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Wohin soll ich (mich) wenden?
Der Flüchtling.
Ein hohes Weib, das Freunde schützt
Und den Verfolgten eine Zuflucht beut …
Fragment des Warbek.
Du, die du alle Wunden heilest,
Der Freundschaft leise, zarte Hand,
Des Lebens Bürden liebend theilest,
Du, die ich frühe sucht' und fand.
– – –
Die Liebe mit dem süßen Lohne …
Illusionen und Enttäuschungen. – Schreiben an Herzog Karl. – Der Fiesco macht in erster Vorlesung Fiasco. – Die »verwünschte Declamation.« – Ausflug nach Frankfurt. – Dalberg und Schiller. – Die Herberge zum Viehhof. – Abendliche Schöpfungsstunden. – Ein panischer Schrecken. – Entschluß, den Wanderstab weiter zu setzen. – Zurückweisung des Fiesco. – Druck des Stückes. – Die gelöschten Kreidestriche. – Abschied von Streicher. – Eine Winterreise und eine Parallele.
»In den Ozean schifft mit tausend Masten der Jüngling« – und von jeder Mastspitze weht eine Hoffnungsflagge lustig im Winde. Fern im blauen Duft liegt die lockende Atlantis, die Insel des Glücks, des Ruhms, der Liebe, schöner und seliger noch, als sie der von Indiens Glutsonne gezeitigten Phantasie des Dichters der Lusiaden erschien. Ueber Strudel und Sandbänke hin, durch Klippen und Riffe geht die Bahn und »nur ein Wunder kann dich tragen in das schöne Wunderland.« Aber das ist ja das Vorrecht der Jugend, daß sie an Wunder glauben darf. Also hinauf mit den Segeln! Der ungestüme Hauch jugendlichen Enthusiasmus macht sie schwellen und am Steuer steht wagend die jugendliche Abenteuerlichkeit. So geht die Wikingsfahrt keck und munter hinaus auf die tückische See. Was Klippen und Riffe, was Orkane und Tromben! Laß den Wogenschaum unter dem Bug aufspritzen, laß die Planken krachen und die Raaen brechen, hell leuchtet dir der Begeisterung Polarstern und »dort muß die Küste sich zeigen!« Ach, nur wenigen, ganz wenigen Auserwählten gelingt es, den ersehnten Strand zu erreichen. Viele, und unter ihnen oft gerade die kühnsten Segler, werden von den Strudeln hinabgerafft oder von Feinden in den Grund gebohrt. Die Meisten bleiben auf der Sandbank der Gewöhnlichkeit sitzen. Noch Andere, durch die Stürme abgekühlt und gewitzigt, bescheiden sich, Atlantis einmal von ferne flüchtig gesehen zu haben, wenden auf halbem Wege das Steuer und »still auf gerettetem Boot treibt in den Hafen der Greis.«
Als in der Morgenfrühe des 18. Septembers 1782 der Dichterflüchtling den blau und weiß bemalten Gränzpfahl der Pfalz erblickte, ward ihm leicht und fröhlich zu Muthe, als ob »rückwärts alles Lästige geblieben wäre und das ersehnte Eldorado bald erreicht sein würde«
Streicher, 82.. Er sollte nur zu bald erkennen, wie das Dorado der Fremde eigentlich beschaffen sei, und wenn ihm Dante's göttliche Komödie bekannt gewesen wäre, hätte er nach wenigen Tagen schon Gelegenheit gehabt, der markigen Worte sich zu erinnern, womit der große Florentiner das Elend der Heimatlosigkeit gezeichnet hat
Du wirst dann merken, wie nach Salze schmecke
Das fremde Brot, und welch ein harter Gang ist
Das Auf- und Niedersteigen fremder Treppen.
Paradiso, 17.. Solche trübe Gedanken lagen ihm aber fern, als er am Morgen des 19. Septembers in Schwetzingen seinen besten Anzug hervorholte, um möglichst wohlanständig seinen Einzug in Mannheim zu halten. Hatte er nicht den Fiesco vollendet im Koffer und durfte er nicht mit Grund erwarten, daß eine Bühne, welche die Räuber mit so viel Erfolg und Vortheil zur Aufführung gebracht, seine zweite Tragödie sofort annehmen und in Szene gehen lassen würde? Mußte dadurch nicht sein Ruf und auch der dünne Inhalt seiner Börse einen Zuwachs erhalten und sollten ihn wohl die Freunde, welche sich bei seiner zweimaligen früheren Anwesenheit in Mannheim
bewundernd um ihn gedrängt, nicht mit offenen Armen aufnehmen? Ach, mit dem Eintritt in das »Paradies« Mannheim begannen auch schon die Enttäuschungen.
