Ossip Schubin
Peterl
Ossip Schubin

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Nun wurde der Hundekäfig vorsichtig geöffnet.

Die Männer hatten sich herumgestellt, damit der kleine Reisende nicht davonlaufen könne.

Er schien keine Lust dazu zu haben. Freundlich blinzelte er Demjenigen, den er als seinen neuen Herrn erkannte, zu, und wedelte mit seinem Schweif.

»Etwas ganz Beson . . .,« begann der neue Herr wieder, – aber beim Anblick Peterl's blieben ihm die zwei Silben des eben begonnenen Wortes im Halse stecken.

»So . . . so!« murmelte der Mann mit der rothen Mütze und den blanken Knöpfen, den die Anderen als Herrn Stationschef anredeten.

»Ein allerliebstes, freundliches Hundl«, versicherte einer der Packer und begann den verdutzten und verschämten Peterl zu streicheln – »und hübsch wird er auch noch, wenn ich mich nicht sehr irre!«

»Hm! hm! Wie sagten Sie . . . ein sibirischer Bärenhund?« fragte der Stationschef. »Sonderbar! er hat so lange Ohren; Bärenhunde haben gewöhnlich spitze Ohren und einen buschigen Schweif. – Dieser hat keinen buschigen Schweif!«

»Das wird alles noch werden,« erklärte überlegen Peterl's neuer Herr, der indessen den Papierstreifen am Hals des Ankömmlings entdeckt hatte. »Ich empfehle mich Ihnen, Herr Stationschef.« Damit nahm er Peterl unter den Arm und marschirte mit ihm aus dem Stationsgebäude hinaus bis zu seiner Britzka, die draußen auf der Straße seiner wartete.

Er setzte erst Peterl in den Wagen, sprang dann selber nach und hieß den Kutscher, einen plumpen Bauernburschen in einer carirten Zwilchjacke, zufahren.

»Es ist etwas nicht ganz in der Ordnung,« murmelte er, indem er den Hund musterte, der sich bescheiden zu seinen Füßen zusammengeduckt hatte. »Was nur die Rosa dazu sagen wird?«

Die »Rosa« war seine Frau – die Tochter eines Gewürzkrämers aus der nächsten Kreisstadt, der gute Geschäfte gemacht und sich drei Häuser gekauft hatte. Diese drei Häuser waren das Unglück des Kunstgärtners geworden. Erstens hatten sie ihn veranlaßt, seine jetzige Gattin zu heirathen und zweitens wurden sie ihm – wie er sich ausdrückte – jedesmal »an den Kopf geworfen,« wenn der geringste Anlaß zu Verdrießlichkeiten am ehelichen Horizonte aufdämmerte.

Während er mit Peterl nach Hause fuhr, fürchtete er sich im vorhinein vor den drei Häusern, und rieb sich von Zeit zu Zeit den Kopf, als ob er zukünftige Beulen daran spüre.

Indes ging's mit knarrenden, nach Theer riechenden Rädern über die staubige Straße, in deren Gräben Unkraut wucherte. Der Knecht in der braun und grau carrirten Zwilchjacke hielt die Zügel zwischen den Knieen, auf die er seine Ellenbogen gestützt hatte. Er machte einen runden Rücken, sein Kopf sank auf seine Brust, er schlief ein. Sein Herr ließ ihn schlafen. Das Pferd kannte den Weg – es war ein grobknochiges, langbeiniges braunes Pferd mit einem sehr langen Schweif, mit dem es sich unaufhörlich die Fliegen wegwedelte.

Der Kunstgärtner rieb sich noch immer den Kopf. Manchmal warf er einen Blick auf Peterl, der ihn unaufhörlich bittend ansah, als wolle er sagen: »Ich weiß, daß ich nicht so hübsch bin, wie Du es erwartet hast, aber ich werde ein so braver Hund sein!« Da fühlte der Gärtner deutlich, wie ihm eine Neigung zu Peterl ins Herz schlich, trotzdem dieser nicht so schön ausgefallen war, wie er es erhofft.

Aber was würde die Rosa sagen?

Neben der Straße begannen jetzt Häuser aufzuragen, – große, schmucklose Häuser, die noch keine regelmäßige Reihe bildeten, und hinter denen Schutt und Kehrichthaufen sich zwischen Zäunen thürmten, an denen zerrissene Kinderwäsche hing.

Der Kunstgärtner versetzte dem Knecht einen Stoß zwischen die Schulterblätter, um ihn aufzurütteln.

Der Knecht richtete sich auf und rieb sich schläfrig den Rücken seiner braunen Zwilchjacke. Durch eine Gasse, in der es nach Gerberlohe, welkem Gemüse und alten Selcherwaaren roch, ging's in eine Nebenstraße und dann durch ein geöffnetes Gartenthor – man war angekommen.

Zwischen Gemüsebeeten fuhr das Wägelchen, bis zu einem einstöckigen Haus, das oben sechs und unten fünf vor Sauberkeit glänzende Fenster und eine Thüre hatte. Auf der Schwelle der Thür stand mit erwartungsvoll glänzenden Augen die Frau Kunstgärtnerin, die sich der »Kaiserlichen Hoheit« zu Ehren eine schwarzseidene, mit bunten Blumen bestickte Schürze vorgebunden hatte. Der Hund, der Verwandtschaften am russischen Hofe besaß, imponirte ihr, als ob er selber ein Stückchen Großfürst gewesen wäre!

»Wo ist der Hund?« fragte sie.

»Da,« erwiderte verschämt der Gärtner, indem er Peterl aus dem Wägelchen helfen wollte. Aber Peterl brauchte keine Unterstützung, er sprang heraus mit der Flinkheit eines Seiltänzers und legte sich der Frau Gärtnerin vor die Füße.

