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Wir deutschen Studenten, wir fühlen so kühn
In Herzen und Händen die Tugend erglühn.
Wir schwingen den Hieber so flott und so frisch,
Und schwingen noch lieber den Becher an Tisch.
Die Pforten der im Klementinum untergebrachten Universitätsbibliothek öffnen sich zur festgesetzten Stunde, und die Benützer derselben kommen langsam herbeigezogen, einzeln, zu zweien oder in größeren Gruppen, Deutsche und Tschechen bunt durcheinander.
Gleich beim Eingange ist eine Art Garderobe gerichtet aus beschränktem Verschlage, und ein älterer Mann nimmt die überflüssigen Bekleidungsstücke gegen eine Nummer in Empfang und Aufbewahrung, während ein jüngerer, augenscheinlich stocktschechischer Diener die Karten für die einzelnen Sitzplätze an den Lesetischen ausgibt. Jeder sucht nun nach der Kartennummer seinen Platz und begibt sich dann auf die Suche nach irgendeinem Werke, das er gerade durchzustöbern gedenkt. Mancher mag auch nur kommen, um sich einmal gehörig durchwärmen zu können.
Breit und Schröder kommen mitsammen an, legen die Karten an die betreffenden Sitzplätze und holen sich herbei, was sie zu studieren beabsichtigen, Breit den dickleibigen Karsten, den die Mediziner wegen der pharmazeutisch-medizinischen Erklärungen gern benutzen, und Schröder Paus Alberts »La littérature française des origines à la fin du XVIIIe siécle«, ziehen ihre Anmerkungen heraus und lesen und kritzeln zwischen diese oder jene Bemerkung ins Heft, um sich zu gelegener Zeit mehr oder minder lebhaft an das Durchgearbeitete zu erinnern.
Da pustet Köhler herbei, schaut sich eine Weile um und redet darauf einen Tschechen an, der neben den beiden sitzt, ob er nicht etwa die Güte haben und mit ihm den Platz tauschen möchte. Ihm wäre der Platz hier gelegener, weil er den Schrank, darin die alten Juristen mit ihrer trockenen, starren und in praxi doch so biegsamen Weisheit aufgestapelt, gleich im Rücken hätte und so weiter. Der Tscheche besieht sich Köhlers Nummer und mag vielleicht ähnliche Gründe für einen Tausch haben, und nach längerem Unterhandeln lässt er sich zu dem Platzwechsel herbei.
»Na also!« pustet Köhler hierauf und lässt sich, nicht gerade zum größten Wohlgefallen der beiden andern auf seinen erhandelten Platz nieder. Diese beabsichtigen, ruhig zu studieren, und der Dicke fördert solches gemeiniglich nicht mit seinen mehr oder minder witzsprühenden Randglossen. »Man hat's eben nicht leicht«, setzt er nach einem Weilchen hinzu, als die zwei andern lediglich eine kurze Begrüßung für ihn gefunden. »Selbst um einen halbwegs annehmbaren Platz in diesen Hallen muss man sich mühen und heiser reden … Was ochset ihr denn hier?
»Sei so freundlich und störe vorläufig unsere Kreise nicht!« ersucht Schröder und liest weiter.
»Gut. Ich bin so freundlich; ich bin heute überhaupt die personifizierte Freundlichkeit und will selbst mal gründlich ochsen. Werde einem alten Zunftgenossen zu Leibe rücken und mich an seiner trockenen Weisheit durstig käuen.« Und er sucht gleich darauf unter den juristischen Werken herum, die hinter seinem Sitzplatze in schwerer Menge aufgestapelt stehen, aber er scheint lange Zeit kein ihm zusagendes Buch finden zu können.
