Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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III.

Auf den Feldern zwischen der Stadt Mühlhausen und dem Dorfe Ammara war eine unabsehbare Menschenmenge versammelt. Der Stadthauptmann Eberhard von Bodungen hatte auf Befehl des Rates alle wehrhaften Bürger und auch die waffenfähigen Bauern der achtzehn Dörfer, die zum Mühlhäuser Stadtbezirke gehörten, dorthin zu einer kriegerischen Übung entboten. Sie waren erst gemustert worden und sollten es nun lernen, in Rotten und Gewalthaufen zu fechten. Fünf kriegserfahrene Landsknechte, die im Solde der Reichsstadt standen, leiteten sie dazu an.

Es verstand sich von selber, daß zu diesem Schauspiele auch der nicht waffentragende Teil der städtischen und ländlichen Bevölkerung zusammengeströmt war. Alles war vertreten, vom Greise, der auf seinen Stab gestützt einherwandelte, bis zum kleinen Kinde, das auf seiner Mutter Arm saß. In großen Trupps standen die Leute beieinander, lachten und schwatzten und betrachteten neugierig, aber auch voll Stolz und Befriedigung die Kriegsmacht ihrer guten Stadt, und wenn ein Bekannter vorüberzog, so schrien sie ihm Heil und Gruß zu, wunderten sich auch, wie stattlich er in Brustharnisch und Sturmhaube aussah.

In einem dieser Volkshaufen stand auch Michael Meyenburg. Er hatte seinen langen Spieß vor sich in die Erde gestoßen und lehnte sich daran, denn nachdem er die halbe Nacht und bis weit in den Morgen hinein geritten und gegangen war, empfand er das lange Stehen als eine geringe Freude und sehnte ungeduldig das Ende der Übung herbei. Seine Freunde Lamhardt und Schiele hatten ihn schon erkannt und ihm zugenickt. Wenn dann die Glieder des Fußvolkes sich auflösten, hoffte er, in ihrer Begleitung in die Stadt hineinzukommen.

Dieser Zeitpunkt schien etwa eine Stunde vor Mittag endlich gekommen zu sein, denn Herr Eberhard von Bodungen ließ die Rotten in einen Kreis zusammenschwenken und war wohl eben im Begriff, den Befehl zur Heimkehr und zur Auflösung der Haufen zu geben, als plötzlich neben ihm ein Mann im Ringe erschien und mit lauttönender Stimme zu reden anhub. Er saß hoch zu Roß, wie der Stadthauptmann auch, trug aber ein geistliches Gewand und statt der Sturmhaube eine flache Kappe auf dem Haupte. Sein Gesicht war gelblichweiß wie Pergament, es leuchtete geradezu in seiner krankhaften Blässe, und aus den großen, dunkelblauen Augen, die etwas vorstanden, loderte ein düsteres Feuer.

»Wer ist denn das?« raunte Meyenburg einem neben ihm stehenden alten Schäfer zu.

Der Greis blickte ihn mißtrauisch von der Seite an. »Kennt Ihr ihn nicht? Wo seid Ihr denn her? Das ist« – er nahm seine Mütze ab – »der Gesalbte Gottes, Herr Thomas Münzer.«

Meyenburg hatte sich das beim ersten Anblick des Mannes gedacht. Er hatte ihn weder leibhaftig noch im Bilde je gesehen, aber solch ein Schwärmerantlitz mußte der Mann haben, der überall, wohin er bisher gekommen war, das Volk zum Aufruhr gereizt hatte. Es paßte ganz zu seiner Predigt.

»Liebe Männer! Söhne Gottes, die unser Herr Christus zur Freiheit hat erlöst mit seinem Blute!« begann der Prophet, aber er wurde unsanft unterbrochen. Herr Eberhard von Bodungen, ein schwerer Feind alles unordentlichen Wesens, drehte sich wütend auf seinem Gaul um und rief: »Was wollt Ihr hier, Herr Pfarrer? Waltet Eures Amtes in der Kirche und predigt nicht auch noch auf dem Felde!«

Es gehörte nicht geringer Mut dazu, vor diesem Haufen den Propheten so zurechtzuweisen, und ein drohendes Murren und Aufstampfen der Hellebarden von allen Seiten bewies, daß Bodungen seine Sicherheit aufs Spiel setzte, wenn er in diesem Tone fortfuhr. Das hätte ihn nun freilich nicht gehindert, dem Propheten, den er haßte, seine Meinung zu sagen, aber er sah ein, daß ihn der Volkswille zum Nachgeben zwingen werde, wenn er nicht selbst nachgab. Darum ritt er, braunrot vor Zorn, hinüber, wo die Pfeifer, Trommler und Zinkmeister standen, und ließ geschehen, was er nicht ändern konnte.

