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Ein Kanzleiraum im Ministerium. Entsprechend eingerichtet, nicht ganz ohne Behaglichkeit.
Hofrat Winkler, etwa 45, jünger aussehend, schlank, frisches Gesicht, kleiner Schnurrbart, kurzes blondes graumeliertes Haar, blitzende blaue Augen, allein, mit Akten beschäftigt. Er steht eben auf und ordnet die Akten in einen Schrank ein. Telephonzeichen.
Hofrat (an den Tisch zurück, ins Telephon). Hier kaiserlich und königliches Ministerium für Kultus und Unterricht. – Nein. Hofrat Winkler. Oh, Herr Professor Ebenwald. – Er ist noch nicht da. – Vielleicht in einer halben Stunde. – Ins Parlament begibt sich Seine Exzellenz gewiß nicht vor halb zwei. – Ja, darüber bin ich leider nicht in der Lage Auskunft zu geben, jedenfalls nicht auf telephonischem Wege. – Wird mir ein Vergnügen sein. Habe die Ehre, Herr Professor. (Klingelt ab; fährt in seiner früheren Beschäftigung fort.)
Amtsdiener tritt ein, bringt die Post und eine Visitenkarte.
Hofrat. Doktor Kulka?
Diener. Möchte aber Seine Exzellenz persönlich sprechen.
Hofrat. Soll halt später wiederkommen.
Diener. Es waren auch schon früher zwei Herren von Zeitungen da. Die kommen auch wieder.
Hofrat. Also, die Herren von der Zeitung brauchen Sie überhaupt nicht bei mir zu melden. Die wollen ja alle Seine Exzellenz persönlich sprechen.
Diener ab.
(Wieder Telephonzeichen.)
Hofrat. Hier kaiserlich und königliches Ministerium für Kultus und Unterricht. – Hofrat Winkler, ja. – Ah, die Stimm sollt ich ja kennen. Küß die Hand, gnädige Frau. – Heut abend? – Ja, wenn's mir möglich ist, gern. – Gar nix sag ich zu den Wahlen. – Nein. – Weil ich das nicht mag, daß sich schöne Frauen auch schon mit Politik beschäftigen. – Von Politik versteht keine was. – Bis dahin haben Sie noch mindestens zwanzig Jahre Zeit, gnädige Frau. – Also auf Wiedersehen, gnädige Frau. Schöne Empfehlungen dem Herrn Gemahl. (Klingelt ab.)
Amtsdiener mit einer Karte.
Hofrat. Schon wieder einer? Ah, Doktor Feuermann. – Also, ich lasse bitten. (Diener ab.)
Doktor Feuermann tritt ein.
Feuermann verbeugt sich tief.
Hofrat. Habe die Ehre, Herr Doktor. – Was verschafft uns denn das Vergnügen?
Feuermann. Ich komme in einer sehr ernsten Angelegenheit, Herr Hofrat.
Hofrat. Oh, Herr Doktor, hoffentlich nicht wieder ein Malheur passiert, nachdem kaum erst, dank der Einsicht der braven Bürger von Oberhollabrunn –
Feuermann. Allerdings, Herr Hofrat, hat man mich freigesprochen. Aber was hilft es mir? Kein Patient läßt sich mehr sehen. Wenn ich als Bezirksarzt in Oberhollabrunn bleiben soll, müßt ich einfach verhungern. Daher bin ich so frei, um meine Versetzung anzusuchen und – (Telephonzeichen.)
Hofrat. Entschuldigen Sie, Herr Doktor. (Ins Telephon.) Jawohl. Hofrat Winkler. – Oh, Herr Sektionsrat. – Wie? Was? (Sehr erstaunt.) Aber gehen Sie! – Im Ernst? Die Schwester Ludmilla? Das wäre ein merkwürdiges Zusammentreffen. – Na, weil er ja heute herauskommt. – Natürlich der Professor Bernhardi. – Heute, ja. – Sie kommen selbst? – Ja. – Nein, hören Sie. – Selbstverständlich sage ich Seiner Exzellenz vorläufig nichts, wenn Sie's wünschen. – Habe die Ehre! – (Klingel. – Zuerst sehr bewegt, dann zu Feuermann.) Also, bitte.
Feuermann. Und wollte mir besonders Ihre Unterstützung erbitten, Herr Hofrat, – der Sie immer –
Flint tritt ein. Feuermann, Hofrat.
Flint. Guten Tag, Herr Hofrat. (Bemerkt Feuermann.) Ah –
Feuermann (sich tief verbeugend). Exzellenz, mein Name ist Doktor Feuermann.
Flint. Ah natürlich. – Ich habe ja schon – Von der Montagszeitung? – – –
Hofrat (leise). Zufällig kein Journalist, Exzellenz. – Herr Doktor Feuermann aus Oberhollabrunn.
Flint. Ach ja, – Doktor Feuermann.
Hofrat (wie oben). Der wegen eines sogenannten Kunstfehlers angeklagt war und freigesprochen wurde.
Flint. Aber ich weiß ja. Professor Filitz hat ein lichtvolles Gutachten abgegeben. Zehn Stimmen gegen zwei. –
Feuermann. Neun gegen –
Hofrat winkt ihm ab.
Flint. Ich gratuliere Ihnen, lieber Herr Doktor Feuermann.
Feuermann. Ich bin sehr gerührt, Exzellenz, daß Exzellenz sich für meine geringfügige Angelegenheit –
Flint. Es gibt für mich keine geringfügige Angelegenheit. Es darf für unsereinen gar keine geben. In einem höheren Sinn ist alles gleich wichtig. (Er schaut flüchtig, aber Beifall suchend zum Hofrat.) Und es wird Ihnen vielleicht eine gewisse Genugtuung gewähren, wenn Sie erfahren, daß nicht zum geringsten unter dem Eindruck Ihrer »geringfügigen« Affäre eine gründliche Reform der medizinischen Studienordnung in Erwägung gezogen wird. Hoffentlich wird es möglich sein, diese auf Verordnungswege durchzuführen. Überhaupt, wenn man nicht immer erst das Parlament fragen müßte – (Blick zum Hofrat) wie einfach ließe sich regieren.
Hofrat. Jedenfalls g'schwinder, und das ist doch die Hauptsache.
Feuermann. Ich war so frei, Exzellenz –
Hofrat. Ich nehme an, Sie haben alles in Ihrem Gesuche angeführt, Herr Doktor.
Feuermann. Ich möchte nur noch erwähnen –
Hofrat. Das steht ja wahrscheinlich auch drin –
Feuermann. Jawohl.
Hofrat. Also, geben Sie's nur her, Herr Doktor, wird so rasch als möglich erledigt werden. Habe die Ehre, Herr Doktor.
