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Anatol. Emilie.
Emiliens Zimmer, mit maßvoller Eleganz ausgestattet. Abenddämmerung. Das Fenster ist offen, Aussicht auf einen Park; der Gipfel eines Baumes, kaum noch belaubt, ragt in die Fensteröffnung.
Emilie. . . . Ah . . . hier find ich dich –! Und vor meinem Schreibtisch . . .? Ja, was machst du denn? Du stöberst meine Laden durch? . . . Anatol!
Anatol. Es war mein gutes Recht – und ich hatte recht, wie sich soeben zeigt.
Emilie. Nun – was hast du gefunden –? Deine eigenen Briefe . . .!
Anatol. Wie? – Und das hier –?
Emilie. Das hier –?
Anatol. Diese zwei kleinen Steine . . .? Der eine ein Rubin, und dieser andere, dunkle? – Ich kenne sie beide nicht, sie stammen nicht von mir . . .!
Emilie. . . . Nein . . . ich hatte . . . vergessen . . .
Anatol. Vergessen? . . . So wohl verwahrt waren sie; da in dem Winkel dieser untersten Lade. Gesteh es doch lieber gleich, statt zu lügen wie alle . . . So . . . du schweigst? . . . Oh, über die wohlfeile Entrüstung . . . Es ist so leicht zu schweigen, wenn man schuldig und vernichtet ist . . . Nun aber will ich weitersuchen. Wo hast du deinen anderen Schmuck verborgen?
Emilie. Ich habe keinen anderen.
Anatol. Nun – (Er beginnt die Laden aufzureißen.)
Emilie. Such nicht . . . ich schwöre dir, daß ich nichts habe.
Anatol. Und dieses hier . . . warum dieses hier?
Emilie. Ich hatte unrecht . . . vielleicht . . .!
Anatol. Vielleicht! . . . Emilie! Wir sind an dem Vorabend des Tages, wo ich dich zu meinem Weibe machen wollte. Ich glaubte wahrhaftig alles Vergangene getilgt . . . Alles . . . Mit dir zusammen hab ich die Briefe, die Fächer, die tausend Nichtigkeiten, die mich an die Zeit erinnerten, in der wir uns noch nicht kannten . . . mit dir zusammen habe ich all das in das Feuer des Kamins geworfen . . . Die Armbänder, die Ringe, die Ohrgehänge . . . wir haben sie verschenkt, verschleudert, sie sind über die Brücke in den Fluß, durchs Fenster auf die Straße geflogen . . . Hier lagst du vor mir und schwurst mir . . . »Alles ist vorbei – und in deinen Armen erst hab ich empfunden, was Liebe ist . . .« Ich natürlich habe dir geglaubt . . . weil wir alles glauben, was uns die Weiber sagen, von der ersten Lüge an, die uns beseligt . . .
Emilie. Soll ich dir von neuem schwören?
Anatol. Was hilft es? . . . Ich bin fertig . . . fertig mit dir . . . Oh, wie gut du das gespielt hast! Fieberisch, als ob du jeden Flecken abwaschen wolltest von deiner Vergangenheit, bist du hier vor den Flammen gestanden, als die Blätter und Bänder und Nippes verglühten . . . Und wie du in meinen Armen schluchztest, damals, als wir am Ufer des Flusses lustwandelten und jenes kostbare Armband in das graue Wasser hinabwarfen, wo es alsbald versank . . . wie du da weintest, Tränen der Läuterung, der Reue . . . Dumme Komödie! Siehst du, daß alles vergebens war? Daß ich dir dennoch mißtraute? Und daß ich mit Recht da herumwühlte? . . . Warum sprichst du nicht? . . . Warum verteidigst du dich nicht? . . .
Emilie. Da du mich doch verlassen willst.
Anatol. Aber wissen will ich, was diese zwei Steine bedeuten . . . warum du gerade diese aufbewahrt hast?
Emilie. Du liebst mich nicht mehr . . .?
Anatol. Die Wahrheit, Emilie . . . die Wahrheit will ich wissen!
Emilie. Wozu, wenn du mich nicht mehr liebst.
Anatol. Vielleicht steckt in der Wahrheit irgend etwas.
Emilie. Nun was?
Anatol. Was mich die Sache . . . begreifen macht . . . Hörst du, Emilie, ich habe keine Lust, dich für eine Elende zu halten!
Emilie. Du verzeihst mir?
Anatol. Du sollst mir sagen, was diese Steine bedeuten!
