Friedrich Schiller
Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon
Friedrich Schiller

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Friedrich Schiller

Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon[Dieser Aufsatz gehört zu den universalhistorischen Vorlesungen des Verfassers auf der Universität Jena. Im 11ten Heft der Thalia erschien er zuerst.] .


Lykurgus.

Um den Lykurgischen Plan gehörig würdigen zu können, muß man auf die damalige politische Lage von Sparta zurücksehen und die Verfassung kennen lernen, worin er Lacedämon fand, als er seinen neuen Entwurf zum Vorschein brachte. Zwei Könige, beide mit gleicher Gewalt versehen, standen an der Spitze des Staats; jeder eifersüchtig auf den andern, jeder geschäftig, sich einen Anhang zu machen und dadurch die Gewalt seines Throngehilfen zu beschränken. Diese Eifersucht hatte sich von den zwei ersten Königen Prokles und Eurysthenes auf ihre beiderseitigen Linien bis auf Lykurg fortgeerbt, daß Sparta während dieses langen Zeitraums unaufhörlich von Faktionen beunruhigt wurde. Jeder König suchte durch Bewilligung großer Freiheiten das Volk zu bestechen, und diese Bewilligungen führten das Volk zur Frechheit und endlich zum Aufruhr. Zwischen Monarchie und Demokratie schwankte der Staat hin und wieder und ging mit schnellem Wechsel von einem Extrem auf das andere über. Zwischen den Rechten des Volks und der Gewalt der Könige waren noch keine Grenzen gezeichnet, der Reichthum floß in wenigen Familien zusammen. Die reichen Bürger tyrannisierten die armen, und die Verzweiflung der letztern äußerte sich in Empörung.

Von innerer Zwietracht zerrissen, mußte der schwache Staat die Beute seiner kriegerischen Nachbarn werden oder in mehrere kleinere Tyrannien zerfallen. So fand Lykurgus Sparta; unbestimmte Grenzen der königlichen und Volksgewalt, ungleiche Auftheilung der Glücksgüter unter den Bürgern, Mangel an Gemeingeist und Eintracht und eine gänzliche politische Entkräftung waren die Uebel, die sich dem Gesetzgeber am dringendsten darstellten, auf die er also bei seiner Gesetzgebung vorzüglich Rücksicht nahm.

Als der Tag erschien, wo Lykurgus seine Gesetze bekannt machen wollte, ließ er dreißig der vornehmsten Bürger, die er vorher zum Besten seines Planes gewonnen hatte, bewaffnet auf dem Marktplatz erscheinen, um denen, die sich etwa widersetzen würden, Furcht einzujagen. Der König Charilaus, von diesen Anstalten in Schrecken gesetzt, entfloh in den Tempel der Minerva, weil er glaubte, daß die ganze Sache gegen ihn gerichtet sei. Aber man benahm ihm diese Furcht und brachte ihn sogar dahin, daß er selbst den Plan des Lykurgus thätig unterstützte.

Die erste Einrichtung betraf die Regierung. Um künftig auf immer zu verhindern, daß die Republik zwischen königlicher Tyrannei und anarchischer Demokratie hin- und hergeworfen würde, legte Lykurgus eine dritte Macht als Gegengewicht in die Mitte; er gründete einen Senat. Die Senatoren, achtundzwanzig an der Zahl und also dreißig mit den Königen, sollten auf die Seite des Volks treten, wenn die Könige ihre Gewalt mißbrauchten, und, wenn im Gegentheil die Gewalt des Volks zu groß werden wollte, die Könige gegen dasselbe in Schutz nehmen. Eine vortreffliche Anordnung, wodurch Sparta auf immer allen den gewaltsamen innern Stürmen entging, die es bisher erschüttert hatten. Dadurch ward es jedem Theile unmöglich gemacht, den andern unter die Füße zu treten; gegen Senat und Volk konnten die Könige nichts ausrichten, und eben so wenig konnte das Volk das Uebergewicht erhalten, wenn der Senat mit den Königen gemeine Sache machte.

Aber einem dritten Fall hatte Lykurgus nicht begegnet – wenn nämlich der Senat selbst seine Macht mißbrauchte. Der Senat konnte sich als ein Mitglied, ohne Gefahr der öffentlichen Ruhe, gleich leicht mit den Königen wie mit dem Volk verbinden, aber ohne große Gefahr des Staats durften sich die Könige nicht mit dem Volk gegen den Senat vereinigen. Dieser letzte fing daher bald an, diese vorteilhafte Lage zu benutzen und einen ausschweifenden Gebrauch von seiner Gewalt zu machen, welches um so mehr gelang, da die geringe Anzahl der Senatoren es ihnen leicht machte, sich mit einander einzuverstehen. Der Nachfolger des Lykurgus ergänzte deßwegen diese Lücke und führte die Ephoren ein, welche der Macht des Senats einen Zaum anlegten.

