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Neuntes Kapitel

In wenigen Tagen war meine Reise glücklich und ohne Abenteuer zurückgelegt; da war ich nun, ohne Aufsicht, ohne Zweck, ohne Plan, als den zu leben, in meinem siebzehnten Jahr, mit aller meiner eigentümlichen Ausgelassenheit, die noch ausgelaßner war, seitdem ich niemand angehörte, mit einem Vermögen von ungefähr tausend Dukaten (ein unerschöpflicher Reichtum für meine Unbesorglichkeit und Unerfahrenheit), sprudelnd vor Gesundheit und Mutwillen und allen erwachenden Sinnen – in Venedig! – Erwartet hier von mir, ihr lieben Freunde, keine detaillierte Fortsetzung meiner Lebensgeschichte, es könnte mich leicht zu weit führen; auch gehören meine tollen Begebenheiten in der majestätischen Republik, diesem Sammelplatz aller Torheiten in ernsthafter zeremoniöser Hülle so wie der greulichsten Anhäufung aller Grausamkeiten unter die fröhlichste Maske gesteckt, sie gehören nicht in den eigentlichen Lauf meines Lebens: vielmehr ward dieser durch jene gehemmt; aber sie machen zusammen ein artiges Kapitel in meinen Konfessionen aus, die ich gewiß noch einmal schreiben, und Ihnen zueignen werde, Juliane.« – »Gut, ich werde Sie bei Ihrem Wort halten.« – »Und dieses deswegen, weil sie sich mit einem Bekenntnis endigen sollen, das, aller Wahrscheinlichkeit nach, das letzte sein wird, das ich abzulegen haben werde, und das Julianen am nächsten betrifft.« – »O jetzt keine von Ihren niedlichen Possen, Florentin! Bringen Sie Ihre Geschichte zu Ende, ich bin höchst neugierig.« – »Und ich höchst ermüdet von den Erinnerungen meiner unnütz vertaumelten Jahre! Doch ich gehorche.

In kurzer Zeit war ich nun in Venedig der Polarstern des guten Tons, die Seele aller Intrigen, der Freund aller lustigen Köpfe, der Anführer aller tollen Streiche, der Tyrann aller zärtlichen, und der Ehrgeiz aller koketten Frauen geworden. Es gab kein gutes Haus, in das ich nicht freien Zutritt hatte. Da ich mit meinen tausend Dukaten zu leben angefangen, als wären es ebenso viele Tonnen Goldes, so nahmen sie ein rasches Ende. Die Börsen meiner Anhänger benutzte ich nicht, wiewohl sie mir offen standen, weil ich sie nicht brauchte: ich war sehr glücklich im Spiel, und spielte viel. Einigen kläglichen dummen Teufeln, die weder das Spiel, noch sich selbst verstanden (denn sie hatten in wahrer blinder Wut ihr ganzes Vermögen gegen mich gesetzt und verloren), deren Frauen ich kannte und bedauerte, hatte ich ihren Verlust zurückgegeben, wodurch ich bald in den Ruf der Großmut geriet.

In dieser brillanten Epoche bekam ich einen Brief von Manfredi. Sein Vater war gleich nach Empfang seines Briefes zu ihm auf die Akademie gekommen. Durch unsre Geschichte war der Prior zu sehr in Vorteil gegen den Marchese gesetzt, als daß er ihn nicht hätte zu benutzen suchen sollen. Manfredi durfte es so wenig als ich wagen, sich in seiner Vaterstadt sehen zu lassen, aber auch nach Venedig durfte er nicht kommen, sondern er mußte nach Frankreich zu dem Regiment, worin sein Vater ihm eine Kompagnie gekauft hatte. Der Marchese war sehr aufgebracht wegen des unüberlegten Streichs, besonders weil er es uns eigentlich untersagt hatte, irgend etwas für Felicita (so heißt sie) zu unternehmen. Doch ließ er mir durch Manfredi wissen, er würde jemand den Auftrag geben, auf mein Betragen in Venedig Acht zu geben, und weiter Sorge für mein Fortkommen tragen, wenn der Bericht über mich gut ausfiele. Noch habe er nichts Näheres über meine Geburt und meine Eltern erfahren können, er würde aber keine Mühe sparen und mir, sobald er etwas Sicheres wisse, Nachricht darüber erteilen. Unterdessen sollte ich der würdigsten Eltern mich würdig machen.