Flint (der indes vom Diener einige Zeitungen bekommen hat). Guten Tag, Herr Doktor. (Reicht ihm die Hand, Feuermann geht. Flint, Hofrat.)
Flint (über eine Zeitung). Was will er denn eigentlich?
Hofrat. Gesuch um Versetzung, Exzellenz. Der arme Teufel wird natürlich in Oberhollabrunn boykottiert trotz des Freispruches –
Flint. Na ja, Sie ließen sich wahrscheinlich auch nicht von ihm behandeln.
Hofrat. Keineswegs, wenn ich ein Kind kriegen sollte.
Flint (Zeitung ärgerlich hinwerfend). Was gibt es sonst Neues?
Hofrat. Professor Ebenwald hat telephoniert. Er wird im Laufe des Vormittags vorsprechen.
Flint. Schon wieder? Er war doch erst vorgestern da.
Hofrat. Sie brauchen halt dringend Geld im Elisabethinum. Die Schulden wachsen ihnen über den Kopf.
Flint. Das Kuratorium hat doch seine Demission zurückgezogen nach Bernhardis Entfernung.
Hofrat. Ja. Es zeigt sich eben, daß der einzige, der das Kuratorium ein bisserl aufgemischt hat, der Bernhardi war. Seither schlafen sie alle. Sogar ich.
Flint. Eine Subvention müssen sie bekommen. Das habe ich schon seinerzeit dem Bernhardi versprochen.
Hofrat. Wir haben diesmal einen riesigen Voranschlag, mehr als dreitausend drücken wir nicht heraus, Exzellenz. Der Finanzminister ist schon so bös auf uns. Ich bin noch nicht einmal sicher, ob wir das Geld für den Neubau des physiologischen Institutes kriegen werden. Und das ist ja doch noch –
Flint. Wenn wir's im Budgetausschuß nicht durchsetzen – und noch einiges andere, so verlange ich im Parlament einen Separatkredit.
Hofrat. Oh!
Flint. Man wird ihn mir nicht verweigern. Die Liberalen und die Sozialdemokraten können es doch nicht tun, die schnitten sich ja ins eigene Fleisch, wenn sie plötzlich beim Bau wissenschaftlicher Institute von der Regierung Sparsamkeit fordern würden. Und was die Herren Christlichsozialen anbelangt, so habe ich wohl ein Recht, von ihnen zu erwarten, daß sie mir keine Unannehmlichkeiten bereiten. Finden Sie nicht?
Hofrat. Die Herrschaften hätten zum mindesten alle Ursache, Exzellenz dankbar zu sein.
Flint. Der Hieb sitzt nicht, lieber Hofrat. Nicht auf Dankbarkeit kommt es an im öffentlichen Leben, sondern auf korrekte Buchführung. Warten Sie die Bilanz ab. – Im übrigen muß ich Ihnen ja noch zu den gestrigen Landtagswahlen gratulieren. Zehn neue sozialdemokratische Mandate, das war nicht vorauszusehen.
Hofrat. Exzellenz, ich werde erst nach den Parlamentswahlen in der Lage sein, Glückwünsche entgegenzunehmen.
Flint. Die Parlamentswahlen dürften anders ausfallen. Übrigens waren die Majoritäten auch gestern nicht überwältigend. Also triumphieren Sie nicht zu früh, mein verehrter Herr Anarchist.
Hofrat. Exzellenz lassen mich aber geschwind avancieren. Eben erst wurde ich durch den Titel eines Sozialdemokraten ausgezeichnet.
Flint. Kein so großer Unterschied.
Hofrat. Im übrigen will auch ich nicht versäumen, zu der gestrigen Rede meinen Glückwunsch abzustatten.
Flint. Rede? – Ich bitte Sie, die paar improvisierten Worte. Aber sie haben gewirkt.
Hofrat. Wird allgemein konstatiert. (Auf die Zeitungen weisend.)
Flint. Jedenfalls, Herr Hofrat, zeugt es von rühmenswerter Objektivität, daß auch Sie sich den Gratulanten anschließen. Vor Ihnen hab ich ja geradezu Angst gehabt.
Hofrat. Zu schmeichelhaft, Exzellenz.
Flint. Denn daß Sie, lieber Hofrat, für eine Vermehrung der Religionsstunden eingenommen sein sollten, war mir vorerst unwahrscheinlich.
Hofrat. Und Exzellenz selbst?
Flint. Mein lieber Hofrat, wie ich privat zu diesen und anderen Fragen stehe, das ist ein Extrakapitel. So glattweg seine Ansichten daherplappern, das ist die Art politischer Dilettanten. Der Brustton der Überzeugung gibt einen hohlen Klang. Was wirkt, auch in der Politik, ist der Kontrapunkt.
Hofrat. Bis einer kommt, Exzellenz, dem wieder einmal eine Melodie einfällt.
Flint. Ganz fein. Aber um aus unserm metaphorischen Dialog wieder ins Reale hinabzusteigen, glauben Sie denn wirklich, lieber Hofrat, daß das Volk heute reif ist, oder jemals reif sein wird, ohne Religion zu existieren?
Hofrat. Was ich unter Religion verstehe, Exzellenz, kann man in jeder andern Stunde besser lernen, als in der sogenannten Religionsstunde.
Flint. Na, sind Sie ein Anarchist, lieber Hofrat, oder nicht?
Hofrat. Ja, es scheint, Exzellenz, – als Beamter, da hat man nur die Wahl – Anarchist oder Trottel. –
Flint (lachend). Na, einige Zwischenstufen werden Sie doch konzedieren. Aber glauben Sie mir, lieber Hofrat, der Anarchismus ist ein unfruchtbarer Seelenzustand. Ich habe auch einmal so ein Stadium durchgemacht. Das ist überwunden. Jetzt läßt sich meine Weltanschauung in einem Wort ausdrücken, mein lieber Hofrat: Arbeiten, Leisten! Alles übrige tritt dieser gebieterischen Forderung gegenüber in den Hintergrund. Und da ich, wie Ihnen nicht unbekannt ist, allerlei vorhabe, wobei ich die Mitwirkung des Parlamentes nicht entbehren kann, leider, so bin ich eben genötigt, was man so nennt, Konzessionen zu machen. Auch die Anarchisten machen Konzessionen, lieber Hofrat, sonst könnten sie nicht Hofräte werden. (Ernster.) Aber Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß es immer eine leichte Sache ist, Konzessionen zu machen. Oder meinen Sie, lieber Hofrat, es hat für mich kein Opfer bedeutet, diesen Leuten meinen alten Freund Bernhardi in den Rachen zu werfen? Und doch, es war notwendig. Die Zusammenhänge werden einmal klar werden. Es ist alles aufbewahrt. Und sollte einmal die Zeit kommen, wo ich gewisse Leute von meinen Rockschößen abschütteln werde, na, ich will nichts weiter sagen, – aber man wird einmal begreifen, daß ich nicht ein Minister für Kultus und Konkordat bin, wie mich heute irgendein Reporter in einem sogenannten Leitartikel zu nennen beliebt.
