Johannes Scherr
Rosi Zurflüh
Johannes Scherr

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Zweites Kapitel. Der Pfarrherr von Windgellen.

Schwarzelsi schaute noch immer von der Teufelskanzel talwärts. Das Haus in der Zwihl und das Rütli im Bödeli waren die Zielpunkte ihrer dunkeln Augen. Mit gekniffenen Lippen murmelte sie: »Jetzt wird die Rosi allgemach ihren Hochzeitsstaat antun, und der Ruodi ist wohl schon auf dem Wege nach der Zwihl. s' Chämmi raucht ja schon mächtig, und die Zwihlbäu'rin rüstet mit dem Frätzli, dem Vreneli, den Morgenimbiß. Derweil zählt der Zwihlbau'r den Sack voll harter Feufliber, den er seiner Tochter mitgibt. Das ist ja alles und alles schüli schön! O, ich wollt' nur, der rot' Güggel säß' auf dem Dach, daß all' z'sämme verbrännten, all' z'sämme, und wenn auch er drunter sein müßt' – mira

Nach diesem leidenschaftlichen Ausbruch versank sie wieder in ihr starres Hinbrüten und hatte nicht acht, daß ein Mann den Geißenpfad am Bergrand daherkam. Sie sah den Kommenden gar nicht, der langsam vorschritt. Sein schwarzer Anzug hob sich kaum von dem Schattendüster ab, in welches die Bergseite noch gehüllt war. Von Zeit zu Zeit verbargen die noch immer vom Tal heraufwallenden Nebelzüge die schlanke Figur halb und halb, und sie schien dann über dem Felsabsturz, an dessen Saum der Weg sich hinwand, in der Luft zu schweben. So kam der Mann näher. Er hatte im Wandeln die Hände auf den Rücken gelegt, und seine Augen hafteten am Boden. Wenn er aber, wie öfter geschah, stillstand, um nach dem gegenüber ragenden, jetzt in goldenem Lichte badenden Gipfel des Glanzhorns oder ins Tal hinab zu sehen, wurde ein stilles, sanftes braunes Augenpaar bemerklich, über welchem sich eine Stirne wölbte, deren intelligente Form selbst unter der Krempe des tief in die Brauen gedrückten Hutes sich deutlich verriet. Es war jedoch nicht allein die Hutkrempe, was einen schwermütigen Schatten auf die hübsch geschnittenen, feinen und blassen Züge des jungen Mannes warf: der trübe Anhauch derselben schien mehr von innen als von außen zu kommen. Die ganze Erscheinung trug unverkennbar den landpfarrherrlichen Stempel und zwar die protestantische Nuance desselben; denn bekanntlich weiß jedes Auge den protestantischen Landpfarrer auf hundert und zweihundert Schritte weit von seinem katholischen Amtsbruder in Christo zu unterscheiden.

