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Der Bärenmartele in Obergrainau brachte am Morgen jenes Tages sein »Spekuliereisen« (Perspektiv) nicht aus der Hand, er eilte jede halbe Stunde zu dem gewählten Standpunkt und hielt Ausschau, kehrte aber dann immer wieder nach dem Hofe zurück, wo ihn Afra stets mit spannendster Neugierde fragte, ob er noch nichts gesehen habe. Auch die alte Mariannl streckte jedesmal ihren grauen Kopf zum Fenster heraus, so oft der Bauer vorbeikam, und rief ihn an.
»Mei' Gott, mei' Gott, wenn's nur ohne Unglück ausgeht!« meinte sie. »Aber halt nacha, wenn er kimmt, gel Martele, nacha kriegst dengerscht an' Respekt vor mein' Hiesl?«
»'ßel kannst dir denken,« erwiderte der Bauer, »und 'n schönsten Frauenbildthaler kriegt er von mir an sei' G'häng.«
»Ja, ja,« lachte die Alte, »da machst eam g'wiß a Freud; braucht aber grad koa' Thaler dran z'hänga am Frauenbildl; es gnüagt eam scho' alloa' 's Frauenbildl.«
»Was denn für a Frauenbildl?« fragte der Bauer verdutzt. »Red nit so dalket; i werd eam dengerscht koa' Bildl oder a Ringl schenka, wie der geistli Herr beim Flachssammeln.«
»Grad a Ringl möcht er, der Kalfakter;« antwortete 172 die Alte heiter, »und a Frauenbildl aa, muaß ja woltern koa' papieras sei'.«
Der Bärenbauer blickte die Sprechende einige Augenblicke schweigend an. In diesen paar Momenten wurde es etwas licht in diesem dicken Kopfe, wie Schuppen fiel es ihm von den Augen; das Frauenbildl, auf welches die Alte anspielte, war seine Afra, und das Ringl ein Ehering. Er mußte bei diesem Gedanken ein sehr komisches Gesicht gemacht haben, denn die Alte lachte gerade hinaus, daß sie beinahe einen Stickhusten bekam.
»Du redst halt daher, wie r an' alts Wei',« sagte jetzt der Bauer; »oder soll 's dengerscht Grund hab'n, daß d' d' Leut verhexen kannst? Da möcht i dir's g'raten hab'n, laß mei' Haus aus 'n G'spiel.«
»Die alten Weiber verhexen nit,« meinte die Alte, noch immer lachend, »dös thean scho' die junga Dirndln.«
»Moanst ebba, mei' Afra?«
»No', was du auf amal g'scheit worn bist!« spottete die Alte. »Du wirst es scho' no' erfahrn. I kaannt mi krank lacha, wenn i mein' Hiesl nit in dera G'fahrnis wüßt, die er deinthalbn ausstehn muaß – grad deinthalbn.«
»Meinthalbn?«
»No', was denn! Drobn am Zugspitz möcht er dir 'n Respekt abgwinna.«
»Also meinthalbn is er auffigstiegn?« wiederholte der Bauer.
»Jeß, und deinthalbn fallt er vielleicht awi ins grause G'wänd! Himmlischer Vater, steh eam bei!«
»Dös war a g'wagte Sach'!« meinte der Bärenmartele. »Da muaß i ja glei' wieder auffischaugn mit 173 mein' Spekuliereisen, ob nix z' sehgn is.« Und er eilte von dannen.
Es war für ihn jetzt kein Zweifel mehr, Mathies war Afras erwählter Bua. Wo hatte er nur die ganze Zeit über seine Augen gehabt? Der arme Flößersknecht, der Häusler, und Afra, die schneidige Bärenbauertochter! Dieser Gedanke dünkte ihm anfangs ganz widerhaarig. Aber die Wagschale, welche er im Geiste spielen ließ, füllte sich auf Seite des Burschen mit mancherlei Dingen, welche der gerechte Bärenmartele gern anerkannte. Mathies war ihm bekannt als brav und arbeitsam, er war kräftig und hübsch und jetzt glaubte er auch an dessen Schneid. Und das zog wohl am meisten. Aber bei dem Gedanken an diese Schneid zog er rasch sein Fernrohr auseinander und richtete es auf den Zugspitzgrat. Es geschah dies jetzt mit vermehrter Neugierde, mit vergrößertem Interesse. Wenn Mathies der Aufstieg gelänge, so müßte er nicht nur in seinen, sondern auch in anderer Leute Augen zehnmal so viel wert sein, als sonst, und seine Afra brauchte sich nicht zu schämen, einem solchen Floßknecht die Hand zu reichen.