Gefährlicher und kühner war die zweite Anordnung, welche Lykurgus machte. Diese war, das ganze Land in gleichen Theilen unter den Bürgern zu vertheilen und den Unterschied zwischen Reichen und Armen auf immerdar aufzuheben. Ganz Lakonien wurde in dreißigtausend Felder, der Acker um die Stadt Sparta selbst in neuntausend Felder getheilt, jedes groß genug, daß eine Familie reichlich damit auskommen konnte. Sparta gab jetzt einen schönen, reizenden Anblick, und Lykurgus selbst weidete sich an diesem Schauspiel, als er in der Folge das Land durchreiste. Ganz Lakonien, rief er aus, gleicht einem Acker, den Brüder brüderlich unter sich theilten.

Eben so gerne, wie die Aecker, hätte Lykurgus auch die beweglichen Güter vertheilt, aber diesem Vorhaben stellten sich unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Er versuchte also durch Umwege zu diesem Ziele zu gelangen und das, was er nicht durch ein Machtwort aufheben konnte, von sich selbst fallen zu machen.

Er fing damit an, alle goldnen und silbernen Münzen zu verbieten und an ihrer Statt eiserne einzuführen. Zugleich gab er einem großen und schweren Stück Eisen einen sehr geringen Werth, daß man einen großen Raum brauchte, um eine kleine Geldsumme aufzubewahren, und viele Pferde, um sie fortzuschaffen. Ja, damit man nicht einmal versucht werden möchte, dieses Geld des Eisens wegen zu schätzen und zusammenzuscharren, so ließ er das Eisen, welches dazu genommen wurde, vorher glühend in Essig löschen und härten, wodurch es zu jedem andern Gebrauche untüchtig wurde.

Wer sollte nun stehlen oder sich bestechen lassen, oder Reichthümer aufzuhäufen trachten, da der kleine Gewinn weder verhehlt noch genutzt werden konnte?

Nicht genug, daß Lykurg seinen Mitbürgern dadurch die Mittel zur Ueppigkeit entzog – er rückte ihnen auch die Gegenstände derselben aus den Augen, die sie dazu hätten reizen können. Spartas eiserne Münze konnte kein fremder Kaufmann brauchen, und eine andere hatten sie ihm nicht zu geben. Alle Künstler, die für den Luxus arbeiteten, verschwanden jetzt aus Lakonien, kein auswärtiges Schiff erschien mehr in seinen Häfen, kein Abenteurer zeigte sich mehr, sein Glück in diesem Lande zu suchen, kein Kaufmann kam, die Eitelkeit und Wollust zu brandschatzen, denn sie konnten nichts mit sich hinwegnehmen, als eiserne Münzen, die in allen andern Ländern verachtet wurden. Der Luxus hörte auf, weil Niemand da war, der ihn unterhalten hätte.

Lykurg arbeitete noch auf eine andre Art der Ueppigkeit entgegen. Er verordnete, daß alle Bürger an einem öffentlichen Orte in Gemeinschaft zusammen speisen und alle dieselbe vorgeschriebene Kost mit einander theilen sollten. Es war nicht erlaubt, zu Hause der Weichlichkeit zu dienen und sich durch eigne Köche kostbare Speisen zurichten zu lassen. Jeder mußte monatlich eine gewisse Summe an Lebensmitteln zu der öffentlichen Mahlzeit geben, und dafür erhielt er die Kost von dem Staat. Fünfzehn speisten gewöhnlich an einem Tische zusammen, und jeder Tischgenosse mußte alle übrigen Stimmen für sich haben, um an die Tafel aufgenommen zu werden. Wegbleiben durfte keiner ohne eine gültige Entschuldigung; dieses Gebot wurde so strenge gehalten, daß selbst Agis, einer der folgenden Könige, als er aus einem rühmlich geführten Kriege nach Sparta zurückkam und mit seiner Gemahlin allein speisen wollte, eine abschlägige Antwort von den Ephoren erhielt. Unter den Speisen der Spartaner ist die schwarze Suppe berühmt; ein Gericht, zu dessen Lobe gesagt wurde, die Spartaner hätten gut tapfer sein, weil es kein so großes Uebel wäre, zu sterben, als ihre schwarze Suppe zu essen. Ihre Mahlzeit würzten sie mit Lustigkeit und Scherz, denn Lykurg selbst war so sehr ein Freund der geselligen Freude, daß er dem Gott des Lachens in seinem Hause einen Altar errichtete.