Im übrigen war keine Spur von gleißnerischer Gottseligkeit im Antlitz oder in der Haltung des Mannes, wohl aber etwas Resigniertes, eine gewisse Müdigkeit. Und doch auch verriet dann und wann wieder eine heftige Bewegung oder ein momentanes Aufleuchten des Auges, nur eine ungewöhnlich starke Willenskraft habe hier ein heißes Herz so weit gebändigt, daß oberflächliche Betrachtung die rote Glut nicht unter dem bleichen Aschenflor vorschimmern sah. Die meisten seiner früheren Freunde würden freilich in dem stillen Pfarrer von Windgellen kaum noch den Mann erkannt haben, der nur zwei Jahre zuvor drunten im Lande in der Vorderreihe einer rührigen und mächtigen Partei gestanden, den Mann, der damals in mancher tosenden Volksversammlung »des Wortes Feuerbrände« in die Gemüter geschleudert und bei Freund und Feind die bestimmte Erwartung erregt hatte, daß er binnen kurzem einen vorragenden Platz unter den Lenkern des Gemeinwesens einnehmen würde. Aber die Hoffnungen der Parteigenossen und die Befürchtungen der Gegner waren gleichermaßen getäuscht worden. Der junge Agitator, dem man neben vielen glänzenden und löblichen Eigenschaften eine bedeutende Dosis von Ehrgeiz zugeschrieben, hatte plötzlich und ohne sich selbst gegen seine nächsten Bekannten zu einer Erklärung herbeizulassen, die Berufung der Gemeinde Windgellen zu dieser entlegenen Pfarrstelle angenommen, und die allgemeine Verwunderung darüber war um so größer gewesen, als man in Erfahrung gebracht, der neue Pfarrer habe sich angelegentlich um diese von keinem seiner geistlichen Mitbrüder beneidete Stelle beworben. Hierauf hatte man noch einige Tage, da und dort noch einige Wochen von sotanem »dummen Streich« gesprochen; dann hatte man sich damit beruhigt, den jungen Geistlichen achselzuckend einen Sonderling oder auch wohl geradezu einen Narren zu nennen, und endlich hatte man ihn in seinem »am Ende der Welt« gelegenen Bergwinkel vergessen, wie das ja so überall Brauch der Parteien ist, wenn eins ihrer Werkzeuge abgenutzt ist, oder wenn es sich ihnen versagt. Wie verschiedenartig immer die Gefühle und Gedanken des langsam daherkommenden Pfarrherrn und des jungen an einem der Steinblöcke der Teufelskanzel kauernden Mädchens sein mochten, beide waren sie so davon erfüllt, daß sie für anderes keinen Sinn hatten. Sie bemerkten einander noch nicht, als der Geistliche der Teufelskanzel schon bis auf wenige Schritte nahe gekommen. Aber waren denn ihre Gefühle und Gedanken wirklich verschiedenartige? Seltsam zu sagen, der junge Theologe dort, hochbegabt, tüchtig und vielseitig gebildet, voll idealer Anschauung und sittlichen Strebens, und das junge Vagantenkind da, zeit seines Lebens auf der haardünnen Grenzlinie zwischen Leichtfertigkeit und Laster, Gemeinheit und Verbrechen schwankend, voll vorzeitig gereifter Sinnlichkeit und doch wieder die Antriebe derselben mit kühlster Berechnung zu bändigen wissend, von frühauf in der Welt umhergetrieben, bei Gelegenheit einen verirrten und getrübten Strahl vom Lichte der Bildung auffangend, voll unklaren Dranges, voll rachelustigen Menschenhasses, dabei verschlagen, keck, skrupellos – ja, die Seelen dieser beiden Wesen waren am heutigen Morgen von denselben Vorstellungen erfüllt. Auch der Pfarrherr war, während er zur Teufelskanzel heraufstieg, mit seinen Gedanken in der Zwihl; auch vor seiner Phantasie stand die schlanke Gestalt der schönen Rosi, im Begriffe, den Hochzeitsstaat anzulegen; auch er sah im Geiste den Ruodi von seinem Haus im Bödeli nach der Zwihl wandeln, um von da die Braut zur Kirche zu führen. Aber der bange Seufzer, welcher bei der Anschauung dieser Bilder aus der Brust des Geistlichen aufstieg, ward auf seiner Lippe nicht, wie das vorhin auf den Lippen Elfis geschehen, zu einem Laut der Drohung und des Fluches. Stephan Milder war überhaupt kein Mann des Fluchens. Hatte er doch am Ende seiner Studentenzeit bei einem theologischen Kolloquium, als sein Kirchengeschichtslehrer beiläufig die Angabe eines leuchtenden Beispiels priesterlichen Hochsinns verlangte, die ganz und gar undogmatische Antwort gegeben, das leuchtendste Beispiel, dessen er sich erinnere, sei die Priesterin Theano im heidnischen Athen; denn dieselbe habe die Zumutung, den verbannten Alkibiades von Staats wegen zu verfluchen, mit den Worten abgewiesen, sie sei Priesterin zum Segnen, nicht zum Fluchen.

