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Das ist eine hübsche Geschichte, liebes Weib – eine saubere Geschichte für einen solchen Ehemann und Familienvater!«
»Was hast Du, lieber Mann?«
»Da lies selber – es ist der Mühe werth, daß Du es liesest, das merkwürdige Billetdoux, welches ich eben bekommen!«
Meine Frau hörte auf, die silberne Kaffeekanne, die zum Frühstück gedient hatte, zu waschen, trocknete die Hände ab und las laut den folgenden Brief, den ich ihr reichte:
»Unsterblicher Sänger!
Verzeihen Sie der lorbeerlosen Anbeterin vor Ihrem lyrischen Altar von unsterblichem Ruhm, welche so ohne alle Umschweife und so ganz ohne Entschuldigung – die nur in ihrem nicht zu unterdrückenden Enthusiasmus gefunden werden könnte – sich an Sie wendet. Obwohl die Freiheit, welche ich mir nehme, vielleicht ihres Gleichen nicht hat in dem Kreise, in dem die kühle Etikette ihren eisigen Scepter schwingt, so weiß ich doch, daß Ihre überschwengliche Güte mir verzeihen wird – Sie ruhen nun einmal auf der Gipfelhöhe des Ruhms, wo Sie weniger sich selbst als der ganzen Menschheit angehören; und so darf auch ein demüthiges Herz wie das meine, dessen tiefste Saiten Sie durch Ihre unsterblichen Lieder aufgestürmt haben, seinen Theil an Ihnen in Anspruch nehmen. – Ich brauche nicht zu sagen, daß ich mit überströmenden Augen und klopfendem Herzen jede Zeile gelesen habe, welche Ihre wunderbar reiche Feder zu dem großen Sängerconcert unserer Dichterheroen beigesteuert hat. Ja, noch mehr, göttlichster der lebenden Sänger – ich kann jedes Wort des Entzückens auswendig und des Nachts ruht die Miniaturausgabe Ihrer Gedichte mit Goldschnitt und gepreßtem blauen Maroquindeckel neben mir, an meinem Herzen! Im Namen künftiger Geschlechter lassen Sie mich Ihnen Dank sagen für die herz- und gemüthberauschenden Klänge, welche durch alle Zeiten hallen und an deren fernstem Ende ein Echo finden werden!
Mit welch unaussprechlicher Sympathie vertiefe ich mich in Ihre Leiden! Während ich schreibe, netzen dieses Blatt meine Thränen, denn ich las eben den bodenlosen Ausdruck einsamen Schmerzes und erschütternder Leidenschaft auf Seite 310 Ihrer Gedichte, überschrieben: ›Das Weh des weltmüden Wanderers.‹ Es ist kein leeres Compliment, wenn ich sage, daß Homer, Dante und Oscar von Redwitz nicht einen Vers von den vielen übertreffen können, welche mich in Thränen badeten!
Aber ich frevle an Ihrer kostbaren Zeit. Nur noch ein Wort lassen sie mich Ihnen sagen. Sie schließen jenes Gedicht mit dem Ausruf:
›O nur
eine Herzensquelle,
Daraus mein Herz dürft' eine Labung schöpfen!‹
Ich glaube, daß es meine Mission ist, diese ›Herzensquelle‹ für Sie zu sein … Sie zu trösten auf Ihrem schmerzensreichen Lebensgang … das Leid Ihrer zu tief fühlenden Seele zu lindern!
Alles, was ich wünsche, ist, in Ihr tiefblaues Auge zu schauen, mit Ihnen über denselben blumenbestickten Rasen zu wandeln, mit Ihnen dieselbe Luft zu athmen. Ich werde deshalb bei Ihnen eintreffen in Ihrer ›idyllischen Einsamkeit, geschützt vor allem Erdenlärm,‹ die so hinreißend auf Seite 170 Ihrer Gedichte geschildert ist, am nächsten Montage um fünf Uhr Nachmittags, mit dem zweiten Nachmittagszuge – ich kann nicht früher, weil erst Montag meine neue Mantille von der Putzmacherin abgeliefert wird.
Mit ewiger Verehrung
Ihre sympathetische dualistische Seele
Viola Schneider.«
Frau Hellborn, meine theure Gattin, riß auf's Allerweiteste ihre großen braunen Augen auf, jene Augen, aus denen ich so oft meine Begeisterung geschöpft … so weit, daß sie der Oeffnung jener andern schwarzen Quelle gleichkamen, aus der meine Gänsefeder schöpft.
»Und was willst Du nun anfangen?« sagte sie, und als ich, nicht eben mit dem geistreichsten Gesichte, meine absolute Rathlosigkeit durch Schweigen an den Tag legte, fuhr sie fort:
»Was wirst Du anfangen, frage ich Dich, Mann …?«
»Was ich anfangen will,« versetzte ich endlich … »wahrhaftig … ich habe nicht die Spur von einer Vorstellung darüber …«
»Nun, so muß ich Dir sagen, Alfred, daß ich wohl eine Vorstellung davon hätte, was ich unter solchen Umständen thun müßte, wenn ich ein Mann wäre. Ich würde einen handfesten Polizisten auf der Station bereit halten und sie alsogleich wegen Bigamie oder wie man es nennt, wenn solch eine lasterhafte Person mit einer andern Frau Ehemann durchgeht, arretiren lassen.«
Ich suchte Frau Hellborn klar zu machen, daß die Anklage auf Bigamie sich gegen meine Briefstellerin auf das vorliegende Beweisstück hin schwer würde durchführen lassen; um so mehr, da ich ja noch nicht mit ihr durchgegangen sei, und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht durchgehen würde, so lange wenigstens – setzte ich mit einem schalkhaften Blick hinzu – ich im Herzen einer so hübschen kleinen Frau ein so gutes Plätzchen einnähme.
Dies besänftigte Frau Hellborn bedeutend.
»Welche Art von Geschöpf mag sie wohl sein, diese scandalöse Person!« sagte sie.
»Ich wette, sie ist eine lange, dünne, junge Dame im reiferen Mannesalter, mit einer verstohlenen Neigung für Brillen, mit kurzen Aermeln, ausgeschnittenen Kleidern und im Stande, mit Begleitung eines pleuritischen Hier: schwindsüchtigen. – Anm.d.Hrsg. Fortepianos alle Arien aus der Euryanthe Romantische Oper (1823) von Carl Maria von Weber; das Werk ist wegen der Ungereimtheiten des Librettos von Helmina von Chézy einigermaßen berüchtigt. – Anm.d.Hrsg. zu singen. Ich denke mir, sie schwärmt für Geibel, Puttlitz Emanuel Geibel war ein beliebter Lyriker der Zeit, Gustav Gans zu Putlitz trat vor allem durch Bühnenwerke hervor, verfasste aber auch erzählende Texte. – Anm.d.Hrsg. und, wie ich trotz meiner Bescheidenheit annehmen muß, am meisten für Alfred Hellborn; wenn Du nun noch hinzunimmst eine kleine Sympathie für junge Geistliche, die schwesterlicher Neigung und gestickter Pantoffeln bedürfen, so meine ich, Du hast sie vor Dir stehen.«
»Aber sehr häßlich ist sie ganz gewiß!« fiel meine Frau ein.
»Ungeheuer, ganz ohne Zweifel,« stimmte ich bei.