Sie fuhr bei seinem Anblick entsetzt zusammen. »Das ist ja ein ganz gemeiner Köter!« erklärte sie.

Peterl, der wirklich die besten und einschmeichelndsten Absichten gehegt hatte, fühlte sich durch diesen Ausspruch gekränkt und knurrte ärgerlich.

»Das scheint Dir nur so im ersten Moment,« entschuldigte der Gärtner den kleinen Ankömmling. »Besieh Dir ihn näher, er hat wunderschöne Augen, er hat Augen wie ein Mensch.«

»Ach, was braucht ein Hund Augen zu haben wie ein Mensch! – Auf die Augen sieht man nicht. Ein gemeines Mistvieh ist's – zum Schinder mit ihm!«

»Er wird sich noch machen – da lies,« rief der Mann, und er reichte ihr den Papierstreifen, welchen Peterl um den Hals getragen hatte.

Die Gärtnerin, die sich übrigens von ihrem Dienstmädchen »gnädige Frau« tituliren ließ, wurde nachdenklich. »Vielleicht macht er sich wirklich noch,« murmelte sie, »aber weißt Du, Jaroslaw – sehen darf ihn einstweilen Niemand.«

»Ist auch nicht nöthig,« erklärte der Gatte. »Meinetwegen versteck ihn in der Küche, und wenn die Schwatzbasen kommen, denen Du, wie ich weiß, seine Ankunft schon angekündigt hast, sag ihnen: Se. Durchlaucht sei müd' von der Reise und empfange heute nicht.«

Der Gärtner war eine Zeitlang Kammerdiener bei einem Fürsten gewesen, und darum kannte er sich aus in den Sitten der großen Welt.

»Aber jetzt gib dem armen Thiere etwas zu fressen, hörst Du!« fuhr er fort.

Die »Gnädige« führte Peterl in eine sehr sauber gehaltene Küche, wo sie dem Dienstmädchen auftrug, dem Kleinen Milch und Semmel zu verabreichen.

Das Schüsselchen, in welchem ihm diese Leckerbissen vorgesetzt wurden, war zu klein – Peterl machte beim Essen zwei Flecken auf die Erde, das war der Gnädigen ein Greuel. Peterl wurde sofort für seine Ungeschicklichkeit gezüchtigt, aber vorläufig machte er sich nichts daraus.

Er war froh, ein gutes und reinliches Frühstück bekommen zu haben, froh, aus seiner Haft entlassen zu sein – außerdem war er todtmüde. Er kauerte sich auf einen Sack zusammen, den das gutmüthige Dienstmädchen hinter dem Herd für ihn ausgebreitet hatte, und schlief ein.

Er träumte von Monplaisir und schlief so fest und träumte so lebendig, daß er sich in der Situation gar nicht zurechtzufinden wußte, als er aufwachte. Mit erschrocken-aufmerksamen Augen blinzelte er in die ihm gänzlich fremde Umgebung hinein. Erst allmählich erinnerte er sich dessen, wo er war, und fühlte zugleich, daß in der Küche der Frau Kunstgärtnerin etwas Besonderes vorbereitet wurde. Rings um sich hörte er Tellergeklapper und Gläsergeklirr, der Herd sprühte Feuer, in Peterl's Ecke wurde es so heiß, daß er sein Plätzchen verließ und unter den Küchentisch kroch. Aber auch dort war seines Bleibens nicht; das Gepolter, das die Dienstmagd im Verein mit der Gärtnerin auf der Tischplatte ausführte, war so laut und aufregend, daß es ihn an nichts so sehr erinnerte als an seine unvergeßliche Eisenbahnfahrt. – Er verkroch sich unter einen Sessel, weil er das Zuckerstoßen und Mandelhacken über seinem Kopf nicht mehr aushielt. »Bum . . . bum . . . bum! – Bum . . . bum . . . bum!«

Er fing an, melancholisch zu heulen, und erhielt einen Fußtritt.

Nach einer Weile hörte das Gepolter auf, die Gärtnersfrau und das Dienstmädchen waren verschwunden, die Küche füllte sich mit würzigem Duft. Er sah unter dem Sessel hervor, unter dem er sich verdrießlich zusammengerollt hatte, und erblickte auf dem Küchentisch eine große Schüssel voll wunderschöner, dick mit weißem Zucker bestreuter Kuchen.

Die Schüssel übte eine geradezu dämonische Anziehungskraft auf ihn aus. Er war ganz allein! – Erst legte er den Kopf zwischen die Vorderpfoten und machte die Augen zu und zitterte am ganzen Leib aus Angst vor der Versuchung.

Nachdem er ein Weilchen in dieser Stellung verharrt hatte, fühlte er sich überzeugt von der Festigkeit seiner Principien, und davon, daß die Versuchung unfähig sei, über seinen starken Charakter zu siegen. Warum sollte er sich nicht in aller Unschuld und Enthaltsamkeit an dem Anblick der schönen Kuchen erfreuen?

So hob er denn den Kopf, betrachtete die Kuchen und athmete vergnüglich schnuppernd ihren Duft.

Ein Weilchen ließ er sich daran genügen. Aber immer schwerer fiel ihm die Entsagung. Bald lernte er, was viel Klügere und Bessere von ihm erfahren mußten, daß das einzige Mittel, der Versuchung nicht zu unterliegen, darin besteht, ihr den Rücken zu kehren. Denn es ist nun einmal ein solcher Klapperschlangenzauber in jeglicher Versuchung, daß Derjenige, der ihr ins Gesicht zu sehen wagt, immer den Kürzeren gegen sie zieht.