An der Bachrunse vor der Teufelskanzel angelangt, stand der Pfarrer still, wie unentschieden, ob er weiter gehen sollte. Das scharfe Ohr Elsis hatte aber durch das Geräusch des Wassers hindurch nahende Tritte vernommen, und als sie jetzt mit einem raschen Seitenblick die Gestalt des Geistlichen erfaßte, griff sie mit der Hand nach ihrem Bündel und erhob sich halb, als wollte sie sich wegstehlen. Aber sie gab diese Absicht sofort wieder auf und sank in ihre kauernde Stellung zurück, das Auge gleichgültig von dem Pfarrer ab- und wieder dem Tale zukehrend. Milder hatte nun auch seinerseits das Mädchen wahrgenommen, und von der Anwesenheit desselben an diesem Orte zu früher Stunde augenscheinlich überrascht, rief er über die Runse hinüber:

»Was machst denn du hier, Elsi?«

»Nichts.«

Sie sagte das, ohne nach dem Frager umzusehen, und das trockene Wort klang genau wie: »Was geht's dich an?«

Des Pfarrers Blick fiel auf das Bündel, welches der Kleinen zur Seite lag, und er sagte:

»Ich will nicht hoffen, daß du wieder einmal in der Welt herumvagiertest öder herumvagieren willst?«

»Herumvagieren? Ein jedes geht seinem Ehsek nach. Das ist keine Busche

»Nimm dich in acht, Elfi, du redest wieder das garstige Rotwelsch, und doch hast du mir bei deiner Konfirmation versprochen, diese schlimme Angewöhnung aufzugeben.«

»Versprechen ist leichter als halten.«

»Kind, ich fürchte, du bist wieder auf bösen Wegen. Weiß dein Vater, daß du so früh am Morgen von Hause gingest?«

»Der Strobelchäpi? Was geht mich der Baal an? Er ist gar nicht mein rechter Vater.«

»Und deine Mutter?«

»O, die ist eine gute Golle. Sie hat mich nie mehr geschlagen, seit ich ein Schicksel geworden, und weiß wohl, warum.«

»Warum?«

»Weil sie wußte, daß ich ihr das Gesicht grandig zerkratzen würde.«

Der Pfarrer war durch die freche Sprache des Mädchens wie angedonnert. So hatte er Elfi noch nie reden gehört. Es war eine vollständige Rücksichtslosigkeit, eine wilde Energie in dem Gebaren der Kleinen. Und außerdem griff diese Begegnung so störend in die Gedanken ein, welche den jungen Geistlichen auf seinem Morgengange tief und traurig bewegt hatten, daß er im Augenblicke gar nicht wußte, wie er dem Wildling gegenüber die Ausübung seiner Seelenhirtenpflicht anfassen sollte. Dem gutmütigen Manne kam dabei nicht entfernt zu Sinne, daß Elfi mit bewußtem Trotze sich gegen ihn stellte, und daß sie auch recht absichtlich rotwelsche Ausdrücke gebrauchte, um ihn zu ärgern.

Während er sich besann, drehte Elfi den Kopf halb gegen ihn und musterte ihn mit ihren brennend schwarzen Augen vom Scheitel bis zur Sohle. Dann ließ sie ihren Blick keck auf seinem Antlitz ruhen und sagte:

– »Herr Pfarrer, was tut denn Ihr so früh hier oben? Sie werden jetzt drunten in der Dufe bald das erste Zeichen zur Chaßne läuten. Habt Ihr gäng Eure Predigt noch nicht fertig? Was werdet Ihr der herzigen Kalle, der Rosi, die so große Augen hat wie die größte Kuh, alles sagen? Von Jakob und Lea und Rahel, wie's in der Kohdel-Flittermännche steht? Aber der Jakob, wenn er auch nicht Jakob heißt, führt ja die Rahel heim, und der andere geht leer aus. 's wird gäng beim Koozen in der Zwihl heut' hoch hergehen. Der Gotsche und seine Goje werden ihre Mittel sehen lassen, und in der Finkelei wird's riechen wie in unseres Herrgöttlis Paradies. Aber lugt nur auf Euren Lupper, Herr Gallach, Ihr habt gäng keine vorige Zeit mehr. Horch, da läutet's zum ersten. Und wenn Ihr die Hochzeitsleut' zusammengebt, so lugt der Braut nicht so tief in ihre großen Linzer, Ihr könntet sonst drin versaufen und der Ruodi könnte daro mefayisch werden. Und wenn Ihr beim Hochzeitmahl sitzet, so trinkt gäng brav Jaim, damit Ihr rote Backen überkommt, sonst könnten die Leut' was merken und 's Vreneli grillisch werden, 's Vreneli ist ja gäng auch keine treife Hische und hat was recht's hinter'm Klemmerle und einen Sack voll Massumen gibt ihr der Oltrisch-Kaffer auch mit. Eia, vielleicht gibt's bald wieder 'ne Graunerei in der Zwihl!«

Das alles sprudelte Elfi nur so heraus, und es schlug dem Pfarrer in das Gesicht wie ein plötzlich abgefeuerter Schuß. Die Farbe wechselte rasch auf seinen Wangen, und seine, Lippen zuckten. Es mußten in den Worten des überkecken jungen Dinges Anspielungen liegen, die sein innerstes Leben trafen.

Schwarzelsi werdete sich an der Verlegenheit des Geistlichen, und während er nach Worten rang, funkelten ihre Augen vor Schadenfreude und spielte ein höhnisches Lächeln um ihren trotzig aufgeworfenen roten Mund.

»Die Rosi,« sagte sie wieder, »hätt' freilich 'ne staatsmäßige Gallächin fürgestellt, ja, ja; aber sie hat gäng nicht g'wollt. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, und der Ruodi ist zuerst gekommen.«

Und dazu kicherte die Kleine boshaft wie ein Teufelchen.

Das Blut schoß dem Pfarrer ins Gesicht, aber er bezwang seine leidenschaftliche Wallung und sagte nur mit nachdrücklichem Ernst:

»Was faselst du, törichtes Ding?«

Sie wollte ihm keck ins Wort fallen, aber seine schlanke Gestalt aufrichtend und die Kleine fest anblickend schnitt er ihre Entgegnung mit den Worten ab:

»Du wirst mir sagen, was dieses morgenfrühe Herumstreifen bedeuten soll und wohin du willst.«

Für einen Augenblick, aber auch nur für einen Augenblick eingeschüchtert, versetzte sie:

»Ich will fort.«

»Wohin?«

»In die weite Welt.«

»In welcher Absicht?«

»Mein Glück zu suchen.«

»Dein Glück? Dein Glück?«

Und das Mädchen und sein seelsorgerliches Amt für einen Moment vergessend, fügte er murmelnd hinzu: »Wo ist das Glück, und wer findet es?« Elfi hatte aber diese Worte doch gehört.

»Wer sucht, der findet,« sagte sie, »und wer anklopft, dem wird aufgetan. Ich will suchen und anklopfen.«

»Nein, du wirst jetzt zunächst mit mir ins Dorf zurückkehren, und nachmittags werd' ich in die Höllenschwärz gehen, um deinen Eltern ins Gewissen zu reden, daß sie ein achtsameres Aug' auf dich haben sollen.«

»Ihr seid gar zu gütig, Herr Pfarrer. Aber ich bin kein Gambes mehr. Ich bin b'hörtDufe Kirche. Chaßne Hochzeit. »Gäng« ist nicht rotwelsch, sondern ein Füll- und Flickwort von unbestimmtem Sinn, welches in der Berner Mundart unzählig oft wiederkehrt. Ebenfalls mundartlich sind »vorig« statt vorrätig und »b'hören«, einsegnen, konfirmieren. Kalle heißt im Rotwelsch Braut, Kohdel-Flittermännche die Bibel, Koozen ein reicher Mann, Gotsche Bauer, Goje Frau, Finkelei Küche, Lupper Taschenuhr, Gallach Pfarrer, Gallächin Pfarrerin, Linzer Augen, mefayisch verdrießlich oder mißtrauisch, Jaim Wein, grillisch eifersüchtig, treife unschön oder unrein, Hische Weibsbild, Klemmerle Brusttuch, Massumen Geld, Oltrisch-Kaffer Vater, Graunerei Hochzeit, Gambes Kind. und kann gehen, wohin ich will.«