Hofrat. Ah!
Flint. Doch ganz nach Ihrem Herzen, was? Dabei ist es nicht einmal von ihm. Das Wort stammt von dem biedern Pflugfelder, der es neulich in einer dieser höchst überflüssigen Wählerversammlungen lanciert hat, wo er es notwendig fand, die Affäre Bernhardi aufzurollen. Ich finde überhaupt, lieber Hofrat, die Regierungsvertreter haben es in einigen dieser Versammlungen an der nötigen Energie fehlen lassen.
Hofrat. Aber die Versammlung, Exzellenz, in der Pflugfelder gesprochen hat, ist ja aufgelöst worden, mehr kann man doch nicht verlangen.
Flint. Aber wann? Erst als Pflugfelder den Erzbischof angriff, weil der den Pfarrer, der für Bernhardi so günstig ausgesagt hat, irgendwohin an die polnische Grenze versetzte.
Hofrat. Ja, die Erzbischöfe genießen natürlich eines höheren Schutzes bei der Regierung als die Minister.
Flint. Überhaupt diese Affäre Bernhardi! Es scheint, die Leute wollen sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Es war ein absolut perfider Artikel, der neulich in der »Arbeit« erschienen ist, in Ihrem Leiborgan, Herr Hofrat.
Hofrat. Er war nicht schlecht geschrieben. Aber ich hab kein Leiborgan. Ich bin gegen alle Zeitungen.
Flint. Und ich erst! Und jetzt fangen gar die liberalen Blätter an, die sich doch bisher zurückgehalten haben, Bernhardi als eine Art Märtyrer hinzustellen, als ein politisches Opfer klerikaler Umtriebe, als eine Art medizinischen Dreyfus. Haben Sie heute den Artikel in den »Neuesten Nachrichten« gelesen? Ein förmlicher Festgruß an Bernhardi, anläßlich seiner Haftentlassung. Es ist wirklich stark.
Hofrat. Bernhardi ist jedenfalls unschuldig daran.
Flint. Nicht so ganz. Er behagt sich offenbar in seiner Rolle. Daß ihm nahegelegt wurde, schon in der dritten Woche seiner Haft ein Gnadengesuch an Seine Majestät zu richten, das wahrscheinlich nicht abschlägig beschieden worden wäre, dürfte Ihnen auch bekannt sein, da Sie ja die Güte hatten, diese Mission bei ihm zu übernehmen.
Hofrat. Exzellenz wissen ja, ich hab ihm zugeredet. Aber es hat mir doch ganz gut gefallen, daß er von Gnade nichts hat wissen wollen.
Flint. Nun, es wäre bedauerlich, wenn er sich von seinen Freunden noch weiter in eine Sache hineinhetzen ließe, in der er doch immer den kürzeren ziehen müßte. Denn ich bin keineswegs geneigt, – und der Justizminister, mit dem ich gestern über die Sache gesprochen habe, steht durchaus auf meiner Seite –, gewissen Umtrieben noch weiter ruhig zuzusehen. Wir stehen vor einer Res judicata und sind entschlossen, erforderlichenfalls ohne jede Rücksicht vorzugehen. Und, wenn das notwendig werden müßte, es täte mir leid um Bernhardis willen. Denn so unklug er sich auch bisher benommen hat, und so viele Unannehmlichkeiten er mir auch schon bereitet hat, da drin – (auf sein Herz deutend) steckt noch immer eine gewisse Sympathie für ihn. So was, scheint's, wird man nie ganz los.
Hofrat. Ja, Jugendfreundschaften –
Flint. Freilich, das ist's. Aber unsereiner sollte von derlei Sentimentalitäten ganz frei sein. Was hat es am Ende mit der ganzen Angelegenheit zu tun, daß wir vor fünfundzwanzig Jahren gemeinsam Assistenten bei Rappenweiler waren? Daß wir im Garten des Krankenhauses miteinander spazierengegangen sind und einander unsere Zukunftspläne anvertraut haben? Man sollte keine Erinnerungen haben in unserer Stellung, kein Herz womöglich; über Leichen müßten wir gehen – ja, lieber Hofrat.
Diener tritt ein, bringt eine Karte.
Hofrat. Professor Ebenwald.
Flint. Lasse bitten.
Diener ab.
Flint. Wieviel, haben Sie gesagt, könnten wir für das Elisabethinum verlangen?
Hofrat. Dreitausend. –
Ebenwald tritt ein.
Ebenwald, Flint, Hofrat.
Ebenwald verbeugt sich.
Flint. Guten Morgen, lieber Herr Professor. Oder Herr Direktor vielmehr.
Ebenwald. Noch nicht, Exzellenz, nur stellvertretend. Es ist keineswegs unmöglich, daß Herr Professor Bernhardi in den nächsten Tagen wiedergewählt wird. Er ist ja nur suspendiert.
Hofrat. Mit dieser Wiederwahl würde es hapern. Denn nach dem augenblicklichen Stand der Dinge ist Bernhardi weder Professor noch Doktor.
Ebenwald. Nun ist es ja zweifellos, daß ihm die Rechtsfolgen seiner Strafe bald nachgesehen werden. Dank den Bemühungen einiger Freunde und einer gewissen Presse scheint sich ja ein Umschwung in der Stimmung vorzubereiten. Exzellenz wissen doch wohl auch schon, daß er soeben im Triumphe aus dem Kerker nach Hause geleitet worden ist.
Flint. Wie?
Ebenwald. Ja, meine Hörer haben es mir eben erzählt.
Flint. Im Triumph, was heißt das?
Ebenwald. Nun, eine Anzahl von Studenten soll ihn an der Kerkerpforte mit Hochrufen begrüßt haben.
Flint. Jetzt fehlt nur noch der Fackelzug.
Hofrat. Wenn Exzellenz vielleicht wünschen, daß dahin gehende Weisungen erteilt werden –
Ebenwald. Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß diese Demonstrationen mit dem Ausfall der gestrigen Wahlen in Zusammenhang stehen.
Flint. Glauben Sie? Es wäre nicht unmöglich. Ja, ja, sehen Sie, lieber Hofrat, man soll das nicht unterschätzen. Womit ich nicht sagen will, daß ich diesen Demonstrationen eine besondere Bedeutung beimessen möchte. Es werden Zionisten gewesen sein.