Martele meinte, er müßte die Bergsteiger hinaufwünschen auf die schwindelnde Höhe, aber es ward schon bald zehn Uhr und noch immer nichts sichtbar.
Wieder schlug er den Weg nach Hause ein und als ihm Mariannl in den Weg kam, antwortete er auf ihren fragenden Blick: »No' allweil nix! Daß i aber auf dei' vorigs G'schmaatz kimm, so woaß i scho', was d' gmoant hast mit dem Frauenbildl. Wenn aber i nit mag?«
»So kimmt's halt drauf an, wer dös ander hinschiaßt,« meinte die Alte. »In Graseck hast es scho' dafahrn, daß d' aa nit alleweil ob'nauf bleibst; gel, 's Dirndl hat di hing'schossen und 's Best kriegt?«
»Ja, ja, a Hosen hat's aa kriegt, dös sakrisch Dirndl!«
»Und wenn's wieder mit dir rittert, kriegt's an' Buam zu dera Hosen,« lachte die Alte.
»Und der moanst, hoaßt Mathies?« fragte der Bauer mit gar nicht zu unfreundlicher Miene.
»Aber wie du raten kannst!« verwunderte sich die Alte. »Denkst es no', wie 's d' z' Georgi g'sagt hast, drobn am Zugspitz müaßt der stehen und 's Hüatl schwinga und außijuchezen übers Boarnland, der krieget dei' Kind und wenn er sunst nix hätt', als sei' Schneid. Und also, itz sei a Mann von Wort, Bärnbauer, und zoag dein' Charakter. D' Leutln habn si gern, scho' länger, als i 's gspannt hon, i vermoan, scho' sitta ihra Kindheit, und daß i's glei sag: mei' Mathies is a rechter Mann, im ganzen Werdenfelser Landl findst koan bessern, der bringt dir dein Hof nit awa, eher vüri und itz spreiz di nit lang und sag Amen.«
»Ja narrisch!« rief der Bauer lachend, »sie san ja no' gar nit drobn am Zugspitz; und nacha kann i eam aa mei' Afra nit nachiführn und kann sagn: da Hiesl, nimm mei' Dirndl, aber g'schwind, dein Ahnle pressiert's. Und woaß i denn, ob mei' Afra wirkli dein' wunderbarn Prachtbuam so gern hat, wie du sagst. I muaß's dengerscht z'erst fragn, moanst nit?«
»Die Frag kannst dir ersparn, Vata,« rief jetzt Afra, die schon einige Zeit hinter dem Sprechenden stand. »I gieb dir glei d' Antwort. Und also der Hies is mei' Bua, 'n Hies hon i gern, der Hies wird mei' Mo', und a so is's und a so bleibt's in alle Ewigkeit, Amen.«
175 »Ja, so was lebt nimmer!« rief die alte Mariannl, die Hände vor Freude zusammenschlagend. Der Bärenbauer aber drehte seinen Schnurrbart und blickte mit Wohlgefallen auf seine Tochter.
»Also haltst'n deiner wert?« fragte er mit einem gewissen bauernaristokratischen Selbstgefühl.
»Gwiß!« beteuerte Afra. »Und stolz bin i auf eam, und du kannst aa stolz sei' drauf, ob er itz am Zugspitz auffikraxelt, oder nit; was liegt mir da dran! Gelt Vaterl, du giebst mir 'n? 's Glück von dein Dirndl is dir ja alleweil die größt' Sorg gwen. Die Sorg bringst itz an und dafür kriegst an' Schwiegersohn, oan, wie's nit alle Zeit g'raten. Also, giebst dei' Einwilligung?«
»Was will i machen?« sagte der Bärenbauer resigniert. »Mit enk verliabte Bagasche wird ma ja sunst dengerscht nit firti.«
»Juchhe!« rief das Mädchen und umarmte ihren Vater, der ihr mit einer Hand liebevoll Stirn und Haare strich und sich mit der anderen eine Thräne aus den Augen wischte.
