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Auf den Feldern im Tale stehen bereits die Mandel in langen Reihen, und wenn auch in den Gehängen oben und bei den höchstgelegenen Höfen der Hafer noch grün ist und das Winterkorn erst scheckig, im Tale regt sich bereits die Stoppel, und die schönste Zeit ist vorbei. Wohl flutet über Berg und Tal der goldige Sonnenschein wie zu der Zeit, wo sich der Auswärts (Frühling) und der Sommer unversehens die Hände reichen, wohl ist noch Anger und Gefilde voll von Blumen, aber auch die weißen Herbstblümlein (Augentrost) zeigen sich schon auf den Wiesen, und der Gesang der Vögel ist verstummt.
Was aber ficht das alles den Hüttenbauer an, den Lenz, der nun schon wieder auf seiner Gredbank sitzt und leuchtenden Auges hinaussieht in das sonnige Gelände. Bei ihm ist es Auswärts trotz Stoppeln und Herbstblümlein. Die Wunde im Rücken ist verheilt, und die Kräfte kommen wieder und wachsen zusehends von Tag zu Tag.
Wer ihm das getan? Wer weiß? Ursprünglich hatte er auf den Jager Verdacht gehabt. Der hatte sich so erbittert selbes Mal, und es war nicht unmöglich, dass er ihm nachgeschlichen und ihn überfallen. Aber ehe er den Verdacht gegen andere geäußert, hatte er sich erst vergewissern wollen, ob er ihm auch wirklich nicht unrecht täte, wenn er die Mutmaßung lautmärig machte. Er hatte von ungefähr den Holzhauer gefragt, der selbes Mal in des Mathiesen Stube gesessen und mit ihm geplaudert, ob er und der Jager noch lange gesessen und ob der Jager nicht etwa wieder geschrien und den Kranken aufgeregt hätte. Aber der hatte ihm in der arglosesten Weise treuherzig gesagt, dass sie nur halblaut miteinander geredet hätten über das und jenes, bis des Mathiesen Bub daher gerannt gekommen und die Aufforderung des Pfarrers herausgehastet.
Der Jager konnte es also nicht sein. Einer, der eine Viertelstunde entfernt mit einem anderen plaudert, sticht keinen. Er hätte ihm also Unrecht getan. Wer aber mochte ihn sonst überfallen haben? Wer mochte ihm so feind sein? Er riet hin und her und konnte keinen Anhalt finden. Dass der Oberamtmann zwei Tage lang geforscht und nichts herausgebracht, wunderte ihn eigentlich nicht. Auch wenn der über den Rechten gekommen wäre und einen »Rippenstoß« erhalten hätte, so hätte er nichts gefunden. Das war jedem bekannt um und um.
Jetzt aber martert er seinen Kopf nimmer ab mit der Geschichte. Sie ist vorüber und vorbei, er ist wieder gesund und … Der Hüttenhof hat alle Aussicht, eine Bäuerin zu bekommen. Und das ist es, weshalb bei ihm Auswärts ist trotz Stoppeln und Herbstblümlein.
Er weiß, was die Sepherl gelitten hat um seinetwillen, wie sie ihn gehegt und gepflegt hat; er weiß alles. Und wie sie ihn dann hinuntergefahren haben in seinen Hof, ist sein Herz oben geblieben bei ihr. Und wie er so sitzt und hinausschaut in das sonnige Gelände, sind auch seine Gedanken oben im Häuschen beim See. Er vermeint die himmelblauen Augen freudestrahlend auf sich gerichtet zu sehen und ein silbernes Lachen zu hören …
Über die Gred herein stapfen zwei Männer, der Gereuter und der Wolferl.
