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Eine der interessantesten Episoden der deutschen Kulturgeschichte ist wohl die Geschichte der Künischen Freigerichte oder des Königlichen Waldes, Hwozd genannt, wie der amtliche Titel lautete. Obwohl ihr Ursprung heute sich nicht mehr streng geschichtlich nachweisen lässt und die Meinungen darüber sehr weit auseinandergehen, gestatten doch andere zeitgenössische Ereignisse und überlieferte Tatsachen einen mehr oder minder sicheren Schluss auf die Entstehung derselben.
Gunther, ein deutscher Mönch, der im Gebiete der Künischen Freigerichte heute noch als Heiliger verehrt wird, zu dessen Siedelei alljährlich zahlreiche Pilger wallen, um seine Fürsprache bei Gott zu erbitten, und der Kirchenpatron der Kirche Gutwasser ist, unternahm es, vom Stifte Altach aus in die damaligen Wildnisse des Nordwaldes vorzudringen und Christentum und Kultur der in den Wäldern noch spärlich hausenden bzw. zurückgebliebenen keltisch-markomannischen Urbevölkerung zu bringen. 1008 zog er von Altach fort, und 1009 schon überließ der deutsche König Heinrich II., der Heilige, auf Betreiben des Abtes Godehart der neuen Einsiedelei zu Rinchnach einen Wald von drei Meilen Länge und zwei Meilen Breite, mit ganz genauen Grenzbestimmungen. Von Rinchnach aus nun bahnte Gunther den »goldenen Steig« durch den Urwald, auf dem bald die Säumer hin und wider zogen und neben dem Siedlung um Siedlung entstand.
Nachweisbar von 1192 bis 1273 waren die Gaugrafen von Bogen im unteren Donaugau in Niederbayern Herren des Gebietes um Schüttenhofen und Winterberg, und wahrscheinlich auch des Gebietes des Künischen Waldes. Dass unter ihnen, die ja für die Besiedlung des Waldes und seine Befestigung wider die räuberischen Einfälle der Tschechen so viel getan, die Besiedlung des in Rede stehenden Gebietes fortgeschritten, braucht nicht erst gesagt zu werden. Die Gründung der Kirche zu St. Maurenzen wird dem hl. Gunther zugeschrieben; die nächstältesten im Walde dürften wohl jene zu Petrowitz und Albrechtsried sein. Bezeichnend aber für das Wirken der Bogener ist, dass sowohl an der Pfarrkirche zu Petrowitz, zu der die größte Zahl der Freigerichte eingepfarrt war, als auch an der Kirche zu Albrechtsried Prämonstratenserpriester aus dem Kloster Windeberg in Bayern die Seelsorge ausübten – in ersterer bis zu den Hussitenstürmen, in letzterer bis zur Aufhebung des Mutterstiftes im Jahre 1803. Durch 600 Jahre hat also diesen heute der Tschechisierung verfallenen Ort die deutsche Geistlichkeit dem Deutschtum zu erhalten vermocht. Heute, wo die Geistlichkeit tschechisch ist, schreitet auch die Tschechisierung sichtlich vor.
Die angebliche Verpflichtung der Bewohner des Künischen Waldes, die Grenze Böhmens wider Einfälle der Bayern zu schützen, dürfte, wenn sie überhaupt ernstlich bestanden hat, nur nach dem Erlöschen der Bogener Herrschaft aufgekommen sein, welche ebenso angeblich durch die Erbauung der Burg Karlsberg bei Bergreichenstein durch Karl IV. (1361) eine Änderung erfahren haben soll. Nach Schaller (III, 25) sollten die königlichen Freibauern statt der ehemaligen Schuldigkeit der Grenzbewachung Tag und Nacht bei der Burg Wache halten.
1429 wurde der Königliche Wald, Hwozd genannt, laut Verschreibung des Kaisers Siegmund verpfändet, aber dank einem von den Bewohnern desselben erlegten Lösegelde aus dem »Privatschutze« des Kammergläubigers wieder befreit. Damit beginnt der »Versatz« des Kammergutes durch geldbedürftige Landesfürsten an verschiedene adelige Herren, die das Gebiet sozusagen als Melkkuh betrachteten. 1578 wurde der Künische Wald, damals die Königsdörfer genannt, an Johann von Bolkowitz verpfändet für 5000 Schock meißnerischer Groschen, aber wieder verhandelt, bis die Freisassen den Pfandschilling Kaiser Mathias (1617) erlegten, damit sie ihre Freiheit wieder erhielten. Mathias versicherte auch mit Privileg vom Tage St. Elisabetha (19. November 1617), dass der Künische Wald fortan nicht weiter verpfändet werden solle.