»Der Plunder hole den ganzen Krempel!« brummt er ein über das andere Mal halblaut vor sich hin. »Gerade was man brauchte und suchte, hat man seinerzeit anzuschaffen vergessen. Eine Sauwirtschaft übereinander. Und bei den Rigorosen verlangt man von einem schließlich doch jeden Quark. Man könnte wahrhaftig …«
Endlich zieht er doch ein Werk über altdeutsche Reichs- und Gerichtsverfassung aus dem Regale und setzt sich damit nieder. Aber das Studium ist anscheinend kein allzu eifriges und ernstliches, und er brummt von Zeit zu Zeit etwas wie »Stumpfsinn, Blech«, und ähnliches vor sich hin. Als aber die Bibliotheksstunden zu Ende gehen, ist er der erste, der aufsteht und sich zum Gehen wendet.
»Kommt ihr noch nicht mit?« fragt er die beiden andern.
»Ich wollte gern noch einiges durcharbeiten«, meint Schröder. »Die Zeit ist so leicht vertrödelt, und wenn man sie einmal ernstlich brauchte …«
»Knauser!« meint Köhler geringschätzig. »Sogar mit der Zeit fängt er schon zu wuchern an.«
»Ich werde mich das nächste Mal in die entlegenste Ecke verkriechen«, brummt Breit unwillig ob der fortgesetzten Störung. »Ich wollte heute mit den Labiaten fertig werden … Herba Hyssopi … chronische Katarrhe, Asthma, Tuberkulose … Folia Menthae piperitae … Stomachicum, Digestivum, Carminativum …« sagt er halblaut vor sich hin, das Durchgearbeitete im Geiste noch einmal überfliegend, aber Köhler lässt ihm dazu weiter keine Zeit mehr.
»Hör' auf mit Deiner Weisheit!« rät er eindringlich. »Mich dürstet. Weißt Du, was das heißt, hier verdursten und verschmachten zu müssen? … Kommt!«
Und sie gehen.
Eine kalte, beißende Luft streicht durch die Straßen und Gassen, und eiskalter Nebel zieht von der Moldau herauf, zwängt sich zwischen den Häuserreihen durch und hüllt die Laternen ein.
Die Hälfte der Asgarden ist zumindest schon beisammen auf der Bude, als sie hinkommen, und schon von Weitem hört man das Klirren der Speere. Nach des Tages Studium tut ein bissel körperliche Bewegung geradezu wohl, und jeder trachtet, sein Blut in richtigen Umlauf zu bringen.
Kaltenberger und Träger aber sitzen in einem Winkel beisammen, haben jeder ein Stück Papier vor sich liegen, das mit Räder, Trieben und Formeln bedeckt ist, und sind vertieft in diese Sache.
»Dummheiten!« brummt ihnen Köhler zu. »Nicht einmal auf der Bude Ruhe geben können mit solch' ledernem Zeug!«
»Du erlaubst schon, dass wir das Ledernsein zurückschicken«, bemerkt Kaltenberger etwas geärgert. »Ich meinerseits kann mir nichts Lederneres denken als die wohledle Juristerei mit Ausnahme der Nase am Recht, die sich nach allen Seiten drehen lassen soll.«
»Huit!« lacht Schröder vergnüglich und reibt sich die Hände vor Vergnügen. »Sitzt gewaltig.«
»Für diese Weisheit ein Spezielles, Spund!« knurrt Köhler und hängt Hut und Mantel an einen der Kleiderrechen. Da schwirrt wieder einmal ein abgebrochener Speer durch die Luft, prallt an die Zimmerdecke und fährt im Einfallswinkel wieder ab und Köhler auf den Rücken.
»Zum Teufel schon!« kollert der heraus und fährt behände herum. »Mir scheint, die Herrschaften haben einen neuen Sport entdeckt. Da ist ja keiner mehr seines Lebens sicher …«
»Wer ist denn dieser Meisterfechter?« entrüstet sich auch Breit.
»Wer denn? Locki schlägt solche Prachthiebe, vor denen die Publikümer auf eine Viertelstunde im Umkreise nicht sicher sind«, erklärt Ritter.