Peterl's Augen wuchsen sich fest an der Kuchenschüssel, der Mund wässerte ihm vor Eßlust, die würzigen Düfte umschmeichelten aufreizend seine schwarze Nase, – er suchte seine Sehnsucht durch immer intensiveres Schnuppern hinzuhalten, – aber dieser genügsame Genuß war nicht danach, ihn auf die Dauer zu befriedigen.

Volle fünf Minuten währte der Kampf mit seinem besseren Ich, dann streckte er die Waffen – es duftete zu schön! Mit der Kunstfertigkeit, die ihm im Springen eigen war, schwang er sich auf den Tisch hinauf, schnappte nach dem schönsten Kuchen . . . Doch kaum hielt er ihn zwischen den Zähnen, so öffnete sich die Thür, das Dienstmädchen trat ein. Peterl erschrak dermaßen, daß er bei einem hastigen Sprunge vom Tisch herunter die ganze Kuchenpyramide umstieß, so daß das Gebäck nach allen Seiten hin auf die Erde rollte.

Die Dienstmagd warf ihm in aller Eile einen zürnenden Blick zu; denn ihn zu züchtigen, blieb ihr keine Zeit mehr. – Sie las die Kuchen von der Erde auf, wischte sie mit dem Schürzenzipfel ab, schichtete sie von Neuem auf die Schüssel, von der sie herunter gefallen waren, bestreute die Pyramide mit Zucker und trug sie aus der Küche hinaus an ihren Bestimmungsort – d. h. in die Putzstube. Sie stieß an die Küche und war von dieser nur durch eine mit weißen Gardinen verhängte Glasthür getrennt.

Es war Alles glimpflich abgegangen. Außer dem ersten, gestohlenen Kuchen hatte Peterl noch einen zweiten verzehrt, der unter den Tisch gerollt war, und von dem reichlichen Mahle ermüdet, war er neuerdings eingeschlafen.

Da weckte ihn das Geklirr von Geschirr und Geschnatter von Stimmen, welches aus dem anstoßenden Raume hervortönte.

»Ja, ein wunderschöner Hund!« hörte er seine Herrin sagen –, in ganz Europa hat Niemand einen so schönen Hund, außer dem Kaiser von Rußland. Sein Vater ist der Liebling des Zaren, der auch Niemandem einen von der Rasse geschenkt hat als dem Kaiser von Deutschland und meinem Schwager . . .« Dann mit einem nachdenklichen Zusatz: »Damit ich nicht lüg'! ich glaube, der König von Dänemark hat auch einen . . . Ja, ja – der König von Dänemark . . . der Deutsche Kaiser . . . und wir . . .«

»Hm!« hörte Peterl weiter eine andere Stimme – die Stimme einer Frau, die zwischen jedem Wort schmatzte – »das ist ja sehr interessant, Frau Petrzilka; wie kommt denn Ihr Herr Schwager zu dieser hohen Auszeichnung?«

»Ach, mein Schwager ist Ingenieur, er baut die Eisenbahn zwischen . . . zwischen . . . ach, wie heißt es nur? . . . Gatschina und Sebastopol!«

»So, so, da ist Ihr Herr Schwager ja ein sehr einflußreicher Mann! Hm! hm!«

»Natürlich – mein Schwager hat aber auch schon zwei Nihilistencomplotte entdeckt – das erste Mal hat ihm der Kaiser den Wladimirorden geschenkt und das zweite Mal den Hund!«

»Ist es denn nicht gestattet, die Bekanntschaft Seiner Herrlichkeit zu machen?« fragte nun eine andere, dünne Stimme.

»Ach, leider heute nicht, mein Mann hat ihn nach Podmepitz mitgenommen, um ihn photographiren zu lassen, Frau Apothekerin.«

»Ach wirklich, wie schade!« – –

Dann hörte Peterl ein Weilchen nichts als Geklapper von Geschirr, worauf andauerndes Schmatzen folgte, zum Zeichen, daß eine neue Speise aufgetragen worden war.

Nach einer Weile wurde dieses Geräusch von Beiwörtern unterbrochen, als da sind: »ausgezeichnet . . . vorzüglich . . . großartig!« Zuletzt bat Jemand um das Recept, und dann fragte die dünne Stimme der Apothekerin: »Wie heißt denn dieses merkwürdige Hündchen?«

»Peterl, meine Damen – Peterl. Der Zar selbst hat ihm den Namen gegeben.«

Immer aufmerksamer horchte unser struppiger Freund. Ein Wunsch wandelte ihn an, die Kaffeegesellschaft nicht nur vom Hören, sondern auch vom Sehen kennen zu lernen.

So sprang er denn auf den Stuhl, der vor der Glasthür stand und begann an dem geblümten Vorhang, welcher die Scheiben verhüllte, zu zupfen, erst mit den Pfoten, dann mit seinen spitzigen, weißen Zähnen. Der Vorhang war morsch – ritsch – ratsch riß er entzwei – das Fenster lag bloß, – Peterl, der sich mit den Vorderpfoten auf die Lehne des Sessels stützte, konnte bequem die ganze Gesellschaft übersehen. Sie bestand aus vier Personen und war um einen zum Brechen voll beladenen Tisch gruppirt. Die Kunstgärtnerin saß mit dem Rücken gegen Peterl, der seine großmächtigen Ohren, so gut es anging, spitzte und sofort ein vergnügtes Bellen ausstieß.

»Peterl!« schrie mit kurzathmiger, tiefer Stimme eine Frau, die ein dunkelrothes Gesicht und ein kaffeebraunes Kleid hatte. »Peterl!« rief sie noch einmal. Sie war die Frau des Steuer-Einnehmers.