Münzer hatte nicht einen Blick zu ihm hinübergeworfen. Er tat, als hätte der Stadthauptmann gar nichts gesagt, ja, als wäre er überhaupt nicht vorhanden. »Geliebte Brüder!« rief er noch lauter als vorher, »ich habe euch ein Ding zu künden, das ihr noch nicht wißt. Das kaiserliche Regiment hat uns Briefe gesandt, worin es gebietet, die Mühlhäuser sollen auf der Stelle die Mönche und Pfaffen wieder aufnehmen, die sie vertrieben haben, sollen ihnen auch Genugtuung geben für den erlittenen Schaden. Nun meine ich, wir sind wohl nicht stark genug, den Fürsten und Herren zu widerstreben, die hinter dem Regiment stehen. Was sollen wir machen, wenn sie uns etwa mit Gewalt überziehen? Wir täten wohl am besten, wenn wir die Waffen wieder in die Stadt nähmen!«

Meyenburg glaubte nicht recht gehört zu haben, und auf allen Gesichtern, die er erblicken konnte, las er eine große Verblüffung. Daß Münzer, der sonst stets schürte und hetzte und die schärfsten Maßregeln gegen die Geistlichkeit der alten Kirche empfahl, mit einem Male zum Frieden redete, das war ja etwas Unerhörtes. Es ärgerte und verwirrte viele und war vor allem denen sehr unlieb zu hören, die an den Klosterstürmen teilgenommen hatten. So erhob sich denn jetzt ein ebenso drohendes Murren gegen ihn, wie es sich vorhin für ihn erhoben hatte.

Da ging ein triumphierendes Lächeln über sein Gesicht, und sich hochreckend rief er: »Geliebte Brüder, was ich da sagte, war geredet, euch zu versuchen. Ich wollte nur sehen, wie fest ihr wäret im Glauben, und ich freue mich euer. Ich sehe, ihr stehet fest bei Gott, der gebietet, die Priester Baals auszutreiben und ihnen keine Stätte zu lassen, zu wohnen bei den Kindern des Höchsten. Ihr fürchtet euch auch nicht vor den Fürsten und Gewaltigen, die jene schützen, und ihr tut recht daran. Denn also spricht der Herr und Gott, Jesaia am neunundzwanzigsten: die Menge deiner Feinde wird sein wie dürrer Staub und die Menge der Tyrannen wie verwehte Spreu, und das soll plötzlich geschehen und ohn alles Vermuten. Er wird die Stolzen erniedrigen und die Gewaltigen vom Stuhle stoßen. Er will die Niedrigen erhöhen, und die Letzten sollen die Ersten werden. Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist deines Vaters Wille, dir das Reich zu geben! Was sind die Fürsten, die euch bedräuen? Was ist der Kaiser? Was ist der Hesse und der Dresdener Herzog, die so stolz einherprangen? Wie Mücken und Fliegen sind sie vor dem lebendigen Gott, der wie der Sturmwind vor den Seinen herfährt. Die ihnen jetzt untertan sind, werden sich gegen sie erheben und werden euch beistehen, dessen seid sicher und getrost, und zum Zeichen, liebe Brüder, daß ihr wollet beim Worte Gottes stehen und bei seiner Gerechtigkeit und eher sterben wollt, als davon weichen, hebt eure Finger auf und schwört einen leiblichen Eid!«

Die Wendung kam den Leuten unerwartet. Ziemlich verdutzt blickten die meisten den Propheten an, der mit segnend erhobenen Händen auf seinem Rosse saß. Es war ihnen offenbar nicht recht klar, was sie eigentlich beschwören sollten. Einige seiner blindesten Anhänger reckten indessen unbedenklich die Schwurfinger empor, und andere schickten sich an, ihrem Beispiele zu folgen, als Herr Eberhard von Bodungen mit Donnerstimme dazwischen fuhr.

»Liebe Bürger!« schrie er, zornig seinen Hut vom Kopfe reißend, »schwört nicht, denn es ist euch nicht not zu schwören. Kein Mann ist so unverständig, daß er nicht auch ohne dies beim Worte Gottes bliebe. Habt ihr aber nicht schon Eide genug geschworen, so schwöre jeder noch einen Korb voll und hänge ihn an seinen Hals. Doch das tut, wo ihr wollt, nicht hier, solange ich über euch zu befehlen habe als der Stadthauptmann der geschworenen Bürger und Hintersassen von Mühlhausen. Jetzt gehen wir nach der Stadt zurück! Los! Auf, Spielleute!«

Er warf die Hand hoch in die Luft, und mit grellen Tönen setzte die Musik ein. Die beiden Trompeter schmetterten eine Marschweise der frommen Landsknechte mit voller Lungenkraft in die Luft hinaus, die Pfeifen quiekten, die große Trommel rasselte. Dieser plötzlich losbrechende Lärm hatte eine sehr betrübende Wirkung auf das Roß des Propheten. Der starke Ackergaul des Achtmannes Hans Schmidt, den er bestiegen hatte, war ein altes wackeres Tier, aber solcher kriegerischen Klänge völlig ungewohnt. Er spitzte die Ohren und begann in gefährlicher Weise zu bocken und auszuschlagen. Das war für den Propheten, der des Reitens ungewohnt war, sehr verhängnisvoll, denn er kam ins Schwanken, klammerte sich angstvoll an den Sattel an und rief um Hilfe. Mit Mühe bewahrten ihn einige Getreue, die herzusprangen und das Pferd festhielten und beruhigten, vor einem schweren Fall. Aber die Wirkung seiner Rede war gänzlich verdorben; die Rotten zogen ab, der Musik nach, das Volk lief auseinander, und mit finsterer Miene mußte er selbst den Heimweg zu Fuß antreten, denn auf die bösartige Mähre getraute er sich nicht mehr hinauf.