Herr Meyer, der Theaterregisseur, bei welchem die Freunde abstiegen, war höchlich überrascht, den Dichter vor sich zu sehen, welchen er als Zuschauer bei den Stuttgarter Festen anwesend glaubte, und seine Ueberraschung ging in Besorgniß über, als er erfuhr, daß Schiller der Unerträglichkeit seiner Stellung daheim in gewagter und gewaltsamer Weise ein Ende gemacht habe und als Flüchtling nach Mannheim gekommen sei. Er besaß freilich weltmännischen Takt genug, des Tadels sich zu enthalten, die jungen Männer zu seinem Mittagstisch zu laden und ihnen eine Wohnung in der Nähe der seinigen auszumitteln; allein er bestand auch darauf, daß der Dichter seinen schon in Stuttgart gefaßten Vorsatz Streicher, 69., von Mannheim aus mit dem Herzog von Würtemberg sich auseinanderzusetzen, sofort zur Vollziehung brächte. Schiller zögerte nicht, diesen Rath zu befolgen, und entwarf nach Tisch im Nebenzimmer ein Schreiben an den Herzog, welches einem Brief an den Intendanten von Seeger beigeschlossen, aber, wie es scheint, erst ein paar Tage später auf die Post gegeben wurde. Der Flüchtling hat in dieser Vorstellung an seinen Landesherrn den verzweifelten Schritt, welchen er gethan, zu rechtfertigen gesucht und drei freimüthige Bitten gestellt: – 1) daß das herzogliche Verbot, keine anderen als medizinische Schriften zu veröffentlichen, aufgehoben werde; 2) daß ihm gestattet würde, alljährlich eine kurze Reise ins Ausland zu machen; 3) daß der Fürst sein Wort gäbe, dem Dichter seine eigenmächtige Entfernung straflos hingehen lassen und ihm überhaupt verzeihen zu wollen. Wie mir aber scheint, mußte Schiller den Herzog zu genau kennen, als daß er von diesem Bittgesuch einen Erfolg sich hätte versprechen dürfen. Er wußte sicherlich, daß Karl nicht der Mann war, mit einem Unterthan, der sich eigenmächtig seiner Gewalt entzogen, in Unterhandlungen einzutreten. Es bleibt also nur übrig, anzunehmen, daß der Dichter mit seinem Schreiben in erster Linie einer Form genügen und in zweiter seine Familie vor den Wirkungen seiner Flucht möglichst sichern wollte, und diese Annahme wird von ihm selbst bestätigt Durch einen Brief vom 6. November 1782 an einen Freund daheim (Jakobi), worin es heißt: »Die Briefe an den Herzog und den General Augé (– also auch an diesen hatte der Dichter geschrieben?) – hatten den sehr wichtigen Zweck, meine Familie zu sichern und meinen gewaltsamen Schritt in das möglichst rechtmäßige Feld hinüber zu spielen. Dieses Ziel scheine ich wirklich erreicht zu haben und hiemit bleibt auch die ganze Maschinerie auf sich beruhen.«.
Frau Meyer, welche folgenden Tages aus Stuttgart heimkam, brachte nicht eben tröstliche Neuigkeiten mit. Nach ihrer Aussage war das Verschwinden des Dichters schon am Vormittag des 18. Septembers in der würtembergischen Hauptstadt bekannt und rasch zum Stadtgespräch geworden, welches auf das Resultat hinauslief, der Herzog würde dem »Deserteur« nachsetzen lassen oder auch seine Auslieferung fordern. Schiller bestritt das und meinte – mehr wohl, um seine Freunde als sich selber zu beruhigen – dazu sei Herzog Karl viel zu großmüthig. Indessen bestand doch namentlich Frau Meyer, in welcher der Dichter eine mütterlich um ihn besorgte Freundin gewonnen hatte, darauf, daß der Flüchtling Vorsicht beobachte und sich vorderhand nicht öffentlich zeige. Die Unbehaglichkeit dieser Lage wurde nicht gemindert durch ein Antwortschreiben des Intendanten, welches binnen Kurzem eintraf. Herr von Seeger hatte sich in seinem Verhältniß zu Schiller stets als ein Mann von Bildung und humaner Denkart erwiesen und auch jetzt wieder als ein solcher gehandelt. Er hatte sich beeilt, das Bittgesuch des Dichters dem Herzog vorzulegen und dasselbe durch sein Fürwort zu unterstützen. Dem alten Soldaten mochte es Freude machen, seinem früheren Untergebenen melden zu können, daß er höherem Auftrag zufolge ihn wissen lasse, »S. herzogliche Durchlaucht wären bei Anwesenheit der hohen Verwandten jetzt sehr gnädig gestimmt und Schiller solle daher nur zurückkommen.« Aber der Flüchtling konnte sich an dieser vagen Zusicherung der herzoglichen Gnade um so weniger genügen lassen, als er fest entschlossen war, nicht bedingungslos zurückzukehren. In diesem Sinne schrieb er an den Intendanten, ebenso an seine Eltern und einige Freunde, welche letzteren er bat, von etwa beabsichtigten Verfolgungsmaßregeln ihn bei Zeiten in Kenntniß zu setzen.