Peterl bellte noch vergnügter und machte Miene, sich durch die Glasthür in die beste Stube der Frau Kunstgärtnerin zu stürzen.

»Was für ein garstiger Köter!« bemerkte die Frau mit der dünnen Stimme, die Apothekerin.

Die Dritte am Tisch, ein mageres bescheidenes Mädchen, eine Lehrerin an der Industrieschule, meinte nur: »Hübsch ist er nicht, aber ein gutes, freundliches, lustiges Hündchen scheint es zu sein, und wenn er noch jung ist, wächst er sich aus.«

Starr vor Entsetzen, vor Bosheit und gedemüthigter Eitelkeit wendete die Gärtnerin sich um.

»Franzka!« schrie sie außer sich und mit der Geistesgegenwart der Verzweiflung: »Jag' den Köter hinaus; was hat er hier zu schaffen und mir die Küche zu verunreinigen! Marsch!«

»Komm, Peterl, komm her,« rief die in die Küche zurückgekehrte Franzka. Etwas verdutzt sprang Peterl von seinem Observatorium herunter, und während Franzka ihn hinausführte, hörte er noch die dünne Stimme der Apothekerin sagen: »Ach . . . Sie haben also zwei Hunde, die Peter heißen, Frau Petrzilka!«

Mit den Hoffnungen, welche die Frau Gärtnerin auf Peterl gesetzt hatte, war's vorbei! Sie war jetzt fest davon überzeugt, daß aus Peterl nie etwas werden würde, daß er ein ganz gewöhnlicher Köter war, und daß ihr Schwager sie angeführt hatte.

Sie regte sich fürchterlich darüber auf – unter Anderem auch, weil sie dem Schwager aus besonderer Dankbarkeit drei wunderschöne Melonen und einen Truthahn geschickt hatte. Aber das war doch nur Nebensache. Melonen waren dieses Jahr billig. Die Hauptsache war die Demüthigung oder, wie sich die Frau Gärtnerin ausdrückte, die »Blamage« vor der Nachbarschaft. Um die Situation zu decken, erzählte sie Allen, die es hören wollten, daß der eigentliche großfürstliche Peterl auf seiner Wanderschaft zum Photographen verloren worden sei.

Aber sie merkte ganz gut, daß ihr das Niemand glauben wollte, daß das nichts nützte, und daß alle Menschen sie auslachten. Aus Aerger darüber wollte sie den Hund todtschießen lassen. Aber ihr Gatte legte ein gutes Wort für ihn ein. So wurde Peterl dem Knecht übergeben, der mit den zwei Gärtnerburschen am äußersten Ende des Gartens in einer Stube knapp neben dem Stall wohnte, in dem der struppige Gaul mit dem langen Schweif untergebracht war.

Anfangs war Peterl mit dieser Veränderung sehr zufrieden. Man hatte ihm ein altes Hundehaus eingeräumt, in das er sich zurückziehen konnte, wenn er wollte. Im Uebrigen durfte er frei herumspazieren.

Leider machte er einen recht schlechten Gebrauch von seiner Freiheit. Er war sehr neugierig. Er beschnupperte alle Blumen, und denen, die ihm besonders gefielen, biß er die Köpfe ab. Er zertrampelte die Gemüseanlagen, und einmal hatte er die Scheiben eines Mistbeetes zertrümmert, auf denen er unbefangen herum gesprungen war. Er hatte sich dabei ein wenig beschädigt, aber nicht viel. »Unkraut verdirbt nicht,« erklärten die Gärtnerburschen. Sie prügelten ihn und legten ihn an die Kette.

In diesen gänzlichen und demüthigenden Verlust seiner Freiheit konnte sich Peterl nicht finden, und den Gärtnerburschen vergaß er die ihm angethane Schmach nie. Sein guter Charakter erlag dem Druck der Verhältnisse. Er wurde rachsüchtig und entpuppte sich sogar als ein fürchterlicher Ränkeschmied. Das erhabene Amt eines Nachtwächters, welches ihm anvertraut war, übte er in der spitzfindigsten Art dahin aus, daß er den Gärtnerburschen die empfindlichsten Unannehmlichkeiten bereitete. Er wußte recht gut, daß es ihnen verboten war, des Nachts den Garten ohne besondere Erlaubniß zu verlassen. Wenn sie sich Abends aus dem Staube machten, da sagte er kein Wort; wenn sie jedoch wiederkamen und sich stillschweigend an ihre Lagerstätten heranschleichen wollten, da bellte er, was er konnte – je später sie heimkamen, desto lauter, so daß der Gärtner jedesmal herauskam, um nachzusehen, welchen Dieb der treue kleine Wächter verrathen habe, woraus die Nachtschwärmer auf ihren bösen Schlichen ertappt und tüchtig abgekanzelt wurden.

Das freute Peterl, und wenn sie an seinem Hundehaus vorbeigingen, fletschte er die Zähne und schnappte nach ihren Fersen.

Das war jedoch nur eine vorübergehende Genugthuung. Nicht lange nach solchen Anfällen meldete sich schon wieder sein gutes Herz. Er wedelte mit dem Schweif und hätte sich am liebsten von den Burschen streicheln lassen. Aber auf diesen Einfall geriethen sie nicht, was ihnen in Anbetracht der Umstände nicht übelzunehmen war.

Und so wechselte in Peterl's armer, kleiner Seele der Zorn noch weiter ab mit der schwärzesten Melancholie. Und mochten sich nun seine Gefühle so oder so äußern, die Sehnsucht nach Liebe war immer dabei.

