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In der Salvatorstraße 72 wohnte auf der ersten Etage der Rentner Bertram Pullcke mit Frau und Dackel, auf der zweiten Etage die Witwe Murmel mit den Töchtern Betty, Meta, Paula und Hulda und einem Grammophon. Die dritte Etage bevölkerte der Nähmaschinenagent Kaspar Bötel mit zwölf Kindern. Seine Frau betrieb eine Leinwandmangel, massierte und sagte aus der Hand und dem Kaffeesatz wahr. Als möblierter Herr vegetierte bei Bötels Herr Rupprecht Buschhüter, der Berufsathlet war. Der Hauswirt Jakobus Kraus wohnte im Unterhaus. Er war Witwer und stocktaub und liebte den Kümmel. Er kümmerte sich wenig um sein Haus und seine Mieter. Nur am Ersten war er unerbittlich prompt zur Stelle. Wehe denen, die die Miete nicht abgezählt bereit hielten!
In einem solchen Mietshause, bei so verschiedenartigen Elementen sind Stänkereien unvermeidlich und eine tägliche Erscheinung. Aus der gemeinsamen, abwechselnden Benutzung der Bleiche, der Waschküche und des Trockenspeichers erwachsen zum Beispiel trotz der festgelegten Hausordnung die schlimmsten Differenzen zwischen den Mietern. Ein ungewöhnlicher Haß entwickelt sich, der sich in raffinierten Schikanen Luft macht. Pullckes bildeten sich ein, da sie von ihren Renten lebten, im Hause die erste Flöte spielen zu können und sich nicht im geringsten um die Hausordnung zu kümmern zu brauchen.
Jede Partei hatte ihre bestimmten Tage für die Wäsche. Pullckes kam es nun gar nicht darauf an, auch an anderen Tagen als den ihnen gebührenden die Waschküche, Bleiche usw. für sich in Anspruch zu nehmen. Das führte zu erbitterten Kämpfen. Schon aufgehängte Wäschestücke der Gegenpartei wurden brutal von den Latten gerissen, in Ballen schonungslos in die schmutzigen Speicherecken geworfen, um der eigenen Wäsche Platz zu machen. Man schlug sich gegenseitig nasse Kissenüberzüge um die Ohren. Lag die Wäsche von Murmels an einem Pullckes nicht genehmen Tag auf der Bleiche, so ließen Pullckes ihren Dackel in den Garten. In lustiger Dackelart tollte er auf der Bleiche, zauste die Dessous der Töchter Murmel und stempelte mit schmutzigen Pfoten die weißen Betttücher. Murmels warfen mit Briketts und leeren Flaschen nach dem unartigen Hund. Oder wenn sie ihn zu packen bekamen, stülpten sie einen Waschkorb über ihn, klemmten ihm den Schwanz ein, wickelten Papier um den Schwanz, steckten es an und ließen ihn laufen. Das furchtbare Gejunkse dieses Hundelieblings ließ Pullckes an die Fenster eilen. »Tierquälerei, gemeines Pack!« schrie das Rentnerpaar und lief zur Polizei. Oft bekamen Pullckes recht, da der Kommissar mit Herrn Pullcke Skat spielte.
Bötels auf der dritten Etage waren im ganzen Hause verhaßt, der zwölf Kinder wegen, die den ganzen Tag im Hause herumrumorten und dumme Streiche machten. Das ordinäre Gekeif der Frau Bötel, das Quietschen der Mangelmaschine, das fortgesetzte Gebumse, wenn der Athlet Buschhüter mit seinen schweren Eisengewichten und Hanteln übte, ließ das Mißfallen der übrigen Hausbewohner gegen diese ruhestörende, schreckliche Familie in das Ungemessene wachsen. Dann waren diese Leute von einer neapolitanischen Unsauberkeit. Nie wurde geputzt, und wenn Bötels wuschen, ließen sie die Kübel und Bütten mit der schmutzigen, gärenden Brühe, nachdem sie ihre verdächtige Wäsche in der Farbe von Mumientüchern durch Eintunken notdürftig gereinigt hatten, vergnüglich und selbstverständlich für die nachfolgende Partei stehen.