Ich hatte eine große Freude über den Brief meines Manfredi, denn außer diesen Nachrichten fand ich die schönsten Beweise von der Fortdauer seiner Liebe und einige freundliche Vorschläge, uns wieder zu sehen. Auch der väterliche Ton des Marchese freute und beruhigte mich; doch war es, als ob irgend ein Geist mich abhielt, mich, wie ich gekonnt hätte, ganz seiner Sorge zu überlassen, und seinem gutgemeinten Rat zu folgen. Es widerstrebte etwas in mir der Notwendigkeit, einen regelmäßigen Stand und ein Amt zu bekleiden, es war mir nicht bestimmt, auch fühlte ich selbst mich nicht dazu gestimmt. Zwar nahm ich mir vor, Manfredi aufzusuchen, um bei demselben Regimente, wobei er stand, wo möglich Dienste zu nehmen, und ich schrieb es ihm, aber die Ausführung dieses vernünftigen Plans schob ich immer weiter hinaus. Bald wollte ich dies nur noch abwarten, bald jenes ausführen; kurz es ward nichts daraus.

Unter vielen Reisenden und Fremden, die ich kennen lernte, waren ein paar Engländer, die sich sehr an mich hingen: reiche Lords, die ihr Geld um sich her warfen, um ihre Langeweile loszuwerden, und das, was sie für ihr Geld eintauschten, machte ihnen nur noch größere. Ihr sonderbares humoristisches Wesen zog mich an, ihre Langeweile machte mir die größte Kurzweile. Was ihnen an mir gefallen haben mochte, weiß Gott; sie waren beständig bei mir und sagten oft, in ihrer rauhen Mundart, ich wäre der einzige Italiener, der ihnen nicht unleidlich wäre. Das war freilich sehr schmeichelhaft für mich, wenn ich nur nicht Venedig mit seinen Herrlichkeiten und meines Lebens dort herzlich überdrüssig geworden wäre! Ich sehnte mich fort. –

Ich hatte meine Lords zu allen Kunstwerken, die Venedig enthält, geführt, hatte viele Städte Italiens, wo es etwas Sehenswürdiges gab, mit ihnen durchreist. Dies und der Umgang mit einigen jungen deutschen Malern, die ich in der Zeit kennen lernte, brachten mich auf den Gedanken, die Kunst zu studieren und dann nach Rom zu gehen, um seine Wunder der Kunst zu sehen und zu verstehen. Diesen Gedanken ergriff ich nun aus ganzer Seele und schob das Soldatwerden weit, weit zurück. Ich sann und tat und träumte nichts anders, als zeichnen, die Werke des Altertums studieren, und mit meinen Malern Kunstgespräche führen. Mit diesen war ich auch entschlossen, nach Rom zu reisen, und mit ihnen dort zu leben: durch einen sonderbaren Vorfall sah ich mich aber genötigt, früher noch, als diese es bewerkstelligen konnten, Venedig zu verlassen.