Damit stand sie auf, faßte mit der linken Hand ihr Bündel, stützte sich mit der rechten an den Felsblock, der neben ihr aufragte, schlug ihr rechtes Bein um das linke und balanzierte mit keineswegs kindlicher Koketterie ihr hübsches Figürchen auf der linken Fußspitze. So sah sie verführerisch genug aus, mehr aber noch komisch; denn sie wollte sich offenbar das Air einer jungen Dame geben, die mit ihrem Anbeter kokettiert. Deshalb vermied sie jetzt auch die rotwelschen Redensarten und befliß sich ein Hochdeutsch zu sprechen, wie sie es nicht so fast in der Schule von Windgellen als vielmehr zuzeiten auf dem »Juhe« des Theaters in Bern kennen gelernt hatte.

Milder nahm von alledem keine Notiz, Er sah in dem Mädchen nur ein unartiges Kind, welches vor der Zeit der Rute entlaufen wollte. Aber das Kind hatte ihm Teilnahme abgewonnen, seit er es kannte, und er war zu der Annahme berechtigt gewesen, Elfi auf einen besseren Weg gebracht zu haben. In der »Unterweisung«, das ist, im Konfirmationsunterricht, hatte sie es in schneller Fassungskraft und Fleiß allen ihren Mitschülern weit zuvorgetan und den Pfarrherrn durch ihre scharfsinnigen Fragen in Erstaunen, manchmal auch wohl in Verlegenheit gesetzt. Ein unaustilgbarer Zug von Bosheit war freilich auch da mit untergelaufen und hatte Elfi keine Gelegenheit versäumt, in ihrer Art für die bauernstolze Verachtung, welche sie von seiten ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen zu befahren gehabt, Rache zu nehmen. So hatte eines Tages der Pfarrer, nachdem er seinen Konfirmanden eindringlich auseinandergesetzt, innerhalb welcher sittlichen Schranken der Mensch berechtigt und sogar verpflichtet sei, auch für sein zeitliches Heil zu sorgen, den Jakob Dötterli gefragt: »Nun, Jakobli, sag mir mal, was muß man tun, um hienieden glücklich und zufrieden zu leben?« Die Antwort abwartend, ging Milder nach seiner Gewohnheit in der Schulstube auf und ab, und sowie er den Rücken gewandt, beugte sich Schwarzelfi blitzschnell zum Ohr des vor ihr sitzenden Jakob, ihm einzublasen, und sofort platzte der hoffnungsvolle Junge mit der Erwiderung heraus: »Ma nmeß luege, daß ma e ryche Buretochter zum Wyb erwitscht.«»Man muß sehen (das ist sorgen), daß man eine reiche Bauerntochter zur Frau bekommt,« Natürlich lachte Elfi über ihren gelungenen Streich hellauf und die andern ihr nach, und der gute Pfarrer hatte, seit er im Amte war, noch nie größere Mühe gehabt, seine seelenhirtliche Würde zu bewahren, als bei Anhörung dieser Probe ländlich sittlicher Moral.

Der Pfarrer überschritt den Bach, und Elsi ließ ihn ruhig herankommen. Nur warf sie rasch einen Blick rückwärts über ihre linke Schulter, als wollte sie sich auf alle Fälle der Möglichkeit eines ungehinderten Rückzugs vergewissern.