Warum liebte man ihn nicht mehr, und warum hatte er fortmüssen aus seinem heimathlichen Stall, fort von seiner geliebten Liesel?

Wenn er daran dachte, so heulte er laut und lang, und das stimmte seine ihm ohnedies übel gesinnte Umgebung nicht besser.

Die Gärtnerburschen hatten den boshaften Spaßverderber und Angeber satt. Sie sannen auf Mittel, ihn loszuwerden.

Einmal, während Peterl wie gewöhnlich angebunden vor seiner Hütte lag, hörte er, wie sie sich mit einander darüber beriethen, was mit ihm anzufangen sei. – Der Eine war dafür, ihm Gift zu geben, der Zweite meinte, das könnte heraus kommen. Er wisse wohl eine andere und vortheilhaftere Weise, sich mit dem Hunde abzufinden, bei der man, anstatt sich Schelte zu holen, noch ein paar Kreuzer herausschlagen könne. Sie wollten den Hund verkaufen und sein Verschwinden dadurch erklären, daß er sich von der Kette losgerissen habe und davongelaufen sei.

Der Mond stand voll am Himmel und goß sein grelles, weißliches Licht über den verstaubten, vertrockneten Garten, in dem die Georginen trotz alles Begießens die Köpfe zu senken begannen und die auf Samen gezogenen Malven bräunlich zusammengeschrumpft neben einem Gurkenbeet aufragten. Aus den in der Nähe gelegenen Vorstadtwirthshäusern tönte Musik, bald jämmerlich, bald frech. Ein häßlicher, dumpfer Geruch nach Straßenkehricht und verstecktem Unrath verpestete die dicke, heiße Luft. Und Peterl dachte an seine Hundekinderstube im Stall von Monplaisir mit dem sauberen gelben Stroh; er dachte an die thaufrischen Parkwiesen, auf denen er sich schon am frühen Morgen herumgetummelt, wenn ihn die Kutscherfrau mitnahm auf ihren Morgenspaziergang zum Brunnen, oder wenn sie für die Kaninchen Gras holen ging. Er dachte an Liesel, wie er mit ihr gespielt und sich in den Rosenhecken versteckt hatte vor dem Schloß, um sie neckend zu schrecken.

Und da überkam ihn eine solche Sehnsucht, daß er an seiner Kette rasselte wie toll, in dem Versuch, sich loszureißen, um entfliehen und den Weg in die Heimath zurückfinden zu können.

Dann aber überkam ihn eine große Muthlosigkeit; er ließ die Kette ruhen. Was hätte es ihm genützt, selbst wenn er sich hätte losmachen können, selbst wenn er den Weg in die Heimath zurückgefunden hätte! – Sie hatten ihn ja von dort hinausgejagt, sie wollten nichts von ihm wissen – Niemand wollte mehr etwas von ihm wissen – Niemand hatte ihn mehr lieb, von Allen war er verstoßen! – Und dagegen nützte alle Bravheit der Welt nichts. Darum wollte er auch gar nicht mehr brav sein, sondern boshaft, recht boshaft – so boshaft, daß man ihn todtschlagen sollte dafür. – Und kaum hatte er diese bösen Vorsätze gefaßt, so legte er den Kopf zwischen die Vorderpfoten und sehnte sich danach, daß ihn noch irgend jemand liebkosen möge, ehe er starb.

Er heulte die ganze Nacht, – und die Gärtnerburschen sagten, das sei unerträglich; offenbar wirke der Vollmond auf sein Gemüth, und das sei oft so bei Hunden.

Auf einem von Kehrichthaufen garnirten Bauplatz, der sich hinter der Kunstgärtnerei ausbreitete, hatten Komödianten ihr Zelt aufgeschlagen. Sie gaben dreimal des Tages Vorstellungen, und dazu spielte ein Leierkasten von früh bis spät, um der Umgebung ihre Anwesenheit zu verkünden und Publicum herbeizulocken.

Da es mit dem Leierkasten allein nicht gethan war, so wanderte der eine Komödiant mit seinen zwei Söhnen außerdem noch von Haus zu Haus und bat um die Gewogenheit (nebst Unterstützung) der Herrschaften. – Er kam auch in die Hütte, wo die Gärtnerburschen wohnten. Ein großer Mann mit einer rothen Zipfelmütze, neben ihm ein zehnjähriger Junge mit einer Bajazzomütze und ein kleiner, sechsjähriger ohne Mütze. Der alte Komödiant sah im ganzen Gesicht kupferfarbig aus. Er hatte sehr langes, zottiges, graurothes Haar, einen dicken, rothen Bart und hatte einmal als Statist bei der »Stummen von Portici« mitgewirkt. Daher seine rothe Mütze ebenso wie eine gestreifte Schwimmhose, die er über einem einmal weiß gewesenen Beinkleid trug.

Die beiden Knaben dagegen sahen sehr blaß aus. Sie erinnerten an Hungerkraut, das aus Schutthaufen herausblüht und im Staub erstickt.

Der Knabe mit der Bajazzomütze nahm demüthig seine Kopfbedeckung ab und fing an, Purzelbäume in der Luft zu schlagen, der Kleine begann auf den Händen zu laufen, wurde aber bald müde und blieb linkisch und verlegen stehen.

Als er Peterl bemerkte, lachte er ihm freundlich zu und streckte etwas zögernd und ängstlich das magere Händchen aus, um ihn zu streicheln. Ueberrascht von dieser Freundlichkeit, sprang Peterl schwanzwedelnd an dem Kleinen empor, worauf er theilweise aus Dankbarkeit, theilweise aus Ehrgeiz seine Künste zu produciren begann. Er setzte sich mit ganz geradem Rücken auf die Hinterbeine und ließ die Vorderpfoten zierlich herabhängen.

