Maximilian Schmidt
Die Hopfenbrockerin
Maximilian Schmidt

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IV.

»'s Muckerl is da!« rief Schirmer seiner Hausfrau entgegen, als diese nach Hause kam.

's »Muckerl« war ein großer, breitschulteriger junger Mann mit dickem, schwammigem Gesicht, das von einem langen Schnurr- und blonden Backenbart umrahmt war. Auf dem grünen Kragen seiner grauen Joppe war ein Eichenlaub in Gold gestickt und seine jetzt am Fensterkreuz hängende Mütze zeigte das fürstlich Taxissche Wappen.

»Muckerl, du bist schon da?« rief die hocherfreute Mutter. »Das is ja a höllische Freud für mi!«

Der Sohn begrüßte die Mutter freundlich und sagte dann:

»A paar Rebhendl hab' i dir in d' Kuchel g'legt.«

»Rebhendl? Da giebt's glei an' Festbraten für heut. Schau nur, wir ham ja Gäst! Woaßt es scho'? Da – da is d' Edeltraud, die Tochter von an' Kriegskameraden von dein' Vater. Was sagst da?«

»Grüaß Gott!« sagte Traudl, dem Forstmann freundlich die Hand reichend.

»No', wie g'fallt's Ihna bei uns da?« fragte Nepomuk.

»Wie könnt's anders sei', als guat!« versetzte Traudl;»i erfahr ja nur Liab's und Guat's.«

»Bei so an' schön' Madl versteht si dös von selm,« meinte der Jäger.

51 »Der Muckerl hat's glei heraus, was eam g'hört,« sagte die Mutter wohlgefällig. Schirmer aber lachte und fügte bei:

»Ganz mei' Bluat! Jetzt aber muaß i wieder auf 'n Magistrat. Der Lechner-Toni is beim Regensburger Boten droben auf B'suach, aa r a Veteran von die Elfer. Der nimmt 'n heut' nacht mit nach Regensburg. Er hat eam an' extra bequemen Sitz eing'richt' auf sein' Frachtwagen. I hab zwar dagegen Einspruch erhoben und hab' g'moant, der Lechner und sei' Deandl – pardon, Jungfer Edeltraud – sollten heut no' bei uns über Nacht bleiben, aber der Toni halt's für g'scheiter a so, er fürcht, er könnt' z' spät in d' Holledau kömma.«

»In d' Holledau?« fragte Muckl. »Zu die Roßdiab ins Schelmenlandl? Was thuat's denn dort?«

»An' Veteran b'suachen,« antwortete rasch der alte Schirmer, um den Sohn nicht gleich wissen zu lassen, daß er Hopfenbrockersleute im Hause habe.

»No', da könna S' was Schön's erleben,« lachte Nepomuk. »In d' Holledau, die da anfangt, wo die g'scheiten Leut' aufhören und wo jetzt alles G'sindel vom ganzen Land z'sammkimmt zum Hopfenbrocken.«

Traudl errötete und wollte etwas erwidern. Aber Frau Schirmer gab ihr ein Zeichen, zu schweigen. Schirmer aber gab seinem Sohne ebenfalls einen leichten Rippenstoß zum Zeichen, daß er schweigen solle. Dieser kannte aber dieses Stoßes Bedeutung nicht und fuhr fort:

»In der nächsten Woche geht mei' Urlaub an. Da könnt i mir dös Landl aa r amal anschau'n. Während meiner Dienstzeit war bei meiner Kompagnie a vermöglicher Hopfenbauerssohn von Au, der mi eing'laden hat, 52 daß ich 'n amal b'suachen soll. I wär' neugieri auf die Leut', die dreiundachtzig Tänz haben. Sie müassen nämli wissen, Fräuln –«

»Traudl, wenn i bitten därf,« unterbrach ihn diese. »I bin g'wiß koa' Fräuln.«

»Sie müassen nämli wissen, daß i fürs Leben gern tanz. I freu mi scho' auf d' Quer heunt. Sie kommen hoffentli aa hin?«

»Natürli geht's hin,« versetzte Schirmer. »Aber um fünfe muaß 's wieder da sein, weil der Bot um die Zeit scho' abfahrt. Es is freili nöt angenehm, so d' Nacht durchi z'fahr'n.«

