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Die Pelzjacke.

Einer von den »einsamen Menschen« unserer Tafelrunde ließ sich, wie folgt, vernehmen:

»Herrliche Zeit – die Zeit des Verliebtseins!« rief er. Ich fürchte, ich sage Euch damit nichts Neues, aber ich möchte den Ausruf doch kommentiren, denn ich meine nicht die Gymnasiastenliebe, die sich in Versen austobt und sich bei Mondenschein am üppigsten entfaltet, ich meine eine spätere Liebe: Das Verhältniß eines reiferen Mannes zu einem Weib, das er liebt, ohne es anzudichten, dem er keine verstohlenen Fensterpromenaden macht, zu dem er sich hinsehnt, ein Hafen für die Seele nach des Tages Stürmen, ich sage Euch, so ein Freund mit der heiteren Seele des Weibes ist ein Segen; es ist kein Seufzen und Schmachten mehr, sondern eine gut ausgegohrene Liebe, die aber im Grunde nicht minder erhebt und beglückt wie jene, die unreife, stürmischere, unerfahrene.

Man ist ja auch dann noch, als gesetzterer Liebhaber, ab und zu noch leidlich thöricht, und zu dem soliden stillen Glück gesellt sich oft eine gewisse Angst um die Sicherheit des Besitzes; die erste Jugend hat es leicht, die nimmt sich vor: »Wenn sie mich verließe, ich würde mich tödten.« In späteren Jahren hat man sich an Verluste verschiedener Art gewöhnt und man denkt nicht so bald an den exaltirten Ausweg der Selbstvernichtung. Und dann, man hat sich endlich für alle Lebenslagen sein Sprüchel zurecht gelegt, z. B. das:

»Lieb und vergiß,
Den Unbestand
Hat Gott zum Troste uns gesandt …«

Jeder Verliebte wird zu Zeiten von einer Art Schenkfieber befallen. Man hält vor den Schaufenstern nur an, um zu überlegen, ob sie für Dies oder Jenes Verwendung hätte, wie ihr diese Masche, das Hütchen, der Morgenrock stehen würde, wie sich dieser Fächer in ihrer Hand ausnehmen würde und ob sie sich nicht über jenen Sonnenschirm freuen würde. Und gar, wenn sie sich darauf versteht, Geschenke anzunehmen – das ist eine besondere Kunst; es gibt Frauen, die in ihrer Dankbarkeit so reizend und charmant sind, daß man nicht aufhören möchte, sie zu beschenken.

Hedwig – ich verrathe damit den Namen des geliebten Wesens, das mir ein Jahr meines Lebens versüßt hat, – verstand sich ganz außerordentlich auf jene liebenswürdige Kunst. Sie konnte sich so freuen und wußte so ermunternd zu danken, daß man am liebsten gleich wieder fortgelaufen wäre, um ihr noch etwas dazu zu kaufen.

Eines Spätherbstabends schlenderten wir über den Ring und da ließ sie eine Bemerkung über Sealskinjacken fallen, aus der meine fürsorgliche Zärtlichkeit heraushörte, daß sie sich nach einer solchen heimlich sehnte.

Der Gedanke erschien mir für's Erste etwas kühn, aber Hedwig hatte eben originelle Einfälle und Phantasie. Die Vorfreude über die Erfüllung ihres nur so ganz verblümt angedeuteten Sehnens schlug die nüchternen Erwägungen und Berechnungen nieder. Ich war am Ende noch ungeduldiger als sie, und hatte bereits beschlossen, mir das Vergnügen des Schenkens nicht erst zu Weihnachten zu bereiten, sondern schon – etwas früh für Pelz – Anfangs November, an ihrem Geburtstag.

Von ihrer Schneiderin erhielt ich heimlich die Maaße, ohne daß Hedwig eine Ahnung davon hatte. Ach, es wäre am Ende besser gewesen, wenn sie davon gewußt hätte. Es ruht kein Segen auf den Ueberraschungen. Die Sealskinjacke war bestellt, sie war sehr theuer, – theuerer, als ich mir vorgestellt hatte – aber in einem jener Augenblicke, in denen man leichtsinnige Streiche macht, schloß ich den Handel ab, und die Mahnung meines Philistergewissens beschwichtigte ich mit Gründen, die vielleicht nicht ganz stichhaltig waren, die aber für den Augenblick ihre Schuldigkeit thaten. Ich war ja verliebt, beinahe hätte ich ihr sogar noch eine Mütze zu der Jacke bestellt. Sie hatte es um mich verdient.

