Heinrich Schliemann
Ithaka der Peloponnes und Troja
Heinrich Schliemann

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Zehntes Kapitel

Ankunft in Patras, Naupaktos und Aegium. – Colossale Platane. – Ankunft in Galaxidi, Chryso und Neu-Korinth. – Das alte Korinth. – Amphitheater; die sieben berühmten Säulen. – Das in den Stein gehauene Haus. – Ungeheure Menge von Graburnen. – Die berühmte Quelle Pirene. – Akro-Korinth. – Umfängliche Ausgrabungen der Bauern, um die von den Türken verborgenen Schätze aufzufinden. – Herrliche Rundsicht.

Am folgenden Tage kamen wir fünf Uhr Morgens in Patras im Peloponnes, am Eingange des korinthischen Meerbusens, an und gingen auf das Dampfboot Ἑπτάνησος über, welches um sechs Uhr abfuhr. Eine halbe Stunde später legte das Boot bei dem alten Naupaktos, dem heutigen Lepanto, an, welches durch die grosse im Jahre 1571 zwischen Türken und Christen gelieferte Seeschlacht berühmt ist. Dann warfen wir bei dem alten Aegium Anker, dem heutigen Bostitsa, ein Name, der ohne Zweifel von dem türkischen Worte (Bostan), welches Garten bedeutet, herkommt.

Hier verweilten wir eine halbe Stunde, die ich dazu benutzte, die berühmte Platane am Ufer zu sehen, deren Stamm einen Umfang von 15 Meter 30 Centimeter hat. Der Baum ist hohl und enthält ein Zimmer, welches während des Befreiungskrieges häufig als Gefängniss gedient hat; seine Zweige breiten sich 50 Meter weit aus. Diese Platane muss ein hohes Alter haben; jedenfalls ist sie älter als die Ankunft der Türken in Europa.

Wir fuhren weiter und hielten zunächst bei Galaxidi, dann bei Chryso an, einer reizenden kleinen Stadt, in malerischer Lage, in der Mitte eines Oelbaumwäldchens, am Fusse des Parnassos, der sich 2670 Meter über den Meeresspiegel erhebt und mit ewigem Schnee bedeckt ist. Anderthalb Stunden von Chryso liegt das Dorf Kastri, in dessen Nähe sich die Ruinen des alten Delphi befinden.

Endlich kamen wir 6 Uhr Abends in Korinth an, von wo ich mein Gepäck, mit Ausnahme eines Reisesacks, nach Athen beförderte.

Das heutige Korinth besteht erst seit 1859, in welchem Jahre ein Erdbeben die damals bestehende Stadt, die auf den Ruinen des alten Korinth erbaut war, von Grund aus zerstörte. Diese Ortslage ist aber der ungesunden Luft und der ansteckenden Fieber wegen, von denen die Einwohner während der heissen Jahreszeit fortwährend zu leiden hatten, verlassen worden, und man hat die neue Stadt 7 Kilometer nordöstlicher an einer Stelle gegründet, wo die Landenge verhältnissmässig flach ist und ein starker Luftstrom zwischen beiden Meeren die Luft gesund erhält.

Ich verweilte drei Stunden auf der Stätte des alten Korinth, um die wenigen Ruinen, welche davon übrig sind, zu untersuchen. Man zeigte mir zuerst ein Amphitheater von ovaler Form, ganz im Felsen ausgehauen, von 97 Meter Länge und 64 Meter Breite, mit einem unterirdischen Eingange für die Gladiatoren und wilden Thiere. Wahrscheinlich fällt die Erbauung dieses Amphitheaters in die Zeit nach Pausanias, weil dieser es nicht erwähnt. Ferner besichtigte ich die berühmten sieben dorischen Säulen, welche, wie man behauptet, zu dem von Pausanias beschriebenen Tempel der Athene Chalinitis gehört haben. Sie tragen das Gepräge eines sehr hohen Alterthums und scheinen sogar weit älter zu sein als die im siebenten Jahrhundert v. Chr. erbauten Tempel von Pästum.

In unmittelbarer Nähe dieser Säulen befindet sich ein einstöckiges Haus. Es ist ganz in den Stein gehauen und zwar so, dass man den Fels ringsum weggebrochen und der Mauer nur eine Stärke von 33 Centimeter gegeben hat. Das Haus steht ganz einzeln, und da es mit dem Felsen, auf dem es sich befindet und in dem es ausgehauen ist, ein Ganzes bildet, so ist es ohne Widerspruch eines der merkwürdigsten Denkmäler des frühesten Alterthums.