»Er steigt hinein, und das pro poena.«
»So steige ich halt pro poena hinein«, grinst Hans Färber, der auf den Kneipnamen Locki hört, vergnüglich vor sich hin.
Da kommen Winter, Hacker und Maier daher.
»Heil euch!« schreit Letzterer demonstrativ und schwenkt seine Mütze.
»Heil! … Mir scheint, Du hast Dir heute beizeiten einen Privathieb zugelegt.«
»Habeo … Ein Prachtnest, dieses Mütterchen Prag«, lacht er dann eigentümlich auf und legt den unterhalb der Mitte abgebrochenen und ein gut Stück neben der Bruchstelle arg zerhackten Stock auf den Tisch. »Da! Schaut euch diese Leistung an!«
»Was soll das bedeuten? … Ein Renkontre gehabt? … Einen – solid gestreichelt? … Teufel, das sind »Eindrücke« eines Mordwerkzeuges, eines Sabuls oder eines ähnlichen Dinges … Mensch, rede! Was hat es gegeben?«
»Jetzt sehe ich ein, dass ihr dieses Prag halten müsst bis auf den letzten Mann, und jetzt finde ich Gefallen an der Sache und bleibe gerade noch ein Semester.«
»Wacker! … Heil Dir und Deinem Entschlusse! … So rede doch und erzähle, was es gegeben hat!«
»Mit einem Marsjünger hat er sich gebalgt«, erzählt Winter. »Und Maier und meine Wenigkeit hatten das Vergnügen, die im besten Zuge befindliche Unterhaltung zu stören.«
»Wer gebalgt? Was gebalgt?« verwahrt sich Hacker erregt. »Ich habe ganz kommerzmäßig geschlagen, und dem ganzen Anschein nach ist der Partner ein Mensch, der von solchem eine Idee hat …«
»Allem Anscheine nach ist es der Tropf gewesen, der seinerzeit m … das Mädchen behelligt hat, das ich nachher vor dem Elektrischen aus dem Geleise gerissen«, mutmaßt Maier. »Mir ist er schon so vorgekommen.«
»Das ist sehr möglich«, entsinnt sich Hacker so halb und halb.
»Säbel?«
»Nein, Schnitzer, Bajonett. Aber ich habe ihm eine gute Lektion erteilt …«
»Wie ist es gekommen? … erzähle doch einmal! … Stärke Dich zuerst!«
Und er stärkt sich und erzählt dann: »Wie ich so gemütlich herschlendern will auf die Bude, begegnet mich in irgendeiner unaussprechlichen Seitengasse ein Soldatenmensch. So ein Mann, der seine Farbe gezwungenermaßen trägt, existiert für mich vorläufig nicht, und ich trabe ganz gemächlich an ihm vorbei, das heißt, ich will solches tun; aber plötzlich wird mir die Mütze vom Kopfe gestoßen, und der freche Tropf grinst mir mit sichtlichem Vergnügen einige unverständliche Verbalinjurien zu. Gut: Si vis bellum … Ich hebe meine Müze vom Pflaster auf, drücke sie fest auf meinen mathematischen Formelbehälter und lege gleich darauf eine prachtvolle Hackenquart los. Bums und noch einmal bums! Aber der liebenswürdige Mann zieht unterdes seinen Schnitzer, und die Sache geht auch seinerseits los, bis Hunn' und der Rodensteiner dahergeschifft kommen. Da ist der Kerl ausgekniffen.«
»Ein Spezielles, Bajuware!« schreit Köhler und hebt sein Glas. »Du hast wahrhaftig das Zeug zu einem Fixkerl in Dir. Aber was ist' mit Deiner rechten Vorderflosse? Mir scheint …«
»Mir scheint zwar auch, aber es dürfte nicht viel bedeuten.« Hacker zieht die bis dahin mit dem Taschentuche umwickelte und in der Tasche versteckte Rechte hervor, und es geht nun eine gründliche Besichtigung und Untersuchung der Hand los. Ein blauer, aufgeschwollener Wulst zieht sich über den Handrücken hin, und nur über den Knochen ist die Haut aufgeschlagen, so dass das Blut hervorgedrungen.