»Tausendstern übereinander!« ruft der erstere. »Gar schon auf der Gred heraußen? … Na, eigentlich hast schon recht. In der Stube bist lang genug eingesperrt gewesen, und der Herrgott hat die Luft schon erschaffen, dass eins nicht krank wird von ihr. Aber hüten musst dich noch allweil, dass sich der Rotlauf (Verkühlung) nicht dazu zieht zu der Wunde. Sel wär nachher nicht gar ratsam. Ist sonst niemand da?«
»Kein Mensch.«
Sie setzen sich neben den Lenz hin auf die Bank und plaudern. Nach einer Weile kommt der Mirtl mit vier Bauern vom drüberen Gehänge, und sie gehen in die Stube. Es ist heute Gerichtstag mit dem Zwecke, einen Rekruten zu kaufen und den Vertrag abzuschließen. Es ist eigentlich noch Zeit bis zum Kirchweihmond, und manche Gerichte geben sich auch nicht früher an die Sache; aber der Lenz denkt sich, wenn der Vertrag abgeschlossen ist, weiß jeder Teil, woran er ist.
Die Zahl der jährlich an das Kreisamt in Pisek abzuliefernden Rekruten ist nicht gleich. Oft schon hat ein Gericht zwei oder drei Mann zu stellen gehabt, oft auch zwei Gerichte mitsammen einen; gewöhnlich aber ist es einer auf jedem Gericht. In der Regel wird der Mann gekauft; so üben es die meisten Gerichte bis auf das Hammern'er, das grundsätzlich keinen kauft, sondern immer aufs Fangen ausgeht, wobei es oft einen gewaltsamen Kampf setzt. Es geht mancher nicht gern ums Geld zu den Soldaten, geschweige denn, dass er sich für nichts und wieder nichts dazu zwingen lässt, weil den Bauern um ihre eigenen Buben und auch ums Geld leid ist. Ausnahmen bilden in den übrigen acht Gerichten nur solche Fälle, wenn ein landbekannter Lump und Tunichtgut den Gemeinfrieden stört. Der wird gefangen und in den weißen Rock gesteckt, wo er nach seinen abgedienten Jahren meist als dasiges und ordentliches Bürschel heimkommt. So eine Kur hat schon manchem von seiner Lumperei geholfen.
Es kommen der Schullehrer und die Bauern von der Kirchenseite her, und nach etwa einer Stunde sind sie alle beisammen, auch der Bursche, der für hundert Gulden in den weißen Rock kriechen will, samt Eltern und Geschwistern.
»Also du bist einverstanden, Hanns-Girgl?« fragt der Lenz den Burschen.
»Ja, ich hab's Euch dieser Tag schon gesagt. Das Beste tausch ich mir freilich nicht ein, aber wenn's Gott gibt, dass ich wieder heimkomm, hundert Gulden sind auch ein Geld und viel geholfen, wenn sich einer selbst auf die Füße stellen will. Und ist's der Wille Gottes, dass ich nimmer komm, kann der Vater das Geld haben, oder wenn er derweil stirbt, meine Geschwister. So muss die Sach' geschrieben werden.«
»Ängstig dich nur nicht, dass nicht alles bis auf ein Tüpfel stimmt!« beruhigt ihn der Schullehrer.
»Seid ihr auch einverstanden, Männer?« wendet sich der Lenz an die Bauern der Gemeine.
»Freilich … Nun, gewiss … Es ist so der allgemeine Preis«, stimmen die Bauern bei. Nur der Wolferl meint: »Ein Gefangter käm halt allweil wohlfeiler.«
»Sel hat keinen Wert«, widerspricht ihm der Lenz. »Für ein Unrecht bin ich nicht zu haben, nie nicht … Und … was tätest sagen dazu, wenn dein Bruder abgefangt werden sollt? Schaden tät es ihm so wie so nicht.«
Der Wolferl zwingt sich zu einem leichten Lächeln. »Kunnst schon recht haben«, quetscht er heraus, aber denken tut er sich was anderes.
Der Schullehrer schreibt den »Revers«, dass sich der Johann Georg Hochberger verpflichtet, für einhundert Gulden Rheinländisch sich assentieren zu lassen und die Insassen des Gerichtes diesen Betrag unbedingt an ihn oder seine Freundschaft zur Auszahlung zu bringen, je nachdem es Gott schickt.