Ringsum auf der Stelle der alten Stadt bemerkte ich künstliche Hügel, und da Korinth nach der Beschreibung des Pausanias eine bedeutende Zahl von Tempeln und andern grossartigen und prachtvollen Denkmälern gehabt haben soll, so zweifle ich gar nicht, dass gut geleitete Ausgrabungen wichtige archäologische Entdeckungen zur Folge haben würden. Aber zum Nachtheil der Wissenschaft werden solche Ausgrabungen leider nicht vorgenommen, weil es in Griechenland an Geld fehlt. Es ist kaum glaublich, dass man bis jetzt weder in Korinth noch in der Umgegend einen Rest der Säulenordnung gefunden hat, die nach diesem Orte benannt ist, und selbst der so charakteristische Akanthas ist aus der Flora des Isthmus verschwunden.

Obgleich die korinthischen Bauern bei ihren Feldarbeiten den Boden nur oberflächlich aufgraben, so finden sie doch sehr häufig Gräber mit schönen Urnen von gebrannter Erde. Man trifft hier Antiquitäten in solcher Menge, dass ich sechs prachtvolle Vasen für 3 Franken 25 Centimes habe kaufen können. Darnach kann man die Resultate beurtheilen, welche in grossem Massstabe und mit ausreichenden Mitteln unternommene Ausgrabungen ergeben würden.

Eine schöne Ebene, welche sich im Osten der alten Stadt ausdehnt, ist wahrscheinlich der Schauplatz der isthmischen Spiele gewesen; doch würden erst Nachgrabungen erforderlich sein, um Gewissheit darüber zu erlangen.

Auch die berühmte, von Pindar, Euripides, Strabo, Pausanias und Andern erwähnte Quelle Pirene ist noch vorhanden; aber wie es scheint, führten drei Quellen diesen Namen, nämlich die grosse Quelle auf dem Felsen von Akro-Korinth, die Bäche, welche am Fusse dieses Berges entspringen, und die grosse Quelle auf der Stelle der alten Stadt.

Ich bestieg hierauf die berühmte Festung Akro-Korinth, welche auf einem fast senkrechten Felsen von 629 Meter Höhe liegt, der sich schroff in seiner ganzen, einsamen Grösse erhebt, sodass weder die furchtbare Festung von Aden, noch die von Gibraltar mit dieser riesenhaften Citadelle verglichen werden können, von der Statius (Thebais VII, 106) schreibt:

... Summas caput Acro-Corinthus in auras
Tollit, et alterna geminum mare protegit umbra.

»Akro-Korinth erhebt sein Haupt in die höchsten Lüfte
und sein Schatten bedeckt abwechselnd beide Meere.«

Livius (XLV, 28) nennt sie: »Arx in immanem altitudinem edita« (die sich zu einer ungeheuren Höhe erhebende Burg).

Bei hinreichender Besatzung würde diese Festung unüberwindlich sein, weil sie nur von einem einzigen Puncte aus beschossen werden kann; es ist dies ein spitzer Felsen, einige hundert Meter südwestlich, von wo aus sie von Mahomet II. bombardirt worden ist.

Ein ziemlich guter, aber sehr steiler Weg führt im Zickzack hinauf. Der Gipfel des Berges, welcher nicht weniger als sechs Kilometer im Umfange hat, wird von einer sieben bis zehn Meter hohen Mauer von venetianischer Bauart umgeben, welche mit einer grossen Anzahl Vertheidigungsthürme versehen ist. Er ist so uneben, dass er mehrere Abhänge und Plateaus bildet, die sich 30 bis 100 Meter übereinander befinden.

Der niedrigste Theil der Festung ist mit den Ruinen türkischer Häuser und Moscheen bedeckt. Auf einem der oberen Plateaus befindet sich eine grosse Kaserne. Hier sieht man eine Menge in den Felsen ausgehauene Cisternen, deren Bau in ein sehr hohes Alterthum hinaufreichen mag; aber trotz aller meiner Nachforschungen habe ich keine einzige Mauer, selbst nicht einen Theil einer Mauer aus vorchristlicher Zeit entdecken können. Nur auf dem höchsten Gipfel von Akro-Korinth, wo nach Strabo (VIII, 6) sich »Ναΐδιον Ἀφροδίτης« (ein kleiner Tempel der Venus) befand, sah ich in den Mauern eines Forts einige grosse, grob behauene Steine, welche sicherlich von einem cyklopischen Bauwerke des heroischen Zeitalters herrühren.