Der Kriegszustand im Hause Salvatorstraße 72 währte nun bereits fünf Monate und verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Denn alle Beschwerden beim Hauswirt Kraus hatten nicht den geringsten Erfolg. Kraus war taub und fast immer bezecht. Er grunzte die erregten Mieter an und goß sich einen Kümmel hinter die Binde.
Rentner Pullcke war dem Irrsinn nahe. Tagsüber die Lausbübereien von Bötels Gören, die seinem Dackel Kordel zu fressen gaben, die ihm morgens tote Mäuse in den Brötchensack steckten und noch tausend andere Teufeleien antaten, dann bis spät in die Nacht hinein der kreischende Gesang der vier Schwestern Murmel, die sich ausbildeten und, wenn sie ausgeschrien waren, das Grammophon spielen ließen. Er war sich eines Tages klar, daß er bei diesem Leben bald mit einem plötzlichen Herzschlag oder mit einem Wahnsinnsanfall sein Rentnerdasein beschließen würde.
Raus aus dieser Hölle, das war die einzige Rettung! Pullcke kündigte die Wohnung auf den ersten April durch einen Einschreibebrief. Am gleichen Tage bekamen Murmels eine Depesche vom Lotteriekollekteur Ehrlich, daß sie in der Bunzlauer Dombaulotterie 5000 Mark gewonnen hätten.
Hauswirt Kraus nahm Pullckes Kündigung in stoischer Kümmelruhe entgegen, er hatte die erste Etage soeben zu einem guten Preis an Frau Murmel vermietet, die durch den Gewinn größenwahnsinnig geworden war und bei Gott nicht mehr auf einer poveren zweiten Etage wohnen wollte. Frau Murmel machte die Bedingung, daß »der Bagasch« von der dritten Etage gekündigt würde. Aber das tat der Hauswirt Kraus um so lieber, als er bereits die letzten Monate die Miete bei Bötels hatte pfänden lassen müssen. Auf ein Inserat, das er mit Hilfe des Milchmanns und des Briefträgers mit schwerer Mühe verfaßte und also lautete: »Zweite und dritte Etage in ruhigem Hause zu vermieten, Salvatorstraße 72, Hauswirt Kraus«, meldeten sich für die zweite Etage ein Oberlehrer namens Küllekopp mit Familie und für die dritte Etage die Hebamme Treske mit ihrem Mann, der Klavierstimmer war.
Großer Umzug! Großer Auszug! Großer Einzug! Die Möbeltransportgesellschaft »Rapid« übernahm den Transport für alle in Frage kommenden Parteien.
Am 1. April um sechs Uhr in der Frühe wurden die Anwohner der Salvatorstraße und des ganzen Viertels plötzlich aus dem Morgenschlafe herausgerissen. Ein schweres Stampfen ließ die Scheiben erklirren und lose Gegenstände, selbst größere Möbelstücke kleine Hupser machen. Babys flogen, hoppla, aus den Wiegen. Es war wie ein Erdbeben.