Die Sache ist bald erledigt, und die Männer zerstreuen sich wieder, wie sie gekommen. Nur der Gereuter bleibt eine Weile sitzen und klagt dem Lenz seine Not. Die Geschichte will sich nicht wenden; der Hannes wird nicht abgeurteilt und nicht freigelassen. Es kommt ihm schier vor, als ob man es auf eine rechte Demütigung abgesehen hätte. Aber er gibt sich nicht dazu her, um keinen Preis. Ein künischer Freisasse biegt sich nicht vor dem Oberamtmanne.
In währender Rede kommen Philomene und die Seebäuerin mit ihrem Buben. Weil gerade Sonntag wäre, meint die, müsse sie doch wieder einmal herüberschauen, wie es dem Nachbarn ginge.
»Es geht schon wieder«, lächelt der und denkt an die Sepherl, die ihn so treu gehegt und seiner so sorgsam gewartet.
Als sich der Gereuter hebt und gehen will, hält er ihn noch ein Weniges zurück. »Wart, ich geh auch ein bissel mit. Ich muss in die Luft hinaus, in den Wald.« Er greift nach den Wadenstiefeln und der Joppe und zieht sich an.
»Wo wirst denn heut noch hin?« versucht Philomene abzuraten. »Wie lange geht es an, so ist der Abend vor der Tür?«
»Bis es dunkelt, bin ich wieder da«, verspricht er und geht. Unter der Türe aber kehrt er noch einmal um und langt nach dem schweren, eisenbeschlagenen Stecken.
Der Seebäuerin ist mit einem Male das Lächeln vergangen, wie der Lenz die Türe hinter sich zugezogen. Auch ihre Rede ist spärlicher geworden. Sie starrt auf die Dielen nieder und scheint oft gar nicht zu hören, was ihr die Philomene vorplaudert.
Zur gelegenen Zeit fällt der Sepperl nieder und fängt zu heulen an.
»Ja, ja, mein Herzel! Der Schlaf kriegt dich schon«, redet sie ihm zu. »Gleich kannst dich niederlegen. Komm schön! Wir gehen jetzt heim.« Und sie geht.
Während sie die Flur hinüber wandelt, suchen ihre Augen das ganze Gelände ringsum ab. Da und dort schlendert einer in seinen Gründen umher, frohe Kinder jagen sich über die Anger oder über die Stoppelfelder, und auf den Weiden beginnen die Viehherden aufzuziehen. Das alles kümmert sie nicht; sie sucht nach dem Lenz. Ob er nicht wieder hinauf hatscht zu der dalketen Dirn in ihr oberes Inhäusel?
»Meiner Treu!« gerade den Atem fängt es ihr, und ihr Schritt stockt, wie sie ihn über ihren Weidegrund hinauf schreiten sieht, dem Waldrande zu. »Und mit so einem Menschen hab ich Erbarmnis gehabt! Aber wer weiß, was ihm die Dirn für ein Tränkl geben hat, derweil er oben gelegen ist? Hätt ich mit dem Pfarrer die Sach' von wegen des Häusels nicht schon ausgemacht, es geschäh mir nimmer, und auf der Stellt müssten sie ausziehen. So eine Falschheit.«
Sie geht wieder, aber in ihrer Brust kocht und brodelt es, und manch böser Gedanke fährt dazwischen. Als sie über die Gred ihres Hofes hinein schreitet, hat sie sich entschlossen und gerüstet: Sie steht nicht ab, und sie lässt ihn sich nicht wegfangen, und wenn es ihre Seligkeit kosten sollte.
Inzwischen steigt der Lenz zur Seite des brausenden Seebaches das Gehänge hinan. Wo der Weg gegen das Häuschen hin einbiegt, bleibt er ein Weilchen zaudernd stehen. Soll er da hinüber? Nein, er geht zum See hinauf. Dort sitzt Sepherl zumeist, wenn Feierweile ist; sie hat es ihm gesagt, dass es ihr dort am liebsten ist auf der Welt. Sie wird auch heute am steinigen Ufer sitzen und dem Schlage der Wellen zuhören. Er will sie wieder von einem Verstecke aus betrachten und sich an ihrer Schönheit freuen wie selbes Mal am Ostertag.
