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Ein mäßiger Vorraum, der zu einem Krankenzimmer führt. Rechts eine Türe auf den Gang. Im Hintergrund Türe ins Krankenzimmer. Links ein ziemlich breites Fenster. In der Mitte mehr links ein länglicher Tisch, auf dem ein dickes Protokollbuch liegt, außerdem Mappen mit Krankengeschichten, Aktenstücke und allerlei Papiere. Neben der Eingangstüre ein Kleiderrechen. In dem Winkel rechts ein eiserner Ofen. Neben dem Fenster eine breite Etagère, zu oberst ein Ständer mit Eprouvetten; daneben einige Medizinflaschen. In den unteren Fächern Bücher und Zeitschriften. Neben der Mitteltüre beiderseits je ein geschlossener Schrank. An dem Kleiderrechen hängt ein weißer Kittel, ein Mantel, ein Hut. Über der Etagère eine ziemlich alte Photographie, das Professorenkollegium darstellend. Einige Sessel nach Bedarf.
Schwester Ludmilla, etwa 28, leidlich hübsch, blaß, mit großen, manchmal etwas schwimmenden Augen, eben an der Etagère beschäftigt. Aus dem Krankensaal kommt Hochroitzpointner, 25jähriger junger Mensch, mittelgroß, dick, kleiner Schnurrbart, Schmiß, Zwicker, blaß, das Haar sehr geschniegelt.
Hochroitzpointner. Der Professor ist noch immer nicht da? Lang' brauchen die heut' unten. (An den Tisch, eine der Mappen aufschlagend.) Das ist jetzt die dritte Sektion in acht Tagen. Alles mögliche für eine Abteilung von zwanzig Betten. Und morgen haben wir wieder eine.
Schwester. Glauben Herr Doktor? Die Sepsis?
Hochroitzpointner. Ja. Ist übrigens die Anzeige gemacht?
Schwester. Natürlich, Herr Doktor.
Hochroitzpointner. Nachweisbar ist ja nichts gewesen. Aber es war sicher ein verbotener Eingriff. Ja, Schwester, da draußen in der Welt kommen allerlei Sachen vor. (Er bemerkt ein geöffnetes Paket, das auf dem Tisch liegt.) Ah, da sind ja die Einladungen zu unserm Ball. (Liest.) Unter dem Protektorate der Fürstin Stixenstein. Na, werden Sie auch auf unsern Ball kommen, Schwester?
Schwester (lächelnd). Das wohl nicht, Herr Doktor.
Hochroitzpointner. Ist es Ihnen denn verboten zu tanzen?
Schwester. Nein, Herr Doktor, Wir sind ja kein geistlicher Orden. Uns ist gar nichts verboten.
Hochroitzpointner (mit pfiffigem Blick auf sie). So, gar nichts?
Schwester. Aber es möcht' sich doch nicht schicken. Und außerdem, man hat doch nicht den Kopf drauf in unserm Beruf.
Hochroitzpointner. Ja, warum denn? Was sollten denn dann wir sagen, wir Ärzte! Schaun Sie sich zum Beispiel den Doktor Adler an. Der ist gar pathologischer Anatom und ein sehr fideler Herr. Übrigens, ich bin auch nirgends besser aufgelegt als im Seziersaal.
Dr. Oskar Bernhardi von rechts, 25 Jahre, recht elegant, von zuvorkommendem, aber etwas unsicherem Benehmen. Hochroitzpointner, Schwester.
Oskar. Guten Morgen.
Hochroitzpointner und Schwester. Guten Morgen, Herr Assistent.
Oskar. Der Papa wird gleich da sein.
Hochroitzpointner. Also schon aus unten, Herr Assistent? Was ist denn konstatiert worden, wenn man fragen darf?
Oskar. Von der Niere ist der Tumor ausgegangen und war ganz scharf umgrenzt.
Hochroitzpointner. Also hätt' man eigentlich noch operieren können?
Oskar. Ja, können. –
Hochroitzpointner. Wenn der Professor Ebenwald auch daran geglaubt hätte –
Oskar. – hätten wir die Sektion um acht Tage früher gehabt. (Am Tisch.) Ah, da sind ja die Drucksorten von unserm Ball. Warum einem die Leute das daherschicken . . .?!
Hochroitzpointner. Der Ball des Elisabethinums verspricht heuer eines der elegantesten Karnevalsfeste der Saison zu werden. Steht schon in der Zeitung. Herr Assistent haben ja dem Komitee einen Walzer gewidmet, wie man hört. –
Oskar (abwehrend). Aber – (zum Krankensaal hin). Was Neues da drin?
Hochroitzpointner. Mit der Sepsis geht's zu Ende.
Oskar. Na ja . . . (bedauernd) Da war nichts zu machen.
Hochroitzpointner. Ich hab' ihr eine Kampferinjektion gegeben.
Oskar. Ja, die Kunst, das Leben zu verlängern, die verstehen wir aus dem Effeff.
Von rechts Professor Bernhardi, über fünfzig, graumelierter Vollbart, schlichtes, nicht zu langes Haar, im Gehaben mehr vom Weltmann als vom Gelehrten. Doktor Kurt Pflugfelder, sein erster Assistent, 27, Schnurrbart, Zwicker, lebhaft und zugleich etwas streng im Wesen. Hochroitzpointner, Schwester, Oskar. Begrüßung.
Bernhardi (noch an der Türe). Aber –
Schwester nimmt ihm den Überzieher ab, den er umgehängt trägt, und hängt ihn an einen Haken.
Kurt. Also, ich kann mir nicht helfen, Herr Professor, dem Doktor Adler wäre es ja doch lieber gewesen, wenn die Diagnose des Professor Ebenwald gestimmt hätte.
Bernhardi (lächelnd). Aber, lieber Doktor Pflugfelder! Überall wittern Sie Verrat. Wo werden Sie noch hinkommen mit Ihrem Mißtrauen?
Hochroitzpointner. Guten Morgen, Herr Professor.
Bernhardi. Guten Morgen.
Hochroitzpointner. Höre eben von Herrn Doktor Oskar, daß wir recht behalten haben.
Bernhardi. Ja, Herr Kollege. Aber »wir« haben doch zugleich unrecht behalten? Oder hospitieren Sie nicht mehr bei Professor Ebenwald?
Oskar. Der Doktor Hochroitzpointner hospitiert ja beinahe auf allen Abteilungen.
Bernhardi. Da müssen Sie viele Patriotismen auf Lager haben.
Hochroitzpointner bekommt schmale Lippen.