Dies abgethan, bemühte er sich, vermittelst des Fiesco den Mannheimer Freunden zu zeigen, daß sie ihre Theilnahme an keinen Unwürdigen verschwendeten. Allein gerade hiebei begegnete ihm ein Mißgeschick, welches, obgleich im Grunde mehr komischer als ernster Natur, schmerzlich genug war. Der Dichter hatte schon bei seiner Ankunft gegen Meyer seines neuen Trauerspiels erwähnt und am dritten Tage versammelte der Freund die vorragendsten Mitglieder der Mannheimer Bühne in seiner Wohnung, damit sie den Autor sein Werk vorlesen hörten. Da waren Iffland, Beil, Beck und Andere und erwartungsvoll becomplimentirten sie den Dichter der Räuber schon zum Voraus um seiner neuen Dichtung willen. Die Gesellschaft setzte sich um einen großen runden Tisch und Schiller begann zu lesen. Der gute Andreas war seelenvergnügt über den bevorstehenden Triumph des Freundes; seine Augen hingen an den Mienen der Zuhörer, um die zweifellose Wirkung des Trauerspiels auf so berühmte Künstler ja recht genau zu beobachten. Aber wie ward ihm, als der erste Act zwar aufmerksam, jedoch ohne das geringste Beifallszeichen angehört wurde, als Beil sich entfernte und die Uebrigen ein flaues Gespräch über Tagesneuigkeiten begannen! Und vollends, als während des Vorlesens vom zweiten Act die Gesichter mehr und mehr sich verlängerten, nicht das kleinste Zeichen von Zustimmung erfolgte, die Zuhörer gelangweilt aufstanden und, wie um dem dritten Act zu entfliehen, fortgingen. Der junge Musiker wurde ordentlich zornig über diese empörende Gleichgültigkeit und alle vernommenen Sagen von dem Neid- und Kabalengeist des Schauspielervolks schienen ihm traurig bestätigt. Er war im Begriffe, in diesem Sinne sich gegen Meyer zu äußern, als ihn dieser in ein Nebenzimmer zog und bestürzt fragte: »Sagen Sie mir ganz aufrichtig, wissen Sie gewiß, daß es Schiller ist, welcher die Räuber geschrieben?« – Zuverlässig! Wie können Sie daran zweifeln? – »Wissen Sie gewiß, daß nicht ein Anderer die Räuber geschrieben oder Schillern wenigstens dabei geholfen hat?« – Ich bürge mit meinem Leben dafür, daß er die Räuber ganz allein geschrieben. Aber warum diese Frage? – »Weil der Fiesco das Allerschlechteste ist, was ich je gehört, und weil es unmöglich ist, daß der Verfasser der Räuber etwas so Elendes gemacht haben sollte.« – Wie? – »Ja, ich bleibe dabei, und wenn Schiller wirklich die Räuber und den Fiesco geschrieben, so hat er alle seine Kraft an dem ersten Stück erschöpft und kann nun nur noch erbärmliches, schwülstiges, unsinniges Zeug hervorbringen.« Der arme Andreas war durch dieses Urtheil eines anerkannt ausgezeichneten Schauspielers so niedergedonnert, daß ihm für den Augenblick die Sprache versagte. Der Abend verging in peinlicher Verstimmung. Schiller, dem der ungünstige Eindruck, welchen sein neues Stück hervorgebracht, natürlich nicht hatte entgehen können, war schweigsam und entfernte sich bald. Doch hatte Meyer zuvor den glücklichen Einfall, daß er den Dichter ersuchte, sein Manuscript da zu lassen, weil er gern wissen möchte, welchen Ausgang das Trauerspiel nähme. Zu Hause brach Schiller los, schalt auf den Unverstand der Schauspieler und erklärte dem Freunde, er selbst wolle auf die Bretter gehen, da doch seine Stücke »eigentlich Niemand so gut declamiren könne wie er.« Streicher wagte einige kleinlaute Einwürfe und verbrachte in der Sorge um den Freund eine sehr schlechte Nacht. In banger Erwartung begab er sich am folgenden Morgen möglichst früh zu Meyer, welcher, kaum seiner ansichtig geworden, ihm entgegenrief: »Sie haben recht! Sie haben recht! Fiesco ist ein Meisterstück und weit besser gearbeitet als die Räuber. Aber wissen Sie, was schuld ist, daß ich und alle Zuhörer es für das elendeste Machwerk hielten? Schiller's schwäbische Aussprache und die verwünschte Art, wie er Alles declamirt. Er sagt Alles in dem nämlichen hochtrabenden Tone her. Aber jetzt muß das Stück in den Theaterausschuß kommen, da wollen wir es uns vorlesen und Alles in Bewegung setzen, um es bald auf die Bühne zu bringen.« Hocherfreut eilte Streicher zu dem Dichter zurück, diesem die gute Nachricht zu bringen, aber er sagte Nichts von der »schwäbischen Aussprache« und »verwünschten Declamation«, um das ohnehin leidende Gemüth des Freundes nicht zu kränken.
Einige Tage später wanderte Schiller mit dem treuen Andreas über die Neckarbrücke nach Sandhofen hinaus. Es war nämlich vom Intendanten Seeger eine Antwort auf den zweiten Brief des Dichters eingelaufen, die aber gerade so unbestimmt lautete wie die erste. Dies schien verdächtig und der Gedanke, daß man in Stuttgart darauf sinne, die pfälzische Regierung um die Auslieferung des Flüchtlings anzugehen, gewann eine so bestimmte Gestalt, daß, da in Abwesenheit des Freiherrn von Dalberg ohnehin über den Fiesco Nichts entschieden werden konnte, die Mannheimer Freunde riethen, Schiller möchte sich für einige Wochen entfernen. Geschähe inzwischen von Stuttgart aus Nichts gegen ihn, so wäre das wohl ein Zeichen, daß man dort seine Entweichung vergessen hätte oder wenigstens auf sich beruhen lassen wollte. So machten sich denn die Beiden mit sehr leichtem Gepäck und noch leichteren Börsen nach Frankfurt auf den Weg, wanderten die schöne Bergstraße entlang und übernachteten nach einem zwölfstündigen Marsch in Darmstadt, wo sie mitten in der Nacht durch ein »fürchterliches Trommeln« – die Reveille, ein allmitternächtliches Vergnügen der Bewohner der landgräflichen Residenz – aus dem Schlafe aufgeschreckt wurden. Bei Tagesanbruch fühlte sich Schiller in Folge der ungewohnten weiten Fußreise von gestern etwas unpaß, glaubte jedoch, die sechs Wegstunden bis nach Frankfurt wohl noch zurücklegen