Paul Schreckenbach
Der König von Rothenburg
Paul Schreckenbach

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X.

Den ganzen Winter hindurch rangen der Burggraf und der Bürgermeister miteinander um die Schlösser des Rothenburger Gebietes. Der eine wollte sie durchaus behalten, der andere durchaus wieder haben. Daran scheiterten alle Friedensverhandlungen, denn nachgeben wollte keiner.

Schon war jedermann in Franken darauf gefaßt, daß der Frühling eine Wiederaufnahme der Fehde bringen werde, da hatte der Erzbischof von Mainz einen glücklichen Gedanken. Er schlug vor, die Burgen sollten geschleift werden, damit sie keiner von beiden habe, und im übrigen sollte alles bleiben, wie es vor der Fehde gewesen sei.

Die übrigen Fürsten und Städte des Marbacher Bundes pflichteten ihm auf der Stelle bei, und es ward eine erneute Tagung auf den zweiten Februar ausgeschrieben. Zu Mergentheim an der Tauber sollte auf Grund dieser Vorschläge noch einmal über den Frieden verhandelt werden.

»Was wirst du tun, Vater?« fragte Jakob Topler den Bürgermeister, als der Brief des Prälaten eingelaufen war.

»Ich werde sehen, ob ich nicht wenigstens Nordenberg zurückerhalten kann. Bekomm' ich's aber nicht, so werde ich den Frieden daran nicht scheitern lassen. Denn ich will dir's gestehen. Jakob, der Antrag des Mainzer kommt mir sehr gelegen. Die Rothenburger, vom ältesten Ratsherrn bis zum jüngsten Stadtknechte herab, schreien: Frieden, Frieden um jeden Preis! Ich hätte in einigen, Wochen doch nachgeben müssen, wenn ich nicht den Boden unter den Füßen verlieren wollte. Dann hätte der Burggraf den Triumph und den Nutzen gehabt. So hat er gar nichts, keinen Fuß breit von unserem Lande und keinen roten Heller von unserem Geld. Und noch eins bewegt mich, mein Sohn!« Er dämpfte unwillkürlich seine Stimme, obwohl in seiner Schreibstube kaum em Lauscher zu befürchten war. »Noch eins! Du weißt, im Frühjahr kommt Wenzel ins Reich. Dann wird ja doch alles anders.«

Jakob blickte seinen Vater zweifelnd und bedenklich an. »Wenn du dich nur nicht täuschest, und wenn der träge König nur auch wirklich kommt!«

»Die Dinge stehen so, daß man ihm diesmal glauben kann. Und kommt er, so kann er nichts ohne die Städte und ihr Geld und ihre Hilfe. Dann kann ich alles wiedererlangen, was ich jetzt darangebe, ja, wer weiß, vielleicht gewinne ich noch viel dazu.«

So kam es, daß in Mergentheim der Friede binnen weniger Stunden geschlossen ward. Der Burggraf sträubte sich zwar gewaltig, aber er mußte bald einsehen, daß er völlig verlassen war. Das Schutzherrnrecht über Rothenburg ward ihm zugestanden, im übrigen aber gewann er nichts. Seiner fürstlichen Ehre, so hieß es, geschehe vollkommen Genüge, wenn das in Fortfall komme, was ihn beschwert und gereizt habe, und was die Kosten anbetreffe, so habe er ja das Gebiet der Stadt gebrandschatzt, daß die Hälfte der Dörfer in Asche läge. Die Stadt sei nicht unterlegen, deshalb könne auch niemand verlangen, daß sie sich von ihren Feinden frei kaufe und was dergleichen für ihn sehr unerfreuliche Reden mehr waren. Kurz, es lag am Tage, daß er nachgeben mußte, wenn er nicht bei Erneuerung der Feindseligkeiten den Marbacher Bund gegen sich haben wollte.

So fügte er sich denn in das Unvermeidliche, und im großen Remter der Deutschherrn-Kommende ward unter dem feierlichen Geläute aller Glocken der Stadt der Friede verbrieft und beschworen.

Der alte trunkfeste Komtur lud darauf in der Freude seines Herzens die sämtlichen Herren zu einem fröhlichen Trinkgelage ein, aber zu seinem Erstaunen lehnte sowohl der Burggraf wie Topler die Einladung höflich ab. Die Rothenburger wollten noch vor der Nacht ihre Stadt erreichen, und den Burggrafen verlangte nicht, mit denen beim Becher zu sitzen, die ihn um die Früchte seiner Mühe gebracht hatten.