Durch die Einführung dieser gemeinschaftlichen Speisung gewann Lykurgus für seinen Zweck sehr viel. Aller Luxus an kostbarem Tafelgeräthe hörte auf, weil man an dem öffentlichen Tisch keinen Gebrauch davon machen konnte. Der Schwelgerei wurde auf immer Einhalt gethan; gesunde und starke Körper waren die Folge dieser Mäßigkeit und Ordnung, und gesunde Väter konnten dem Staate starke Kinder zeugen. Die gemeinschaftliche Speisung gewöhnte die Bürger, mit einander zu leben und sich als Glieder desselben Staatskörpers zu betrachten – nicht einmal zu gedenken, daß eine so gleiche Lebensweise auch auf die gleiche Stimmung der Gemüther Einfluß haben mußte.

Ein ander Gesetz verordnete, daß kein Haus ein andres Dach haben durfte, als welches mit der Axt verfertigt worden, und keine andre Thüre, als die bloß mit Hilfe einer Säge gemacht worden sei. In ein so schlechtes Haus konnte sich Niemand einfallen lassen kostbare Möbeln zu schaffen; alles mußte sich harmonisch zu dem Ganzen stimmen.

Lykurgus begriff wohl, daß es nicht damit gethan sei, Gesetze für seine Mitbürger zu schaffen; er mußte auch Bürger für diese Gesetze erschaffen. In den Gemüthern der Spartaner mußte er seiner Verfassung die Ewigkeit sichern, in diesen mußte er die Empfänglichkeit für fremde Eindrücke ertödten.

Der wichtigste Theil seiner Gesetzgebung war daher die Erziehung, und durch diese schloß er gleichsam den Kreis, in welchem der spartanische Staat sich um sich selbst bewegen sollte. Die Erziehung war ein wichtiges Werk des Staats; und der Staat ein fortdauerndes Werk dieser Erziehung.

Seine Sorgfalt für die Kinder erstreckte sich bis auf die Quellen der Zeugung. Die Körper der Jungfrauen wurden durch Leibesübungen gehärtet, um starke gesunde Kinder leicht zu gebären. Sie gingen sogar unbekleidet, um alle Unfälle der Witterung auszuhalten. Der Bräutigam mußte sie rauben und durfte sie auch nur des Nachts und verstohlen besuchen. Dadurch blieben Beide in den ersten Jahren der Ehe einander immer noch fremd, und ihre Liebe blieb neu und lebendig.

Aus der Ehe selbst wurde alle Eifersucht verbannt. Alles, auch die Schamhaftigkeit, ordnete der Gesetzgeber seinem Hauptzweck unter. Er opferte die weibliche Treue auf, um gesunde Kinder für den Staat zu gewinnen.

Sobald das Kind geboren war, gehörte es dem Staat. – Vater und Mutter hatten es verloren. Es wurde von den Aeltesten besichtigt; wenn es stark und wohlgebildet war, übergab man es einer Wärterin; war es schwächlich und mißgestaltet, so warf man es in einen Abgrund an dem Berge Taygetus.

Die spartanischen Wärterinnen wurden wegen der harten Erziehung, die sie den Kindern gaben, in ganz Griechenland berühmt und in entfernte Länder berufen. Sobald ein Knabe das siebente Jahr erreicht hatte, wurde er ihnen genommen und mit Kindern seines Alters gemeinschaftlich erzogen, ernährt und unterrichtet. Frühe lehrte man ihn Beschwerlichkeiten Trotz bieten und durch Leibesübungen eine Herrschaft über seine Glieder erlangen. Erreichten sie die Jünglingsjahre, so hatten die edelsten unter ihnen Hoffnung, Freunde unter den Erwachsenen zu erhalten, die durch eine begeisterte Liebe an sie gebunden waren. Die Alten waren bei ihren Spielen zugegen, beobachteten das aufkeimende Genie und ermunterten die Ruhmbegierde durch Lob oder Tadel. Wenn sie sich satt essen wollten, so mußten sie die Lebensmittel dazu stehlen, und wer sich ertappen ließ, hatte eine harte Züchtigung und Schande zu erwarten. Lykurgus wählte dieses Mittel, um sie frühe an List und Ränke zu gewöhnen – Eigenschaften, die er für den kriegrischen Zweck, zu dem er sie bildete, eben so wichtig glaubte, als Leibesstärke und Muth. Wir haben schon oben gesehen, wie wenig gewissenhaft Lykurgus im Betreff der Sittlichkeit war, wenn es darauf ankam, seinen politischen Zweck zu verfolgen. Uebrigens muß man in Betrachtung ziehen, daß weder die Entweihung der Ehen, noch dieser befohlene Diebstahl in Sparta den politischen Schaden anrichten konnten, den sie in jedem andern Staate würden zur Folge gehabt haben. Da der Staat die Erziehung der Kinder übernahm, so war sie unabhängig von dem Glück und der Reinigkeit der Ehen; da in Sparta wenig Werth auf dem Eigenthum ruhte und fast alle Güter gemeinschaftlich waren, so war die Sicherheit des Eigenthums kein so wichtiger Punkt, und ein Angriff darauf – besonders wenn der Staat selbst ihn lenkte und Absichten dadurch erreichte – kein bürgerliches Verbrechen.