»O, dös macht mir nix,« entgegnete Traudl. »In unserer Fabrik is oft Tag und Nacht g'arbet worn; da fragt der Vater nix darnach, und i aa nöt. D' Hauptsach is, daß der Vater ohne Anstrengung auf Regensburg kimmt. Und no' dazua is ja jetzt Vollmond, da is's schön und kühl bei der Nacht.«

»No' also, da geht ja alles nach Wunsch!« antwortete Schirmer. »Also, daß d' Rebhend'ln hübsch dünst' wern, schön Speck überlegen und so weiter –. I b'fehl' mich einstweilen. Muckerl, laß dir nix abgeh'n – trinkst eh a Seidel im Postgarten oben?«

»Heut könnt' i's g'raten,« sagte Nepomuk mit einem Blick auf Traudl.

Schirmer lachte.

»Ganz wie i! Ganz wie i!« Damit verließ er eiligst das Haus.

»Da wird 's mit 'n Kirta in der Quer nix sei' für mi,« meinte jetzt Traudl.

»Warum nöt?« entgegnete Frau Schirmer. »Wir 53 müassen uns halt scho' zeitig wieder am Hoamweg machen; freili wird's da erst am schönsten.«

»I geh' scho' alloa' hoam, Frau Schirmer. Meinthalben sollt 's nöt geniert sei', nöt um alles.«

»Das wird sich schon finden,« sagte Nepomuk in galantem Ton, sich den Schnurrbart streichend. »I bin vorhin mit'n Vater schon bekannt wor'n, mit dem werd' i schon alles richten.«

»Muckerl! Muckerl!« drohte die Mutter mit dem Finger.

Der Eintritt des Schleifers verhinderte die Fortsetzung dieses Gespräches. Er meinte, es sei ihm ein Stein vom Herzen genommen, daß er nicht zu Fuß nach Regensburg gehen müsse. Ein Glas Wein, das er mit dem Kriegskameraden getrunken, hatte ihn sehr erheitert, sie hatten dabei von dem und jenem geplaudert, von den großen Siegen, die sich jetzt Tag für Tag jährten und auf das Deutsche Reich getrunken, das sie mitgeholfen hatten zu begründen.

»I bin an' armer Teufl,« sagte er noch in Erinnerung des vorigen Gespräches, »i hab' nix vom Deutschen Reich, muaß in meine alten Tag so viel wia betteln geh'n, aber wenn i z'ruck denk an diesel' groß' Zeit, da vergiß i auf die Lumpen von mein' Gwanta, da schlagt mir 's Herz wieder frisch und jung, dös Gedenka wär' mir um nix feil, därft's mir 's glauben, um gar nixi.«

»Dös sagt mei' Schirmer aa,« sagte die Frau. »Dem geht nix über die Vergangenheit.«

»Und mir nix über d' Gegenwart,« fiel Nepomuk lachend ein, sich eine Zigarre anzündend und dabei nach Edeltraud schielend.

54 »Muckerl! Muckerl!« drohte die Mutter wieder. »I geh' jetzt, d' Rebhendeln herz'richten. Unterhalt einstweilen unsere Gäst', aber nöt zu galant, bitt i mir aus!«

Da übrigens Nepomuk die »Elfemesse« in der Post doch nicht gern versäumte, so währte seine Anwesenheit nur so lange, bis Traudl die Hausfrau bat, ihr in der Küche helfen zu dürfen, welche Beihilfe sich die Frau gern gefallen ließ.

Bald nach dem Mittagessen machte sich die Schirmersche Familie mit Traudl auf den Weg nach St. Quirin. Der Schleifertoni nahm schon jetzt von seinen freundlichen Wirten herzlichen Abschied. Besonders zwischen den beiden Kriegskameraden war dieser Abschied ein sehr inniger und Schirmer sagte:

»Es versteht si per se, daß d' am Rückweg wieder mei' Gast bist. Mit oan Tag is's aber dann nöt abthan, gelt, dös mirkst dir, alter Kumpaniespezl; i kommandier' 's als Brigadebefehl, und also, i bitt' mir Subordination aus. Eing'schlag'n – a Mann, a Wort!«

Der Schleifertoni schlug in die dargereichte Rechte und sicherte dem Kameraden zu, am Rückweg wieder zuzukehren. Darüber beruhigt, trat dann Schirmer mit den Seinen den Weg »in die Quer« an.

