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Ritter Eppelein war von Rothenburg nach dem Schlosse Nordenberg geritten. In dieser stärksten Feste des Gebietes der freien Reichsstadt hauste ein Vogt, Hans von Kühlsheim, der war ihm gesippt und vervettert. Eigentlich verachtete der ritterliche Schnapphahn den Verwandten, der sich in den ständigen Dienst der Krämer und Pfeffersäcke gestellt hatte, wie der wilde Falk den zahmen haßt und verachtet. Heute aber deuchte es ihm rätlich, ihm die Ehre eines Besuches zu erweisen, denn ihn hungerte, und sein Roß bedurfte nach dem tollen Ritte dringend der Ruhe.
Kühlsheim nahm ihn auch ganz freundlich auf, ließ den Gaul in den Stall führen und reichlich versorgen und dem Ritter Speise und Trank in Menge auffahren. Er selbst hielt wacker mit beim Becher und ergötzte sich an den oft sehr treffenden Witzen und Reiterstücken des wunderlichen Herrn Vetters, den er heimlich ein wenig fürchtete. So genoß Eppelein einen fröhlichen Abend, kam mit einem guten Rausche ins Bett und erwachte erst, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Da begehrte er nach eingenommenem Frühstück fürbaß zu reiten, denn es lüstete ihn heimzukehren zu seinem kleinen Burgstalle Trainmeusel.
Als ein ganz anderer Mann denn gestern zog er die Straße dahin. Denn der Vogt hatte ihm für gutes Geld ein Paar seiner eigenen Reiterstiefeln verkauft, ebenso einen Mantel aus dunkelrotem Tuch und eine gleichfarbige Satteldecke, und so ritt denn Herr Eppelein stolz und preislich durch Wald und Feld wie ein Fürst des heiligen Reiches.
Aus dem Rothenburgischen kam er ins Ansbachsche hinüber, und er zog finster die Brauen zusammen, als er das Grenzzeichen gewahrte. Denn mochte er schon das reiche Bürgerpack nicht leiden, Topler und einige andere ausgenommen, so war ihm der Burggraf noch viel widerwärtiger. Der strenge und feste Zollern war denen gram, die auf der Landstraße vom Stegreife leben wollten, und auf seinem Gebiete duldete er keinen Raub und keine der kleinen Fehden, deren Kosten regelmäßig die armen Landleute zahlen mußten. Fing er einen, der brandschatzte und wegelagerte, so ließ er ihn büßen in langer Haft, oder gar ihm den Kopf vor die Füße legen. Darum hatten alle die kleinen Landschaden einen unbändigen Respekt vor ihm und mieden sein Gebiet, so weit es anging.
Eppelein tat das nun freilich nicht, denn der Umweg wäre zu weit gewesen, aber die Laune war ihm halb verdorben. Sie ward auch nicht rosiger, als im Westen eine riesige Wolkenwand aufzog und ein plötzlicher Sturm durch die noch kahlen Äste der Bäume fegte, »Himmeldonnerwetter und Mordbrand!« knurrte er vor sich hin. »Sollte man's für möglich halten! Ein Gewitter im Märzen! Aber in diesem Jahre ist alles zu früh.«
Ein furchtbarer Windstoß brauste daher, und ein Donner grollte in der Ferne. Massenhaft fiel das trockene Geäst aus den Wipfelkronen, so daß beinahe das Pferd scheu wurde und er Mühe hatte, es zu beruhigen. Mißmutig schaute er nach einem schützenden Obdache aus, wo er sich bergen könne, und er hatte Glück. Vor ihm tauchte seitwärts der Straße ein Haus auf, dessen Äußeres zwar ziemlich verwahrlost aussah, dessen weitvorgestrecktes Schild mit der Flasche aber unzweifelhaft ein Wirtshaus verriet.
Der schläfrige Wirt führte das Pferd in den Stall, der dicht neben der Gaststube lag und mit dieser durch eine Tür verbunden war, die nicht ganz geschlossen werden konnte. Es herrschte demnach ein sehr übler Geruch in dem Raume, und an Fliegen fehlte es auch nicht trotz der frühen Jahreszeit.