Den jungen Spartanern war es verboten, sich zu schmücken, ausgenommen, wenn sie in das Treffen oder in sonst eine große Gefahr gingen. Dann erlaubte man ihnen, ihre Haare schön aufzuputzen, ihre Kleider zu schmücken und Zierathen an den Waffen zu tragen. Das Haar, sagte Lykurgus, mache schöne Leute schöner und häßliche fürchterlich. Es war gewiß ein feiner Kunstgriff des Gesetzgebers, etwas Lachendes und Festliches mit Gelegenheiten der Gefahr zu verbinden und ihnen dadurch das Schreckliche zu benehmen. Er ging noch weiter. Er ließ im Kriege von der strengen Disciplin etwas nach; die Lebensart war dann freier, und Vergehungen wurden weniger hart geahndet. Daher kam es, daß der Krieg den Spartanern allein eine Art von Erholung war, und daß sie sich darauf, wie auf eine fröhliche Gelegenheit, freuten. Rückte der Feind an, so ließ der spartanische König das Kastorische Lied anstimmen, die Soldaten rückten in festgeschlossenen Reihen unter Flötengesang fort und gingen freudig und unerschrocken, nach dem Klange der Musik, der Gefahr entgegen.

Der Plan des Lykurgus brachte es mit sich, daß die Anhänglichkeit an das Eigenthum der Anhänglichkeit an das Vaterland durchaus nachstand, und daß die Gemüther, durch keine Privatsorge zerstreut, nur dem Staate lebten. Darum fand er für gut und nothwendig, seinen Mitbürgern auch die Geschäfte des gewöhnlichen Lebens zu ersparen und diese durch Fremdlinge verrichten zu lassen, damit auch nicht einmal die Sorge der Arbeit oder die Freude an häuslichen Geschäften ihren Geist von dem Interesse des Vaterlands abzöge. Die Aecker und das Haus wurden deßwegen von Sklaven besorgt, die in Sparta dem Vieh gleich geachtet wurden. Man nennt sie Heloten, weil die ersten Sklaven der Spartaner Einwohner der Stadt Helos in Lakonien gewesen, die sie bekriegt und zu Gefangenen gemacht hatten. Von diesen Heloten führten nachher alle spartanischen Sklaven, die sie in ihren Kriegen erbeuteten, den Namen.

Abscheulich war der Gebrauch, den man in Sparta von diesen unglücklichen Menschen machte. Man betrachtete sie als ein Geräthe, von dem man zu politischen Absichten, wie man wollte, Gebrauch machen könnte, und die Menschheit wurde auf eine wirklich empörende Art in ihnen verspottet. Um der spartanischen Jugend ein abschreckendes Bild von der Unmäßigkeit im Trinken zu geben, zwang man diese Heloten, sich zu betrinken, und stellte sie dann in diesem Zustand öffentlich zur Schau aus. Man ließ sie schändliche Lieder singen und lächerliche Tänze tanzen; die Tänze der Freigebornen waren ihnen verboten.