So ritt erst Topler aus den Toren des Schlosses von dannen, und fünf Minuten später folgte ihm das burggräfliche Reitergeschwader nach. Beide hatten eine lange Strecke denselben Weg, das Taubertal aufwärts mit seinen zahlreichen Windungen und Krümmungen. Manchmal verlor Friedrich, der mit Seckendorff an der Spitze seiner Leute ritt, die Voranziehenden ganz und gar aus den Augen, aber wenn eine Wegbiegung umritten war, sah er jedesmal die Spitzen ihrer Lanzen in der hellen Februarsonne wieder aufblinken.

»Sieh, Seckendorff!« hub er nach einer Weile an, »ist dieser Ritt nicht geradezu ein Sinnbild? So ziehe ich diesem Manne nach seit langer Zeit, komme ihm manchmal näher, manchmal ferner, kann ihn aber nicht erreichen.«

»Euere fürstliche Gnaden können jetzt wenigstens dessen gewiß sein, daß die Sache bald ein Ende hat.«

»Du meinst, er muß sich nächstens entscheiden?«

»Daran ist kein Zweifel, Herr. Die Ratsherren Seehöfer und Creglinger haben sich im geheimen erboten, dem Herrn Könige zu beweisen, daß der Topler mit Wenzel von Böhmen Böses spinnt. Gelingt ihnen der Beweis, so wird der König den Topler vor sein Gericht fordern, und so wie ich ihn kenne, wird er sich dem Gerichte des Königs nicht stellen. Dann muß sich zeigen, ob die Stadt ihm zuliebe die Acht zum zweiten Male auf sich nimmt. Wäre das früher vielleicht geschehen, jetzt glaube ich nicht mehr daran.«

»Ich auch nicht,« pflichtete der Burggraf ihm bei. »Ein guter Teil des Volkes scheint von ihm abgefallen zu sein.«

Seckendorff nickte. »Die Sache steht somit gut für Eure fürstlichen Gnaden. Denn schützen sie ihn nicht, und fährt er als ein Ächter aus der Stadt, so findet er auch schwerlich in Nürnberg eine Stätte. Er muß dann ins Elend ziehen, oder mit Eurer Hilfe die Herrschaft in der Stadt behaupten, wodurch er auch gleich wieder beim Könige in Gnade käme.«

»Und das wird er dann doch wohl lieber wollen, als ins Elend fahren. Siehst du, Seckendorff, jetzt lautet dein Spruch schon ganz anders, denn früher. Du meintest immer, er werde sich mir auf jeden Fall versagen.«

»Man kann nimmer voraussehen, was eintritt, Herr,« erwiderte der alte Ritter vorsichtig. »Wer konnte ahnen, daß er noch mit dem Wenzel konspiriert?«

»Das ist mir selber unbegreiflich, und kaum vermag ich's zu glauben!« rief der Burggraf. »Wie kann ein Mann von so großen Gaben und so scharfem Blick noch irgendeine Förderung erwarten von dem wüsten Trunkenbold in Prag!«

»Gerade die klügsten Leute haben oft eine kranke Stelle in ihrem Hirn. Sie sehen dann in einem Punkte nicht, was alle Welt sieht, während sie im übrigen alle Welt weit überblicken.«

»Nun, dem sei, wie ihm wolle,« sagte Friedrich nach einigem Besinnen. »Jedenfalls wollen wir die Dinge in Rothenburg aufs schärfste im Auge behalten. Ich habe Egloffstein, der in Heidelberg beim Könige ist, demgemäß Anweisung gegeben. Auch das Geringste, was er dort über den Topler und seinen Handel erfährt, soll er mir unverzüglich mitteilen. Denn ich merke: Komme ich nicht durch den Topler in die Stadt, so komme ich überhaupt nicht hinein.«

Während dieses Gespräches hatte man die Rothenburger aus den Augen verloren, und vergebens spähte der Fürst nach ihnen aus, als er das Städtchen Weitersheim mit seiner Schar durchritten hatte.

Topler war aus dem Tale abgebogen und ritt nun über die Höhen dahin auf Creglingen zu. Er schnitt dadurch einen großen Teil des Weges ab, und das war ihm sehr lieb. Es drängte ihn, heimzukommen, denn schon seit längerer Zeit hatte er das Gefühl, daß es für ihn nicht wohlgetan sei fern von der Stadt zu verweilen.