zu können, und so begann die Wanderschaft wieder. Allein etliche Stunden herwärts der alten Reichsstadt verließen den Müden die Kräfte und Streicher bemerkte ängstlich, wie der Freund von Minute zu Minute blässer wurde und immer mühsamer sich fortschleppte. Die Straße trat in einen Wald ein und hier legte sich der ermattete Dichter seitwärts auf das Moos nieder, um vermittelst einiger Stunden Schlafes die verlorene Spannkraft wieder zu ersetzen. Der brave Andreas setzte sich auf einen Baumstumpf, bewachte unruhvoll den Schlummer des Freundes und beobachtete auf den düsteren abgehärmten Zügen des Schlafenden den Wechsel der Farbe, welcher verrieth, was unbewußt in seiner Seele vorging. Zwei Stunden währte diese Rast, dann wurde sie dadurch gestört, daß ein Offizier in blaßblauer Uniform den Fußsteig seitwärts durch das Holz heraufkam und den jungen Musiker mit der Frage antrat: »Wer sind die Herren?« Streicher, in der wahrscheinlich richtigen Meinung, es mit einem Werber zu thun zu haben, gab etwas barsch die kurze Antwort: »Reisende.« Darob erwachte der Dichter, richtete sich auf und maß den Fremden mit scharfen Blicken, worauf dieser, merkend, daß »hier für ihn Nichts zu angeln sei«, ohne weitere Ansprache sich entfernte Nach Streicher (99 fg.), welcher uns überhaupt hier zum Führer dient. Die Begegnung mit einem Werber war übrigens für junge schutzlose Wanderer keine unbedenkliche Sache. Ich erinnere nur an den unglücklichen Studenten, welcher 1755 bei Ulm auf der Landstraße durch einen preußischen Werber, Baron von Heyden, »weggeschnappt« wurde und bei dieser Gelegenheit an dem ihm in den Mund gestopften Schnupftuch erstickte, sowie an das berühmtere Beispiel Seume's, welcher erst von hessischen Werbern geraubt und nach Amerika geschleppt wurde, um, wie er sich ausdrückte, »den Engländern ihre dreizehn amerikanischen Provinzen verlieren zu helfen,« dann, kaum von dort zurückgekehrt, von preußischen Werbern gewaltsam entführt und eines mißlungenen Fluchtversuchs wegen in Emden zu zwölfmaligem Spießruthenlaufen, also zu einem sichern und schrecklichen Tod verurtheilt wurde, dem er nur mit knapper Noth entging. Es ist ebenso lehrreich als peinlich, die betreffenden Stellen in Seume's Autobiographie und in der Fortsetzung derselben durch Clodius (Seume's sämmtl. Werke, 5. A. Bd. 1, S. 57 fg., S. 97 fg.) nachzulesen, – lehrreich, weil selbst ein geschworener Pessimist wird zugeben müssen, daß so ein barbarischer Menschenraub und Menschenverkauf jetzt auf deutschem Boden denn doch unmöglich wäre.. Nachdem die Wanderer den Wald im Rücken hatten, zeigten sich ihnen bald die Thurmspitzen Frankfurts in der Ferne und mit Einbruch der Dämmerung erreichten sie die Stadt. Ihre Armuth verbot ihnen jedoch, in einem der schon damals als trefflich bekannten großen Gasthäuser der reichen Handelsstadt ein Unterkommen zu suchen, und so wählten sie eine bescheidene Herberge in der Vorstadt Sachsenhausen, der Mainbrücke gegenüber.
Am folgenden Tage, den 30. September, schrieb der Dichter an den Freiherrn von Dalberg und legte diesem mit dem ganzen Vertrauen eines Jünglings, welcher die Menschen für so edel und gut hält, wie er selber ist, seine Lage dar. Es quälte ihn nicht nur, daß seine Mittel nur noch für etwa acht Tage knapp ausreichten, sondern auch lagen ihm die Verpflichtungen, welche er in Stuttgart eingegangen, schwer auf dem Herzen. Er schuldete dort, namentlich vom Drucke der Räuber her, ungefähr 200 Gulden. »Ich darf Ihnen gestehen – schrieb er dem Freiherrn – daß mir das mehr Sorge macht, als wie ich mich selbst durch die Welt schleppen soll. Ich habe so lange keine Ruhe, bis ich mich von der Seite gereinigt habe.« Schließlich ging er Dalberg um einen Vorschuß auf den Fiesco an, im Betrag von 100 Gulden, und Streicher bezeugt uns, welche Selbstüberwindung diese Bitte dem Dichter kostete. Als der Brief fort war, wurde er etwas heiterer, besah sich an der Seite des Freundes mit Interesse das für ihn neue Treiben der großen Handelsstadt, erhielt, unter seinem angenommenen Namen Dr. Ritter in einer Buchhandlung dem Absatz des »berüchtigten« Schauspiels die Räuber nachfragend, eine sehr günstige Antwort und ließ sich durch verzeihliche Autoreneitelkeit verleiten, seinen wahren Namen dem Buchhändler anzugeben, der verwunderte Augen machte, daß ein so sanft und freundlich aussehender Jüngling so ein wildes Stück geschrieben haben sollte. In die Herberge zurückgekehrt, ging Schiller den Abend über sinnend und schweigend in dem kleinen Zimmer auf und ab. Der Freund störte ihn nicht, erfuhr aber vor Schlafengehen mit Vergnügen, daß der Geist des Dichters inmitten äußerer Bedrängnisse energisch genug geblieben, die in einer bitteren Stunde, im Arrestlocal zu Stuttgart (s. B. I, Kap. 7), gefaßte Idee zu einer dritten tragischen Dichtung weiter auszuspinnen. Ja, gerade während dieses kurzen Aufenthalts Schiller's in Frankfurt erhielt der Plan zur Luise Millerin oder, wie das Stück nachmals betitelt wurde, zu Kabale und Liebe bestimmtere Gestalt und Farbe.