Die Transportgesellschaft »Rapid« war die einzige Firma dieser Branche in Europa, die Motormenschen nach dem Patent des weltberühmten Professors C. W. U. A. Irishstew beschäftigte. Diese Motormenschen wurden, wie Maschinen von einem fremden Willen in Bewegung gesetzt; sie wurden eingeschaltet wie diese. Sie bildeten eine Stufe zwischen Mensch und Maschine. In ihrer Konstruktion dominierte das Viereck, es bildete die Basis, kehrte motivgleich wieder in ihrem Aufbau und gab ihnen mit seiner Verstrebung streng technischen Charakter. So waren ihre Köpfe, ihre Augen und ihr Mund durchgängig viereckig. Der Oberkörper war ein gewaltiges Rechteck. Die Hände, welche Graubrote in der geschlossenen Faust zu verbergen vermochten, waren enorme Quadrate, desgleichen die Füße, die wie Bleiplatten wirkten und sie wie eine Gußeisensäule aufrecht stehen ließen, Stehaufmännchen ähnlich, mit denen der Knabe spielt. Diese Motormenschen der Gesellschaft »Rapid« waren naturgemäß wortkarg. Drei Worte bildeten ihren Wortschatz: »Einen Hupp« und »Schabau!«
Zwanzig Männer von der Möbeltransportgesellschaft »Rapid«, gefolgt von zwei gewaltigen Möbelwagen, an kolossale Mammute aus dem Jung-Tertiär erinnernd, zogen mit schweren Schritten in die Salvatorstraße. Das kraftvolle Aufklatschen der vierzig viereckigen Füße der Möbeltransporteure sprengte das Pflaster, so daß die Straße wie ein zerrissenes Geröllfeld erschien.
Vor dem Hause 72 wurde ruckweise Halt gemacht. Die Männer bewegten sich mit einer Regelmäßigkeit, die schon fast mathematische Exaktheit war, wie von einer einheitlichen motorischen Kraft getrieben.
Erst mußte ihr Räderwerk geschmiert werden! Rauh und metallisch klang einstimmig der Ruf in den Morgen: »Schabau!!« Eine große Flasche Fusel ging rund bei den zwanzig Männern.
Der Agent der Transportgesellschaft gab, als er die Umzüge bei den verschiedenen Parteien aufnahm, die felsenfeste Zusicherung, daß alles aufs beste erledigt werde, daß der Auftraggeber sich um nichts zu kümmern brauche und am Abend des Umzuges seine neue Wohnung fix und fertig eingerichtet finden werde, das Abendessen auf dem Tisch, als Aufmerksamkeit seiner Firma. Auch sei es nicht notwendig, die Schränke und Kommoden oder Schösser zu räumen oder zerbrechliche Sachen einzupacken, es könne ruhig alles in den Schränken bleiben. Dafür garantiere seine Gesellschaft. Er könne Referenzen vorlegen. Er hatte sie aber im Bureau vergessen, und man glaubte seinen treuen Augen. Die neuen Mieter und auch Frau Murmel und ihre Töchter verließen sich auf die Versprechungen des Agenten und hielten sich den ganzen Tag von dem Umzug fern. Nur Rentner Pullcke und Frau blieben in ihrer alten Wohnung zurück. Wenn sie auch volles Vertrauen in die renommierte Gesellschaft »Rapid« hatten, so wollten sie doch wenigstens bei dem Umzug dabei sein. Bötels hatten sich in der Nacht heimlich gedrückt, ohne die rückständige Miete und die Reparaturkosten für eingeschlagene Fenster, abgerissene Tapeten, eingetretene Türen und andere Zerstörungen in der Wohnung, auf welche sie eingeklagt waren, zu bezahlen. Den Athlet Buschhüter ließen sie in seinem Verschlag ruhig in die Wirrnisse des Umzugtages hineinschlafen.
Folgendes war also zu bewerkstelligen: Erste Etage: Pullckes zogen aus. Zweite Etage: Murmels zogen auf die erste Etage. Die Wohnung Bötels auf der dritten Etage war zu leeren. Küllekopps und Treskes, die neuen Meter, zogen in die frei gewordenen Etagen, die zweite und dritte.
Das war der klare und logische Feldzugsplan, auf den die Möbeltransporteure eingestellt waren. Auf vier Kolonnen mit je fünf Mann war die Gesamtarbeit verteilt. Kolonne I hatte Pullckes Möbel aus der ersten Etage auf die Straße zu schaffen, Kolonne 2 den Umzug des Murmelschen Hausrats von der zweiten Etage in die erste Etage zu bewirken. Kolonne 3 war geschaltet, den Möbelwagen mit Küllekopps Mobiliar auszupacken und die Möbel auf die zweite Etage zu transportieren, Kolonne 4 den Möbelwagen von Treskes zu leeren und deren Sachen in die dritte Etage zu schaffen.