Meyenburg, der ganz in der Nähe gestanden hatte, verbiß nur mit Mühe ein Lachen. Der Mann hatte zuerst einen unheimlichen Eindruck auf ihn gemacht mit seinem düsteren Schwärmerantlitz und dem aufreizenden Klang seiner Stimme. Jetzt erschien er ihm fast lächerlich. »Er hat doch wohl nicht die Macht in der Stadt, die man ihm allenthalben zuschreibt,« überlegte er, »denn sonst hätte es Bodungen nimmermehr wagen können, ihm so entgegenzutreten. Vielleicht ist alles übertrieben, was man im Lande von den Mühlhäusern redet, und die Mehrzahl von ihnen wird sich's doch noch lange überlegen, ob sie sich von dem Propheten zu blutigen Gewalttaten hinreißen lassen soll.« Herr der Stadt waren sie wohl nicht, weder Münzer noch sein Kumpan, der entlaufene Mönch Pfeifer, den er nicht gesehen oder nicht erkannt hatte. Das erfüllte ihn mit froher Hoffnung auch für seine Stadt, denn Nordhausen war schwer bedroht, wenn etwa von Mühlhausen aus der Stein ins Rollen gebracht wurde. Er kannte besser als die Herren vom Rate den aufsässigen Geist, der in den Kreisen der Handwerker seinen Einzug gehalten hatte. Blieb Mühlhausen ruhig, bis die sächsischen Fürsten und der Landgraf von Hessen mit ihren Rüstungen fertig waren, so brauchten die Nordhäuser Gewalthaber nicht besorgt zu sein. Sonst war vieles möglich.

Aber seine gute Zuversicht schwand sehr schnell dahin, als er in Begleitung der beiden Ratsherren Lamhardt und Schiele auf die Stadt zuschritt. Die waren, wie er sogleich aus ihren Reden vernahm, unbedingte Anhänger des Propheten und schimpften gewaltig über den Streich Bodungens, den sie einen Narren, Schindhund und Verräter schalten. Auch alle, die mit ihnen im Zuge gingen, gaben ihnen recht und ließen ihren Unmut in heftigen und drohenden Worten aus. Es ging ihm ein Licht darüber auf, daß der wackere und mutige Stadthauptmann den Propheten nur mit seiner schnellen, kecken Tat überrumpelt hatte. Die Macht über die Gemüter hatte er ihm nicht genommen, die saß fest in den Seelen dieser Männer und wohl der meisten ihrer Mitbürger. Was war vor allem aus Schiele geworden, der zwar auch schon früher eitel und ruhmredig, aber doch im ganzen ein vernünftiger Mann gewesen war! Als Meyenburg eine Stunde später an seinem Tische saß, kam es ihm vor, als sei er in ein Narrenhaus geraten. Der Hausherr leitete das Mittagsmahl mit einem langen, verworrenen Gebete ein, worin er nicht etwa Gott für seinen Segen dankte, sondern ihn um die Vernichtung der Gottlosen und den baldigen Sturz der Tyrannen anflehte, auch den Seinen verkündigte, er habe ein Gesicht gehabt in der Nacht und eine Stimme gehört, die wie Posaunenton geklungen habe und von oben her gewesen sei. Was sie ihm anvertraut hatte, deutete er nur an, aber sein Ehegespons und seine beiden erwachsenen Töchter, die beiden Knechte und die Magd des Hauses machten verzückte Mienen zu seiner Rede, und Meyenburg erkannte, daß sie allesamt vom Geiste ergriffen waren. In eine sehr unbehagliche Lage geriet er, als der Ratsherr ihn während des Essens zu bekehren suchte. Er hatte den Namen Luthers in anerkennender Weise ausgesprochen, aber damit kam er schön an. »Gehe mir mit dem!« rief Schiele und rollte die Augen. »Es ist wahr, er hat der neuen Wahrheit den Weg bereitet, aber er ist auf halbem Wege stehengeblieben und bleibt immer mehr zurück. Er schreit: Schrift! Schrift! und weiß nichts davon, daß die Schrift nichts wirkt, sondern nur der Geist und das innere Licht, das Gott in uns anzündet und dessen Schein er freilich nie gesehen hat mit seinen blöden Augen. Nicht Luther ist der Mann, der die Kinder Gottes führen wird zu seiner Herrlichkeit. Der Mann heißt Münzer, Thomas Münzer! Er zeigt den Weg, der zu Gott führt und neben dem es keinen gibt. Weißt du, wie dieser Weg heißt?«