Bernhardi (ihm die Hand leicht auf die Schulter legend, freundlich). Na, also was gibt's denn Neues?
Hochroitzpointner. Der Sepsis geht's recht schlecht.
Bernhardi. So lebt also das arme Mädel noch?
Kurt. Die hätten sie sich auch auf der gynäkologischen Abteilung behalten können.
Oskar. Sie haben vorgestern grad kein Bett freigehabt.
Hochroitzpointner. Was werden wir denn eigentlich als Todesursache angeben?
Oskar. Na, Sepsis natürlich.
Hochroitzpointner. Und Ursache der Sepsis? Weil's ja doch wahrscheinlich ein verbotener Eingriff war –
Bernhardi (der unterdessen am Tisch einige Schriftstücke unterzeichnet hat, die ihm die Schwester vorlegte). Das konnten wir nicht nachweisen. Eine Verletzung war nicht zu konstatieren. Die Anzeige ist erstattet, damit ist für uns die Sache erledigt. Und für die arme Person drin . . . war sie's schon früher.
(Er steht auf und will sich in den Krankensaal begeben.)
Professor Ebenwald kommt, sehr großer, schlanker Mensch, gegen 40, umgehängter Überzieher, kleiner Vollbart, Brille, redet bieder und mit einem zuweilen etwas übertriebenen österreichischen Akzent. Hochroitzpointner, Schwester, Oskar, Prof. Bernhardi, Kurt.
Ebenwald. Guten Morgen. Ist vielleicht – Ah, da sind Sie ja, Herr Direktor.
Bernhardi. Guten Tag, Herr Kollege.
Ebenwald. Haben Herr Direktor eine Minute Zeit für mich?
Bernhardi. Jetzt?
Ebenwald (näher zu ihm). Wenn es möglich wäre. Es ist nämlich wegen der Neubesetzung der Abteilung Tugendvetter.
Bernhardi. Eilt das gar so? Wenn Herr Kollege mich vielleicht in einer halben Stunde in der Kanzlei –
Ebenwald. Ja, wenn ich da nicht grad meinen Kurs hätte, Herr Direktor.
Bernhardi (nach kurzer Überlegung). Ich bin drin bald fertig. Wenn Sie sich vielleicht hier gedulden wollen, Herr Kollege.
Ebenwald. Bitte, bitte.
Bernhardi (zu Oskar). Hast du dem Doktor Hochroitzpointner das Sektionsprotokoll schon gegeben?
Oskar. Ja, richtig. (Nimmt es aus seiner Tasche.) Sie sind vielleicht so gut, Herr Kollege, und tragen es gleich ein.
Hochroitzpointner. Bitte.
(Bernhardi, Oskar, Kurt, Schwester in den Krankensaal. Ebenwald, Hochroitzpointner.)
Hochroitzpointner setzt sich und macht sich bereit zu schreiben.
Ebenwald ist zum Fenster gegangen, schaut hinunter, wischt sich die Brille.
Hochroitzpointner (beflissen). Wollen Herr Professor nicht Platz nehmen.
Ebenwald. Lassen Sie sich nicht stören, Hochroitzpointner. Na, wie geht's denn immer?
Hochroitzpointner (sich erhebend). Danke bestens, Herr Professor. Wie's halt geht, ein paar Wochen vor dem letzten Rigorosum.
Ebenwald. Na, es wird Ihnen schon nix g'schehn – bei Ihrem Fleiß.
Hochroitzpointner. Ja, praktisch fühle ich mich leidlich sicher, aber die graue Theorie, Herr Professor.
Ebenwald. Ah so. Na, war auch nie meine starke Seite. (Näher zu ihm.) Wenn es Sie beruhigt, bin seinerzeit aus der Physiologie sogar durchgesaust. Sie sehen, es schad't der Karriere nicht besonders.
Hochroitzpointner, der sich niedergesetzt hat, lacht erfreut.
Ebenwald (Hochroitzpointner über die Schulter schauend). Sektionsprotokoll.
Hochroitzpointner. Jawohl, Herr Professor.
Ebenwald. Große Freude in Israel – wie?
Hochroitzpointner (unsicher). Wie meinen, Herr Professor?
Ebenwald. Na, weil die Abteilung Bernhardi triumphiert hat.
Hochroitzpointner. Ah, Herr Professor meinen, daß der Tumor abgegrenzt war.
Ebenwald. Und ist ja tatsächlich von der Niere ausgegangen.
Hochroitzpointner. Aber mit absoluter Sicherheit war das doch eigentlich nicht zu konstatieren. Es war doch mehr, wenn ich so sagen darf, ein Raten.
Ebenwald. Aber Hochroitzpointner, raten –! Wie können Sie nur –! Intuition heißt man das! Diagnostischen Scharfblick!
Hochroitzpointner. Und zu operieren wär's doch keinesfalls mehr gewesen.
Ebenwald. Ausgeschlossen. Das können sich die drüben im Krankenhaus erlauben, solche Experimente, aber wir, in einem verhältnismäßig jungen, sozusagen privaten Institut – Wissen S', lieber Kollega, es gibt so Fälle, wo immer nur die Internisten fürs Operieren sind. Dafür operieren wir ihnen dann immer zuviel. – Aber schreiben S' nur weiter.
Hochroitzpointner beginnt zu schreiben.
Ebenwald. Ja richtig, entschuldigen Sie, daß ich Sie noch einmal störe. Sie hospitieren doch natürlich auch auf der Abteilung Tugendvetter?
Hochroitzpointner. Jawohl, Herr Professor.
Ebenwald. Ich möcht Sie nämlich im Vertrauen fragen. Wie tragt denn eigentlich der Doktor Wenger vor?
Hochroitzpointner. Der Doktor Wenger?
Ebenwald. Na ja, er suppliert doch den Alten öfters, wenn der grad dringend auf die Jagd fahren muß oder zu einem ang'steckten Fürsten geholt wird.
Hochroitzpointner. Ja freilich, da tragt dann der Doktor Wenger vor.
Ebenwald. Also, wie tragt er denn vor?
Hochroitzpointner (unsicher). Eigentlich ganz gut.
Ebenwald. So.
Hochroitzpointner. Vielleicht etwas zu – zu gelehrt. Aber recht lebendig. Freilich – aber, ich darf mir vielleicht nicht erlauben, über einen künftigen Chef –
Ebenwald. Wieso künftiger Chef? Das ist noch gar nicht entschieden. Sind auch andere da. Und im übrigen, das ist doch ein Privatgespräch. Wir könnten grad so gut im Riedhof drüben miteinander sitzen und plaudern. Na, reden Sie nur. Was haben Sie gegen den Doktor Wenger? Volkes Stimme, Gottes Stimme.
