassung bringen zu lassen.

»Ich will dahin, mein schönes Kind wissen Sie, ob ich die Herrschaft daheim finde?«

»Der gnädige Herr ist verreist,« antwortete Fränzchen.

»Verreis't? Nun, er wird doch bald zurückkehren? Und das Fräulein wird da sein?«

»Sag' nein, sag' nein!« flüsterte hastig Marianne, indem sie ihre Begleiterin mit dem Arme stieß.

»Ich weiß es nicht,« antwortete Fränzchen etwas zögernd.

»Ich stürbe vor Verlegenheit,« fuhr Marianne flüsternd fort, »wenn ich in diesem Costume mit ihm in's Haus käme und er mich erkennen sollte!«

»Sie ist mit dem Vater verreis't, das gnädige Fräulein,« sagte Fränzchen jetzt kecker.

»Das ist ja seltsam!« bemerkte halb für sich der junge Herr, indem sich eine kleine Falte des Verdrusses zwischen einen Augenbrauen zusammenzog; »man konnte doch erwarten, daß ich in diesen Tagen kommen würde!«

»Er ist es wirklich und wahrhaftig!« stammelte Marianne.

»Ich dank' Ihnen, mein schönes Kind,« fuhr der junge Herr jetzt mit einem freundlichen Nicken des Kopfes fort, und zugleich ließ er seinem Pferde die Zügel nach, so daß das letztere in verlängertem Schritt den beiden jungen Mädchen ein wenig vorauskam.

»Er wird bald in Ihrem Hause sein, gnädiges Fräulein,« sagte Fränzchen jetzt halblaut zu Mariannen, »da wird man ihm sagen, daß Sie anwesend sind und von einem Spaziergang zurück erwartet werden – empfangen müssen Sie ihn doch einmal!«

»O um die Welt nicht – erst wenn mein Vater zurück ist, komme ich wieder unter die Augen – ich schämte mich zu Tode – was würde er denken, daß ich so verkleidet über Land laufe, während mein Vater nicht da ist.«

»Aber es ist doch nichts Anderes zu machen,« fiel Fränzchen ein.

»Ich bleibe die Nacht bei Dir!« erklärte Marianne flüsternd.

»Im Herrenhause wird man aber erklären, daß Sie anwesend sind,« entgegnete Fränzchen. »Sie wollen sich doch nicht förmlich verstecken, und machen, daß man sie mit Lärmen und Angst überall sucht!«

»Es ist wahr – Du mußt die Fremden bewegen, daß sie auf Eurem Hofe verweilen und unterdeß mußt Du einen Boten nach dem Herrenhause senden, der meiner Julie und den andern Domestiken anbefiehlt, für den Vetter Burkhard zu sorgen, aber ihm zu sagen, ich sei mit dem Vater verreis't.«

»Welche Einfälle – und wie soll ich ihn auf unserem Hofe so lange zu bleiben zwingen?«

»Denk' etwas aus.«

»Das ist leicht gesagt!«

»Nur bald, sonst ist es nicht mehr möglich, ihn anzureden!«

»Kommen die Herren weit her?« fragte Fränzchen, sich ein Herz nehmend, jetzt laut.

Der Reiter, in welchem Marianne, allerdings mit vollständigem Recht, den testamentarisch vermachten Vetter Burkhard vermuthete, wandte das Haupt zurück, und indem er den Hut abnahm, um sich die Stirn mit seinem rothen Foulard Seidentuch. – Anm.d.Hrsg. zu wischen, versetzte er:

»Wir haben wenigstens acht Stunden zurückgelegt heute

von W. Dann werden Sie recht ermüdet und erhitzt sein es ist sehr warm!«

»Sehr, mein hübsches Kind.«

»Sie sollten dort auf unserem Meierhofe absteigen und sich ein Glas von unsrem berühmten Biere gefallen lassen,« fuhr Fränzchen jetzt mit einer Keckheit fort, die Marianne bewundernswürdig fand, »wir brauen es selbst, und es wird weit und breit gesucht. Auch haben wir den Eiskeller der gnädigen Herrschaft hinter unserem Hofe, so wir es recht abgekühlt und frisch verschenken können.«

»Das ist ein Vorschlag zur Güte – was meinst Du dazu, Martin?« wandte sich der junge Herr an seinen Reitknecht.

»Es ist schrecklich warm, Ew. Gnaden,« meinte Martin.

»Nun gut, wir wollen Deinem ›berühmten‹ Biere Ehre anthun!«

»So reiten Sie nur dort um den Zaun, vor das große Hofthor,« erwiederte Fränzchen; »wir gehen hier rechts ab, diesem Fußsteg nach, der kürzer ist.«

Der Meierhof lag dicht vor ihnen; Marianne und Fränzchen eilten den kürzeren Pfad, der sie durch den Garten des Pachters führte, in das Haus. Als sie, hastig und aufgeregt, halb von Beklommenheit und halb von Uebermuth, in's Haus getreten waren, wies Fränzchen das gnädige Fräulein in ihre Kammer, dann lief sie auf die große Tenne, wo sie einen Knecht mit der Häckselmaschine klappern hörte, und befahl ihm, augenblicklich nach dem Herrnhause zu eilen und die Domestiken dort zu instruiren, wie Marianne es verlangte. Nachdem der Knecht sich dazu augenblicklich auf den Weg gemacht, trat sie auf den Hof hinaus, wo die beiden Reiter hielten.

»Nun, wo ist denn Ihr Wunder von einem Biere?« fragte Burghard, »ich dachte, Sie brächten es uns.«

»Sie wollen es doch nicht so im Sattel nur eben kosten? und in diesem grellen Sonnenschein? Ich lasse Ihnen einen Tisch mit Stühlen in den Garten bringen. Steigen Sie doch ab!«

»Die Sache wird weitläufig,« entgegnete Burkhard halblaut und ein wenig unzufrieden mit diesem Arrangement, wie es schien; Martin aber war bereits aus dem Sattel geglitten, und stand schon neben seinem Herrn, um dessen Pferd anzunehmen. Burkhard sprang deshalb auch aus dem Bügel.

»Ich glaube, Du kannst die Pferde anbinden sie sind zu müde, um unruhig zu sein,« sagte er.

Nachdem Martin dieser Weisung gefolgt, schritten die beiden Fremden Fränzchen nach, durch ein Gitterthor in den Garten.

»So, hierher unter den Apfelbaum, wenn's beliebt,« sagte das junge Mädchen, und verschwand dann durch die Seitenthüre des Pachterhauses.

»Das ist eine Landschöne, so hübsch, propre und kokett, wie man sie selten sieht,« bemerkte Burkhard, ihr nachsehend.

»Die andre, die bei ihr war, die kleine Braune sah noch hübscher aus,« entgegnete Martin.

»Welche Aussichten für Dich, Martin,« sagte Burkhard lachend.

