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Im Frühlinge, zur schönen Zeit des fröhlichen Pfingstfestes, wenn die Nachtigall in Blüthenbäumen singt, und der Städter hinauszieht, um sich von dem Erwachen der Natur zu überzeugen, muß man diese altberühmte Stadt sehen, um ein recht lebendiges anschauliches Bild ihrer glücklichen Lage und des lebenslustigen Frohsinns, der Wohlhäbigkeit, des wohlerhaltenen, echt reichsstädtischen Geistes ihrer Bewohner mit sich zu Hause zu nehmen.
Die weite, von blauen Gebirgen umkränzte Ebene, in deren Mitte Frankfurt gleich einer Königin thront, ist schon an und für sich ein unabsehbar großer Garten; schattiges Gehölz, Obstbäume aller Art, deren weitsichausbreitende, hochemporstrebende Kronen der Bewohner des nördlichen Deutschlands mit Bewunderung anstaunt, Weingärten, Fruchtfelder wechseln in demselben auf das anmuthigste; die weißen mit Bäumen besetzen Chausseen, die durch ihn hin zu den vielen Städten, Flecken und Dörfern führen, welche ihn beleben, gleichen Spaziergängen, und mitten durch alle diese Herrlichkeit windet sich der schöne, still-ruhige Mainstrom mit den kleinen Schiffen und Nachen, die auf den bläulichen, silberhellen Fluthen dem vorgesetzten Ziele gefahrlos und sicher zuschweben.
Schon in ziemlicher Entfernung von der Stadt bilden die vielen Hunderte von Gärten, welche die zum Theil großen und prächtigen, immer aber netten und zierlichen Landhäuser der Bewohner von Frankfurt umgeben, einen die Stadt umschließenden Blüthenhain, der immer voller und dichter erscheint, jemehr man derselben sich nähert, bis endlich, dicht vor ihren Thoren, nur noch die Chaussee ihn von den köstlichen Anlagen trennt, die gleich einem riesengroßen, prächtig blühenden Blumenkranz Frankfurt umfrieden.
Fremde und einheimische Bäume und Gesträuche, in voller Blüthenpracht, von Nachtigallen und zahllosen Singvögeln belebt, alle Arten von Jasmin, Rosen, blühende Orangenbäume, die schönsten, zum Theil seltensten Blumen bilden diesen Kranz, umduften und umschatten die anmuthig geschlungenen Pfade, die mit sinniger Wahl angebrachten Gartenbänke, die kleinen dichtbegrünten Grasplätze, auf welchen muntere, gesunde und wohlgekleidete Kinder, unter der Aufsicht ihrer Wärterinnen, ungehindert ihr lustiges Spiel treiben. Alles, was hier wächst, erfreut durch das fröhlichste Gedeihen, kein verkümmerter Strauch, keine zwischen Leben und Sterben matt hinvegetirende Pflanze ist zu erblicken. In keinem fürstlichen Park können die reinlichen Kieswege, die teppichähnlichen Grasplätze, die netten weißangestrichenen Gartenbänke besser gehalten werden als hier. Ueberall bemerkt man das friedliche Walten des Ordnung und Reinlichkeit liebenden Bürgersinnes, der diese schöne Anpflanzung schuf und als sein Eigenthum schonend beschützt. Sie steht Allen offen, dennoch wird kein Baum beschädigt, keine Blume, kein Blättchen abgebrochen, und doch erblickt man nirgends Wächter, die dazu angestellt wären, sie vor frevelnden Händen zu bewahren.
Das Pfingstfest, wie es in Frankfurt gefeiert wird, ist das fröhlichste Volksfest, im echtesten Sinne des Wortes. Von außen wird nichts hinzugethan, weder von hoher Hand angeordnete Feten, noch ein Tanz, »par ordre de mufti«, auf öffentlichen Plätzen. Keine sauern Weine aussprudelnde Fontainen sind zu erblicken, kein »Arbre de cocagne«, mit Schinken und Würsten geziert, keine an hohen schlüpfrigen Mastbäumen aufgehängte, in Todesangst schreiende Gänse. Das Volk ist es, das sich selbst dieses Fest gibt, und zwar mit einer Herzensfreudigkeit, einem innigen Wohlbehagen, die kein Kaiser oder König mit dem größten Geldaufwande hervorzuzaubern vermag.
Kaum ist die liebe Weihnachtszeit vorüber, so fängt auch Jung und Alt schon an sich auf das Pfingstfest zu freuen; um Ostern herum werden schon die Wochen, endlich sogar die Tage gezählt, die bis zu demselben noch vergehen müssen. In der Woche vor Pfingsten hat kein Kind mehr einen andern Gedanken als an das nahe Fest, kein Mitglied des in Frankfurt vorzüglich glücklichen Mittelstandes, keine Hausfrau, kein Handwerker, sogar kein Schneider und keine Modistin zu irgend etwas Anderm Zeit, als zu Vorbereitungen auf die langersehnte Freude, die alljährlich wiederkehrt und alljährlich mit dem nämlichen Entzücken empfangen wird.
Und worin besteht denn eigentlich dieses Fest? Es ist das einfachste und in gewisser Hinsicht zugleich das rührendste, das man sich denken kann, die schönste Frühlingsfeier. Die Leute ziehen hinaus ins Freie, das ist es Alles; Mann und Frau, mit Allem, was zu ihnen gehört, sogar der Säugling in der Wiege wird, wo möglich, mitgenommen, um drei Tage lang, vom Morgen bis zum Abend im Grünen der Wiederkehr der lieben schönen Sommerzeit sich zu erfreuen. Wer ein neues Kleid, ein neues Halstuch, einen neuen Hut, oder auch nur ein Paar neue Schuhe besitzt, zieht in diesen drei Tagen stattlich damit einher, und nur Wenige sind so unglücklich, nichts von allen diesen Herrlichkeiten aufweisen zu können, denn schon lange vorher wird jedes neue Kleidungsstück für dieses Fest zurückgelegt.