Die türkische Garnison soll vor ihrer Capitulation 15 mit Gold- und Silbermünzen angefüllte Kisten vergraben haben. Seit einem Jahre haben nun die Bauern aus der Umgegend an vier Stellen Ausgrabungen unternommen, um diese Schätze aufzufinden; aber bis jetzt sind ihre Bemühungen vergeblich gewesen. Ich bin in die vier von ihnen gemachten Gruben hinabgestiegen, von denen zwei eine Tiefe von ungefähr 17 Meter haben, um die Beschaffenheit des Bodens zu untersuchen, und fand bis auf den Grund der Aushöhlungen die Erde mit Trümmern von Ziegeln und Töpferwaaren vermengt, nirgends aber die Spur alter Mauern.

Ich verweilte länger als drei Stunden auf dem höchsten Gipfel, um die herrliche Rundsicht zu bewundern, die sich vor meinen Augen entrollte und von der keine Einbildungskraft sich eine richtige Vorstellung machen kann. Der Blick umfasst die interessantesten Theile Griechenlands und die Orte, welche Zeugen seiner glorreichen Thaten gewesen sind. Die hervorstechendsten Puncte der Landschaft sind nach Murray: »das Sicyonische Vorgebirge, bei welchem der korinthische Meerbusen sich nach Nord-West-Nord wendet; der Fuss des Vorgebirges von Cyrrha, nord-nord-westlich; das Vorgebirge Anticyrrha (jetzt Aspraspitia) mit seinem Golf, und jenseits desselben der höchste Punct des Parnassus im Norden; nord-nord-östlich der Berg Helikon, der auf seinem Rücken eine dem Buckel eines Kameels ähnliche Erhöhung trägt; der höchste Punct des Berges Geraneia, zwischen Megara und Korinth, nord-ost-nördlich. Die Landenge selbst dehnt sich ost-nord-östlich, nach dem höchsten Punkte des Berges Kithäron hin aus. Jenseits des letzteren sieht man die Berge Parnes und Hymettos, und zwischen ihnen zeigt sich das Parthenon auf der Akropolis von Athen. Ferner die Insel Salamis im Osten, und Aegina südöstlich. Strabo hat die merkwürdigsten Puncte dieser Fernsicht genau angegeben, die sich über die acht reichsten Staaten des alten Griechenlands erstreckt: Achaja, Lokris, Phocis, Böotien, Attica, Argolis, Korinth und Sicyon.«

Mit besonderem Interesse betrachtete ich die Landenge, welche 14 Kilometer lang und bei Korinth ebenso breit ist. Am Nordende, wo der Golf Leutraki, im Westen, durch eine gute Strasse mit dem Hafen von Kalamaki im Osten verbunden wird, beträgt ihre Breite nur 6½ Kilometer. Etwas südlicher war der Diolkos, ein ebener Weg, auf dem man kleine Fahrzeuge auf Walzen quer über die Landenge von einem Meere zum andern zog.

Da ich den Pausanias bei mir hatte, so las ich auf dem Gipfel von Akro-Korinth seine Beschreibung des alten Korinth, und konnte kaum glauben, dass in der Ebene, 627 Meter unter meinen Füssen, welche nur den Anblick der Verwüstung und Verödung darbot, einst eine grosse, mächtige und berühmte Stadt gelegen habe, der Stolz Griechenlands und der Stapelplatz seines Handels; eine Stadt, deren Reichthum, Pracht und Luxus zum Sprichwort geworden waren; eine Stadt, welche zahlreiche Kolonien, unter andern das mächtige und herrliche Syrakus, gründete; eine Stadt, welche lange dem Ehrgeize Roms widerstand und nur durch Verrath i. J. 146 v. Chr. in Mummius' Hände kam.

Am Abend kehrte ich nach Neu-Korinth zurück, wo der Lieutenant der kleinen Garnison die ausserordentliche Liebenswürdigkeit hatte, mir eine Escorte von zwei Soldaten zu geben, um mich nach Argos zu begleiten.


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