Man gebrauchte sie zu einer noch weit unmenschlichern Absicht. Es war dem Staat darum zu thun, den Muth seiner kühnsten Jünglinge auf schwere Proben zu setzen und sie durch blutige Vorspiele zum Kriege vorzubereiten. Der Senat schickte also zu gewissen Zeiten eine Anzahl dieser Jünglinge auf das Land; nichts als ein Dolch und etwas Speise wurde ihnen auf die Reise mitgegeben. Am Tage war ihnen auferlegt, sich verborgen zu halten; bei Nachtzeit aber zogen sie auf die Straßen und schlugen die Heloten todt, die ihnen in die Hände fielen. Diese Anstalt nannte man die Kryptia oder den Hinterhalt; aber ob Lykurgus der Stifter derselben war, ist noch im Zweifel. Wenigstens folgt sie ganz aus seinem Princip. Wie die Republik Sparta in ihren Kriegen glücklich war, so vermehrte sich auch die Anzahl dieser Heloten, daß sie anfingen, der Republik selbst gefährlich zu werden, und auch wirklich, durch eine so barbarische Behandlung zur Verzweiflung gebracht, Empörungen entspannen. Der Senat faßte einen unmenschlichen Entschluß, den er durch die Notwendigkeit entschuldigt glaubte. Unter dem Vorwand, ihnen die Freiheit zu schenken, wurden einmal während des peloponnesischen Kriegs zweitausend der tapfersten Heloten versammelt und, mit Kränzen geschmückt, in einer feierlichen Procession in die Tempel begleitet. Hier aber verschwanden sie plötzlich, und Niemand erfuhr, was mit ihnen geworden war. So viel ist übrigens gewiß und in Griechenland zum Sprüchwort geworden, daß die spartanischen Sklaven die unglückseligsten aller andern Sklaven, so wie die spartanischen freien Bürger die freiesten aller Bürger gewesen.

Weil den Letztern alle Arbeiten durch die Heloten abgenommen waren, so brachten sie ihr ganzes Leben müßig zu; die Jugend übte sich in kriegerischen Spielen und Geschicklichkeiten, und die Alten waren die Zuschauer und Richter bei diesen Uebungen. Einem spartanischen Greis gereichte es zur Schande, von dem Ort wegzubleiben, wo die Jugend erzogen wurde. Auf diese Art kam es, daß jeder Spartaner mit dem Staate lebte; alle Handlungen wurden dadurch öffentliche Handlungen. Unter den Augen der Nation reifte die Jugend heran und verblühte das Alter. Unaufhörlich hatte der Spartaner Sparta vor Augen und Sparta ihn. Er war Zeuge von allem, und alles war Zeuge seines Lebens. Die Ruhmbegierde erhielt einen immerwährenden Sporn, der Nationalgeist eine unaufhörliche Nahrung; die Idee von Vaterland und vaterländischem Interesse verwuchs mit dem innersten Leben aller seiner Bürger. Noch andre Gelegenheiten, diese Triebe zu entflammen, gaben die öffentlichen Feste, welche in dem müßigen Sparta sehr zahlreich waren. Kriegrische Volkslieder wurden dabei gesungen, welche den Ruhm der fürs Vaterland gefallenen Bürger, oder Ermunterungen zur Tapferkeit zum gewöhnlichen Inhalt hatten. Sie erschienen an diesen Festen in drei Chören, nach dem Alter eingeteilt. Das Chor der Alten fing an zu singen: In der Vorzeit waren wir Helden. Das Chor der Männer antwortete: Helden sind wir jetzt! Komme, wer will, es zu erproben! Das dritte Chor der Knaben fiel ein: Helden werden wir einst und euch durch Thaten verdunkeln.

Werfen wir einen bloß flüchtigen Blick auf die Gesetzgebung des Lykurgus, so befällt uns wirklich ein angenehmes Erstaunen. Unter allen ähnlichen Instituten des Alterthums ist sie unstreitig die vollendetste, die mosaische Gesetzgebung ausgenommen, der sie in vielen Stücken und vorzüglich in dem Principium gleicht, das ihr zum Grund liegt. Sie ist wirklich in sich selbst vollendet. Alles schließt sich darin aneinander an. Eines wird durch Alles und Alles durch Eines gehalten. Bessere Mittel konnte Lykurgus wohl nicht wählen, den Zweck zu erreichen, den er vor Augen hatte, einen Staat nämlich, der, von allen übrigen isoliert, sich selbst genug und fähig wäre, durch innern Kreislauf und eigne lebendige Kraft sich selbst zu erhalten. Kein Gesetzgeber hat je einem Staate diese Einheit, dieses Nationalinteresse, diesen Gemeingeist gegeben, den Lykurgus dem seinigen gab. Und wodurch hat Lykurgus dieses bewirkt? – Dadurch, daß er die Thätigkeit seiner Mitbürger in den Staat zu leiten wußte und ihnen alle andern Wege zuschloß, die sie hätten davon abziehen können.

