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In einem Tal, von Bergen rings umschlossen, bei dem Wald von Briogne, lag ein schönes, mit großer Pracht erbautes Haus; dieses Haus bewohnte eine Jungfrau von hoher Schönheit; sie war die Tochter eines vornehmen Herrn, eines Afterlehnsmanns von sehr hoher Abkunft, er hieß Dionas. Diesen Namen erhielt er von der Syrene von Sizilien, Diana, die seine Patin war, und so wurde er Dionas genannt wegen ihres Namens Diana. Ehe sie sich von ihrem Patenkind trennte, begabte sie ihn mit vielen Gütern und Reichtümern und mit vielen glücklichen Gaben, denn sie war die Göttin des Meeres und war sehr mächtig, hielt auch dem Dionas Zeit seines Lebens alles, was sie ihm versprochen. Auf ihr Verlangen ward von den Göttern über ihn beschlossen, daß sein erstes Kind, eine Tochter, mit aller Anmut und Schönheit begabt sein und von dem zu ihrer Zeit weisesten aller Menschen geliebt werden solle; er werde zur Zeit des Vortigern, Königs von Nieder-Bretagne, leben und die Liebe dieses Mannes zu ihr sei ewig, und erreiche nie ein Ende; wo er sich auch befinden mag, solle das Andenken an diese Jungfrau ihn immerfort begleiten. Er solle ihr auch die Kunst der Zauberei lernen und viele andere geheime Wissenschaften, denn nie könne er ihr irgend eine Bitte oder Begehren versagen: was sie von ihm verlange, das werde er tun.
Als Dionas nun aufwuchs und von wunderbarer Schönheit war, auch ein tapfrer und in den Waffen wohlgeübter Ritter, ging er in Dienst der Frau Herzogin von Burgund. Diese war so sehr mit seinem Betragen zufrieden und ehrte ihn so hoch um seiner Taten und seiner adligen Sitten willen, daß sie ihm eine ihrer Nichten zur Gemahlin gab; ein junges, sehr schönes und sehr wohlerzogenes Fräulein. Er bekam auch nebst vielen schönen und reichen Gütern mit diesem Fräulein die Hälfte des Waldes von Briogne, vom Herzog von Burgund. Die andre Hälfte des Waldes gehörte dem König Ban von Benoic, welcher nachmals neben König Beors, den König Artus auf seinem Zug zum König Leodagan begleitete, und ihm in allen Schlachten und Kriegen beistand. Unter allen Ländern und Besitzungen gefiel dem Dionas dieser Wald von Briogne am allermeisten, denn er liebte über die Maßen die Jagd und das Vergnügen im Walde, so wie auch das Fischen und die Ergötzlichkeit auf dem Wasser. Nun war in dem Wald ein Überfluß von allerhand Wild, Rehen, Hirschen und Hasen, auch an wilden Schweinen war kein Mangel; desgleichen lag ein großer See in diesem Wald, worin sich eine Menge der schönsten Fische befanden. An diesem See, so recht mitten im Wald, ließ Dionas sich nun ein sehr schönes, reiches und bequemes Haus erbauen und wohnte darin mit seiner schönen Gemahlin aufs höchste vergnügt und von allen seinen Lieblingsergötzlichkeiten umgeben. Doch begab er sich auch oftmals an den Hof des Königs Ban und war beständig bereit, ihm zu dienen nebst zehn gewaffneten Rittern, die ehrenvoll in seinem Gefolge waren. König Ban wie auch König Beors hielten den Dionas sehr hoch und ehrten ihn, um seiner Tapferkeit und seines ritterlichen Betragens willen, auch weil er ihnen schon manchen guten Dienst geleistet und ihnen in ihrer Fehde gegen den König Klaudas wie auch in andern Fehden sehr tapfer beigestanden. Um ihm ihre Erkenntlichkeit zu beweisen, schenkte König Ban ihm die andre Hälfte des geliebten Waldes; auch König Beors gab ihm reiche Geschenke an Ländereien, guten Städten, festen Schlössern und Dörfern; beschenkten ihn überhaupt und liebten ihn dermaßen, daß er einer der mächtigsten im Reiche wurde, und es ihm, so lange er lebte, an nichts mangelte, was ein Mensch zu seinem Vergnügen und zu seiner Ergötzlichkeit sich nur wünschen mag.