Eine Magd kam mit einem Tische, den sie unter den Apfelbaum stellte; dann brachte sie zwei Stühle herbei. Eine ziemlich lange Pause folgte: endlich erschien Fränzchen mit einer Flasche und Gläsern.

»Nun, liebes Kind, credenzen Sie uns,« sagte Burkhard.

Fränzchen schenkte zuerst Burkhard, dann seinem Bedienten das Glas voll des dunkelbraunen Getränks – Burkhard versuchte es, während Martin es ohne viel Umstände in seine durstige Kehle goß.

»Das Bier – ist –« begann Burkhard.

»Schlecht!« vollendete Martin den Satz.

»Mundet es Ihnen nicht?« fiel Fränzchen, mit Mühe ein lautes Aufladen unterdrückend ein.

»Nun,« versetzte Burkhard begütigend, »vielleicht ist es eben so, wie man's hier zu lande liebt!«

»Sicherlich, Herr!« entgegnete Fränzchen.

»Der Geschmack ist verschieden,« bemerkte Martin trocken, indem er sein Glas niederstellte.

»Und die Herren aus der Stadt sind verwöhnt,« bemerkte Fränzchen schelmisch.

»Und das Eis, das darin sein sollte?«

»Es ist Niemand von unseren Leuten da, der den Keller öffnen konnte,« sagte das junge Mädchen. »Aber, wollen Sie sich nicht setzen, und ausruhen?«

Burkhard setzte sich auf einen der Stühle, Martin blieb respectvoll stehen. Fränzchen wollte sich zum Gehen wenden.

»Bleiben Sie doch, schönes Kind,« rief Burkhard aus, »Sie haben uns hierher eingeladen und nun verlange ich auch, daß Sie uns die Unterhaltung machen. Wo ist denn das andere junge Mädchen – Ihre Schwester wohl?«

»O nein, meine Schwester war das nicht – sie ist heimgegangen – sie ist von einem andern Pachthofe.«

»Woher kamen Sie denn vorher, als wir Sie erreichten?«

»Wir –wir waren am See gewesen – um Seerosen zu pflücken!«

»Seerosen – und haben keine heimgebracht?«

Fränzchen schüttelte schelmisch den Kopf.

»Sie wollten sich nicht pflücken lassen!« sagte sie.

»Das ist sehr unartig von den Seerosen, von so hübschen Händen sich nicht pflücken lassen zu wollen – wenn ich eine Seerose gewesen wäre, ich verlangte nicht Besseres, als das Loos der Blume zu haben, die junge Mädchen pflücken.«

»Das heißt?«

»Einen Platz an ihrem Mieder zu bekommen.«

»Dazu sollten aber die Seerosen nicht dienen,« entgegnete Fränzchen erröthend.

»Nun, wozu denn?« fragte Burkhard. »Zum Blumenorakel etwa?«

»Was ist das?«

»Kennen Sie das nicht? Er liebt Dich – von Herzen – mit Schmerzen – gar wenig –«

»Ach ja,« fiel Fränzchen ein, »aber dazu nimmt man keine Seerosen.«

»Jede Blume ist gut dazu, vorausgesetzt, daß ihr letztes Blatt das Wort: ›er liebt Dich!‹ bringt.«

Fränzchen schüttelte den Kopf.

»Besser, wenn es die Worte ›Gar wenig‹ bringt!«

»Weshalb?«

»Weil es wahrer ist.«

Wahrer –? Sie werden das zum Beispiel von Ihrem Schatz nicht behaupten!«

»O, ich behaupte es von Allen – sie binden uns armen Mädchen auf, was ihnen nur einfällt, und was sie lieben, das ist etwas ganz anderes!«

»Was ist es denn?«

»Hof und Haus.«

»Aha – Sie sind wohl so etwas wie eine Erbin – und nun sind Sie mißtrauisch …«

»Auf dem Lande ist's wenigstens so, daß man mißtrauisch sein muß.«

Burkhard lachte.

»Und in der Stadt, glauben Sie, nicht so?«

»Nun, das gnädige Fräulein meint, da sei's noch viel ärger.«

»Ah, das gnädige Fräulein – meint sie das? Sie tauschen wohl mit ihr zusammen ihre Welterfahrung und Menschenkenntniß aus?«

»Weshalb sollten wir das nicht? Und nun gar das gnädige Fräulein, welches so entsetzlich reich ist. Wäre ich in ihrer Stelle, ich heirathete niemals – oder –«

»Oder?«

»Er müßte mir so recht unwiderleglich bewiesen haben, daß er es ehrlich meinte!«

»Da haben Sie Recht,« sagte Burkhard, ein wenig kleinlaut, – vielleicht verlangt ›Er‹ aber auch nichts Besseres, als das zu thun! Wenn ›Er‹ nur könnte!«

Burkhard erhob sich bei diesen Worten.

»Ich danke Ihnen,« sagt er, Fränzchen die Hand reichend. »Ich hoffe, Sie sind uns nicht böse, weil wir Ihrem ›berühmten‹ Gerstensaft keine größere Ehre angethan haben?«

»O durchaus nicht Sie haben mit dem guten Willen vorlieb nehmen müssen –«

»Auf Wiedersehen also – ich werde einige Zeit bleiben und wir werden uns wiederseh'n!«

Damit schied Burkhard und ging mit seinem Diener den Pferden im Hofe zu. –

Fränzchen eilte sofort in's Haus und zu Mariannen.

Diese stand an dem auf den Garten hinausgehenden Fenster.

»Ich habe Euch beobachtet,« sagte sie.

»Welch hübscher, freundlicher Herr es ist!« rief Fränzchen aus.

»Hübsch ist er,« entgegnete Marianne, »sehr hübsch! Und ich werde mir verbitten, daß Du Dir wieder so die Cour von ihm machen läßt – das war durchaus nicht, was ich Dir aufgetragen hatte!«

»Sie wissen ja gar nicht, was wir zusammen geredet haben,« lachte Fränzchen fröhlich auf – und dann begann sie, ihrem Fräulein höchst genauen Bericht darüber abzustatten.


4.

Die beiden Fremden, der junge Baron und sein Diener, erreichten unterdeß bald den Hof des Herrenhauses von Romsdorf und wurden hier von den Domestiken aufgenommen, welche nach der ihnen so eben zugekommenen Weisung angaben, daß sowohl der Herr vom Hause wie das gnädige Fräulein verreist seien, aber bald, vielleicht schon morgen, zurückkommen würden.

Burkhard nahm von dem ihm angewiesenen Quartier Besitz und benutzte später noch die ihm gelassene Muße zu einer Streiferei im Parke und um das hübsche Herrenhaus herum. Er fand es eine neidenswerthe Besitzung und die testamentarische Clausel des verstorbenen Verwandten, die ihn heute hierher geführt hatte, außerordentlich gütig und weise von dem alten Herrn ersonnen. Als er zurückkehrte, fand er sein Souper bereit: Martin hatte sich davon dispensirt, ihn zu bedienen, ein Diener des Hauses versah dies Amt – Martin war auch nicht oben im Fremdenzimmer, als Burkhard sich dahin zurück zog, um sich zur Ruhe zu begeben. Er ließ ihn rufen.