Sankt Quirin liegt drei Viertelstunden nordöstlich von Falkenstein in ziemlicher Höhe auf dem Abhang des sogenannten Galgenberges, vom Volk St. Quer geheißen.

Hier finden während der Dienstage von Benno, Bartlmä und Wolfgang Jahrmärkte statt, die sich stets zu einem Volksfest der von allen Seiten zahlreich heranströmenden Wäldler gestalten. In alten Zeiten erschien auf diesen Märkten jedesmal der oberste Beamte des 55 Gerichtssprengels in Person, teils um die jählings ausbrechenden Streitigkeiten zu schlichten, teils um die Zollgebühr an Vieh zu erhalten. Gaunern und Langfingern aller Orte war der Zutritt gestattet, doch mußten sie für ihre Praxis dem gestrengen Herrn dreißig Kreuzer Gebühr per Kopf erlegen und erhielten dafür die Warnung, sich nicht auf der That erwischen zu lassen. Zur bestimmten Stunde wurde dann unter Trommelschlag verkündet, die Marktgäste möchten sich in acht nehmen, es seien »geschwinde Leute« da. Der Frohn hatte das Monopol der Kegelbahn, der Reuter (Rollbügelspiel) und anderer Hazardspiele, aus welchen der Diener der Gerechtigkeit ansehnlichen Gewinn zog.

Derartige Vorkommnisse gehören jetzt freilich nicht mehr unter den Schutz des Gesetzes. Die Langfingerei hat sich aber gleichwohl, wie bekannt, bei Massenzusammenkünften in voller Blüte erhalten, wie nicht minder die verschiedenen Glücksspiele, wenn auch in anderer Form oder mit anderen Namen.

Der Viehmarkt hatte in den Vormittagsstunden stattgehabt, nachmittags war nur mehr »Leutemarkt«, d. h. neben dem Tanzplatz waren Buden aufgeschlagen, in welchen Bier, Fleisch und Brot zu haben war; ferner standen da die Buden der Lebzelter, Verkaufsstände für Mund- und Zugharmonikas, Röhrpfeiferln, Spielsachen aller Art, auch solche mit Kleidungsstücken, schönen seidenen Tüchern, Stiefeln, Schuhen, Hüten waren vertreten, daneben zeigte sich das fahrende Volk, Guckkasten vertraten die Stelle von Panoramas, Seiltänzer zeigten ihre Künste, ja sogar ein aus Leinwand aufgeschlagener Zirkus befand sich hier, worin sich einige Veteranen der Kunst, vormals angestaunte 56 Künstler, noch kümmerlich produzierten und mit einer Art Galgenhumor das Volk zum Lachen zwangen. Dabei fehlten nicht die Marktschreier aller Art, wie sie überall bei solchen Gelegenheiten sich einfinden. Wer am ärgsten schrie, hatte das größte Publikum.

Wie jedesmal, war auch heute der Marktplatz von Gästen geradezu überfüllt, von nah und fern waren die Wäldler herangekommen, teils als Käufer und Verkäufer, teils nur zum Vergnügen; dieses war besonders die Triebfeder für das junge Volk. Burschen und Mädchen, die von Gesundheit und Lebenslust strotzten, hatten sich, da das Wetter so günstig, zahlreicher denn je eingefunden und drängten sich um die Buden, besonders um jene der Lebzelter, wo schön bemalte, mit Versen versehene Herzen eine gesuchte Ware waren, mit welchen die Burschen die Mädchen beschenkten. Dafür erhielten sie von diesen künstliche Blumensträußchen als Schmuck auf den Hut. Zahlreiche Instrumente, wie Harmonikas, Kindertrompeten, Kuckezer, Pfeifen und Ratschen, brachten den bekannten Jahrmarktspektakel hervor, der auf das Landvolk durchaus keine unangenehme, sondern mehr eine die Kauflust anregende Wirkung hervorbringt.

Schirmer war, wie schon erwähnt, in dienstlicher Eigenschaft anwesend und suchte sich überall die nötige Autorität zu verschaffen. Sein Sohn hatte sich aber schon ein schattiges Plätzchen am Schänkplatz ausgewählt und für die nachkommenden Frauen belegt.