»Und sie ist im Stande, vierzehn Tage hier zu bleiben.«
»O ein halbes Jahr, wenigstens – man wird sie gar nicht los werden können. Es wurde den Frauen immer so entsetzlich schwer, sich von mir loszureißen!«
»Uebermuth!« sagte meine Frau, indem sie mir einen leichten Schlag auf die Wange gab. »Aber wir müssen doch rasch etwas thun!«
»Das ist richtig. Ich will mich darüber besinnen, und es Dir bei Tische sagen. Bis dahin muß ich gehen und meine Erdbeerenbeete ausjäten. Auf Wiedersehen, mein Herz!«
Um hier eine Notiz über mich selbst – eine persönliche Bemerkung, wie der parlamentarische Ausdruck lautet, vorauszusenden, so darf ich annehmen, daß meine Gedichte dem geehrten Leser bekannt sind; entweder im Original oder durch die kritischen Journale, wenn mir hier auch zumeist das Schicksal widerfährt, in den Ueberschauartikeln, den sogenannten »Hinrichtungen,« mit einem Dutzend Concurrenten zugleich abgethan zu werben. Das hindert aber nicht, daß man täglich mein Autograph verlangt; ja, ich bilde mir sogar ein, daß ich ein hübsches Geschäft mit meinen Haaren hätte machen können, wenn ich sie wie das transatlantische Kabeltau in Endchen verschiedener Länge zum Verkauf geschnitten und meinen Verehrern in der Zeitung angekündigt hätte. Es ist recht vergnüglich, so berühmt zu sein. Es schmeichelt immer, wenn man bei feierlichen Gelegenheiten aufgefordert wird, die Festhymne zu schreiben, und noch mehr, wenn man hübsche junge Damen in Bädern oder auf den Dampfschiffen in seine Gedichte vertieft sieht.
Die Sache hat aber auch ihre Schattenseiten: es ist ein störender Gedanke, daß sich die Welt dafür interessirt, wie man die Nachtmütze aufsetzt, und mit athemloser Spannung zuhört, wenn Jemand ihr aus einander setzt, wie man sein Frühstück zu verzehren pflegt. Es ist leicht begreiflich, daß es Dinge gibt, die ein solcher Mensch, wie berühmt er auch sei, doch privatim abzuthun liebt – nachdem die Kerze der Publicität ausgeblasen ist und ohne daß das große Publicum durch's Schlüsselloch blickt. Und doch bin ich nie im Stande gewesen, Dinge dieser Art in vollständiger Gemüthsruhe abzumachen. Es gibt ein nervöses Bewußtsein, merkwürdig zu sein, welches einen berühmten Dichter sich zu Bett legen, aufstehen, die Hände waschen läßt, als wenn das ganze Publicum des Stadttheaters an der andern Seite des Waschtisches säße.
Und dann – vielleicht weil meine Gedichte so merkwürdig lebenswahr und darakteristisch sind – hat es mir nie gelingen wollen, die Leute zu überzeugen, daß ich nicht jede Zeile, die ich geschrieben, vollständig ernst gemeint habe. Ich bin keine »Verlassene Seele;« aber kann ich dem »Schmerzensschrei« eines solchen unglücklichen Wesens nicht einen poetischen Ausdruck geben, wenn ich Lust habe, ohne daß ich selbst damit identificirt werde? Reine Möglichkeit! Kann ich nicht in einen lyrischen Erguß die »Klage des invaliden Arbeiters« bringen? Unmöglich; denn wenn ich es thue, bringt die nächste Journalnotiz über mich die biographische Mittheilung, daß ich nach sicherem Vernehmen mich aus den traurigsten Lebensverhältnissen in die Höhe gearbeitet und ursprünglich ein jugendlicher Verkäufer von Gypsfiguren, betenden Knaben und mit dem Kopfe wackelnden Katzen gewesen, dessen Talente zufällig unter den folgenden höchst merkwürdigen Umständen zuerst entdeckt seien &c. Und dann gibt es keine hysterische junge Dame, die mich nicht verehrt als den Träger des erhabensten und himmlischsten Seelenschmerzes, wegen der rührenden Liebesseufzer, die ich, der glückliche Gatte und Vater, heuchlerischer Weise in Vers und Reim gebracht.
Alfred Hellborn! Unsterblicher Sänger! Ich weiß wahrhaftig nicht, ob ich Dich wegen dieses Deines Ruhmes ein unglückliches Geschöpf nennen soll oder nicht. Aber von allen übeln Folgen, die der Ruhm hat, kam sicherlich keine je an Schrecklichkeit der gegenwärtigen gleich. Ein Frauenzimmer, für dessen Raptus Dein Genius die volle Verantwortlichkeit trägt, kommt über Dich, will eine völlig unbestimmte Zeit lang bei Dir bleiben, und dabei fortwährend in der Stellung der Anbetung verharren!
Ich konnte vorgeben, meine Frau habe kein Fremdenzimmer leer! Aber was half das? Hatte ich nicht Schwarz auf Weiß drucken lassen:
Wie süß ist, schlafen in freier Luft,
Den Mondschein um Euch und Rosenduft!
Die junge Dame war deshalb vielleicht ganz gefaßt darauf, mich ohne landesübliche Roßhaarmatratzen und Plumeaus zu finden, auf irgend einer Gartenbank die Nächte zubringend. – Es konnte sein, daß meine Frau nicht ein Stück Kaffeekuchen in Hause hatte – eine Demüthigung, welche nebenbei gesagt, in Frau Hellborn's Vorstellung unter allen Bitterkeiten dieses irdischen Lebens ihres Gleichen nicht hat. Was verschlug das wieder:
Die Walderdbeere soll Nahrung uns sein,
Unser Tisch der bemooste Felsenstein!
Hatte ich das nicht selber geschrieben? Sicherlich, es gab kein Mittel, die junge Dame abzuschrecken!
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich meine Beete jätete. Es war beinahe Mittag, ich war bis zum dritten Beet gekommen, ohne den Entschluß zu einer entschlossenen That gefaßt zu haben.
Ich erhob mich, um mich von der schmerzlichen Ermüdung meines gebückten Rückens zu erholen, als ich Herrn Hellborn den jüngern, einen hoffnungsvollen jungen Mann, der die Ehre hat, mein Neffe zu sein, wahrnahm, wie er durch den Garten daherflanirt kam – er war auf mehrere Wochen zum Besuch bei mir, seiner Gesundheit wegen. Die Geschichte des jungen Menschen war eine traurige. Er hatte als der älteste Sohn reicher aber ehrlicher Eltern aus einer Umgebung des höchsten Luxus sich aufgeschwungen zu einer sehr ehrenhaften Stellung unter den gebildeten Männern der Gesellschaft. Durch eiserne Energie hatte er die Nachtheile und Hindernisse des Reichseins überwunden und war ein angestrengt arbeitender, eifriger, nützlicher Bursche geworden. Obwohl die Verhältnisse seiner Familie so waren, daß ich sie gekannt habe, genöthigt, von Austern und Gänseleberpasteten fast die ganze Woche hindurch sich zu ernähren, während ihre einzige Vorrichtung, sich vor der Kälte eines strengen Winters zu schützen, in einigen wenigen schwarzen, giftdunstigen Löchern im Parketboden ihres Salons bestand, war mein Neffe ein starker, gesunder und hübscher Bursche geworden. Ein auffallender Beweis, was männliche Entschlossenheit wider alle Hemmnisse des Schicksals auszurichten vermag!
In der letzten Zeit aber hatte eine schlimme Trübsal seine stille Seelenruhe überschattet. Er stand offenbar im Stadium jener kleinen Geistesstörung, jener Periode des Zahnens bei dem großgewordenen Kinde – der ersten Liebe. Und es erging ihm dabei sehr schlecht. Es griff in solchem Grade seinen Appetit und seinen Schlaf an, daß seine Eltern dachten, meine Landluft würde eine ersprießliche Veränderung für ihn sein, und so hatten sie ihn mir zuspedirt, mit der Aufgabe, ihn zu amüsiren, bis die Saison der Seebäder da sei, wohin er im hohen Sommer gehen sollte.
In dem Augenblick, wo ich meinen Neffen Arthur nun daherschlendern sah, kam mir ein Gedanke. Konnte nicht das Studium dieses interessanten zu erwartenden Frauenzimmers einen zerstreuenden Einfluß auf ihn ausüben? Konnte er nicht zu derselben Zeit mich von der mir bevorstehenden Prüfung befreien und für sich selbst durch die Analyse des Phänomens eine gesunde Beschäftigung gewinnen?
Einherwandelnd mit verschränkten Armen und einem Antlitz voll der anmuthigsten idyllischen Melancholie trat er an mich heran. Er nahm mich nicht eher wahr, als bis er auf meine besten Fruchtpflanzen getreten; dann sah er mich und fuhr zurück.