In einem großen Hause ward eines Abends während dem Karneval ein Ball gegeben; ich ward von den Engländern beredet, mit ihnen hinzugehen. Man spielte, der eine von meinen Lords spielte hoch, und verlor ansehnlich gegen eine Maske, die durch ihr anhaltendes Glück wohl Verdacht gegen sich erregen mochte. Mein ehrlicher Großbritannier verstand das Ding unrecht, und schimpfte etwas zu laut, und in der gewohnten kräftigen Manier. Nach einem kurzen heftigen Wortwechsel warf der Lord seine Karte der Maske an den Kopf. Ich befand mich an einem andern Ende des Saals in einer Unterhaltung mit ein paar mir unbekannten Masken, die mich neugierig machten, weil sie mich zu kennen schienen, wenigstens wußten sie viel von mir; plötzlich hörte ich Tumult, sah Stilette blinken, die Maske sank nieder; in demselben Moment kam der andre Lord hastig auf mich zu, nannte höchst unvorsichtig meinen Namen laut, und rief mich seinem Landsmann zu Hülfe. Ich, noch unvorsichtiger, folgte ihm hin. Man hatte dem Niedergesunknen die Maske abgenommen, man erkannte den Sohn eines Nobile, er war tot. Der Lärm nahm zu; der Lord hatte ganz den Kopf verloren, bewegte sich nicht von der Stelle, und ließ das Gedränge um sich her anwachsen. Ich riß ihm das blutige Stilett, das zum Glück noch kein andrer bemerkt hatte, aus der schlaffen herunterhängenden Hand, ließ es fallen, indem ich mich zu gleicher Zeit darnach bückte, und es wieder aufnahm. ›Dem Mörder nach!‹ rief ich aus, ›dort nach jener Tür! er hat hier neben mir das noch blutige Stilett fallen lassen, soeben drängt er sich dort hinaus!‹ Alles folgte mir nach der Tür, die ich bezeichnet hatte. Der Lord ward verlassen. Seinem Landsmann gab ich einen Wink, und im Vorbeigehen sagte ich ihm: ›Zu mir!‹ Alsdenn mischte ich mich in den dichten Haufen, der nach der Tür strömte; ich trieb und drängte mit der Menge und kam glücklich hinaus. Ich mietete sogleich selbst eine Gondel, die ich an einem bestimmten Ort warten ließ, und eilte nach meiner Wohnung, wo ich die beiden Lords schon fand. Ich kündigte ihnen an, daß sie unverzüglich fort müßten, bezeichnete ihnen den Ort, wo sie die Gondel in Bereitschaft finden würden, und riet ihnen, gleich nach Rom zu reisen. Sie waren wegen Geld in Verlegenheit; was sie bei sich gehabt, war im Spiel verloren und nach ihrem Hause durften sie sich nicht wagen, weil man dort gewiß schon auf sie wartete. Ich gab ihnen alles, was ich an barem Gelde hatte. Sie versprachen mir mein Darlehn gleich wieder auszahlen zu lassen, denn auf ihr zurückgelaßnes Vermögen in Venedig war nicht mehr zu rechnen. Sie gingen fort, und kamen glücklich nach Rom. Ich hatte alles so schnell und vorsichtig getrieben, daß es selbst vor meinem Bedienten ein Geheimnis geblieben war.

Ich hatte mir eine Erkältung zugezogen, und mußte einige Tage zu Hause bleiben. Als ich zum ersten Mal den Abend wieder in Gesellschaft ging, kam mir die Dame vom Hause, die meine Freundin war, entgegen, und führte mich, sobald sie unbemerkt war, in ein Kabinett. ›Sein Sie auf Ihrer Hut‹, sagte sie, ›es ist bekannt, daß Sie dem Mörder des jungen Nobile durchgeholfen haben, und daß er Ihr Freund ist. Sie erinnern sich, daß zwei Masken mit Ihnen sprachen, als einer von den Engländern Sie bei Ihrem Namen zu Hülfe rief. Der Ermordete ist ein Anverwandter und Freund der einen von den beiden Masken: er erfuhr erst, wer der Ermordete sei, nachdem Sie sich schon hinaus gedrängt hatten. Der Mörder war gleich nicht zu finden, Sie haben ihm fortgeholfen, und der Freund des Nobile hat beschlossen, Sie für Ihre unzeitige Hülfe büßen zu lassen. Sie sind angeklagt, und man wird einen Verhaftsbefehl auswirken. Was diese Maßregel gegen Sie erleichtert, und jeden Verdacht bestärkt, ist: daß man aus Ihrem Geburtsort einigen Leuten von Bedeutung aufgetragen hat, über Ihre Aufführung genau zu wachen. Einer von denen, welchen es aufgetragen worden, ist eben der Ermordete, und dieser hatte es wieder seinem Freunde aufgetragen, Ihre Bekanntschaft zu machen, um Sie besser zu beobachten; dieser nimmt nun diesen Umstand als einen Beweis, daß Sie Anteil an der Ermordung gehabt, um sich von seiner Aufsicht zu befreien.‹