»Schlecht abgefangen«, urteilt Färber.
»Schwatz keinen Unsinn, Locki!« rügt Hacker ärgerlich ob der Bemerkung. »Und unkommentmäßige Benennungen spare Dir ins Philistertum … Es muss geschehen sein, wie der Stock in die Brüche gegangen. Aber das macht nichts. Schmerzen tut die Pfote wohl ein Weniges, aber sonst ist nichts dabei.«
»Der Kerl muss über die Klinge, wenn er halbwegs ein satisfaktionsfähiges Individuum ist«, rät Färber, um auch einmal etwas Vernünftiges vorzubringen, aber Träger lacht hell auf.
»Locki, Du wirst immer köstlicher. Ein gemeiner Vojak Soldat. und satisfaktionsfähig!«
»Wenn er aber …«
»Ach was! Wenn der Kerl irgendetwas ist, dann ist er Einjähriger, verstanden? …«
»Geht das verdammte Jagern auf unsere Mützen schon wieder los?« meint Kaltenberger nachdenklich. »Jungens, da können wir wieder einmal so eine kleine Hatz erleben.«
Nur nichts verallgemeinern!« rät Breit.
»Der Kerl hat einen Privathass«, erklärt Ritter. »Hacker hat ihn damals scheußlich verknurrt.«
»Kann sein; aber … Kinder, ich will ein schlechter Prophet sein, aber mir kommt es so vor, als wäre wieder so ein ganz kleiner Rummel in Verbreitung«, besteht Kaltenberger bei seiner Ansicht.
»Gut. Soll er halt losgehen!« fordert Hacker. »Wenn ich schon deswegen nach Prag gekommen bin, so will ich auch etwas erleben.«
»Vielleicht kannst Du es …«
Und nun wird wacker losgezogen über die mitunter ganz absonderlichen Verhältnisse, unter denen zu leben man leider gezwungen ist, über dies und jenes, und erst Köhlers, im komischen Ernste gefälltes Urteil über die Gesamtlage: »Man hat's eben nicht leicht«, lenkt die Unterhaltung in die Bahnen und Geleise der Heiterkeit und des Frohsinnes. Das Scherz- und Lachbedürfnis der Jugend macht seine Ansprüche geltend, und selbst Hacker, der Held des heutigen Tages, muss häufig die Zielscheibe für verschiedene mehr oder minder gut geratene Witze abgeben.
Über diesem verrinnen die Stunden wie im Fluge, und es wird Zeit zum Heimgehen. Köhler tränke eigentlich noch gern eine »Kleinigkeit zum Abgewöhnen«, aber da auch Maier und Ritter sich nimmer aufhalten lassen wollen, entschließt auch er sich, den Heimweg »zwischen die Beine zu nehmen«.
»Dieser Bajuware hat ein scheußliches Schwein«, brummt er auf dem Heimwege. »Kaum ist er noch recht hier, wird er schon angerempelt und zu einer Art Helden gestempelt. Aus dem Manne kann noch etwas werden. Das Zeug hat er dazu …«
*
Am andern Tage sitzen all drei beim Mittagessen, und Frau Wawerl sieht wie gewöhnlich mit zufriedenem Lächeln zu, wie die Erzeugnisse ihrer Kochkunst, vertilgt werden, als draußen auf dem Gange schwere, gewichtige Schritte hörbar werden und gleich darauf einer an die Türe klopft, als täte er solches mit der ganzen Faust.
»Herein!«
Ein großer vierschrötiger Mensch mit rotem, aufgedunsenem Gesicht und schüttere, rötlichem Barte, ganz in einen dicken Pelz gehüllt, tritt ein und wünscht barsch und kurz die Tageszeit.