Aber hinausziehen muß man diese geputzten Glücklichen sehen, die frohen, zufriedenen Gesichter, und wie sie hernach, im Grünen gelagert, die, größtentheils von Hause mitgebrachten, Gaben Gottes zu genießen wissen; denn was die Familien an Speise und Trank zu verzehren denken, wird gewöhnlich in Handkörben oder sonst zierlich eingepackt von ihnen mit hinausgetragen, und jedes Mitglied derselben nimmt gern einen Theil der freudebringenden Last auf sich. Alles dieses muß man sehen, um die hohe Freude dieses Festes zu begreifen und mitzuempfinden.
Gewöhnlich ist der milde Himmel dieses gemäßigten Klimas der Pfingstfreude günstig, aber sogar ein ziemlich derber Regenschauer vermag nicht leicht sie ganz zu Wasser zu machen. Verdorbene neue Hüte und Hauben bringen zwar für den Augenblick einiges Herzeleid, aber dieses Völkchen ist in sich zu fröhlichen Herzens und größtentheils auch zu wohlhabend, um sich auf die Dauer über solche kleine Unfälle zu betrüben, die sogar späterhin der Freude etwas Pikantes geben, wovon noch lange gesprochen wird. Mancher komische Umstand, der bei solchen Gelegenheiten nie ausbleibt, wird herzlich belacht, man findet, daß der erlittene Schaden doch nicht ganz unwiederherstellbar sei, und daß die Sache noch weit übler hätte ablaufen können. Kurz, es ist ganz Das, was die Franzosen »le bonheur allemand« nennen, indem sie behaupten, daß jeder von uns, der ein Bein bricht, hinterdrein spricht: »es ist doch ein Glück, daß ich nicht beide Beine oder gar den Hals gebrochen habe«.
Der erste Feiertag gehört zur Hälfte dem Gottesdienst, der, besonders an hohen Festen, nicht leicht versäumt wird, erst in den frühen Nachmittagsstunden zieht aus allen Thoren der Stadt die festlich geputzte fröhliche Schar hinaus, um sich in alle den zahlreichen Vergnügungsorten zu vertheilen, die in der Nähe sich ihr bieten. Alle Gärten, sowie die zu ihnen führenden Chausseen und Fußpfade wimmeln von Menschen. In den Gärten der zahlreichen Gasthöfe stößt ein Tisch an den andern, keine Bank, kein Stuhl, kein Grasplatz bleibt unbesetzt, und aus der Kleidung der Gäste leuchtet der höchste bürgerliche Wohlstand, aus ihren Gesichtern die behaglichste Zufriedenheit uns entgegen. Ueberall erschallt Musik; Geigen und Drehorgeln, Harfenmädchen und Flötenspieler klimpern und fiedeln und singen nach Herzenslust, die hin und her rennenden Kellner, die flinken Wirthshausmädchen, die Kuchenbäcker, die Obstverkäuferinnen wissen vor Geschäftigkeit nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht, haben nicht Hände genug, um die nach Kaffee, Wein, Backwerk und Cyder verlangenden Gäste zu bedienen, nicht Beine genug, um überall hinzulaufen, wo ihre Gegenwart verlangt wird.
So vergehen die heiter genossenen Stunden; mit dem einbrechenden Abende wogt die fröhliche bunte Schar, noch dichter gedrängt als früher am Tage, den Stadtthoren wieder zu und gewährt einen unbeschreiblich erheiternden Anblick. Der frankfurter Bürger liebt Ordnung und läßt auch in der Freude sich nicht leicht zum störenden Uebermaße verlocken. Kein wüstes Geschrei beleidigt das Ohr, man sieht es hin und wieder den etwas höher gerötheten Gesichtern wohl an, daß sie es sich haben wohlsein lassen im Grünen, aber einen eigentlich Betrunkenen wird man nicht leicht unter ihnen erblicken. Jeder eilt zufrieden seiner Wohnung zu, denn jeder hat noch außer Speise und Trank gefunden, wonach sein Herz verlangte; der Hausvater gute Freunde, mit denen er Stadtangelegenheiten und politische Welthändel erwägen konnte, die Frauen gute Freundinnen, um sich über ihre und ihrer Nachbarn häusliche Angelegenheiten mit ihnen zu berathen, die Kinder haben zwischen alle den Tischen und Bänken sich müde gejauchzt und gejagt, die junge Welt fand Gelegenheit genug, zu sehen und gesehen zu werden, und nicht selten gewährte der freundliche Zufall, daß dem Liebenden begegne sein Glück.
Am Pfingstmontage zieht, wer es nur immer möglich machen kann, nach dem unfern Hanau belegenen Wilhelmsbad hinaus; für den nicht ganz rüstigen Fußgänger macht der weitere Weg schon einen Wagen oder einen, stromaufwärts freilich sehr langsam fahrenden, Nachen nothwendig, aber man richtet sich ein, die Alten und Maroden fahren, die Jungen und Behenden gehen, und die Freude erleidet dadurch keinen Abbruch. Die weitläuftigen Anlagen des schönen Parks, die Anstalten zu ländlichen Spielen, die Kegelbahnen, das Carrousel, die Schaukeln, die man in demselben findet, bieten einen neuen Wechsel von Vergnügungen, und bei günstiger Witterung strömen mehrere Tausend von Frankfurt aus ihnen zu.