Altes, was Menschenseelen fesselt und Leidenschaften entzündet, alles, außer dem politischen Interesse, hatte er durch seine Gesetzgebung entfernt. Reichthum und Wollüste, Wissenschaft und Kunst hatten keinen Zugang zu den Gemüthern der Spartaner. Durch die gleiche gemeinschaftliche Armuth fiel die Vergleichung der Glücksumstände weg, die in den meisten Menschen die Gewinnsucht entzündet; der Wunsch nach Besitztümern fiel mit der Gelegenheit hinweg, sie zu zeigen und zu nutzen. Durch die tiefe Unwissenheit in Kunst und Wissenschaft, welche alle Köpfe in Sparta auf gleiche Art verfinsterte, verwahrte er es vor Eingriffen, die ein erleuchteter Geist in die Verfassung gethan haben würde; eben diese Unwissenheit, mit dem rauhen Nationaltrotz verbunden, der jedem Spartaner eigentümlich war, stand ihrer Vermischung mit andern griechischen Völkern unaufhörlich im Wege. In der Wiege schon waren sie zu Spartanern gestempelt, und je mehr sie andern Nationen entgegen stießen, desto fester mußten sie an ihrem Mittelpunkt halten. Das Vaterland war das erste Schauspiel, das sich dem spartanischen Knaben zeigte, wenn er zum Denken erwachte. Er erwachte im Schooß des Staats; alles, was um ihn lag, war Nation, Staat und Vaterland. Es war der erste Eindruck in seinem Gehirne, und sein ganzes Leben war eine ewige Erneuerung dieses Eindrucks.

Zu Hause fand der Spartaner nichts, das ihn hätte fesseln können; alle Reize hatte der Gesetzgeber seinen Augen entzogen. Nur im Schooße des Staats fand er Beschäftigung, Ergötzung, Ehre, Belohnung; alle seine Triebe und Leidenschaften waren nach diesem Mittelpunkt hingeleitet. Der Staat hatte also die ganze Energie, die Kraft aller seiner einzelnen Bürger, und an dem Gemeingeist, der alle zusammen entflammte, mußte sich der Nationalgeist jedes einzelnen Bürgers entzünden. Daher ist es kein Wunder, daß die spartanische Vaterlandstugend einen Grad von Stärke erreichte, der uns unglaublich scheinen muß. Daher kam es, daß bei dem Bürger dieser Republik gar kein Zweifel statt finden konnte, wenn es darauf ankam, zwischen Selbsterhaltung und Rettung des Vaterlands eine Wahl zu treffen.

Daher ist es begreiflich, wie sich der spartanische König Leonidas mit seinen dreihundert Helden die Grabschrift verdienen konnte, die schönste ihrer Art und das erhabenste Denkmal politischer Tugend. »Erzähle, Wandrer, wenn du nach Sparta kommst, daß wir, seinen Gesetzen gehorsam, hier gefallen sind.«

Man muß also eingestehen, daß nichts zweckmäßiger, nichts durchdachter sein kann, als diese Staatsverfassung, daß sie in ihrer Art ein vollendetes Kunstwerk vorstellt und, in ihrer ganzen Strenge befolgt, nothwendig auf sich selbst hätte ruhen müssen. Wäre aber meine Schilderung hier zu Ende, so würde ich mich eines sehr großen Irrthums schuldig gemacht haben. Diese bewunderungswürdige Verfassung ist im höchsten Grade verwerflich, und nichts Traurigeres könnte der Menschheit begegnen, als wenn alle Staaten nach diesem Muster wären gegründet worden. Es wird uns nicht schwer fallen, uns von dieser Behauptung zu überzeugen.

Gegen seinen eignen Zweck gehalten, ist die Gesetzgebung des Lykurgus ein Meisterstück der Staats- und Menschenkunde. Er wollte einen mächtigen, in sich selbst gegründeten, unzerstörbaren Staat; politische Stärke und Dauerhaftigkeit waren das Ziel, wonach er strebte, und dieses Ziel hat er so weit erreicht, als unter seinen Umständen möglich war. Aber hält man den Zweck, welchen Lykurgus sich vorsetzte, gegen den Zweck der Menschheit, so muß eine tiefe Mißbilligung an die Stelle der Bewunderung treten, die uns der erste flüchtige Blick abgewonnen hat. Alles darf dem Besten des Staats zum Opfer gebracht werden, nur dasjenige nicht, dem der Staat selbst nur als ein Mittel dient. Der Staat selbst ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein andrer, als Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung. Hindert eine Staatsverfassung, daß alle Kräfte, die im Menschen liegen, sich entwickeln; hindert sie die Fortschreitung des Geistes, so ist sie verwerflich und schädlich, sie mag übrigens noch so durchdacht und in ihrer Art noch so vollkommen sein. Ihre Dauerhaftigkeit selbst gereicht ihr alsdann vielmehr zum Vorwurf, als zum Ruhme – sie ist dann nur ein verlängertes Uebel; je länger sie Bestand hat, um so schädlicher ist sie.