Meyenburg verneinte verwundert. Die Narrheit des Mannes, den er früher nicht ungern gesehen hatte, belustigte und verdroß ihn zu gleicher Zeit. So viel aber erkannte er klar, daß man Leuten, die der Geist ergriffen hatte, nicht widersprechen dürfe, ohne ihren höchsten Zorn zu erregen ganz ohne Nutzen. Er hatte durch Schiele, der gesalzene Fische ins Kloster zu liefern pflegte, den Zettel Ursulas erhalten und war ihm daher zu Danke verpflichtet. Auch sah er sich sehr auf seine weitere Hilfe angewiesen. Nun hielt ja der verwirrte Mann die Entfernung einer Nonne aus dem Kloster ohne Frage für eine Gott wohlgefällige Tat, aber ob er einem dabei helfen werde, der anders dachte als er, schien doch zweifelhaft. So beschloß denn Meyenburg ihn zu behandeln wie einen, der seiner Sinne nicht mächtig ist und sich in einem starken Rausche befindet, und zu allem ja zu sagen, was er auch vorbrächte.

»Wie kannst du es auch wissen, da du ohne das innere Licht bist?« fuhr Schiele salbungsvoll fort. »Ich aber will dich nicht im Dunkeln lassen. Sechs Stufen schreitet der Mensch empor, wenn er will zu Gott kommen und ihn schauen von Angesicht zu Angesicht. Sie heißen« – er dämpfte seine Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern – »sie heißen Entgröbung, Studierung, Verwunderung, gelassene Gelassenheit, Stehen in der Langenweile, Entzückung.«

Hier schob die älteste Tochter ihren Teller zurück, brach in Tränen aus und eilte aus dem Gemache. Schiele sah ihr mit einem wohlwollenden Lächeln nach. »Sie grämt sich,« sagte er, »daß sie noch nicht über die Stufe der Entgröbung hinausgelangt ist, und wird wohl droben in ihrem Stübchen suchen, in die Studierung zu kommen.«

Meyenburg unterdrückte das bissige Wort, das er schon auf der Zunge hatte, und fragte mit anscheinend großer Teilnahme, was denn diese Worte zu bedeuten hätten. Aber bald bereute er seine Frage bitter, denn nun begann Schiele ein Geschwafel, das alles, was er bisher vorgebracht hatte, an Bombast und Verworrenheit weit übertraf. Bei Meyenburg setzte sich der Gedanke immer fester, daß er es hier mit einem Halbverrückten zu tun habe, aber jedesmal, wenn Schiele ihn fragte, ob er verstanden habe, erklärte er mit eiserner Stirn, er habe alles wohl begriffen, und es sei ihm, als gehe das innere Licht auch in seiner Seele auf.

Das stimmte den Ratsherrn überaus fröhlich, denn er wurde allmählich davon überzeugt, daß er der Lehre seines Meisters durch seine große geistliche Beredsamkeit einen neuen Jünger gewonnen habe. Er nannte ihn seinen lieben Bruder in Christo, und wenig fehlte, so hätte er ihn umarmt und geküßt.

Diesen Augenblick benutzte Meyenburg, um auf die Angelegenheit zu kommen, die ihn hergeführt hatte und ihm nun je länger je mehr auf der Seele brannte. Er hatte einen günstigen Zeitpunkt gewählt. Schiele ging mit Feuereifer auf die Sache ein. »Ha!« rief er und warf sich stolz in die Brust, »das werden wir bald vollbringen. Die Mönchsklöster in der Stadt haben wir alle zerstört und die Söhne Belials vertrieben. Das Frauenkloster hat noch immer der Rat geschirmt, und ich und Lamhardt und der junge Baumgarten konnten's bisher nicht hindern. Etliche der Schwestern haben Verwandte im Rat, auch hat der Herzog Jörg in Dresden der Stadt mit seiner Rache gedroht, falls sie die Hand nach dem Kloster ausstrecke. Der Bärtige ist ja des Reiches Schultheiß bei uns wie bei euch in Nordhausen und maßt sich an, seine Nase in alles hineinzustecken, was ihn nichts angeht. Aber die Zeit ist nahe, daß seiner Herrschaft wird ein Ende gemacht werden, denn der Herr wird die Tyrannen erniedrigen und das in einer Kürze. Wir sollten uns nicht fürchten und das Kloster einziehen zu der Stadt gemeinem Nutzen und die Schwestern dahin ziehen lassen, woher sie gekommen sind, Das wird wohl aber der alte Rat nicht tun, solange er das Regiment hat. Aber eine herauszuführen, kann er dir nicht weigern, denn er muß sich fürchten vor dem gemeinen Mann. Hörten die Leute, daß eine in dem Gefängnis des Teufels würde festgehalten wider ihren Willen, so würden sie schwierig werden und ihre Befreiung ernstlich begehren. Darum rate ich dir, gehe nachher auf das Rathaus zum Bürgermeister und begehre, daß er dich von Stadtknechten lasse in das Kloster geleiten, damit du die herausholst, die dich gerufen hat. Ich selber werde mit dir aufs Rathaus gehen.«

