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Türck

Türck ist ein strammer Köter, ein Hof- und Kettenhund. Er wird seine sechs bis sieben Jahre haben, steht also gerade im besten Alter. Über seine »Rasse« ist nichts Bestimmtes auszusagen. Es wäre wohl kaum noch zu ermitteln, welcher Mischung er entsprungen.

Er ist mittelgroß, rötlich hellbraun, auf vier stammigen, im Verhältnis zu seiner Länge etwas zu kurzen Pfoten ein praller, kurzhaariger, muskulöser Rumpf. Der Kopf, ungefähr wie ein abgestumpfter Jagdhundkopf, hat glatthaarige Schlappohren, an deren etwas defekten Rändern die kahle, schwarzgraue Haut hervorsieht.

Er hat eine breite Stirn mit zwei kräftigen, schönen Buckeln und einer Vertiefung dazwischen, einen Bombenschädel, hat starre, gelbe Augen, so die richtigen Wolfsaugen, einen gedrungenen, kräftigen Hals und ein respektables, weißblitzendes Gebiß. Er ist absolut mannfest und ein schon sehr gefährlicher Bursche.

Über seine frühste Jugend, also darüber, wie er, hinsichtlich seiner Gemütsart, früher mal gewesen ist, weiß ich nichts Näheres. Doch es ist zu bedenken, daß er nun schon manch ein Jahr, immer so jahraus, jahrein, hier in dem kleinen ländlichen Hof, an seiner dicken, eisernen Kette liegt. Obgleich er sich schon lange in sein Los gefügt hat, ist es begreiflich, daß so etwas auf den Charakter zurückwirken muß. Doch hat er's, wie gesagt werden muß, nicht eigentlich schlecht.

Seine Hütte ist solid aus roten Backsteinen gebaut. Sie ist ziemlich tief und geräumig, dick mit Stroh ausgepolstert, und der Eingang ist verhältnismäßig klein, so daß er's im Winter soweit also wohl ganz leidlich warm haben wird. Sie befindet sich in einer Ecke, welche die licht blaugrün getünchte Hauswand mit einer hohen, aus weißgrauen Kalksteinblöcken aufgeführten, dicken Mauer macht, die wie ein altes Burggemäuer aussieht und das kleine Anwesen von dem nachbarlichen trennt.

Der Hauswand und Türcks Hütte gegenüber führen Stufen aus brüchigen Kalksteinplatten zwischen einem gleichen Kalksteingemäuer mit einem engen Gang, der durch eine Gattertür verschlossen werden kann, zu einem kleinen Hausgarten hinauf. Oben auf der Mauer, zur Rechten, erhebt sich eine buntgestrichene, von Pfeifenkraut überwucherte Holzlaube. Außer dieser Laube aber kann Türck, den Gang hinauf, die Obstbäume, Beerenbüsche und Rosensträucher des Gartens und außerdem noch den Hügel mit dem grünen Angerrasen hinter dem Anwesen sehen, auf dem sich immer Hühner, Enten und weiße Gänse umhertreiben. Und außerdem befindet sich dicht neben der Hütte in der Hauswand im niedriges Fenster, das der kleinen Hausküche angehört. Wenn Türck die Vorderpfoten auf die Fensterschwelle legt, kann er bequem da hineinsehen; und in der schönen Jahreszeit, wenn das Fenster den Tag über offensteht, auch riechen, was da drinnen Gutes gekocht wird. Z. B. wenn es Braten gibt oder im Tiegel Speck ausgelassen oder geröstet wird.

Und dann hat er ja auch den Blick über den Hof.

Sein Abteil ist freilich durch ein Holzstaket mit einer Gittertür gegen den übrigen Hof abgeschlossen. Da das Abteil keine besondere Tiefe hat, die ihm etwa einen gehörigen Anlauf gewährte, ist das Staket immerhin hoch genug, daß er, falls er von der Kette los ist, nicht drüberwegspringen kann.

Natürlich ist das Staket seinetwegen da und um den übrigen Hof gegen ihn zu sichern. Zwar halt man, Türcks wegen, im Hof selbst kein Federvieh, das er erbarmungslos und reuelos totbeißen würde, sondern das Federvieh befindet sich oben im Gartchen: aber es kommt doch oft mal ein Fremder in den Hof, und außerdem dürfen ab und zu die Schweine aus ihren Koben hervor und sich hier austosen, vor denen er gleichfalls keinen besonderen Respekt hat; so wenig, daß er gelegentlich doch mal ein Ferkel erwischt, totgebissen und angefressen hat. Auch Hühner, die sich unvorsichtigerweise oben vom Nachbar her über die Mauer in sein Revier gewagt hatten, hat er schon gepackt, totgebissen und aufgefressen. Denn so ist er. Wie gesagt, schon sehr schlimm.