Den Ritter behelligte das alles in keiner Weise. Er setzte sich auf einen Schemel an eines der Fenster und bestellte Wein, der sogleich gebracht wurde und besser war, als er vermutet hatte.
Das kleine Luftloch, dem man mit dem Namen Fenster eine hohe Ehre antat, bestand aus vier ganzen und vier zerbrochenen Scheiben. Die zerbrochenen waren überklebt, durch die anderen konnte man, obwohl sie äußerst schmutzig waren, leidlich hindurchsehen. Da gewahrte Eppelein zu seinem großen Ärger, daß noch drei andere Gäste der Herberge zustrebten. Ein Pfaffe war's auf einem dicken Pferde, ihm zur Seite zwei bewaffnete Knappen.
»Daß der Teufel das Geschmeiß dreitausend Klafter in den Erdboden schmettere!« fluchte der Ritter, unbekümmert um des Wirtes Gegenwart. Aber der hörte nicht auf ihn, denn er hatte gleichfalls das Herannahen der Reiter erschaut und schob sich aus der Tür, um sie in Empfang zu nehmen.
Gleich darauf trat der Geistliche ein und sprach dabei ein artiges »Grüß Gott«. Eppelein brummte etwas Undeutliches und schielte wütend von der Seite nach ihm hin. Aber da hellte sich seine Miene plötzlich auf, denn der Ankömmling war keiner von den bleichen Betbrüdern, die er wie unangenehme Spinnen oder Wanzen haßte. Es war ein dicker Weltgeistlicher, dessen feiste Wangen wie reife Pfirsiche glänzten, und dessen Nase die Farbe des roten Schillerweines aufwies. Sogleich schoß ihm der Gedanke durch sein anschlägiges Gehirn: Mit diesem Pfaffen ist vielleicht zu Kurzweil und Gewinn ein Spielchen zu machen.
Als jener nun die Gnade des Himmels pries, die ihn noch hatte ein schützendes Dach erreichen lassen, gab er die verbindliche Antwort: »Ja, der Teufel hätt' Euch übel zusammenreiten können.«
Der Geistliche lächelte, bestellte Wein und setzte sich an ein zweites Fenster, dem Ritter gerade gegenüber. Beide schwiegen zunächst und blickten ins Freie, wo jetzt der Regen prasselnd herniederschoß und fahle Blitze zuckten. Dann brummte der Ritter von neuem: »Verflucht langweilig!«
»Da habt Ihr recht, edler Herr,« gab der Geistliche zurück. »Wie wär's, wenn wir uns die Zeit und Weile kürzen täten?«
In Eppeleins Augen flimmerte es auf. »Würfel?« fragte er hastig.
»Ich wäre einem Spiele nicht abgeneigt,« erwiderte der andere höflich.
»Komme her, du Kalb,« sagte der Ritter zu dem Wirt. »Bringe uns Würfel und rücke den Tisch zurecht.«
»Bemühe dich nicht, guter Freund,« fiel der Geistliche mit einer gewissen Hast ein. »Ich habe hier Würfel in der Tasche, schöne aus Ebenholz.«
»Gebt her!« rief Eppelein. Er ließ sie mehrmals auf den Tisch aufklappern, hielt sie dicht vor seine Augen, und es fehlte nicht viel, so hätte er sie berochen.
»Meint doch nicht, Herr, daß ich falsche Würfel führe?« fragte der Geistliche mit gekränkter Miene.
»Ha, na– –!« grunzte Eppelein. »Euch Gesalbten des Herrn mag der Teufel trauen! Man muß sich vorsehen.«
»Ja, in dieser bösen Welt muß man sich vorsehen,« erwiderte der Geistliche und schlug die Augen anklagend zum Himmel empor. »Man wird so oft betrogen, und leider Gottes, wie Ihr eben sagtet, geben meine Herren Confratres häufig Ursache zum Ärgernis.«
»Da habt Ihr recht!« schrie Eppelein. »Ihr scheint mir ein einsichtiger Pfaffe zu sein. Euer Wohl!« Er leerte den Krug in einem Zuge.
»Erlaubt, daß ich Euch Bescheid tue,« erwiderte der andere salbungsvoll, ergriff sein Trinkgefäß, und wie der Blitz war der Inhalt in seiner Kehle verschwunden.