Das tat er denn auch, aber in der Tür des Rathauses verließ er ihn. »Die Herren droben sind mir nicht grün,« sagte er. »Komme ich mit dir, so möchten sie leichtlich eine Meinung gegen dich fassen. Darum gehe lieber allein hinauf.«

Meyenburg folgte dem Rate, wurde aber nicht vorgelassen, da die beiden Bürgermeister und der Syndikus der Stadt gerade eine Sitzung abhielten. Sie währte schier endlos, der Nachmittag ging fast darüber hin. Um die Zeit totzuschlagen, bequemte er sich dazu, mit den beiden Stadtknechten, die sich im Vorzimmer der Ratsstube aufhielten, ein Kartenspiel zu beginnen. Sie forderten ihn dazu auf, denn sie kannten ihn nicht und hielten ihn wohl für einen ihresgleichen. Bei der Unterhaltung während des Spieles hörte er vieles, was ihm zu denken gab. Die beiden waren offenbar auch vom Geiste ergriffen, denn auch sie redeten von Gottes Wort, dem inneren Lichte, der christlichen Freiheit und anderen hohen Dingen, von denen ihre einfältigen Seelen wenig oder nichts verstehen konnten. Sie raunten ihm auch zu, so wie es jetzt sei, werde es nicht lange mehr bleiben in Mühlhausen, die Herren, die da drinnen säßen, müßten herunter von ihren Stühlen, denn die kleinen Tyrannen müßten ebenso gestürzt werden wie die großen.

Endlich öffnete sich die Tür. Der eine Bürgermeister schritt heraus und begab sich nach Hause, und nun ging einer der Stadtknechte hinein, um Meyenburg bei den Zurückgebliebenen anzumelden. Gleich darauf stand er vor einem langen Tische, hinter dem zwei Männer vor einem ungeheuren Stoße von Papieren saßen. Der eine, der große, dicke, war der Bürgermeister, der andere, ein kleiner beweglicher Mann mit ungemein schlauen Augen, der Syndikus der Stadt, Doktor von Otthera.

»Gottes Tod!« sagte der Bürgermeister mit seiner fetten Stimme. »Ihr seid es, Herr Syndikus von Nordhausen? Da meldet mir der Hammel einen fahrenden Knecht! Habt Ihr eine Botschaft Eures Rates an uns?«

»Ich komme in eigener Sache,« erwiderte Meyenburg, erzählte, was ihn hergeführt hatte und bat, die Jungfrau aus dem Kloster holen zu lassen und ihm zu übergeben.

Der Bürgermeister zog seine Stirn in schwere Falten. »Was meint Ihr dazu, Herr Doktor?« wandte er sich an Otthera.

Der rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her. »Der Herr Kollege von Nordhausen möge mir's nicht verübeln, wenn ich sage: das kann nicht sein. Bürgermeister und Rat dürfen es nicht verderben mit dem Herzog Georg, denn er ist ihre einzige Stütze. Die Herren in Nordhausen werden es auch noch erfahren, denn die Zeitläufte werden immer seltsamer. Greifen wir in die Rechte des Klosters, so erzürnen wir den Herzog höchlich. Er hält ja, wie Ihr wißt, streng am alten Glauben fest. So werdet Ihr denn selbst einsehen, daß es nicht angeht, Euch bei Wegführung Hilf' und Beistand zu leisten.«

Meyenburg sah das sehr wohl ein. Diese Leute hatten wirklich nur noch eine Hoffnung, die auf die Hilfe des Herzogs. Vielleicht konnte er ihren bevorstehenden Sturz nicht abwenden, aber er konnte sie, wenn es zum Kriege mit dem Propheten kam und sie bis zum Siege der Fürsten noch lebten, wieder in ihre Würden und Ehren einsetzen. Wäre er Syndikus dieser Stadt gewesen, so hätte er auch nicht anders geraten als Otthera.

»Ihr seht, es geht nicht,« sagte der Bürgermeister nach einem langen Schweigen.

