Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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VIII.

Der Gastwirt hatte den alten Lechner und seine Tochter bis zur Thüre geleitet, welche zum Zimmer Franzens führte. Er war ihren Fragen geschickt ausgewichen. Auch übergab er ihnen einen morgens eingetroffenen Brief. Er war von der Mutter, und Traudl versorgte ihn einstweilen in ihrer Tasche. Nun öffnete er die Thür, hieß sie eintreten und nachdem er sie selbst wieder geschlossen, entfernte er sich rasch.

»Franz! Dös is ja unser Franz!« rief Traudl, als sie den jungen Mann erblickte, der, sichtlich erschrocken, sich bei dem Eintritt der beiden vom Sofa erhoben, nun nach ihnen starrte. »Grüß di Gott, Franz! Gelt, du bist's?«

»Wer?« fragte der Vater, die Tochter zurückhaltend, welche auf den Bruder zueilen wollte.

»Unser Franz is's!« rief Traudl wieder.

»So, so!« machte der Alte, mit einem vielsagenden, vorwurfsvollen Blick nach dem Sohn schauend.

Dieser trat jetzt herbei, indem er verlegen dem Vater die Hand hinreichte und ein »Grüß Gott, Vater und Traudl« stammelte..

Der Alte zögerte einen Augenblick, dann aber reichte er ihm auf einen bittenden Blick Traudls hin wohl die Hand, aber ohne jene des Sohnes zu drücken.

111 »Was willst?« fragte er ihm »Warum haltst uns von der Arbeit ab?«

»Sagt's mir vor allem, wo is d' Mutter?« fragte Franz, indem er nun Traudl die Rechte reichte, welche diese mit zitternder Hand ergriff.

»Die is guat aufg'hoben,« erwiderte trocken der Vater.

»Doch nicht g'storben?« rief Franz erblassend und mit einem jetzt wirklich vom Herzen kommenden Ton.

»Na', nu', gottlob, sie lebt!« sagte Traudl rasch. »Der Vater moant nur, sie is in guater Pfleg. D' Frau Mändl, unser Nachbarin, sorgt für sie, es geht ihr nix ab, wir haben ihr schon etli Mark schicken könna von unserm Verdeanst da –«

»Von eurem Verdienst?«

»Ja; und wenn's so fort geht, bringa ma schon a dreiß'g Mark hoam, zumal die Rückreis' mit der Bahn frei is,« versetzte Traudl. »Jetzt aber sei so guat, Franz, und hoaß 'n Vater niedersitzen. Er klagt alleweil über Müdigkeit.«

»Na', na',« erwiderte der Alte, »mit dem Arbeitsgwanta setz i mi nöt auf die samtenen Sessel. I kann schon steh'n. Sag' mir nur, was d' von mir willst.«

»Nichts will ich von euch,« versetzte jetzt Franz. »Ihr sollt nur thun, was ich euch vorschlage. Ihr wißt, ich bin Teilhaber der Firma Kleinschwert, wir handeln auch stark in Hopfen, und da geht es nicht an, daß meine Familie unter den Hopfenbrockern ist. Wenn das jemand erfahren würde, das wäre für unser Geschäft von größtem Nachteil, und für mich eine Schande. Darum müßt ihr heimreisen, sobald als möglich. Ich gebe euch reichlich, 112 was ihr hier verdient hättet und noch darüber – und – und –.«

Er konnte nicht weiter sprechen. Hoch aufgerichtet stand der alte Lechner vor ihm und mit geradezu vernichtendem Blick sagte er: »Bevor i von dir etwas annehmet, sollt' mir d' Hand vom Arm fall'n! Dei' Ehr, moanst, leid't unter unserer Arbeit, und schaama muaßt di über uns? Kann's denn an' ausg'schamtern, ehrvergeßner'n Sohn geben, als di, der si seiner Eltern schaamt, die in ehrlicher Arbeit ihr hart's Leben fristen? Pfui Teufel! Kimm mir nimmer unter d' Augen – i kenn di nimmer – i hab' koan Sohn mehr! Traudl, kimm!« Damit eilte er zur Thür hinaus. Franz war erblaßt und stand wie angewurzelt, die Hand auf den in der Mitte des Zimmers stehenden runden Tisch gestützt. Traudl fing laut zu weinen an.

Jetzt trat Bergwald aus dem Nebenzimmer. Er näherte sich dem Mädchen und rief sie beim Namen.

Traudl blieb überrascht stehen.

»Herr Bergwald? Sie da?« rief sie.