Vorsichtig schleicht er um den Platz herum, wo sie damals gesessen, und sucht ein Versteck. Sie sitzt richtig dort, die Hände wie zum Gebete gefaltet, und ihr Blick ruht auf dem wellenden und schaukelnden Wasser. Es leidet ihn aber nicht lange in seinem Verstecke. Wie von ungefähr kommt er an sie heran. »Hab ich dich leicht erschreckt?« fragt er. Ein leichtes Rot überfliegt ihre noch immer blassen Wangen, und sie schüttelt leicht den Kopf. »Wozu sollt ich mich vor dir fürchten?«
»Ja, ja«, nickt er. »Recht hast auch; ich kunnt dir gewiss nichts Schlechtes tun.« Er setzt sich hin neben sie auf den Stein. Eine Weile sitzen sie schweigend nebeneinander, keines sagt ein Wörtlein.
»Du sollst noch nicht aus der Stube gehen«, rügt sie später, das Schweigen unterbrechend. »Wie leicht könntest dir wieder was zuziehen?«
»Sorg dich nimmer!« beruhigt er sie. »Ich hab kein bissel was gespürt da herauf; schier wie von eh bin ich wieder, und … es hat mich nimmer gelitten in der Stube, gar nimmer. Und nachher hat's mich belangt, dass ich dich … dass ich zu dir komm und dir dank für Wart und Pfleg … Dasselb' kränkt mich oft, dass du der Philomene rundweg alles Entgelt dafür abgeschlagen hast, wo ich dir so viel schuldig wär …«
»Geh, hör mir auf mit dem Schwatz!« unterbricht sie ihn hastig. »Dass ich ein paar Nächt munter blieben bin bei dir? Dass ich dir ein bissel abgewartet hab? Tätest du das nicht, wenn du in die Lag kämest?«
»Allemal und jedem«, gesteht er zu. »Gar meinem größten Feind, wenn ihn der Herrgott so in mein Haus schickte.«
»Und tätest was annehmen dafür?«
»Ich? Annehmen?« verwahrt er sich entschieden. »Nicht, was schwarz unterm Nagel ist.«
»Meinst denn nachher, ich bin schlechter wie du!« Mit zitternder Stimme presst sie das heraus.
»Sepherl! Aber Sepherl, wie kannst denn nur gerad so was denken von mir?« ereifert er sich und fasst ihre Hand. »Dass du eine arglose Red so nehmen kannst! Von mir wär's eine Sünd und eine Schand, wenn ich was annähme, weil ich so hab, was ich brauch; so hab ich's gemeint, nicht anders.«
»Was wir brauchen, sel haben wir auch«, zahlt Sepherl zurück.
Er schüttelt in heller Verzweiflung seinen Kopf. Dass er gar keinen unantastbaren Grund findet! Allemal kann sie ihm wieder ausweichen, und sie nimmt gleich alles so von der spitzigen Seite. »Sepherl«, fängt er wieder an, »Sepherl, kannst mir's gewiss glauben, ich will dich nicht kränken, aber freuen tät's mich, wenn d' was annehmen tätst von mir.« Er stockt in seiner Rede. Ein Gedanke zuckt ihm durch das Hirn, kein fremder; er hat ihn dieser Tage schon oft und oft erwogen. Sein Atem beginnt schwerer zu gehen und das kreisende Blut in den Ohren zu singen und zu schlagen. Aber er nimmt all seinen Mut zusammen; es muss einmal gesagt sein. »Und wenn du sonst nichts nehmen willst«, hebt er nachher mit unsicherer Stimme an, »magst mich und meinen Hof …?«
Sie springt auf. »Hüttenbauer!« keucht sie. »Hüttenbauer, das hab ich mir nicht verdient; so einen Spott!«
Er fasst sie und drückt sie nieder auf den Stein. »Sepherl! Was hast denn? Es ist ja mein Ernst, mein ganzer Ernst. Ich hab mich so an dich gewöhnt, und ich hab dich so gern. Magst mein Weib werden …?«
Die Wellen plätschern gleichmäßig und einförmig am Ufergestein, und die zwei sitzen beisammen auf dem bemoosten Felsblocke, und kein Wörtel kommt über ihre Lippen. Die Sonne sinkt hinter die Felsenwände hinab, und ihre letzten Strahlen umglänzen das Paar.