»Wenn ich aber die Jungfrau selber aus dem Kloster holte, auf eigene Gefahr und ohne Euch zu bemühen – was tätet Ihr dann?«

Der Bürgermeister blickte wieder seinen Syndikus an. »Was meint Ihr dazu, Herr Doktor?«

»Was er auf eigene Gefahr tut, kann uns nicht kümmern, Herr,« entgegnete Otthera. »Es sind ja schon etliche Schwestern abgeholt worden von ihren Brüdern oder Gefreundeten, und wir haben's nicht gehindert, könnten's auch nicht hindern, denn es könnte leicht dadurch ein Aufruhr des Volkes erregt werden. Wäre ich an Eurer Stelle, so ginge ich hin zur Domina und bäte sie, mir die Jungfrau mitzugeben in aller Stille. Sie wird es Euch schwerlich weigern, denn es ist jetzt nicht die Zeit, ein Weib im Kloster zurückzuhalten wider ihren Willen, am wenigsten in Mühlhausen.« Der Bürgermeister neigte bestätigend seinen großen Kopf. »Ihr habt guten Rat gehört. Handelt danach!«

Meyenburg bedankte sich und ging. Auch ihm schien es, als ob er auf diesem geraden, einfachen Wege sein Ziel am sichersten erreichen werde. Auf der Treppe begegnete ihm sein Freund, der Ratsherr Lamhardt, dem er sogleich alles erzählte und den er bat, ihm behilflich zu sein.

»Ich geleite dich zum Kloster, und wir wollen eilen, denn es dunkelt schon stark,« antwortete Lamhardt und zog ihn am Arme mit sich.

Einige Minuten später standen sie vor dem großen Gebäude und suchten Einlaß zu gewinnen. Aber kein Klopfen, Pochen und Rufen half. Das vollkommen dunkle Haus, aus dem nirgendwo ein Lichtschein herausbrach, blieb verschlossen. Es war, als läge es von seinen Bewohnern verlassen. Dagegen wurde es auf der Straße immer lebendiger, denn alle Vorübergehenden blieben stehen und sammelten sich zu einem dichten Haufen. Einige von den jüngeren Leuten begannen zu johlen und zu pfeifen, und schon flog ein schwerer Stein nach der Klostertür.

»Komm!« flüsterte Lamhardt. »Wir wollen gehen. Du mußt morgen am hellen Tage Einlaß suchen. Bleiben wir hier, so kann leicht eine Gewalttat geschehen. Die Leute denken, wir wollen einen Pfaffensturm beginnen, und dazu findet man in Mühlhausen nur zu willige Helfer.«

Er schritt eilig davon, und Meyenburg folgte ihm, aber verdrossen und fast mutlos. Was sollte werden, wenn sich auch morgen die Klosterpforte nicht für ihn öffnete? Niemand half ihm, viel Zeit hatte er nicht zu verlieren, und so mußte er vielleicht morgen oder übermorgen die Stadt wieder verlassen.

Da kam ihm mit einem Male eine Hilfe, die er nimmer erwartet hätte. In der Tür einer Trinkstube, die mit Menschen angefüllt war, stand der Ratsherr Schiele und erkannte ihn im Lichte der über der Tür hängenden großen Laterne.

»Kommt zu uns herein. Freunde!« rief er überlaut. »Der Rat hat jedem Viertel ein großes Faß Bier verehrt, weil wir uns heute so wacker getummelt haben. Er hat lange nichts so Gescheites getan. Es ist nun freilich fast leer, aber wir schroten eben ein neues an. Da könnt ihr uns helfen.«

Meyenburg trat näher und bemerkte mit ziemlichem Erstaunen, daß Schiele, dieses erlesene Gefäß des Geistes, nicht mehr ganz nüchtern war. Auch seine Gesellen schienen noch nicht weit gediehen zu sein in der »Entgröbung«, denn sie saßen mit biergeröteten Gesichtern da, lachten und schrien und machten durchaus nicht den Eindruck von Männern, die sich entschlossen haben, ein Leben der göttlichen Traurigkeit zu führen.

Der Anblick der halbtrunkenen Prophetenjünger erzeugte in Meyenburg einen plötzlichen Umschwung der Stimmung. Der Gegensatz ihrer Trinkfreudigkeit zu dem überstiegenen, hochtrabenden Gerede, das er den halben Nachmittag über hatte anhören müssen, erschien ihm so überaus lächerlich, daß er sich nur mit Mühe beherrschte. Am liebsten wäre er in ein lautes Gelächter ausgebrochen, aber er ließ es doch lieber bei einem Lächeln bewenden, da er die unberechenbare Reizbarkeit der verschrobenen Geister kannte. Aber sein Verdruß war mit einem Male fast verschwunden. Morgen war auch ein Tag, mochte der seine eigene Plage haben. Heute konnte er nichts mehr ändern, so wollte er denn einmal seine Sorge vertrinken.

Darum saß er bald zwischen den Mühlhäuser Bürgern, die einen unglaublichen Durst entwickelten, wobei mehrere von ihnen, wenn sie sich dazwischen einmal ihrer Würde als besondere Rüstzeuge des Himmels entsannen, höchst possierliche Reden führten. Meyenburg ergötzte sich daran wie an einem wohlgelungenen Fastnachtsschwank, und es war ihm leid, als nach einer Stunde der Wirt erschien und erklärte, daß auch das zweite Faß bis zur Neige geleert sei.

»Hast du keines mehr in deinem Keller?« rief Schiele.