Verdutzt, beinahe achtungsvoll schaute ihn der Ritter an. »Mohrendonnerwetter! Ihr habt ein trefflich Gefälle!«
»Es macht sich. Aber wollen wir nicht beginnen? Die Würfel liegen bereit. Doch erlaubt, daß ich zuvor Euch meinen Namen künde. Ich bin der Probst Meginhard an Sankt Burkard in Würzburg.«
Eppelein blickte blitzschnell um sich. Die Knechte saßen, gleichgültig vor sich hinglotzend, im Hintergrunde, der Wirt war ihm unbekannt. Auch ihn schien keiner hier zu kennen, und die Erfahrung eines langen Reiterlebens hatte ihn belehrt, daß es hin und wieder nützlich sei, seinen wahren Namen zu verschweigen. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, daß ein solcher Fall jetzt vorliege. Darum antwortete er stolz und hochfahrend: »Ich bin einer von Röder zu Rödersheim.«
Das Pfäfflein neigte sich achtungsvoll. »Seid Ihr dann nicht mit den schwäbischen Rödern verwandt?«
»Nur von fern, von alters her,« log Eppelein.
»Und wo liegt Eure Burg, gestrenger Herr?«
»Wo Böhmerwald und Fichtelgebirge zusammenstoßen. Indessen – laßt sie liegen. Kommt, werft die Würfel auf den Tisch!«
Der Probst tat, wie ihm geheißen. Während draußen der Regensturm tobte und die Blitze zuckten, würfelten die beiden mit immer größerer Leidenschaft, und der träge Wirt mnßte zu seinem Leidwesen wieder und wieder aufspringen und die kleinen Krüglein füllen, aus denen sie tranken.
Im Anfang gewann Eppelein, und der andere tat selten einen guten Wurf. Mit einem Male aber wendete sich das Blatt völlig. Der Probst nahm ihm nicht nur ab, was er an ihn verloren, es gelang ihm auch, den Beutel, den der Ritter aus Rothenburg mitgebracht hatte, in bedenklicher Weise zu lichten.
Eppelein fluchte lästerlich, und der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Aber er hatte ja die Würfel vorher geprüft und für gut befunden, und daß sein Partner, während er selbst den Kopf im Kruge hatte, derweilen einen Tausch vorgenommen, das ahnte er nicht.
»Seid Ihr denn mit dem Teufel im Bunde?« brüllte er endlich wütend, als der andere wieder einen stattlichen Wurf tat und die Hand ausstreckte, das Geld einzuziehen.
Da geschah, noch ehe der Probst antworten konnte, ein furchtbares Krachen, es ward rot und gelb in der Stube, und ein Teil des Daches prasselte draußen vor den Fenstern auf die Erde nieder.
Unwillkürlich schrien alle auf. Der Wirt stürzte erst ächzend auf die Knie, dann eilte er zur Tür hinaus. Die Knechte sprangen zu ihren Rossen.
Nur die beiden Spieler blieben in der Stube sitzen, aber in sehr verschiedener Verfassung. Eppelein, der keine Nerven hatte, blickte nur erstaunt im Kreise umher und stärkte sich allsogleich durch einen gewaltigen Schluck, als er sah, daß der Schlag nicht gezündet. Der Probst dagegen war halb unter den Tisch gerutscht, das feiste Antlitz war erblichen, und die zitternden Lippen versuchten Gebete zu stammeln.
Eppelein warf ihm einen halb mitleidigen, halb verächtlichen Blick zu. »Kommet zu Euch!« rief er. »Bei Gottes Tod, s'ist doch ein Wunder, daß die Pfaffen, die am meisten vom Himmelreich schwätzen und die Leute damit vertrösten, immer die größte Angst haben, dorthin zu kommen. Da liegen die Würfel, nehmt sie auf!«
»Ich rühre sie heute mit keinem Finger mehr an,« stotterte der Probst. »O Jesus Maria! Das ist die Strafe Gottes!«
»Was zum Henker, ist die Strafe Gottes?«
»Daß der Blitz herniederfuhr.«
»Dann hat sie den Wirt getroffen, nicht uns,« versetzte Eppelein kaltblütig. »Zum Kreuzschwerenot, so nehmt doch Vernunft an!«
»Ich spiele heute nicht mehr und möcht' Euch das Geld wiedergeben, das ich von Euch gewonnen.«
»Ich nehme kein Geld geschenkt!« schnaubte ihn der Ritter an.