»Arthur,« sagte ich, »Du weißt vor Langeweile nicht zu bleiben in dieser ländlichen Stille, gesteh' es nur, mein Junge!«
»Die Wahrheit zu sagen,« versetzte er, »es ist richtig, ganz ungeheuer richtig.«
»Ich dachte es mir. Nun, es ist vollkommen natürlich. Deine ganze trübe Lebenslage erklärt es. Du erblickst ein auffallend hübsches Mädchen auf dem Musikfeste; sie erwidert Deinen geblendeten Blick mit einem kühnen Augenaufschlag, dem ein Erröthen folgt; Deine Seele badet sich in ihrem Anblick, bis der letzte Accord aus dem Tannhäuser dahinstirbt; jeder von Euch geht nun seines Weges; Ihr seht Euch nie wieder; aber ihr Bild ist unauslöschlich und der Schluß, daß Ihr für einander geschaffen seid, daß Eure Existenz durch einander bedingt ist, steht mathematisch fest. Landluft, frisches Gemüse, meine Gesellschaft, Vermeidung der Abendluft, es will alles nichts dagegen helfen. Ist dem nicht so?«
»Ganz genau, Oheim!«
»Deshalb gehe ich dazu über, ein neues Mittel vorzuschlagen. Ich habe entdeckt, was Dir hilft, bis Du wieder in die Stadt zurückkommst und Deine Nachforschungen nach der schönen Unbekannten wieder aufnehmen kannst. Du bedarfst einer kleinen Aufregung und die habe ich für Dich in Petto!«
»Laß hören, worin sie besteht!«
Ich nahm aus meiner Brusttasche das kleine Weihrauchpacket, den Brief von Fräulein Viola Schneider und gab ihn meinem Neffen zu lesen. Die Lectüre ergötzte ihn offenbar sehr und mit einem spöttischen Blick auf mich gab er mir das Blatt zurück.
»Natürlich,« fuhr ich fort, »bin ich in einiger Verlegenheit, mit welchem Gesicht ich solche Eröffnungen aufnehmen soll. Ich bin ein verheiratheter Mann, ein solider Hausvater, kühlen und ruhigen Geblüts in Angelegenheiten dieser Art. Ich bin allerdings ein Romantiker und mache Verse auf den Mondschein; hüte mich aber wohl, mir durch Abendspaziergänge im Mondlicht einen Rheumatismus zu holen; und was alle Arten von Geniestreichen angeht, so liegen sie längst hinter mir. Aber setzen den Fall, ich hätte einen Neffen, einen ziemlich hübsch aussehenden jungen Burschen, mit einer ausgebildeten Naturanlage für Geplapper mit jungen Mädchen und einem bewunderungswürdigen Talent für tolle Streiche. Setzen wir den Fall, er trüge denselben Namen wie ich, hätte einen Ansatz zu derselben intelligenten Stirn und hätte sich – in Folge von Ereignissen, welche wir hier nicht weiter erörtern wollen, denselben Blick romantischer Wehmuth angeeignet. Und kurz, setzen wir den Fall, er hätte es sich in den Kopf gesetzt, sich für seinen Onkel auszugeben, sich die Lyra dieses begabten Mannes zu borgen und für ein paar Tage in den Augen einer reizenden Bewundererin den Poeten zu spielen … nun, was meinst Du zu der Voraussetzung?«
»Ein ganz famoser Spaß! Du brauchtest nicht viel Ueberredungskunst aufzuwenden …«
»Du willst also?«
»Meinethalben!«
»Die Hand darauf!«
»Hier ist meine Hand. Wann kommt Sie?«
»Wie Du gelesen hast, mit dem Fünfuhrzug, nächsten Montag Nachmittag. Deine Tante und ich wollen mit Dir nach der Station fahren, um sie kommen zu sehen. Spiele Deine Rolle gut, und es müßte seltsam zugehen, wenn wir nicht einen ganz merkwürdigen Spaß erlebten.«
Wir verließen den Garten, er mit einem um Vieles leichteren Schritt, ich, um meine Frau in den Plan einzuweihen. Sie hatte genug von einem Schalk, um ihn vortrefflich zu finden und versprach jetzt, für unsern schwärmerischen Gast das beste Zimmer herzurichten.
Arthur begann die Inscenirung unserer kleinen Komödie mit einem ganz merkwürdigen Eifer. Er hatte nie in seinem Leben, in seinen alllerschwächsten Stunden nicht sich einfallen lassen, auch nur ein Sonett zu schreiben; deshalb klammerte er sich, um die Poetenrolle spielen zu können, an die Octavausgabe meiner Gedichte, bis er die schönsten Stellen ohne allen Anstand flüssig hersagen konnte. Er gewöhnte sein Haar daran, in der Mitte gescheitelt zu werden, warf die Halsbinde ab, schlug den Hemdkragen um und spielte den Zerstreuten, wenn er die Theetasse annehmen sollte. Es gelang ihm vortrefflich.
Am Montag Nachmittag begleiteten meine Gattin und ich ihn in meinem Wägelchen zur Eisenbahn. Nachdem wir die Pferde der Hut meines kleinen Grooms übergeben, stellten wir uns auf dem Perron auf. Wir hatten nicht die Pein langer Erwartung. Der Zug kam herangebraust, wurde gebremst, und begann nun seinen bunten Inhalt an Männern, Frauen, Kindern, Pappschachteln und Reisetaschen auszuspeien, die hier bleiben sollten. Aber umsonst durchspähte ich die Gruppen nach einem Wesen, das meiner Vorstellung von Viola Schneider entsprechen konnte. Es tauchten allerdings Brillen auf, aber sie sahen gar nicht aus, als ob sie nach einem Poeten ausschauten; auch waren ältliche junge Damen da, mit einem mehr oder minder melancholischen Ton in der Stimme; aber dieser Ton verlautbarte sich lediglich in allerlei Aeußerungen der Fürsorge für ihre Schachteln und Koffer; nach dem Wege zu Herrn Hellborn fragte keine.
Ich wollte mich gerade zu Arthur und meiner Frau wenden mit der Bemerkung: es sieht aus wie eine Fopperei, als eine frische kindliche Stimme dicht hinter mir die Frage aussprach:
»Können Sie mir nicht sagen, welchen Weg ich nach dem Hause des Dichters Hellborn einschlagen muß?«
»Pst!« flüsterte ich hastig, indem ich Arthur mit dem Ellenbogen anstieß, »jetzt gilts!«
»Ich bin Hellborn, mein Fräulein!« sagte der junge Mann ohne Zögern, indem er sich zu der kleinen verschleierten Gestalt wandte, welche die Frage geäußert hatte.
»Darf ich annehmen, daß ich mit meiner schönen Correspondentin rede?«
Das weibliche Wesen vor uns warf ihren Schleier mit einer schmalen Hand zurück, welche vor Aufregung zitterte; und das Gesicht, welches sie dabei enthüllte, war nichts weniger als das einer Gorgo oder einer alten Sphinx, sondern das eines etwa achtzehnjährigen sehr, wirklich sehr hübschen Mädchens, das bis unter die Haarwurzeln erröthete und offenbar im Zustande einer höchst peinlichen, aber auch höchst anmuthigen Verlegenheit war.
Aber was ist Hellborn junior denn in diesem Augenblick in die Krone gefahren? Was in aller Welt hat die kleine schüchterne Sylphide an sich, um einen jungen Mann vor allen Leuten so außer Fassung zu bringen – so ganz und gar, daß er alle Farbe verliert und sich wie krampfhaft an meinen Arm anklammert?