Hochroitzpointner. Also, gegen seinen Vortrag hab ich eigentlich weniger, aber so seine ganze Art. Wissen, Herr Professor, so ein bißchen präponderant ist er halt in seinem Wesen.
Ebenwald. Aha. Das, worauf Sie da anspielen, ist wahrscheinlich identisch mit dem, lieber Kollege, was mein Vetter neulich im Parlament so zutreffend den »Jargon der Seele« genannt hat.
Hochroitzpointner. Ah, sehr gut. Jargon der Seele. (Couragiert.) Den andern hat er aber auch, der Doktor Wenger.
Ebenwald. Das möcht nix machen. Wir leben schon einmal in einem Reich der Dialekte.
(Bernhardi, Oskar, Kurt und Schwester aus dem Krankenzimmer.)
Bernhardi. So, da bin ich, Herr Kollega.
Schwester legt ihm ein Blatt zum Unterschreiben vor.
Bernhardi. Was ist denn? Noch was? Ah so. Also, entschuldigen Sie noch einen Moment, Herr Kollega. (Während er unterschreibt.) Es wirkt doch immer wieder erstaunlich. – (Zu Ebenwald.) Da haben wir nämlich drin eine Sepsis liegen. Achtzehnjähriges Mädel. Vollkommen bei Bewußtsein. Möcht aufstehen, spazieren gehen, hält sich für ganz gesund. Und der Puls nicht mehr zu zählen. In einer Stunde kann's aus sein.
Ebenwald (fachlich). Das sehen wir öfters.
Hochroitzpointner (beflissen). Soll ich ihr vielleicht noch eine Kampferinjektion geben?
Bernhardi (ihn ruhig ansehend). Sie hätten sich die frühere auch schon ersparen können. (Ihn beruhigend.) Vielleicht übrigens, daß Sie ihr die glücklichste Stunde ihres Leben verschafft haben. Na, ich weiß, auch das war nicht Ihre Absicht.
Hochroitzpointner (irritiert). Ja, warum denn, Herr Direktor? Man ist ja am End auch kein Fleischhacker.
Bernhardi. Ich erinnere mich nicht, Ihnen einen Vorwurf dieser Art gemacht zu haben.
(Blick zwischen Hochroitzpointner und Ebenwald.)
Bernhardi (zur Schwester). Hat sie Verwandte?
Schwester. Es ist in den drei Tagen niemand dagewesen.
Bernhardi. Auch ihr Liebhaber nicht?
Kurt. Der wird sich hüten.
Oskar. Sie hat ihn nicht einmal genannt. Wer weiß, ob sie ihn beim Namen kennt.
Bernhardi. Und so was hat dann auch einmal Liebesglück geheißen. (Zu Ebenwald.) Also, ich stehe zur Verfügung, Herr Kollega.
Oskar. Pardon, Papa, kommst du dann noch einmal herauf? Weil sie dich ja so gebeten hat.
Bernhardi. Ja, ich schau noch einmal her.
Kurt ist zu der Etagère gegangen, hat sich dort mit zwei Eprouvetten zu schaffen gemacht.
Oskar tritt zu ihm hin, sie sprechen miteinander, gehen bald darauf wieder ins Krankenzimmer.
Schwester (zu Hochroitzpointner). Ich geh jetzt hinüber, Seine Hochwürden holen.
Hochroitzpointner. Ja gehen S' nur. Wenn S' zu spät kommen, ist's auch kein Malheur.
Schwester ab.
Hochroitzpointner nimmt sich einige Krankengeschichten aus einem Faszikel und begibt sich in das Krankenzimmer. Ebenwald, Bernhardi.
Ebenwald (der sehr ungeduldig geworden ist). Also, die Sache ist nämlich die, Herr Direktor. Ich habe von Professor Hell aus Graz einen Brief bekommen, er wäre geneigt, eine Wahl als Nachfolger von Tugendvetter anzunehmen.
Bernhardi. Ah, er wäre geneigt.
Ebenwald. Jawohl, Herr Direktor.
Bernhardi. Hat ihn wer gefragt?
Ebenwald. Ich war so frei – als alter Freund und Studienkollege.
Bernhardi. Sie haben aber doch privat an ihn geschrieben?
Ebenwald. Selbstverständlich, Herr Direktor. Da ja vorläufig kein Beschluß vorliegt. Immerhin hielt ich mich für berechtigt, um so mehr, da mir bekannt ist, daß auch Professor Tugendvetter der Kandidatur von Hell mit einiger Sympathie gegenübersteht.
Bernhardi (etwas scharf). Professor Tugendvetter tritt seine neue Stellung am Krankenhaus erst zu Beginn des Sommersemesters an. Unsere Unterhaltung über diesen Gegenstand – und wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, auch Ihr Briefwechsel, Herr Kollega, mit Professor Hell erscheint mir daher ein wenig verfrüht. Und wir brauchen um so weniger uns in dieser Angelegenheit zu überstürzen, als der bisherige Assistent von Tugendvetter, Doktor Wenger, schon einigemal seine Eignung, die Stelle wenigstens zu supplieren, in vorzüglicher Weise dargetan hat.
Ebenwald. Ich möchte nicht verfehlen, in diesem Zusammenhange meiner prinzipiellen Abneigung gegen Provisorien Ausdruck zu geben.
Prof. Tugendvetter von rechts, etwa fünfzig, grau, Bartkoteletten, im Gehaben etwas Joviales, absichtlich Humoristisches, dabei Unsicheres und Beifallhaschendes, sieht im ganzen weniger einem Gelehrten als einem Börsenmann ähnlich. Kommt mit dem Hut auf dem Kopf, den er erst nach einigen Sekunden abnimmt. Ebenwald, Bernhardi.
Tugendvetter. Guten Morgen. Servus, Bernhardi. Grüß Sie Gott, Ebenwald. Ich hab dich schon oben gesucht, Bernhardi.
Ebenwald. Ich störe vielleicht –
Tugendvetter. Aber gar keine Idee. Keine Geheimnisse.
Bernhardi. Also, was gibt's denn? Du hast mich zu sprechen?
Tugendvetter. Die Sache ist nämlich die. Seine Exzellenz, der Unterrichtsminister, hat bei mir angefragt, ob ich in der Lage wäre, die Klinik drüben unverzüglich zu übernehmen.
Bernhardi. Unverzüglich?
Tugendvetter. Sobald als möglich.
Bernhardi. Es hieß doch, daß Brunnleitner die Klinik bis zu Beginn des Sommersemesters weiterführt.
