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Die Schlange.

Legende.


[46] [47]

Der Sommer lag im Sterben! Gleich unheilkündender Fieberröthe, die über die Wangen todtkranker Menschen huscht, durchflackerte brennendes Roth die sich lichtenden Wälder. Die Luft war feucht und lau und aus dem faulenden Laub auf dem Boden stieg ein süßer, unheimlicher Duft – ein Duft, welcher zum Leben aufreizte und der Verwesung entstammte. Die Rosen blühten noch überschwänglich an Büschen, die schon begonnen hatten ihre Blätter zu verlieren –

[48] Die Sonne war im Sinken und der Himmel mit grauen Dünsten bedeckt. Aus einem Wirthsgarten tönte Musik. Dort dröhnten die Trompeten und schnarrten die Geigen, und lustige Bursche und Mädel drehten sich im Kreise und tanzten jubelnd auf dem welken Gras.

Am Gartenzaun sehnsüchtig hinüberspähend nach dem munteren Reigen stand einsam und verlassen ein Dirnlein in einem weißen Kleide mit einem Blumenkranz auf dem Haupt. Sie war gar schön von Angesicht, aber der Saum ihres hellen Gewandes war beschmutzt, und die Blumen ihres Kranzes waren welk. Und als die Bursche sie erblickten, lachten sie laut und keck, und die Mädchen wiesen mit Fingern auf sie, und [49] die Alten, welche, von längst vergangenen Dingen plaudernd, um das junge Volk herumsaßen, erhoben dräuend die Faust und schrieen: »Hinweg mit Dir, Magdalena!«

Da senkte sie ihr wunderschönes Haupt und schlich sich fort. Von Dorf zu Dorf wanderte sie, von Stadt zu Stadt, gemieden und beschimpft, doch noch immer mit dürstend geöffneten Lippen und vor Sehnsucht fieberndem Blick umirrte sie allabendlich die Orte, wo die Musik erschallte und die Jugend tanzte – wie ein Gespenst unruhig die Stätte umschwebt, wo seine Freude begraben liegt.

Immer müder wurde sie und immer welker wurde ihr Kranz. Die Menschen verdoppelten ihre Grausamkeit gegen sie, und sie floh vor ihnen. Sie kam auf eine große [50] öde Haide; über die fegte laut tobend ein wilder Sturm und rüttelte an jedem Halm und Blatt. Er rief den Blumen zu: »Kommt mit … kommt mit!« und zeigte ihnen das Wunderland der Ferne. Da wand sich der Ginster hin und her in sehnsüchtigem Verlangen dem Lockruf zu folgen und die winzigen Blüthenglöcklein des Haidekrautes zitterten vor Reiselust. Aber sie konnten sich nicht losringen von dem Boden, dem sie entsproßen, in dem sie Wurzeln geschlagen hatten. Der übermüthige Gesell küßte neckend den frischen Purpur des Haidekrauts welk und riß die gelben Blüthen des Ginsters herab, trieb sie ein Weilchen mit sich fort und ließ sie dann liegen. Traurig und krank zitterten die Blumen noch immer und lauschten sterbend [51] dem verführerischen: »Kommt mit … kommt mit!« Die weite Haide bebte wie im Fieber, bebte wie ein Herz, das keine Ruhe finden kann!

Matt und elend sank Magdalena zu Boden und schlief ein zwischen den verdorrten Blumen.

Als sie erwachte, da war sie Mutter geworden, und das Kind, das sie geboren, war eine große, gleißende Schlange. Ein namenloses Grauen kam über sie, und als die Schlange versuchte sich zu ihr empor zu heben, stieß Magdalena sie schaudernd zurück.

Aus dem platten Kopf des Ungeheuers sahen ein paar große, treue Menschenaugen, und mit herzgebrochenem Blick hefteten sie sich auf die Mutter. Dann versuchte die [52] Schlange sich verschämt zwischen den welken Gräsern zu verkriechen. Sie fühlte, daß es ihr Lebensloos sei, Abscheu einzuflößen.

Ein tiefes Mitleid überkam Magdalena. Ihren Widerwillen mühsam verwindend, neigte sie sich zu dem Ungethüm, erfaßte es mit ihren zarten Händen, wickelte seinen schlüpfrigen Leib um ihren weißen, warmen Hals, küßte seinen häßlichen platten Kopf und sprach: »Sei nicht traurig und ängstige Dich nicht; wenn Alles sich vor Dir scheut, will doch ich Dich lieb haben, will ich Dich hegen und pflegen und Dich nimmer verlassen. Bist ja mein Kind!«

Todesbeben schüttelte sie, während sich die Mißgeburt zufrieden an sie schmiegte. –

Und weiter zog sie nun, weiter ohne Rast, [53] ohne Ziel, ihren öden, schmerzensreichen Weg.

Wenn man sie früher verachtet, scheute man sie jetzt. Nicht einmal ein Almosen warf man ihr mehr zu.

Sie versteckte sich in den Wäldern und ernährte sich und die Schlange von Wurzeln und Beeren. – Der Winter kam und die Rothkehlchen starben. Weiße Flocken fielen vom Himmel, des Sommers Lieb und Leid, Blüthe und Verwesung deckte ein weißes Leichentuch. Eiskalte Reinheit erfüllte die Luft. Kein Vogelgesang, kein Blättchen regte sich. Die schwüle Unruhe des Lebens schlief!

Die Schlange fror. Magdalena löste ihr weiches, goldenes Haar und deckte damit das Ungeheuer zu. Die Schlange hungerte. Umsonst suchte Magdalena Nahrung für sie, [54] umsonst wühlte sie mit ihren halberstarrten Händen im Schnee, sie fand nichts. Da drückte sie den Kopf der Schlange an ihre Brust und sprach: »Nimm mein Herzblut!«

Und die Schlange biß in ihre weiße, warme Brust und trank ihr Blut.

Brennender Schmerz durchzuckte die Unglückliche – dann aber senkte sich über sie ein tiefer, heiliger Friede. Zum ersten Mal seit ihrer traurigen Wanderschaft blickte sie empor. Vor ihr stand ein Kreuz, daran der Heiland hing mit blutigen Händen und Füßen.

Die Sünderin erschrak und wich zur Seite. Doch durch die Stille erklang es süß und mild: »Magdalena!«

[55] Sie blieb stehen. Der Heiland neigte sich zu ihr und flüsterte ihr zu: »Ruh' aus!« –

Bestürzt blickte sie an sich herab auf ihre beschmutzten Gewänder.

Ihr Kleid war blendend weiß; sie griff nach ihrem Kranz, um ihn aus ihrem Haar zu lösen, aber der Bachantenkranz hatte sich in eine Dornenkrone verwandelt – die Krone der Märtyrer. Da sank sie nieder zu den Füßen des Heilands, dankte ihm für seine große Gnade und pries ihn in inbrünstigem Gebet. Als sie sich von Neuem aufraffen wollte, suchte sie die Schlange – die war verschwunden. Statt ihrer stand neben Magdalena ein Engel mit mächtigen goldenen Schwingen und den schönen Augen des Un [56]gethüms. Er sprach nur das eine Wort: »Mutter!« Dann nahm er sie in seine starken Arme und trug sie empor zum Himmel – zu den Sternen! – [57]


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