Martin kam. Er machte ein eigenthümlich pfiffiges Gesicht, als er eintrat.

»Was fällt Dir ein, du fauler Bursch,« sagte Burkhard; – »Wo steckst Du? da liegt der Mantelsack noch unaufgeschnallt und unausgepackt.«

»O, gnädiger Herr,« entgegnete Martin, »Sie hätten mich nur unten auf meinem Posten lassen sollen – da bin ich nöthiger!«

»Unten auf Deinem Posten?«

»Da ist ein charmantes kleines Kammerkätzchen, Julie heißt sie.«

»Und das soll Deine Entschuldigung sein? Mensch, ist Dir das ›berühmte‹ Bier der Pachterstochter zu Kopfe gestiegen?

»Just wegen der Pachterstochter – just wegen der – die Sache ist nicht richtig, gnädiger Herr.«

»Was ist nicht richtig, was soll das heißen?«

»Ja, sehen Sie, wie ich vorhin unten auf dem Hof umherschlendere und mir so die Gelegenheit betrachte, da seh' ich das Kammerkätzchen just so, als wenn sie von dem Pachthof käme, daher kommen, und auf dem Arm hat sie einen ganzen Pack von Damenkleidungsstücken – Alles was dazu gehört, und es sah ganz so aus, als wenn's erst eben ausgezogen sei.«

»Nun, und was soll Das?«

»Hören Sie nur weiter. Eine halbe oder drei Viertelstunden nachher – der gnädige Herr spazierten noch draußen umher, da geh' ich gerade über den Hausflur, um zum Essen in die Gesindestube zu kommen – da begegnet mir ein Bedienter mit einem Korbe, aus, dem so ein appetitlicher prickelnder Duft aufsteigt, just als ob etwas wie ein kleines, höchst angenehm zubereitetes Souper darin stecke – das kommt mir nun sehr verdächtig vor – ich gehe dem Menschen ganz wie von ungefähr und ohne Absicht einige Schritte nach, und sehe, daß er – wieder nach der Seite des Pachthofes hin verschwindet.«

»Daraus folgerst Du?«

»Was ich daraus folgere? Nun, ich hab's der Mamsell Julie zugeflüstert, mit der ich beim Abendessen Bekanntschaft gemacht habe, es ist wirklich ein charmantes Frauenzimmer, gnädiger Herr, und die hat ein ganz merkwürdiges Gesicht gemacht, als ich's ihr sagte: Mamsell Julie, sag' ich, woher kamen Sie denn heute Abend mit dem Damenanzug auf dem Arm – doch nicht von der hübschen Pachterstochter drüben? Sie hat gelacht darauf, und dann ist sie etwas roth geworden und dann etwas patzig – was geht's Ihn an – Er ist ja ein rechter Schnüffler – kurz, Herr, die Sache ist nicht richtig!«

»Du meinst doch nicht etwa –«

»O lassen Sie mich nur in die Gesindestube zurückkehren und der Mamsell Julie noch ein Stündchen den Hof machen – dann will ich Ihnen schon berichten, nicht, was ich meine, sondern wie es ist!«

Burkhard hatte dem Berichte seines Dieners mit sehr nachdenklicher Miene zugehört.

»So geh,« sagte er jetzt, – »aber sei behutsam wenn Dir das Kammermädchen Geständnisse macht, so lasse sie nicht ahnen, daß Du sie mir sofort brühwarm zuträgst!«

Martin schoß eifrig, ohne sich an den aufzuschnallenden Mantelsack zu erinnern, zum Zimmer hinaus. Burkhard ging eine Weile unruhig auf und ab; dann legte er sich zur Ruhe und nahm ein Buch, um sich in den Schlaf zu lesen – aber der Schlaf wollte nicht kommen – Burkhard war zu gespannt auf Das, was er bei der Rückkehr seines Dieners hören werde. Aufgeregt kam dieser endlich herein.

»Es ist richtig,« sagte Martin, »ich hab's heraus – gnädiger Herr – das gnädige Fräulein hat sich vor Ihnen zurückgezogen, hat sich in eine Pachterstochter verwandelt und wohnt draußen auf dem Meierhofe.«

Martin erzählte dann ausführlich, wie er nach und nach seiner neuen Eroberung, dem Kammermädchen, diese Thatsachen entlockt. Burkhard konnte an der Richtigkeit nicht zweifeln. In einer sehr verdrießlichen Stimmung entließ er Martin, indem er ihn befahl, das tiefste Schweigen zu beobachten.

»Also das Pachtermädchen ist meine Zukünftige!« sagte er sich dann. »Seltsam! Was bedeutet das? Daß sie meine Eroberung gemacht hätte, kann ich nicht behaupten. Es ist doch eine etwas zu derbe Schönheit. Sie paßt zu der Rolle, die sie angenommen hat – das ist richtig. Frisch genug – aber la beauté du diable! Wenn's noch die andere, die Fremde gewesen wäre, die bei ihr war – sie war weit hübscher! Und wozu diese Maskerade? Was soll sie bedeuten? Will sie sich vor mir verstecken? Nein – denn dann hätte sie mich nicht gebeten, ihr auf den Hof zu folgen, hätte nicht versucht, mich dort zu halten mit ihrem schlechten Biere und mit ihrem Seerosengeplauder – und was schwatzte sie denn sonst noch? von ihrem Reichthum war es ja wohl, und daß sie von einem Manne unwiderlegliche Beweise seiner wahren Neigung verlangen würde – in der That, das ist ein Fingerzeig! Also das ist die Absicht, eine kleine Intrigue, um mich auf die Probe zu stellen – wahrhaftig, sie mag es sehr schlau überlegt haben das Spiel, welches sie mit mir vorhat, und sie agirt ihre Rolle auch sehr gewandt – einfach, natürlich, durchaus nicht übertrieben, obwohl sie mit den Seerosen aus der Rolle fiel, ich glaube Bauernmädchen haben andere Dinge zu thun, als Blumen pflückend auf den Fluren umherzuschweifen; es war eine übel angebrachte Reminiscenz aus einer modernen Dorfnovelle! – Im Ganzen finde ich aber die Geschichte keineswegs beruhigend für meine Aussichten; Liebe zur Intrigue, zum Komödiespielen, und das mit solcher Sicherheit – an einer Frau sind das Eigenschaften, die ihre sehr bedenkliche Seite haben! Ich hätte Lust, morgen in der Frühe satteln zu lassen, um wieder heim zu reiten! Aber das wäre voreilig. Zuerst ist die Aufgabe, ihr zu zeigen, daß man nicht mit sich spielen läßt! Und das will ich.«

Mit diesen Worten schloß Burkhard sein Selbstgespräch und gab sich stillem Nachdenken bin, auf welche Weise er seinen Entschluß am besten ausführen könne. Ein kleiner Plan dazu war bald gefunden; er brauchte nur an das Goethe'sche: » Auf einen Schelmen anderthalben« zu denken. Entschlossen, gleich morgen seinen Vorsatz auszuführen, gab er sich endlich dem Schlummer hin; und als er am andern Tage ziemlich spät erwachte, klingelte er seinem getreuen Martin.