Seine Gemahlin kam mit einer Tochter nieder, die den Namen Nynianne in der Taufe erhielt. Dies ist ein chaldäischer Name, der in unsrer Sprache so viel bedeutet wie: das tu' ich nicht. Die Bedeutung dieses Namens ging auf Merlin, so wie man im Verfolg dieser Geschichte erfahren wird; denn sie war so klug und verständig, daß sie sich wohl vor Betrug zu hüten wußte.
Nynianne war zweiundzwanzig Jahre alt, als Merlin durch den Wald Briogne kam, er hatte auf diesem Weg die Gestalt eines jungen schönen Edelknechts. Als er nun durch den Wald ging, kam er an eine sehr schöne Quelle, die so klar über den feinen weißen Sand hinrieselte, daß es schien, der Grund sei vom feinsten Silber. Jeden Tag kam Nynianne an diese schöne klare Quelle, zu ihrem Ergötzen und angenehmen Zeitvertreib. Merlin fand sie am Rande der Quelle sitzend, und sie dünkte ihm von solch göttlichen Schönheit, daß er ganz betroffen stehen blieb und nicht weiter konnte; er sah sie unverwandt an, und es war ihm immer, als hätte er ihr etwas zu sagen. Er dachte zwar bei sich selber, er dürfe nicht um der Schönheit einer Frau willen von Sinnen kommen und kein Vergnügen dieser Art begehren, auch kein Verlangen nach dem Leibe eines Weibes tragen, um nicht den Zorn Gottes auf sich zu laden; er sagte sich dies alles zwar selbst, doch konnte er es nicht lassen, sie höflich zu begrüßen. Die Dame grüßte ihn wieder auf eine wohlgesittete feine Weise und sagte: »Ihr habt Euch lang auf etwas bedacht, das ich zwar nicht kenne, Gott aber möge Euch den Willen verleihen, alles zu Eurem Besten zu tun.« Als nun Merlin sie so freundlich sprechen hörte, konnte er nicht anders, er mußte sich zu ihr an den Rand der Quelle setzen und sie nach ihrem Namen fragen. »Ich bin die Tochter eines Edelmannes hier in der Nähe«, sagte sie; »aber wer seid Ihr?« – »Ich bin ein fahrender Edelknecht«, antwortete Merlin, »ich suche meinen Meister, der mich eine sehr schätzenswerte Kunst lehrte.« – »Welch eine Kunst ist dies?« fragte die Jungfrau. »Ach, er lehrte mich, wo es mir gefiele, sogleich ein Schloß sich erheben zu lassen, mit vielen Gewaffneten darin, und solche von außen, die es belagern. Auch kann ich auf dem Wasser gehen, ohne mir die Sohlen zu benetzen; kann einen Fluß entstehen lassen, an einem Ort, wo niemals einer war.« – »Nun sicher«, sagte die Jungfrau, »ich wollte wohl viel von dem meinigen dafür geben, um einen Teil dieser Spiele zu verstehen.« – »Noch mehrere, weit schönere weiß ich, sehr ergötzend für jeden edeln Menschen. So würdet Ihr Euch niemand erdenken, dessen Gestalt ich nicht sogleich annehmen könnte.« – »Ich bitte Euch, Herr, wofern es Euch nicht mißfällt, mich einige dieser Spiele sehen zu lassen, dafür will ich, so lange ich lebe, Eure Freundin und Vertraute sein, in allen Züchten und Ehren und ohne böse Gedanken.« – »Ihr seid«, erwiderte Merlin, »so sanft und von so gutem Herzen, daß ich, um Eure Liebe zu gewinnen, gern Euch einen Teil der schönen Spiele lehren will, doch müßt Ihr mir Eure Liebe schenken, denn andern Lohn verlange ich nicht.« – »Doch in allen Ehren«, sagte die Jungfrau, »und denkt nichts Böses dabei, und nichts was mir zu Schaden gereiche.« Da stand Merlin auf, entfernte sich ungefähr einen Bogenschuß weit von ihr, brach eine Rute ab, und machte damit einen Kreis um sich her. Dann ging er wieder hin und setzte sich neben der Jungfrau nieder.