Die Vorsicht wäre übrigens nicht nötig gewesen, denn es versuchte ohnedies niemand in seiner unmittelbaren Nähe Platz zu nehmen. Die Burschen waren dem Jäger nicht besonders grün, teils seiner Stellung halber, in welcher 57 er sehr gewissenhaft war und schon vielfach Wild- und Holzfrevler zur Strafe gebracht, teils seiner Person selbst wegen, da er, wenn auch sonst gemütlicher Natur, doch sobald er einige Maß Bier getrunken, leicht in Streit und Händel geriet, und sich auf seine Stärke wohl mehr einbildete, als recht war. Er hatte bei der großen Hitze einen »Heidendurst« und er sorgte mit größter Sorgfalt für sein leibliches Wohl.

Sehr erschöpft traf seine Mutter mit Edeltraud am Platz ein und sie nahmen sofort ihre Plätze an der Seite des Jägers. Die Burschen an den Nebentischen guckten sehr neugierig nach dem fremden Mädchen, das man allgemein für eine Böhmin hielt. Nachdem sich die beiden Frauen »ausgeschnauft« hatten, was bei Frau Schirmer mehr als not that, führte sie Nepomuk durch die Budenreihen, wobei er nicht verfehlte, der schönen Traudl ein zuckernes Herz anzubieten und ihr auch ein Gläschen Met zu kredenzen.

»Ja, mei' Muckerl woaß halt, was die Madln gern ham,« sagte Frau Schirmer lachend.

Dann gingen sie, da soeben eine Vorstellung begann, in den Zirkus.

So etwas hatte Edeltraud noch nie gesehen. Sie fand auch keinen Gefallen daran. Die Art oder vielmehr der Mangel an Kleidung bei den Reiterinnen machte sie erröten, dagegen mußte sie über die tollen Späße des Hanswursts herzlich lachen. Monsieur Klein, wie er stets angerufen wurde, hatte das Gesicht so übermalt, daß er ganz jugendlich aussah. Er machte seine Sprünge und Purzelbäume ohne sichtliche Anstrengung, und so war Traudl nicht wenig überrascht, als ihr Nepomuk erzählte, der Mann 58 sei bereits über 60 Jahre alt, sei früher selbst Direktor eines nicht unbedeutenden Zirkus gewesen, habe durch verschiedenes Unglück sein Vermögen verloren, und müsse nun in hohem Alter sein bißchen Brot als Hanswurst und Clown bei dieser herumziehenden Gesellschaft verdienen.

Auf diese Nachricht hin vermochte Traudl nicht mehr zu lachen, und als sie jetzt sah, wie eine Reiterin, welche infolge falschen Reifstellens von seiten des Hanswurstes vom Pferd springen mußte, diesen mit der Reitpeitsche über den Rücken hieb, daß er sich seufzend krümmte, da konnte sie einen Schrei des Mitleids nicht unterdrücken und war nicht mehr imstande, dem weiteren Verlauf der Vorstellung anzuwohnen. Sie erhob sich und versprach, draußen auf ihre Begleiter zu warten, die alles für ungemein lustig hielten und ihr Eintrittsgeld bis zur Neige ausnützen wollten.

So trat Edeltraud aus dem Leinwandzelt. Ohne daß sie es ahnte, war ihr Otto Bergwald gefolgt, der sie bis jetzt aufmerksam und von ihr unbeachtet betrachtet hatte und recht gut sah, wie das Mädchen über die Brutalität der frechen Reiterin empört war.

»Es scheint Ihnen wie mir zu gehen,« sagte er, nachdem er Traudl begrüßt hatte; »mich ekelt die Sache da drinnen an.«

»So was is doch unerhört!« meinte sie empört. »Is der Hanswurst so alt wie mei' Vater und muaß Purzelbaam machen und si von dem jungen Ding mit der Reitpeitschen hauen lassen, er, der selm amal der Herr war.«

Es standen ihr wirklich Thränen in den Augen als sie das sagte.