Da wird Köhler wie mit eitel Blut überschüttet, und er legt Messer und Gabel weg, steht auf und geht dem Ankömmlinge entgegen.
»Grüß Gott, Papa!« sagt er und streckt ihm die Hand zum Willkommgruße entgegen, aber der Vierschrötige reicht seine Pfote nicht hin, sondern brummt nur einen unfreundlichen »Guten Tag!«
»Mein Herr Papa!« stellt Köhler in aller Form vor, und die zwei andern erheben sich von ihren Sitzen, um sich dem Vater des Kommilitonen entweder vorstellen zu lassen oder selbst vorzustellen, aber dieser unfreundliche Herr Papa nimmt davon gar keine Notiz.
»Bist Du zu sprechen, Eduard?« hastet er heraus.
»Ja, gleich. Nimm einstweilen Platz, oder … wünschst Du gleich?«
»Ich habe keine Zeit zu verlieren.«
»Aber Herr … Herr …« versuchte Frau Wawerl den Fremden zu einigem Niedersitzen zu bewegen. Sie weiß den Namen nicht, wohl aber, dass Köhler eine Stiefvater hat und dieser kaum Köhler heißen dürfte. »So nehmen Sie doch einen Augenblick Platz, bis Herr Köhler ganz gegessen hat! Bitte nehmen Sie Platz!« Und sie will einen Stuhl zurechtrücken, aber der Mensch lehnt barsch ab.
»Wie gesagt: ich habe keine überflüssige Zeit … Also komm!« winkt er Köhler zu und schreitet ohne Gruß und Wunsch diesem voran zur Türe hinaus.
»Da mag ein kleines Donnerwetter losgehen«, mutmaßt Maier. »Das Gewölke scheint finster genug zu sein.«
»Der arme Herr Köhler!« bemitleidet Frau Wawerl den allweg so gut aufgelegten großen Jungen. »Mich bedauert er trotzdem er … eigentlich hätte solider sein können.«
»Dieser Herr Papa schein ein ausgewachsener Grobian zu sein«, urteilt Ritter. »Er ist allem Anscheine nach nicht über die Grundbegriffe des gesellschaftlichen Verkehres informiert.«
»Ja, Stiefeltern!« seufzt Frau Wawerl.
Derweilen hört man aus Köhlers Zimmer herüber schon das Schreien und Belfern des Vierschrötigen und das derbe Hineindreschen auf den Tisch. Als aber die zwei andern vom Tische aufstehen und auf ihre Zimmer gehen wollen, poltert er schon wieder zur Türe heraus.
»Also: In längstens einer Stunde bringst Du mir ihn auf mein Zimmer im Hotel! Verstanden?« schreit er noch und wirft hinter sich die Türe zu, dass fast das ganze Haus in gelindes Zittern gerät. Und davon stampft er.
»Herrgott! Gibt es doch ein paar Grobiane auf der Welt!« entrüstet sich Ritter nicht ohne Absicht, und der Fremde hört die Rede und wirft dem Sprecher einen wuterfüllten Blick zu.
Dann poltert er die Stiege hinab.
Bald darauf hastet Köhler fort, und als er gen Abend wieder heimkommt, ist er der alte Köhler wieder. Mit Armesündergesicht kommt er in Maiers Zimmer, wo auch Ritter sitzt und dichte Rauchwolken vor sich hinbläst, und dann schüttelt er sich, dass ihm die Zähne klappern.