»Martin,« sagte er, ich habe einen Scherz vor mit dieser jungen Dame, die mit uns Komödie spielen zu können glaubt. Du hast eine Rolle dabei. Wenn Du in ihrer Gegenwart bist, so zeige in Deinem Betragen eine leise Färbung von Frechheit, von Mangel an Respect vor mir – es wird Dir das leicht werden, denn ich habe Dich ohnehin längst verwöhnt.«

»Ich werd's schon machen, gnädiger Herr,« versetzte Martin lachend.

»Aber geschickt und nicht tölpelhaft, bitte ich mir aus – es ist durchaus nicht nöthig, daß Du Dich bis zur Unverschämtheit versteigst, hörst Du?«

»O wie würde ich – nur so etwas frei weg – nicht immer an den Hut gegriffen, wenn der gnädige Herr mit mir spricht –«

»Und wenn die junge Dame Dich allein trifft und das Gespräch auf mich bringt, dann zuckst Du so ein wenig spöttisch die Achseln, als ob etwas ganz Anderes in mir stecke, als wofür ich mich ausgebe, verstehst Du?«

»Ich verstehe vollkommen – wenn ich auch nicht weiß –«

»Es ist nicht nöthig, daß Du weiter etwas weißt,« fiel Burkhard ein, und begann sich anzukleiden.

Eine halbe Stunde später schlenderte er dem Pachthofe zu. Als er auf demselben angekommen, gelang es ihm anfangs nicht, des jungen Mädchens, mit welcher er ein Tête-à-Tête suchte, ansichtig zu werden. Er mußte sich darin finden, sehr viel Aufmerksamkeit auf die einzelnen Bestandtheile des Gehöftes zu verwenden; sehr genau die Holzconstruction der Fachwände des großen Kuhstalles in's Auge zu fassen; mit außerordentlicher Beharrlichkeit die alten Eichen hinter dem Wohnhause des Pachters zu mustern und ihre Höhe und Breite, vielleicht auch den Kubikinhalt zu berechnen – Alles, um den Knechten und Mägden, die ihn beobachteten, anzudeuten, wie unverfänglich und blos von seinem lebhaften Interesse für ihre ländlichen Zustände eingegeben sein langes Umherschlendern sei. Endlich gelang es ihm, Fränzchen zu erspähen; sie stand innerhalb eines Stakets, das einen kleinen Geflügelhof umschloß, und fütterte die Bewohner desselben – auch die von Mariannen so komisch gefundenen Enten waren darunter.

»Wie hübsch, wie niedlich,« sagte spöttisch Burkhard; kann es eine idyllischere Beschäftigung geben, als die lieben Thierchen zu füttern? Wie kokett sie die gold'nen Körner aus dem Schürzchen nimmt und ausstreut –!«

Und damit schritt er dem Garten zu, weil Fränzchen durch diesen von dem Geflügelhof zurückkehren mußte. Als sie kam und ihn wahrnahm, sah er an ihren Mienen, daß sie durch sein Erscheinen nicht überrascht war; es war augenscheinlich, sie hatte schon früher bemerkt, daß er auf dem Hofe gewesen, und hatte sich von ihm beobachten lassen wollen, die kleine Spitzbübin!

Nachdem er sie begrüßt, bat er sie, ein wenig in den Gartenpfaden mit ihm auf und abzugehen; Fränzchen schien kein Bedenken dagegen zu haben.

»Sie sollen mir einen guten Rath geben,« sagte er, »ich bin in einer großen Verlegenheit, einem Kampf mit mir selber –«

»Und da soll ich Ihnen rathen?« fiel Fränzchen halblachend, halb verlegen ein.

»Sie flößen mir eben Vertrauen ein; Ihr offenes Gemüth, Ihr schlichter Sinn, der keinen Versteck und keine Verstellung kennt, wird nicht allein Das, was ich zu thun habe, sofort herausfühlen, sondern es mir auch ohne Hehl gestehen –«

Burkhard beobachtete Fränzchen von der Seite; er glaubte sie mit seinen Worten erröthen zu machen; das aber war ganz und gar nicht der Fall, Fränzchen sagte im Gegentheil sehr ruhig, nur ein wenig neugierig:

»Nun, was hat denn der junge Herr auf dem Herzen?«

»Sehen Sie, liebes Kind, ich bin hier zu einer höchst unwürdigen, ja abscheulichen Rolle verdammt.«

»Zu einer Rolle? Was heißt das?«

»Das heißt, ich soll den gnädigen Herrn und das Fräulein auf das Hinterlistigste betrügen.«

»Was?« rief Fränzchen erstaunt aus, »betrügen? Und wie so?«

»Sie halten mich für den Vetter des gnädigen Herrn, für Burkhard von –«

»Nun ja, freilich!«

»Der bin ich gar nicht!«

»Der sind Sie nicht? Himmel, wer sind Sie denn?«

»Niemand anders als dessen Sekretär, ein von ihm völlig abhängiger armer Teufel. Sehen Sie, mein Herr ist ein ganz bodenlos leichtsinniger Mensch – ein Trinker, Spieler, und Alles, was Sie sonst noch wollen. Er denkt nicht daran, sich in's Ehejoch spannen lassen zu wollen. Mag seine Zukünftige so liebenswürdig sein, wie sie will – er verabscheut die Ehe; und deshalb hat er denn auch einen abscheulichen Plan erdacht, um sich von der Verpflichtung zu befreien, seine Cousine zu heirathen. Sie wissen, es war ihm von dem seligen Herrn von Romsdorf aufgegeben, sich hier zu präsentiren und, wenn er gefiele, das gnädige Fräulein zu heirathen. Wenn nicht, so erhält er von dem gnädigen Herrn ein Legat ausbezahlt. Denken Sie sich nun, was er ersonnen hat: er hat mich abgeschickt, mit dem Auftrage, mich hier für ihn auszugeben und zugleich so viel schlechte, fatale, unmoralische Eigenschaften zu entwickeln wie möglich, und dadurch in kürzester Zeitfrist die Erklärung des gnädigen Herrn zu erwirken, daß er ihn zum Schwiegersohn nicht wolle.«

»Aber das ist ja ganz abscheulich,« rief Fränzchen entrüstet aus.

»Nicht wahr, es ist unverantwortlich!«

»Und dazu geben Sie sich her?