»Lassen Sie sich dadurch nicht aufregen,« entgegnete 59 Otto. »Gewiß macht dieses Mitgefühl Ihrem Herzen alle Ehre, aber es ist nicht so schlimm wie es aussieht. Glauben 60 Sie, wenn man diesem Monsieur Klein eine kleine, aber ausreichende Pension für Lebenszeit anböte mit der Bedingung, seiner »Kunst«, wie er es nennt, zu entsagen und sich irgendwo ruhig niederzulassen, er würde da zugreifen? Sicherlich nicht. Er bliebe lieber bei seinem freien, ungebundenen Vagabundenleben. Solche Leute wollen und können aus ihrer Umgebung nicht heraus. Empörend aber ist die Thatsache, daß diese Miß Luzie die leibliche Tochter dieses Mannes ist, den sie vor den Augen des Publikums anstandslos mit der Peitsche züchtigt.«

»Is denn so was mögli?« rief Traudl.

»In der Welt ist gar vieles möglich,« meinte der Maler.

»Da wollt i scho', i hätt' dahoam bleib'n könna in mein' Wald,« sagte Traudl.

»Andere würden das segnen, was Sie als nicht geschehen wünschten,« erwiderte Otto.

Traudl verstand ihn nicht. Sie waren während dieses Gespräches etwas über die Buden hinausgekommen und hatten jetzt wieder einen Blick in die Landschaft. Traudl blickte wohl in das Thal hinab, aber nicht mehr mit derselben Begeisterung, wie gestern und heute morgen. Das was sie vorhin gehört und gesehen, hatte ihr Gemüt geradezu verletzt. Und so sagte sie auch jetzt:

»So a traurige G'schicht könnt am d' Freud' an der schönsten Gegend verderben.«

»Das sollte es nicht,« sagte der Künstler. »Im Gegenteil, der Anblick der herrlichen Schöpfung muß das Gleichgewicht in unserem Innern wieder herstellen, muß uns dem lieben Gott näher bringen, muß die Niedertracht der Welt vergessen lassen oder doch erträglich machen. Ein frommes 610 Herz wird sich stets über das Elend in der Welt erheben können, und selbst wenn es das eigene Elend wäre. Sind Sie nicht in ähnlicher Lage? Hab ich Sie doch gestern abend so fröhlich singen und jodeln hören, trotzdem Sie durch unverschuldete Verhältnisse gezwungen sind, mit Ihrem alten Vater eine beschwerliche Reise zu machen, um einige Pfennige zu verdienen.«

»O, dös macht mi g'wiß nöt trauri,« rief Traudl.

»Aber Ihren Vater desto mehr. Sein reicher Sohn hätte ihm helfen können, helfen müssen und mir kommt es fast vor, als hätte Ihr Vater von ihm, wenn auch nicht in Wirklichkeit, so doch moralisch einen ebensolchen Peitschenhieb der Undankbarkeit erhalten, wie ihn Miß Luzie ihrem Vater verabreichte.«

»Na', na', der Franz könnt' so was niemals thuan!« rief Traudl. »Es is nöt schön von eam, daß er 'n Vater so in der Patsch sitzen laßt, dös is wahr, aber wer woaß denn, was für Umständ' da mithelfen. Er sollt's aa nöt erfahren, wie übel wir dran san und gelt, Sie sagen eam nix davon, wie 's uns troffen ham? Um dös bitt' i eahna scho' recht.«

Der Künstler versprach, ihren Wunsch zu erfüllen, meinte aber, es wäre ein Naturgesetz, daß das Vergehen der Kinder an ihren Eltern früher oder später vergolten werde. Dann fragte er Traudl nochmals genauer aus über ihr Reiseziel, wie sie den Weg dorthin zurücklegen würden, wo sie Arbeit fänden und noch manches andere. Traudl beantwortete diese Fragen so gut sie es vermochte, und als sie erwähnte, daß sie und der Vater noch heute abend mit dem Botenfuhrwerk nach Regensburg fahren würden, empfahl er ihr, in Brennberg, wo der Fuhrmann 62 sicher abfüttern würde, diese Zeit zu benützen, um das dortige Schloß zu besteigen, wo sie von der Höhe desselben bei Sonnenuntergang oder Vollmond den bayerischen Wald nochmals sehen könne.

»Da steig' i freili auffi,« entgegnete Traudl. »I sehn mi ja so danach, mir is, als müaßt i wieder hoamzua. Mir is grad', als wär' was im Anzug – i kann nöt sagen was – aber mir is so schwer ums Herz.«

Ihre Augen füllten sich mit Thränen.