Dem Umfange und der Häuserzahl nach darf Frankfurt keineswegs zu den großen, eigentlich nur zu den größern Mittelstädten in Deutschland gezählt werden, aber daß es zu den volksreichsten gehört, wird an diesem Tage vorzüglich bemerkbar.
Die sechs bis achttausend Einwohner, die an demselben in den weiten Schattengängen von Wilhelmsbad sich zusammendrängen, werden auf den Promenaden und in den Gärten rings um Frankfurt her gar nicht vermißt, überall erblickt man die nämliche bunte und zahlreiche Menge sich bewegen, wie am vorigen Tage, selbst die Straßen innerhalb der Stadt erscheinen nicht ganz so verödet und menschenleer, wie ich bei ähnlichen Gelegenheiten sie in Berlin gesehen habe, und Abends ist sogar das Theater mit Zuschauern angefüllt.
Der dritte Feiertag, der aber auch hier in kirchlicher Hinsicht keiner mehr ist, bildet zuletzt den höchsten Lichtpunkt des schönen Festes, an welchem die Freude ihren höchsten Gipfel erreicht. Er ist die eigentliche Frühlingsfeier, denn schon am Morgen ziehen Tausende hinaus, dem nicht weit entfernten, im frisch grünenden Kleide prangenden, Walde zu, in dessen Mitte das Forsthaus, eines der besten und besuchtesten Gasthäuser in der ganzen Umgegend, liegt. Die Tische und Bänke rings um dasselbe her, so groß ihre Anzahl auch ist, vermögen heute nicht alle die herbeiströmenden Gäste zu fassen, auch werden sie den später Nachmittags Folgenden willig überlassen, denn heute gilt es ganz im Grünen, ganz in der freien Natur sich für den Tag anzusiedeln. Viele Hundert mehr oder weniger wohlbesetzte Familienzirkel bilden sich, unter jedem dazu Raum gewährenden Baum, unter jedem schattigen Busch wird offene Tafel gehalten, jeder etwas erhöhte Rasen wird zum Tisch, über den die für die Ihrigen und ihre Gäste sorgende Hausmutter ihr feinstes weißestes Tischtuch ausbreitet, ihn in lockender Ordnung mit dem Besten, was Haus und Keller zu liefern vermochten, besetzt und ihn triumphirend betrachtet, wenn es ihr gelingt, dabei einen noch vortrefflicheren Braten, einen noch größern und schönern Kuchen, noch besseres Tischgeschirr aufweisen zu können, als die Frau Nachbarinnen, die, wenn sie mit ihren Anordnungen fertig sind, herumspazieren, um, mit scharfem Blick Alles prüfend und erwägend, die der übrigen Frauen zu betrachten. Endlich lagert sich Alles zu Freude und Wohlleben, und der Wald wird zum Lustlager, im eigentlichsten Sinne des Worts. Jede häusliche Sorge ist daheim geblieben, Gläserklang und Gesang, Scherz und Lachen füllen die Luft, Alles ist Leben und Freude, die Kinder jauchzen, die Vögel singen, Trompeten, Geigen und alle erdenklichen Instrumente schmettern und klingen im Gebüsch, bis jeder Rasenplatz zum Tanzplatz wird, auf welchem die Jugend im lustigen Walzer sich dreht.
In der Abendkühle kommt die vornehmere Welt in ihren, eine langsam sich fortbewegende lange Reihe bildenden, Equipagen angefahren, um die Volksfreude mit anzusehen, und sie hat Recht. Der Anblick der von zehn bis zwölftausend wohlgekleideten fröhlichen Menschen belebten, von der Abendsonne vergoldeten hohen Laubgewölbe ist wohl der Mühe werth, sich eine Stunde lang im langsamsten Schritt durch die den Wald durchkreuzenden Fahrwege hinschleppen zu lassen, und das Vergnügen, Bekannte zu sehen und von ihnen gesehen zu werden, genießt man noch obendrein. Aus jedem Gebüsch leuchten rosige Wangen, helle glänzende Augen, glückliche Gesichter hervor, die Tanzenden, die Ruhenden, die Gehenden bilden die malerischsten Gruppen von der Welt; heitere, lebendige, mitunter auch humoristische, wie man sie immer sich nur wünschen kann; jeder Genremaler, auch wohl Karikaturenzeichner, der mit seiner Mappe unterm Arm an diesem Tage hierher wandert, kann versichert sein, sie Abends mit den interessantesten Skizzen bereichert zurücktragen zu können, nur möchte ich ihm rathen, es so einzurichten, daß Niemand gewahr werde, was er eigentlich treibt.
Mit dem sinkenden Tage endet abermals die allgemeine Lust und überhaupt das ganze Fest; doch die Erinnerung an die genossenen Freuden wirkt noch zu lebhaft, um sogleich in das gewohnte Gleis der Lebensbahn wieder zurückkehren zu können; manche stillere Nachfeier wird noch gehalten, bis mit dem Eintritt der neuen Woche die gewohnte häusliche Ordnung in ihre vollen althergebrachten Rechte wieder eintritt.
Tages Arbeit, Abends Gäste, Saure Wochen, frohe Feste, |
ist und bleibt das Losungswort dieser glücklichen Bürger.
Unglaublich ist es, wie durch neue Bauten das Innere der Stadt Frankfurt alljährlich sich verschönert; schon jetzt darf sie theilweise zu den schönsten Städten in Deutschland sich zählen, ohne dadurch die sie vorzüglich charakterisirende alterthümliche Würde ganz zu verlieren. Die im reichsstädtischen Sinn mit solider Pracht errichteten alten wohlerhaltenen Gebäude thun den neuern, größtentheils in gefälligem einfachen Styl erbauten, keinen Abbruch, und leiden auch keinen durch sie. Das Ganze gewinnt dadurch eine gewisse belebende Mannichfaltigkeit, die man in neuen, nach Maaß und Schnur regelrecht angelegten, Städten vermißt, und die gewiß Niemand durch die jetzt vorherrschende Modernität völlig verdrängt sehen möchte.