Also auch den Blick in den übrigen Hof hinein hat er durch die Latten seines Stakets durch. Der Hof hat ein grauweißes, höckriges Kieselpflaster. Zur Linken erhebt sich ein Gebäude mit Ställen, Schuppen, Kellern und Böden. Zur Rechten ist die Hauswand mit der gemütlichen Tür, über der allerlei Krautwerk, würzig duftender Majoran usw. hängt. Türck gegenüber aber, am anderen Ende des Hofes, gibt's mit allerlei Gerät und Werkzeug drum herum eine grauzementierte Zisterne, in welcher das Regenwasser aufgefangen wird, und hinter ihr ein kleines Gelaß, das als Schuppen und Waschküche benutzt wird; auch wird zur Herbstzeit hier das Pflaumenmus gekocht. Und zum roten Ziegeldach kann er hinaufsehen, wo in der Sonne die Tauben und Katzen ihr Wesen treiben, und er kann die Bodenluken beobachten. Auch wird den Tag über allerlei im Hof gearbeitet und ist ein häufiger Verkehr von der Haustür zu den Ställen und Schuppen hinüber und herüber.

Also allzusehr zu langweilen braucht er sich ja gerade nicht, hat's nicht gar zu schlimm. Außerdem kommt er ja bei Einbruch der Nacht von der Kette los. Man darf versichert sein, daß jedem Dieb und Einbrecher die Lust auch nur zu dem Gedanken vergeht, hier zu mausen. Türck ist berüchtigt und berühmt in der ganzen Umgegend, und seine Besitzer werden um ihn beneidet.

Er kommt wohl auch sonst mal von der Kette los. Z. B. abends, zum Feierabend. Dann sitzt etwa der Hauswirt auf dem Rand der Zisterne und spielt die Ziehharmonika. Aber obgleich die Stakettür offensteht, macht Türck dann von seiner Freiheit keinen Gebrauch, sondern verkriecht sich, sobald er seinen Herrn mit dem Instrument auch nur aus der Haustür auf den Hof heraustreten sieht, in die tiefste Tiefe seiner Hütte. Auf der Stelle erscheint dagegen sein Kopf, wenn die Harmonika schweigt, und die Frau »Türck!« ruft. Er weiß, daß sie dann von der Wand des Schuppens den großen, hölzernen Faßreifen herabnimmt, der dort hängt; und er weiß, was das zu bedeuten hat. Sobald er daher sieht, daß die Frau sich auf den Hackeklotz gesetzt hat und den Reifen vor sich hin hält, kommt er unter schallendem Gebell wie der Blitz aus der Hütte hervor und ist gleich darauf mit einem mächtigen Satz auch schon durch den Reifen durch. Und dann geht's wie der Teufel unter freudetollem Gekläff rasend immer im Hof hin und her – manchmal hat er dabei auch einen langen Knüppel im Maul –, durch den Reifen durch, und manchmal, obgleich er ziemlich hochgehalten wird, mit mächtigem Satz über ihn weg.

Das ist was für ihn. Oder wenn er sich totstellen muß. Oder wenn er gefragt wird, ob er Hunger hat. Denn dann gibt's immer einen Leckerbissen. Und zwar, weil er, ob man's glaubt oder nicht, ganz deutlich auf die Frage mit einem stürmisch bejahenden »Hunger« antwortet. Und wenn es dann heißt: »Na, da kriegt er ja was!« – ist er erst mit der ganzen Welt zufrieden. Oder er wird auch wohl gefragt, wo die Katze ist. Dann sieht er sofort oben zur Dachluke hinauf. Denn, so unglaublich es ist: er weiß, obschon die Affaire nun schon zwei Jahre her ist, daß ihm im letzten Augenblick da hinauf noch eine Katze entwischt war, die er schon beim Felle gehabt hatte. Ja, dumm ist er gerade nicht.

Sein Charakter, oder seine tiefere Gemütslage gibt auch sonst wohl Rätsel auf. Ganz erstaunlich haben sich nicht nur die Wirtsleute, sondern das ganze Dorf darüber gewundert, daß er, als ich zum erstenmal im Haus auf Sommerfrische war und auf den Hof hinaustrat, nicht sofort wie ein Rasender losbellte und durch das Staket oder darüberweg auf mich los wollte – was er sonst, außer den Hausleuten, ausnahmslos bei jedem tut, der den Hof betritt –, sondern, als ich zum Staket hinkam und ihn ansprach, an seiner Kette hinzukam, die Vorderpfoten aufs Staket legte und sich von mir anreden und streicheln ließ. Als ich ihm dann aber einen guten Happen zu fressen gab, ist er für immer mein Freund geblieben.

Ja, er ist ein merkwürdiger Bursche. So recht ein rauhbeiniger, absolut eigenständiger, strammer Mannskerl; und doch, wie man sieht, so mit seinen Hintergründen.

Was sein Fressen anbetrifft, so ist es nicht zu gut und nicht zu schlecht. Er kriegt außer seinen besonderen, natürlich sehr einfachen aber reichlichen Bezügen noch was es so an Abfällen vom Mittags- und Abendtisch gibt; und dabei kann er allerdings auskommen. Er steht denn auch mit den Hausleuten auf bestem Verkehrsfuß; auch die Kinder dürfen ihn nach Herzenslust zausen und streicheln.

Bemerkenswert ist ein Ausspruch des alten Schäfers von der Schloßdomäne über ihn. Als Türck damals das Schweinchen und bald darauf auch ein Huhn totgebissen und gefressen hatte, war der Alte von der Hausfrau gefragt worden, ob sie ihn am Ende nicht doch lieber totschießen lassen sollte, weil er doch gar zu schlimm wäre. Aber er hatte geantwortet:

»Sin' Se froh, daß Se den Hund hamm'; so'n guten Hund krei'n Se Ehr Labtag nich' wedder!«


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