»Eines habe ich noch. Aber wer zahlt's?« fragte der vorsichtige Wirt, bei dem der Ratsherr tief in der Kreide stand. Er blickte bedeutsam nach der Tafel hin, auf der die Schulden seiner Gäste verzeichnet standen, und Schiele verstand den Blick und sah etwas ernüchtert nach der anderen Seite hin.

»Erlaubet!« sagte Meyenburg. »Das zahle ich.« Er griff in die Tasche und warf einen harten Reichstaler auf den Tisch, den der erfreute Wirt schnell erfaßte, worauf er eilig das Zimmer verließ. Gleich darauf rollte er mit seinem Knechte ein Faß von ansehnlicher Größe herein.

»Freund und Bruder!« sagte Schiele feierlich und küßte Meyenburg auf die Wange. »Das vergesse ich dir niemals. Du bist ein Priester nach der Weise Melchisedeks.« Die anderen murmelten oder brüllten, je nach der Vorgeschrittenheit ihres Rausches, ihren Dank, und Meyenburgs Rechte schmerzte fast, so viele kräftige Hände mußte er schütteln.

Während darauf die einen ein geistliches, die anderen ein sehr ungeistliches Lied anstimmten, besann sich Schiele auf die Angelegenheit, die Meyenburg nach Mühlhausen geführt hatte, und ließ sich erzählen, wie es ihm ergangen war. Seine Mienen wurden, während Meyenburg berichtete, immer strahlender, seine Augen glänzten immer heller, jeder mußte sich sagen, der ihn sah, daß ihm wahrscheinlich ein großer und sehr vernünftiger Gedanke aufgedämmert war. So war es in der Tat, er hatte in seinem anschlägigen Geiste einen Plan gefaßt, der ihm sehr ersprießlich deuchte. Als nun nach Beendigung des Berichtes der Gesang schwieg und alle ihre Gesichter in die Bierkrüge versenkten, schien ihm der Zeitpunkt günstig, diesen Plan seinen Mitbürgern zur Kenntnis zu bringen. »Ich will euch eine Rede halten, Freunde!« rief er.

»Gut! Gut!« schrie es von allen Seiten, nur aus der einen Ecke brummte eine grobe Stimme: »Haltet lieber das Maul und keine Rede. Saufet Euer Bier, sonst kommt Ihr zu kurz!«

Einige lachten, doch Schiele ließ sich das nicht anfechten, hatte es wohl kaum gehört. Er kletterte auf einen Holzstuhl, schwankte aber bedenklich hin und her und mußte von zwei Getreuen gestützt werden. Nachdem er somit das Gleichgewicht errungen hatte, begann er mit ein wenig lallender Zunge: »Bürgermeister und ehrbarer Rat von Mühlhausen! Ja so – liebe Mitbürger und Gevattern! Der Mann hier, der neben mir sitzt, ist mein günstiger Freund Herr Michael Meyenburg, der Stadt Nordhausen Syndikus. Wißt ihr, warum er zu uns herübergekommen ist? Er hat wollen eine Nonne aus dem Brückenkloster holen, was ein gutes Werk ist und dem Herrn wohlgefällt.«

»Richtig!« riefen einige Stimmen dazwischen.

»So ist er aufs Rathaus gezogen und hat Beistand verlangt zu seinem guten Werke. Aber was hat unser altes Weinfaß ihm für Antwort gegeben? Er könnte ihm nicht helfen, denn der Dresdener Herzog litte es nicht. Er solle gehen und sie selber herausführen. Bürger, Männer und Gevattern! Der Mann darf nicht länger unser Bürgermeister sein, denn er hört nicht auf Gottes Wort und tut nicht seinen Willen. Er muß herunter. Denn der Geist spricht: ich will die Söhne der Finsternis vertilgen und will die Gottlosen vom Stuhle stoßen.«

Darauf riefen einige laut Beifall, andere lachten, denn Schiele hatte sich in seinem Eifer so weit nach vorn gebogen, daß er in dringende Gefahr geriet, das von ihm geweissagte Schicksal der Gottlosen selber zu erleiden. Er fand sich indessen noch einmal zurecht und fuhr mit schallender Stimme fort: »Aber das hat Zeit, Männer, liebe Brüder! Dagegen hat unser Meyenburg keine Zeit, denn er muß zurück nach Nordhausen. So ist er denn vor das Kloster gezogen und hat Einlaß begehrt. Aber die alte Vettel, die Domina, hat die Tür zugehalten. Brüder, bedenkt, es sitzt nun drüben im Kloster ein armes Maidlein, das sich sehnt nach der Freiheit der Kinder Gottes, aber siehe, es wird festgehalten von den Kindern der Bosheit und muß hinter den kalten Mauern« –

Er brach ab. Ein mildes Schluchzen überkam ihn, und seine Augen füllten sich mit heißen Tränen. Auch über vieler seiner Genossen Antlitz rann die salzige Träne, denn sie waren in dem Zustande des Rausches, in dem der Jammer des menschlichen Lebens das Gemüt des trunkenen Mannes so stark überwältigt, daß er erst dann die heitere Ruhe der Seele wiedererlangt, wenn er sich der Tränen ersättigt hat.