Meine Herren! Es ist für Jeden mißlich, wenn er erzählen soll, wie es kam, daß er in der Liebe betrogen wurde, und betrogen werden wir ja doch AIle – dafür sorgen ja wir, – wenn schon die Frauen nicht wollten und standhaft wären. Nicht die Frauen betrügen uns, – wir betrügen uns untereinander. Ich habe gestern Ihre Geliebte heimlich geküßt – wendete sich der Sprecher an sein Gegenüber, und Sie warten nur auf die Gelegenheit, meiner Kleinen etwas Galantes zu sagen, was gerade so wie ein Kuß ist. Und dann ist es ein Unterschied zwischen Liebe und Liebe. Es gibt bei der Frau, ich spreche nicht von Pensionatsfräuleins, keine wahre, tiefe, dauernde Liebe, wenn nicht die Aussicht auf Versorgung vorhanden ist. Das ist moralisch und praktisch. In meinem Verhältniß zu Hedwig wurde dieser Punkt mit der größten Delikatesse ignorirt. Die Weiber wissen dann, was sie davon zu halten haben, und machen sich's leicht. Ich habe Hedwig wahnsinnig gerne gehabt, es gab eine Zeit, wo ich ihr dreimal des Tages schrieb, lauter überflüssiges Zeug, – meine Freunde, ich war sehr glücklich. Sie nahm Gesangsunterricht, damit sie doch etwas zu thun habe, ich bezahlte die Stunden, – es war theuer. Aber sie war so gut und so dankbar. Nach einem halben Jahr kam ich durch Zufall darauf, daß das Haus, zu welchem ich sie begleitete, wenn sie zur Lektion ging, ein öffentlicher Durchgang war, und daß überhaupt keine Gesanglehrerin dort wohnte. Diese Entdeckung war mir höchst fatal, Nebensache warum, ich wurde stutzig, sie bockte, weinte, schwor u. s. w. Ihr kennt das!

In diese trübe Zeit fiel eine Reise, die ich in Familien-Angelegenheiten zu unternehmen hatte, ein Trauerfall, der mir nahe ging, und – doch es ist überflüssig, alle Umstände und Phasen dieses Zerwürfnisses zu beschreiben – mit einem Wort, nach Ablauf von etwa drei Wochen war der Bruch deklarirt. Wir gingen grollend auseinander. Ich habe Hedwig seither nicht wieder gesehen.

In einem verschlossenen Separatfach meiner Wäsche-Kommode lag die Pelzjacke, ihre Pelzjacke. Arme Hedwig! Sie ahnte nicht, welch köstliche Gabe sie sich, abgesehen von meiner Liebe, verscherzt hatte!

Der Handel konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden, denn das Kleidungsstück war nach bestimmten Maaßen angefertigt und noch dazu nach nicht ganz alltäglichen Maaßen, denn Hedwig besaß eine Walkürengestalt, voll und groß. Ihr wißt, das ist mein Geschmack.

Außerdem schämte ich mich vor dem Kürschner. Man bestellt keine Pelzjacken für Damen, die Einen eines Tages brüsk verlassen, oder die man selber plötzlich aufgibt, – was auf Eins heraus kommt. Also die Jacke blieb – vor meiner getreuen Wirthschafterin verborgen – in der Wäsche-Kommode. Was damit anfangen? Viele so kostspielige Geschenke würde ich nicht mehr machen können und wenn Venus selbst aus dem Olymp herniederstieg; sie mußte aufgespart werden, als Trumpf in meinem nächsten Herzensroman. Jeder Mensch ist bekanntlich im Grunde doch ein Optimist und er pflanzt auch noch auf dem Grabe seiner Illusionen die Hoffnung auf, auch ich; ich überlegte nämlich, daß man mit 38 Jahren noch nicht alle Liebesambitionen aufzugeben braucht und daß ganz wohl der Tag kommen könne, an welchem ich an Hedwig gerächt werde, durch ein treueres, anhänglicheres Wesen … Freilich, Hedwig's Figur mußte sie haben, – man weiß warum. Seither sah ich mir die Damen von hohem Wuchs und üppiger Gestalt besser an, die anderen existirten für mich gar nicht.