»Das ist eben für mich das Entsetzliche! Wenn ich ihm nicht gehorcht hätte, so würde er mich aus seinem Dienst gejagt haben – und dann bin ich brodlos! Ich habe für eine arme alte Mutter zu sorgen, deren einzige Stütze ich bin. Mußte ich da nicht Rücksichten nehmen? Nun aber ist mir die Abwesenheit des gnädigen Herrn von hier, der Umstand, daß mir der Himmel wirklich noch eine letzte Gnadenfrist zu geben scheint, um mich zu besinnen, so schwer auf's Herz gefallen, daß ich mir nicht Rath noch Hilfe weiß – was soll ich thun – bin ich meinem Herrn ungehorsam, dann kann ich mich auch nur gleich in den See dort stürzen, denn dann weiß ich nicht mehr aus noch ein in der Welt –«

»Sie armer, armer Mensch – das ist ja schrecklich!«

»Nicht wahr?«

Fränzchen war vom tiefsten Mitleid durchdrungen. Burkhard beobachtete sie von der Seite und unterdrückte mit Mühe ein spöttisches Lachen.

»Was soll ich thun?« hob Burkhard wieder an.

Sie schüttelte den Kopf.

»Den gnädigen Herrn betrügen, dürfen Sie auf keinen Fall,« sagte sie.

»Sie haben Recht – ich darf es auf keinen Fall aber –«

»Lassen Sie mich nachdenken – ich habe eine Idee, wie da zu helfen ist, fuhr sie fort: ich will es mir überlegen.«

»Aber um's Himmels willen, nur nicht mit Jemand anderem darüber reden. Wenn Sie mich verriethen –«

»Seien Sie ganz ruhig – den Nachmittag können wir mehr davon sprechen – kommen Sie den Nachmittag; jetzt muß ich ins Haus; es würde auffallen, wenn wir so lange hier zusammen blieben.«

»Also auf Wiedersehen, aber nur ja –«

Burkhard legte den Finger auf den Mund.

Fränzchen nickte, während sie sich wandte, um nun langsamen Schrittes, das Köpfchen unter der Schwere der Mittheilungen gesenkt, dem Hause zuzuschreiten.

»Sie ist vollständig überwältigt, vollständig außer Fassung gerathen,« sagte sich Burkhard, vergnügt die Hände reibend, »es giebt ein ganz allerliebstes Lustspiel – ich bin nur neugierig auf die rettende Idee, welche sie heute Nachmittag mir entwickeln wird!«

Damit wandte auch er sich und schlenderte nach dem Herrenhause zurück.

Fränzchen, die in der That von dem Gehörten so ziemlich aus der Fassung gerathen war, vermied es, mit Marianne zusammenzukommen. Sie hätte sich Fragen nach dem, was der junge Herr mit ihr gesprochen, und weshalb sie so in Gedanken versunken sei, ausgesetzt. Und Mariannen durfte sie doch nichts von dem Gehörten verrathen. Die mußte ganz aus dem Spiele bleiben und nichts von der gränzenlosen Demüthigung erfahren, die ihr bereitet worden. Das arme Fräulein!

So that Fränzchen sehr geschäftig und ging, um allein zu sein, bald wieder in den Garten hinaus. Es schien ihr klar, daß hier nur Einer helfen könne und zwar der gnädige Herr selbst. Wenn man gegen ihn offen war, mußte er sich dann nicht sagen, daß er Verpflichtungen gegen den armen Schelm von Schreiber habe, der so aufrichtig war – und konnte er, der gnädige Herr, nicht durch irgend eine kleine Anstellung für ihn sorgen? Gewiß, das war das Beste. Auch glaubte Fränzchen sich verpflichtet, sofort mit dem Herrn zu reden, denn es wäre ja gegen ihr Gewissen gewesen, schweigend zuzusehen, wie die Herrschaft getäuscht und betrogen wurde.

Sie wollte dieses Auskunftsmittel dem armen Menschen, mit dem sie ein recht herzliches Mitleiden fühlte, vorschlagen, sobald er am Nachmittag zurückkäme. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß er damit einverstanden sei.

Der Nachmittag war gekommen. Fränzchen hatte nach dem Essen wieder sehr geschäftig gethan und Marianne, die sich am Morgen ihre Julie mit Kleidern hatte herauskommen lassen, saß in ihrem gewöhnlichen Damenanzug in Fränzchen's Zimmerchen, in einer Lecture vertieft. Sie begann den Aufenthalt auf dem Meierhofe überaus langweilig zu finden, der junge Vetter hatte mit seiner ganzen Erscheinung einen sehr günstigen Eindruck auf sie gemacht, und eigentlich wäre sie jetzt viel lieber zu Hause gewesen, um dort die Wirthin für ihn zu machen. Aber sie hatte einmal den kindischen Einfall, sich vor ihm zu verstecken, gehabt, und mußte nun aushalten, bis der Vater zurückkam, was ja auch stündlich der Fall sein konnte.

Sie ahnte nicht, als sie endlich unruhig aufsprang und ihr Buch unmuthig fortwarf, um sich nach Fränzchen umzusehen, – sie ahnte nicht, daß der Vater schon da war, und sich angelegentlich mit Fränzchen unterhielt.

Herr von Romsdorf war denselben Weg gekommen, auf welchem Burkhard angelangt war. An dem Meierhofe war er ausgestiegen, hatte den Wagen vorausgesandt und wollte über den Hof zu Fuße heimkehren, um auf diesem nach dem Stande der Dinge zu sehen, als ihm im Garten Fränzchen entgegenkam.

Daß der gnädige Herr so rasch da war, daß er gerade ihr zuerst begegnete, und daß sie ihn allein traf, schien Fränzchen wie ein Wink von oben – sie beantwortete seine ersten Fragen nach Marianne und beschloß dann sofort, ihm ihr Herz auszuschütten; sie erzählte mit raschen Worten und gerötheten Wangen, daß der Vetter angekommen und wie es mit diesem Vetter beschaffen sei. Herr von Romsdorf hörte ihr sehr überrascht zu, ließ sich Alles haarklein berichten, dann ging er kopfschüttelnd dem Meierhof zu, um dort Marianne aufzusuchen. Fränzchen empfahl er angelegentlich, über Alles, was sie ihm mitgetheilt, zu schweigen.

»Ist das wahr, was Du mir erzählst, so soll Marianne für's Erste nichts davon erfahren und den Menschen gar nicht sehen. Das bin ich meinem Kinde schuldig!« sagte er strenge.


5.

Burkhard hatte nach dem Essen auf seinem Zimmer eine Siesta gehalten und wollte eben ausgehen – zu seinem Rendezvous nach dem Pachthofe, um hier die begonnene Mystification fortzusetzen, als ein Bedienter bei ihm eintrat, und ihm meldete, daß der gnädige Herr zurückgekehrt sei und ihn unten erwartete. Der junge Mann warf jetzt noch einmal einen Blick auf seine Toilette, ordnete sein schönes gekräuseltes Haar und ging die Stiegen hinab. Er fand Herrn Romsdorf draußen unter der Veranda.