»Ihr habt da ein geschicktes Köterchcn,« meinte der Komödiant.

»Ach, er ist ein infamer Kläffer,« gab ihm der erste Gärtnerbursche darauf zur Antwort, – derjenige, welcher Peterl hatte vergiften wollen.

Der zweite stieß ihn mit dem Ellenbogen. »Mein Kamerad will sagen, daß er ein vorzüglicher Wachhund ist« – äußerte er sich gegen den Komödianten, »und Ihr könnt Euch denken, daß uns das manches Mal genirt. Immer verräth er's, wenn wir von einem kleinen Spaziergang zurückkommen, macht einen Scandal, daß jedesmal der Herr ans dem Bett steigt und nachsehen kommt, was es gibt. Aber das ist sein einziger Fehler – sonst ist er, wie Ihr sagt, ein geschicktes Köterchen, dazu gutmüthig und mit der schmalsten Kost zufrieden. Da, komm herein, Peterl, – zeig, was Du kannst.«

Peterl begriff Anfangs gar nicht, woher er plötzlich zu all' dem Lobe kam, aber er wedelte vor Freude mit dem Schweif. Der Gärtnerbursch schnallte ihm die Kette mit dem Halsband ab, dann ließ er ihn Purzelbäume schlagen. Peterl machte einen nach dem andern, unermüdlich. Dann mußte er auf einer Leiter hinaufkriechen, dann mit einem kleinen Stäbchen zwischen Schultern und Vorderpfoten auf den Hinterbeinen gehen, endlich als todt hinsinken, nachdem der Gärtnerbursch mit einer Kapselpistole geknallt hatte.

Der Komödiant hockte auf der Erde nieder und streichelte ihn und nannte ihn einen artigen, kleinen Hund.

»So einen könnt' ich brauchen« – meinte er nachdenklich.

In dem Augenblick kam der Knecht, der dem aufmerksamen Wächter ebenfalls nicht gewogen war. »Du, Tondo! der Komödiant sagt, er könnte so einen Hund brauchen. Schad', daß er nicht uns gehört – sonst könnten wir ihn ihm verkaufen,« bemerkte der zweite Gärtnerbursch.

»Na, was das anbelangt,« erwiderte der Knecht – »das ließe sich vielleicht noch machen; der Köter wär' nicht der erste Hund, der sich verlaufen hätte.«

Dann folgte eine lange Conferenz, die damit endigte, daß die drei Verschworenen Peterl dem Komödianten für einen Gulden auszuliefern versprachen in der Nacht, die auf die letzte Vorstellung in der Nachbarschaft folgen würde.

Drei Tage tönte noch die jämmerliche Leierkastenmusik durch die staubige, dumpfe Luft, – dann eines Nachts kam der ältere der beiden Komödiantenbuben, Karlik mit Namen, über den Zaun gekrochen. Ehe Peterl sich dessen versah, hatte ihm der Junge das Maul zugebunden, dann einem der Burschen den vereinbarten Gulden eingehändigt und war mit Peterl fort auf die Straße hinaus, wo im Morgengrauen undeutlich groß und formlos eine Art Haus auf vier Rädern stand.

Eine Todesangst überkam Peterl bei dem Gedanken, daß er dieselben Qualen erleiden solle wie bei seiner ersten Reise; doch stellte er mit Vergnügen fest, daß vor dieses Wanderhaus ein einfacher, freilich sehr elender Gaul gespannt war, anstatt des feuerspeienden Ungethüms auf der Eisenbahn – daß es im Uebrigen nur ein Haus anstatt einer ganzen Reihe von Häusern war und in Folge dessen auf jeden Fall harmloserer Natur sein mußte.

Er hatte harte Zeiten durchgemacht und hoffte, es würde ihm endlich besser gehen. Und Anfangs gestaltete sich auch Alles ganz leidlich.

Der Raum in dem Wagen war, wenn auch mit allerhand unheimlichen Geräthen verstellt, doch ziemlich freundlich. Durch zwei winzige Fenster drang Licht – der kleine Komödiantenbub, welcher in einem verschossenen gelben Tricot auf der Erde saß, streckte ihm seine nackten Aermchen entgegen und fing an, ihn zu herzen, und ein noch junges Weib, das einen Säugling an der Brust hielt, legte diesen in eine Kiste, um dem neuen Ankömmling ein Schüsselchen mit Milch vorzusetzen. – In einer Ecke hockte der Schwiegervater, das Haupt der Komödianten, und leimte an einem Paar zerrissener Schuhe, während der Kupferfarbige draußen saß und den mageren Gaul kutschirte.

Mit winselnden Rädern setzte sich der Karren in Bewegung.

Bei der nächsten Raststation wurde Peterl von dem kupferfarbigen Komödianten auf seine Talente geprüft. Anfänglich ließ der Künstler ihn nur sein bereits einstudirtes Repertoire produciren. Das ging noch. Peterl fühlte sich zwar von dem Gerüttel in dem Thespiskarren herzlich müde und hungrig, und es war ihm deshalb nicht sehr nach Purzelbaumschlagen und auf zwei Beinen Spazierengehen zu Muthe. Aber er hatte so Manches hinnehmen gelernt in seinem kurzen Leben, und fügte sich in Folge dessen der ihm auferlegten Zwangsarbeit ziemlich gutwillig, in der heimlichen Hoffnung, sein letztes Kunststück mit einem guten Mittagessen belohnt zu sehen. Aber darin hatte er sich geirrt. Kaum war er mit seinen einstudirten Leistungen fertig, so begann der Komödiant mit dem Versuch, ihm neue Kunststücke beizubringen.