Als er durch das Klingentor ritt, war die Dunkelheit bereits hereingebrochen. Der Himmel hatte sich mit grauen Wolken bedeckt, und große Schneeflocken rieselten hernieder, so daß die Männer und ihre Pferde wie in weiße Mäntel eingehüllt erschienen. Trotzdem herrschte starkes Leben und Treiben auf den Straßen, die Trinkstuben waren hell erleuchtet, wie die meisten Fenster der Bürgerhäuser. Es sah aus, als werde hier ein Fest gefeiert, und als er den Torbogen passiert hatte, durch den man unter Sankt Jakobi dahinreiten kann, klang ihm vom Rathause her rauschende Musik entgegen.

»Peter Nusch,« redete er einen Vorübergehenden an, »komm einmal her. Was ist hier los? Was sollen die Lichter und was die Musik?«

Der alte Bürger starrte ihn mit offenem Munde an. »Das wisset Ihr nicht, Herr? Der hochedle Rat hat heute früh ausrufen lassen, daß der König die Acht weggenommen habe von unserer Stadt. Die Abgesandten des Herrn Königs sind noch in der Stadt.«

»So, so! Es ist gut,« entgegnete Topler und ritt weiter. »Die Narren!« brummte er vor sich hin. »So viel Aufhebens zu machen um eine taube Nuß! Das alles ist ja nur leere Form.«

Mit einem verächtlichen Lächeln ritt er am Rathause vorüber, verabschiedete seine Leute auf dem Markte und begab sich nach Hause.

»Nun, du bist ja nicht zum Abendtanze, den der Rat angeordnet hat?« redete er seinen Sohn an, der ihm auf der Diele seines Hauses entgegentrat. Und ärgerlich setzte er hinzu: »Man hätte mit dieser Festlichkeit ohne Gefahr noch einen Tag warten können, oder auch zwei Tage. Ich bringe den Frieden mit, und er ist nicht unehrenhaft für die Stadt, trotzdem ein Dritteil des Römischen Reiches gegen uns im Felde gestanden. Das ist denn doch eine andere Ursach' zu feiern, als weil der Pfälzer seine Acht von uns abgetan!«

»Es wird den Leuten so dargestellt, Vater, als habe der Friede nur deshalb kommen können, weil der König die Acht zuvor aufgehoben habe. Eher habe der Burggraf nicht Frieden machen können.«

Heinrich Topler lachte dröhnend auf. »Gerade umgekehrt ist es!« rief er. »Der König, wissend, daß der Burggraf nachgeben müsse, hat eiligst die Acht aufgehoben. Denn er meinte, nunmehr mit seinem Popanz lächerlich zu werden.«

»Natürlich, Vater, so ist es und nicht anders. Aber warum, meinst du, sprengt man das falsche Gerücht aus unter den Leuten? Um dir zu schaden, Vater. Wir wußten, daß der Seehöfer und der Creglinger vor mehreren Tagen verritten waren, wie es hieß, nach Dinkelsbühl. Jetzt rühmen sich die beiden ganz laut, daß sie beim Könige waren. Und des Königs Abgesandter, der von Weinsberg, hat das heute früh im Rathause bestätigt und wohnt auch beim Creglinger. Ich meine, heute abend wird die Gesundheit der beiden in allen Trinkstuben ausgebracht.«

Der Bürgermeister hatte während dieser Rede seines Sohnes sich des Harnisches entledigt und ein weiches wollenes Hausgewand übergeworfen. Indem er dann bemüht war, sich die schweren Reiterstiefeln abzuziehen, sagte er kalt: »Wir wollen ihnen für heute abend die Ehre gönnen. Indessen sehe ich, daß dies Wesen nicht länger gehen kann. Sie graben mir das Wasser ab, so ich fürderhin untätig zuschaue. Du und Kaspar könnet morgen am Tage die Zunftmeister für den Abend um sechs Uhr zu mir ins Haus laden. Heute aber, mein Sohn, rate ich dir eins: Zum Tanze kannst du nicht gehen, da du dein Weib nicht mitbringen kannst und es nicht Sitte ist, daß ein Verheirateter ohne seine Ehefrau erscheint. So gehe auch nicht in des Rates Trinkstube, sondern in die Trinkstube der Zünfte. Es kann uns nur nützlich sein.«

»Ich verstehe dich, Vater, und werde eilend gehen,« erwiderte Jakob. »Und du? Willst du daheim bleiben?«