Das Auspacken der beiden Möbelwagen durch Kolonne 3 und 4 geschah ohne Hast, mit einer gewissen Brutalität gefühlloser Mechanik. Manches abgebrochene Stuhlbein oder Tischbein, eingedrückte Schränke, zersprungene Spiegel, verkratzte Polituren und sonstige Schäden waren das Resultat dieses Systems.
Das Nußbaumbüfett, das Prachtmöbel der Pullckeschen Einrichtung, verließ als erstes Stück die Wohnung. Man hatte gutgläubig alles Porzellan und Kristall im Büfett gelassen, im Vertrauen auf den Agenten mit den treuen Augen. Das Büfett mußte schräg transportiert werden, weil es sich auf der Treppe sperrte. Der zerbrechliche Inhalt rutschte mit dumpfem Geklirr, dem Gesetz der Schwere folgend, bei diesen fortgesetzten schiefen Lagen des Büfetts hin und her. Öfters machte es innen: klingpäng.
Das Ehepaar Pullcke stand am Fuß der Treppe zur Begrüßung seines Büfetts nach dem schwierigen Abstieg. Frau Pullcke hielt in der rechten Hand mit krampfig ausgespannten Fingern ein Fischglas mit zwei Goldfischen, einigen Ameiseneiern und einer Blechente und im linken Arm eine Gipsstatue des Trompeters von Säckingen, dem sie soeben beim Heruntergehen am Treppenpfeiler die Trompete aus dem Mund gestoßen hatte. Eine Träne lief ihr über die Wange. Das war ein schlechtes Vorzeichen; sie hatte einst diese Figur als Brautgeschenk von ihrem Bertram bekommen. Herr Pullcke hielt den Dackel im Arm. Das waren geliebte Gegenstände, die sie fremden Leuten nie anvertraut haben würden und unbedingt selbst tragen mußten.
Der Transport des Büfetts ging gut bis zum letzten Treppenabsatz, nur an zwei Stellen war das Treppengeländer eingedrückt worden. So, jetzt um die Ecke zur letzten Treppe! »Einen Hupp!« riefen die Transportmänner, und schon entglitt das Büfett ihren schwitzigen Quadratklammerfäusten und hupste, sich überschlagend, mit dem Lärm eines Hauseinsturzes und einer Janitscharenmusik allein die Treppe hinunter und bedeckte wie eine Lawine das unglückliche Ehepaar Pullcke. Krachen von Brustkörben, Klirren von Gips und Gläsernem. Nur die beiderseits in Zugstiefeln steckenden vier Füße schauten unbeschädigt unter dem Büfett her. Der Dackel war drei Meter länger geworden. Pullckes waren platt wie Spekulatiusfiguren und mausetot. Die Männer stellten das Büfett auf und rollten das platte Ehepaar wie Mäntel zusammen und legten es in ein Schoß des Büfetts. Sie trugen das Prunkstück der Verunglückten auf die Straße und stellten es zwischen die ausgepackten Möbel der Neueinziehenden, dann begaben sie sich wieder mit motorisch eingestellter Bewegung auf die erste Etage, um den Auszug Pullckes fortzusetzen. Kolonne 2 brachte ihrer Schaltung entsprechend die Möbel aus Murmels Wohnung und stellte sie in der ersten Etage auf. Ein langes, mit Rosen geblümtes Sofa stand wildfremd neben einem grünen Plüschsessel von Pullckes selig. Küllekopps und Treskes Möbelwagen waren endlich ausgepackt. Die Möbel standen im wirren Durcheinander auf der Straße und versperrten den Fahrdamm. 248 Wagen, 700 Autos, zwei Droschken, 798 Radfahrer und eine tausendköpfige Menge stauten sich vor dem Hindernis. Fremde Leute besahen sich wohl die Möbel und nahmen leicht Transportierbares mit. Straßenkinder schaukelten sich in den unter den Möbelwagen angebrachten Hängekasten, kletterten auf den Möbeln herum und zogen die Schösser aus den Kommoden. Hunde benutzten die Ecken des Klaviers von Küllekopps.