»Das ist sie – das ist sie!« flüstert er mir in's Ohr – »sie ist die Dame, die ich auf dem Gesangfest sah!«
Na wer hätte das ahnen können! Für den ersten Augenblick dachte ich nur daran, daß diese plötzliche Entdeckung ihm allen Muth nehmen würde zur Ausführung unseres Planes – daß er die prächtige Gelegenheit, die ihm geboten, sich durch die Finger würde schlüpfen lassen. Aber nein, er übertraf bald meine kühnsten Hoffnungen. Wie im Augenblick überschauend, welche Vortheile darin lagen, wenn er aus einem poetischen Nimbus heraus den Hof machen könne, gewann er seine ganze Selbstbeherrschung wieder und ergriff die Hand von Fräulein Viola Schneider.
»Erlauben Sie mir,« nahm er das Wort, »Sie zu meinem Wagen zu führen, mein holdes Fräulein – es ist nur das bescheidene Fahrzeug eines anspruchlosen Poeten, aber es wird geweiht, wenn es Ihnen dient!«
Die Beiden gingen voran, meine Frau und ich dicht hinter ihnen; und dabei warfen wir gegenseitig uns sehr verwunderte Blicke von der Seite zu.
»Sie ist nicht ganz so häßlich, wie Du behauptet hast, Madame Hellborn!« sagte ich leise.
»Noch eine so lange dünne Person im reiferen Mannesalter, wie Du sie Dir vorstelltest,« entgegnete lächelnd meine Frau.
Wir mußten Beide bekennen, das Bild, welches wir uns von ihr gemacht, war unrichtig. Sie war ein Mädchen, wie gesagt, von ungefähr achtzehn Jahren mit großen träumerischen braunen Augen, in denen eine eigenthümliche Sanftmuth lag; ein höchst anziehendes Gesichtchen, das eure eigenen Gedanken widerspiegelte, wenn man ernsthaft zu ihr sprach – und wer hätte anders zu einem solchen Wesen sprechen mögen? Und ihre elfenhafte Figur war just eine solche, die man nicht im Mindesten verwundert sein würde, in irgend einer tiefen Waldeinsamkeit anzutreffen, über die Spitzen der Gräser und Blumen einherschreitend, ohne sie niederzubeugen, Thau schlürfend und von den Bienen sich Feenmärchen erzählen lassend.
Arthur hob das junge Mädchen in unser Gefährt, schwang sich auf den Vorderplatz neben sie, und nachdem seine Tante und ich hinten aufgestiegen waren, wandte er sich mit einer ganz merkwürdigen Gleichmüthigkeit zu uns um und sagte lächelnd:
»Fräulein Schneider, erlauben Sie mir, Sie mit einem Onkel und einer Tante von mir bekannt zu machen, die Beide das Unglück haben, taubstumm geboren zu sein. Sie waren lange Zeit in der Taubstummenanstalt des Doctors Hartwich in M» wo sie einander zuerst kennen lernten. Zum guten Glück haben sie ihren traurigen Naturfehler in so weit überwunden, daß sie Alles verstehen, was Sie ihnen sagen, dadurch daß sie Ihre Lippen beobachten … sie sind aber leider ganz unfähig, zu –«
Der abscheuliche durchtriebene Spitzbube. Ich wußte, was er im Begriff war zu sagen: zu sprechen, wollte er sagen. Meine Frau und ich sahen einander erschrocken an, in der Ahnung des fürchterlichen Bannes, der, weiß der Himmel für wie lange, auf unsere Zunge gelegt werden sollte, und deshalb ergriff ich Arthur am Arm, schüttelte ihn und, nach einem Taschenbuch greifend, schrieb ich rasch hinein:
»Um's Himmelswillen, sag' wenigstens, daß wir ein wenig sprechen können, wenn auch unzusammenhängend.«
Der Schelm sah uns mit einem spöttischen Lächeln an und schrieb unter meine Worte:
»Wenn sie nun alt und häßlich gewesen wäre – wer würde dann das Vergnügen gehabt haben? Ich denke, für das Risico, das ich auf mich genommen habe, können wir uns etwas aufrechnen!«
Meine Frau und ich saßen im wörtlichsten Sinne stumm da. Arthur schlug auf die Pferde, und sich wieder an seine Nachbarin wendend, vollendete er seinen Satz: »sie sind vollständig unfähig, einen articulirten Ton zu äußern,« und das junge Mädchen schüttelte uns Beiden die Hand, über die Rückenlehne ihres Sitzes hin, mit einem Gesichte voll kindlichen Mitleids.
»Die armen, armen Leute,« sagte sie zu dem vermaledeiten Schalk. »Und sie sehen doch so freundlich und so intelligent aus. Die Dame hat ein hübsches Gesicht und der Herr ein sehr gesundes und belebtes Antlitz, obwohl ich ihn freilich nicht für einen nahen Verwandten eines Dichter gehalten hätte!«
»Weshalb nicht, meine hübsche Freundin?«
Viola erröthete.
»Ich sollte es nicht sagen, wenn der arme Mann Ihr Onkel ist; aber seine Physiognomie hat etwas so Prosaisches … hat er jemals etwas von Ihren wundervollen Gedichten gelesen?«
»Ich will ihn fragen. Onkel, haben Sie jemals etwas von meinen wundervollen Gedichten gelesen?«
Ich war schon wüthend genug auf ihn, und dies Letzte wurde gesagt mit einer solchen heuchlerischen Accomodation an meine vorgebliche Naturschwäche, daß ich fühlte, wie ich ganz roth im Gesichte ward; ich machte eine beleidigende Gesticulation des Abscheu's, indem ich auf den Schmutz unter unsern Wagenrädern deutete.
»Er sagt, Fräulein Schneider, daß er es nie gethan und sie für ganz unnützes schlechtes Zeug hält.«
»Oh, das ist ja ein Ungeheuer! Wie gutmüthig sind Sie, daß Sie ihn bei sich haben!«
»Das fühlt er auch wohl. Nicht wahr, Onkel?«
Glücklicher Weise lenkte das Fräulein die Unterhaltung bald auf etwas Anderes.