Ebenwald. Haben ja bei uns auch schon eine gewisse Macht.
Flint. Na. – (Ablenkend.) Sie kommen in Angelegenheit der Subvention, lieber Professor?
Ebenwald. Jawohl, Exzellenz.
Flint. Wir werden Ihnen leider nur einen Bruchteil der von Ihnen erwarteten Summe zur Verfügung stellen können. Aber dafür kann ich Ihnen die Mitteilung machen, daß die Verstaatlichung Ihres Institutes in ernste Erwägung gezogen wird.
Ebenwald. Exzellenz wissen ja so gut wie ich, ein wie weiter Weg leider noch von Erwägungen bis zu Entschlüssen zurückzulegen ist.
Flint. Sehr wahr, lieber Professor. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß wir uns hier nicht nur mit dem Elisabethinum und nicht nur mit der medizinischen Fakultät, sondern mit dem ganzen ungeheuren Gebiet des Kultus und Konkor – und Unterrichts zu befassen haben.
Ebenwald. Und wir Mitglieder des Elisabethinums wagen eben zu hoffen, daß Exzellenz, selbst aus unserm Stande hervorgegangen, überdies als akademischer Lehrer eine Zierde unserer Fakultät, gerade dem unter dem früheren Minister so arg vernachlässigten Zweig des medizinischen Unterrichts besondere Förderung würden angedeihen lassen.
Flint (zum Hofrat). Dieser Mann weiß mich an meiner schwachen Seite zu packen. Lieber Professor, daß ich Arzt und Lehrer bin, habe ich nicht vergessen. Nämlich, alles kann man aufhören zu sein, Arzt – nie. Und soll ich Ihnen was sagen, lieber Professor, aber verraten Sie's nicht, sonst würde man es im Parlament gegen mich ausnützen, ich hab manchmal eine Art Heimweh nach dem Laboratorium und nach dem Krankensaal. Es ist ein ruhigeres und schöneres Arbeiten, ich kann Sie versichern. Und wenn man etwas leistet, so merken's die andern. Eine Tätigkeit wie die unsere, die des Politikers meine ich, deren Resultate manchmal erst einer späteren Generation offenbar werden –
Diener bringt wieder eine Karte.
Hofrat. Professor Tugendvetter.
Flint. Den überlasse ich Ihnen, lieber Hofrat. Bitte, Herr Professor – (Flint und Ebenwald ab.)
Tugendvetter. Habe die Ehre, Herr Hofrat. Ich will nicht lange stören. Wenn muntre Reden sie begleiten, so fließt die Arbeit munter fort – wie? Also, ich erlaube mir wieder einmal anzufragen, wie denn eigentlich meine Angelegenheit steht.
Hofrat. Sie ist auf dem besten Wege, Herr Professor.
Tugendvetter. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, Herr Hofrat, daß mir persönlich an dem Titel nicht viel läge. Aber, Herr Hofrat, Sie wissen ja, wie die Frauen sind. –
Hofrat. Woher soll ich das wissen, Herr Professor?
Tugendvetter. Ach ja. Einsam bin ich, nicht allein – wie? Also, wir sind ja hier unter uns. Meine Frau ist wie verrückt auf den Hofratstitel. Sie kann es gar nicht mehr erwarten. Und wenn es zu ermöglichen wäre, daß die Ernennung schon vor dem ersten Juni erfolgte – das ist nämlich der Geburtstag meiner Gattin. Ich möcht ihr gern meinen Hofratstitel als Angebinde bringen.
Hofrat. Jedenfalls ein praktisches und billiges Geburtstagsgeschenk.
Tugendvetter. Also, wenn Sie etwas für die Beschleunigung meiner Angelegenheit tun könnten, Herr Hofrat –
Hofrat (im forcierten Beamtenton). Das Unterrichtsministerium ist leider nicht in der Lage, bei Verleihung von Titeln auf private Beziehungen, insonderheit auf Familienverhältnisse der Herren Professoren irgendeine Rücksicht zu nehmen, sofern eine solche nicht etwa durch spezielle Bestimmungen gewährleistet worden wäre.
Diener bringt eine Karte.
Hofrat (erstaunt). Ah.
Diener. Der Herr möchte Seine Exzellenz persönlich sprechen.
Hofrat. Es wird gewiß kein Hindernis obwalten, aber es soll mir ein besonderes Vergnügen sein, den Herrn Professor vorher in meinem Bureau zu begrüßen.
Diener ab.
Tugendvetter. Ich störe wohl.
Hofrat. Es ist ein guter Bekannter.
Bernhardi tritt ein.
Hofrat, Tugendvetter, Bernhardi.
Tugendvetter etwas erstaunt.
Bernhardi. Oh, Sie sind nicht allein, Herr Hofrat.
Tugendvetter. Bernhardi!
Hofrat (sehr warm ihm die Hand schüttelnd). Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen, Herr Professor.
Bernhardi. Auch ich freue mich sehr.
Tugendvetter. Sei mir gegrüßt, Bernhardi. (Streckt ihm die Hand entgegen.)
Bernhardi (reicht sie ihm kühl). Seine Exzellenz nicht zu sprechen?
Hofrat. Es wird nicht lange dauern. Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Professor?
Tugendvetter. Du – Du siehst famos aus. Ich – ich – ja weißt du, daß ich total daran vergessen hatte, – seit wann bist du denn eigentlich –
Hofrat (zu Bernhardi). Ich muß Sie noch beglückwünschen zu den Ovationen, die Ihnen heute früh dargebracht worden sind.
Tugendvetter. Ova–
Bernhardi. Ah, man ist hier schon informiert. Aber Ovationen, das ist doch ein etwas übertriebener Ausdruck.
Hofrat. Man spricht sogar von einem Fackelzug, der heute abend vor Ihrem Fenster stattfinden soll, – von einer Serenade des Brigittenauer Freidenkervereins.
Tugendvetter. Weißt du, lieber Bernhardi, ich hatte total vergessen, daß deine Kerkerstrafe heute abläuft. Nein, wie rasch eigentlich zwei Monate vergehen.
Bernhardi. Besonders unter freiem Himmel.
Tugendvetter. Aber du siehst wirklich geradezu glänzend aus. Ist's nicht wahr, Herr Hofrat? Wenn er an der Riviera gewesen wäre, könnte er auch nicht besser aussehen. Erholt geradezu.
Hofrat. Vielleicht entschließen sich Herr Professor zu einer kleinen Gotteslästerung, da könnte ich für so einen billigen Erholungsurlaub garantieren.
Tugendvetter (lachend). Danke, danke.
Bernhardi. Mir ist es übrigens wirklich nicht übel ergangen. Ein Engel hat über mir gewacht: das schlechte Gewissen der Leute, die mich hineingebracht haben.