Emilie. Und dann willst du mir verzeihen –?
Anatol. Dieser Rubin, was er bedeutet, warum du ihn aufbewahrst –
Emilie. – Und wirst mich ruhig anhören?
Anatol. . . . Ja! . . . Aber sprich endlich . . .
Emilie. . . . Dieser Rubin . . . er stammt aus einem Medaillon . . . er ist . . . herausgefallen . . .
Anatol. Von wem war dies Medaillon?
Emilie. Daran liegt es nicht . . . Ich hatte es nur an einem . . . bestimmten Tage um – an einer einfachen Kette . . . um den Hals.
Anatol. Von wem du es hattest –!
Emilie. Das ist gleichgültig . . . ich glaube, von meiner Mutter . . . Siehst du, wenn ich nun so elend wäre, als du glaubst, so könnte ich dir sagen: Darum, weil es von meiner Mutter stammt, hab ich es aufbewahrt – und du würdest mir glauben . . . Ich habe aber diesen Rubin aufbewahrt, weil er . . . an einem Tage aus meinem Medaillon fiel, dessen Erinnerung . . . mir teuer ist . . .
Anatol. . . . Weiter!
Emilie. Ach, es wird mir so leicht, wenn ich dir's erzählen darf. – Sag, würdest du mich auslachen, wenn ich eifersüchtig wäre auf deine erste Liebe?
Emilie. Und doch, die Erinnerung daran ist etwas Süßes, einer von den Schmerzen, die uns zu liebkosen scheinen . . . Und dann . . .für mich ist der Tag von Bedeutung, an welchem ich das Gefühl kennenlernte, welches mich dir verbindet. Oh, man muß lieben gelernt haben, um zu lieben, wie ich dich liebe! . . . Hätten wir uns beide zu einer Zeit gefunden, wo uns die Liebe etwas Neues war, wer weiß, ob wir aneinander nicht achtlos vorübergegangen wären? . . . Oh, schüttle den Kopf nicht, Anatol; es ist so, und du selbst hast es einmal gesagt –
Anatol. Ich selbst –?
Emilie. Vielleicht ist es gut so, so sprachst du, und wir mußten beide erst reif werden für diese Höhe der Leidenschaft!
Anatol. Ja . . . wir haben immer irgendeinen Trost solcher Art bereit, wenn wir eine Gefallene lieben.
Emilie. Dieser Rubin, ich bin ganz offen mit dir, bedeutet die Erinnerung an den Tag . . .
Anatol. . . . So sag's . . . sag's . . .
Emilie. – Du weißt es schon . . . ja . . . Anatol . . . die Erinnerung an jenen Tag . . . Ach . . . ich war ein dummes Ding . . . sechzehn Jahre!
Anatol. Und er zwanzig – und groß und schwarz! . . .
Emilie (unschuldig). Ich weiß es nicht mehr, mein Geliebter . . . Nur an den Wald erinnere ich mich, der uns umrauschte, an den Frühlingstag, der über den Bäumen lachte . . . ach, an einen Sonnenstrahl erinnere ich mich, der zwischen dem Gesträuche hervorkam und über einen Haufen gelber Blumen glitzerte –
Anatol. Und du verfluchst diesen Tag nicht, der dich mir nahm, bevor ich dich kannte?
Emilie. Vielleicht gab er mich dir . . .! Nein, Anatol . . . wie immer es sei, ich fluche jenem Tage nicht und verschmähe auch, dir vorzulügen, daß ich es jemals tat . . . Anatol, daß ich dich liebe wie keinen je – und so wie du nie geliebt worden – du weißt es ja . . . aber wenn auch jede Stunde, die ich je erlebte, durch deinen ersten Kuß bedeutungslos geworden – jeder Mann, dem ich begegnete, aus meinem Gedächtnis schwand – kann ich deswegen die Minute vergessen, die mich zum Weibe machte?
Anatol. Und du gibst vor, mich zu lieben –?
Emilie. Ich kann mich der Gesichtszüge jenes Mannes kaum erinnern; ich weiß nicht mehr, wie seine Augen blickten –
Anatol. Aber daß du in seinen Armen die ersten Seufzer der Liebe gelacht hast . . . daß von seinem Herzen zuerst jene Wärme in das deine überströmte, die das ahnungsvolle Mädchen zum wissenden Weibe machte, das kannst du ihm nicht vergessen, dankbare Seele! Und du siehst nicht ein, daß mich dies Geständnis toll machen muß, daß du mit einem Male diese ganze schlummernde Vergangenheit wieder aufgestört hast! . . . Ja, nun weiß ich's wieder, daß du noch von anderen Küssen träumen kannst als von den meinen, und wenn du deine Augen in meinen Armen schließest, steht vielleicht ein anderes Bild vor ihnen als das meine!