»Das ist das Neue, Unbekannte,« meinte tröstend der Künstler. »Der Anblick der heimatlichen Berge wird Ihnen wie ein lieber Gruß von dort erscheinen, er wird Sie wieder heiter stimmen, Sie werden wieder das Lied vom Walde singen, so fröhlich, wie ich es gestern abend von Ihnen gehört.«

»Sie ham mi singn hör'n?« fragte Traudl errötend und zugleich erstaunt . . . .

»Da is's ja!«

Diese Worte unterbrachen die weitere Unterhaltung der beiden. Frau Schirmer und ihr Sohn hatten das Mädchen gesucht und waren überrascht, es endlich außerhalb der Budenreihen mit dem jungen Künstler zusammen zu treffen.

»I sag's ja,« sagte sie zu Nepomuk, »der Satanas hat's scho'!«

Vielleicht war es diese Aeußerung, vielleicht natürliche Unhöflichkeit, welche Nepomuk veranlaßten, das Mädchen ganz ungeniert zu fragen:

»Wer is denn der Herr?«

Daß er bei dieser Frage den Künstler mit gewissem Mißtrauen anblickte, war selbstverständlich 63 Ebenso verstand es sich von selbst, daß letzterer die Beantwortung der Frage übernahm. Nachdem er Name und Stand genannt, fuhr er fort:

»Ich durfte gestern dem Vater dieses Mädchens einen kleinen Dienst erweisen, wodurch wir uns kennen lernten. Heute früh begegneten wir uns wieder in Gegenwart – ah, da sind Sie ja selbst,« redete er Frau Schirmer an, als erblickte er sie jetzt erst.

»Ja, ja, wir kennen uns schon,« sagte diese freundlich.

»Nun darf ich wohl auch bitten, mir zu sagen, wer die Auskunft verlangt hat, die ich, wie ich glaube, zur Befriedigung gegeben?«

Er blickte nun auch seinerseits den Jäger scharf an. Aber dieser schien mit den Umgangsformen wenig bekannt zu sein, denn er erwiderte:

»Wer und was i bin, siehgt jeder und ausfragen laß i mi nöt lang. Kommen's jetzt, Edeltraud.«

Damit wandte er sich zum Gehen.

Frau Schirmer aber suchte die Roheit ihres Sohnes gut zu machen, indem sie sagte:

»Wissen's, Herr, dös is mei' Muckerl, fürstlich Taxisscher Jäger. Er hat halt a so a Gradausmanier, mei', er moant's nöt so – und also b'fehl mi.« Und mit einer gewissen Verlegenheit wandte auch sie sich zum Gehen.

Traudl sah ängstlich nach des Künstlers Gesicht, es schmerzte sie, daß er um ihretwillen Unangenehmes zu dulden hatte. Bergwald merkte das wohl und reichte ihr die Hand mit einem freundlichen: »Auf Wiedersehen!«

Traudl und ihre Begleiter hatten die früheren Plätze am Tisch wieder inne. Das war aber nicht anstandslos möglich gewesen. Einige Burschen hatten die leeren Plätze 64 in Besitz genommen, obwohl die umgelehnten Sitze darthaten, daß sie belegt seien. Der Jäger hieß sie deswegen kurzweg Platz machen, und als sie nicht rasch genug Folge leisteten, schob er sie einfach von der Bank.

Das gab zu sehr unlieben Aeußerungen Anlaß. An den Nebentischen postierte Burschen riefen ihren Kameraden zu: »Kommt's zu uns her und laßt's 'n Jaga dort Herr sei'.«

Diese Einladung ward sofort angenommen, aber es war damit der Anfang zu Mißhelligkeiten gemacht. Einer der Burschen nahm seine Mundharmonika hervor und spielte, diesem Beispiel folgte ein zweiter und dritter, und bald begannen die Schnadahüpfeln, diese Stegreifgesänge, ihre Blüten zu treiben. Erst harmlos, ging es nach und nach mehr und mehr über den Jäger her, wie folgende Texte zeigen:

»Im Wald is mei' Hoamat.
Im Wald leb' i gern.
Im Summa is's kalt, aber
Im Winter zum Dafrern.

Drei Vierteljahr Winta,
Ein Vierteljahr kalt,
Aber alleweil lusti,
So geht's halt im Wald.

Vom Wald san ma außa,
D'rum san ma so frisch,
Weil Winta und Summa
Da Schnee drinnat is.