Tugendvetter. Ich freue mich, Gelegenheit zu haben, dir zu sagen, daß meine Sympathien in dieser Affäre unentwegt auf deiner Seite waren.
Bernhardi. Hast du endlich Gelegenheit? Das freut mich.
Tugendvetter. Ich hoffe, du hast nie daran gezweifelt, daß ich –
Bernhardi. Wäre es nicht möglich, mich bei Seiner Exzellenz zu melden? Es ist nämlich eine ziemlich dringende Angelegenheit.
Hofrat. Seine Exzellenz wird gewiß gleich erscheinen.
Tugendvetter. Weißt du, was ich neulich gehört habe? Daß du die Absicht hast, eine Geschichte deiner ganzen Affäre zu schreiben.
Bernhardi. So, erzählt man das?
Hofrat. Das könnte ein interessantes Buch werden. Sie haben Gelegenheit gehabt, die Menschen kennenzulernen.
Bernhardi. Die meisten, lieber Hofrat, hat man ja doch schon früher gekannt. Und darüber, daß sich Leute schäbig gegen einen benehmen, den sie nicht mögen, oder weil sie persönlich aus ihrer Haltung einen gewissen Vorteil ziehen, darüber kann man sich doch am Ende nicht wundern. Eine Sorte ist mir ja allerdings immer rätselhaft geblieben –
Bernhardi. Die Leute mit der selbstlosen Gemeinheit, weißt du. Die, die sich gemein benehmen, ohne daß sie den geringsten Vorteil davon haben, nur aus Freude an der Sache sozusagen.
Flint und Ebenwald kommen.
Tugendvetter, Hofrat, Bernhardi, Flint, Ebenwald.
Flint (rasch gefaßt). Oh, Bernhardi!
Ebenwald (auch gleich gefaßt). Habe die Ehre, Herr Professor.
Bernhardi. Guten Tag. Herr Professor sind wohl in Angelegenheit des Elisabethinums hier?
Ebenwald. Jawohl.
Flint. Es handelt sich um die Subvention. –
Bernhardi. Ich habe mir immer gedacht, daß die Interessen meines Werkes bei Ihnen gut aufgehoben sein werden – für die Dauer meiner Abwesenheit.
Ebenwald. Ich danke für die freundliche Anerkennung, Herr Professor.
Flint (zu Bernhardi). Du hast mit mir zu sprechen, Bernhardi?
Bernhardi. Ich werde dich nicht lang in Anspruch nehmen.
Hofrat (zu Ebenwald und Tugendvetter). Darf ich die Herren vielleicht bitten. – (Ab mit den beiden Herren.)
Bernhardi, Flint.
Flint (rasch entschlossen). Ich nehme gern Anlaß, lieber Bernhardi, dir zu deiner Entlassung aus der Haft meinen Glückwunsch abzustatten. In meiner offiziellen Stellung war es mir leider nicht möglich, dich in angemessener Form wissen zu lassen, wie peinlich mich der Ausgang deines Prozesses überrascht hat; – um so mehr wird es mich freuen, dir nun, nachdem die Affäre erledigt ist, in irgendeiner Weise gefällig sein zu können.
Bernhardi. Du bist wirklich sehr liebenswürdig, lieber Flint. Ich komme tatsächlich, dich um eine Gefälligkeit ersuchen.
Flint. Ich höre.
Bernhardi. Die Sache ist nämlich die: Prinz Konstantin ist schwer erkrankt und hat mich rufen lassen.
Flint. So? – Aber ich wüßte nicht –
Bernhardi. Als Arzt rufen lassen. Ich soll wieder seine Behandlung übernehmen.
Flint. Nun ja, was hindert dich daran?
Bernhardi. Was mich daran hindert? Ich will mich nicht eines neuen Vergehens schuldig machen.
Flint. Eines Vergehens?
Bernhardi. Du weißt ja. Es wäre Kurpfuscherei, wenn ich die Behandlung des Prinzen Konstantin wieder übernähme. Da ich mich dazu habe hinreißen lassen, die Religion zu stören und darum verurteilt worden bin, habe ich ja mein Diplom und damit das Recht zur Ausübung der ärztlichen Praxis verloren. Und daher bin ich so frei, hier persönlich mein Gesuch um Nachsicht der Rechtsfolgen meiner Strafe zu überbringen. Ich komme zu dir, meinem alten Freunde, der, wie sich ja schon in andern Fällen gezeigt hat, in der Lage ist, auf die Entschlüsse des Justizministers einigen Einfluß zu nehmen, und bitte zugleich um tunlichste Beschleunigung, um, für den Fall, daß mein Gesuch bewilligt würde, den Prinzen nicht lange warten zu lassen.
Flint. Ach so. Ach so. Du kommst her, um dich über mich lustig zu machen.
Bernhardi. Wieso denn? Ich gehe nur korrekt vor. Ich habe absolut keine Lust, noch einmal zu sitzen, so gut es mir verhältnismäßig gegangen ist. Also, wenn du so freundlich sein willst – (überreicht ihm das Gesuch).
Flint. Bewilligt. Ich trage jede Verantwortung. Es liegt kein Anlaß vor, daß du dem Ruf des Prinzen Konstantin nicht auf der Stelle Folge leisten könntest. Ich verbürge mich mit meinem Wort, daß keinerlei Folgen strafrechtlicher Natur für dich daraus resultieren werden. Genügt dir das?
Bernhardi. Es könnte diesmal wohl genügen, da ja in diesem Fall das Worthalten mit keinerlei Unannehmlichkeiten für dich verbunden sein dürfte.
Flint. Bernhardi!
Bernhardi. Exzellenz?
Flint (gleich gefaßt). Nun, kenn ich dich, mein Lieber? Wüßt' ich nicht sofort, daß du nicht um des Prinzen Konstantin willen gekommen bist? Aber es ist gut so. Wir wollen einmal von der Sache reden, auf die du anspielst. Ich hätte dir's ohnehin nicht ersparen können. Also, des Wortbruches zeihst du mich.
Bernhardi. Jawohl, mein lieber Flint.