Auch dabei zeigte sich Peterl geduldig und sogar anstellig. Er dachte beständig an seinen alten Freund, den dicken Kutscher, und hatte es ordentlich darauf abgesehen, diesem freundlichen Lehrmeister Ehre zu machen. Als der Komödiant ihm aber einen alten großgeblümten Kattunrock umband, einen verknüllten Kinderhut auf den Kopf setzte und ihn aufforderte, in diesem Aufzug, einen Sonnenschirm unter der Vorderpfote, spazieren zu gehen, gerieth er ganz außer sich. Gutgezogener Hund, der er im Grunde trotz seiner abwärts führenden Lebensschicksale immer noch war, faßte er diese Maskerade als eine Entwürdigung auf und wollte sich dieselbe durchaus nicht gefallen lassen. Er riß sich den Rock mit den Zähnen vom Leibe und bohrte den mit dem Hut geschmückten Kopf in die Erde.

Der Komödiant schien auf diesen Widerstand gefaßt gewesen zu sein und hatte die Mittel in der Hand, ihn zu brechen. Es regnete Prügel und Hungerstrafen. Zwei Tage bekam Peterl auch nicht einen Bissen zu essen – bis er sich endlich in seine Degradation fügte, um eine Woche, nachdem er die Gärtnerei verlassen hatte, gravitätisch in seinem Madame Batavia-Costüm vor das Publicum zu treten.

Es war auf dem leeren Marktplatz eines mitten im Walde gelegenen Dorfes, wo die Vorstellung stattfand.

In der Mitte des Platzes ragte zwischen vier hohen alten Linden eine Mariensäule empor, rings um den Platz herum erhoben sich Bauernhütten mit dickem, grünem Moos auf den alten Strohdächern und mit vorspringenden, auf zwei Säulen ruhenden Holzgiebeln über grell weiß getünchten Wänden.

Es war Abend. Der Platz war mit bunten Papierlämpchen abgedeckt. Ringsum drängte sich Jung und Alt, Alles, was in dem verlassenen Dorf neugierig und schaulustig war. Auf die Production Peterl's folgte ein wahrer Beifallssturm. Aber das machte Peterl kein Vergnügen. Er hörte nicht auf, sich zu schämen.

Die Komödiantenmutter drehte den Leierkasten unermüdlich, das kleine Kind schrie. Der ältere Komödiantenbub ging mit schlecht verhehlter Angst und ganz kleinen Schritten auf einem gespannten Seil spazieren, der Komödiantenpräses hob mit einer Gebärde, welche Kraftanstrengung darstellen sollte, Zweihundert Kilogewichte, die natürlich nur eine pappendeckelne Täuschung waren, in die Höhe und spielte mit seinem jüngsten Buben Fangball. Und der Schwiegervater sang Lieder zur Guitarre. – Dann kam noch das Geklingel der Kreuzer in dem Klingelbeutel, den Honzik, der kleine Bub, herumtrug, – dann wurden die Lämpchen ausgelöscht, und der Leierkasten verstummte. Der Komödiant saß mit seiner Gattin neben einer der vier Linden, welche die Muttergottessäule umstanden, bei einem Feuerchen, auf dem ein Topf mit Kartoffeln dampfte, und überzählte die Einnahme, und Peterl hatte sich neben Honzik zusammengekauert, der sein besonderer Freund war. Honzik liebte nämlich den Peterl, und Peterl ließ sich lieben. Außerdem hatte er Mitleid mit dem armen kleinen Wicht, dessen Vater Fangball mit ihm spielte, um ein paar Kreuzer zu verdienen. Und dann auch erinnerten ihn die weichen Hände des Knaben an Liesel.

Während der kleine Komödiant ihn streichelte, lag er, an seinem ganzen, abgemagerten Körper zitternd, sonst aber regungslos da. Und als man ihm sein Abendbrot vorsetzte, ließ er es unberührt stehen.

Es war eine wunderschöne Nacht, und die kleine Truppe campirte im Freien. Es war Alles still – still – todtenstill. Nur ab und zu tönte das Horn des Nachtwächters gedehnt und traurig in das feierliche Schweigen. Und in den Lindenkronen rauschte es schlaftrunken. Aus dem schwarzblauen Himmel blinkten zahllose Sterne, über dem Gezack der Fichtenwälder, die man hinter den Hütten des Dörfchens aufragen sah. Der Rasen unter den Linden war frisch und feucht, ein unbeschreiblich süßer Duft von Quendel und anderen Kräutern würzte die Luft, der häßliche Vorstadtdunst war weit. Eine verschleierte Helligkeit lag über dem Dorf.

Plötzlich zeigte sich im Osten über den Wäldern ein rother Schein. Peterl sprang auf, – er fragte sich, ob das Feuer sei. Aber nein, es war nur der Vollmond, der aufging. Erst ganz groß röthlich und matt schimmernd, aber je höher er den Himmel hinan stieg, um so kleiner wurde er und um so heller sein Licht. Es glänzte sanft auf dem smaragdgrünen Moos der alten Strohdächer, es ruhte perlenweiß auf den Mauern, aus denen die kleinen Fenster blinkten.

Immer höher stieg der Mond, und je höher er stieg, um so tiefer schwieg die Erde – immer stiller wurde es – so still, daß man die Bäume athmen hörte.