Der Bürgermeister dehnte sich und gähnte. »Gestern nach Mergentheim geritten, bis in die Nacht bei den deutschen Herren gezecht, heute vormittag scharf verhandelt, dann wieder zurück – nein, ich gehe heute nicht mehr aus, warte, bis die Mutter die Abendsuppe bringt und lege mich dann nieder. Ich sehe die hochedeln Herren noch morgen früh zeitig genug, denn um acht Uhr ist Ratssitzung.«

Jakob wünschte ihm gute Nacht und ging ab. »Höre, Jakob!« rief ihm sein Vater nach, »ihr könnt, während ich auf dem Rathause bin, bei den Meistern herumgehen. Wenn ich heimkomme, erstattest du mir Bericht!«

Am andern Morgen, als das Glöcklein erklang, schritt Heinrich Topler auf das Rathaus. Er wollte den ehrbaren Herren die Friedensurkunde vorlegen, die er gestern im Namen der Stadt unterzeichnet hatte und war darauf vorbereitet, etwaige hämische Glossen Seehöfers und seiner Genossen mit scharfen Worten zurückzuweisen.

Aber die Sache kam ganz anders. Nur wenige Ratsherrn waren in dem Saals anwesend, – seine nächsten Freunde und Verwandten, sonst niemand. Und auf seinem Sitze lag ein Brief, der war geschrieben von Seitz Eberhardts Hand und von vielen Ehrbaren unterzeichnet. Darin stand, man werde an keiner Sitzung teilnehmen so lange, bis der eine Mann die Gewalt in die Hände des Rates zurückgelegt habe, die ihm nunmehr nicht länger gebühre. Bis dahin sei der Rat nur ein Spott, eine Komödie, an der sie nicht teilnehmen wollten.

Wahrend des Lesens stieg dem Bürgermeister Zornesröte ins Antlitz, und als er geendet hatte, rief er heftig: »So tagen wir ohne sie! Wer sich selbst ausschließt, hat kein Recht, daß wir Rücksicht nehmen auf ihn. Wer nicht da ist, der mahlet nicht mit.«

Die Anwesenden waren's zufrieden, aber wohl war keinem bei der Sache, und beim Heimgehen fragten Peter Northeimer und einige andere ihren Freund verlegen und bekümmert, was nun werden solle.

»Geduldet Euch nur noch einige Tage, liebe Gesellen!« gab Heinrich Topler zur Antwort. »Dann will ich ein neues Spiel anrichten in Rothenburg und ein Liedlein singen, das allen denen in die Ohren gellen soll, die mir jetzt die Anhörung weigern.«

Aber als er daheim seine Schreibstube betrat, wartete sein Sohn auf ihn mit leichenblassem Gesichte und rief ihm mit halberstickter Stimme entgegen: »Es ist alles aus, Vater! Die Meister wollen nicht kommen!«

Der Bürgermeister blickte Jakob an, als ob er irre rede. »Wollen nicht kommen?« wiederholter er stammelnd. »Wollen nicht kommen? Was heißt das?«

»Das heißt, die Schurken sind von deinen Feinden gewonnen, betört und beschwatzt oder auch gekauft, wie der Kaspar gehört haben will. Dem Kräftlin zum Beispiel sollen zwölfhundert Gulden geboten sein, dem Neidhardt noch mehr. Bei mehreren ist es nicht geglückt, die versprachen zu kommen, aber viele hatten einen Vorwand, andere sagten zu, aber wir sahen gleich, sie kommen doch nicht. Ach, Vater, was sollen wir jetzt tun?«

Heinrich Topler war vor dem Tische in einen Stuhl gesunken und verbarg sein Gesicht in den Händen. »Verloren!« schrie es in ihm, »verraten, überlistet!« Der Boden, auf dem er stand, war unterwühlt, im Dunkeln, im Geheimen hatten seine Feinde gearbeitet, und es war ihnen gelungen. Hatte er die Zunftmeister nicht mehr in der Hand, kehrten sie sich etwa gar gegen ihn, so war er der Rache der Geschlechter verfallen. Dann blieb ihm nur dle Flucht oder der Burggraf.

»Vater, was sollen wir tun?« rief Jakob Topler zum zweiten Wale.

Da hob er das Haupt, und ohne seinen Sohn anzusehen, sagte er: »Gehe jetzt. Ich muß überlegen. Ich lasse dich rufen, wenn ich's überdacht habe.«


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