Ueberhaupt können wir bei Beurtheilung politischer Anstalten als eine Regel festsetzen, daß sie nur gut und lobenswürdig sind, insofern sie alle Kräfte, die im Menschen liegen, zur Ausbildung bringen, insofern sie Fortschreitung der Kultur befördern, oder wenigstens nicht hemmen. Dieses gilt von Religions-, wie von politischen Gesetzen; beide sind verwerflich, wenn sie eine Kraft des menschlichen Geistes fesseln, wenn sie ihm in irgend etwas einen Stillstand auferlegen. Ein Gesetz z. B., wodurch eine Nation verbunden würde, bei dem Glaubensschema beständig zu verharren, das ihr in einer gewissen Periode als das vortrefflichste erschienen, ein solches Gesetz wäre ein Attentat gegen die Menschheit, und keine noch so scheinbare Absicht würde es rechtfertigen können. Es wäre unmittelbar gegen das höchste Gut, gegen den höchsten Zweck der Gesellschaft gerichtet.

Mit diesem allgemeinen Maßstab versehen, können wir nicht lange zweifelhaft sein, wie wir den Lykurgischen Staat beurtheilen sollen.

Eine einzige Tugend war es, die in Sparta mit Hintansetzung aller andern geübt wurde, Vaterlandsliebe.

Diesem künstlichen Triebe wurden die natürlichsten, schönsten Gefühle der Menschheit zum Opfer gebracht.

Auf Unkosten aller sittlichen Gefühle wurde das politische Verdienst errungen und die Fähigkeit dazu ausgebildet. In Sparta gab es keine eheliche Liebe, keine Mutterliebe, keine kindliche Liebe, keine Freundschaft – es gab nichts als Bürger, nichts als bürgerliche Tugend. Lange Zeit hat man jene spartanische Mutter bewundert, die ihren aus dem Treffen entkommenen Sohn mit Unwillen von sich stößt und nach dem Tempel eilt, den Göttern für den gefallenen zu danken. Zu einer solchen unnatürlichen Stärke des Geistes hätte man der Menschheit nicht Glück wünschen sollen. Eine zärtliche Mutter ist eine weit schönere Erscheinung in der moralischen Welt, als ein heroisches Zwittergeschöpf, das die natürliche Empfindung verleugnet, um eine künstliche Pflicht zu befriedigen.

Welch schöneres Schauspiel gibt der rauhe Krieger Cn. Marcius in seinem Lager vor Rom, der Rache und Sieg aufopfert, weil er die Thränen der Mutter nicht fließen sehen kann!

Dadurch, daß der Staat der Vater seines Kindes wurde, hörte der natürliche Vater desselben auf, es zu sein. Das Kind lernte nie seine Mutter, seinen Vater lieben, weil es, schon in dem zartesten Alter von ihnen gerissen, seine Eltern nicht an ihren Wohlthaten, nur von Hörensagen erfuhr.

Auf eine noch empörendere Art wurde das allgemeine Menschengefühl in Sparta ertödtet, und die Seele aller Pflichten, die Achtung gegen die Gattung, ging unwiederbringlich verloren. Ein Staatsgesetz machte den Spartanern die Unmenschlichkeit gegen ihre Sklaven zur Pflicht; in diesen unglücklichen Schlachtopfern wurde die Menschheit beschimpft und mißhandelt. In dem spartanischen Gesetzbuche selbst wurde der gefährliche Grundsatz gepredigt, Menschen als Mittel und nicht als Zwecke zu betrachten – dadurch wurden die Grundfesten des Naturrechts und der Sittlichkeit gesetzmäßig eingerissen. Die ganze Moralität wurde preisgegeben, um etwas zu erhalten, das doch nur als ein Mittel zu dieser Moralität einen Werth haben kann.