Der Himmel verweigerte mir aber die Gunst, mich noch einmal in diesem Leben Hedwig's Taillenweite und Rückenbreite begegnen zu lassen. Ich fand kaum eine, von der ich annehmen durfte, daß ihr die Jacke annähernd passen würde. In Ischl hatte ich eine reizende Dame kennen gelernt, die mir wie für meine Jacke geschaffen erschien – aber sie war leider verheirathet, noch dazu glücklich. Und ich hatte mich schon so schön in eine warme Sealskin-Leidenschaft für sie hineingeredet. – Ein Freund, dem ich mich anvertraut hatte, besaß theilnehmendes Verständniß für meine Situation und eines Tages brachte er mir die Botschaft, daß er eine Dame kennen gelernt habe, die nicht nur die gesuchte Schulterbreite, sondern auch ein zärtliches Gemüth, ferner Bildung und Talent besitze; – das Fräulein war Elevin einer Theaterschule und studirte Heroinenrollen, z. B. die Jungfrau von Orleans. Leider, oder vielmehr glücklicherweise erfuhr ich noch rechtzeitig, daß ihr der kriegerische Charakter dieser Rolle von einem Dragonerofficier beigebracht worden war. Ich zog meine Jacke sofort zurück.

So verging der Sommer und der Herbst unter Suchen und geheimen Mustern, immer das Centimetermaaß und die Sealskinjacke vor Augen; dann kam ein einsamer, frostiger Winter und ein liebedurstender Lenz mit Wehmuth und Resignation. Ich wurde ernsthafter, ungeduldig und zuletzt nervös, und meine treue, sorgsame Friederike, die Perle aller Wirthschafterinnen, die seit sieben Jahren die kleine Junggesellenmenage ohne viel Worte in Ordnung hielt, daß es nur so eine Freude war – diese brave und treue Person schüttelte den Kopf und erkannte meinen Zustand offenbar als sehr bedenklich. Als sie mich eines Abends mit meinen grübelnden Gedanken allein auf dem Divan liegend, den schönen Sommersonntag freudlos vergeudend fand, nahm sie sich ein Herz und sie meinte: »Verzeihen Sie, Herr Doktor, aber ich glaube – ich denke mir – Herr Doktor sollten sich doch eine Frau nehmen – Sie brauchen sich meinetwegen nicht zu geniren, ich kriege jede Stunde einen anderen Dienst – aber der Herr Doktor haben ja so auf die Art ein ganz trauriges Leben! …«

Sie hatte leicht reden. Eine Frau nehmen, als ob die heirathsfähigen Mädchen und Wittwen mit Hedwig's Taillenumfang und Armlänge nur so auf den Bäumen wüchsen! Nein sagte ich mir, ich werde keine finden, die ihr gleicht, ich werde die Jacke mit mir in die Grube nehmen. Ich klage mich ohne Beschämung der Schwäche an, daß ich so weit kam, den Konflikt, der mich von Hedwig trennte, mit objektiven und versöhnlichen Blicken genauer zu betrachten und die Möglichkeit eines Ausgleiches als einen Hoffnungsschimmer begrüßte; – wenn dieses Ereigniß sich zu Anfang des Winters vollzog, dann paßte ja die Jacke als Bußopfer so recht. Aber auch diese Aussicht zerschlug sich – Hedwig hatte sich über den Verlust meiner Sympathien getröstet, mit einem jungen Fabrikanten, der sie sogar heirathen wollte. Nun ja, sie hatte es leicht, sie konnte wählen, sie hatte ja nicht auf eine bestimmte Figur Rücksicht zu nehmen.

Eines Tages öffnete ich nach langer Zeit zufällig die vor meiner guten Friederike sorgsam verschlossen gehaltene Lade, die den verhängnißvollen Schatz enthielt. Als ich die Jacke anfaßte, flogen eine Menge Motten auf und mein erster Schreck wuchs, als ich eilig an's Fenster lief und den Pelz bei Tageslicht betrachtete. Soll ich meine Entdeckung noch besonders beschreiben? Sie läßt sich errathen. Von den Motten halb aufgefressen! – Aufgefressen, während ich noch immer nach einer »passenden Figur« suchte. Ich Thor!

Meine Geschichte ist zu Ende.

Ich schenkte das Pelzfragment der guten Friederike, meiner Wirthschafterin; die minder verletzten Partien gaben am Ende doch noch eine Muffe, die sie nicht ohne Stolz am Sonntag trägt und mit der sie Staat macht.

Heute vermuthe ich, daß mein Geschenk zuletzt nicht einmal an die unrichtigste Adresse gekommen ist, vielleicht ist Diejenige, die die Ueberreste jetzt trägt, von allen Frauen, mit denen ich in Berührung kam, die Würdigste, – von ihrer Treue bin ich wenigstens überzeugt.

Und das ist das versöhnliche Moment in der Tragödie meiner Pelzjacke.

Möge es Jedem unter uns vergönnt sein, seinen Irrthum zuletzt noch so gut zu corrigiren.


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