Flint. Und weißt du, was ich dir erwidere? Daß ich niemals ein Wort gebrochen habe. Denn ich hatte dir nie ein anderes gegeben als dies: für dich einzutreten. Und das konnte ich nicht besser tun, als indem ich die prozessuale Klarheit deines Falles anstrebte und durchsetzte. Ferner: selbst wenn ich das getan hätte, was du nennst »ein Wort zu brechen«, wäre es töricht von dir, mir daraus einen Vorwurf zu machen, denn du warst verloren, auch für den Fall, daß ich mein Wort gehalten hätte. Schon lag eine private Anzeige vor, und die Untersuchung gegen dich war nicht mehr aufzuhalten. Endlich aber – begreif es doch, daß es Höheres gibt im öffentlichen Leben, als ein Wort zu halten oder was du so nennst. Und das ist: sein Ziel im Aug behalten, sein Werk sich nicht entwinden lassen. Das aber habe ich niemals tiefer gefühlt als in jenem merkwürdigen Augenblick, da ich, im Begriff deine Partei zu nehmen, den Unmut, das Mißtrauen, die Erbitterung des Parlamentes immer näher an mich heranbrausen fühlte, und es mir gelang, mit einer glücklichen Wendung den drohenden Sturm zu beschwichtigen, die Wogen zu glätten und Herr der Situation zu sein.
Bernhardi. Wendung, das stimmt.
Flint. Mein bester Bernhardi, ich hatte nur die Wahl, wie ich in jenem Augenblick blitzartig erkannte, mit dir in einen Abgrund zu stürzen, also eine Art von Verbrechen an mir, meiner Mission, vielleicht an dem Staat zu begehen, der meiner Dienste bedarf, oder – einen Menschen preiszugeben, der ohnedies verloren war; dafür aber in der Lage zu sein, neue wissenschaftliche Institute zu bauen, die Studienordnung der verschiedenen Fakultäten in einer dem modernen Geist entsprechenden Weise umzugestalten, die Volksgesundheit zu heben und auf den verschiedensten Gebieten unseres Geisteslebens Reformen durchzuführen oder wenigstens vorzubereiten, die, wie du mir selbst später einmal zugeben wirst, mit zwei Monaten eines nicht sonderlich schweren Kerkers nicht zu teuer bezahlt sein dürften. Denn du wirst hoffentlich nicht glauben, daß dein Märtyrertum mir besonders imponiert. Ja, wenn du für irgend was Großes, für eine Idee, für dein Vaterland, für deinen Glauben all die verschiedenen Unannehmlichkeiten auf dich genommen hättest, die nun durch allerlei kleine Triumphe schon längst aufgewogen sind, dann vermöchte ich Respekt vor dir zu empfinden. Aber ich sehe in deinem ganzen Benehmen, – als alter Freund darf ich es dir wohl sagen –, nichts als eine Tragikomödie des Eigensinns, und erlaube mir überdies zu bezweifeln, daß du sie mit der gleichen Konsequenz durchgeführt hättest, wenn heute noch in Österreich die Scheiterhaufen gen Himmel lohten.
Bernhardi sieht ihn eine Weile an, dann beginnt er zu applaudieren.
Flint. Was fällt dir ein?
Bernhardi. Ich dachte, es würde dir fehlen.
Flint. Und anders als mit diesem mäßigen Spaß vermagst du mir nicht zu erwidern?
Bernhardi. Was dir zu entgegnen wäre, weißt du geradesogut als ich selbst; ich glaube sogar, – als alter Freund darf ich dir das wohl sagen –, du vermöchtest das mit bessern Worten als ich. Also, welchen Sinn hätte es, dir zu erwidern, hier unter vier Augen?
Flint. Ach so. So, so. Nun, du darfst nicht etwa glauben, daß es im Ministerium nicht bekannt ist, mit welchen Absichten du dich trägst. Ich frage mich nur, was dich unter diesen Umständen veranlassen konnte, mich durch die Ehre deines persönlichen Besuches auszuzeichnen? Denn wegen des Prinzen Konstantin –
Bernhardi. Vielleicht war ich etwas zu gründlich, mein Lieber. Es mußte mich begreiflicherweise interessieren, was du zur Erklärung deines Verhaltens mir gegenüber vorbringen könntest. Und diese Unterhaltung zwischen der Exzellenz und dem entlassenen Kerkersträfling gäbe ein ganz wirksames Schlußkapitel für ein gewisses Buch, wenn es der Mühe wert wäre, es zu schreiben.
Flint. Oh, ich hoffe, du läßt dich nicht abhalten. Es könnte ja gleich als deine Kandidatenrede gelten.
Bernhardi. Kandidatenrede?
Flint. Ach, es ist gewiß nur eine Frage von Tagen oder Stunden, daß man dir ein Mandat anbietet.
Bernhardi. Mein lieber Flint, die Politik gedenke ich auch weiterhin dir ganz allein zu überlassen.
Flint. Politik! Politik! Wenn ihr mich nur endlich damit in Ruhe ließet. Der Teufel hole die Politik. Ich habe das Portefeuille angenommen, einfach weil ich weiß, daß kein anderer da ist, der das heute in Österreich machen kann, was endlich gemacht werden muß. Aber wenn es mir vielleicht auch bestimmt ist, eine neue Epoche einzuleiten, in meiner Existenz werden diese paar Ministerjahre – oder -monate nur eine Episode bleiben. Das hab ich immer gewußt und fühle es stärker von Tag zu Tag. Ich bin Arzt, Lehrer, ich sehne mich nach Kranken, nach Studenten. –
Hofrat tritt ein. Flint, Bernhardi.
Hofrat. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Exzellenz, daß ich so frei bin, – aber ich erhalte soeben eine äußerst wichtige Mitteilung aus dem Justizministerium, und da sie überdies auf die Affäre des Herrn Professor Bezug hat –
Bernhardi. Auf meine?
Hofrat. Jawohl. Nämlich, die Schwester Ludmilla, die Kronzeugin in Ihrer Affäre, hat eine Eingabe gemacht, in der sie sich selbst der falschen Zeugenaussage in Ihrem Prozeß bezichtigt.
Bernhardi. Sich selbst. –
Flint. Ja, was ist denn da – – –
Hofrat. Herr Sektionsrat Bermann vom Justizministerium wird sich in kürzester Zeit hier einfinden, um persönlich genauen Bericht zu erstatten. An der Tatsache ist ein Zweifel keineswegs mehr zulässig. Die Eingabe der Schwester liegt vor.
Flint. Liegt vor?
Hofrat. Und Herr Professor werden selbstverständlich sofort eine Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen.
Bernhardi. Wiederaufnahme?
Hofrat. Natürlich.
Bernhardi. Ich denke nicht daran.
Flint. Ah!
Bernhardi. Wozu denn? Soll ich den ganzen Schwindel noch einmal mitmachen? Jetzt in anderer Beleuchtung? Alle vernünftigen Menschen wissen doch, daß ich unschuldig gesessen bin, und die zwei Monate, die nimmt mir ja doch keiner ab.
Flint. Die zwei Monate! Immer diese zwei Monate! Als wenn es darauf ankäme. Hier stehen höhere Werte zur Frage. Du hast kein Rechtsgefühl, Bernhardi.