Trotz dieser kaiserlichen Versicherung aber kam er unter Ferdinand II. (1623) durch eine neue Verpfändung in den Privatschutz des kaiserlichen Generals Don Martin de Hoef Huerta, wegen seiner Grausamkeiten gemeinhin der Bluthund oder die Geißel Gottes genannt. Dieser Don muss wirklich nicht sonderlich glimpflich umgesprungen sein mit den Waldbauern, da diese sich gezwungen sahen, wider sein Ansinnen, sie als Leibeigene zu behandeln, Klage zu erheben, auf welche Ferdinand III. mittels Privilegs vom 22. Februar 1631 beschied, dass die Gerichte des Künischen Waldes zwar in Pfand gegeben, dieselben jedoch in ihren althergebrachten Rechten und Gerechtsamen zu schützen seien. Und so ging es fort, bald war der Pfandherr, bald ein anderer, und als schließlich die sechs »oberen« Geichte, welche bis 1850 zu Bystritz gehörten, dem Ulrich Adam Popel v. Lobkowitz zum freien, erblichen Eigentume (1640) abgetreten wurden, wollten die Pfandherren die Zusammengehörigkeit der Freigericht kurzer Hand zerreißen, und es musste daraufhin wieder ein königliches Reskript vom 12. Juli 1840 befehlen, dass eine »Dismembrierung« nicht stattfinden dürfe, vielmehr die sämtlichen acht Gerichte wie vorher auch in Zukunft unter einem selbstgewählten Oberrichter vereinigt bleiben müssen.
In den Privilegien und »Freiheits«-Bestätigungen Ferdinands III. und Leopolds I. ist von dem Gebiete noch immer die Rede als von dem »königlichen Walde, Hwozd genannt«. Hwozd bedeutet Wald, und die Zusammensetzung ist also eine Tautologie, ungefähr so, als wenn man sagen wollte: Wald, saltus genannt, oder Waldsaltus. Der Name dürfte wohl entstanden sein, dass die königlich böhmische Kammer der deutschen Benennung ein tschechisches Schwänzlein anheftete. In der Privilegienbestätigung Kaiser Josefs I. vom 28. Februar 1709 ist das Gebiet schon »die an der bayerischen Grenzen liegenden Acht Gerichte Unseres königlichen Waldhwozd« benannt. Um diese Zeit muss es also schon bis auf den Umfang zusammengeschmolzen gewesen sein, den es bis zum Jahre 1850 hatte. Das neunte Gericht wurde erst später aus der Teilung des Stadler Gerichtes in ein Stadler und ein Neustadler Gericht gebildet.
Es würde den Rahmen dieses Kulturbildes weit überschreiten, sollten sämtliche Schicksale, Verpfändungen und Streite aufgezählt werden, die das Gebiet des Künischen Waldes im Laufe der Zeiten durchzumachen hatte. Besonders während und nach dem dreißigjährigen Kriege mag es oft arg gewesen sein. Der Kaiser brauchte Geld und wieder Geld, und an habgierigen »Herren« fehlte es nicht. Es ließe sich wohl heute noch den meisten böhmischen »Stützen des Thrones« nachweisen, wie ihre Vorfahren zur selben Zeit zu den Gütern gekommen. Ein glückliches Geschick waltete aber immerhin noch über dem Siedlungswerke des hl. Gunther, dass es dasselbe, den Künischen Wald, vor der Pfandherrschft des kaiserlichen Reichshofrates und nachmaligen Freiherrn Wolf Wilhelm Lamminger von Albenreuth bewahrte. Derselbe hatte es verstanden, sich zum Pfandherrn der Chodengerichte zu machen, und ihn gelüstete auch nach den benachbarten künischen Gerichten, er wurde aber abgewiesen. Die Freiheiten und Gerechtigkeiten der Choden wurden unter seiner Blutherrschaft 1695 zu Grabe getragen, die Freigerichte des Künischen Waldes bestanden aber noch bis zum Jahre 1850.
Die Urbevölkerung des Künischen Waldes war, wie schon erwähnt, die keltisch (bojisch) markomannische, also eine rein germanische, während das Gebiet der Choden ursprünglich mit Slaven besiedelt worden ist. Auch der Siedlernachschub, meist aus Bayern und Sachsen, war ein rein deutscher, sodass also das Gebiet des Künischen Waldes mehr als fester Wall wider das Vordringen der Tschechen denn als Verteidigungswerk gegen Bayern hin sich bewährte; wie letzteres die allgemeine Ansicht ist. Auf die bojische oder auch markomannische Bevölkerung – welche, kann heute nimmer sichergestellt werden – weisen in erster Linie Sagen zurück, die sich überall dort finden, wo immer in germanischem Gaue eine Opferstätte der Hel gewesen. Auf ehemals künischem Gebiete finden wir die zwei weißen und eine schwarze Jungfrau (die Nonnen) im Sagenschatze der Burg Karlsberg bei Bergreichenstein.