»So erlaubt zum wenigsten, gestrenger Ritter, daß ich die Zeche bezahle.«
»Das sei Euch gegönnt,« erwiderte Eppelein nach einigem Nachdenken. »Und seid deß versichert, sie wird nicht klein werden. Unsere Krüge sind voll. Wollen einmal trinken als gute Reisegesellen.«
Sie stürzten zugleich den Wein hinab, und Eppelein schrie nach dem Wirt. Der Probst gewann indessen einen Teil seines Mutes wieder. »Um ein Haar,« seufzte er, »wären wir eben in die selige Ewigkeit abgefahren. O je, o je!«
»Scheint Euch nicht darnach zu gelüsten,« spottete Eppelein, dieweil der Wirt zwei neue Krüge vor ihnen auf den Tisch stellte.
»Im Vertrauen gesagt: Ich komme mir nicht heilig genug für.«
»Wohlgesprochen,« rief Eppelein und stieß mit ihm an. »Auf daß Ihr heiliger werdet! Trinken wir drauf.«
Ein neuer Krug ward nötig. Der Probst wurde jetzt mit jeder Minute redseliger. »Wisset,« sagte er, »unter den Großen im Himmelreiche möcht' ich gar nicht sitzen. Nicht bei den Kirchenvätern und den Heiligen. Aber wenn mir der liebe Herrgott wollte eine Bestallung als Küfer dort geben, das wäre mir recht.«
»Als Küfer? Wie denkt Ihr Euch denn das Himmelreich?« fragte Eppelein verwundert.
»Das Himmelreich ist, wie die heilige Schrift sagt, eine große, überaus herrliche Stadt.«
»Was? Eine Stadt? Pfui Teufel!« schrie der Ritter verächtlich und spuckte aus. »Soll man denn dem Krämerpack dort auch noch begegnen?«
»Und wenn es eine Stadt ist, so muß es auch Häusle haben. Und wo Häusle sind, da muß es auch Wirtshäusle geben, wo die Pilger einkehren, wenn sie rasten und nächtigen wollen. Und da müssen dann auch Küfer sein,« dozierte der Probst mit siegreicher Miene.
Eppelein schwieg eine Weile, dann entgegnete er gelassen: «Mag sein, und ich wünsche Euch Glück dazu. Ich aber mag nicht in jene Stadt. Wenn man dort nicht seinen guten Gaul zwischen den Schenkeln hat, und wenn keine Fehde sein soll und immer nur Friede und wieder Friede, so ist's zum Jammern und Erbarmen und für niemand gut, denn für Klosterweiber. Ich mag da nimmer hin! Nimmer!«
Der Probst bekreuzte sich. »Redet nicht so freventlich, edler Herr!« mahnte er.
»Ach, papperlapapp. Laßt uns von etwas anderem sprechen! Stoßt an! Auf das Wohl Eures Weibes! Ja so, Ihr habt keins. Na, dann auf das Wohl Eurer Großmutter. Gott Hab sie selig! Was meint man in Würzburg über die Zeitläufte? Wird's nit bald ein groß Raufen geben zwischen den Königen, dem zu Böhmen und dem zu Heidelberg?«
Der Probst rückte näher an ihn heran. Er befand sich offenbar im Stadium eines beginnenden Rausches. Seine listigen schwarzen Äuglein glänzten, und seine Nase funkelte.
»Könnt Ihr schweigen?« fragte er geheimnisvoll.
»Das Grab ist eine Lästerstube alter Weiber gegen mich!« knurrte der Ritter.