Emilie. Wie falsch du mich verstehst! . . . Da hast du freilich recht, wenn du meinst, wir sollten auseinandergehen . . .
Anatol. Nun – wie denn soll ich dich verstehen . . .?
Emilie. Wie gut haben es doch die Frauen, die lügen können. Nein . . . ihr vertragt sie nicht, die Wahrheit . . .! Sag mir nur eines noch: Warum hast du mich immer darum angefleht? »Alles würde ich dir verzeihen, nur eine Lüge nicht!« . . . Noch hör ich es, wie du's mir sagtest . . . Und ich . . . ich, die dir alles gestand, die sich vor dir so niedrig, so elend machte, die es dir ins Angesicht schrie: »Anatol, ich bin eine Verlorene, aber ich liebe dich . . .!« Keine von den dummen Ausflüchten, die die andern im Munde führen, kam über meine Lippen. – Nein, ich sprach es aus: Anatol, ich habe das Wohlleben geliebt, Anatol, ich war lüstern, heißblütig – ich habe mich verkauft, verschenkt – ich bin deiner Liebe nicht wert . . . Erinnerst du dich auch, daß ich dir das sagte, bevor du mir das erstemal die Hand küßtest? . . . Ja, ich wollte dich fliehen, weil ich dich liebte, und du verfolgtest mich . . . du hast um meine Liebe gebettelt . . . und ich wollte dich nicht, weil ich mich den Mann nicht zu beflecken getraute, den ich mehr, den ich anders – ach, den ersten Mann, den ich liebte . . .! Und da hast du mich genommen, und ich war dein! . . . Wie hab ich geschauert . . . gebebt . . . geweint . . . Und du hast mich so hoch gehoben, hast mir alles wieder zurückgegeben, Stück für Stück, was sie mir genommen hatten . . . ich ward in deinen wilden Armen, was ich nie gewesen: rein . . . und glücklich . . . du warst so groß . . . du konntest verzeihen . . . Und jetzt . . .
Anatol. . . . Und jetzt . . .?
Emilie. Und jetzt jagst du mich eben wieder davon, weil ich doch nur bin wie die andern –
Anatol. Nein . . . nein, das bist du nicht.
Emilie (mild). Was willst du also . . . Soll ich ihn wegwerfen . . . den Rubin . . . ?
Anatol. Ich bin nicht groß, ach nein . . . sehr, sehr kleinlich . . . wirf ihn weg, diesen Rubin . . . (Er betrachtet ihn.) Er ist aus dem Medaillon gefallen . . . er lag im Grase – unter den gelben Blumen . . . ein Sonnenstrahl fiel darauf . . . da glitzerte er hervor . . . (Langes Schweigen.) – Komm, Emilie, . . . es dunkelt draußen, wir wollen im Park spazierengehen . . .
Emilie. Wird es nicht zu kalt sein . . . ?
Anatol. Ach nein, es duftet schon vom erwachenden Frühling . . .
Emilie. Wie du willst, mein Geliebter!
Anatol. Ja – und dieses Steinchen . . .
Emilie. Ach dies . . .
Anatol. Ja, dieses schwarze da – was ist's mit dem – was ist's . . .?
Emilie. Weißt du, was das für ein Stein ist . . .?
Anatol. Nun –
Emilie (mit einem stolzen begehrlichen Blick). Ein schwarzer Diamant!
Anatol (erhebt sich). Ah!
Emilie (immer den Blick auf den Stein geheftet). Selten!
Anatol (mit unterdrückter Wut). Warum . . . hm . . . warum hast du den . . . aufbewahrt?
Emilie (nur immer den Stein ansehend). Den . . . der ist eine viertel Million wert! . . .
Anatol (schreit auf). Ah! . . . (Er wirft den Stein in den Kamin.)
Emilie (schreit). Was tust du!! . . . (Sie bückt sich und nimmt die Feuerzange, mit der sie in der Glut herumfährt, um den Stein hervorzusuchen.)
Anatol (sieht sie, während sie mit glühenden Wangen vor dem Kaminfeuer kniet, ein paar Sekunden an, dann ruhig). Dirne! (Er geht.)
(Vorhang.)