Kolonne 3 und 4 begannen die Möbel der beiden neuen Mieter ins Haus zu tragen, die von Küllekopps auf die zweite Etage, die von Treskes auf die von Bötels verlassene dritte Etage. Kolonne 4 fand hier nur etliches unbrauchbares Gerümpel. Athlet Buschhüter, den die Männer aus seinem Bett aufscheuchten, machte keine Anstalten, die Wohnung zu verlassen, wurde vielmehr renitent und griff zu einem Gewicht von 1000 Kilogramm, um damit zu werfen. Mit der unerschütterlichen Konsequenz ihrer maschinellen festen Struktur packten die Männer der Kolonne 4 mit der Kraft einer 20 000 H. P-Klemme den Athleten und transportierten ihn wie ein Klavier die Treppe hinunter. Vorher schlugen sie ihm mit einem schweren Hammer auf den Kopf.
Der Auszug und Einzug und Umzug war in vollem Gange. Diese allgemeine Möbelbewegung hatte etwas Irres. Ohne Unterschied schleppte Kolonne 1 in dem immer mehr sich steigernden Paroxismus ihrer mechanischen Funktion sowohl Pullckes wie auch die bereits in die erste Etage geschafften Möbel von Frau Murmel auf die Straße. Kolonne 3 und 4 trugen planlos aus dem Möbeldurcheinander auf der Straße, an dem alle Parteien beteiligt waren, mit dem starren, unerschütterlichen Trieb der Maschine irgendwelche Stücke in die von Küllekopps und Treskes gemieteten Etagen. In der zweiten Etage räumte wiederum mit einer ausgeprägten Gewissenhaftigkeit Kolonne 2, die Murmels umzog, gleichzeitig wildfremde Möbel mit aus, die von der Straße für Küllekopps heraufgetragen worden waren.
Wie von einer in Bewegung gekommenen, unaufhaltsam wirkenden Kraft schienen diese 20 Männer von der Transportgesellschaft »Rapid« ergriffen. Ein Perpetuum mobile schien sich in ihrem Mechanismus entwickelt zu haben. In hoffnungslosem Kreislauf trugen zehn der Männer die Möbel auf die Straße, um von den andern zehn Männern wieder in die verschiedenen Etagen planlos und ohne Ordnung hingestellt zu werden. Immer sah man das geblümte Murmelsche Sofa und das Pullckesche Büfett wiederkehren.