Dieser empfing ihn auffallend kalt. Sein Blick lag prüfend auf ihm, und statt von Familienbeziehungen, Verwandten und dergleichen zu reden, begann er sofort eine Art Examens mit Burkhard: er sprach über dessen Geschäftsangelegenheiten und seine Stellung, seine Carriere, und ließ sich von der Gesellschaft der Stadt, in welcher Burkhard als Attaché der Gesandtschaft lebte, berichten. Das Examen mußte zu seiner Befriedigung ausfallen – denn die Züge des älteren Herrn erhellten sich allmälig. Zulegt blickte er zerstreut vor sich bin – er gab augenscheinlich auf das, was Burkhard sprach, nicht mehr Acht, sondern seinen eigenen Gedanken Audienz.

»Es ist,« würden diese Gedanken des Herrn v. Romsdorf, wenn er sie ausgesprochen, ungefähr gelautet haben, »es ist augenscheinlich Windbeutelei Alles, was er Fränzchen gesagt hat: sein Gesicht mit der unverkennbaren Familienähnlichkeit legitimirt ihn nicht nur als einen echten Romsdorf; jedes Wort, das er spricht, thut dies auch; ein Mensch in einer untergeordneten Stellung würde in alle Beziehungen der Gesellschaft, in der Burkhard sich bewegt, gar nicht so eingeweiht sein können und noch weniger in die diplomatischen Geheimnisse seiner Legation; und wenn das Alles auch wäre, er würde dies Wesen und diese Haltung des vollkommenen Cavaliers nicht haben. Es ist also klar, daß er irgend eine Schelmerei mit seinem Vorgeben beabsichtigt hat: vielleicht gar bat er sich die Zeit durch eine kleine Liebelei mit der Pachterstochter vertreiben wollen und sich durch seine falschen Geständnisse in ihr Vertrauen zu stehlen versucht. Eine kleine Perfidie steckt jedenfalls dahinter und die verdient eine Züchtigung. Wart, mein junger Attaché, ich will Dir zeigen, daß ein alter Diplomat immer noch geriebener ist, als ein junger, und Dir die Mystification versalzen. Man muß ihn glauben machen, Fränzchen sei Marianne, er hätte sich bei seiner Zukünftigen selbst so muthwillig in Mißcredit gesetzt – ja, ja – auf einen Schelmen anderthalben

»Mein lieber Vetter,« hub Herr von Romsdorf nach seinem kleinen Selbstgespräch wieder an; »ich kann mir denken, wie begierig Sie darauf sind, meine Tochter kennen zu lernen, und ich will Ihre Ungeduld nicht länger auf die Folter spannen. Zugleich drängt es mich, mein Kind bei Ihnen in Schutz zu nehmen, da Das, was ich Ihnen sagen werde, ein etwas sonderbares Licht auf sie werfen könnte. Sie müssen zu ihrer Entschuldigung sich vergegenwärtigen, daß sie mein einziges Kind ist, und daß sie deshalb immer – vielleicht ein wenig zu viel – den Eingebungen ihres eigenen capriciösen Köpfchens hat folgen dürfen. Zu diesen Eingebungen hat auch gehört, daß sie Sie hat zuerst incognito kennen lernen wollen – sie hat die Gelegenheit haben wollen, Sie zu beobachten, wenn Sie sich nicht beobachtet wähnten – kurz und mit einem Wort, Sie haben sie schon gesehen, auf dem Meierhofe nämlich – verkleidet, als –«

»In der That,« unterbrach Burkhard Herrn von Romsdorf hier, »ich habe so etwas geahnt –«

»Sie haben es geahnt?«

Burkhard nickte lächelnd mit dem Kopf.

Herr von Romsdorf sah ihn mit großen Augen fragend an. Er mußte sich gestehen, daß ihm jetzt Burkhard's Betragen sehr räthselhaft war; auf der andern Seite war es ihm beruhigend, zu vernehmen, daß der junge Mann nach seiner Ankunft in Romsdorf nicht sogleich hatte mit einer kleinen Untreue gegen seine Zukünftige debutiren wollen.

»Nun, desto besser,« sagte er deshalb nach einer kleinen Pause, »um aber dem Spiele ein Ende zu machen, wäre es mir lieb, wenn Sie sich auf den Pachterhof begeben und um Mariannens Gunst sich bewerben wollten. Machen Sie jetzt nicht viel Federlesens mehr und bitten Sie sie frischweg um ihre Hand. Sie wird gewiß sehr erfreut darüber sein,« fuhr Herr von Romsdorf fort, »da sie Sie ja jetzt kennt, und Sie sich auch wohl bereits gegen sie ausgesprochen haben,« setzte er ironisch hinzu. »Sie haben sicherlich die Zeit meiner Abwesenheit benutzt, um ihr zu gefallen und einen Stein im Brette bei ihr zu bekommen. Darum gehen Sie jetzt kühn auf das Ziel los. Nach Allem, was ich von Ihnen weiß, was ich von Ihnen erfuhr, haben Sie meinen väterlichen Segen.«

Burkhard wechselte bei diesen Worten des älteren Herrn die Farbe.

»Ich bin Ihnen in einem Grade, den es mir schwer würde auszudrücken, dankbar, mein gnädigster Vetter,« sagte er, »allein –«

»Allein?«

»Ich kann von Ihrer Erlaubniß keinen Gebrauch machen.«

»Nicht – und weshalb nicht, wenn ich fragen darf?« sagte Herr von Romsdorf, den Vetter sehr überrascht fixirend.

»Weil – nun, weil Ihre Tochter mir nicht gefällt, um sie zur Frau nehmen zu wollen,« hätte Burkhard gerne gesagt; aber wie durfte er mit einer so beleidigenden Wahrheit herausrücken!

Er suchte Ausflüchte, und brachte vor, was ihn im Augenblick auf die Lippen kam.