Sie suchte ihre Thränen zu trocknen und ergriff seine dargereichte Hand. Es fiel ihr gar nicht ein, zu fragen, wie er hergekommen, sie war zufrieden, daß er hier war, sie erkannte in ihm den Helfer, dem sie vertrauen durfte.

»Ham Sie 's g'hört?« fragte sie, ihn traurig anblickend.

»Alles hab' ich gehört,« sagte er, »und nun sollen Sie auch wissen, daß ich eigentlich Kleinschwert heiße, und der Schwager und Teilhaber Ihrer Bruders bin.«

»Mein Verräter bist du!« schrie Franz. »Du hast mich dahergelockt, um mich in diese peinliche Lage zu 113 bringen, dich an meiner Verlegenheit zu freuen. Meine Schwester – wie kommt es, daß ihr euch kennt? Was willst du von meiner Schwester?«

»Nach dem, wie du dich zu deinen Angehörigen stellst, geht dich das eigentlich gar nichts an. Damit du aber gleich vom Anfang klar siehst, sollst du wissen, daß ich bemüht bin, mir Edeltrauds Vertrauen zu gewinnen, damit sie mich nicht zurückweist, wenn ich einmal komme, sie zu fragen, ob sie mit mir das Leben teilen, ob sie mein Weib werden will.«

Franz trat vor Ueberraschung einen Schritt zurück. Traudl blickte mit einem unaussprechlichen Gefühl in die Augen des ihr so teuren Mannes. Doch konnte sie kein Wort erwidern, denn in diesem Augenblick ertönte ein Schreckensruf, die Thür ward aufgerissen – der alte Lechner lag, wie vom Schlage dahingestreckt, vor derselben.

Es war für Edeltraud ein entsetzlicher Uebergang von einem der seligsten Augenblicke ihres Lebens zu dem schrecklichsten: den geliebten Vater wie tot am Boden liegen zu sehen. Mit einem gellenden Schmerzensschrei warf sie sich über ihn.

Otto untersuchte rasch den Leblosen und rief:

»Er ist nicht tot – nur ohnmächtig. Vorwärts, Franz, hilf mir, den Vater auf sein Zimmer zu bringen. Wo ist es?«

»Im Nebenbau,« rief Traudl.

»Tragen Sie ihn nur glei hier herein,« sagte der herbeieilende Gastwirt, indem er eine nach rückwärts gelegene Stube öffnete.

Franz und Otto legten den Ohnmächtigen auf das Bett und Bergwald wendete rasch die in solchem Fall 114 nötigen Vorsichtsmaßregeln an. Es wurde selbstverständlich sofort nach dem Arzt geschickt, inzwischen aber brachten Frau und Töchterlein des Hauses Essenzen und Tropfen, und noch ehe der Arzt erschien, schlug der Alte die Augen wieder auf und gab zu verstehen, daß er sich sterbensmatt fühle. Er griff nach der Hand seiner Tochter – diese hatte dem Bruder ein Zeichen gegeben, daß er sich für jetzt dem Blick des Vaters entziehe. Auch Bergwald zog sich ungesehen von dem Alten zurück. Dafür trat alsbald der Doktor ein.

Es stellte sich heraus, daß es sich nur um eine vorübergehende Ohnmacht handle, hervorgerufen durch die vorhergegangene Aufregung. Eine Gefahr schien nicht vorhanden.

Bald war Traudl wieder allein mit dem Vater, dessen Hand in der ihrigen ruhte. Der Alte schien zu schlafen. Nach einer Weile schlug er die Augen auf. Lange blickte er schweigend nach der geliebten Tochter, dann sagte er mit leiser Stimme:

»Moanst nöt, Traudl, es is ausbrockt bei mir?«

»Dös geht vorüber, Vaterl,« tröstete sie. »Denk an nix Schlimmes.«

»An di denk i und an d' Muatta. Ge, les' mir dös Brieferl vür, dös s' uns g'schrieben hat.«

Traudl hatte den Brief ganz vergessen; nun kam sie sofort dem Wunsch des Vaters nach. Das Schreiben der Mutter lautete:

»Ihr Lieben! Mit Freude habe ich euren Brief erhalten und daraus ersehen, daß ihr gesund dort angekommen seid, und es euch gut geht. Auch ich bin auf der Besserhand, ich kann schon hinüber zu den Mändl-Nachbarn 115 gehen, die es mir an nichts fehlen lassen. Der Fritz sitzt oft stundenlang bei mir und vertreibt mir die Zeit. Leider muß er bald fort. Er ist befördert worden als Lehrer auf einem schönen Posten in Eschlkam, da hat er eine schöne Einnahme und weil er von Haus aus auch nicht leer ausgeht, es sind ja nur zwei Geschwister auf dem schönen Mändlbauer-Anwesen, so kann er schon zufrieden sein. Er fragt halt immer nach unserer Traudl und freut sich, daß sie sein Lied vom Bayerwald so gern singt. Am Frauentag, hat er gesagt, geht er nach Neukirchen zum »heiligen Blut,« da will er die Himmelmutter um etwas bitten, daß ihm etwas, was er sich wünscht, in Erfüllung geht. Ich kann mir schon denken, was das ist. Und also soll ich euch tausendmal grüßen vom Fritz und seiner Mutter und seinem Bruder, und zum Schluß kann ich euch noch zu wissen thun, daß die Arbeit in der Fabrik in drei Wochen wieder angeht, bis wohin ihr ja gottlob längst wieder glücklich daheim seid bei eurer euch über alles liebenden Mutter.«

Traudl faltete den Brief wieder zusammen und blickte dann wie traumverloren zu Boden.

Der Vater betrachtete sie eine Weile, dann sagte er mit leiser Stimme:

»Woaßt, was mei' Herzenswunsch is? An' braven ehrlichen Mann für di und – i woaß's ja, der Mändl-Fritz hat di gern und hofft auf di. Der wird di glückli machen.«

»Der Mändl-Fritz, der Lehrer?« fragte Traudl überrascht. »Vater, i hab' ja no' gar nöt an so was denkt.«

»Aber i, aber i – seit Falkenstoa'. I bitt' di um Gottswilln, tracht' nöt außi über dein' Stand. Grad hat 116 mir traamt, der Herr is wieder da von Falkenstoa' und will dir 'n Kopf verdreh'n –«

»Dös hat dir traamt?« unterbrach ihn Traudl. Ihre Hand zitterte.

»Warum zittert denn dei' Hand so?« fragte der Alte dagegen.

»I woaß's nöt,« antwortete Traudl unsicher.

»Aber i woaß's – i woaß's, was in dein' unschuldin Herzen vorganga is. Du denkst allerweil an den Maler, bist oft verhofft, wenn i di anred', und siehgst, iatz wirst rot – i hab' scho' recht.«

»Ja, Vater, du hast recht. Aber was sagst dazua, wenn der Herr nix anders wollt, als mi heiraten? Wenn er mi wirkli gern hätt'? Er is a berühmter Künstler und sei' rechter Nam' is Kleinschwert, er is der Bruader vom Franz seiner Frau, sei' G'schäftsteilhaber, kurz, a reicher, aber aa r a braver Mann.«

»Hör' auf, Deandl, hör' auf! Soll i di aa verliern in dem G'schäftshaus, wie i mein' oanzigen Buam verlorn hab? Soll i di ins Unglück renna sehgn? I hab' amal z' Regensburg auf da Wach' a Büachl g'lesen, »'s Lorle oder d' Frau Professorin« hat's g'hoaßen, dös schau, daß d' kriegst, dös les' und vergiß nöt auf 'n Mändl-Lehrer. Mir is die G'schicht wieder eing'fall'n, weil d' Tochter von unserem Wirt aa »Lorl« hoaßt. Vielleicht verschafft dir dö dös Büachl. Dös muaßt lesen!«

Es fielen ihm jetzt wieder die Augen zu. Sein tiefes Atmen zeigte bald, daß er in einen erquickenden Schlaf verfallen war.

Dem Bruder, welcher, leise die Thüre öffnend, fragend hereinblickte, gab Traudl ein Zeichen, er möge den 117 Schlafenden nicht stören. Dann schloß auch sie die Augen, nicht um zu schlafen, sondern um die auf ihr Herz und ihr Gemüt einstürmenden Empfindungen einigermaßen in Ordnung zu bringen.

Es gelang ihr aber nicht. Wie wäre das auch möglich gewesen! Binnen weniger Minuten war das bescheidene Mädchen gleich von zwei Freiern begehrt. Erfreute Traudl, soweit dieses bei der Sorge um den kranken Vater möglich, einerseits das Geständnis Bergwalds, der seit dem ersten Begegnen einen so unerklärlichen Eindruck auf sie gemacht, so erfüllte sie doch auch die Erinnerung an den ihrer Familie so liebenswerten Mändl-Fritz, den Sohn ihres Nachbars, mit dem sie von Jugend auf in herzlichstem Einvernehmen lebte, der sich als Lehrer mit ihr so viele Mühe gab, mit nicht zu bewältigender Rührung. Dazwischen drängten sich die aufregenden Gedanken über die Anwesenheit ihres Bruders, dessen Aussöhnung mit dem Vater sie jetzt als ihre erste Pflicht betrachtete. 118


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