Es war gut für den armen Flüchtling, daß er sich in die Welt der Phantasie flüchten konnte, denn die Wirklichkeit spielte ihm übel genug mit. Aus Mannheim lief ein Schreiben Meyer's ein, worin gemeldet wurde, daß Herr von Dalberg den erbetenen Vorschuß nicht bewillige. Der Fiesco sei in seiner jetzigen Gestalt für das Theater gar nicht brauchbar und erst müßte das Stück völlig umgearbeitet werden, bevor der Herr Intendant sich weiter darüber erklären könnte. Dalberg hatte zweifelsohne dramaturgische Gründe für seine Verwerfung der Tragödie, aber der reiche Mann wußte des Bestimmtesten, daß der Dichter buchstäblich ohne einen Pfennig Geld war, daß der Hülflose ihm bittend die Hände entgegengebreitet hatte, und dennoch – nun, es ist das Privilegium der Reichen und Glücklichen, hart und unedel sein zu dürfen. Hunderttausende, Millionen haben Schiller's »Pegasus im Joche« und die »Theilung der Erde« gelesen, ohne weiter darüber nachzudenken, in was für schmerzlichen Erfahrungen diese Gedichte wurzeln, und ohne gewahr zu werden, daß selbst in diesen Klagerufen der Seelenadel des Dichters keinen Augenblick sich verleugnet. In der That, Schiller gehörte zu jenen seltensten adlichen Menschen, welche über den Schmutz der Erde hinschreiten, ohne sich auch nur die Fußsohlen zu beflecken. Von Kindheit auf im Banne der Armuth und sein Lebenlang nie aus der Geldmisère herausgekommen, hat er nicht allein durch seine Werke, sondern auch durch seinen Wandel ein für alle Zeiten leuchtendes Vorbild aufgestellt, wie der wahrhaft Gotterfüllte die »Angst des Irdischen« abzuschütteln vermöge. Auch damals in Sachsenhausen verbot ihm sein reiner und hoher Sinn jedes Wort des Tadels gegen den kleinlich denkenden Mann, welcher sein Vertrauen so kalt abgelehnt hatte. »Er übte – sagt Streicher treffend – was nur wenige Dichter thun, seine Grundsätze redlich aus und befolgte den Vorsatz des Karl Moor: Die Qual erlahme an meinem Stolz! unter Umständen, bei welchen jeden Andern die Kraft verlassen hätte.«
Die Armuth half wieder der Armuth. Eine kleine Geldsendung, um welche Streicher seine Mutter gebeten, traf nach bangem Warten ein und ermöglichte es den Freunden, Frankfurt zu verlassen. Der treue Andreas, nur seiner Begeisterung für den Freund Gehör gebend, verzichtete einstweilen auf seine Reise nach Hamburg, um den Dichter nicht zu verlassen, bevor dessen Schicksal irgendeine günstigere Wendung genommen hätte. Die Reise ging mit dem Marktschiff den Fluß hinab nach Mainz und von da zu Fuße nach Worms, wohin sich Schiller einen Brief von Meyer ausgebeten hatte. Der Brief war da und bestellte den Dichter in das eine kleine Wegstunde von Mannheim entfernte Dorf Oggersheim und hier, in der Herberge, welche den nichts weniger als poetischen Namen »Zum Viehhof« führte, trafen dann die Wanderer mit Meyer und seiner Frau zusammen. Der Regisseur theilte dem Dichter mit, daß Dalberg zweifelsohne zur Annahme des umgearbeiteten Fiesco sich verstehen würde, und es wurde also beschlossen, daß Schiller in der Abgeschiedenheit von Oggersheim das Drama umarbeiten und, da von Frau Meyer mitgebrachte Stuttgarter Briefe noch immer die Gefahr eines Auslieferungsbegehrens betonten, unter dem Namen Schmidt hier verweilen sollte Herzog Karl scheint indessen nie ernstlich daran gedacht zu haben, den entflohenen Dichter vermittelst eines Auslieferungsbegehrens wieder in seine Gewalt zu bekommen. Wahrscheinlich hatte der Fürst in der ersten Zornwallung über Schiller's Flucht so ein Drohwort hingeworfen, welches der residenzliche Klatsch in Umlauf zu setzen sich beeilte. Das war aber auch Alles. Schiller's Vater schrieb unterm 8. Dezember 1782 an Schwan in Mannheim: »Ich habe hier noch nicht das Geringste bemerkt, daß Se. Herzogl. Durchlaucht sich entschließen sollten, meinen Sohn aufsuchen und verfolgen zu lassen. Auch ist dessen Posten längst wieder besetzt, ein Umstand, der merklich erkennen läßt, daß man meinen Sohn entbehren kann.« In eben demselben Briefe äußert Herr Johann Kaspar seine nicht sehr günstige Ansicht über die Flucht seines Sohnes. »Er hat sich selbst – schreibt er – durch sein unzeitliches Weggehen in seine gegenwärtige Lage versetzt und es wird ihm an Leib und Seele gut sein, wenn er sie empfindet und dadurch für die Zukunft klüger gemacht wird.« Der Brief schließt jedoch nicht ohne eine väterliche Regung, denn der Herr Hauptmann sagt zuletzt: »Ich befürchte nicht, daß er Mangel am Nothdürftigen leiden sollte, denn in solchem Falle würd' ich ihn nicht lassen können.«. Frau Meyer schickte am folgenden Tage die Koffer der Freunde und Streicher's kleines Clavier heraus und so richteten sie sich so gut es ging im Viehhof ein.
Freilich war dieser Aufenthalt trübselig genug, um so mehr, da eine rauhe Spätherbstswitterung die Freunde in die vier Wände einer unsauberen und zerrütteten Wirthschaft bannte. Sie hausten in einer kleinen, vor Zeiten weißgetünchten Stube, durch deren zerbrochene und kümmerlich mit Papier verklebte Fensterscheiben der kalte Novemberwind blies. Ein mit Klammern an die Wand befestigter Tisch, zwei Stühle, wovon der eine ohne Lehne, ein altväterisches Bettgestell in einer Ecke, das war das ganze Mobiliar. Das dürftige Feuer in dem ungeheuren Kachelofen vermochte den Raum nicht zu durchwärmen. Hiezu kam noch, daß bei knappster Sparsamkeit der Geldvorrath Streicher's für nur drei Wochen ausreichte. Aber wozu wäre man jung, wozu wäre man Künstler, wenn man sich über derartige Ungemächlichkeiten nicht hinwegsetzen könnte? Die Kunst hatte im vorigen Jahrhundert noch viel Zigeunerhaftes an sich, ich meine einen gewissen leichten und muthigen Sinn, der sich in einer Dachkammer den Sternen nur um so näher fühlte. Mochte sich der Künstler auf dem rauhen Boden der Wirklichkeit noch so schmerzende Blasen an die Füße laufen, er hörte deßhalb doch nicht auf, sein Haupt in die Region zu erheben, wo man »Himmelslüfte athmet.« Man hatte damals noch nicht die Entdeckung gemacht, »der Dichtung Flamm' sei allezeit ein Fluch« oder die Muse sei nur eine Dejanira, welche ihre Anbeter mit »Nessushemden« beschenke. Im Gegentheil, man war idealisch genug gestimmt, das Recht, »mit Zeus in seinem Himmel« leben zu dürfen, mit viel Hunger und Kummer zu erkaufen, und man hatte noch nicht gelernt, daß man nur auf seidenen Ottomanen bei Champagnergeperle und Havannaduft »schaffen« könne.
