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Ein wenig blasiert, ein wenig müde, kam ich hierher in dieses Nest.
Ein ganz gewöhnlicher Marktflecken, mehr Dorf als Stadt, einen Talkessel in die Höhe liegend, zwischen Gartengrün und Wald, bei einem See.
Ein ganz simples Nest. Aber ich begegne hier keinem Menschen, denn für regelrechte Touristen ist es doch ein wenig zu langweilig. Gott sei Dank! Ich meinerseits habe hier Luft, Licht, Sonne. Das ist für mich die Hauptsache. Und dann macht sich der sterntropfende Nachthimmel hier über diesen winzigen Baracken und bemoosten Scheunendächern ebenso schön wie anderswo.
Aber eins nötigt mir zuweilen ein resigniertes Lächeln ab. Ich genieße hier. Ja! Ich genieße alles. Bis zum Kleinsten. Einen Buchenwipfel, vom Sonnenlicht durchzittert; die lärmenden Spatzen auf der ungepflasterten Gasse; ein Huhn, das im Grase pickt; die Bienen, die in den Kirchenlinden summen; einen Schmetterling über die Blumen am Feldrain hin. Aber ich genieße das alles als Kontrast, als etwas Heiteres, Niedliches, Lichtes, Sonniges gegen einen gewaltigen, düsteren Hintergrund. Es ist noch so etwas wie Raffinement in meinem Genuß; er ist nicht unbefangen. Ich genieße wie einer, der einer Krankheit entronnen ist, wie ein Genesender. Nun immerhin: wie ein Genesender ...
Ob das wohl jemals anders sein kann? Ich meine: ob man wohl noch einmal ganz, ohne Rest, im Leben, in einem großen Glück aufgehen kann? Besinnungslos? Fortgerissen? – Ganz Kraft, ganz Leben, ohne des »Gedankens Blässe«?
Wenn ich mich recht zurückbesinnen kann, so war das wohl früher einmal. Es ist aber nun schon recht lange her. Ein einziges großes Fest war damals das Leben und ließ kein Reflektieren aufkommen; kein Reflektieren ...
Ach was!
Wie herrlich der Mond dort voll über den Bäumen steht! Zudem: heute hab ich ja ein Rendezvous. Ein nächtliches Rendezvous ...
* * *
Wie spät? Gegen zehn. –
Es ist so hell, daß ich's hier, beim offnen Fenster, erkennen kann.
So! – Und nun schnell das Jackett über, den Hut. Zum Fenster hinaus. Leise durch den schönen, hellen Garten. Über den Zaun, mit einem Satz.
Die Ungeduld! – Und sie wird mich doch noch ein Weilchen warten lassen.
Aber wenn ich hier langsam so an den Gärten hinbummle?
Alles schon tot. Nirgends ein einziges rotes Licht zwischen den schwarzen Bäumen durch. Wie das Mondlicht drin flimmert! Wie sie sich in den weiten klaren Himmel zacken!
Fern, fern vom anderen Ende der Stadt kläfft hell ein Hund in die mondglimmende Nachtluft hinein. Rein und klar jeder Ton. In einem fort. Aus dem Inneren, vom Markt her, schläfrig, behaglich das Kuhhorn des Nachtwächters. Von Zeit zu Zeit, immer wieder. Jetzt hier, jetzt da. – Das Kirchglöckchen: zehn zitternde, silberhelle, friedliche Töne.
Die wunderfrische, schöne Nachtluft! – Ah! Man kann aufatmen, aufatmen, aufatmen! –
Dort, weit am Horizont, verschimmern die graugrünen, wogenden Felderflächen in den Mondglast. Die Sterne tropfen drüberhin. Unzählig! Unzählig! – Schwarz kraust sich die Waldung drüben den Berg hinan mit breiten, langen, mattsilbernen Lichtflecken drüber und silbernem Gekräusel. Und der Bach rauscht den Hang herunter; rätselhaft, wie raunend. Verschwimmende, ungewisse Töne. Wie Stimmengewirr, bänglich. – Unruhig bleibt man stehen und lauscht, als könnte man Worte hören, irgendwelche Worte. Aber aus den dichten Gärten schluchzt eine Nachtigall; weithin, lang, süß. Beruhigend, traulich. – Lächelndes Sinnen überkommt einen.
Husch, husch! – Eine Eule! Weich, samten über den mondlichten, staubigen Grasweg hin. Zwischen den Gärten kreischen Katzen. Von Zeit zu Zeit ein flinkes, zierliches, sich entfernendes Rascheln in den Zäunen hin, wie in Windungen. Blumen glimmen von den hellen Beeten her. Und hier stehen sie am Weg entlang; wild, in breiten bunten Flecken; regungslos ...
Weiter! Immer hier an den Zäunen entlang.
Hier der Kirchberg.
Weiß, schneeweiß die Kalkwände. Und der Turm, mit den schmalen schwarzen Luken. Das Glockengebälk. Die Glocken und die Balken silbern beleuchtet nach dem Mond zu, auf der anderen Seite tiefschwarz. In dem einen Fenster fängt sich das Mondlicht. Es sieht aus, als wären drin, in dem kahlen stillen Kirchenraum, Lichter angezündet zu irgendeinem mystischen, gespenstigen Gottesdienst.
Ein steiler Hang mit Kalkgeröll. Drüber, einsäumend, Gras, und schwarze Lebensbäume und mondbeschienene Kreuze und weiße Leichensteine dazwischen. Alles so still, so still ...