Bernhardi. Offenbar.
Flint. Wissen Sie schon etwas Näheres, Herr Hofrat?
Hofrat. Nicht sehr viel. Das Sonderbarste an der Sache ist, wie mir der Sektionsrat telephoniert, daß die Schwester Ludmilla, wie sie in ihrem Bericht angibt, das Geständnis ihrer falschen Zeugenaussage zuerst in der Beichte abgelegt hat, und der Beichtvater selbst habe ihr auferlegt, ihre schwere Sünde, soweit es in ihren Kräften steht, wieder gutzumachen.
Flint. Der Beichtvater?
Hofrat. Offenbar hat er keine Ahnung gehabt, um was es sich handelt.
Flint. Warum? Woher wissen Sie das so genau?
Bernhardi. Ich soll noch einmal vor Gericht? Ich bin imstande und stelle der Schwester Ludmilla ein Gutachten aus, daß sie schwer hysterisch und unzurechnungsfähig ist.
Flint. Das sähe dir ähnlich.
Bernhardi. Was ich schon davon habe, wenn diese Person nachträglich eingesperrt wird – –
Hofrat. Aber das könnte auch noch wem andern passieren bei dieser Gelegenheit. Es gibt da einen gewissen Herrn Hochroitzpointner, dem dürfte es übel ergehen, um so mehr, als über diesen Herrn auch von anderer Seite das Schicksal hereinzubrechen droht.
Bernhardi. In diesem Fall heißt das Schicksal wohl Kurt Pflugfelder?
Hofrat. Ich glaube.
Flint. Sie sind ja auffallend gut unterrichtet, Herr Hofrat.
Hofrat. Meine Pflicht, Exzellenz.
Bernhardi. Dieser Jämmerling ist doch wirklich nicht so viel Aufwand an Zeit wert. Daß der gute Kurt, der wahrhaftig auch was Besseres zu tun hätte –
Flint (der hin und her gegangen ist). In der Beichte. – Das sollte gewisse Leute doch wohl stutzig machen. Es wird sich vielleicht herausstellen, daß die katholischen Gebräuche zuweilen auch für Andersgläubige von ziemlich wohltätigen Folgen begleitet sein könnten.
Bernhardi. Ich verzichte auf die wohltätigen Folgen. Ich will meine Ruhe haben!
Hofrat. Es ist nicht anzunehmen, Herr Professor, daß der weitere Verlauf der Angelegenheit von Ihnen allein abhängen dürfte. Die wird jetzt ihren Weg gehen, auch ohne Sie.
Bernhardi. Es wird ihr nichts anderes übrigbleiben.
Flint. Ich möchte mir doch erlauben, dich aufmerksam zu machen, Bernhardi, daß es sich in dieser Sache nicht ausschließlich um deine Bequemlichkeit handelt. Und es würde einen kuriosen Eindruck machen, wenn du jetzt, wo dir der korrekte Weg vorgezeichnet ist, zu deinem Recht zu gelangen, einen andern, deiner vielleicht weniger würdigen einschlügest und dich mit Leuten aller Art einließest, Reportern und –
Bernhardi. Ich schlage überhaupt keinen Weg mehr ein. Ich habe genug. Für mich ist diese Angelegenheit erledigt.
Flint. Ei, ei.
Bernhardi. Vollkommen erledigt.
Flint. So plötzlich? Und es hieß doch sogar, du wolltest über die Angelegenheit eine Broschüre schreiben oder gar ein Buch. Nicht wahr, Hofrat, man erzählte doch –
Bernhardi. Ich sehe ein, daß es nicht mehr notwendig ist. – Und wenn es zu einem zweiten Prozeß kommt, meine Aussage aus dem ersten liegt vor, ich habe ihr nichts hinzuzufügen. Auf die Vorladung des Herrn Ministers verzichte ich.
Flint. Ach so. Aber du wirst schwerlich etwas dagegen tun können, wenn ich selbst es für richtig erachten sollte, vor Gericht zu erscheinen. Man wird es verstehen, sogar du, Bernhardi, wirst es am Ende verstehen müssen, daß meine Tendenz von Anfang an nach keiner andern Richtung ging, als Klarheit zu schaffen. Der erste Prozeß war eine Notwendigkeit; – denn wie konnten wir sonst zum zweiten gelangen, der erst völlige Klarheit bringen wird. Und es ist vielleicht ganz gut, mein lieber Bernhardi, sein Pulver nicht allzufrüh zu verschießen.
(Deutet auf seine Brusttasche.)
Bernhardi. Was ist das?
Flint. Ein Brief, mein Lieber. Ein gewisser Brief, der vielleicht noch seine Dienste tun wird in dem Kampf, der uns bevorsteht. Dein Brief!
Bernhardi. Ah, mein Brief. Ich dachte schon, es wäre dein Artikel.
Flint. Was für –
Bernhardi. Nun, der berühmte aus deiner Assistentenzeit – »Gotteshäuser – Krankenhäuser« –
Flint. Ah so –
Hofrat fragende Gebärde.
Flint. Ja, lieber Hofrat, einer aus meiner – revolutionären Zeit. Wenn er Sie interessiert, so will ich ihn gern einmal hervorsuchen und –
Bernhardi. Er existiert?
Flint (sich an die Stirne greifend). Nein, was es für Erinnerungstäuschungen gibt, – ich habe ihn ja nie geschrieben, – aber wer weiß, vielleicht komme ich demnächst in die Lage, – ihn zu sprechen.
Diener (tritt ein). Herr Sektionsrat Bermann möchte Seine Exzellenz persönlich –
Flint. Ah! (Zu Bernhardi.) Willst du vielleicht die Freundlichkeit haben, dich noch ein wenig zu gedulden?
Bernhardi. Ja, der Prinz Konstantin –
Flint. Hat zwei Monate auf dich gewartet. Es wird ihm nicht auf die halbe Stunde ankommen. Halten Sie ihn mir zurück, bester Herr Hofrat. Es könnte sich vielleicht die Notwendigkeit ergeben, über ein gemeinsames Vorgehen zu beraten. Also, Bernhardi, die kleine Gefälligkeit kann ich wohl von dir verlangen. (Ab.)
Hofrat, Bernhardi.
Hofrat. Herr Professor sind zum Prinzen Konstantin berufen worden? Heut schon? Das sieht ihm ähnlich!
Bernhardi. Ich werde nur hingehen, ihn bitten, auf meinen ärztlichen Rat für die nächste Zeit zu verzichten. Vor dem, was sich jetzt zu entwickeln scheint, ergreife ich die Flucht.