Nach einer kleinen Weile erblickte sie von ungefähr nach dem Ort hin, wo er den Kreis gezogen, und siehe da, es kamen Damen, Ritter, Fräulein und Edelknechte daherspaziert, hielten sich bei den Händen angefaßt und sangen mit so lieblicher Stimme und so herrliche Weisen, als man niemals vorher dergleichen gehört. Vor ihnen her gingen auch Spielleute mit verschiedenen Instrumenten, diese machten eine so herrliche Musik zusammen mit dem Gesang, daß man die Harmonie der Engel im Himmel zu hören glaubte. In dem Kreis, welchen Merlin gezogen, standen sie still, und nun fingen einige an mit lieblichen Gebärden und mit gar anmutigen Bewegungen zu tanzen, während die andern die herrliche Musik fortsetzten.
Keines Mannes und keiner Frauen Herz war wohl jemals so wach, daß es nicht bei Anhörung dieser wundersüßen Musik eingeschlummert wäre. Auch darf man nicht fragen, ob sie so schön anzuschauen gewesen wie lieblich zu hören; sie waren alle von selten schöner Gestalt und blühendem Angesicht, und waren alle mit prächtigen Kleidern und köstlichem Geschmeide, von Perlen, Edelsteinen, Gold und Silber, so reich und auf eine so neue seltsame Weise geschmückt, daß die Augen davon geblendet wurden, wenn man sie ansah. Kein Mund kann nur den vierten Teil ihrer herrlichen Gestalt, und der wundersüßen Musik und von dem Tanze erzählen; man konnte nicht müde werden, ihnen zuzuschauen und zu hören.
Der Ort, an dem Merlin den Kreis gezogen, war ohne Schatten und ein bloßes Stück Land, als nun die Sonne höher heraufkam, entstand über den Sängern und um ihnen her ein dick belaubtes Gebüsch, und unter ihren Füßen entsprossen so viele Blumen und wohlriechende Kräuter, daß die Luft weit umher davon durchwürzt ward. Nynianne wurde nicht müde, der Musik zuzuhören, und vergaß Essen und Trinken dabei, doch konnte sie nicht verstehen, was sie sangen, obgleich sie sehr aufmerksam zuhorchte, nur den Refrain verstand sie, der hieß: »Liebes Anfang süße Freuden, endet doch in bitteres Leiden.«
Der Gesang war so laut, daß man ihn in Dionas Hause vernahm, worauf sich denn alles Volk da versammelte und nicht wenig verwundert war, diese schöne Gesellschaft und das lieblich duftende Gebüsch, den Tanz und die Musik dort zu sehen, wo vorhin niemals dergleichen war gesehen worden. Als sie nun müde waren, setzten sie sich alle zusammen in das frische grüne Gras, pflückten süß duftende Blumen, machten Kränze und Sträuße, und scherzten mit lieblichen Gebärden und Lächeln, so daß es eine Wonne war, ihnen zuzuschauen.
Merlin nahm Nynianne bei der Hand. »Was dünkt Euch hierzu?« fing er an. »Gewiß, Ihr habt so viel getan, daß ich ganz die Eurige bin«, sagte sie. »Nun, schöne Dame, so müßt Ihr auch den Vertrag halten.« – »Wahrlich, das will ich gern, nur müßt Ihr mich Eure Spiele machen lehren.« – »Ich bin es zufrieden, ich will sie Euch lehren, damit Ihr noch etwas anders wisset, als lesen und schreiben.« – »Wie? Ihr wißt, daß ich lesen und schreiben kann?« – »Ja, schöne Dame, denn mein Meister lehrte mich, alle geschehenen Dinge zu wissen.« – »Dies ist in Wahrheit denn noch das schönste von allen Euern Spielen, und ich möchte das wohl verstehen. Aber wißt Ihr denn auch die Dinge, die zukünftig geschehen sollen?« – »Jawohl, meine Herrin und geliebte Freundin, größtenteils weiß ich diese, Gott sei Dank.« – »Nun, warum wollt Ihr noch weiter etwas lernen, mit diesen hohen Wissenschaft dünkt mich, könnte Euch wohl genügen, und Ihr braucht nicht weiter zu forschen.«
Während Merlin und die Jungfrau sich so in sanften, zärtlichen Gesprächen vergnügt unterhielten, begaben die Sänger und Tänzer samt den schönen Sängerinnen und Tänzerinnen sich in den Wald, woher man sie zuerst hatte kommen sehen, verschwanden eins nach dem andern und zerflossen in Luft gegen den Wald hin, so daß man nicht wußte, wo sie hinkamen. Der schöne Busch aber und die lieblichen Blumen auf den frischen Rasen blieben stehen, weil das Fräulein den Merlin gar sehr darum bat, daß es möchte stehen bleiben, und sie nannte den Ort: Wonne und Trost.