Es war zwei Uhr nachts geworden, bis die neuen Mieter und Familie Murmel das Haus Salvatorstraße 72 erreichten. Es war fast unmöglich, durch die ungeheure Menschenmenge und die Ansammlung der Fahrzeuge, die noch immer die Straße füllten, durchzudringen. Sie waren stutzig geworden, es packte sie eine stille Vorahnung von nichts Gutem. Würde man wohl mit Sicherheit in der behaglich eingerichteten neuen Wohnung das zugesagte Abendbrot und die garantierte Behaglichkeit finden? Es sah nicht danach aus. In wachsender Angst schauten die Mieter diesem seltsamen, nutzlosen Treiben der zwanzig Männer zu. Was ging hier vor? War es ein Spuk? Stöhnende Fragen, entsetzte Zurufe prallten ungehört an der ehernen Indolenz der Möbeltransporteure ab. Unerbittlich wie das Schicksal setzten sie ihr Tun fort. Soeben war wieder Murmels Sofa in der Haustür erschienen, die Rosen des Überzuges hatten im Mondlicht eine fahle Farbe. Mit gellem Geschrei fielen Mutter Murmel und ihre Töchter über ihr Sofa her und liebkosten es wie einen lieben Freund. Es stellte für sie in dieser verlassenen Lage die Quintessenz trauten Heimes dar. Oberlehrer Küllekopp versuchte in einer langen, mehrere Stunden dauernden Rede in gutem Deutsch, die er zur besseren Übersicht in verschiedene Abschnitte, mit a, b, c, d, e, f, g und weiteren Buchstaben, mit römischen Zahlen und arabischen Ziffern bezeichnet, einteilte, den zwanzig ungehemmten Männern das Unlogische ihres Tuns klar zu machen. Aber vor dieser unheimlichen Unerschütterlichkeit wurde er heiser, resignierte er schließlich völlig ermattet. Er kletterte mit seiner Familie auf sein Klavier, wobei er mit den Füßen auf die Tastatur geriet und zwei Mollakkorde anschlug. Herr Treske war in einer Sitzbadewanne eingeschlafen. Seine Frau ging ihrem Beruf nach.
Als am Morgen die Mieter erwachten und geneigt waren, zu glauben, daß alles ein böser Traum gewesen sei, sich die Augen rieben, mußten sie zu ihrem Entsetzen gewahren, daß das Verhängnis weiter seinen schrecklichen Lauf nahm. Eine Starre kam über die Unglücklichen, eine Lähmung, die alle Energie, jedes Denken unterband. Wie eine unabänderliche kosmische Manifestation erschien ihnen diese Katastrophe, gegen die jedes Aufbäumen zwecklos und jeder Versuch einer Hemmung ein irrsinniges Beginnen war. Wie gescheuchte Fledermäuse verbargen sie sich zusammengekauert in einem der Möbelwagen.
Tage, Wochen vergingen, und immer noch trugen mit unerschütterlicher Ewigkeitsgebärde die zwanzig Motormänner der Transportgesellschaft »Rapid« die Möbel rein und raus. Der Hauswirt Kraus, der ahnungslos über das, was in seinem Hause vorging, seine Tage in dumpfem Kümmelrausch verbrachte und erst am ersten Mai zur Einkassierung der Mieten aus seiner Parterrehöhle hervorkroch, verfiel sofort angesichts der erdrückenden Tatsache des schrecklichen, beharrlichen Tuns der zwanzig Männer in die gleiche Starre wie seine Mieter draußen. Er kroch mühsam auf die Straße und zu den Unglücklichen in den Möbelwagen. Die gleiche Resignation befiel ihn wie diese Leidensgenossen.
Auch sein Mobiliar entging der Transportwut der Männer nicht. Seine Möbel gerieten ebenfalls in den schauerlichen Kreislauf.
Der Sommer verging, der Herbst kam, und in einer Nacht fiel der Schnee und zeigte den Winter an. Schwarz wuchsen die beiden Möbelwagen in der beschneiten Straße auf. Die Möbel waren mit Schnee bedeckt. Unerschütterlich, wie unter einem höllischen Fluche, wanderten die Möbel treppauf, treppab, rein und raus, raus und rein.
In einer Nacht, als das Thermometer 20 Grad Kälte zeigte, erfroren die armen Mieter und der Hauswirt Kraus in dem ungeheizten Möbelwagen.
Am nächsten Tag kam eine Botschaft durch einen roten Radler an die zwanzig Transportmänner, daß die Möbeltransportarbeiter in den Streik getreten seien. Sofort stockte die Tätigkeit der Zwanzig, jeder ließ das Möbelstück, das er gerade transportierte, fallen, und im Zuge marschierten sie zusammen, je fünf in einer Reihe, mit klatschenden, das Pflaster aufwühlenden Schritten zum Streikbureau.
Die Möbel stehen jetzt noch auf der Salvatorstraße.