Der hier weit mehr, als man es von einer Handelsstadt erwarten sollte, verbreitete Sinn für die Kunst erfreut mich immer von Neuem, so oft ich Frankfurt wiedersehe. Auch außer dem Städel'schen Kunstinstitut besitzt diese Stadt einen in viele Hände verstreuten Schatz von Gemälden, werthvollen Kupferstichen, Handzeichnungen berühmter Meister, die, wenn sie alle auf einem Punkt zusammengebracht wären, eine Galerie bilden würden, wie, Berlin, Dresden und München ausgenommen, nur wenige Residenzen in Deutschland sie aufweisen können.
Die Welt weiß wenig von diesen Kunstschätzen; nicht weil die Eigenthümer derselben sie nicht zu würdigen verständen, oder ihr erkauftes oder ererbtes Anrecht an dieselben, nach dem Beispiel der reichen Engländer, dadurch geltend zu machen suchten, daß sie engherzig dieselben für sich allein aufbewahrten. Sie hängen im Gegentheil mit oft von ihren Urgroßvätern auf sie vererbter Kunstliebe an ihren Gemälden, sie wenden zuweilen nicht unbedeutende Summen daran, noch lebenden Künstlern durch Ankauf ihrer bessern Kunstwerke die Fortsetzung ihres gelingenden Strebens zu erleichtern; aber daß sie wenig geneigt sich bezeigen, jedem schaulustigen Fremden ihr Haus und ihre eignen Wohnzimmer zu öffnen und sich dadurch in ihrer häuslichen Ordnung stören zu lassen, darf ihnen wol Niemand verdenken, der da weiß, welch eine Schar derselben täglich, ja stündlich, durch Frankfurts Thore aus- und einzieht. Dem echten Kunstkenner, wie dem wirklich warmen Kunstfreunde wird der Zugang zu diesen Schätzen nie schwer gemacht, sondern vielmehr mit der größten Freundlichkeit und wirklicher Liberalität ihm eröffnet. Nur daß sie in so viele Hände vereinzelt sind, verbirgt ihr Dasein der kunstliebenden Welt und verursacht, daß der reisende Kunstfreund oft erst dann, wenn er Frankfurt längst im Rücken hat, von ihrer Existenz etwas erfährt.
Unerachtet meiner oft wiederholten Anwesenheit in Frankfurt darf ich doch nicht behaupten, auch nur die Hälfte derselben gesehen zu haben, und doch suchte ich jede Gelegenheit dazu zu ergreifen. Die Krone von allen Gemälden, die ich hier gesehen, und wahrscheinlich von allen hier befindlichen, bleibt aber unstreitig ein großes Altargemälde von Anton van Dyk, eine Abnahme vom Kreuz, im Besitz des Herrn Senator Brentano, der für dasselbe ein eignes kapellenartiges Zimmer hat bauen lassen, in welchem nur dieses einzige Gemälde aufgestellt ist und, von oben beleuchtet, im vortheilhaftesten Lichte sich zeigt.
Die Sage geht, daß van Dyk während seines Aufenthalts in Mainz dieses Gemälde auf Bestellung des damaligen Kurfürsten für denselben angefangen hat. Als es seiner Vollendung ganz nahe war, fing man an nach dem Preise desselben sich zu erkundigen, fand den dafür geforderten zu hoch und begann Verhandlungen über denselben anknüpfen zu wollen, die den edeln Meister tief in der Seele verletzten. Gerechten Zorn in der Brust, begab er sich fort und ging in ein naheliegendes Kloster, wo er von den frommen Vätern ein Mittagsessen begehrte. Diese kannten ihn wohl und bewirtheten ihn freudig mit aller ihm gebührenden Hochachtung und Sorgsamkeit, so gut sie es nur immer vermochten. Beim Weggehen versprach der Meister ihnen dafür ein Gastgeschenk, und sandte ihnen bald darauf diese herrlichste Schöpfung seines tiefen edeln Gemüths wie seiner kunstgeübten Hand, die sie lange Zeit als ein hochgehaltenes Heiligthum bewahrten.
Später, zur Zeit der Belagerung von Mainz, wurde dieses unschätzbare Gemälde nach Wien geflüchtet, wo seitdem der jetzige Besitzer für einen vermuthlich weit höheren Preis es an sich brachte, als der gewesen ist, welchen der Meister damals von dem Kurfürsten dafür gefordert haben mag.
Noch nie hat ein Kunstwerk einen tiefern, großartigeren Eindruck auf mich gemacht als dieses; mit klarem Sinn, von frommem Ernst tief im Gemüthe ergriffen, steht man davor, aber das Wort findet keinen Ausweg aus der Brust, und es wird unmöglich, Das, was man empfindet, sogleich auszusprechen.
Im nämlichen Augenblick, in welchem der Heiland aufhörte zu athmen, ist er vom Kreuze heruntergenommen, die Glieder sind unter der kalten Hand des Todes noch nicht völlig erstarrt, die Leichenfarbe hat noch nicht über die edle Gestalt sich verbreitet, und in fast sitzender Stellung, die schönen Füße zum Bilde hinausgekehrt, scheint er, an seinen Liebling Johannes gelehnt, zu ruhen, der nicht mehr weint, weil die Natur dem grenzenlosen Schmerz keine Thräne mehr gewährt; früher vergossene scheinen einzeln und schwer noch an den müden Augenwimpern zu hängen.
