Joseph Schreyvogel
Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte
Joseph Schreyvogel

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3.

Der Vollmond stieg aus dem Waldesgrund empor und erhob die Abenddämmerung zu einem zweifelhaften Tageslichte. Ich lehnte behaglich in meiner Wagenecke, aus der ich von Zeit zu Zeit einen Blick auf meine schöne Nachbarin warf, welcher ihr Staubmantel den Reiz einer drolligen Vermummung gab. Da ich darüber scherzte, sah sie sich flüchtig an und lachte sehr anmutig ein paarmal auf. Allmählich ward sie heiter und ziemlich gesprächig. Ich erfuhr nun, daß sie Margarete Berger heiße und die Tochter eines Forstbeamten auf den Gütern des Grafen von ** sei, wo sie bis in ihr vierzehntes Jahr eine recht glückliche Jugend verlebt habe. In diesem Alter habe sie ihren Vater und ein Jahr später auch ihre Mutter verloren, ohne daß ihre Eltern ihr einiges Vermögen hinterlassen hätten. Die Schwester ihrer Mutter, selbst Witwe eines herrschaftlichen Rentmeisters, habe sie dann zu sich genommen und ihre Erziehung mit Liebe und Sorgfalt vollendet. Da jedoch ihre Tante selbst nur von einer geringen Pension gelebt und mit den Verwandten ihres verstorbenen Mannes in Erbschaftsstreitigkeiten verwickelt worden, habe sie Gretchen, zu ihrem besseren Fortkommen, in einem anständigen Hause der Hauptstadt unterbringen wollen. In dieser Absicht habe die Tante vor vierzehn Tagen mit ihr die Reise nach der Residenz angetreten, sei aber auf halbem Wege in eine gefährliche Krankheit verfallen und in dem nahen Landstädtchen, wo sie liegen geblieben, am siebenten Tage gestorben.

Ein Strom von Tränen unterbrach hier Gretchens Erzählung. Sie verbarg das Gesicht an der Seite des Wagens und weinte eine Zeitlang heftig. »Verzeihen Sie, mein Herr!« sagte sie dann; »ich besitze die Kunst noch nicht, mich vor Fremden gehörig zu benehmen. Wiewohl eine vater- und mutterlose Waise, fand ich doch in dem Hause meiner Tante die mütterliche Nachsicht und Zärtlichkeit wieder; ich durfte weinen und mich laut freuen; – unter fremden Menschen, weiß ich wohl, schickt sich das nicht.« – »Was ein so gutgeartetes Geschöpf empfindet«, sagte ich, indem ich Gretchens Hand ergriff, »darf es auch äußern. Und bin ich Ihnen denn fremd, liebes Kind? Mir sind Sie es nicht mehr.« – Mein Ton oder meine Worte mußten Gretchens Herz getroffen haben, denn sie sah mir mit ihren großen blauen Augen so mild und vertrauensvoll ins Gesicht, daß ich versucht war, das holde, hilfebedürfende Wesen an meine Brust zu drücken. Aber ich bezwang mich, indem ich sie fragte, warum sie nach dem Unglücke, das ihr begegnet, nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sei, wo sie doch noch einige Bekannte haben müsse? – – »Keine, die etwas für mich tun könnten oder wollten«, erwiderte Gretchen. »Die Verwandten meines Oheims kamen auf die Nachricht von dem wahrscheinlichen Tode der Tante in dem Städtchen an, wo diese krank geworden und eben gestorben war. Sie ließen die Leiche schnell begraben und legten Beschlag auf den Nachlaß der Verstorbenen. Mir wurden meine wenigen Kleider und ein karges Reisegeld verabfolgt. Was blieb mir übrig, als nun allein den Weg nach der Residenz anzutreten, wo ich einige Hoffnung habe, in dem Hause aufgenommen zu werden, für das meine gute Tante mich bestimmt hatte?«