Vom Wald san ma außa,
Vom Tannzapfareut (Tannenzapfenreut).
Vom Tannzapfawasser! (Ozon)
Da kriegt ma a Schneid.

Im Wald is a Leb'n,
Kann koa' schöners nöt geb'n, 65
Wenn 's Büchserl erst knallt
Und der Rehbock umfallt.

A bißl was schwärz'n
A bißl was jag'n
Und a Deanderl zum gern hab'n,
Laß i ma' zwoamal nöt sag'n.

Da Jaga und da Grenzer
San kreuzbrave Leut,
Aber dennast wern's allzwoa
Koan Waldlabuam z' gscheit.

Lieber a Wildschütz
Als a Jagasknecht sei',
Därf der Herrschaft nix liefern,
Was i schieß, dös g'höt mei'.

Willst alleweil a Wildschütz sei',
Traust dir in koa' Holz nöt nei',
Schießen thuast aa spottschlecht,
Du waarst der recht!

Schaugt's nur den Jagersknecht,
Wie 'r a si' broseln möcht'!
Buam, lacht's 'n g'höri' ans,
Rührt a si', haum ma 'n z'haus.«

»I werd' enk's glei' lerna!« unterbrach sie jetzt Nepomuk, den dieses Ansingen schon lange geärgert. »Mit enk Bauernfünfer werd i firti, dös sollt's glei sehg'n!«

Er eilte zu dem Tisch der Burschen. Diese erhoben sich wie ein Mann und drohten, den Ankömmling mit ihren Bierkrügen zu empfangen.

Da stürzte sich Schirmer zwischen die Parteien und gebot:

»Ruhe im Namen der Obrigkeit!«

»Sie singa mi aus!« rief der Sohn seinem Vater zu.

66 »Laß 's singa!« versetzte dieser. »Wo man singt, da setz dich ruhig nieder! Böse Menschen haben keine Lieder.«

Damit zwang er den Sohn auf seinen Sitz zurück. Die Burschen nebenan lachten, und damit war die Sache abgethan.

Jetzt begann der Tanz.

»Juchhe!« hallte es von überall her.

»So, jetzt tanzt's, daß d' Fetzen davon fliegen!« rief Schirmer. »Dös is g'scheita wie 's Aussinga und 's Raufa. Wißt 's nöt, daß ma da san zum Lusti sei'!«

Die Burschen achteten des Jägers nicht mehr. Sie holten sich flotte Waldlerdeandln zum Ländler.

Auch Nepomuk besann sich nicht lange und wandte sich an Traudl mit einem:

»Is's g'fälli?«

Diese war aber von der soeben stattgehabten Szene noch so erschreckt, daß sie sagte:

»I möcht lieber nöt tanzen.«

»Dös giebt's nöt!« rief der Jäger, nahm das Mädchen am Arm und führte es zum Tanzboden. Traudl getraute sich nicht zu widersprechen.

Es ging sehr lebhaft auf dem Tanzpodium zu, an eine Ordnung war nicht zu denken, alles tanzte durcheinander, dazu pfeifend, singend und juchzend. Traudl fand durchaus kein Vergnügen, als sie sich von dem Arm des kecken Mannes umschlungen fühlte und sah, wie rücksichtslos ihr Tänzer gegen die andern war.

Als der Tanz zu Ende, nahte sich ihr Bergwald und bat sie um die nächste Tour. Der Anblick des Künstlers war ihr wie eine Erlösung und freudig sagte sie:

»Recht gern.«

67 Aber der Jäger war anderer Meinung.

»Die ersten drei Tänz g'hörn mir,« sagte er; »so is's der Brauch bei an' Gast. Nöt wahr, Deandl?«

Traudl wußte nichts zu antworten.

»Dös hab' i nöt g'wußt,« sagte sie dann eingeschüchtert. »Also halt nachher,« wendete sie sich zu dem Künstler.

»No', so wissen Sie 's jetzt,« sagte Muckl kurz, und da soeben der zweite Tanz begann, mischte er sich mit seiner Tänzerin sofort wieder unter die Tanzenden.