Hofrat. Ich fürchte nur, da werden Sie länger ausbleiben müssen, als Ihren zahlreichen Patienten angenehm sein dürfte. Denn jetzt fängt die Geschichte erst an, Herr Professor, – und sie kann lang dauern!
Bernhardi. Ja, was soll ich nur tun?
Hofrat. Man gewöhnt's. Mit der Zeit wird man sogar stolz darauf.
Bernhardi. Stolz? Ich? Sie können sich ja gar nicht vorstellen, Herr Hofrat, wie lächerlich ich mir eigentlich vorkomme. Heute früh schon, – der Empfang an der Kerkertür! und der Artikel in den Neuesten Nachrichten –, haben Sie ihn gelesen? Ich habe mich wahrhaftig geschämt, – und allerlei Pläne sind in diesem lauen Gefühl des Lächerlichwerdens verronnen.
Hofrat. Pläne –? Ah, Sie meinen – Ihr Buch.
Bernhardi. Nicht gerade das. – Mit dem ist es mir schon in einem früheren Stadium der Angelegenheit ähnlich ergangen. Als ich mich daranmachte, es zu schreiben, in der beschaulichen Zurückgezogenheit meiner Haft, da habe ich noch einen ganz tüchtigen Zorn in mir gehabt, aber im Lauf der Arbeit verrauchte der mehr und mehr. Aus der Anklageschrift gegen Flint und Genossen wurde allmählich, – ich könnte selber gar nicht recht sagen wie –, vielleicht in der Erinnerung an ein ganz bestimmtes Erlebnis –, so was wie ein philosophischer Traktat.
Hofrat. Davon wird Ihr Verleger weniger Freud' haben.
Bernhardi. Das Problem war nicht mehr österreichische Politik oder Politik überhaupt, sondern es handelte sich plötzlich um allgemein ethische Dinge, um Verantwortung und Offenbarung, und im letzten Sinn um die Frage der Willensfreiheit. –
Hofrat. Ja, darauf läuft's am Ende immer hinaus, wenn man den Dingen auf den Grund geht. Aber 's ist besser, man bremst früher, sonst passiert's einem eines schönen Tags, daß man anfangt, alles zu verstehen und zu verzeihen, – und wenn man nicht mehr lieben und hassen darf, – wo bleibt dann der Reiz des Lebens?
Bernhardi. Man liebt und haßt doch weiter, lieber Hofrat! Aber jedenfalls können Sie sich denken, daß in meinem Buch für Seine Exzellenz den Minister Flint nicht mehr viel Raum übrig war. Und da habe ich mir vorgenommen, wenn er schon nicht zu lesen bekommt, was ich gegen ihn auf dem Herzen habe, so soll er's doch wenigstens hören.
Hofrat. Darum also haben wir das Vergnügen?
Bernhardi. Ja, es war meine Absicht, ihm ins Gesicht zu sagen – na, Sie können sich ungefähr denken, was. Noch heute früh, als ich zum letztenmal im Gefängnis erwachte, war es meine Absicht. Aber da kam die Ovation und der Leitartikel und Briefe, die ich zu Hause fand, und da hab ich nur getrachtet, meinem alten Freund möglichst rasch wieder gegenüberzutreten, um wenigstens für die große Abrechnung noch den nötigen Ernst zur Verfügung zu haben. Aber wie ich ihm endlich gegenüberstand, da ist auch der letzte Rest von Groll in mir verlöscht. Sie hätten ihn nur hören sollen –! Ich konnte ihm unmöglich böse sein. Fast glaub ich, ich bin's ihm nie gewesen.
Hofrat. Der Minister hat Sie auch immer gern gehabt. Ich versichere Sie!
Bernhardi. Und jetzt noch die Geschichte mit der Schwester Ludmilla – und die in Aussicht stehende Revision, also, Sie werden begreifen, Herr Hofrat, daß ich, um überhaupt zu mir selbst zu kommen und wieder Respekt vor mir zu kriegen, vor all dem Lärm entfliehen muß, der sich jetzt rings um mich erhebt, einfach weil die Leute allmählich drauf kommen, daß ich recht gehabt habe.
Hofrat. Aber Herr Professor, was fallt Ihnen denn ein? Vom Rechthaben ist noch keiner populär geworden. Nur wenn es irgendeiner politischen Partei in den Kram paßt, daß er recht hat, dann passiert ihm das – Und nebenbei, Herr Professor, ist das ja nur eine Einbildung von Ihnen, daß Sie recht gehabt haben.
Bernhardi. Was, Herr Hofrat? Einbildung, daß ich – Habe ich Sie richtig verstanden?
Hofrat. Ich glaub schon.
Bernhardi. Sie finden, Herr Hofrat –? Das müssen Sie mir doch gefälligst erklären. Ihrer Ansicht nach hätt' ich Seine Hochwürden –
Hofrat. Allerdings hätten Sie, mein verehrter Herr Professor! Denn zum Reformator sind Sie ja wahrscheinlich nicht geboren.
Bernhardi. Reformator –? Aber ich bitte Sie –
Hofrat. So wenig wie ich. – Das dürfte wohl daran liegen, daß wir uns doch innerlich nicht bereit fühlen, bis in die letzten Konsequenzen zu gehn – und eventuell selbst unser Leben einzusetzen für unsere Überzeugung. Und darum ist es das Beste, ja das einzig Anständige, wenn unsereiner sich in solche – G'schichten gar nicht hineinmischt. –
Bernhardi. Aber –
Hofrat. Es kommt nichts heraus dabei. Was hätten Sie denn am End damit erreicht, mein lieber Professor, wenn Sie der armen Person auf dem Sterbebett einen letzten Schrecken erspart hätten –? Das kommt mir grad so vor, wie wenn einer die soziale Frage lösen wollte, indem er einem armen Teufel eine Villa zum Präsent macht.
Bernhardi. Sie vergessen nur das eine, lieber Herr Hofrat, wie die meisten übrigen Leute, daß ich ja nicht im entferntesten daran gedacht habe, irgendeine Frage lösen zu wollen. Ich habe einfach in einem ganz speziellen Fall getan, was ich für das Richtige hielt.
Hofrat. Das war eben das Gefehlte. Wenn man immerfort das Richtige täte, oder vielmehr, wenn man nur einmal in der Früh, so ohne sich's weiter zu überlegen, anfing', das Richtige zu tun und so in einem fort den ganzen Tag lang das Richtige, so säße man sicher noch vorm Nachtmahl im Kriminal.
Bernhardi. Und soll ich Ihnen etwas sagen, Herr Hofrat? Sie in meinem Fall hätten genau so gehandelt.
Hofrat. Möglich. – Da wär ich halt, – entschuldigen schon, Herr Professor, – grad so ein Viech gewesen wie Sie.
Vorhang.