Ich beklagte mich gegen meine Freundin über diese sinnlose Beschuldigung. ›Sinnlos oder nicht‹, fiel sie mir ein, ›Sie wissen, es ist genug, daß man den leisesten Verdacht erregt, um Sie zu verderben. Sie haben dem Mörder fortgeholfen, dies ist genug, und mehr als genug gegen Sie. Ihr Feind hat sich auf das Zeugnis der andern Maske berufen, daß Sie zu Hülfe gerufen worden, und wirklich hingeeilt sind. Diese Maske nun ist mein sehr guter Freund, der es weiß, daß ich Ihnen gewogen bin, er hat mich also, kurz vorher, ehe Sie kamen, von allem unterrichtet. Das Zeugnis abzulegen darf er nun einmal nicht versagen; aber wenigstens sind Sie gewarnt. Eilen Sie nach Hause, sorgen Sie, daß man keine Papiere bei Ihnen findet!‹ –

Ich mußte sogleich fort; auf der Treppe, wie ich hinuntergehe, kömmt der eine meiner jungen Deutschen atemlos mir entgegen. ›Gott Lob, daß ich Sie finde!‹ rief er mir zu, ›Sie müssen fort, gleich auf der Stelle. Ich begleite Sie bis hinaus, und erzähle Ihnen unterwegens.‹ Ich war ohne Geld, von dem jungen Künstler war nichts Überflüssiges zu erwarten. Er mußte einen Augenblick auf mich warten, ich ging wieder zur Gesellschaft zurück; meine Freundin mochte mir meine Bestürzung ansehen, sie kam mir entgegen, ich vertraute ihr meine Verlegenheit, sie half mir auf der Stelle heraus, nach einem kurzen zärtlichen Abschied verließ ich sie und Venedig. Ich eilte mit meinem deutschen Freunde durch lauter enge Gäßchen, und wir kamen glücklich hinaus. Er erzählte mir nun, daß er und sein Freund mich hätten in meiner Wohnung besuchen wollen, zu ihrem Schrecken hätten sie aber Gerichtspersonen bei mir gefunden, die alles durchsucht, und meine Briefe und Papiere durchgelesen hätten. Aus den verwirrten Reden, die ihnen entfallen wären, hätten sie ungefähr vernehmen können, wessen man mich beschuldigte. Sie wären darauf fortgeeilt mich aufzusuchen, und mir zu helfen, daß ich fortkäme. Glücklicherweise wäre ihnen nicht weit von meiner Wohnung mein Bedienter begegnet, von diesem hätten sie erfahren, wo ich hingegangen sei.

Ich mußte fort, das sahe ich ein. Meine Papiere waren allein schon hinreichend mir den Prozeß zu machen. Außer einigen launenhaften possenmäßigen Sachen, die ich zu meiner Lust aufgesetzt, in denen ich das würdige Venedig nicht geschont hatte, waren auch einige Briefe und Billets vorhanden von Frauen, welche die Richter etwas nahe angingen, und die ich unvorsichtigerweise nicht vernichtet hatte. Gnade war also nicht zu hoffen. Ich machte mich sogleich auf den Weg, und empfahl meinen guten Deutschen mich bald in Rom aufzusuchen. Sie versprachen es mir. Der Aufenthalt in Venedig war ihnen durch diese Begebenheit verleidet, auch hatten sie in der Tat viel Anhänglichkeit für mich. Sie wollten durchaus etwas Deutsches an mir finden, ich hätte es ihnen gern und mit Vergnügen geglaubt, hätten die Lords nicht zu gleicher Zeit behauptet, ich habe viel von einem Engländer an mir.


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