Ein Knabe blickt halb verdeckt neben Johannes hervor, wahrscheinlich um den Raum zu füllen und einen Uebergang zu der links neben ihm emporragenden kräftig schönen Gestalt des Apostel Petrus zu bilden.
Der ganze Himmel ist mit dunkeln Wolken dicht umzogen, die Sonne möchte hervorbrechen, um den todten Heiland und dessen hinter diesem, gerade in der Mitte des Gemäldes stehende Mutter klar zu umstrahlen; aber vergebens, Beide beleuchtet nur ein hellerer Schein des umdüsterten Tageslichts. Aber wo soll ich den rechten Ausdruck finden, um von der wunderbaren Erscheinung der göttlichen Mutter nur eine einigermaßen deutliche Idee zu geben, von dieser antikschönen, großartigen Gestalt, würdig die Mutter eines Gottes, die Königin aller Himmel zu sein! Sie klagt, sie weint nicht mehr, sie hat Uebermenschliches ertragen, ihr großer Schmerz über irdischen Jammer sie erhoben und höheren Wesen sie zugesellt; aber ihre geöffnet weitausgebreiteten Hände, ihr dem Himmel zugewandter Blick scheinen den Ewigen zu fragen, ob endlich nun Alles vollbracht, ob sein Zorn nun endlich versöhnt sei.
Neben dem ganz nationell, aber unbeschreiblich edel gehaltenen Joseph von Arimathia stehen links und rechts, in jugendlich-weiblichen Schmerz versunken, die beiden Marien; Joseph von Arimathia hält das Leintuch, auf welchem der außerordentlich schön gezeichnete Körper des Heilandes vom Kreuz gehoben ward, und in fast überkühn gedachter Stellung, sodaß man die Gestalt vom Rücken hinauf sieht, den Kopf zum Bilde hinausgewandt, liegt Maria Magdalena im Vordergrunde auf der Erde, zerrissen von wildem, vernichtendem Jammer küßt sie die Füße des Herrn.
Wie trefflich diese und alle Gestalten der großen herrlichen Composition gezeichnet sind, wie treu, mit wie wundervoller Zartheit, bis in die kleinsten Nuancen, das Fleisch gemalt ist, davon, wie von der Schönheit der einzelnen Glieder, der Hände, der Füße könnte man Tage lang schreiben und reden, und hätte am Ende doch nichts gesagt, was einen würdigen anschaulichen Begriff von diesem Meisterwerk zu geben vermöchte.
Ein Bild ganz anderer Art, aus einer früheren Zeit, hat mir ebenfalls große Freude gemacht, welches die Besitzer desselben, die Familie von Holzhausen, nebst mehreren trefflichen, zum Theil vom jüngern Holbein gemalten Portraiten ihrer Ahnen auf ihrer schönen, unfern der Stadt belegenen Villa gleich einem Heiligthum bewahrt. Es ist das freundlichste, anmuthigste Werk des alten Meisters Lukas von Kranach, welches ich jemals gesehen zu haben mich erinnere. Dicht umgeben von frischblühenden Kindern und ihren in ehrerbietiger Entfernung sich haltenden Müttern ist Christus auf demselben dargestellt, wie er soeben das göttlichmilde Wort ausgesprochen hat: »Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Reich Gottes«. Eines der jüngsten derselben hat er auf den Arm genommen, die Mutter blickt gerührt, aber so recht im Herzen entzückt zu ihm auf, im anmuthigsten Gewimmel drängt die Schar der übrigen Kinder sich treuherzig an ihn heran, lauter kerngesunde Mädchen und Bübchen, mit frischen, freundlichen Gesichtern, treu und wahr wie die Natur selbst. Die schöne edle Gestalt des Heilands zeichnet dieses Gemälde vor vielen gleichzeitigen aus. Blühend in der diesem Meister eigenen Farbenpracht, mit dem ihm eigenen Fleiß auf das sorgfältigste ausgeführt, steht es da, und das Auge wird nicht müde, es zu betrachten, ohne irgend etwas Störendes zu entdecken.
Nur ein Gedanke, der aber wahrscheinlich den alten Meister beim Entwerfen dieser Composition mit besonderer Liebe begeisterte, möchte beim ersten Anblick nicht allgemeine Billigung finden, obgleich es nicht möglich ist, sich nicht dabei theilnehmend ergriffen zu fühlen. In einer Ecke des Vorgrundes, wie zu den übrigen Kindern gehörend, mit unverkennbarer Aehnlichkeit und doch durchaus kindlich gehalten, steht Martin Luther, als vier bis fünfjähriger Knabe dargestellt, und neben ihm, etwas jünger als er und mit ihm Hand in Hand, seine Katharina von Bora; in der andern Hand trägt sie ein ganz kleines Püppchen, wie ein Wickelkind geformt.
Meines Wissens hat vor und nach Lukas von Kranach noch kein Maler diese Art gleichsam rückwärts zu portraitiren versucht, obgleich es Vielen wider ihren Willen oft genug wiederfährt, der Zeit vorzugreifen und die Leute älter darzustellen als sie sind. Der alte Meister hat mit bewundernswerther Kunst es verstanden, gleichsam in der weichen Knospe die künftige Entwicklung der festen, kräftigen Züge des größten Mannes seiner Zeit klar anzudeuten; wer dieses Bild erblickt, ruft: »das ist Martin Luther!« und doch steht ein Kind vor uns, ein wahres wirkliches Kind, mit allen Eigenheiten dieses glücklichen Alters, kein Zwerg mit einem kindischen Körper und einem altklugen Gesicht.