»So höret: Es wird sich bald ein Sturm erheben in Franken und in Schwaben. Nicht zwischen den Königen, sondern zwischen den Fürsten und Städten.«
Eppelein schlug krachend auf den Tisch. »Eine gute Zeitung!« rief er. »Bei sotaner Gelegenheit kann mancher zu Geld und Ehre kommen!«
»Würdet Ihr mit ausziehen, Herr?«
»Der Teufel hole mich, wenn ich's nicht tue!«
»Und wem würdet Ihr zureiten?«
»Den Fürsten, wenn's nicht gerad' der Burggraf ist. Ich kenne in den Städten einen, der ein edler Mann ist, die anderen sind alle hundertmal vermaledeite Heringsseelen, wenn sie auch ein adlig Wappen führen und in Harnischen einherprunken. Immer gegen die Städte!«
»Das gesegne Euch Gott!« rief der Probst und schwenkte den Krug gegen ihn. »Heil und Sieg! Lasset Euch raten: Ziehet meinem hochwürdigen Herrn von Würzburg zu.«
»Dem verfluchten Pfaffen!« hätte Eppelein beinahe gerufen. Aber da er sich höflich gegen seinen Gastfreund erweisen wollte, unterließ er es und trank, ohne zu antworten, seinen Wein aus. »Wann soll's losgehen?« fragte er dann unwirsch.
Auch der Probst hatte ein neues Krüglein geleert, und nunmehr trat er in den Zustand des zunehmenden Rausches. »Das wird«, entgegnete er wichtig, »von einem abhangen, nämlich von der Ratskürung in Rothenburg.«
»Zum Geier, warum davon?«
»Kennt Ihr der dortigen Bürger Verfassung und Gewohnheit?«
»Nein, die kenne ich nicht und kümmert mich nicht. Weiß nur, daß sie die eine Gewohnheit haben, den Heinz Topler jedes Jahr zum Bürgermeister und überdies zu der Stadt Feldhauptmann zu küren!«
»Ha, das ist falsch!« rief der Probst und rückte ihm noch näher. »Sehet, Herr, die Rothenburger haben einen äußeren Rat und einen innern. Der äußere Rat besteht aus vielen Ehrbaren und kürt jeden ersten Mai den inneren Rat, zwölf Männer, die aus ihrer Mitte den ersten Bürgermeister, den Feldhauptmann der Stadt und noch andere erwählen. Nun sitzen so viele Feinde des Topler im äußeren Rate, daß sie hoffen, er kommt überhaupt gar nicht in den innern Rat, noch viel weniger wird er wieder der Stadt Bürgermeister und Hauptmann!«
»Dann ist das Krämervolk in Rothenburg von Gott verlassen, denn der Heinz Topler ist der einzige in der ganzen Stadt, ja in allen Städten, den die Fürsten und Herren fürchten müssen!«
»Sehr wohl,« versetzte der Probst, »und deshalb rät mein hochwürdiger Herr von Würzburg dem Burggrafen, ganz ruhig zu warten, bis die Rothenburger das Roß totgeschlagen haben, das sie trägt. Denn von dem Tage an, da Topler nicht mehr der Herr ist in Rothenburg, ist er gar nichts mehr, und die Punkte sind schon aufgesetzt, womit sie ihm wollen den peinlichen Prozeß machen. Dann geht's über Rothenburg her und über die andern Städte, die den Bund zu Marbach geschlossen haben wider König Ruprechts Hoheit. Versteht Ihr mich, Herr?«
»Bin nit zu dumm dazu, Euch zu verstehen. Aber woher wißt Ihr das alles? Seid Ihr ein Vertrauter des Bischofs?«
Der Probst lächelte schlau. »Ich trag's ja bei mir. Ein Vivat, edler Herr, allen denen, die nach des Toplers Sturz wider die Städte reiten!«
Eppelein tat ihm Bescheid, aber in seinen gelbgrauen Augen leuchtete es grell auf. Er wußte nun genug. Der da trug ein Schreiben des Würzburger Bischofs Johann an den Burggrafen Friedrich von Nürnberg in der Tasche. Beide Herren waren ihm verhaßt, der eine als Pfaffe, der anders als Feind und Bändiger des adligen Strauchrittertums. In Toplers Schuld aber fühlte er sich immer noch, außerdem imponierte ihm der gewaltige Wann wie kaum ein anderer, den er kannte. Und wenn er dem Pfaffen da den Brief fortnahm, leistete er dem Topler ohne Zweifel einen wichtigen Dienst.
»Der Teufel«, dachte er verwundert, »hat mich offenbar zum Schutzpatron des Topler ernannt.