»Mein Herr,« sagte Herr von Romsdorf, jetzt langsam sich erhebend und mit zornigen Blicken den bestürzten Vetter durchbohrend, »Alles, was Sie da sagen, sind lauter Flausen und leere Vorwände. Ein hübsches junges Mädchen, welches die Erbin einer halben Million ist, schlägt man nicht aus, wenn man nicht von der Bewerbung durch das niederdrückende Gefühl des totalen eigenen Unwerthes, der eigenen Niedrigkeit abgehalten wird.«

Burkhard fuhr erblassend auf und wollte etwas erwiedern, aber Herr von Romsdorf schloß ihm durch eine gebieterische Handbewegung den Mund und fuhr fort:

»Schweigen Sie, mein Herr, und versuchen Sie nicht, mich zu täuschen. Sie sind der gewandteste Schauspieler, der mir je vorgekommen ist – ich hätte vor wenig Augenblicken noch darauf geschworen, daß Sie wirklich mein Vetter Burkhard Romsdorf seien; aber jetzt sehe ich, daß ich es in der That mit einem Menschen zu thun habe, der jämmerlich genug ist, sich als dieses saubern Vetters Werkzeug gebrauchen zu lassen!«

»Aber um's Himmelswillen, es war ja ein reiner Scherz von mir.«

»Schweigen Sie, schweigen Sie, frecher Mensch – ich weiß Alles. Sie haben dem jungen Mädchen drüben ja selbst Alles gestanden, Sie haben ihr sogar von ihrer – das aber hat Sie nicht abgehalten, mir gegenüber doch in ihrer falschen Rolle als Betrüger aufzutreten.«

»Ich bitte Sie, Herr von Romsdorf, Ihre Worte zu bedenken, oder, was noch besser wäre, inne zu halten und mich einmal zum Sprechen kommen zu lassen!« rief Burkhard völlig außer sich aus.

»Was braucht es hier noch viel Gerede – Sie haben ja selbst Alles gestanden und dort, dort kommt die Zeugin,« fuhr Herr von Romsdorf in seinem Eifer fort, auf Fränzchen deutend, die eben des Wege vom Pachterhof her durch die Schlingpfade der Anlagen auf das Haus zugeschritten kam.

»Fränzchen,« rief er laut ihr entgegen, »Fränzchen, komm einmal her, rasch!«

Fränzchen beschleunigte ihre Schritte und kam trippelnd auf die Veranda zugelaufen.

Noch ehe sie dieselbe erreicht hatte, rief ihr der erzürnte Herr entgegen:

»Sag's einmal hier dem Monsieur in's Gesicht, was er Dir gestanden hat – welch abscheuliches Spiel er mit mir zu treiben wagt, der –«

»Jetzt kein Wort weiter, mein Herr von Romsdorf,« fiel hier Burkhard blaß vor Zorn und seiner nicht mehr mächtig ein, »da Sie entschlossen sind mich nicht anhören zu wollen, so räume ich lieber das Feld! Ihre Fräulein Tochter da, die wie ich sehe, noch immer in ihrer unwürdigen Maske steckt, und freilich auch am besten thäte, wenn sie immer darin bliebe, so gut paßt dies Costume zu ihrem Wesen, ihre Fräulein Tochter wird allerdings gegen mich zeugen, daran zweifle ich nicht. Was ich zu meiner Vertheidigung sagen wollte, daß ich mir einen bloßen Scherz habe machen wollen, wird sie eben so wenig glauben wie Sie. Es besteht zwischen uns keine Sympathie, sie gefällt mir nicht und so werde ich, da das gewöhnlich gegenseitig ist, auch bei ihr keine Gnade gefunden haben. Ich ziehe, vor, mich den weiteren Beleidigungen, mit denen Sie mich überhäufen, und gegen die ich wehrlos bin, zu entziehen.«

Damit verließ er stolzen Schrittes, entrüstet, erbittert und doch auch niedergeschlagen die Veranda, und eilte in's Haus, um sofort Anstalten zur Abreise zu treffen.

Niedergeschlagen, sagen wir – denn auch im höchsten Zorne und in der höchsten Entrüstung bleibt es ein bitteres Gefühl, wenn man sagen muß, daß man eben die Hoffnung auf eine halbe Million verloren hat, die Hoffnung, die man seit Monden hegte und worauf man allbereits die schönsten und lachendsten Pläne, die glänzendsten Luftschlösser baute!

Sie war nun dahin, diese Hoffnung, auf ewig, und Burkhard mußte sich sagen, daß er sich durch seine eigene Schlauheit ganz allein darum gebracht; er verfluchte innerlich seinen thörichten Einfall, er hätte sich die Haare ausraufen mögen über diese ganze, von ihm selber einzig und allein eingefädelte Geschichte. Aber freilich, hätte er sie auch nicht eingefädelt – dann hätte er ja am Ende doch die halbe Million nicht gewonnen – er war nicht der Mann, sich zu verkaufen und Neigung zu lügen, wo er sie nicht fühlte!

So ging er in Eile, in gränzenloser Aufregung durch's Haus, und schritt unten durch den Speisesaal, um in den dahinter liegenden Räumen seinen Martin aufzusuchen und ihm anzubefehlen, die Pferde zu satteln, als sich langsam eine Seitenthüre öffnete und eine reizende junge Dame in einfacher und doch sorgfältiger Toilette mit einem durchaus unbefangenen, und doch etwas verschämten Lächeln vor ihn trat und ihm die Hand entgegenstreckte.

Er blieb stehen und sah sie mit großen Blicken überrascht, und bezaubert von dieser reizenden Erscheinung, an.

»Mein lieber Vetter,« sagte die junge Dame erröthend, »sind Sie so exclusiv, daß Sie meine Hand nicht nehmen, weil Niemand da ist, der uns einander regelrecht vorstellt?

»Um Gotteswillen, wer sind Sie, mein Fräulein doch nicht –«

»Ihre Cousine Marianne – wer anders?«

»Sie – Sie sind meine Cousine – o mein Gott – dann bin ich der unglücklichste Mensch unter der Sonne – dann bleibt mir nichts übrig, als aus Ingrimm über mich selbst und aus Verzweiflung über mein Schicksal mich in den See dort zu stürzen.«

»Aber was, um des Himmels Willen, haben Sie denn, was ist Ihnen?«

»Soll ich Ihnen das erzählen – soll ich zu meinem Unglück mich noch in ihren Augen lächerlich machen? Ich bin ein Thor gewesen, ein hirnverbrannter Thor – ich habe eine Dummheit begangen, die ganz unsäglich ist, und in Folge davon Ihren Vater tödtlich beleidigt, wie er mich tödtlich beleidigt hat.«

»Welche Geschichten – aber ich will das Nähere wissen – Sie müssen es mir erzählen, Sie sind das mir schuldig,« sagte Marianne erschrocken.