Tugendvetter. Hat um Urlaub angesucht. Armer Teufel. Sechs Perzent Zucker. Letzte Tage von Pompeji. Wie? (Er hat die Gewohnheit, manchen Sätzen, insbesondere Zitaten, ein solches gedankenlos fragendes Wie? anzufügen.)
Bernhardi. Woher weißt du das? Ist das authentisch?
Tugendvetter. Authentisch? Wenn es mir Flint selber gesagt hat. Ich war nämlich gestern im Ministerium. Sie sollen mir doch einen neuen Pavillon bauen. Ich krieg ihn auch. Er läßt dich übrigens schön grüßen.
Bernhardi. Wer läßt mich grüßen?
Tugendvetter. Flint. Wir haben viel über dich gesprochen. Er hält große Stücke auf dich. Er erinnert sich noch mit Vergnügen der Zeit, wo ihr zusammen bei Rappenweiler Assistenten wart. Seine Worte. Ipsissima verba. Was, das ist eine Karriere. Der erste Fall seit Menschengedenken, wenigstens in Österreich, daß ein klinischer Professor Unterrichtsminister wird!
Bernhardi. Er war immer ein guter Politiker, dein neuester Freund Flint.
Tugendvetter. Er interessiert sich sehr für unser, für euer, nein, vorläufig noch für unser Institut.
Bernhardi. Das ist mir nicht unbekannt. Er hat's doch einmal aus lauter Interesse ruinieren wollen.
Tugendvetter. Das war nicht er. Das war das ganze Kollegium. Es war der Kampf der Alten gegen die Jungen. Und das ist doch alles längst vorbei. Ich versichere dich, Bernhardi, er steht dem Elisabethinum mit der größten Sympathie gegenüber.
Bernhardi. Worauf wir ja zur Not heute schon verzichten könnten, Gott sei Dank.
Tugendvetter. Stolz lieb ich den Spanier, wie?
Bernhardi. Im übrigen, mich interessiert ja vorläufig nur, wie du dich seiner Anfrage gegenüber verhalten hast.
Tugendvetter. Ich habe mich da gar nicht zu verhalten. (Humoristisch.) Herr Direktor haben hierüber zu entscheiden. Erst wenn du mir privatim deine Zustimmung zu erkennen gibst, werde ich bei der Direktion mein Gesuch einbringen. Auch was Geschriebenes forderst du, Pedant, wie?
Bernhardi. Wir werden dich natürlich nicht einen Tag länger halten, als du bleiben willst. Ich verspreche dir, die Angelegenheit kurzerhand zu erledigen. Glücklicherweise hast du ja einen sehr tüchtigen Assistenten, der bis auf weiteres deine Abteilung in deinem Geiste weiterführen wird.
Tugendvetter. Der kleine Wenger, ja. Tüchtiger Bursch. Ja. Aber lang werdet ihr ihn doch nicht supplieren lassen?
Ebenwald. Ich habe mir eben auch zu bemerken erlaubt, daß ich Provisorien im allgemeinen für eine ungesunde Sache halte, und war so frei, von einem an mich gelangten Brief des Professor Hell aus Graz Mitteilung zu machen, der bereit wäre –
Tugendvetter. So. Mir hat er auch schon geschrieben.
Bernhardi. Na, er scheint ja ein ganz rühriger Herr zu sein.
Tugendvetter (mit kurzem Blick auf Ebenwald). Du, Bernhardi, mit Hell würde euer Institut eine famose Akquisition machen.
Bernhardi. Da scheint er sich ja in Graz glänzend entwickelt zu haben. Solang er in Wien war, hat man ihn für einen recht unfähigen Patron gehalten.
Tugendvetter. Wer?
Bernhardi. Du zum Beispiel. Und wir wissen doch alle, wem er die seinerzeitige Berufung nach Graz verdankt hat. Nur gewissen Einflüssen von oben.
Ebenwald. Es ist ja schließlich auch keine Schand, wenn einer einen Prinzen gesund gemacht hat.
Bernhardi. Ich nehm's ihm auch nicht übel. Aber die ganze Karriere sollte nicht von solch einem Einzelfall abhängen. Und seine wissenschaftlichen Leistungen –
Tugendvetter. Entschuldige, auf dem Gebiet dürfte ich doch besser orientiert sein. Er hat einige vorzügliche Arbeiten veröffentlicht.
Bernhardi. Mag sein. Jedenfalls entnehme ich aus dem allen, daß du selbst für deine Nachfolge lieber Hell in Vorschlag brächtest, als deinen Assistenten und Schüler Wenger.
Tugendvetter. Wenger ist zu jung. Ich bin überzeugt, er selber denkt nicht daran.
Bernhardi. Da hätte er unrecht. Seine letzte Serumarbeit macht allgemeines Aufsehen.
Ebenwald. Sensation, Herr Direktor. Das ist nicht dasselbe.
Tugendvetter. Er hat Talent. Gewiß hat er Talent. Aber was die Verläßlichkeit seiner Experimente anbelangt –
Ebenwald (einfach). Es gibt Leute, die ihn – sagen wir für einen Phantasten halten.
Tugendvetter. Das geht zu weit. Übrigens kann ich niemanden hindern, seine Kandidatur anzumelden. Weder Hell noch Wenger.
Bernhardi. Aber, ich mache dich aufmerksam, für einen von beiden wirst du dich entscheiden müssen.
Tugendvetter. Von mir hängt es doch nicht ab? Ich ernenne doch nicht meinen Nachfolger.
Bernhardi. Aber du wirst dich an der Abstimmung beteiligen. Das Schicksal deiner einstigen Abteilung und unseres Institutes wird dich hoffentlich noch so weit interessieren.
Tugendvetter. Das will ich glauben. Das wär wirklich nicht schlecht. Wir haben es doch gegründet, das Elisabethinum, (zu Ebenwald) Bernhardi, ich und Cyprian. Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus, – wie? Wie lang ist es jetzt her?
Bernhardi. Fünfzehn Jahre sind es, lieber Tugendvetter.
Tugendvetter. Fünfzehn Jahre, eine schöne Zeit. Beim Himmel, leicht wird es mir nicht werden. Du, Bernhardi, ließe es sich nicht vielleicht machen für den Anfang, daß ich zugleich hier und im allgemeinen Krankenhaus –
Bernhardi (bestimmt). Absolut nicht. An dem Tag, wo du drüben deine Stelle antrittst, werde ich selbstverständlich deinen bisherigen Assistenten mit der Supplierung betrauen.