Aermliche, kalte Stube in der Herberge zu Oggersheim, du hast anderen Musendienst gesehen! Wann nach trüben Tagen der Abend kam und aus zerrissenem Gewölke der herbstliche Vollmond sein bleiches Licht durch die verklebten Fensterscheiben sandte, ging der Dichter oft stundenlang mit großen Schritten in dem kleinen Raum auf und ab. Gesenkten Hauptes hängt er der Gestaltung der dramatischen Bilder nach, die in seiner Brust wogen. Zur Seite sitzt der treue Andreas an seinem kleinen Clavier und schlägt erst leise die Tasten an, um sie dann mälig in volleren Akkorden auftönen zu lassen. Er weiß, wie sehr die Musik dem Freunde die Seele löst und des Dichters Gedanken entbindet. Schiller steht still, er lauscht den tröstenden, ermuthigenden Klängen, er richtet den Kopf auf, eine glückliche Idee ist gefunden und ein Ruf der Begeisterung, halbartikulirte Worte brechen von seinen Lippen. Er eilt zum Tische, das Talglicht wird angezündet und bei dem kümmerlichen Scheine desselben wirft er auf das Papier, was der Genius ihm geoffenbart hat. So wurde die Luise Millerin geschaffen.
Der Entwurf zu dieser neuen Tragödie ließ dem Dichter nicht Rast und Ruhe, bis er denselben wenigstens der Hauptsache nach ausgeführt hatte. Erst dann konnte er sich mit der Umarbeitung des Fiesco befassen, um aus diesem Stück ein »ganzes, großes Gemälde des wirkenden und gestürzten Ehrgeizes« zu machen. In den ersten Tagen des Novembers war diese Arbeit beendigt und eines Abends ging der Dichter nach der Stadt, um das fertige Manuscript durch Meyer an Dalberg übergeben zu lassen. Er erwartete mit Zuversicht eine günstige Entscheidung. Als die Antwort länger ausblieb, als er erwartet hatte, ging er Mitte Novembers mit Streicher abermals in der Abenddämmerung nach Mannheim hinein, wo er sich bei Tage nicht sehen lassen wollte, um bei Meyer nachzufragen. Da trafen aber die Freunde den Regisseur und dessen Frau in größter Bestürzung. Vor kaum einer Stunde war ein würtembergischer Offizier dagewesen und hatte sich angelegentlichst nach Schiller erkundigt. Also doch ein Auslieferungsbegehren? Während man diese Frage erörtert, wird heftig an der Hausthür geklingelt. Schnell verbirgt man den Dichter und seinen Freund in einem Seitenkabinet. Der Eintretende ist aber nur ein Bekannter des Hauses, der jedoch ebenfalls voll Besorgniß mittheilt, er habe den würtembergischen Offizier im Kaffeehaus gesprochen und derselbe habe bei ihm und Anderen geheimnißvoll dem Dichter nachgefragt. Andere Hausfreunde brachten dieselbe Nachricht. Nun zweifelt man nicht länger, daß es sich um Verhaftung und Auslieferung handle. Der Flüchtling konnte mit Sicherheit weder im Meyer'schen Hause bleiben noch nach Oggersheim zurückkehren. Was sollte man thun? In dieser ängstlichen Situation wird »von einem schönen Munde« ein Ausweg angegeben. Die anwesende Beschließerin des Palais des Prinzen von Baden, Madame Curioni, erbietet sich »mit der anmuthigsten Güte«, den Dichter und seinen Freund in dem genannten Hause nicht nur für heute, sondern so lange zu verbergen, als Verfolgung zu befürchten wäre. Dankbar wird das edelmüthige Anerbieten angenommen und der Flüchtling verbringt mit seinem Freunde eine sorgenvolle Nacht in prächtigen Palasträumen. Am Morgen geht Streicher auf Kundschaft aus und bringt dem Freunde die beruhigende Nachricht, daß der würtembergische Offizier bereits am vorhergehenden Abend wieder von Mannheim abgereist sei. Später stellte sich heraus, daß dieser Verursacher eines panischen Schreckens nur ein harmloser Reisender gewesen, ein Akademiegenosse Schiller's, welcher den Dichter hatte begrüßen wollen.