Die innige Freundschaft, welche beide Männer bis an den Tod Martin Luther's verband, ist allbekannt, die vielen Portraite des Letztern, die von der Hand seines kunstreichen Freundes bis auf unsere Zeiten gekommen sind, beweisen die große Vorliebe, mit welcher dieser die kräftige Heldengestalt zum Gegenstande seiner Kunst sich erwählte, und wie genau er Zug vor Zug sie aufzufassen verstand. So wird es denn sehr leicht denkbar, wie der kunsterfahrene Meister in einer besonders heitern Stunde auf die Idee verfallen sein kann, ihn, den er so oft vom reifen Mannesalter an bis in spätere Jahre gemalt hatte, auch einmal so darzustellen, wie er im frühesten Alter sich ihn dachte. Die gelungene Ausführung dieses Einfalls ist allerdings bewundernswerth; darin aber, daß der Meister gerade in dieser Darstellung ihn ausführte, liegt etwas einfach Naives, etwas so Poetisches könnte man sagen, das jeden Tadel erschwert, und daß es unmöglich fällt, den Anachronismus zu rügen, aus welchem die Maler jener Zeit, vor allem aber dieser, sich ohnehin wenig zu machen pflegen.
Durchreisende Kunsthändler, in und außer der zweimal im Jahre einfallenden Meßzeit, versäumen nicht leicht, einige Tage lang durch Ausstellung ihrer mitgebrachten Gemälde die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde zu erregen und reisen nicht selten mit erleichtertem Gepäcke und schwerer gewordenem Beutel fröhlich von dannen, denn die Gemäldeliebhaberei der wohlhabenden Frankfurter beschränkt sich nicht blos auf das Bewahren Dessen, was sie schon besitzen. Ein brüsseler Kunsthändler zeigte während meines Aufenthaltes in Frankfurt seine nur aus sieben Stücken bestehende Sammlung, aber von so ausgesuchter Schönheit, von so seltenem hohen Werth, daß sie ein ganzes Bildercabinet aufzuwiegen würdig waren. Das merkwürdigste und trefflichste unter diesen sieben Meisterwerken war das Portrait des Prälaten Fedra Inghirami, während Rafael's erster Anwesenheit in Florenz gemalt; damals, als der mächtige Genius, der seitdem die Mit- und Nachwelt in Entzücken und Bewunderung versetzte, eben zur deutlichen Klarheit in dem hohen Meister erwacht war. Das Gemälde trägt ganz den Charakter von Rafael's früherer Zeit, es ist sehr dünne gemalt, höchst einfach gedacht, im Ton etwas braungelb gehalten; aber ganz Leben, ganz Wahrheit und Natur, »wie aus dem Spiegel gestohlen,« möchte man mit dem Prinzen in »Emilia Galotti« ausrufen. Nirgends die kleinste Spur Unschönes ausgleichen oder verbergen zu wollen, und doch durch Ausdruck und Charakter unbeschreiblich anziehend; Rafael ehrte und liebte seinen älteren, welterfahrneren, weisen Freund, trotz des etwas schielenden Blicks und der Unregelmäßigkeit seiner interessanten, aber auch nicht minder auffallenden Züge, und wollte absichtlich ihn nicht anders darstellen als er war, das geht aus Allem hervor.
Die übereinandergelegten Hände bequem auf einer Brustlehne ruhend, im einfach schwarzen Rock, ein ebenfalls schwarzes Käppchen auf dem Kopf, sieht in ruhiger Beschaulichkeit der ernste, geistreiche Mann euch mit den klaren, etwas verschobenen Augen gerade ins Gesicht, man möchte fast sagen, in das Herz; denn es mag schwer gewesen sein, diesen scharfen, durchdringenden Blick etwas verborgen zu halten, was er erforschen wollte. Inghirami gehörte gewiß zu den ausgezeichneten Männern seines für Kunst und Wissenschaft so bedeutend großen Zeitalters; als er späterhin die Cardinalswürde erhalten, wählte Leo X. ihn zum päpstlichen Secretair und Bibliothekar, doch diese hohen Würden verhinderten ihn nicht, in freien Stunden der Poesie sich hinzugeben; ein ganz eigner feiner, etwas spöttischer Zug um den Mund dieses ausdrucksvollen Gesichts verräth den feinen Beobachtungsgeist, den ihm innewohnenden Humor; auch war Inghirami wirklich einer der Ersten, die in Italien als Lustspieldichter auftraten.
Noch zwei Bildnisse dieses merkwürdigen Mannes bestätigen seine freundliche Verbindung mit dem hohen Meister und verbürgen zugleich die Echtheit dieses Gemäldes. Inghirami's Portrait, im Cardinalskleide, die Feder in der Hand, mit aufwärts gerichtetem sinnenden Blick, zwölf Jahre später von Rafael gemalt, wird zu Florenz in der Galerie des Palastes Pitti aufbewahrt, und einer der hinter dem Papste Leo stehenden Cardinäle auf Rafael's berühmtem Bilde dieses großen merkwürdigen Mannes trägt unverkennbar Inghirami's Züge.
Außer jenen beiden Portraits verdankte Cardinal Inghirami der treuen Anhänglichkeit des hohen Meisters den Besitz der Madonna della Seggiola und des Cartons zu diesem weltberühmten Gemälde. Die Familie des Cardinals lebt noch in Italien, und erst vor wenigen Jahren erkaufte der jetzige König von Baiern zwei kleine Gemälde von ihr, aus Rafael's frühester Zeit, die er seinem großen Meister Perugino nachgebildet hatte. Auch bewahrt sie ein eigenhändiges Schreiben Rafael's an seinen vornehmen Freund und Beschützer, das sie aber um keinen Preis weggeben will.
