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Den Tag vor der Niederkunft der Königin kam Merlin zu Ulsius und sprach: »Ich bin zufrieden mit den Anstalten, welche der König getroffen. Geh, sag ihm, er solle die Königin vorbereiten, sie würde morgen nach Mitternacht entbunden werden«; und wie sie gleich nach ihrer Entbindung das Kind dem Manne übergeben müsse, den sie beim Hinausgehen aus ihrem Zimmer erblicken würde. Ulsius fragte ihn, ob er nicht selber mit dem König sprechen wolle, er sagte aber: »Nein, nicht zu dieser Stunde.«
Ulsius bestellte dem König alles, was Merlin ihm aufgetragen, und der König ging sogleich zur Königin. »Morgen nach Mitternacht«, sagte er ihr, »wirst Du entbunden sein; ich bitte Dich aber, und verlange es ausdrücklich, daß Du das Kind gleich nach der Geburt Deiner vertrautesten Kammerfrau gibst, mit dem ausdrücklichen Befehl, es dem Mann zu geben, der es ihr beim Hinausgehen aus dem Zimmer abfordern wird. Auch mußt Du allen denen, welche bei der Niederkunft zugegen sein werden, bei ihrem Leben verbieten, niemandem zu sagen, daß Du niedergekommen bist, weil viele glauben möchten, das Kind sei nicht von mir; auch kann es wohl in Wahrheit nicht von mir sein.« – »Ich sagte es Euch ja«, erwiderte die Königin, »daß ich nicht weiß, wer Vater dieses Kindes ist; ich will tun mit ihm, was Ihr verlangt.« Sie war aber so beschämt, daß sie den König nicht ansehen konnte, sondern ihre Augen niederschlug.
Um die bestimmte Stunde kam sie nieder, worüber sie sehr verwundert war, daß der König die Stunde ihrer Entbindung vorhergesagt. Es geschah auch alles so, wie der König ihr befohlen hatte. »Traute Freundin«, sagte sie zur Kammerfrau, »nimm das Kind und gib es dem Mann, der vor der Zimmertür es Dir abfordern wird; gib aber genau Acht, wer dieser Mann ist.«
Die Kammerfrau wickelte das Kind in reiche Windeln und trug es hinaus; als sie die Tür öffnete, kam ihr ein sehr alter, schwacher Mann entgegen. »Worauf wartet Ihr hier?« fragte sie. »Auf das, was Ihr bringt«, antwortete der Alte. – »Wer seid Ihr? was soll ich meiner Gebieterin sagen, wem ich es gegeben?« – »Bekümmere Dich nicht darum, tue, was Dir befohlen, und was Du tun mußt.« Darauf reichte sie ihm das Kind, er nahm es, und in demselben Moment verschwand er damit, so daß die Kammerfrau nicht wußte, wo er hingekommen. Als sie nun wieder zur Königin ins Zimmer trat und ihr erzählte, wie sie das Kind einem fremden sehr alten Mann habe geben müssen, der in dem Moment, als er es erhielt, damit verschwunden sei, fing die Königin bitterlich an zu weinen.
Der Alte ging mit dem Kind hinaus, um es dem frommen Anthor zu bringen, begegnete ihm aber auf der Gasse, als er eben zur Messe gehen wollte. »Anthor«, redete er ihn an, »ich bringe Dir ein Kind, das Du wie das Deinige erziehen und ernähren sollst. Wenn Du das treulich tust, wird das Gute, das Dir und den Deinen daraus entstehen wird, unermeßlich und Dir kaum glaublich sein. Der König wie auch jeder edle Mann und jede edle Frau bitten Dich, es gut zu halten. Auch ich bitte Dich darum; meine Bitte muß Dir so viel wie die des reichsten Mannes gelten.« Anthor nahm das Kind, sah es an und fand es wohlgebildet und von großer Schönheit. »Ist es getauft?« fragte er den Alten. »Nein«, sagte dieser, »Du magst es sogleich in der Kirche taufen lassen, wo Du vorhattest, zur Messe zu gehen.« – »Welchen Namen soll ich ihm geben?« – »Nenn es Artus. Du wirst bald gewahr werden, welch ein großes Gut Du mit ihm erhältst, denn Du und Deine Frau, Ihr werdet diesen Knaben sehr lieben und ihn von Eurem eignen nicht zu unterscheiden wissen. Und hiermit Gott empfohlen.«
Sie schieden von einander; Anthor ließ das Kind taufen, ihm den Namen Artus geben, und nachher brachte er es seiner Frau, die es freundlich willkommen hieß, es küßte, an ihre Brust legte und mit ihrer Milch tränkte, während sie ihren eigenen Sohn einer fremden Frau, die sie vorher angenommen, zu nähren gab.