Ob jetzt wohl unten vor über den abschüssigen Weg hin das gespenstige Gespann kommt? Es ist ganz feurig. Der Wagen, der Lenker drauf, die wilden Rosse: alles von rotem, glühendem Feuer. So lodert, stammt es über den Weg hin und unten in den umbuschten, laichgrünen Entenpfuhl hinein. Da findet es seine Ruhe.
Nein! Es ist ja noch nicht zwölf. Und dann ist das auch nur in ganz schwarzen Nächten, in denen man die Hand nicht vor den Augen sieht, und da auch nur für Sonntagskinder.
Aber wie sonderbar! Es war mir doch wirklich zwei Sekunden so, als könnte das möglich sein. Ich habe, ein wenig zitternd, sogar darauf gewartet. Man verlernt in einem so kleinen, dummen Neste doch all seine kluge, gute, verständige Großstadtweisheit. Man fühlt und glaubt das Ungereimteste wie ein Kind.
Ach, was ist der Verstand! – Der Verstand? Ach was! Der Verstand ist ein spargellang aufgeschossener, engbrüstiger, bläßlicher Lümmel, einen Kneifer auf spitzer Nase, vor kalten grauen Augen, mit schmalen mokanten Lippen und dünnem, glattgescheiteltem Haar von einem charakterlosen Blond. Das ist der Verstand. – Ein Lokalprodukt von elektrischem Licht, guten Fahrverbindungen, breiten, klaren, sauberen Straßen, modisch geputzten Menschen, Fabrikschornsteinen, Palästen und Telephonen ... Da geht alles so leicht und gut und bequem zu. Das Leben wird klar, plan, systematisch wie ein Rechenexempel, und selbst Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Bis einem gelegentlich ein mondbeschienener Kirchberg einen Strich durch die saubere, zierliche Rechnung macht und das Leben einen wieder einmal in einer stillen, nachdenklichen Stunde als Problem mit seinen geheimnistiefen, rätselhaft unergründlichen Nachtaugen ansieht...
* * *
Weiter. Hier am Bache entlang, zwischen Gras, Huflattich und Ranunkeln hin. Hier ist es dunkel und schaurig. Ein feuchter, kühler Wasserdunst.
Von den Gärten hüben und drüben, dicht über die schiefen Lattenzäune weg, drängen sich buschige, schwarze Zweige über das Wasser hin. Sie berühren sich. Und das Mondlicht sickert und tropft hindurch und legt bebende Reflexe über das still plätschernde Wasser und die breiten Blätter auf den dicken, hohlen Stielen am Ufer hin.
Hier und da eine Lücke in den Zäunen. Ich sehe auf silbergrüne Wiesen. Schweifende, wallende, wogende Nebel drüber und Silbergeriesel.
Langsam, träge treibt da etwas mitten in der Strömung, zwischen weißen und gelben wankenden Wasserrosen hin. Etwas Längliches, Schwarzes, Rundes. Im Mondlicht Löcher drin, weiße Rippen: ein Kadaver. Ein toter Hund oder so etwas. – Da treibt es vorbei, weiter; entfernt sich mit den flinkernden, plätschernden Wellen hinein in den silbrigen Mondglast da hinten zwischen dem übergeneigten, sich mischenden Baumgrün.
* * *
Angelangt!
Die Lattentür ist angelehnt, halb offen; wie verabredet.
Zwischen den Heckenbüschen durch seh ich in den Garten. Mit klopfendem Herzen.
Nein, noch nichts.
Ob sie sich versteckt hat, mich neckt?
Hinein! Suchend zwischen dem Flieder, Schneeball, Goldregen, den Stachelbeerbüschen und Obstbäumen hin. Lächelnd, immer auf der Hut, daß es nicht unversehens weiß hinter einem Busch, hinter einem Baum hervorhuscht, mich zu erschrecken.
Nein! Noch nicht da. Nirgends.
Natürlich! ...
Hier auf die Bank, unter den Birnbaum.
Vom Kirchberg her ein feiner, verzitternder Klang.
Ein Viertel auf elf.
Das helle Licht über die Beete und Blumen, über die gelben Kieswege hin! Wie am Tage. Hinter dem Zaune der plätschernde Bach. Und die schöne, milde, linde Luft, und der weite, weite, lichttropfende Himmel ...
Und ...
Sst! War das ...
Nein, die Katze! Dort an den Büschen hin.
Oben lugt das Haus über das Hofstaket empor, mit hellem Dach und weißen Gardinen zwischen dem Weinlaub vor. Kein Licht. Alles dunkel.
Nein, noch nichts ... Ich lehne mich gegen den Baumstamm und seh in den Himmel hinein, weit oben über den Bäumen und träumenden Dächern, immer nur in den Himmel hinein. Es ist, als ob all das unendliche Licht herniedersinkt, immer tiefer, immer näher, wie ein goldiger Regen. Und in sehnendem Traume seh ich hinein in den goldigen schönen Trug; lange, lange... Wunderbar beruhigt und doch sehnend, nun meine Gedanken schweifen: Wer weiß, wohin?...
Da – alles fort! Ein jäher, minutenlanger Schreck. Aber es ist mir weich und warm über die Augen weg und ein linder, warmer Atem an den Schläfen hin und von hinten ein leises, silbernes Kichern... »Du?!«– – –