»Wissen Sie, Herr Hellborn,« sagte das junge Mädchen zu meinem Neffen, »daß in gewisser Beziehung Sie für mich … ich weiß kaum, wie ich es ausdrücken soll etwas wie eine Ueberraschung für mich sind!«
»Eine unangenehme doch nicht?«
»Nein, oh nein, das nicht. Aber als ich heute im Eisenbahnwaggon saß, dachte ich darüber nach, was für einen auffallenden Schritt ich mache. Sie müssen es nicht weiter sagen, aber mein Vormund weiß Nichts davon, daß ich zu Ihnen gereist bin. Ich stehe mit meinem Vormund nicht auf dem besten Fuße – aber man hat solch einen gestrengen Herrn nun einmal nöthig, wenn man weiter keine nahen Angehörigen besitzt. Ich dachte also darüber nach, was die Leute sagen würden, wenn sie wüßten, daß ich durchgegangen oder besser just eben im Durchgehen begriffen sei. Und dann sagte ich mir, vielleicht ist der Dichter Hellborn am Ende ganz ein Mensch wie alle anderen; ganz so z. B. wie der dicke Herr mit der Flaschennase da hinten in der Ecke; vielleicht hat er einen rechten Drachen von Frau, die mich unverschämt und weiß der Himmel, was sonst noch nennt, weil ich komme, um zu sehen, wie ein Dichter aussieht, ohne daß ich eingeladen bin. Vielleicht empfängt er mich äußerst kühl und zugeknöpft, und sie bittet mich nicht einmal, abzulegen und mich zu setzen. Von dieser Seite hatte ich die Sache früher noch gar nicht betrachtet und ich kam plötzlich in die größte Gemüthsbewegung darüber … ich entschloß mich fast, gar nicht zu fragen, wo Sie wohnten, und an der Station zu warten, bis der nächste Zug zurückfahre, um mich mit ihm wieder nach Hause zu machen. Und nun ist mir so außerordentlich leicht und fröhlich zu Muthe, da Sie gar nicht so sind, wie ich fürchtete, sondern in jeder Beziehung ganz wie ich hoffte, daß Sie sein würden – ausgenommen …«
»Ausgenommen was, mein Fräulein?«
Das junge Mädchen erröthete auf's Tiefste, als sie zögernd antwortete:
»Ausgenommen, daß Sie viel jünger sind und viel besser aussehen, als Ihr Porträt. – Sie gleichen dem Porträt, welches von Ihnen herausgekommen ist, nicht im Mindesten!«
Dies war sehr schmeichelhaft anzuhören für den taubstummen Mann auf der hinteren Bank. In der That blickte mein treues Weib mich mit einem Ausdruck von Entrüstung an, die sich nur mit Mühe sprachlos erhielt. Das in Rede stehende Porträt war angefertigt vor etwa zwanzig Jahren, unmittelbar nach meiner Verheirathung: es gab höchst treu meine Züge wieder, gerade so wie ich aussah, als meine geliebte Gattin vor meiner Liebenswürdigkeit die Flagge gestrichen hatte. Ein berühmtes Mitglied der Münchener Akademie hatte es gemalt und sich eine Ehre daraus gemacht. Ich hatte sechs frisch aufgeblühte Rosen daran gewendet, die ich im Knopfloch trug, bei jeder Sitzung eine neue. Jede Locke war kunstvoll und sorgsam in der gehörigen pittoresken Anordnung gekräuselt und mit echter Bärenfettpomade festgehalten. Und nun anhören zu müssen, wie hinter meinem Rücken einem jungen Stutzer, der sein Haar an den Schläfen glatt festpflastert und einen Backenbart wie einen Rollkuchen trägt, zugeflüstert wird, er sehe viel jünger und besser aus! O Zeiten, o Sitten! – –
Natürlicher Weise befanden sich Frau Hellborn und ich in der allerheitersten Stimmung, als unser Gefährt durch das Thor meines Landhauses rollte. Zur offenbaren Verwunderung meiner poesiebegeisterten Verehrerin, oder vielmehr Verehrerin meines Neffen, fand sie diese ländliche Einsamkeit nicht gerade im Zustande absolut romantischer Verwilderung, sondern als einen Landsitz, wie es ihrer viele gibt, mit Kieswegen, Rosenstöcken, Blumenparterres und einem kleinen, einen ganz verkünstelten Zustand der Gesellschaft andeutenden Treibhaus. Sie selbst wurde untergebracht in einem sehr civilisirten und niedlichen Schlafzimmerchen, und während sie hier der Herstellung ihrer durch die Reise in Unordnung gerathenen Toilette oblag, benutzten Frau Hellborn und ich die Gelegenheit, am andern Ende des Hauses unsere Ansicht über das Betragen des Herrn Hellborn junior in einer sehr wenig taubstummen Art und Weise auszutauschen und sie ihm persönlich unter die Nase zu reiben.
Hellborn junior aber hielt eine sehr lebhafte Vertheidigungsrede.
»Finden Sie sich doch nur ganz kurze Zeit in die bequeme Rolle,« sagte er; »ich selbst verliere allein dabei, wenn ich die sanften und freundlichen Töne aus dem Munde meiner liebenswürdigen Tante und die begeisterten Gedanken meines Onkels nicht höre; aber denken Sie, was Sie dabei gewinnen. Darauf können Sie sich verlassen, die junge Dame, welche jetzt dem Fräulein Viola Schneider das Haar frisch aufbindet, ist nach kurzer Zeit Madame Hellborn junior; nun können Sie gegenwärtig sein bei allen den pikanten Scenen unserer Courmacherei, und Sie, mein lyrischer Ohm, welchen Genuß werden Sie haben, die allmälige Entwicklung eines kleinen Drama's auf der Grundlage dieses Scherzes zu beobachten, das Sie nur niederzuschreiben brauchen, um allen ihren früheren Ruhm zu verdunkeln. Stellen Sie sich's nur vor – und welche prächtigen Titel lassen sich dafür erfinden: ›Die süße Täuschung, Dithyrambe eines Taubstummen‹ oder: ›Der falsche Hellborn und seine Heirath mit einem musentollen Fräulein‹ …«
»Du bist ein wahrer Spitzbube!« unterbrach ich ihn.
»Sie können es in jede beliebige Form gießen,« fuhr er fort, ohne sich stören zu lassen: »in ein fünfactiges Lustspiel; in eine poetische Erzählung in zehn Gesängen in dem Ton von Byron's Don Juan; oder zarter, schwärmerischer, à la Amaranth Romantischen Epos (1849) von Oskar von Redwitz. – Anm.d.Hrsg. …«
»Frau,« sagte ich, »der junge Schlingel wagt es, mich ganz unverschämt aufzuziehen aber im Grunde hat er nicht unrecht, ich hätte Lust, mich in die Rolle, welche er uns aufoctroyiren will, zu ergeben …«
»Du hast gut reden,« versetzte meine noch immer unversöhnte Frau – »Du weißt Dich zu entschädigen, wenn Du jetzt den Mund hältst, und später Gedichte daraus machst; ich bin aber weiter nichts als eine Frau und kein Poet, meine Zunge will sich Bewegung machen, ich habe mich nicht darauf eingeübt, auf das Stummsein!«
Trotz dieses Protestes mußte aber meine kleine Hausfrau am Ende doch den ungestümen Bitten des verliebten jungen Neffen nachgeben, der sich nun einmal in den Kopf gesetzt zu haben schien, es hänge sein Glück davon ab, daß die Sache so bleibe, wie er sie geordnet hatte!
Die Dinge nahmen den angenehmsten Verlauf. Meine gute Frau und ich selber wurden beim fortwährenden Anblick eines immer inniger werdenden Liebeshandels mit all dem Duft und Sonnenlicht, das ihn wie ein ewiges Frühlingsblühen zu umgeben schien, aus den kühlen gemäßigten Ehegefühlen, die uns allmälig zu umdämmern begonnen, wieder herausgerissen und selber wieder jung dabei.
Viola war wirklich ein unbeschreiblich liebenswürdiges Geschöpf; in ihrem Wesen war Nichts von dem Ueberschwänglichen, Gezierten, Verschrobenen, was in ihrem Briefe gelegen; oder, wenn der Enthusiasmus, der sich darin aussprach, wirklich ihr eigen war, so erschien er jetzt, wo wir sie kannten, nicht überschwänglich mehr. Es war auch auffallend, wie sie eigentlich sehr wenig auf meine Gedichte zurückkam und selten davon redete; wenn sie sie auswendig konnte, so zeigte sie es wenigstens nicht, denn ich hörte nie, daß sie eine Stelle daraus citirte. Vom Wesen eines Blaustrumpfs hatte sie nicht das Mindeste an sich; ihre Natur war eine völlig andere. Es war nichts Berechnetes, nichts von Ansprüchen in ihr. Sie hatte allen Reiz des völlig Unbewußten, und gab sich ganz ihren Impulsen hin: aber sie gerieth nie in Verlegenheit, wie es die meisten Charaktere dieser Art fünfzig mal im Tage thun; denn so sehr sie ihren Einfällen nachgab, es war Nichts dabei, worüber sie hätte erröthen und verlegen werden können.
Ich dankte aber doch dem Himmel, daß er sie wie eine frisch aus dem Schaum geborene Göttin an unsere poetischen Küsten geworfen. Es waren gewiß wenig Stellen in der Welt, wo sie besser verstanden werden konnte: anderswo würde sie bei anstandsvollen Individuen aus den respectablen Sphären des Philisterthums »schrecklich« gefunden worden sein, und höchstens hätte man sie achselzuckend ertragen – man hätte mit Kopfschütteln Nachsicht gegen sie geübt – bei uns war viel eher, ihrem anmuthigen Wesen gegenüber, das Gefühl da, daß wir mit unserer Unfrische und Trockenheit die seien, welche der Nachsicht bedürften!
