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Er war kein Liebling der Götter, unser Hermann Harry, so früh er starb. Sein Lebenshunger war groß und sein Leib schwach. Er hing schwer am Leben. Nur wenige wußten es, nur wenige schauten hinter die groteske Maske, die er sich vorgebunden hatte.
Mit Halloh empfangen, wie überall, wo er erschien, kam er einmal in eine Düsseldorfer Künstlerkneipe. Ein Graf, Träger eines sehr bekannten, hochpolitischen Namens, klemmte das Monokel ein: Ah, der Mann, über den man lacht! – Jawohl, Herr Graf, erwiderte Hermann Harry, ohne eine Miene zu verziehen, aber über mich lacht man nur, wenn ich will! – Die Betonung des Wörtchens mich war wundervoll.
In der Tat besaß er, der morbide Mensch mit dem erlesenen Verständnis für kleine, feine Dinge, nebenbei das Talent, eine Zuhörerschaft, ganz gleich, ob sie drei oder dreihundert Köpfe zählte, in die tollste Heiterkeit zu peitschen. Sobald er anfing, gab es immer welche, die das Gesicht in reservierte Falten legten, dieweil sie sich glaubten angeödet fühlen zu müssen. Denn sein Humor ging ja gar seltsame und ungewohnte Wege, Wege von fast futuristischer Neuheit: Hamlet, den die unbändige Lust anwandelt, den American Excentric zu spielen. In der Einkleidung des sinnvoll blühenden Blödsinns führte er mit glänzendem, unversieglichem Witz und stupender Erfindung seinen siebenjährigen Krieg gegen die Banalitäten und Lächerlichkeiten des Spießbürgers im guten Rock. Gelegentliche Widerwärtigkeiten wuchsen sich bei ihm in der Grübelei seiner hypersensiblen Natur aus wie Schneebälle, die man auf beschneite Dächer wirft. Als kleine Lawinen prasselten sie auf die Hüte der Passanten, in eine Wolke von prickelnden Kristallen zerstäubend.
Ganze Nächte hindurch konnte er der Sauerteig der allgemeinen Stimmung sein und seine geistigen Purzelbäume schlagen. Es war phänomenal und doppelt erstaunlich angesichts seiner hinfälligen Gesundheit. Er glich der Kerze, die an beiden Enden brennt und flammt. Von Überreiztheit redeten besonders Kluge, wenn sie am Ende ihrer eigenen Kräfte angelangt waren, aber seine näheren Freunde wußten bei aller Fröhlichkeit nur zu wohl, daß es ihm oft, allzu oft die einzig mögliche Form war, sich das Leben erträglich zu machen.
Bei diesen Improvisationen liefen nun auch richtige, runde Geschichten mit unter. Manches von dem, was in seinem Buche »Der Säugling und andere Tragikomödien« und in den folgenden Seiten steht, wurde bei solchen Gelegenheiten reinweg aus dem Ärmel geschüttelt. Trotz der fabelhaften Leichtigkeit, mit der er produzierte, kostete es indes immer noch eine ganze Menge Mühe, ihn zum Schreiben zu bringe». O, die Kunst, bei seiner Begabung nicht zu schreiben, hatte Hermann Harry bis zum Raffinement ausgebildet, mit unendlichem Geschick baute er Hindernisse auf zwischen sich und seinem Schreibtisch und konnte, bei Gott, niemandem gram sein, der ihm dabei half, am allerwenigsten schicken jungen Frauen. Die Wahrheit ist, daß sein Respekt, seine Scheu vor der Druckerschwärze schier unüberwindlich war, zumal nachdem er, nach langwierigen Geburtswehen, sein erstes Buch herausgegeben hatte. Das literarische Verantwortlichkeitsgefühl hemmte ihn erheblich, er kannte zuviel und vieles zu genau, um selber von seinen Grotesken völlig befriedigt zu sein. Sein Sinn stand nach Höherem, er litt stark unter der Begrenztheit seines Könnens.
So war Hermann Harry im Grunde mehr Erzähler als Schriftsteller. Wie seine früheren, sind auch diese neuen Geschichten nicht eigentlich geschrieben, sondern eben erzählt. Nicht anders, als wie sie sich lesen, pflegte er im engeren Kreise, im Kaffeehause, bei Freunden, daheim in seinem Raritätenkabinett, sein Garn zu spinnen. Deshalb und weil ihr Charakter unverkennbar ist, habe ich nicht gezögert, auch etliche schwächere Sachen in den Band einzureihen. Hätte er das Buch selber noch zusammenstellen können, würde er fraglos eine strengere Auslese vorgenommen und überdies das eine und andere noch einmal überarbeitet haben. Letzteres durste ich gar nicht erst versuchen, es wäre eine Fälschung gewesen, die man mir mit Recht verübeln könnte. Steht Hermann Harry in diesem Buche auch nicht durchweg gleich hoch, so ist er doch auf jeder Seite echt, der »Humorist«, wie ihn die Freunde wehmutsvoll im Herzen bewahren.
Eines Abends fiel es ihm spät noch ein, die Malkasten-Redoute zu besuchen, da er jedoch weder Frack noch Kostüm anhatte, wollte ihn der Billetteur nicht einlassen. Er protestierte, er sei kostümiert.
Ach, was Sie nicht sagen! meinte der Türhüter mit der Gelassenheit, die diese Leute anzuschlagen pflegen, wenn der Fall für sie eigentlich undiskutierbar klar liegt. – Und was stellen Sie denn vor, wenn ich fragen darf?
Ich bin ein Neger, erklärte Hermann Harry mit stoischem Ernst.
Sie müssen mich schon für betrunken halten, mein Herr! zürnte jetzt der Betreßte. – Neger! Neger sehen für gewöhnlich ein bißchen anders aus, sollte ich meinen!
Ja, für gewöhnlich, entgegnete darauf Hermann Harry, aber ich bin ein Neger, der sich gerade gewaschen hat!
Ein paar schnell herbeigerufene Komiteemitglieder zogen ihn an beiden Armen in den Saal.
Ich denke mir, mit einem ähnlichen Scherz ist der wunderlich liebe Kerl vor zweieinhalb Jahren, wie zweifelhaft himmlisch auch sein Kostüm sein mochte, in den Himmel eingegangen, allwo er nun seine Kurzweil mit lustigen, schlanken Engeln in Schneckenfrisur hat, während wir im neunzehnten Kriegsmonat leben.