Meyenburg verbarg bei diesem Anblick sein Gesicht in beide Hände, legte sich vornüber auf den Tisch und lachte so in sich hinein, daß ihm fast der Atem ausging. Das Zucken seiner Schultern wurde von den Nächstsitzenden als Zeichen eines wilden Schmerzensausbruches gedeutet und erregte großes Mitleid, rief auch bei manchen ein neues Geheul hervor.

Inzwischen hatte Schiele den Gebrauch seiner Stimme wiedererlangt und rief: »Sollen wir das leiden, liebe Brüder? Nein, wir leiden es nicht. Wir machen die Jungfrau mit Gewalt frei, und niemand wird es uns wehren. Nehmt das Bauholz, das der Wirt vor der Tür liegen hat, und rennt mit dem Balken die Tür ein! Es ist hohe Zeit, daß die letzte Stätte der alten Finsternis aus Mühlhausen verschwindet. Es liegt dort auch im Keller noch manches Fäßchen von unserem guten Bier und auch manches Faß mit Wein. Das weiß ich gar wohl. Die holen wir uns heraus zu einem Nachtrunk.«

Tobendes Beifallsgejohle erhob sich von allen Seiten, und die meisten sprangen auf und folgten Schiele, der auf unsicheren Beinen, aber stolz erhobenen Hauptes dem Ausgang zustrebte. Meyenburg war über die Wendung zuerst tief erschrocken und wollte sich den Berauschten entgegenwerfen. Aber er unterdrückte die Regung sofort, denn es kam ihm zum Bewußtsein, wie trefflich die trunkenen Prophetenjünger ihm in die Hände arbeiteten. Er brauchte ihnen ja nur zu folgen, und er war am Ziele. Widersetzte er sich dagegen, so wurden sie ihm mit einem Male alle feind, und er geriet in arge Bedrängnis.

So schloß er sich denn dem Zuge an, der sich schreiend, singend, brüllend und lachend nach dem Kloster hinwälzte. Als er vor dem Tore ankam, waren schon etwa zweihundert Menschen beisammen, denn aus den näher gelegenen Häusern strömten die Bewohner herbei, die sich eben hatten zur Ruhe niederlegen wollen und nun leichte Beute witterten. Sogar Frauen und Mädchen fehlten nicht.

Die schwere eichene Pforte war fest verriegelt und verschlossen, aber in wenigen Minuten brach sie zersplittert zusammen, und nun ergoß sich der Menschenstrom ins Innere und drang in alle Räume ein. Alle Türen wurden eingetreten oder eingeschlagen, aller Hausrat entweder geraubt oder verwüstet, die Vorräte an Eßwaren weggetragen, die Fässer aus dem Keller geschafft und auf die Straße gerollt. Sogar die Fenster wurden zertrümmert, und so bot das Kloster bald das Bild einer grauenvollen Zerstörung.

Meyenburg eilte die Treppe hinauf, wo er die Zellen der Schwestern vermutete. In der Rechten trug er ein Windlicht, das er drunten einem halbwüchsigen Jungen aus der Hand gerissen hatte.

Droben fand er wirklich die Zellen der Nonnen, aber alle waren verschlossen, und auf sein Klopfen und Rufen erfolgte keine Antwort. Da sah er ganz am Ende des langen Ganges etwas Weißes aufleuchten. Er eilte darauf zu und sah sich einer der jüngsten Schwestern gegenüber, die in der Todesangst aus ihrer Zelle herausgestürzt war, mit nichts als ihrem Hemde bekleidet, um irgendwo Schutz und Hilfe zu suchen, und nun nicht mehr hatte zurückeilen können. Als er auf sie zukam, schrie sie laut auf und kauerte sich in die Ecke.

»Ich tue Euch nichts!« herrschte er sie an. »Wo ist die Schwester Ursula Lachensper?«

Die Nonne deutete mit zitternder Hand auf eine nahegelegene Tür. Mit einem Satze sprang Meyenburg darauf zu, denn er hörte schon polternde Schritte die Treppe heraufkommen.

»Ursula!« rief er. »Ich bin hier, Michael! Du hast mich gerufen, und ich führe dich fort. Komm heraus und gehe mit mir!«

Erst nach einem nochmaligen Klopfen und Rufen öffnete sich die Tür, und Ursula trat heraus, am ganzen Körper zitternd, und totenblaß. »Was ist das, Michael? Wie kommst du hierher?« flüsterte sie in höchster Angst.

»Das wirst du erfahren. Jetzt ist keine Zeit dazu. Komm, nimm meinen Arm und stütze dich fest auf mich.«

Sie gehorchte, und so brachte er sie wie durch ein Wunder unbehelligt und unbelästigt die Treppe hinunter und durch das plündernde Volk hindurch auf die dunkle Straße hinaus und führte sie, die halb ohnmächtig an seinem Arme hing, nach dem Hause seines Freundes Lamhardt.


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