In den Nachmittagsstunden eines schönen verschleierten träumerischen Tages saßen die beiden jungen Leute zusammen auf dem Rasen zwischen den mächtigen Wurzeln meiner Lieblingsulme, plaudernd, scherzend, sich neckend und darüber die Welt um sich her vergessend, wie gewöhnlich, während meine Frau und ich, – mit dem angeblichen Amusement von Stricken und Lesen beschäftigt – auf einer unfern daneben angebrachten Bank saßen. Nach einer Weile hörte ich Viola sagen:
»Sie müssen mir einen Gefallen thun, Herr Hellborn, Sie müssen mit einen Vers aus dem Stegreif machen!« Bei diesen Worten begegnete sich mein Blick mit dem meines Neffen, der einen höchst komischen Schrecken ausdrückte. Ich stieß einige maliciöse Gurgeltöne aus, und nahm dann den Anschein an, als entführen sie mir vor Entzücken über eine Stelle in »Schleiermacher's Reden,« Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. 1799. Bedeutendes, wenn auch umstrittenes religionsphilosophisches Werk aus der Epoche der deutschen Frühromantik. – Anm.d.Hrsg. die ich just vor mir hatte.
Arthur warf einen bittenden Blick auf mich und antwortete mit einer verzweiflungsvollen Heiterkeit:
»Lieben Sie denn Stegreifdichtungen? Ich meine, es sind doch gewöhnlich die flachsten Fadheiten, welche man erdenken kann. Ich weiß die Zeit nicht mehr, wo ich eine gemacht habe.«
»Aber versuchen Sie es jetzt, nur ein einziges Mal,« versetzte Viola. »Ich las eine Notiz vor längerer Zeit in einem Journal, ich glaube, es war die Novellenzeitung, worin gesagt wurde, Sie hätten eine merkwürdige Stärke darin, so daß Sie nur von den italienischen Improvisatoren übertroffen würden. Kommen Sie – ich will es aufschreiben, damit ich Sie immer daran erinnern kann!«
Und das junge Mädchen zog ein Notizbuch, so groß wie ein Visitenkartentäschchen, und einen Stift wie eine Stecknadel hervor.
Arthur holte tief Athem, und dann, mit einem plötzlichen Entschluß, für das schreckliche Risico, worauf er seine Lorbeeren setzte, auch möglichst viel zu gewinnen, sagte er:
»Nun wohl, ich will es auf eine Bedingung hin thun; Sie sollen mir eine Gunst gewähren und zwar vorher … ich würde sie doch früher oder später ohne Erlaubniß mir haben nehmen müssen, denn sie wird mir mit jeder Minute unentbehrlicher. Sie müssen mir … einen ihrer süßesten Küsse geben!«
Das junge Mädchen erröthete bis unter die Haarwurzeln, warf einen scheuen Seitenblick auf mich und meine Frau, sah uns offenbar mit großer Befriedigung ganz außerordentlich beschäftigt und erinnerte sich zu ihrer Beruhigung, daß wir taubstumm seien; dann machte sie den bezauberndsten kleinen Mund, und sagte, zu Arthur aufblickend, mit ihren Augen höchst vernehmlich: »Nun wohl, wenn Sie denn nun einmal durchaus müssen …«
Der junge Mann hatte diese rasche Bereitwilligkeit offenbar nicht erwartet; er hatte wohl nie so direct und unumwunden um einen Kuß gebeten und ihn nie so unbefangen und offenherzig zugestanden erhalten. Aber er fand sich sehr gut in diese neue Phase eines Frauencharakters. Und als seine Lippen sich auf die Viola's senkten, wie eine Biene sich in den Kelch einer Waldblume stürzt – da war ich, über den Rand meiner Brille fortspähend, neugierig, ob er jetzt noch wohl an seine Improvisation denke. Er versicherte mich später, daß der störende Gedanke daran in jenem Augenblick vollständig aus seinem Gemüthe verschwunden gewesen!
Wenn das der Fall und wenn er die Zögerung nicht benutzte, sich ein wenig vorzubereiten, so muß ich gestehen, daß der kleine Gott Cupido ihn auf merkwürdige Weise begeisterte; denn vorher hätte ich ihn nie für fähig gehalten, aus dem Gleichklang der Worte Sonne und Wonne, oder Liebe und Triebe auch nur den geringsten Nutzen zu ziehen.
»Und nun meinen Vers,« sagte Viola, »er muß aber sehr schön sein, denn Sie unartiger Poet haben mir den Strauß an meiner Brust ganz zerdrückt.«
Mit einem verzweiflungsvollen Enthusiasmus, der jedoch gegen das Ende seiner Declamation hin immer kühler wurde und den Spuren geistiger Anstrengung wich, begann Arthur:
Die Rosen sagen, die ich Dir gebrochen, – –
Mehr als mein Mund vermöcht' in vielen Wochen.
Sie brachen – – welkten – – berührt von meinem Herzen;
Es muß anstecken wohl mit seinen Schmerzen!
Viola klatschte mit den Händen.
»Also so improvisirt man?« sagte sie. »Es ist sehr spaßhaft. Aber es ist hübsch. Ist es eines von Ihren besten?«
»Besser als etwas, was ich jemals gemacht habe. Besser als eines meiner gedruckten Gedichte!«
Arthur blickte zu mir herüber mit einem triumphirenden Blick, der meinen Sarkasmus zu Boden schlug. Ich stieß diesmal keine Gutturaltöne aus; aber meine Frau that es, in einer zustimmenden, ihre Befriedigung ausdrückenden Weise, wie Frauen sich eben befriedigt fühlen, wenn sie eine Angelegenheit dieser Art auf dem rechten gewiesenen Wege sehen.
Viola schrieb sich den Vers auf, und Arthur auch; er hat seitdem Gedichte in Journale und den Musenalmanach geliefert, ein auffallendes Beispiel, wie schlummernde Talente plötzlich durch ein hübsches, verliebtes, junges Mädchen aufgeweckt werden können!
Am Tage darauf ward ein kleiner Ausflug in ein von meiner ländlichen Besitzung nicht fernes anmuthiges Gebirgsthal unternommen. Wir mußten dazu auf die Eisenbahnstation fahren, um eine Station weit den nächsten Zug zu benutzen. Als wir von dem Ausflug zurückgekommen waren, und den Zug verlassen hatten, blieben wir eine Weile stehen, die herausströmenden Passagiere zu betrachten – für uns Leute vom Lande war dies immer ein fesselndes Vergnügen. Unter denen, welche die Waggons verließen, bemerkte ich einen langen, dünnen Burschen mit einem Pack Anschlagzettel unter dem Arme, und einem sehr klebrigen Topf mit Kleister in der Hand. Viola und Arthur waren durch die Menge von uns, meiner Frau und mir, getrennt und bemerkten ihn nicht. Wir sahen ihm zu, wie er an einer der Ecken des Stationsgebäudes eines seiner Blätter anzukleben begann.
»Vielleicht wird eine Thierbude angekündigt,« sagte meine Frau. »Die Kinder, welche nächste Woche aus dem Institute kommen, werden ihre Freude an den Affen haben – wir müssen mit ihnen hierher fahren.«
Es war aber gar keine Rede von einer Thierbude; auch nicht im Mindesten von Affen … mit überaus bestürzten Mienen sahen wir uns an, als wir entdeckten, daß es etwas durchaus Anderes war!
Ich ließ meine Frau neben dem Placat stehen und lief, meinen Neffen zu suchen. Nach einigen Grimassen, mit denen ich eine Entschuldigung gegen Viola auszudrücken suchte, die sie sich interpretiren mochte, so gut sie konnte, zog ich ihn bei Seite und flüsterte ihm zu, er möge augenblicklich seine Tante aufsuchen, und unterdeß nahm ich die junge Dame unter meinen Schutz, während er davon eilte.
Als er neben seiner Tante angekommen war, las er – mit welchen Gefühlen, mag der Leser sich selbst ausdenken – die folgende Bekanntmachung:
» Hundert Thaler Belohnung.
Die obige Summe wird als Belohnung für Denjenigen ausgesetzt, der sichere Anzeigen geben kann, welche auf die Spur einer jungen Dame Namens Viola Schneider führen, die am vorigen Montag, den 17. dieses Monats, das Haus ihres Vormunds in R. verließ und seit diesem Augenblick verschwunden ist.«
Hierauf folgte die Personalbeschreibung nebst Angaben ihrer Kleidung. Dann wurde hinzugesetzt, daß um die Zeit ihrer Entfernung sie die Absicht gehabt habe, ihre Tante, gleichen Namens mit ihr, in V. zu besuchen, daß sie jedoch bei dieser nicht angekommen sei. Unterschrieben war der Zettel: Valentin Breßler, Rentner zu R.