Ich fragte um den Namen der Familie, an welche sich Gretchen in der Residenz wenden wollte. Sie nannte mir eine Frau von Reichard, Bankierswitwe, welche ich einigemal gesehen und von der ich viel Gutes gehört hatte. »Das Haus hat den besten Ruf«, sagte ich; »vielleicht, Gretchen, finden Sie da einen Teil dessen wieder, was Sie verloren haben. Ich will Sie in die Stadt bringen, liebes Kind; seien Sie guten Mutes!« – Die lebhafteste Freude glänzte in Gretchens Augen; sie drückte fühlbar meine Hand und war im Begriff, sie noch einmal gegen ihre Lippen zu führen. Das verwirrte mich; mit einiger Hast zog ich meine Hand zurück, so daß Gretchen mich betroffen ansah. Ich glaube, ich ward rot; unwillkürlich schlug ich die Augen nieder. Zum Glücke fuhr der Wagen eben in das Posthaus und Paul stand schon vor dem offenen Schlage. – »Wir bleiben doch hier?« sagte er, indem er mir heraushalf. – »Ja, Paul; besorge ein abgesondertes Zimmer für Mamsell Berger.« »Kommen Sie, Mamsellchen!« rief der Alte; »wir wollen uns gleich nach Ihrem Koffer umsehen.« – »Sie werden doch nicht böse, Herr«, setzte er leise mit einer Schalksmiene hinzu, »wenn auch ich ein wenig mit dem hübschen Mädchen charmiere?« – »Geh, Narr!« sagte ich, ziemlich verdrießlich, daß der Alte meinen Empfindungen so nahe auf der Spur war.

Ich spazierte über den Hof zum Tore hinaus, um mich noch ein wenig im Freien zu ergehen. Es war inzwischen Nacht geworden. Der Arktur stand am nordwestlichen Himmel, im Zenith funkelte die Lyra und ostwärts strahlte, wie zu ihr aufschwebend, der Adler. Aber vor mein Gemüt traten zwei milde Augensterne und meine Blicke wandten sich von dem Glanz der Himmelslichter dem sanften Scheine des irdischen Gestirnes zu, das mir so unvermutet aufgegangen war. »Wie steht es mit dir, Samuel?« sagte ich zu mir selbst. »Bist du nicht zu Jahren gekommen und halb und halb ein Philosoph? Doch hier unten wie dort oben wirkt die Natur nach ihren ewigen, einfachen Gesetzen. Die Bahn der Gestirne altert nicht, ebensowenig der mächtige Trieb der Herzen. Was haben wir voraus mit unserer Erfahrung und Weisheit als die Fähigkeit, unsere Wünsche und Neigungen früher zu verstehen und – darüber zu lächeln? – Bedenke deine Jahre, Samuel, bedenke deine Jahre!« –

Als ich langsam gegen das Posthaus zurückging, kam mir Paul daraus entgegen, um mir zu sagen, daß Gretchen mit dem Essen auf mich warte. Sie wendete sich mit großer Heiterkeit zu mir, da ich ins Zimmer trat. Ihr Anblick ergriff mich aufs neue. Das Herz schlug mir merklich; ich winkte Gretchen, neben mir Platz zu nehmen, und setzte mich selbst geschwind, um meine Unruhe weniger auffallend zu machen. Das harmlose Mädchen erzählte mir sehr vergnügt, daß sich ihr Koffer gefunden habe, was ihr besonders ihrer Papiere wegen lieb sei. Überhaupt sprach sie gern und lebhaft, auch von der Stadt, von deren Verhältnissen sie ziemlich unterrichtet schien, denn ihre Tante war dort geboren und erzogen worden. Ich hörte meist schweigend zu, während ich ziemlich eifrig aß und mich mehr und mehr in das Anschauen der lieblichen Gestalt vertiefte. Da ich abgespeist hatte und Gretchen mich eine Weile still sitzen sah, stand sie auf, um sich zu entfernen. – »Morgen um vier Uhr die Pferde, Paul!« fuhr ich endlich aus meiner Zerstreuung auf. – Mit einem freundlichen »Gute Nacht, lieber Herr!« schlüpfte sie aus der Tür. »Gute Nacht, Gretchen!« rief ich ihr nach.

»Bedenke deine Jahre, Samuel!« sagte ich noch einmal zu mir selbst, nachdem ich meinen Paul stumm verabschiedet und mich, halb ausgekleidet, auf das Bett geworfen hatte, worin endlich der Schlaf meinen umherschwärmenden Gedanken ein Ziel setzte.


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