»Jeßes, Jeßes, wenn i's nur auffischrei'n kunnt auf d'n Zugspitz!« rief die alte Mariannl. »O mei' himmlischer Vater, die Botschaft wenn er hört, da trifft 'n der Schlag aus lauter Freud!«
»Da is 's gscheita, er hört's nit,« entgegnete der Bauer heiter. »Aber nutzt aa 's Auffischreien nix, so müassen ma dengerscht auffischaugn. Kimm mit außi, Afra, auf 'n Stand, es geht scho' aaf halbe elfe, itz gieb i nimmer viel drauf.«
»So schaugn ma nur schnell,« rief Afra. »Pfüat 176 Gott, Ahnle! Wenn ma 'n dawuschen mit 'n Perspektivi, schrei i Enk glei.« Und sie eilte mit dem Vater von dannen.
»I geh aa mit!« rief die Alte und trippelte hinter den rasch Voraneilenden mit ihrem Stocke her.
Das Perspektiv ward wieder auf eine Querplatte gelegt, der Bauer visierte und richtete es für sein Auge. Die Klippenreihe ward zu wiederholten Malen langsam abgespäht, aber nichts regte sich an den öden, fürchterlich zerrissenen Felsen. Nun sah auch Afra in das Glas, zog es für ihr Auge zurecht, und spähte und spähte.
Die inzwischen herbeigekommene Mariannl blickte mit gefalteten Händen hinauf zu dem kahlen, von der Mittagssonne grell beleuchteten Felsenmassiv. Zu Mittag heimkehrende Landleute und die ganze Kinderschar Obergrainaus hatten sich nach und nach an diesem Observatorium versammelt und alle waren begierig auf das Ergebnis.
Endlich zeigte ein freudiger Ausruf Afras, daß sie auf dem Grate etwas Lebendiges erblickte. Ein winziges, schwarzes Strichlein zeigte sich, gleich hinterdrein ein zweites und darauf ein drittes. Der Bärenbauer meinte erst, es könnten Gemsen sein, aber fest hinaufvisierend, erkannte er zu aller freudiger Ueberraschung, daß es wirklich drei Männer seien, die den Grat vom Schneeferner her soeben erreicht haben mußten und in jener ungeheuren Höhe frei auf der Kante standen.
Allgemeiner Jubel ward über diese Entdeckung laut.
Jetzt rückten die wandernden Strichlein langsam auf der Schneide vorwärts, der Zugspitze entgegen, bald ab- bald aufwärts über die Zacken steigend, bis endlich die seit Jahrtausenden weiß und öde emporstarrende Bergspitze vor dem Fernglase belebt erschien. Der fröhlichste 177 Juhschrei wurde zu den kühnen Bergsteigern hinaufgeschickt auf die felsigen Zinnen.
Daß Mathies unter den glücklichen Ersteigern war, daran zweifelte keiner, und dieser ahnte es wohl nicht, als auch er von oben, das Hütchen schwingend, freudig hinabjauchzte zu seinem Heimatdörfchen, daß sich in diesem Augenblicke sein Jubelruf mit dem seiner Landsleute vermischte und daß das Mädchen, dessen Besitz seine schönste Hoffnung war, schon in diesem Augenblicke mit Freudenthränen in den Augen als seine Hochzeiterin zu ihm hinauf grüßte.
Aber der Jubel der Dörfler währte nur kurze Zeit. Bald sahen auch sie, wie über den Daniel her die verhängnisschwere Wolke zog, schwarz wie Samt und an den Rändern schauerlich schön beleuchtet. Die Wolke schwebte schnell und unaufhaltsam dem Zugspitz zu.
»O weh, o weh!« rief der Bärenbauer besorgt, »die Wedawolken kimmt letz! Wie 's nur mögli is, daß 's so schnell dahinfliegt, als reitet's der höllisch' Feind!«
»Der reit 's aa!« klagte die alte Mariannl. »Der Zuggeist is's, der mit Dunner und Blitz mein' Mathies z' Grund richt'. Heilige Muatta von Ettal, hilf!«
Afra war totenblaß geworden. Sie sah, wie der Vater, der sich in solchen Dingen wohl auskannte, besorgt nach der Höhe schaute, und es war gewiß, daß der Geliebte nun in größter Lebensgefahr schwebte.