»Nun, wag sagst Du dazu?!« fragte meine Frau, als Arthur gelesen hatte.
Die einzige Meinung, welche Arthur zu äußern wagte, war die, daß dies eine höchst merkwürdige Geschichte sei.
Seine Tante stimmte ihm darin vollkommen bei.
»Und was willst Du jetzt thun?« fuhr sie fort.
»Ihrem Vormund die gewünschten Nachrichten geben und die hundert Thaler in Anspruch nehmen. Diesen Betrag will ich dazu verwenden, Ihnen einen schönen Zobelpelz für nächste Weihnachten zu kaufen, zur Belohnung, daß Sie so hübsch die Dumme, Taube, Stumme gespielt haben!«
»Du willst also zurücktreten …«
»Warten Sie nur bis morgen früh,« liebe Tante, »um zu sehen, wie ich zurücktreten werde …« und jetzt ergriff der junge Mann den Burschen mit den Zetteln an der Schulter.
»Ihr braucht mit der Eisenbahn nicht weiter zu fahren,« sagte er. »Macht nur, daß Ihr mit dem nächsten Zuge wieder nach R. kommt und meldet dem Herrn Breßler, er solle mich morgen um Mittag hier auf dieser Station treffen – mein Name ist für's Erste nicht nöthig – ich will ihm die Nachricht geben, die er begehrt.«
Der Bursche starrte den jungen Mann an, als ob er glaube, man wolle ihn zum Besten haben – aber Arthur zog ruhig den Pack Zetteln ihm unter dem Arme fort und ließ ihm dadurch keine Wahl, bezahlte ihn dafür nach der Taxe von zwei Pfennig das Stück, und sagte: »Geht und vergeßt Euren Auftrag nicht!« Dann riß er den noch nassen Anschlag von der Mauer herab und kehrte mit seiner Tante zu mir zurück.
Am selben Abende saßen wir zusammen nach dem Thee an einem offenen, auf die Veranda hinausgehenden Fenster. Arthur und Viola hatten sich auf einer kleinen gepolsterten Bank ohne Rückenlehne niedergelassen; es war ihr Lieblingssitz, denn die Bank ohne Lehne gewährte Arthur den hübschesten Vorwand, die Taille des jungen Mädchens mit seinem Arme zu stützen. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und blickte ihm entzückt in's Gesicht, während er eines von meinen Gedichten recitirte. Er that dies heute, glaube ich, zum ersten Male; denn da sie es bisher nicht übermäßig dringend verlangt, hatte er sich damit auch nicht angestrengt. Als er zu Ende war, sagte er mit einem ernsten Tone der Stimme:
»Sagen Sie mir einmal, Viola, ganz aufrichtig, als Sie abreis'ten, um hierher zu gehen, was fühlten Sie da für den als A. Hellborn bekannten Dichter – schildern Sie mir genau, was Sie empfanden, wenn Sie es vermögen!«
Sie dachte einen Augenblick nach, dann sagte sie:
»Es war große Bewunderung – Ehrfurcht vor Ihrem Geiste.«
»Sie würden also gerade eben so gut hierher gekommen sein, wenn Sie von mir gewußt hätten, ich sei ein Familienvater, ein alter längst verheiratheter Mann?«
Ich konnte wahrnehmen, daß Viola die in diesen Worten liegende Andeutung wohl verstand, denn trotz des Mondscheins bemerkte ich, daß ihr Gesicht plötzlich purpurroth wurde, und mit einer Bewegung wie des verwundeten Stolzes, oder als ob sie ein getäuschtes Vertrauen wieder entziehen wollte, nahm sie ihre Hand von der Schulter des jungen Mannes fort und sagte etwas gereizt:
»Ich kam hierher, um den Dichter kennen zu lernen, mir fiel nicht ein zu denken, daß er ein junger Mann sei!«
»Zürnen Sie mir nicht … weshalb ich so fragte, werden Sie sogleich begreifen. Sie sind jetzt eine Reihe von Tagen hier gewesen … als Ihr Brief kam, machte ich mich darauf gefaßt, einen – nun einen rechten Blaustrumpf empfangen zu müssen … aber, Viola, jeder Tag, den Sie hier zubrachten, hat mich unauflöslicher an Sie gefesselt … Sie sind mir lieber geworden als aller Ruhm, den ich erwerben könnte, wenn ich ein Homer wäre. Und nun sagen Sie mir offen, aus Ihrem tiefen, treuen Frauenherzen – ist irgend Etwas wie ein solcher Wechsel des Gefühls auch in Ihnen vorgegangen … sind Sie mir auch ein wenig gut? Lieben Sie mich?«
Sie wechselte wieder die Farbe, sie wurde so blaß wie das Mondlicht, welches die beiden jungen Leute übersilberte, und ihre Lippe zitterte, als sie nach einigen Augenblicken hervorstotterte:
»Es ist Alles wie ein langer schöner Traum gewesen … aber ich erwache jetzt daraus – ich weiß, was es ist … was mir das Herz schwillt … ich liebe Sie von ganzer Seele!«
Ich überwand mich noch zu rechter Zeit, um nicht ein fröhliches, lautes Hurrah! auszustoßen. Sie hätten es aber wahrscheinlich doch nicht gehört, oder irgend etwas Anderes, außer dem Schlage ihrer eigenen Herzen, die jetzt dicht aneinander schlugen in dem Rausche der ersten Liebesumarmung.
Arthur sprach zuerst wieder:
»Und Sie sind sicher, Viola, ganz sicher, daß es nicht Bewunderung für meine Talente ist, weshalb Sie mich lieben?«
»Wenn Sie auch nie eine Sylbe geschrieben hätten – wenn Sie die Poesie haßten – wenn Sie so unbekannt – und talentlos wären wie Ihr armer Onkel – so würde ich Sie gerade eben so sehr lieben!«
»Ich danke Dir, liebe, liebe Viola,« rief Arthur entzückt aus. »Und nun darf ich wagen, Dir ein Geständniß zu machen. Vergib mir, wenn Du es kannst – aber was Du eben voraussetztest – sieh, das ist leider eine unbestreitbare Thatsache. Ich bin nicht der Hellborn, der ein Dichter ist, ich bin auch nicht klein Bischen berühmt – ich bin Nichts, als ein junger Mann, der von ganzer Seele Dein ist – Viola, kannst Du mich dennoch lieben?«
»Wie – was in der Welt wollen Sie damit sagen?«
»Daß ich eine Maske getragen habe, mein Liebchen, so lange wie Du hier gewesen bist – ich habe Dich glauben machen, daß ich der Dichter sei, nur weil ich fürchtete, daß Du sonst nie, nie an mich denken, Dich nicht um mich kümmern, nie mich lieben würdest. Denn wie würdest Du, versunken in das Anschauen des unsterblichen, glorreichen Onkels, den obscuren Neffen beachtet haben? Es war freilich abscheulich, solch einen Betrug zu spielen; aber stelle Dir auch vor, welche Versuchung es war, wenn ich mir sagen durfte, daß ich so das Glück eines ganzen Lebens erringen könnte!«
»Ich bin starr vor Verwunderung,« rief Viola aus – »wer ist denn der Dichter?«
»Der Dichter ist mein Onkel Hellborn, der gerade hinter uns auf dem Divan sitzt …«
»Der Taubstumme … so ist er gar nicht taub und stumm …?«
»Nicht im allermindesten und eben so wenig meine Tante! Können Sie mir vergeben, Viola? Sprechen Sie?«
»Sie sind aber doch ein ganz abscheulicher, ganz gränzenlos unverschämter Mensch,« rief sie jetzt aus. »Sie falscher Diamant, Sie unechte Glasperle, Sie … ich bin so böse auf Sie, daß ich gar nicht reden kann!«
»Viola« sagte Arthur mit einem flehentlichen, rührenden Tone … »es ist wirklich so wie ich fürchtete! Ich habe freilich zu viel gesündigt, um Vergebung hoffen dürfen. Ich bin Ihrer nicht würdig – ich muß mein ganzes übriges Leben hindurch die thörichte Verwegenheit bereuen, durch welche ich Sie verloren habe … ich will Sie verlassen … gleich morgen …«
Er wollte in der That aufstehen, um sie zu verlassen und machte dabei ein Gesicht, das wirklich die tiefste Niedergeschlagenheit ausdrückte. Aber in diesem Augenblick wurden die widerstreitenden Gefühle in Viola's Busen zu mächtig, um schweigend bleiben zu können und mit jenem Mittel der Erleichterung, das den Frauen zu Gebote steht; warf sie sich an Arthur's Brust und brach schluchzend in die Worte aus:
»O nein, nein, nein – gehe nicht, gehe nicht – ich liebe Dich ja – und nun ja, ich will es auch frei heraussagen: eine kleine Täuschung habe ich auch begangen …«
»Du auch, Liebchen?« rief Arthur verwundert und zugleich voll Jubel aus, indem er beide Hände auf ihre Schulter legend ihr voll in das liebliche Augenpaar sah, das sie beschämt auf den Boden richtete.