Aber zunächst machte sich bei allen Mannheimer Freunden des Flüchtlings doch das Gefühl geltend, daß in der Umgebung der Stadt keine Sicherheit für ihn sei. In der Wohnung des Regisseurs wurde ein Rath gehalten, dessen Ansicht dahin ging, der Dichter sollte, sobald die Annahme des Fiesco für die Bühne entschieden wäre, sofort die Gegend verlassen. Freilich entschloß sich Schiller nur ungern dazu, denn an Mannheim hatte sich die Hoffnung geknüpft, durch die Bekanntschaft mit dem dortigen Theater in der Kenntniß der Bühnentechnik gefördert zu werden. Allein er konnte ja für jetzt nicht daran denken, in der Stadt seinen Aufenthalt zu nehmen, und so mußte er sich wohl bequemen, seinen Wanderstab weiter zu setzen. Die Antwort auf das Wohin? war gegeben. Als der Dichter damals im Arrest auf der Stuttgarter Hauptwache den Gedanken, sein Heimatland zu verlassen, zuerst gefaßt, hatte er diesen Vorsatz seiner Freundin, der Frau von Wolzogen, anvertraut und sie war diesem Vertrauen mit dem großmüthigen Anerbieten entgegengekommen, ihm für den Nothfall ein Asyl zu gewähren. Dieses Asyl sollte ihr bei Meiningen in Thüringen gelegenes Heimwesen Bauerbach sein, wo der Dichter, mit allem Nöthigen versehen, so lange in Verborgenheit weilen konnte, als er von Seiten des Herzogs von Würtemberg Verfolgung zu befahren oder wenigstens zu befürchten hätte. Jetzt erinnerte Schiller die treffliche Frau brieflich an ihr Versprechen und sie zögerte nicht, ihm von Stuttgart aus die zu seiner Aufnahme in Bauerbach nöthige Vollmacht zugehen zu lassen. Wahrscheinlich in Erwartung derselben und jedenfalls nach gewonnener Einsicht, daß in Mannheim oder dessen Umgebung seines Bleibens nicht sein könne, schrieb von Oggersheim aus der Flüchtling an seine Schwester Christophine: »Dein Verlangen, mich in Mannheim etablirt zu sehen, kann nicht mehr erfüllt werden. So wenig es auch im Kreise meines Glückes läge, dort zu sein, so gerne wollt' ich die nähere Nachbarschaft mit den Meinigen vorziehen und dort Dienste zu erlangen suchen, wenn mich nicht eine tiefere Bekanntschaft mit meinen Mannheimischen Freunden für ihre Unterstützung zu stolz gemacht hätte.« Der weitere Inhalt des Briefes ist besonders deßhalb merkwürdig, weil Schiller darin eine Absicht äußert, die ihm später, auf der Höhe seines Ruhmes, noch einmal verlockend genug nahetreten sollte, die Absicht, nach Berlin zu gehen und dort vermittelst Empfehlungen an Nicolai – an den nämlichen Nicolai, der später in den Genien so schlimm bedacht wurde – sich eine Stellung zu machen und zwar als Mediziner Der vom 6. November 1782 datirte Brief ist vollständig mitgetheilt in dem »Gedenkbuch an Fr. Schiller«, 1855, S. 248 fg. Von Nicolai wird darin gesagt, derselbe sei in Berlin »gleichsam der Souverain der Literatur.«. Ob diese Absicht ernstgemeint war oder ob sie nur hingeworfen wurde, um die Angehörigen des Dichters einigermaßen über seine Zukunft zu beruhigen, steht dahin.
Wenn er übrigens zu seinen »Mannheimischen Freunden« auch den Freiherrn von Dalberg zählte, so stand ihm erst noch bevor, dessen »tiefere Bekanntschaft« zu machen. Die Excellenz betrachtete offenbar den entwichenen Regimentsmedicus mit einer Art Schauder und hielt denselben in unnahbarer Entfernung von sich. Wie, was würde man am Stuttgarter Hofe, wo der Herr Baron noch soeben so prächtige Feste mitgemacht hatte, von ihm denken, wenn er einem flüchtigen Rebellen Vorschub leistete? Vor einem solchen Bedenken mußte doch wohl alle Kunstkennerschaft und Kunstgönnerschaft weit zurücktreten und so ließ denn gegen Ende Novembers zu der Herr Intendant durch den Regisseur Meyer dem Dichter melden, »das Trauerspiel Fiesco sei auch in der vorliegenden Umarbeitung für die Bühne nicht brauchbar, folglich könne dasselbe nicht angenommen und auch Nichts dafür vergütet werden.« Schiller empfing diesen kurzen, von keinerlei Motiven begleiteten Bescheid, gegen welchen, wie er später erfuhr, Iffland in der Sitzung des Theaterausschusses vergeblich eine Art von Verwahrung zu Protokoll gegeben hatte »Obwohl dieses Stück für das Theater noch Einiges zu wünschen übrig läßt, auch der Schluß desselben nicht die gehörige Wirkung zu versprechen scheint, so ist dennoch die Schönheit und Wahrheit der Dichtung von so ausgezeichneter Größe, daß die Intendanz hiemit ersucht wird, dem Verfasser als Beweis der Anerkennung seiner außerordentlichen Verdienste eine Gratification von 8 Louisd'or verabfolgen zu lassen.« Iffland. Die Intendanz nahm davon keine Notiz., mit der ihm geziemenden Würde, indem er sich darauf beschränkte, gegen Meyer zu äußern, er habe es sehr zu bedauern, daß er von Frankfurt nach Mannheim zurückgekehrt sei.
Der Dichter behelligte den Herrn Intendanten nicht weiter, sondern ging zu Schwan und bot diesem den Fiesco zum Druck an. Schwan erklärte sich zur Verlagnahme des Gedichtes bereit, sobald er es gelesen hatte, aber im Hinblick ans die damalige Schutzlosigkeit des deutschen Buchhandels, welcher der Piraterie des Nachdrucks völlig preisgegeben war, bedauerte er, den Druckbogen nur mit 1 Louisd'or honoriren zu können. Das war freilich nicht viel, denn das Volumen der Tragödie, welche Schiller dankbar seinem Lehrer Abel zueignete, berechnete sich nur auf 11 Druckbogen. Aber die Noth drängte zur Annahme des Gebotenen, denn da auch Streicher's Mittel völlig zu Ende waren, so hatte sich der Dichter schon genöthigt gesehen, seine Uhr zu verkaufen, und mußte die letzten vierzehn Tage in der Herberge zu Oggersheim auf Borg leben, bis das Honorar für den Fiesco flüssig wurde. Es reichte gerade aus, die »Kreidestriche auf der schwarzen Wirthstafel im Viehhof« auslöschen zu lassen und die unentbehrlichsten Bedürfnisse zur Reise nach Thüringen anzuschaffen. Dennoch wollte der Dichter einige seiner wenigen Gulden daran rücken, vor Antritt seiner Weiterwanderung die geliebte Mutter und die theure Schwester noch einmal zu sehen. Vermittelst eines Briefes vom 19. November bat er die Seinigen um eine Zusammenkunft im Posthause des Gränzstädtchens Bretten und wollte ihnen sogar die Reisekosten aus seinem kärglichen Geldvorrath ersetzen. Er scheint auch wirklich auf einem Miethgaule sich nach dem genannten Orte begeben zu haben, aber es ist zweifelhaft, ob er daselbst die Seinigen traf, da hierüber keine bestimmte Aeußerung vorliegt und überdies Frau Elisabeth damals gerade krank war Den erwähnten Brief vom 19. November s. in Boas' Nachträgen, II, 448. Streicher weiß oder erwähnt wenigstens Nichts von diesem Ausflug nach Bretten. Dagegen erzählt er S. 177, daß Schiller während seines späteren Aufenthalts in Mannheim nach Bretten geritten und dort mit seiner Mutter und Schwester zusammengetroffen sei. Hinwieder bestreiten Hoffmeister und Viehoff (S. 167), auf Familienbriefe gestützt, die Möglichkeit dieser Angabe Streicher's. Ich habe mich leider außer Standes gesehen, diesen Punkt aufzuhellen..