Ein stilles Gebet flüsternd, blickte sie hinauf zur Spitze, aber schon hatte die Wolke sie verdeckt. Der grelle Blitz zuckte, der Donner rollte und weckte das Echo in den Bergen – erschrocken sanken alle auf die Kniee. Lautlos beteten 178 sie für die kühnen Bergsteiger um Errettung aus der schrecklichen Gefahr.
Der ersten Wolke waren weitere dichte Nebelschichten gefolgt, in wenigen Minuten war der Grat bis an die Riffelspitze und weiter an den Waxenstein verdeckt, und Donner folgte auf Donner und hallte fürchterlich wieder in der grausen Felsenregion.
Vor wenigen Minuten noch voll Jubel, starrten jetzt der Bauer und seine Tochter sowohl, wie die alte Frau zu dem Wetterstein empor; kaum getrauten sie sich, ihre gräßlichen Vermutungen auszusprechen.
Endlich unterbrach der Bärenbauer das unheimliche Schweigen.
»I halt dafür, daß der schwarz Görgl dabei is,« sagte er; »der verwoaß eam schon z'helfen. Alles andere laß ma unsern Herrgott über und i werd'n Herrn drum angehn, daß er d' Leut vom Dorf zamläuten laßt in d' Kircha zu an' kloan Notgebet für die durt oben.«
»Gen den sirrigen (erzürnten) Zuggeist is kon' Aufkemma!« jammerte die alte Großmutter.
»Ah was Zuggeist!« rief der Bärenbauer. »Der hat heunt da oben abg'haust, – mit 'n ersten Menschentritt auf d' Spitz – wenn d' Sag davon wirkli wahr sein sollt; aber i und alle gscheitn Leut habn niermals dran glaubt. A schneidiger Bua braucht 'n Teufi nit z'fürchten, und die dort oben wern mit Gottes Hilf aa wieder glückli awakemma, und um dös laßt uns beten.«
Bald nach dem Mittagläuten ertönte das Glöckchen abermals und rief die Dorfbewohner zur Kirche. Alle kamen teilnahmsvoll herbei, denn Mathies war überall beliebt, und da sich das Gerücht, daß Afra seine Braut sei, 179 wie ein Lauffeuer verbreitete, war das Interesse für ihn doppelt rege.
Lisbeth und Afra verlobten sich zur Muttergottes in Ettal und zum Besuch des eben stattfindenden Passionsspieles in Oberammergau am nächsten Feiertag.
Das Wetter heiterte sich an diesem Tage nicht mehr auf, ebensowenig das Gemüt der zunächst beteiligten Grainauer. Dem traurigen Tage folgte eine noch traurigere Nacht voll düsterer Gedanken und schwerer Träume. Als aber am folgenden Morgen ein reiner, blauer Himmel sich über die Berge wölbte, die rosenrot herabgrüßten ins Thal, da lebte in allen Herzen die Hoffnung wieder auf, daß gleich dem bösen Gewitter auch die Gefahr an den Bergsteigern glücklich vorübergezogen sei.
Der Bärenmartele spannte sein Schweizerwägelchen ein und fuhr nach Partenkirchen, wo er über das Schicksal der Bergfahrer am ehesten Nachricht erhalten konnte. Und er hoffte, mit glücklichen Nachrichten wiederzukehren. –
Auch von Partenkirchen aus hatte man mittelst eines scharfen Dollondschen Fernrohrs die Bergsteiger auf dem Zugspitzgrat beobachtet und auch hier war der ganze Ort in Aufregung über das Schicksal der so jäh vom Gewitterschauer Ueberraschten. Die wundersamsten Vermutungen wurden ausgesprochen und am Morgen des 28. August machten sich mehrere auf den Weg ins Rainthal, um beim Rainthalbauern oder wenn nötig, auf der Angerhütte um das Schicksal der Bergsteiger Erkundigungen einzuholen. 180