Als sie sich recht lange unterhalten, sagte Merlin: »Schöne Jungfrau, ich muß nun fort, meine Gegenwart ist anderswo notwendig.« – »Wie? Wollt Ihr mich denn nicht vorher Eure Spiele lehren?« – »Eilet damit nicht so sehr, Fräulein, nur zu bald werdet Ihr sie lernen. Aber ich muß fort, und Ihr habt mir noch keinen Beweis Eurer Liebe gegeben.« – »Welchen Beweis soll ich Euch geben? Sagt, was Ihr verlangt, und ich will es tun.« – »Nun so gelobet mir Eure Liebe und Eure Person, daß Ihr mein eigen seid.« Die Jungfrau bedachte sich eine Weile, dann sagte sie: »Nun wohl, ich vertraue Euch und bin ganz die Eurige, und meine Liebe ist ganz für Euch, doch mit der Bedingung, daß Ihr mich sogleich einige der Künste lehrt.«
Nachdem nun Merlin ihre Treue, ihre Liebe und sie selber erhalten und sie sich ihm gelobt und ganz hingegeben hatte, lehrte er sie allerhand Künste zu ihrer Ergötzlichkeit, die sie nachmals auch sehr ausübte, so wie die Kunst, einen Fluß hervorkommen und ihn dann nach Belieben wieder verschwinden zu lassen, und andere schöne Künste mehr, die sie sehr sauber auf Pergament aufschrieb und aufbewahrte. Dann nahm Merlin von Nynianne sehr zärtlichen Abschied. »Wann werde ich Euch wiedersehen?« fragte sie ihn. Merlin versprach, am Vorabend des Johannistags bei ihr zu sein. Darauf ging er fort, und wandte sich nach Tharoaise in Thamelide, wo König Artus und die Könige Ban und Beors ihn erwarteten und freudig empfingen.
Hier hört die Geschichte auf von Merlin zu sprechen. Beschreibungen der Kriege und einzelnen Fehden zwischen Artus und seinen Feinden füllen den Rest des ersten Buchs wie auch das ganze zweite des Romans von Merlin; lauter Begebenheiten, worin er selbst wieder nur erscheint, um dem Artus durch seinen Rat, seine Tapferkeit oder auch durch Zauberei zum Sieg zu verhelfen.
Am Vorabend des Johannistages begab er sich zu seiner Freundin, die voller Freude war, ihn wiederzusehen, denn noch wußte sie nicht so viel von seinen Künsten, als sie wohl gern gewußt hätte. Sie bezeigte ihm ihre Freude und Liebe auf alle Weise; aß und trank mit ihm und schlief mit ihm in einem Bett; doch hatte sie schon so viel von der Zauberei gelernt, daß, wenn er sich nicht länger zurückhielt und sie zu seinem Willen zu bewegen versuchte oder sie umarmen wollte, sie schnell ein Kissen in ihre Gestalt verwandelte, daß er alsdenn in seine Arme nahm und so einschlief.
Auch tut die Geschichte nicht genau Meldung, daß er je einer Frau beigewohnt; und doch hatte er zu einer Frau solche Liebe getragen und sich ihr so überlassen, daß er als ein Tor zuletzt ganz in ihrer Macht war. Er blieb lange Zeit bei seiner Freundin, sie hielt seine Sinne beständig in Schranken, unterließ aber keinen Augenblick, nach allen seinen Künsten und nach seiner Weisheit zu forschen; er konnte ihr nichts versagen, lehrte sie alles, was er wußte, und sie schrieb sich jedes Wort, welches er ihr sagte, sorgfältig auf, so daß sie bald alles in ihrer Gewalt hatte. Dann nahm Merlin wieder von ihr, so wie sie von ihm, zärtlich Abschied, ging fort zu seinem Meister Blasius, versprach ihr aber vorher, über ein Jahr an demselben Tage wieder bei ihr zu sein.