Mit dem Erscheinen des hl. Gunther im Waldgebirge schwand natürlich das Heidentum, und an den Opferstätten der Hel pflanzte sich das Kreuz auf. Der »goldene Steig« und Gunthers Besiedlungsstreben brachten auswärtige Siedler in den Wald, und die Wildnisse lichteten sich allmählich. Für die Besiedlung mit rein germanischen Siedlern spricht auch die Siedlungsweise in zerstreuten Gehöften, wie sie zum großen Teile heute noch besteht.
Wie im ganzen Waldgebirge, war auch hier der Glasmacher der erste, der die Wildnisse des Urwaldes zu lichten begann, und es lässt sich zumeist heute noch feststellen, welcher Hof oder welches Haus das erste in einem gewissen Umkreise war, wenigstens auf gut zwei Jahrhunderte zurück. Oft auch deutet ein Name auf eine Glashütte in früheren Zeiten zurück.
Der Glasmacher kam, baute seinen fast nie größer als Backofen großen Schmelzofen in den Urwald und schlug das in schwerer Menge vorhandene Holz zur Feuerung nieder, wie er es brauchte. War es nimmer nahe genug zu erreichen, verlegte er seinen Schmelzofen ein Stücklein weiter, mitten in den Holzüberfluss hinein, und auf dem von ihm abgeholzten Stück Land begann nun der Bauersmann zu rauten und zu schaffen. Manche dieser Glashütten im künischen Walde haben sich bis in die letzte Zeit erhalten, natürlich den jeweiligen Fortschritten der Glasmacherkunst angepasst; aber, wie es schon geht, der Große frisst den Kleinen auf, und so sind sie nun ganz verschwunden.
Die Organisation der Freigerichte war einigermaßen republikanisch. Ein bestimmtes Gebiet bildete ein »Gericht«, ein vollständig abgerundetes Gemeinwesen freier Männer, die nach freiem Willen sich einen Richter wählten und dessen Beiräte, die »Geschworenen«. Diese sprachen Recht in allen nicht »judiciellen« Angelegenheiten. Verbrechen und ähnliches hatte der Amtmann oder Oberamtmann der Schutzherrschaft zu richten. Sämtliche neun Gerichte wählten aber einen Oberrichter, dem die Vertretung der Freigerichte nach außen hin oblag, und der eidlich geloben musste, die Privilegien der kgl. Freigerichte wider alle Angriffe nach Kräften zu schützen.
Zur Zeit der Leibeigenschaft ragten die Bewohner des künischen Waldes gleich Edlen über die misera plebs der Umgegend hervor. Während jene die vollständigen Sklaven der adeligen Gutsherren waren, saßen die Künischen als Freie auf ihren Höfen, frei und jedweder Leibeigenschaft überhoben – trotz der aufgezwungenen Schutzherrschaft – und selbst der letzte Knecht war frei. Jeder Zoll Grundes war freies Eigentum, jeder konnte hinziehen, wohin es ihm beliebte. In der ersten Zeit mochten die Bewohner des Künischen Waldes vollständig abgaben- und steuerfrei gewesen sein, sobald sie aber unter die Pfandherrschaften gekommen, mag sich die Sache geändert haben. Doch waren die Abgaben im Verhältnisse zu denen der benachbarten Gutsgebiete so gering, dass sie eigentlich als solche gar nicht zu betrachten sind, gar erst im Verhältnisse zu den heutigen Steuern und Abgaben.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein gehörte der größte Teil des Künischen Waldes teils nach Maurenzen, teils nach Petrowitz in die Pfarre. Nur die Kirche des Gerichtes St. Katharina ist schon 1604 erbaut worden, dieselbe hat dem ganzen Gerichte den Namen gegeben. Die anderen Gerichte bauten alle erst nach der Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre Kirchen.
Im Jahre 1850, nachdem in Österreich wenigstens auf dem Papiere alle Staatsbürger vor dem Gesetze gleichgemacht und alle althergebrachten Privilegien für null und nichtig erklärt worden waren, wurden die kgl. Freigericht des Künischen Waldes aufgehoben.
Der »goldene Steig«, den des hl. Gunthers Axt durch den Urwald gebahnt, und auf dem bis vor einigen Jahrzehnten noch Wagen dahin ächzten, verwächst mit Gras und jungem Waldanflug, die alten Vorrechte und die Bedeutung des ehemaligen königlichen (davon künischen, von althochdeutsch und mundartlich Künik) Waldes sind schon so halb und halb vergessen, aber das Andenken an den Mann, der mit Kreuz und Axt Christentum und Kultur gebracht und den Grund zur Besiedlung des damals unwirtlichen Gebirges gelegt, den hl. Gunther, ist noch allweg lebendig, und da und dort wandelt einer zu der schlichten Kapelle, die an Stelle seiner Einsiedelei errichtet worden und bittet um Fürsprache eines mit Leib und Seele deutschen Glaubensboten geblieben bis auf den heutigen Tag.