Ebenwald. Dann werde ich aber bitten, die Beratung über die definitive Neubesetzung in den allernächsten Tagen anzuberaumen.
Bernhardi. Weshalb, wenn ich fragen darf? Das sähe ja beinahe aus, als wollten wir Wenger geradezu verhindern, durch ein paar Monate hindurch seine Lehrfähigkeit zu erproben.
Ebenwald. Ich bezweifle, daß das Elisabethinum als Vortragsschule für junge Dozenten gegründet worden ist.
Bernhardi. Wollen Sie alles weitere getrost mir überlassen, Herr Kollega Ebenwald. Sie werden ja zugeben, daß bisher in unserm Institut noch nichts überflüssig aufgeschoben, aber auch noch nichts leichtfertig überstürzt worden ist.
Ebenwald. Die Insinuation, als wäre vielleicht von meiner Seite zu Überstürzung oder gar zu leichtfertiger Überstürzung aufgefordert worden, gestatte ich mir als unzutreffend zurückzuweisen.
Bernhardi (lächelnd). Ich nehme es zur Kenntnis.
Ebenwald (auf die Uhr sehend). Muß auf meine Abteilung. Habe die Ehre, meine Herren.
Bernhardi. Ich muß ja auch endlich in die Kanzlei. (Läßt Ebenwald den Vortritt.) Bitte sehr, Herr Kollega, Ihre Hörer warten schon.
Tugendvetter. Ich sei, gewährt mir die Bitte – wie?
Ebenwald (trifft in der Türe mit dem Dozenten Adler zusammen). Habe die Ehre. (Ab.)
Dr. Adler kommt, klein, schwarz, frisch, lebhaft, glühende Augen, Schmiß, etwa dreißig Jahre alt, in weißem Seziermantel. Bernhardi, Tugendvetter.
Adler. Habe die Ehre.
Bernhardi. Was führt Sie in das Bereich der Lebendigen, Doktor Adler?
Adler. Ich wollte wegen Ihres Falles noch in der Krankengeschichte etwas nachsehen, Herr Direktor.
Bernhardi. Steht Ihnen alles zur Verfügung.
Adler. Schade übrigens, Herr Direktor, daß Sie jetzt nicht unten waren. Ein Fall von der Abteilung Cyprian. Denken Sie, abgesehen von der Tabes, die diagnostiziert war, ein beginnender Tumor im Kleinhirn, der gar keine Erscheinungen gemacht haben soll.
Bernhardi. Nein, wenn man denkt, daß manche Leute sozusagen gar nicht dazu kommen, alle ihre Krankheiten zu erleben, man möchte an der Vorsehung irre werden.
Oskar (aus dem Krankensaal, zu Tugendvetter). Habe die Ehre, Herr Professor.
Tugendvetter. Servus, Oskar. Habe schon gehört, Tonkünstler. »Rasche Pulse«. Widmungswalzer.
Oskar. Aber ich bitte Sie, Herr Professor –
Bernhardi. Was, du hast schon wieder was komponiert, und ich weiß gar nichts davon? (Zieht ihn scherzend am Ohr.) Na, kommst du mit?
Oskar. Ja. Ich geh ins Laboratorium.
Tugendvetter. Väter und Söhne – wie?
(Tugendvetter, Bernhardi und Oskar ab. Hochroitzpointner aus dem Krankensaal. Adler, Hochroitzpointner.)
Hochroitzpointner. Habe die Ehre, Herr Dozent.
Adler. Servus, Herr Kollega. Ich möcht Sie bitten, ob ich nicht noch einen Blick in die Krankengeschichte machen könnt.
Hochroitzpointner. Bitte sehr, Herr Dozent. (Er nimmt das Blatt aus einer Mappe.)
Adler. Danke sehr, lieber Doktor Hochroitz – wie? –
Hochroitzpointner. Hochroitzpointner.
Adler (setzt sich an den Tisch). Einen Namen haben Sie.
Hochroitzpointner. Vielleicht nicht schön?
Adler (über der Krankengeschichte). Aber prachtvoll. Man denkt gleich an Bergesgipfel, Gletschertouren. Sie sind ja aus Tirol, Herr Doktor, nicht wahr?
Hochroitzpointner. Jawohl. Aus Imst.
Adler. Ah, aus Imst. Von dort aus hab ich als Student eine wunderschöne Tour gemacht. Auf den Wetterfernkogel.
Hochroitzpointner. Da haben s' im vorigen Jahr eine Hütten hinaufgebaut.
Adler. Überall bauen sie jetzt schon Hütten. (Wieder über der Krankengeschichte.) Die ganze Zeit kein Albumen?
Hochroitzpointner. Absolut nicht. Es ist täglich untersucht worden.
Kurt (ist aus dem Krankenzimmer gekommen). Die letzten Tage ist Albumen aufgetreten. Sogar in beträchtlichen Mengen.
Hochroitzpointner. Jawohl, in den letzten drei Tagen allerdings.
Adler. Aha, da steht es ja.
Hochroitzpointner. Natürlich, es steht ja drin.
Adler (zu Kurt). Wie geht's denn dem Herrn Papa? Der laßt sich bei uns unten ja gar nicht sehen. (Über der Krankengeschichte.) Also bei euch ist er nur acht Tage gelegen?
Hochroitzpointner. Ja. Vorher war er beim Professor Ebenwald. Aber da es ein inoperabler Fall war –
Adler. Als Diagnostiker ist er wirklich ersten Ranges, euer Chef, da kann man sagen, was man will.
Kurt (lächelnd). Was will man denn sagen?
Adler. Wieso?
Kurt. Nun, weil Herr Dozent äußern: Da kann man sagen, was man will.
Adler (etwas süß). Was sind S' denn so streng mit mir, Doktor Pflugfelder? Ich hab halt gemeint, daß eure Hauptstärke in der Diagnose liegt, nicht so sehr in der Therapie. Da experimentiert ihr doch verdammt viel herum, meiner unmaßgeblichen Ansicht nach.
Kurt. Ja, Herr Dozent, was sollen wir denn tun auf der Internen? Man muß doch die neuen Mittel versuchen, wenn die alten nicht mehr helfen.
Adler. Und morgen ist das neue schon wieder das alte. Ihr könnt's ja nichts dafür. Ich hab ja das auch einmal mitgemacht. Aber es ist schon verstimmend manchmal, daß man so im Dunkeln herumtappen muß. Das war ja der Grund, daß ich mich zur pathologischen Anatomie geflüchtet habe. Da ist man sozusagen der Oberkontrollor.
Kurt. Entschuldigen, Herr Dozent, es ist doch noch einer über Ihnen.