»Brr! Sauwäsche gewesen; sehr passiv dabei beteiligt. Aber nun ist's vorüber … vorüber.«
»Ich haben einen Grobian an seine Adresse gerichtet«, brüstet sich Ritter. »Er hat mich weiter nicht schlecht angeschaut darob.«
»Goldvieh!« lobt Köhler enthusiastisch. »So viel opferst Du Dich für einen Freund? Mensch, lass Dich umarmen!«
»Lass die Dummheiten! Sei froh, dass Du wieder im status quo ante Dich befindest …«
»Status quo? Mensch, da irrst Du gewaltig … Er hat mir eine scheußliche Moralpauke gehalten, und die habe ich hingenommen wie ein neugeboren Lämmchen ein paar Peitschenhiebe. Wie er angefahren ist, habt Ihr ja selbst gesehen. Schämen muss man sich eigentlich mit so einem Kerl. In meiner Bude hat er nicht einmal die Pelzmütze vom Kopfe genommen zum Zeichen der vollständigen Despektierlichkeit, und dann hat er losgelegt … losgebrüllt. Aber ich habe nichts gesagt. Er hat mich einen Lumpen und Verschwender genannt und das Zuchthaus geweissagt, und ich habe geschwiegen dazu. Beim Fortgehen hat er den Auftrag gegeben, Jirak auf seine Bude zu schleppen, lebend oder tot, und als ich dies besorgt gehabt, sind verschiedene Verbalinjurien unter Jiraks und meiner Adresse losgelegt worden, und ich habe geschwiegen wie ein … wie der ärmste Sünder. Nachher hat er dem Jirak das Geld nur so hingeworfen, wie man etwa einem ruppigen Köter einen schmutzigen Knochen vor die Schnauze wirft, und Jirak hat mit seinem Raube das Weite gesucht. Hierauf hat er wollen eine verböserte Auflage der Moralpauke von vorhin zum Besten geben und hat so nebenbei erwähnt, was er alles mi anderer Leute Kindern auszustehen und durchzumachen hätte, dass aber alles für die Katz wäre, denn ich geräte nun einmal meinem Vater nach und würde gerade so ein … Weißt Du, weiter ist er nicht gekommen. Ich lasse mir von dem Kerl, der zufällig meiner Mutter Mann ist, alles gefallen, alles, aber das Andenken meines Vaters lasse ich nicht verunglimpfen von ihm. Wer hat das Gut erst in die Höhe gebracht? Wer hat das Nest so warm gefüttert, dass sich dieser … Grobian nur hineinzuschmuggeln hat brauchen? Mein Vater … Wie ein angeschossener Bär bin ich aufgefahren, und, so groß er ist, hab' ich ihm ein paar Ausgiebige über seinen Lästermund gelegt. Und während er ganz verblüfft geschaut, bin ich gegangen. Und damit haben wir zwei abgerechnet mitsammen. Ich werde dieser Tage der Mutter von der veränderten Schlage Mitteilung machen und … in absehbarer Zeit ins Examen steigen. Ich brauche dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht mehr, und der Kerl soll ganz ungestört und unbehelligt sitzen können in unseres Vaters Besitze, der eigentlich unser Erbe gewesen wäre.« Er hat sich in einen Ernst hineingeredet, aus dem deutlich die Entrüstung zu merken ist, in die ihn des Stiefvaters Vorwurf gebracht.
»Wenn einer meines Vaters Andenken derart besudeln wollte, ich könnte mir auch nicht anders helfen«, erklärt Maier, beifällig nickend. »Ich müsste so einem Kerl …«
»Das Genack' umdrehen, meinst Du?« lächelt Köhler schon wieder. »Nein, Mensch, dazu wäre ich zu höflich veranlagt … Aber weißt Du, es mag mitunter gut sein, dass einem so ein Mensch zu der Erkenntnis aufrüttelt, dass auf diesem unvollkommenen Erdbatzen nichts ewig währen kann, nicht einmal die schönste Zeit des Lebens … Ja, man hat es eben nicht leicht, und … man wird jetzt blutigen Ernst machen.
Er Alte sagt: das Saufen
Und das Kneipenlaufen
Nutzt Dir beim Examen keinen Deut …
Gut! Also in die Examina! Vorerst aber lasst uns diese ekle Erinnerung wegschwemmen, gründlich wegwaschen, und dann kann's losgehen. Von morgen ab wird Köhler, der allbekannte Dicke, ins Reich der Legende gehören …«