»Wie Du nicht der Dichter Hellborn,« sagte sie, »so bin ich nicht die Viola Schneider, welche den Brief an Deinen Onkel richtete … Das war meine Tante … ich war all diese Tage her immer so ängstlich, daß Du mich innerlich verspotten und verlachen müßtest wegen des überspannten Briefes …«
»Wahrhaftig!« fiel Arthur ein, »einige Versuchung dazu war allerdings da wenn Du nicht eben Du gewesen wärest!«
»Meine Tante,« fuhr Viola fort, »die meine Pathe ist, und deren Namen ich trage, schrieb den Brief. Sie hatte mich in das Geheimniß eingeweiht, als sie neulich bei meinem Vormunde in R. zum Besuch war. Sie reiste in ihren Wohnort V. ab, um von dort hierher zu kommen. Aber am andern Tage schrieb sie mir, daß sie einen Anfall ihrer schrecklichen rheumatischen Leiden bekommen habe; die sie zwängen, auf das gränzenlose Glück, ihren bewunderten Dichter zu sehen, zu verzichten: zugleich sandte sie mir als Einlage einen Brief, worin sie ihre Verzweiflung darüber in einer rührenden Weise an den Tag legte. Sie wollte, die gute Tante, daß ich an dieser schönen Sprache und diesen erhabenen Erfindungen mich erfreuen und belehren sollte – vielleicht auch ihn ein wenig bewundern – wenn ich ihn gelesen, sollte ich ihn schließen und an Herrn Hellborn absenden. – Aber es war an demselben Tage, an welchem ich ihn erhielt, ein Ereigniß eingetreten, das mich bewog, den Brief in's Feuer zu werfen, mich auf die Eisenbahn zu setzen und mich dahin zu flüchten, wo ich wußte, daß man ein Fräulein Viola Schneider mit gastlicher Zuvorkommenheit erwartete …«
Ich konnte in diesem Augenblick meine taubstumme Rolle keinen Augenblick länger ertragen. Die Dinge nahmen eine Wendung, daß ich in ein lautes Hurrah, in ein helles Lachen, kurz in einen Freudenjubel ausbrach, in welchen ich meine Frau durch eine stürmische Umarmung mit hineinriß, und den mein Neffe noch zu überjubeln verstand.
»Nun,« sagte ich dann zu Arthur, »nun dieser Punkt auf eine für unsere Viola so überaus günstige Weise erledigt ist, magst Du doppelt Deiner Tante danken, daß sie sich in mich verliebt und vor langen zwanzig Jahren für sich in Beschlag genommen hat, denn sonst hätte ich Dich wahrhaftig nicht zum Statthalter und Alter-Ego während dieses lieben Besuches in meinem Hause gemacht!«
Am andern Morgen, als wir das Frühstück beendet hatten, sagte Arthur zu seiner Braut, die mit ihrem taubenhaften Gesichtchen neben ihm saß:
»Ich möchte Dir einen kleinen Ausflug für heute vorschlagen, Viola – um Jemandem eine höchst angenehme Ueberraschung zu bereiten. Dein Vormund ist, wie ich zufällig gestern erfuhr, etwas besorgt über Deine Abwesenheit, und um ihn zu beruhigen, habe ich ihn eingeladen, mit dem Zwölf-Uhrzug nach unserer Eisenbahnstation zu kommen und Nachrichten von Dir entgegen zu nehmen. Willst Du mit mir gehen, um ihn zu sprechen?«
Viola sah etwas verlegen aus. Dann sagte sie:
»Theure Taubstummen, wollt Ihr mir versprechen, in der That ganz stumm zu sein, wenn ich Euch Etwas erzähle – Du auch, Arthur? Ich habe bisher keine Silbe davon gesagt, damit es nicht bekannt werde, was ich um die Welt nicht möchte; jetzt aber bleibt es in der Familie! Gerade den Abend zuvor, ehe ich durchging, machte mir mein Vormund, Herr Breßler einen Heirathsantrag … so ungefähr wie eine Proposition zu einem Handelsgeschäft. Wenn ich einwilligte, versprach er mir großmüthig ein Treibhaus in seinem Garten bauen lassen zu wollen. Ich wurde zu Tode erschrocken und wußte gar nicht, was ich antworten sollte … ich weiß auch keine Silbe mehr von dem, was ich hervorstotterte, nur so viel, daß ich am andern Tage in meiner Angst in einen Eisenbahnwaggon flüchtete – und hierher kam, um hier – nun das Uebrige habe ich schon gestern gestanden … Wie wird mein Vormund nun auf mich böse sein, wenn er mich sieht! Aber die Idee, daß ich die Mama des jungen Herrn August Breßler werden sollte, der den ganzen Tag Nichts thut als Cigarrenrauchen und zu träge ist, sich die Hände zu waschen – es war zu schrecklich …«
»Dem also,« fiel Arthur lachend ein, »verdanke ich's, daß Du zu uns kamst!
Sie nickte mit dem Kopfe und sagte dann:
»Doch trotzdem will ich mitgehen, wenn Du's willst, Herz – nur laß Dich nicht von ihm ärgern und gerathe nicht in Zorn, wenn er unangenehm wird!«
Arthur versprach das Beste.
Sie fuhren in meinem Wägelchen hinüber. Herr Breßler, erzählten sie, als sie zurückkamen, hatte sich richtig eingestellt: er hatte, als ihm die Lage der Dinge ausführlich mitgetheilt worden, allerdings einen Versuch gemacht, unangenehm zu werden; dann aber hatte Viola ihr Köpfchen aufgesetzt und ihre festen Entschlüsse ausgesprochen; und Arthur war zu der geschäftlichen Seite der Sache übergegangen, hatte ihm seine Vermögensumstände detaillirt und auf diesem Wege den Dr. Bartolo unserer reizenden Rosine Entsprechende Figuren aus »Der Barbier von Sevilla« (1816) von Giacomo Rossini. – Anm.d.Hrsg. in einen kühl und vernünftig denkenden Mann umgeschaffen.
Und so waren sie zurückgekehrt mit seinem vollen Segen – so daß zwischen ihnen und ihrem vollen Glücke nichts stand, als das allerdings sehr gegründete, sehr beunruhigende Bedenken, was die schwärmerische Tante dazu sagen werde, daß ihre kecke Nichte ihre Rolle bei ihrem Lieblingsdichter gespielt habe! Ich weiß auch nicht, wie die beiden Leutchen sich mit ihr abgefunden haben – ich weiß nur, daß mein Neffe jetzt eine gewisse Achtung vor meinen Gedichten hat … meine Verse waren ja das Vorspiel zu der süßen Musik, die noch immer die ehelich verbundenen Herzen Arthur's und Viola's füllt!