Adler. Aber der hat keine Zeit, sich um uns zu kümmern. Der ist zu sehr bei einer anderen Fakultät engagiert. (Über der Krankengeschichte.) Also Röntgen auch? Ja, glaubt's ihr denn wirklich, daß das in solchen Fällen –
Kurt. Wir fühlen uns verpflichtet, alles zu versuchen, Herr Dozent. Besonders, wo nichts mehr zu verlieren ist. Das ist keineswegs Phantasterei oder gar Reklamebedürfnis, wie von manchen Seiten behauptet wird, und man sollte es dem Professor nicht übelnehmen.
Adler. Wer nimmt's ihm denn übel? Ich gewiß nicht.
Kurt. Ich weiß, Herr Dozent, Sie nicht. Aber es gibt schon Leute.
Adler. Es hat halt jeder seine Widersacher.
Kurt. Und Neider.
Adler. Natürlich. Wer was arbeitet und was erreicht. Viel Feind, viel Ehr. Bernhardi kann sich ja wirklich nicht beklagen. Praxis in den höchsten Kreisen und in gewissen andern, wo's glücklicherweise mehr trägt, – Professor, Direktor des Elisabethinums –
Kurt. Na, wer soll's denn sein, wenn nicht er? Er hat sich für das Institut genug herumgeschlagen.
Adler. Gewiß, gewiß. Ich bin der letzte, der seine Verdienste verkleinern möchte. Und daß er so hoch gekommen ist gerade bei den heutigen Strömungen, – – ich hab ja ein gewisses Recht, davon zu reden, da ich selbst aus meiner jüdischen Abstammung niemals ein Hehl gemacht habe, wenn ich auch mütterlicherseits aus einer alten Wiener Bürgerfamilie stamme. Habe sogar Gelegenheit gehabt, in meiner Studentenzeit für die andere Hälfte zu bluten.
Kurt. Ist bekannt, Herr Dozent.
Adler. Es freut mich eigentlich, Herr Doktor, daß auch Sie unserm Herrn Direktor in gebührender Weise Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Kurt. Warum freut Sie das, Herr Dozent?
Adler. Sie waren ja deutschnationaler Couleurstudent.
Kurt. Und Antisemit. Jawohl, Herr Dozent. Bin's sogar noch immer, im allgemeinen. Nur bin ich seither auch Antiarier geworden. Ich finde, die Menschen sind im allgemeinen eine recht mangelhafte Gesellschaft, und ich halte mich an die wenigen Ausnahmen da und dort.
Professor Cyprian von rechts. Älterer kleiner Herr mit langen, fast noch blonden Haaren, etwas gedehnte, singende Redeweise, gerät immer unversehens ins Vortraghalten, spricht wie zu einem Auditorium. Adler, Kurt, Hochroitzpointner.
Cyprian. Habe die Ehre, meine Herren. (Gegengrüße.) Ist der Doktor Adler vielleicht da? Ah ja, da sind Sie. Ich hab Sie unten gesucht. Kann ich mich darauf verlassen, Doktor Adler, daß mir der Schädel von heut nicht wieder verschwindet, wie neulich der von dem Paralytiker?
Adler. Der Diener ist beauftragt, Herr Professor –
Cyprian. Der Diener ist nicht zu finden. Wahrscheinlich wieder im Wirtshaus. Sie werden noch erleben, was ich seinerzeit in Prag erlebt habe, wie ich dort bei Heschel gearbeitet habe. Dort war auch so ein Alkoholiker als Diener im pathologisch-anatomischen Institut angestellt. Der Kerl hat uns allmählich den ganzen Spiritus von den Präparaten weggesoffen.
Adler. Der unsere, Herr Professor, zieht vorläufig noch Kümmel vor.
Cyprian. Also, ich möchte heute abend hinunterkommen. Wann sind Sie denn unten?
Adler. Ich arbeite jetzt gewöhnlich bis gegen Mitternacht.
Cyprian. So, da komme ich also nach zehn.
(Bernhardi und Oskar kommen von rechts.)
Bernhardi. Guten Tag. Grüß dich Gott, Cyprian. Suchst du vielleicht mich?
Cyprian. Ich habe eigentlich etwas mit Doktor Adler zu sprechen gehabt. Aber es ist mir sehr angenehm, daß ich dich treffe. Ich wollte dich nämlich fragen, wann du etwa Zeit hättest, mit mir ins Unterrichtsministerium zu kommen?
Bernhardi. Was gibt's denn?
(Sie stehen allein zusammen. Oskar geht gleich in den Krankensaal. Die andern Herren abseits im Gespräch.)
Cyprian. Es gibt gar nichts Besonderes. Aber ich glaube, wir sollten das Eisen schmieden, solange es warm ist.
Bernhardi. Ich verstehe dich wirklich nicht.
Cyprian. Es ist jetzt der günstigste Moment, für unser Institut was herauszuschlagen. Daß ein Arzt, ein klinischer Professor, sich an leitender Stelle befindet, das ist eine Konstellation, die wir ausnützen müssen.
Bernhardi. Ihr seid ja alle merkwürdig hoffnungsvoll in Hinsicht auf Flint.
Cyprian. Mit guten Gründen. Ich habe ihm die Karriere prophezeit, wie wir zusammen im Laboratorium bei Brücke vor bald dreißig Jahren gearbeitet haben. Er ist ein administratives Genie. Ich habe schon ein Memorandum skizziert. Was wir verlangen, ist vor allem eine staatliche Subvention, um nicht länger ausschließlich auf die etwas unwürdigen Privatsammlungen angewiesen zu sein. Ferner –
Bernhardi. Ihr seid in einer Weise vergeßlich! Flint ist unser erbittertster Gegner.
Cyprian. Aber ich bitte dich, das ist ja längst vorbei. Er steht dem Elisabethinum heute mit der größten Sympathie gegenüber. Hofrat Winkler hat es mir gestern wieder gesagt. Ganz spontan.
Bernhardi. Na. –
Oskar (aus dem Krankenzimmer, rasch zu Bernhardi). Du, Papa, ich glaube, wenn du sie noch sprechen willst –
Bernhardi. Entschuldige mich, lieber Cyprian. Vielleicht geduldest du dich fünf Minuten. (Ab.)
Oskar (zu Cyprian). Eine Sterbende, Herr Professor.
(Folgt seinem Vater in den Krankensaal. Hochroitzpointner, Kurt, Adler, Cyprian.)
Kurt (beiläufig). Eine Sepsis. Junges Mädel. Abortus.
Hochroitzpointner (zu Adler). Für morgen, Herr Dozent.