Rubens' jüngstes Kind, von seinem Vater mit anerkannter Meisterschaft, leicht, aber wie lebend auf die Leinwand hingestellt, war das zweite Bild in jener kleinen Sammlung, von dem es fast unmöglich wird, sich abzuwenden, wenn man es einmal recht ins Auge gefaßt hat. Das etwa zweijährige, kleine, runde, pausbäckige Ding in seinem Kinderstühlchen gukt so freundlich aus den klaren blauen Augen heraus und zeigt lächelnd die Perlenzähnchen, daß jede Frau, die es sieht, Lust bekommen muß, es auf den Arm zu nehmen und mit ihm ein wenig zu spielen. Die runden, mit Korallenschnuren leicht umwundenen Aermchen, die Händchen, mit ihren Grübchen darin, Alles ist so weich, so warm, das ganze Figürchen so rund, so voll, so ganz Natur, so täuschend lebendig, daß man im Anschauen die Kunst des Meisters vergessen möchte, die dieses Leben ihm einhauchte.
Beide unschätzbare Gemälde sind wenige Monate nachdem ich sie gesehen das Eigenthum des Städel'schen Kunstinstituts in Frankfurt geworden und dienen dieser an sich schon reichen Sammlung zur bleibenden Zierde. Seit der wichtige Proceß zu Gunsten desselben entschieden wurde, der die Verwaltung der, seiner Vaterstadt von dem patriotisch gesinnten, ehrwürdigen Greise Stadel hinterlassenen großen Vermächtnisse einigermaßen hemmte, steht den Directoren alljährlich eine bedeutende Summe zum Ankauf von Kunstwerken zu Gebote, und mit welcher Einsicht, mit welchem Geiste sie dieselbe zu verwenden wissen, beweist der Ankauf dieser beiden Meisterwerke.
Noch ein drittes Gemälde, das in der kleinen Sammlung jenes brüsseler Kunsthändlers mich entzückte, sollte eigentlich, obgleich es von ganz anderer Art ist, von jenen beiden nicht getrennt worden sein; aber, wie ich von dem Eigenthümer desselben vernahm, war es schon damals für die reiche Sammlung des Kronprinzen der Niederlande bestimmt, wo es allerdings sich im Vaterlande noch mehr an seinem Platze befinden wird, als in Frankfurt. Es war ein Meisterwerk des in Deutschland wenig bekannten niederländischen Malers Peter de Hooghe, dessen Werke man selbst in den Niederlanden nur äußerst selten antrifft, und die sowol ihres Kunstwerthes als ihrer Seltenheit wegen dort hoch gehalten und sehr theuer bezahlt werden. Peter de Hooghe lebte etwa um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Die Darstellung der malerischen, aber zugleich auch etwas schmuzigen Unordnung einer dunkeln holländischen Bauernstube nebst den zu dieser passenden Bewohnern derselben auf zwei und vier Beinen scheint dem Ordnung und Reinlichkeit liebenden Sinn Peter de Hooghe's nicht zugesagt zu haben, obgleich die berühmtesten Meister in seinem Fache sie sich vorzugsweise erwählten. Er malte lieber die netten, zierlichen Wohnungen seiner Landsleute aus dem Bürgerstande, und ihr häusliches, ruhiges Treiben. Nie sind seine Gemälde durch viele Figuren belebt; im ersten Zimmer sieht man eine, höchstens ein Paar zierlich, aber bürgerlich gekleidete Frauen in einem großen Buche lesend, oder mit feiner Näharbeit, auch wol am Klöppelpulte beschäftigt, vielleicht auch noch ein Blumen oder Früchte herbeibringendes Kind, das eben zur Thüre hereintritt; in den Nebenzimmern erblickt man zuweilen eine mit häuslicher Arbeit beschäftigte Magd, und durch die ganze Reihe von Zimmern hindurch, ganz im Hintergrunde, einen zur geöffneten Hausthüre von der Straße hereintretenden Nachbar, dem man sich zugesellen zu können meint, so groß ist die in diesen Gemälden vorherrschende perspectivische Täuschung. Räumlich, mit unglaublicher Wahrheit vom reinsten Tageslichte erleuchtet, liegt das Wohnzimmer im Vorgrunde vor uns, jedes Geräthe steht an seinem rechten Ort, in alterthümlicher, solider Zierlichkeit, Tische, Bänke und Stühle. Die Sonne scheint durch die runden, hellglänzenden Glasscheiben des Fensters herein, ein Flügel desselben steht offen und gewährt einen Blick ins Freie. Der mit bunten Fliesen ausgelegte Fußboden, die altmodischen, aber saubern Fenstervorhänge, der kleine Spiegel mit seinem breiten Rahmen, in welchem ein Theil des Zimmers sich abspiegelt, alles ist ganz Natur, ausgeführt mit unendlichem Fleiß, kein Schlagschättchen des kleinsten Nagels, der unbedeutendsten Verzierung am Schnitzwerk ist vergessen; eine offene Seitenthüre läßt in ein Nebenzimmer uns blicken, durch welches vielleicht in dem Augenblick eine Magd oder ein Kind geht, durch dieses Zimmer sieht man in ein zweites, zuweilen in ein drittes und viertes, oder in eine Küche, je nachdem die Localität es verlangt; eine andere Thüre im Hauptzimmer erlaubt uns, vielleicht wieder durch mehrere Kammern hindurch einen Blick auf die Hausflur und durch die geöffnete Hausthüre auf die Straße. Man steht da und sieht, und sieht, und immer höher steigt die freundliche Täuschung, bis man sich endlich beinahe schämt, fremde Leute in ihren Häusern so zudringlich zu belauschen.