»Sepherl, sag ja oder nein!« mahnt der Lenz endlich.
Sie wendet ihm langsam ihr Gesicht zu und sieht ihn mit den himmelblauen Augen so fragend und forschend an. »Und wenn eine Zeit käm, wo es dich gereuen tät, dass du dir eine Bäuerin geheiratet, die nichts hat, als was sie am Leibe trägt …?«
»Nie nicht, Sepherl!« beteuert er. »Wenn ich so eine brauchte, meinst, ich wär mit meinen etlichen dreißig Jahren nicht gescheit genug, dass ich mich um eine solche umschaute? Der Vater hat – der Herrgott verlohn ihm's! – gut gewirtschaftet, und was die Philomene kriegt, ist im Baren da. An das brauchst nie zu denken. Und jetzt sag ja!«
»Nicht gleich, Lenz. Ich überleg mir's derweil, und bald du wieder kommst, nachher sag ich dir's: ja oder nein.«
*
Der Seebäuerin ist zu Mute, als ob ihr ein Schlehdornstrauch wüchse in der Brust. Nach allen Seiten hin starren die Dornen und Stacheln, und unversehens sticht sie sich an dem einen oder anderen. Sie ist nicht einen Augenblick im Unklaren geblieben darüber, was der Lenz oben sucht in ihrem Inhäusel.
Den ganzen Abend hat sie gesonnen und mehr als die halbe Nacht hindurch. Sie hat sich mit der Dirn verglichen in jeder Beziehung, und der Vergleich ist alleweil zu ihren Gunsten ausgefallen. Sie ist gutding so sauber wie das flachshaarige Ziefer oben im Inhäusel, sie ist aus einem angesehenen Haus, und was sie als Heiratsgut mitbekommen hat, ist ihr Eigentum und sicher gestellt. Das einzige, in was sie der Dirn nachsteht, ist das Bübel, der Sepperl. Wenn er an dem Anstoß nähme? Ein böser Gedanke schleicht inmitten der anderen daher. Sie packt das beim Ofen spielende Büblein und drückt es an ihr Herz. Nein, nicht um alles auf der Welt! Aber der Gedanke ist wie ein Zigeuner; sooft er auch abgewiesen wird, allemal kommt er wieder und quält ihr Hirn.
Es ist Nacht geworden, alles liegt in der Ruhe, und alles ist still. Nur die große Wanduhr tickt, auf der Gred plätschert das Wasser in den Brunnentrog, und neben ihr auf dem Lager schläft das Büblein, und seine Atemzüge gehen gleichmäßig und ruhig.
Vorsichtig tastet ihre Hand nach dem Halse des Bübleins, sie spürt die Adern schlagen und das kreisende Leben darin. Wenn sich die Hand zusammen krampfte? In Vaterunserlänge mochte das Leben stille stehen, und das Hindernis wäre aus dem Wege.
Ein Schauer überläuft sie und ein Frösteln. Die Hand fährt mit einem Rucke zurück. Um keinen Preis! Sie wirft sich auf die Liegestatt herum und sinnt und grübelt. Da vermeint sie in der Ferne etwas wie einen hellen Lichtstreif zu erblicken, einen Ausweg, der auch zum Ziele führen kann, wenn er gerät. Und während sie nach der Richtung hin fortgrübelt, schläft sie ein.
Des anderen Tages nach der Morgensuppe ruft sie den Nazi in die Kammer; sie hat etwas zu bereden mit ihm.
»Was soll die Geheimtuerei bedeuten?« wundert sich der.