Cyprian (in seiner eintönigen Weise). Wie ich noch Assistent war bei Skoda, da haben wir einen Primarius im Spital gehabt, nomina sunt odiosa, der hat uns gebeten, uns Assistenten mein ich, wir sollen ihn, wenn irgend möglich, zu jedem Sterbefall herbeirufen. Er wollte eine Psychologie der Sterbestunden schreiben, angeblich. Ich habe damals gleich zu Bernitzer gesagt, der mit mir zusammen Assistent war, da stimmt etwas nicht. Es geht ihm nicht um die Psychologie. Also, denken Sie sich, eines Tages ist der Primarius plötzlich verschwunden. War ein verheirateter Mann mit drei Kindern. Zu der Nacht darauf findet man in irgendeiner abgelegenen Straße einen zerlumpten Kerl erstochen auf. Na, Sie erraten ja schon die Pointe, meine Herren. Es stellt sich heraus, daß der Primarius und der erstochene Strolch ein und dieselbe Person sind. Durch viele Jahre hindurch hatte er ein Doppelleben geführt. Bei Tag war er der beschäftigte Arzt, nachts war er Stammgast in allerlei verdächtigen Spelunken, Zuhälter. –
Der Pfarrer kommt, ein junger Mann von 28 Jahren, mit energischen, klugen Zügen. Der Mesner, der an der Türe stehen bleibt. Hochroitzpointner, Kurt, Adler, Cyprian.
Adler (beflissen). Habe die Ehre, Hochwürden.
Pfarrer. Guten Tag, meine Herren. Ich komme hoffentlich noch nicht zu spät.
Kurt. Nein, Hochwürden. Der Herr Professor ist gerade bei der Kranken. (Er stellt sich vor.) Assistent Dr. Pflugfelder.
Pfarrer. Die Hoffnung ist also noch nicht ganz aufgegeben?
Oskar (kommt aus dem Krankenzimmer). Guten Tag, Hochwürden.
Kurt. Doch, Hochwürden, es ist ein völlig hoffnungsloser Fall.
Oskar. Bitte, wollen Hochwürden –
Pfarrer. Ich will vielleicht so lange warten, bis der Herr Professor die Kranke verlassen hat.
(Der Mesner tritt zurück, die Türe schließt sich.)
Hochroitzpointner rückt dem Pfarrer einen Sessel hin.
Pfarrer. Danke, danke. (Er setzt sich zuerst nicht.)
Cyprian. Ja, Hochwürden, wenn wir nur zu den Kranken gingen, wo wir noch helfen können. Manchmal können wir auch nichts Besseres tun als trösten.
Kurt. Und lügen.
Pfarrer (setzt sich). Sie gebrauchen da ein etwas hartes Wort, Herr Doktor.
Kurt. Verzeihung, Hochwürden, das bezog sich natürlich nur auf uns Ärzte. Übrigens ist gerade das manchmal der schwerste und edelste Teil unseres Berufes.
(Bernhardi wird an der Türe sichtbar, der Pfarrer erhebt sich.)
(Hochroitzpointner, Adler, Kurt, Cyprian, Oskar, Pfarrer, Bernhardi. Nach Bernhardi kommt die Schwester aus dem Krankenzimmer.)
Bernhardi (etwas befremdet). Oh, Hochwürden.
Pfarrer. Wir lösen einander ab, Herr Professor. (Er reicht ihm die Hand.) Ich finde die Kranke wohl noch bei Bewußtsein?
Bernhardi. Ja. Man könnte sogar sagen, bei gesteigertem Bewußtsein. (Mehr zu den andern.) Es ist absolute Euphorie bei ihr eingetreten. (Wie erklärend zum Pfarrer.) Sie befindet sich sozusagen wohl.
Pfarrer. Nun, das ist ja sehr schön. Wer weiß! – Erst neulich hatte ich wieder die Freude, einem jungen Mann, der ein paar Wochen vorher schon völlig auf den Tod gefaßt von mir die letzte Ölung empfangen hatte, gesund auf der Straße zu begegnen.
Adler. Und wer weiß, ob es nicht gerade Hochwürden waren, der ihm die Kraft, den Mut zum Leben wiedergegeben haben.
Bernhardi (zu Adler). Hochwürden hat mich ja mißverstanden, Herr Doktor. (Zum Pfarrer.) Ich meinte nämlich, daß die Kranke völlig ahnungslos ist. Sie ist verloren, aber sie glaubt sich genesen.
Pfarrer. Wahrhaftig.
Bernhardi. Und es ist fast zu besorgen, daß Ihr Erscheinen, Hochwürden –
Pfarrer (ganz mild). Fürchten Sie nichts für Ihre Kranke, Herr Professor. Ich komme nicht, um ein Todesurteil auszusprechen.
Bernhardi. Natürlich, aber trotzdem –
Pfarrer. Man könnte die Kranke vielleicht vorbereiten.
Schwester von Bernhardi nicht bemerkt, begibt sich auf einen kaum merklichen Augenwink des Pfarrers in das Krankenzimmer.
Bernhardi. Das würde ja die Sache nicht bessern. Wie ich schon bemerkte, Hochwürden, die Kranke ist völlig ahnungslos. Und sie erwartet alles andere eher als diesen Besuch. Sie ist vielmehr in dem glücklichen Wahn befangen, daß in der nächsten Stunde jemand, der ihr nahe steht, erscheinen wird, um sie abzuholen, und sie wieder mit sich zu nehmen, – ins Leben und ins Glück. Ich glaube, Hochwürden, es wäre kein gutes, fast möchte ich zu behaupten wagen, kein gottgefälliges Werk, wenn wir sie aus diesem letzten Traum erwecken wollten.
Pfarrer (nach kleinem Zögern bestimmter). Ist eine Möglichkeit vorhanden, Herr Professor, daß mein Erscheinen den Verlauf der Krankheit in ungünstiger Weise –
Bernhardi (rasch einfallend). Es wäre nicht unmöglich, daß das Ende beschleunigt wird, vielleicht nur um Minuten, aber immerhin –
Pfarrer (lebhafter). Nochmals: Ist Ihre Kranke noch zu retten? Bedeutet mein Erscheinen in diesem Sinne eine Gefahr? Dann wäre ich natürlich sofort bereit, mich zurückzuziehen.
Adler nickt beifällig.
Bernhardi. Sie ist rettungslos verloren, darüber kann kein Zweifel sein.
