Joseph Schreyvogel
Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte
Joseph Schreyvogel

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2.

Es war ein herrlicher Sommerabend. Die untergehende Sonne übermalte den leichtbewölkten Himmel mit ihren schönsten Farben. Die fruchtbare Landschaft, von Hügeln und Tälern durchschnitten, ruhte wie ihre Bewohner von dem Geräusch und den Mühen des Tages. An beiden Seiten der Straße lagen in ziemlicher Ferne einige Dörfer, zu denen die Herden und hin und wieder einzelne Arbeiter zurückkehrten. Kein Fuhrwerk war auf der Straße zu sehen, kaum von Zeit zu Zeit ein Fußgänger. Wir fuhren eine Anhöhe hinauf, deren bewachsene Spitze der Anfang eines ziemlich beträchtlichen Waldes ist. Als wir die Höhe erreichten und die Straße selbst durch das dichter werdende Gehölz bedeckt wurde, sah Paul etwas besorgt zurück. – »Fahr zu, Schwager!« rief ich, Pauls besorgtem Blicke gleichsam antwortend. Die Rosse liefen bergab, was sie konnten.

Jetzt lichtete sich das Gehölz; ein Teil der Straße wurde sichtbar. Mir deuchte, ich erblicke die Gestalt die mein unruhiges Auge suchte: aber Baumgruppen deckten die flüchtige Erscheinung wieder. Bald schien mir, ich sehe die Gestalt noch einmal nicht weit von uns, und die zwei rohen Gesellen hinter ihr. – »Sie sinds!« schrie Paul, als wir sie beinahe erreicht hatten. – Die Burschen mochten den Wagen bemerkt haben; sie blieben ein wenig zurück, desto rascher ging das Mädchen vorwärts. Ich rief dem Postillon zu, seine Pferde etwas anzuhalten, was ihm aber nicht sogleich gelang. Als wir an dem Mädchen vorbeifuhren, schien sie mich und Paul zu erkennen; sie verdoppelte ihre Anstrengung, um uns nachzukommen. Da wendete sich der Weg und ein Gebüsch verbarg sie uns aufs neue.

Plötzlich vernahmen wir einen Schrei hinter uns. Der Postillon hatte die Pferde eben zum Stillstehen gebracht. Ich sprang aus der Kalesche und flog dem Orte des Angriffes zu, den mir ein wiederholtes Zuhilferufen bezeichnete. Als ich durch das Gebüsch gedrungen war, sah ich das Mädchen mit den zwei Buben ringen. Meinen Knotenstock in der Faust, stürzte ich auf die Elenden los. Sie wurden mich nicht gewahr, bis meine wiederholten Streiche sie aus ihrer brutalen Zerstreuung aufweckten. Die Schurken waren in Begriff, sich zur Wehre zu setzen, als ich sie plötzlich, von einem panischen Schrecken überfallen, entfliehen sah. Paul, mit meinen Pistolen bewaffnet, und der Postillon waren mir zur Seite; drohend und lärmend setzten sie den Flüchtigen nach. Das Mädchen, jetzt erst seiner Rettung gewiß, warf sich in heftiger Bewegung an meinen Hals. Wie aufgelöst von Angst und Freude, lag sie einen Augenblick in meinen Armen; aber schnell schien sie sich zu besinnen, und indem sie, über und über errötend sich aus meiner Umarmung wand, drückte sie meine Hand an ihre glühenden Lippen.

Paul und der Postillon kamen lachend auf uns zu. Sie hatten die Flüchtlinge nicht erreichen können und mußten sich begnügen, sie waldeinwärts verjagt zu haben. Das Mädchen ward nun erst ihren zerstörten Anzug gewahr; verschämt entfernte sie sich von uns, um ihn ein wenig zu ordnen und ihr zerstreutes Bündel zu suchen, das etwa fünfzig Schritte zurück am Wege lag. Paul sah ihr mit innigem Vergnügen nach und der Postillon, dessen glotzende Augen der schlanken Gestalt gleichfalls nachstarrten, murmelte schmunzelnd: »Blitz! 's ist eine hübsche Dirne!« – »Ich dächte, Herr«, sagte Paul, »wir hingen dem lieben Kinde Ihren Staubmantel um; sie scheint sehr erhitzt und könnte bei dem kühlen Abend sich im Fahren leicht erkälten.« – »Du meinst also, Paul –?« – »Daß Sie das Mädchen nicht in Nacht und Wald schutzlos zurücklassen werden, wohl mein' ich das, oder ich müßte Herrn Samuel Brink nicht mehr kennen. Ich will nur gleich vorausgehen und den Staubmantel aus dem Magazin hervorsuchen.« – »Tu das, guter Paul, und du, Schwager, sieh zu deinen Pferden; ich komme gleich nach.« – »Heißa, Schwager!« rief Paul, ihn mit sich fortziehend, »jetzt gibt es eine lustige Fahrt und Extra-Trinkgeld!«

Ich ging dem Mädchen, das sich langsam näherte, einige Schritte entgegen und bot ihr meinen Arm. Sie hatte sich ziemlich gefaßt und nahm meinen Antrag, sie auf die nächste Station zu führen, mit bescheidenem Danke an. Paul stand schon mit seinem Staubmantel da, als wir zu der Kalesche kamen, und nötigte ihn meiner Begleiterin ohne Umstände auf. Dafür nahm er ihr das Bündelchen ab und brachte es in dem Wagensitze unter. Von dem Postillon hörten wir jetzt zum großen Schrecken des Mädchens, daß die Diligence, auf welcher sie einen Platz nach der Hauptstadt hatte nehmen wollen, schon vor mehreren Stunden weiter gefahren sei; sie war um so mehr bestürzt darüber, weil sie ihren Koffer vorausgesendet hatte und dieser, wie sie fürchtete, verloren sein möchte. – »Das wird sich alles finden«, rief Paul in bester Laune. »«Wer weiß, Mamsellchen, wozu der kleine Unfall gut ist!« Hierauf hob er sie zierlich in den Schlag und hüpfte selbst ganz behende auf den Kutscherbock. Der Postillon trieb seine Pferde an und blies ein munteres Stückchen dazu.


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