»Es ist gerad keine Geheimtuerei«, widerspricht sie. »Aber zu wissen braucht es kein Mensch … Ich hab vor einer Zeit dem Pfarrer zugesagt, dass ich die zwei Leut im oberen Inhäusel lasse, solang sie wollen. Wirst ja wissen, dass der Christel sein Vater sein soll.«
»Eh«, gibt er zu.
»Und jetzt reut es mich, weil ich Inleut brauchte zur Arbeit, und die brauchen nicht zu gehen, wenn sie nicht gutwillig wollen. So ist's ausgemacht. Da möchte ich sie auf eine Weis' losbringen … Der Alte soll sich ärgern, bis er selbst gern geht.«
»Hm!« zweifelt der Nazi. »Wenn er sich aber nicht ärgert?«
»Er wird schon … wird schon«, meint sie. »Ich hab schon so gesonnen. Er hält eine ganze Menge auf Sepherl, sel weiß jedes. Wenn du dich mit ihr herum scherztest, wenn er gerad um die Wege ist. Leicht, dass er darüber in Harnisch käm.«
»Wenn's sonst nichts ist«, lacht der Nazi. »Selm bin ich schon zu haben.«
»Brauchst es nicht umsonst zu tun«, verspricht sie. »Weißt, mir ist um andere Inleut zu tun, die auf die Arbeit gehen … Und gerad fällt mir noch was ein. Der Richter soll auch zu Zeiten hinauf kommen, hab ich gehört. Was er mit dem Christel auszumachen hat, weiß ich nicht. Wenn du gerad einmal ablauern tätest, wenn er hinaufgeht und kämest ihm vor und gäbest der Dirn ein tüchtiges Bussel, wenn er zur Türe hineinkommt. Sel wär auch nicht schlecht. Der tät es gewiss dem Alten vorhalten, was er für eine Wirtschaft hat in seinem Haus, und über das kunnt sich der schon ärgern, dass er ausziehen tät. Und sel wollt ich gerad.«
»Wenn's auf diese Art geht, nachher ist der Christel in vierzehn Tagen aus dem Inhäusel«, verspricht der Nazi lachend. »Und wenn nicht, nachher muss man ihn halt von einer anderen Seite packen. Er geht schon, kannst dich verlassen auf mich.«
»Nicht zu rasch!« wehrt die Bäuerin. »Derweil hab ich gerad das geschafft. Und was anderes tust erst, bald ich dir es schaff, früher nicht.«
»Mir ist's gleich«, sagt er achselschupfend und geht an seine Arbeit.
Ein hässliches Lächeln verzerrt das schöne Gesicht der Seebäuerin, und ihre Hände ballen sich zu Fäusten. »Wart nur! Wart nur! Ich komm doch an mein Ziel.«
Sie geht in die Stube und hilft der Kleindirn beim Abspülen des Geschirres. Während sie ihren Gedanken nachhängt, die der Gegenwart um Wochen und Monde vorauseilen, entfällt ihr eine Schüssel und geht in die Scherben.
»Das wenn ich gewesen wär!« lächelt die Kleindirn schadenfroh. »Namenstag dürft ich haben, so kriegt ich nicht so viel Wünsch zusammen.«
»Meinst? Bin ich denn gar so ein tyrannisch Leut?«
»Sel nicht, sel nicht«, versichert die Kleindirn. »Ich hab halt gerad einen Spaß gehabt, und lieber ist's mir schon, dass Ihr die Schüssel brochen habt.«
Die Bäuerin geht ans Fenster und will hinüberschauen über die Fluren, wo der Hüttenhof steht mit dem Glockentürmchen auf dem Firste. Aber sie sieht nur die Schirmbäume. Wie aus Kannen rieselt der Regen nieder, und die Schartraufe rinnt wie ein kleiner Bach. Brrr! Aber ihr ist das Wetter auch nicht so zuwider. Sie muss so wie so in den nächsten Tagen hinüber in den Hüttenhof und vorbauen; heut ist's gerad recht. In dem Regen vermag kein Mensch zu arbeiten und zu werken im Freien; der Lenz wird daheim sein, und da kann sie die Gelegenheit ausnutzen. Wenn sie nur etwas zu tun hätte drüben, dass der Besuch nicht auffallen könnte. Aber was? Sie ohrt hin und her, es fällt ihr nichts ein.