Wie könnte es anders sein? Vor drei Tagen erfahre ich von dem trunkenen Seinsheim, daß der Burggraf das Jaköble will aufheben lassen, weil es Briefe trage an seinen Vater aus Böhmen. Heute höre ich von dem trunkenen Pfaffen, daß er einen Brief wider den Topler in der Tasche trägt. Hab' ich ihm gestern seine Briefe zugetragen, heute trage ich ihm seiner Feinde Brief zu.«
Aber wie wollte er sich des Dinges bemächtigen? Keineswegs störte ihn der Gedanke, daß der Brief an einen anderen gerichtet war. Der Überfall auf Boten und Gesandtschaften war gang und gäbe, wenn man dadurch seinem Vorteil zu dienen glaubte. Aber er, Eppelein von Gailingen, nahm nur, was er von seinen Feinden erringen konnte, mit Gewalt und in Fehde. Und der hier war nicht sein Feind, er hatte ja eben noch mit ihm gezecht.
Während er so brütete und nur noch einsilbige Antworten gab, wurde der andere immer lärmender und lauter. Er gröhlte mit heiserer Stimme die erste Strophe des Liedes: »Wohin soll ich mich kehren, ich tumbes Brüderlein?« wozu er auf den Tisch trommelte und andere sinnige Kurzweil verübte.
Endlich aber trat er in das Stadium des vollendeten Rausches ein. Er stieß ohne allen ersichtlichen Grund ein dröhnendes Gelächter aus, der Krug, den er zum Munde führen wollte, entschlüpfte seiner Hand, so daß der Wein über den Tisch und in die Stube floß, und er selbst fiel vom Stuhle, so daß nur noch sein Kopf sichtbar blieb.
Er vermochte sich nimmer zu erheben. Eppelein starrte, ohne ihm zu Hilfe zu kommen, auf die Glatze des Gesunkenen hin. »Zuweilen ist der Mensch ein Vieh, zumal wenn er zu viel getrunken hat,« dachte der in diesem Augenblicke philosophisch angehauchte Ritter. Dann stützte er den Kopf in die Hand und sann darüber nach, wie er auf ehrliche Weise in den Besitz des Briefes käme.
Da machte der Trunkene eine Bewegung, und ein Würfel rollte auf dem Erdboden hin, gerade vor Eppeleins Füße.
Blitzschnell hob er ihn auf, und erst maßloses Staunen, dann triumphierender Hohn prägte sich in seinen Blicken aus. Der Kerl hatte also falsch gespielt, hatte ihn betrogen, und einem Schelm und Betrüger, der von rechts wegen an den Galgen gehört, braucht man keine Treue zu halten.
Er stand auf, stellte sich ihm gegenüber und betrachtete ihn lange schweigend. Dann gab er ihm einen sanften Tritt. Der Probst lächelte und hob die Hand, als wolle er segnen.
»O du Himmelsküfer, du Schuft verdammter, ins Fegefeuer gehörst du und nicht ins Himmelreich! Warte, du Untier, ich will dir's gedenken!«
Er warf dem Wirte ein paar Silberstücke zu. »Sattle mein Pferd und führ' es vor,« gebot er. Dann trat er an die Stalltür heran und befahl den Knechten des Probstes: »Ziehet sogleich euere und eueres Herrn Gäule heraus! Der Regen hat aufgehört, und wir wollen reiten.«
Die Knechte gehorchten ohne Arg. Inzwischen trat Eppelein an den Probst heran und riß ihm mit schnellem Griffe die Tasche aus dem Wamse. Der Liegende rief: »Bärbel, vielliebes Bärbel,« rührte sich aber nicht.
Der Ritter streute die Silberstücke auf den Tisch, den Brief nahm er an sich. Dann schritt er hinaus und bestieg sein Roß.
»Ihr Hunde!« redete er die Knechte an, »euer Herr hat mich im Spiele betrogen. Hier sind seine falschen Würfel, stellt sie ihm zu. Und so ihr kämpfen wollt um das, was ich ihm genommen, so kommt heran! Ich sag' euch ab und will meine Ehr' an euch bewahret haben.«
Aber die Knechte traten scheu in das Haus zurück, als er sein breites Schwert aus der Scheide riß.
Da ritt Eppelein mit einem lauten Lachen von dannen.