Es war zu schön – es erinnerte Peterl an die Heimath, und Alles, was ihn an die Heimath erinnerte, that ihm unsäglich weh. Eine Weile trachtete er seinen Schmerz dadurch zu zerstreuen, daß er energisch in das Gras hineinbiß; aber dann war's ihm plötzlich, als höre er Liesel sagen: »Dummer Peterl! friß doch nicht Gras; wenn du Gras frißt, so wird's regnen!«

Da war's aus mit seiner Selbstbeherrschung; wenn er an Liesel dachte, da hielt keine Selbstbeherrschung mehr – er heulte laut und immer lauter. Der Vollmond wirkte entschieden aufregend auf sein Gemüth.

Die schönen Nächte waren gezählt. Einmal nach einem besonders heißen Tag kam ein Gewitter, es blitzte und donnerte und regnete Stunden lang, und als es aufgehört hatte zu donnern und zu blitzen, war es kalt geworden. Die Hälfte des Laubes lag unter den Bäumen, und ein böser Wind fuhr tobend über die Welt und that, was er konnte, um die Blätter, die noch an den Zweigen hängen geblieben waren, ebenfalls herunterzureißen. Der arme, lahme Gaul konnte den Thespiskarren kaum mehr ziehen – erstens nicht, weil die Räder im Koth stecken blieben, und zweitens, weil die Last, die er zu ziehen hatte, immer schwerer wurde, sintemalen sich die ganze Truppe, von welcher sonst häufig ein Theil zu Fuß gewandert war, jetzt vor den Grausamkeiten des Herbstes im Karren zu bergen trachtete.

Peterl hoffte, es würde wieder besser werden, und es kamen auch noch ein paar hübsche Tage. Aber die Nächte waren jetzt alle kalt. Von Städtchen zu Städtchen, von Dorf zu Dorf wanderte der Karren.

Der Verdienst wurde schlecht, die Kost immer schmäler, die Hiebe wurden schärfer, und Peterl machte seine Kunststücke von einem Mal zum andern widerwilliger und ungeschickter.

Anstatt ihm Beifall zu klatschen, lachte man ihn aus, wenn er sich in seinem geblümten Rock und aufgestülpten Federhut in den Scheunen und Wirthsstuben producirte, in welchen die Komödianten jetzt ihre Vorstellungen geben mußten. Kaum daß er drei Schritte auf den Hinterbeinen gemacht hatte, so fiel er ganz plump auf alle Viere, und weder Püffe noch Schmeichelworte konnten ihn dann bewegen, sich aufzurichten. Seine Glieder waren steif vor Kälte und matt vor Hunger, sie versagten beim Springen und Purzelbaumschlagen.

Er gab sich auch gar keine Mühe mehr, er hatte die Possenreißerei satt, er verlangte nichts Besseres, als dieses traurigen Amtes enthoben zu werden.

Nach und nach wurde es dem Komödiantenvater zu arg, und eines Tages, da er, wie er sich gegen sein Weib äußerte – »nicht einen Sprung aus dem vermaledeiten Köter hatte herausschinden können«, meinte die Frau: »Im Winter ist's immer so, die Hunde taugen im Winter zu nichts als zum Fressen!«

»Hm! Du meinst vielleicht zum Gefressenwerden,« brummte der alte Schwiegervater, der, neben dem Kartoffelfeuer auf der Erde kauernd, wieder einmal damit beschäftigt war, einen alten Stiefel zu flicken.

»Ja, das meine ich, – wir haben es noch mit allen Hunden so gemacht im Winter, – im Sommer findet sich ja leicht ein Ersatz!«

»Meinst Du?« wiederholte der Alte, indem er mittelst einer Zange den Draht aus der Sohle seines maroden Stiefels herauszerrte. Er wurde sehr nachdenklich.

»Um den Hund ist's mir leid, er hat so gute Augen, und er war verflucht klug, solange er genug zu fressen bekam. So einen anstelligen Köter haben wir noch gar nicht gehabt! – Und hübsch fängt er au zu werden, seitdem ihm die Haare gewachsen sind,« rief der zottige, kupferfarbige Komödiant, der früher Chorist gewesen war. »Mir möcht' der Bissen nicht schmecken . . .«

»Na, wenn Du willst, so verkauf ihn,« entschied der Schwiegervater; »ernähren werd' ich ihn nicht länger!«

Nun erfolgte ein heftiger Streit zwischen dem zottigen Komödianten und dem Schwiegervater, wobei der Zottige natürlich den Kürzeren zog, wie es auf dieser Erde dem Gutmüthigen immer geschieht.

Den nächsten Morgen lief der ehemalige Chorist mit Peterl von einem Bauern zum andern, Peterl als vorzüglichen Wachhund rühmend. Aber Niemand wollte sich für die kalte Jahreszeit mit einem neuen Kostgänger belasten; so kam denn der arme Rothbart, wie der Komödiant gewöhnlich genannt wurde, unverrichteter Dinge und sehr niedergeschlagen wieder heim.

Der Schwiegervater bestand auf seinem Willen, und als der Rothbart anfing, über das seinem Liebling bevorstehende Schicksal zu weinen, da höhnten ihn die Anderen, worauf er fürchterlich zu fluchen und zu schimpfen begann, dann aber ins Wirthshaus lief, um sich einen Rausch anzutrinken. Das war seine Art, sich wieder ein wenig Courage zum Leben zu machen, wenn sie ihm ausgegangen war.

Die Komödiantenfrau holte einen Strick, um Peterl an eines der Räder des Thespiskarrens anzubinden. Zweimal versuchte er zu entwischen, vergebens – er wurde eingefangen und festgemacht. Der kleine Honzik aber umarmte Peterl heimlich tausendmal und weinte dicke Thränen auf sein schmutziges gelbes Tricot hinab.


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