»Wollen Sie mich wegen meiner gränzenlosen Thorheit nicht verachten, nicht hassen – versprechen Sie mir das?«

»Ich meine,« fiel Marianne ein, »Sie sehen mir am Gesicht an, daß ich daran nicht denke und daß Sie solcher Betheuerungen nicht bedürfen.«

»Nun wohl, wie von einem bösen Geist verblendet habe ich die tolle Idee gefaßt, Sie wollten mit mir Ihr Spiel treiben, Sie hätten sich als Pachtertochter verkleidet, und das Mädchen auf dem Meierhofe habe ich für Sie gehalten. Um diese Mystification zu strafen, habe ich nun dem unglücklichen Geschöpf aufgebunden, ich sei ebenfalls nicht, was ich ich scheine, nicht Burkhard von Romsdorf, sondern dessen armer Schreiber. Sie hat das sofort geglaubt und hat es Ihrem Vater mitgetheilt. Ihr Vater scheint es im Anfang für das gehalten zu haben, was es war, eine Posse, er ist sogar darauf eingegangen, und hat mir gestanden, das Mädchen sei seine Tochter, und dann hat er mich aufgefordert, mich um dasselbe zu bewerben, mit seinem vollen väterlichen Segen. Ich habe es aber abgelehnt, weil –«

»Sie haben es abgelehnt? Und Sie hielten doch das Mädchen für mich, wie Sie selber sagen?«

»Allerdings – Ihr Vater bestätigte ja, was ohnehin schon meine Ueberzeugung war.«

»Aber weshalb lehnten Sie es denn ab, um sie zu werben?«

»Nun, weil ich nicht wollte, weil ich keine Sympathie für dies Geschöpf fühlte, weil ich nicht etwas thun wollte, was meiner unwürdig ist, mich um die Hand eines Mädchen bewerben, für das ich keine Neigung fühlte, und wenn sie auch alle Schätze der Welt besäße.«

»Das ist brav von Ihnen, Vetter!« rief hier Marianne aus, indem sie innerlich laut aufjubelte, »das ist brav von Ihnen – und jetzt?«

»Jetzt,« fuhr Burkhard zu erzählen fort, »jetzt wurde Ihr Vater, der ein solches Motiv nicht zu glauben scheint, plötzlich im höchsten Grade zornig und zeigte mir, daß er nun das unsinnige Mährchen, welches ich dem Pachtermädchen aufgebunden, für wahr halte!«

Marianne begann laut zu lachen.

»Kommen Sie zum Vater, ich will mit ihm reden!« jagte sie dann.

»Nicht für Alles in der Welt!« rief Burkhard aus, »soll ich mich noch einmal seinen Beleidigungen aussetzen?«

»Kommen Sie nur, ich werde Sie davor schützen, Vetter – es soll Ihnen eine volle Ehrenerklärung werden!«

»Das ist sehr gütig von Ihnen, Cousine – aber –«

»Was wollen Sie sagen?«

»Was helfen mir alle Ehrenerklärungen, da ich jetzt Sie mir verscherzt habe, und dabei all mein Erdenglück.«

»Aber,« fiel Marianne dunkelroth werdend ein, »Sie wollen ja kein Mädchen, das ein großes Vermögen besitzt?«

»Wenn es mir keine Neigung einflößt – Ihnen aber Cousine – lassen Sie mich es Ihnen aussprechen, um dann zu fliehen und für ewig mein verzweifeltes Mißgeschick zu beklagen – Ihnen fliegt mein Herz zu, für Sie könnte ich in den Tod gehen.«

Marianne war röther und röther bei dieser plötzlichen stürmischen Liebeserklärung geworden, jetzt unterbrach sie dieselbe, indem sie mit einem schelmischen Lachen sagte:

»Nun, so wagen Sie wohl auch um meinetwillen den zornigen Blicken meines Vaters zu trotzen – kommen Sie nur!«

Damit schritt sie rasch voran und Burkhard folgte ihr.

Draußen auf der Veranda ging Herr von Romsdorf mit langen Schritten, die Hände auf dem Rücken, auf und ab, wobei er seltsamer und für Burkhard höchst überraschender Weise seine volle Gemüthsruhe dadurch an den Tag legte, daß er leise eine Stelle aus einer Opernarie pfiff. Als er die beiden jungen Leute herankommen sah, heftete er einen Blick auf dieselben, woraus Burkhard ebenfalls sofort zu erkennen glaubte, daß das Gewitter vorübergezogen. Er trat ihnen jedoch mit ernster Miene entgegen.

Marianne nahm Burkhards Hand und sagte mit ein wenig stockender Stimme, mit einem Tone, dessen Verlegenheit nicht ganz zu der scherzhaft sein sollenden Wendung ihrer Worte passte:

»Lieber Vater, hier bringe ich Dir Deinen rechten und echten Vetter Burkhard zurück, der so edelmüthig ist, daß er Deine Tochter Fränzchen, deren Hand Du ihm botest, ausschlägt, obwohl sie eine reiche Erbin ist! Statt dessen wirbt er um mich, die seit Deiner Adoption Fränzchen's arm und enterbt ist; und da Du weißt, daß ich mir seit je in mein eigensinniges Köpfchen gesetzt habe, nur eine Bewerbung anzuhören, von deren völliger Uneigennützigkeit ich überzeugt bin, was hier im glücklichsten Maße der Fall ist, da Du das weißt, Väterchen, so –«

Herr von Romsdorf ließ sie nicht ausreden; er sah gerührt in ihr rosiges verschämtes Gesicht und dann ergriff er Burkhards Rechte und sagte ladend:

»Ja, wenn es so ist, dann seien Sie mir herzlich willkommen – als Vetter und als Sohn, Burkhard. Verzeihen Sie mir das kleine Spiel, das ich mir mit Ihnen erlaubt habe; aber es war eine ärgere Komödie, die Sie aufgeführt hatten, und im Hause eines alten Diplomaten eine solche Mystification zu wagen, das verdiente eine kleine Strafe!«

»Verzeihen Sie mir,« versetzte Burkhard ganz verwirrt und überglücklich, »ich bin der Schuldige, freilich – aber ich dachte, daß man gegen mich eine kleine Komödie in Scene setzen wollte; und weil ich nun ebenfalls ein Diplomat, wenn auch nur erst ein angehender bin, so hielt ich es für eine Ehrenpflicht, zu sehen: › auf einen Schelmen anderthalben!‹«

»Das,« fiel lachend Herr von Romsdorf ein, war eben auch mein leitender Gedanke. »Daß Sie der rechte Vetter seien, ward mir im Augenblicke klar, nachdem ich wenige Worte mit Ihnen gewechselt. Ich versuchte nun, Ihnen eine Falle zu stellen, und da Sie darauf nicht eingingen, so nahm ich den Anschein an, als glaubte ich an Ihre falschen Bekenntnisse gegen Mariannens junge Freundin.«

»Und was sind das eigentlich für Bekenntnisse?« fiel Marianne hier gespannt ein.

Burkhard erzählte nun ausführlich, wie er zu dem Glauben, Marianne wolle ihn täuschen, und dazu, eine andere für sie zu halten, gekommen; und so wurde auch Marianne gezwungen, ihr kleines Abenteuer am See zu gestehen, und als dann ihr Vater fröhlich die Hände der beiden jungen Leute zusammenlegte, sagte er:

»So hat auch hier einmal wieder ›hoher Sinn im kind'schen Spiel‹ gelegen – mein Töchterchen ist dadurch auf's Beruhigendste inne geworden, daß sie sich zwar einen Schelmen oder gar anderthalben, oder doch ein ganzes und ehrliches Herz gewonnen hat!«



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