Kann etwas widersprechender sein, und kann ein Widerspruch schrecklichere Folgen haben, als diese? Nicht genug, daß Lykurgus auf den Ruin der Sittlichkeit seinen Staat gründete, er arbeitete auf eine andre Art gegen den höchsten Zweck der Menschheit, indem er durch sein fein durchdachtes Staatssystem den Geist der Spartaner auf derjenigen Stufe festhielt, worauf er ihn fand, und auf ewig alle Fortschreitung hemmte.

Aller Kunstfleiß war aus Sparta verbannt, alle Wissenschaften wurden vernachlässigt, aller Handelsverkehr mit fremden Völkern verboten, alles Auswärtige wurde ausgeschlossen. Dadurch wurden alle Kanäle gesperrt, wodurch einer Nation helle Begriffe zufließen konnten; in einer ewigen Einförmigkeit, in einem traurigen Egoismus sollte sich der spartanische Staat ewig nur um sich selbst bewegen.

Das Geschäft aller seiner vereinigten Bürger war, sich zu erhalten, was sie besaßen, und zu bleiben, was sie waren, nichts Neues zu bewerben, nicht auf eine höhere Stufe zu steigen. Unerbittliche Gesetze mußten darüber wachen, daß keine Neuerung in das Uhrwerk des Staates griff, daß selbst der Fortschritt der Zeit an der Form der Gesetze nichts veränderte. Um diese lokale, diese temporäre Verfassung dauerhaft zu machen, mußte man den Geist des Volks auf derjenigen Stelle fest halten, worauf er bei ihrer Gründung gestanden.

Wir haben aber gesehen, daß Fortschreitung des Geistes das Ziel des Staates sein soll.

Der Staat des Lykurgus konnte nur unter der einzigen Bedingung fortdauern, wenn der Geist des Volks still stünde; er konnte sich also nur dadurch erhalten, daß er den höchsten und einzigen Zweck eines Staats verfehlte. Was man also zum Lobe des Lykurgus angeführt hat, daß Sparta nur so lange blühen würde, als es dem Buchstaben seinem Gesetzes folgte, ist das Schlimmste, was von ihm gesagt werden konnte. Eben dadurch, daß es die alte Staatsform nicht verlassen durfte, die Lykurg ihm gegeben, ohne sich dem gänzlichen Untergang auszusetzen, daß es bleiben mußte, was es war, daß es stehen mußte, wo ein einziger Mann es hingeworfen, eben dadurch war Sparta ein unglücklicher Staat – und kein traurigeres Geschenk hätte ihm sein Gesetzgeber machen können, als diese gerühmte ewige Dauer einer Verfassung, die seiner wahren Größe und Glückseligkeit so sehr im Wege stand.

Nehmen wir dies zusammen, so verschwindet der falsche Glanz, wodurch die einzige hervorstechende Seite des spartanischen Staats ein unerfahrnes Auge blendet – wir sehen nichts mehr als einen schülerhaften unvollkommenen Versuch – das erste Exercitium des jugendlichen Weltalters, dem es noch an Erfahrung und hellen Einsichten fehlte, die wahren Verhältnisse der Dinge zu erkennen. So fehlerhaft dieser erste Versuch ausgefallen ist, so wird und muß er einem philosophischen Forscher der Menschengeschichte immer sehr merkwürdig bleiben. Immer war es ein Riesenschritt des menschlichen Geistes, dasjenige als ein Kunstwerk zu behandeln, was bis jetzt dem Zufall und der Leidenschaft überlassen gewesen war. Unvollkommen mußte nothwendig der erste Versuch in der schwersten aller Künste sein, aber schätzbar bleibt er immer, weil er in der wichtigsten aller Künste angestellt worden ist. Die Bildhauer fingen mit Hermessäulen an, ehe sie sich zu der vollkommnen Form eines Antinous, eines vatikanischen Apolls erhoben; die Gesetzgeber werden sich noch lange in rohen Versuchen üben, bis sich ihnen endlich das glückliche Gleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte von selbst darbietet.

Der Stein leidet geduldig den bildenden Meißel, und die Saiten, die der Tonkünstler anschlägt, antworten ihm, ohne seinem Finger zu widerstreben.

Der Gesetzgeber allein bearbeitet einen selbstthätigen widerstrebenden Stoff – die menschliche Freiheit. Nur unvollkommen kann er das Ideal in Erfüllung bringen, das er in seinem Gehirne noch so rein entworfen hat; aber hier ist der Versuch allein schon alles Lobes werth, wenn er mit uneigennützigem Wohlwollen unternommen und mit Zweckmäßigkeit vollendet wird.


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