Die an niederländischen, sogenannten Cabinetsstücken von ausgezeichneter Schönheit reiche Sammlung des Herrn Friedrich Wilmans ist zum Theil durch die niedlichen Küpferchen in den letzten Jahrgängen seines Taschenbuchs für Liebe und Freundschaft allbekannt. Weniger die in anderer Art sehr interessante des kunstliebenden Inspectors des Städel'schen Museums, Herrn Wendelstedt, der, wie Wilmans eben auch, Kunstfreunden den Zutritt zu seinen Schätzen gern vergönnt. Der Besitzer derselben sucht, freilich nach einem durch Verhältnisse beschränktem Maßstabe, Das zu erreichen, was in Berlin durch die große berühmte Solly'sche Sammlung wirklich erreicht ist, eine Uebersicht des Ganges, den die Kunst nahm, und zwar mit Rücksicht auf die verschiedenen Schulen von den Zeiten der griechischen Maler an bis auf Rafael und den ihm gleichzeitigen Albrecht Dürer. Die Anzahl seiner Gemälde ist nicht groß, was für den Anschauer immer ein Gewinn ist, denn wenn man zu vielerlei auf einmal sehen muß, kann man immer nur wenig betrachten; aber man findet hier einen neuen Beweis, wie Vieles und wie Werthvolles zusammengebracht werden kann, wenn man nur mit wahrem Ernst und Liebe zu sammeln beginnt.
Die beiden ältesten, in Enkaustik gemalten Bilder dieser Sammlung stammen wahrscheinlich noch aus dem neunten oder zehnten Jahrhundert, und gewähren einen deutlichen Begriff der starren Unbeweglichkeit der alten byzantinischen Schule, besonders das erste, einen griechischen Patriarchen in ganzer Gestalt darstellend. In dem zweiten, der Tod der heiligen Jungfrau, herrscht schon mehr Leben, aber auch aller Unsinn, alle trübe Verworrenheit religiöser Begriffe, welche jene ferne, dunkle Zeit charakterisiren. Auf einem Paradebette von ovaler Form liegt der eben entseelte Leichnam, von den weinenden Jüngern umgeben; neben dem Bette steht Christus zwischen zwei großen Candelabern mit brennende Kerzen tragenden Engeln. Die eben entflohene Seele der Entschlafenen ruht schon in Gestalt eines kleinen Wickelkindes in den Armen des göttlichen Sohnes, während unten im Vorgrunde ein kleiner Engel mit dem Schwerte, und ein kleiner Teufel, der eine Art Mönchskutte angezogen hat, sich um dieselbe noch balgen. Ein aus seinen sechs zusammengeschlagenen Flügeln nur eben herausgukender Cherub schwebt über dem Ganzen und hält in beiden ausgestreckten Armen, an langen Stäben befestigt, die Sonne und den Mond, welche er zur Verherrlichung des heiligen Sterbebettes herbeigetragen hat.
Ein drittes, in Hinsicht der allegorischen Deutung an dieses anstreifendes, aber in jeder andern hoch über dasselbe sich erhebendes Meisterwerk des alten berühmten Fra Giovanni da Fiesole, der im vierzehnten Jahrhundert lebte, verdient mit ungetheilter Aufmerksamkeit betrachtet zu werden. Aus dem bewegten Meer ragen die Capitäler zweier mit den Worten Fede und Speranza bezeichneter Säulen hervor, sie tragen sieben Stufen, deren nähere Deutung sowol durch die Farbe derselben, als durch lateinische Inschriften bezeichnet ist, und eine Seele, eine liebliche, jugendliche Gestalt mit herabwallendem Haar, ist bemüht, diese Stufen zu erklimmen, um ihr Herz, das sie in der Hand trägt, der über der siebenten Stufe thronenden Mutter der ewigen Liebe darzubringen. Diese Stufe ist golden, um die höchste Vollendung anzudeuten, und neben derselben knieen der heilige Dominicus und der heilige Petrus in den Flammen der sich selbst opfernden Liebe, um für die Seele zu bitten. Die heilige Jungfrau, von einem Chor von Engeln umgeben, legt, als Zeichen der Erhörung, beiden die Hände segnend auf das Haupt. Die ganze Composition, wunderbar wie sie erscheint, hat etwas unbeschreiblich Anmuthiges; Farbe und Ausführung sind gleich bewunderswerth.
Noch muß ich eines ungemein lieblichen Bildes erwähnen, ungefähr aus der nämlichen Zeit, einer höchst anmuthigen Madonna mit dem Kinde, das spielend ihren Schleier faßt, von Fra Filippo Lippi auf Holz a tempera gemalt, dem berühmtesten Schüler des Masaccio, einem der ersten Wiederhersteller der vor ihm tiefgesunkenen Kunst. Auch ein großes Gemälde von Bellino, Tizian's altem Meister, darf ich nicht übergehen, den Albrecht Dürer während seiner Anwesenheit in Venedig noch im höchsten Greisenalter begrüßte und innigst bewunderte. Madonna thront als Königin der Himmel, das Kind im Schoße, und links und rechts, von ihren Schutzpatronen, dem heiligen Petrus und dem heiligen Paulus, eingeführt, knieen der Doge, der Großkanzler und der procuratore di San Marco vor dem Throne der in stiller Demuth mit niedergeschlagenen Augen ihre Huldigungen annehmenden Beherrscherin aller Engel.
Doch alle werthvollen Gemälde dieser Sammlung zu beschreiben, so klein im Vergleich mit andern ihre Anzahl auch ist, läßt mit dem eigentlichen Zweck dieser Blätter sich nicht vereinen. Kunstfreunde, die ihr Weg über Frankfurt führt, werden nicht leicht versäumen, sie zu besuchen, und auch Denen, welchen es nicht so gut wird, hat der gefällige Besitzer derselben durch sehr brav gezeichnete lithographirte Umrisse die Bekanntschaft mit ihnen auch aus der Ferne erleichtert, die in Frankfurt durch jede Buchhandlung zu erhalten sind.