Trotzdem aber trägt sie den Sepperl hinüber ins Leibtumhäusel, nimmt dann ein Regendach und geht in den Hüttenhof. Vielleicht fällt ihr unterwegs etwas ein. Und sie findet richtig eine Ausrede, die sie dem Besuche vorschützen kann.
Der Lenz sitzt in der Stube auf der Schnitzbank und höhlt zwei Holzschuhe aus für die Philomene. Sie setzt sich ihm gegenüber und redet eine Weile vom Wetter, vom voraussichtlichen Ernteertrage und Ähnlichem.
»Du hast ja Russenkorn baut«, hebt sie nachher an. »Wie ist's denn? Ich möcht auch eins bauen.«
»Schön ist's«, gibt der Lenz zur Auskunft. »Recht schön. Ich hoff, dass es aufs acht- oder zehnfache gehen wird.«
»Und was es im ersten Jahr für ein Futter geben hat!« lobt Philomene.
»Ich möcht auch eins bauen«, wiederholt die Seebäuerin. »Kunnt'st mir nicht ein drei oder vier Ell zulassen?«
»Warum nicht? Aber da ist noch Zeit.«
»Ich möcht mich aber nicht säumen mit dem Anbauen.«
»Das Russenkorn wird ja erst im Auswärts baut unters Sommerkorn«, belehrt der Lenz. »Im Herbst kannst es dann als Futter schneiden, und im Winter erst schießt es in die Halme und in die Ähren. Da hast also noch Zeit genug. Und kriegen tust so einen Samen von uns.«
»Sel hab ich ja gar nicht gewusst. Mein Herr! Ein einschichtig Weiberleut sieht halt gerad einem Narren gleich. Und der Nazi? Du liebe Zeit! Mit dem ist's ein helliges Kreuz. Gerad vorhin hab ich mich ärgern müssen mit ihm, dass ich gemeint hab, der Schlag muss mich treffen. Setzt sich der Malefizmensch unserem Inmann sein Dirndl in den Kopf, die Sepherl, und will sie nicht lassen. Habt ihr denn schon so einen Unsinn erhört? Ein Bauernbub will ein Inwohnerdirndl heiraten? Aber mein Reden ist gerad, als ob eins einen Schlag ins kalte Wasser tät; es muss ihn der Wolferl einmal ins Gebet nehmen. Auf mich merkt er nicht auf.«
»Dass es wahr wäre?« zweifelt Philomene, während der Lenz die Späne vom Gewand staubt. »Zu einer Heirat müssen aber allemal ihrer zwei sein.«
»Meinst, die sind nicht? Die Dirn ist um kein Haar besser wie der Nazi. Wenn er kein Hoffnung hätt, tät er sich nicht gar so setzen, und sie …? Du liebe Zeit! Sie kann ja zu Tod froh sein, dass der Nazi so ein Narr ist.«
Der Lenz ist kirschrot geworden im Gesichte und hinausgegangen, und Philomene sagt nichts darauf. Sie hat das Dirnlein selbes Mal angetroffen, wie es für den Lenz gebetet hat, und für den einen beten und den anderen heiraten wollen, das traut sie ihm nicht zu.
Die Seebäuerin hält sich auch nicht lange auf. Sie hat das Russenkorn bestellt und vorgebaut. Mehr hat sie sich nicht vorgenommen. Und dann wird's Zeit zum Herrichten für die Mittagssuppe. »Also mit dem Russenkornkann ich mich verlassen?« fragt sie nochmals, als sie schon an der Stubentüre steht und den Drücker in der Hand hält.
»Der Lenz hat dir's ja zugesagt«, versichert Philomene. »Und was der sagt, darauf kannst ein Haus bauen.«