Bergwald war ihnen gefolgt. Bald sah er, wie der Jäger seine Tänzerin in ungeniertester Weise an sich drückte, wie sich diese vergebens gegen seine Zärtlichkeiten wehrte und ihm zu entrinnen suchte. Doch er folgte ihr und schlang den Arm von neuem um ihre Schulter. Wieder suchte sich Traudl diesen ihr geradezu widerlichen Zärtlichkeiten zu entziehen. Sie flüchtete zu dem in ihrer Nähe stehenden Maler. Der Jäger folgte nach, aber Bergwald erklärte ihm, daß sich das Mädchen jetzt unter seinen Schutz begeben und er es nicht dulden werde, daß dasselbe in so ungezogener Weise von einem Tänzer behandelt werde.

»Dös woll'n ma sehgn!« rief der durch den Biergenuß und den gehabten Aerger schon sehr erregte Mann und versuchte, das Mädchen wieder an sich zu ziehen.

Bergwald versetzte ihm einen Stoß auf die Brust, daß er zurücktaumelte, zum Hohngelächter der umstehenden Burschen. Das reizte den Jäger nur noch mehr. Er zog seinen Hirschfänger, und mit den Worten: »Dös sollt's büaßen!« drang er auf seinen Gegner ein.

Dieser aber hatte blitzschnell einen Taschenrevolver hervorgezogen und drohte zu schießen, wenn der Gegner ihn angreife. Doch dieser, wutentbrannt wie er war, 68 achtete nicht darauf und drang vor. Da knallte ein Schuß. Dem Angreifer entfiel die Waffe, die Kugel war ihm in den Arm gedrungen.

Es entstand ein Auflauf. Die Musik brach plötzlich ab, alles eilte dem Platz zu, wo sich der Vorfall innerhalb 69 weniger Augenblicke abgespielt. – Der bramabarsierende Jäger war totenbleich zu Boden gesunken und fing nun laut zu jammern an.

Die Gendarmen, welche zur Handhabung der Ordnung auf dem Platz waren, eilten herbei und bemächtigten sich sofort des Künstlers. Die Zunächststehenden nahmen sich aber lebhaft seiner an und erklärten, daß sie bezeugen könnten, wie der Herr nur aus Notwehr gehandelt, was schon daraus ersichtlich, daß der blanke Hirschfänger neben dem Verwundeten lag.

Jetzt kam auch der Polizeidiener herbei, gefolgt von seiner Frau, die gleich ihrem Sohn in Wehklagen ausbrach und nur immer weinend rief:

»Mei' Muckerl! Mei' Muckerl! Ach Gott, mei' Muckerl!«

Schirmer dagegen ging der Sache sofort auf den Grund. Nachdem er erkannt, daß der Schuß, in den linken Oberarm eingedrungen, keine schwere Verletzung, sondern nur eine Fleischwunde erzeugt und eine Lebensgefahr nicht vorhanden, forderte er einige Burschen auf, ihm zu helfen, den Verwundeten nach dem Meßnerhaus zu tragen, um ihm dort die erste Hilfe angedeihen zu lassen.

Nepomuk wurde in die Höhe gehoben und konnte, von den Burschen unterstützt, selbst langsam in die Meßnerei gehen. Er machte dabei ein jammervolles Gesicht und blickte Mitleid suchend überall herum; statt dessen vernahm er aber mehrmals die Aeußerung:

»Recht is eam g'scheh'n!«

Der Chirurg von Falkenstein war glücklicherweise zur Stelle und ordnete das Nötige an.

70 »Wie is nur dös kömma?« fragte Frau Schirmer. »Wer is denn da schuld dran?«

»Dös böhmisch Deandl,« erwiderten einige Mädchen, die schon lange mit Neid auf die schöne Fremde geblickt, die allerdings in ihrer Tracht für eine Böhmin gelten konnte, und mit Mißvergnügen bemerkt hatten, wie die Burschen ihre Augen wohlgefällig nach Traudl richteten.

»Die Edeltraud?« rief Frau Schirmer. »Da hat ma's! 's Unglück hat er als Gast ins Haus bracht, mei' guata Patschi von an' Mo'. Der Maler – der Satanas! – Hat 's mir doch g'schwant! Aber wo is denn 's Deandl?«

Dieses war nicht mehr zu sehen. Frau Schirmer hatte auch keine Zeit, darüber lange nachzudenken. Sie half dem Chirurgen bei Anlegung des Verbandes und sagte nur hin und wieder:

»Arm's Muckerl, thuat's dir recht weh? Der Satanas! Lebenslängli soll er eing'sperrt wer'n!« 71


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