Die letzte Woche seines Aufenthalts in Oggersheim mußte Schiller allein daselbst verbringen, denn der brave Andreas hatte sich nach aufgezehrten Reisemitteln zur Uebersiedlung in die Stadt genöthigt gesehen, um daselbst seine Kenntnisse als Musiklehrer zu verwerthen. Aber am letzten November, auf welchen die Abreise des Dichters festgesetzt war, kam er mit Meyer, Iffland und noch einigen Bekannten Schiller's nach dem Viehhof heraus, um dem Freunde, dessen ganze Habe in einem Mantelsacke Platz gefunden, bis nach Worms das Geleite zu geben, von wo Schiller mit dem Postwagen über Frankfurt nach Meiningen gehen wollte. In Worms nahmen die Mannheimer Schauspieler nach einem munteren Abendessen unbefangen und redselig von dem Dichter Abschied. Aber dieser und Streicher ihrerseits waren tief bewegt. Was hätten sich die Beiden, als sie mitsammen auf dem Posthofe standen, nicht noch Alles sagen mögen! Und doch »kam kein Wort über ihre Lippen, keine Umarmung wurde gewechselt; aber ein starker, langdauernder Händedruck war bedeutender als Alles, was sie hätten aussprechen können.« Nach fünfzig Jahren noch erfüllte es den treuen Andreas mit tiefer Wehmuth, wenn er an den Augenblick zurückdachte, wo er ein »wahrhaft königliches Herz, Deutschlands edelsten Dichter, allein und im Unglück hatte verlassen müssen.« Es lag tiefer Schnee und eine strenge Kälte herrschte. Dem Freunde preßte es das Herz zusammen, daß er sehen mußte, wie der Dichter ohne schützende Winterkleidung, nur mit einem leichten Rock angethan in den schlechtverwahrten Postwagen stieg, dessen damaliger Schneckengang eine unter diesen Umständen bitter unangenehme Reise von mehreren Tagen und Nächten in Aussicht stellte.
Dem wackeren Streicher ist es wohl zu verzeihen, daß ihm die Erinnerung an Schiller's Bedrängnisse einen herben Vorwurf gegen Deutschland auspreßte »Deutschland! Deutschland! Du darfst dich deiner großen Söhne nicht rühmen, denn du thatest Nichts für sie; du überließest sie dem Zufall und gabst ihr geistiges Eigenthum Jedem preis, der sie auf offener Straße darum berauben wollte. Nur der eigenen Kraft, dem eigenen Muthe der Einzelnen, nicht deinem Schutze, nicht deiner Fürsorge hast du es beizumessen, wenn andere Völker dich um deine großen Geister beneiden und sich an ihrem Licht entzünden.« Streicher, S. 190.. Aber wenn das eine Entschuldigung für unser Land wäre, so müßte gesagt werden, daß es von jeher deutsche Art gewesen ist, bei Männern von Genius und Charakter selbstverständlich ein doppeltes Maß von Geduld, Muth und Ausdauer vorauszusetzen und sie für ihre Leiden und Entbehrungen auf den Nachruhm zu verweisen. Fast gerade zur nämlichen Zeit, wo unser Dichter, kärglicher ausgestattet als ein Handwerksbursch, im Winterfrost eine Zufluchtsstätte aufsuchen mußte, hatte drunten in Wien der herrliche Mozart, drei Jahre älter als Schiller, von Seiten unglaublichen Unverstandes und tölpelhafter Rohheit die bittersten Kränkungen und Demüthigungen zu erdulden. Als eine Art »musikalischer Bedienter« im Gefolge des Erzbischofs Hieronymus von Salzburg nach der Donaustadt gekommen, wurde er, der doch schon ein berühmter Künstler war, in dem erzbischöflichen Haushalt durchaus als Lakai behandelt. »Ich speise – schrieb er damals – mit den zwei Leib- und Seel-Kammerdienern und habe doch die Ehre, über den Köchen zu sitzen.« Endlich bekam er es satt, sich in jeder freien Bewegung gehemmt, in jeder Fiber seiner Künstlerseele verletzt zu fühlen und mit gemeinen Scheltworten beleidigt zu werden. Er bat den Herrn Erzbischof um seine Entlassung, worauf ihn »der Herr Graf Arco, des Erzbischofs getreuer Helfershelfer, auf oder ohne hochfürstlichen Befehl mit einem Fußtritt zur Thüre hinauswarf« Das Nähere hierüber s. im 3. Bd. von O. Jahn's »Mozart«, S. 29.. Manen Karl August's von Weimar, so lange es ein deutsches Gedächtniß gibt, wird es nie vergessen, daß du der erste Fürst gewesen bist, der sich selber geehrt hat, indem er die Vordersten seiner Zeit und Nation ehrte.