Pfarrer. Dann, Herr Professor, sehe ich durchaus keinen Grund –
Bernhardi. Entschuldigen Sie, Hochwürden, ich bin vorläufig hier noch in ärztlicher Funktion anwesend. Und zu meinen Pflichten gehört es, wenn nichts anderes mehr in meinen Kräften steht, meinen Kranken, wenigstens soweit als möglich, ein glückliches Sterben zu verschaffen.
Cyprian zeigt leichte Ungeduld und Mißbilligung.
Pfarrer. Ein glückliches Sterben. – Es ist wahrscheinlich, Herr Professor, daß wir darunter verschiedene Dinge verstehen. Und nach dem, was mir die Schwester mitteilte, bedarf Ihre Kranke der Absolution dringender als manche andere.
Bernhardi (mit seinem ironischen Lächeln). Sind wir nicht allzumal Sünder, Hochwürden?
Pfarrer. Das gehört wohl nicht hierher, Herr Professor. Sie können nicht wissen, ob nicht irgendwo in der Tiefe ihrer Seele, die Gott allein sieht, gerade in diesen letzten Augenblicken, die ihr noch vergönnt sind, die Sehnsucht wach ist, durch eine letzte Beichte aller Sünden sich zu entlasten.
Bernhardi. Muß ich es nochmals wiederholen, Hochwürden? Die Kranke weiß nicht, daß sie verloren ist. Sie ist heiter, glücklich und – reuelos.
Pfarrer. Eine um so schwerere Schuld nähme ich auf mich, wenn ich von dieser Schwelle wiche, ohne der Sterbenden die Tröstungen unserer heiligen Religion verabreicht zu haben.
Bernhardi. Von dieser Schuld, Hochwürden, wird Sie Gott und jeder irdische Richter freisprechen. (Auf seine Bewegung.) Jawohl, Hochwürden. Denn ich als Arzt darf Ihnen nicht gestatten, an das Bett dieser Kranken zu treten.
Pfarrer. Ich wurde hierher berufen. Ich muß also bitten –
Bernhardi. Nicht in meinem Auftrag, Hochwürden. Und ich kann nur wiederholen, daß ich Ihnen als Arzt, dem das Wohl seiner Kranken bis zur letzten Stunde anvertraut bleibt, das Überschreiten dieser Schwelle leider verbieten muß.
Pfarrer (vortretend). Sie verbieten es mir?
Bernhardi (leicht seine Schulter berührend). Ja, Hochwürden.
Schwester (eilend aus dem Krankenzimmer). Hochwürden –
Bernhardi. Sie waren drin?
Schwester. Es wird zu spät, Hochwürden.
Kurt rasch ins Krankenzimmer.
Bernhardi (zur Schwester). Sie haben der Kranken gesagt, daß Seine Hochwürden da sind?
Schwester. Ja, Herr Direktor.
Bernhardi. So. Und – antworten Sie mir ganz ruhig – wie hat sich die Kranke dazu verhalten? Hat sie irgend etwas geäußert? Sprechen Sie. Nun?
Schwester. Sie hat gesagt –
Bernhardi. Nun?
Schwester. Sie ist halt ein bissel erschrocken.
Bernhardi (nicht böse). Nun, so sprechen Sie doch, was hat sie gesagt?
Schwester. »Muß ich denn wirklich sterben?«
Kurt (aus dem Krankenzimmer). Es ist vorbei.
(Kleine Pause.)
Bernhardi. Erschrecken Sie nicht, Hochwürden. Ihre Schuld ist es nicht. Sie wollten nur Ihre Pflicht erfüllen. Ich wollte es auch. Daß es mir nicht geglückt ist, tut mir leid genug.
Pfarrer. Nicht Sie, Herr Professor, sind es, der mir Absolution zu erteilen hat. Das arme Geschöpf da drin ist als Sünderin und ohne die Tröstungen der Religion dahingegangen. Und das ist Ihre Schuld.
Bernhardi. Ich nehme sie auf mich.
Pfarrer. Es wird sich noch erweisen, Herr Professor, ob Sie das imstande sein werden. Ich empfehle mich, meine Herren.
(Er geht. Die andern bleiben bewegt und in einiger Verlegenheit zurück. Bernhardi sieht sie der Reihe nach an.)
Bernhardi. Also morgen früh, lieber Doktor Adler, die Sektion.
Cyprian (zu Bernhardi, ungehört von den anderen). Es war nicht richtig.
Bernhardi. Wieso nicht richtig?
Cyprian. Und nebstbei wird es ein Einzelfall bleiben. Du wirst an der Sache selbst nichts ändern.
Bernhardi. An der Sache? War auch nicht meine Absicht.
Adler. Ich hielte es für unaufrichtig, Herr Direktor, wenn ich nicht schon in dieser Stunde loyal ausspräche, daß ich in dieser Angelegenheit – formell nicht auf Ihrer Seite zu stehen vermag.
Bernhardi. Und es wäre illoyal, Herr Doktor, wenn ich Ihnen nicht versicherte, daß ich mir das gleich hätte denken können.
(Cyprian und Adler ab.)
Oskar beißt sich in die Lippen.
Bernhardi. Na, mein Sohn, dir wird's ja hoffentlich in der Karriere nicht schaden.
Bernhardi (nimmt ihn beim Kopf, zärtlich). Na. Ich hab dich nicht beleidigen wollen.
Schwester. Herr Professor, ich hab geglaubt –
Bernhardi. Was haben Sie geglaubt? Na, wozu übrigens, jetzt ist's ja vorüber.
Schwester. Es ist doch immer, Herr Direktor, und – (auf Hochroitzpointner weisend) der Herr Doktor –
Hochroitzpointner. Ja, ich hab's ihr natürlich nicht verboten, Herr Direktor.
Bernhardi. Selbstverständlich, Herr Doktor Hochroitzpointner. Sie hospitieren wahrscheinlich auch in der Kirche, was?
Hochroitzpointner. Herr Direktor, wir leben in einem christlichen Staat.
Bernhardi. Ja. (Sieht ihn lange an.) Der Herr verzeihe ihnen – sie wissen verdammt gut, was sie tun.
(Ab mit Kurt und Oskar.)
(Hochroitzpointner, Schwester.)
Hochroitzpointner. Aber Kinderl, was fallt Ihnen denn ein, sich zu entschuldigen? Sie haben doch nur Ihre Pflicht getan. Aber was haben S' denn – Jetzt fangen S' gar an zu weinen – Daß Sie mir nur nicht wieder einen Anfall kriegen.
Schwester (schluchzend). Aber der Herr Direktor war so bös.
Hochroitzpointner. Und wenn er schon bös war, – der Herr Direktor. Na, lang bleibt er's ja nimmer. Das bricht ihm den Kragen!