»Nein, törichter Wildfang,« sagte Milder, »du bist nicht in den Bund erwachsener Christen aufgenommen worden zu dem Zwecke, schlimmen Trieben frei nachleben zu können. In die weite Welt willst du? Weißt du denn nicht, daß die Heimat ein Segen ist, den man in der Fremde vergebens sucht?«

»Davon weiß ich freilich nichts, weil ich nie von einer Heimat wußte,« erwiderte Elsi kalt, aber in so respektvollem Tone, daß sich der Pfarrer dadurch täuschen ließ. Deshalb sagte er mit zutraulicher Güte:

»Aber du kannst lernen, was Heimat zu bedeuten hat, indem du dir eine gründest und zwar hier in unserem Tale. Deine Aufführung ist die letzte Zeit her tadellos gewesen, und du mußt wohl bemerkt haben, daß demzufolge die Leute freundlicher gegen dich geworden sind.«

»Nein, davon hab'ich nicht viel bemerkt. Was hilft mir die gute Aufführung? Ich bleibe doch 's Schwarzelsi aus der Höllenschwärz, die den Strobelchäpi, den Schellenwerker, zum Vater hat, wenn er's schon nicht ist. Ja, wenn ich Batzen hätte! Nur wer Geld hat, gilt in der Welt.«

»Bei den Dummen und Schlechten, ja. Der rechtschaffene Arme, welcher mit redlichem Fleiße sein Brot erwirbt, darf auf die Achtung aller verständigen Leute Anspruch machen, und sie entgeht ihm auch nicht. Arbeite, Kind, arbeite! Das ist der feste Grund, auf welchen du deine Zukunft, deine Zufriedenheit gründen mußt. Leben heißt tätig sein. Du hast eine entschiedene Gabe fürs Zeichnen und Bildschnitzen. Der Ruodi Zurflüh hat es mir wiederholt gesagt.«

»Der Ruodi hat Euch das gesagt?«

»Ja.«

»Und weiter nichts?«

»Doch. Er meinte, man müßte dafür sorgen, daß du nach Brienz in die Holzschnitzerschule kämest. Da konntest du, wenn du nur wolltest, es in der Holzschneidekunst zu was Rechtem bringen.«

Elfis Miene war sanft, fast weich geworden. Sie schwieg nachdenklich, es arbeitete in ihrer Brust, und sie senkte die Augen.

»Der Ruodi hat Gutes von mir gesagt, der Ruodi!« flüsterte sie selbstvergessen.

Milder sah, daß er Terrain gewonnen, und wollte den Vorteil verfolgen, indem er fortfuhr:

»Glaub mir nur, Kind, es gibt Leute, die es gut mit dir meinen. Da ist die Rosi –«

»Die Rosi?« fiel das Mädchen ein, heftig aufzuckend.

Der Pfarrer beachtete in seinem wohlwollenden Eifer nicht, daß schon wieder ein Wechsel über die beweglichen Züge Elfis gekommen war, daß ihr Mund sich trotzig auswarf und ihre Stirne zornrot brannte.

»Ja, die Rosi,« sagte er. »Sie war dabei, als der Ruodi mir zuletzt von dir sprach, und sie meinte, ihr Vater, der ja Gemeindevorstand ist, sollte dafür sorgen, daß in der angegebenen Richtung die Gemeinde etwas für dich tue. Und wenn das nicht ausreichte, wollte sie, wie sie sagte, gern ihren Spartopf hergeben –«

»Sie mag ihn behalten,« fiel Elfi hastig ein. »Ich will nichts von ihr, keinen Sahntihm, gar nichts!«

»Was soll denn das wieder bedeuten? Was hast du denn?«

»Nichts hab' ich, und das ist gäng eben das Kreuz und der Jammer.«

»Still mit deinen koboldischen Einfällen! Und jetzt kommst du mit mir heim. Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren.«

Der Pfarrer hatte mit Fug das Wort koboldisch gebraucht. Jede Spur von Weichheit war aus Haltung und Rede des Mädchens verschwunden. Die tiefschwarzen Augen blinzelten wie die eines schelmischen Kobolds, und den kleinen Mund kräuselte wieder das alte Hohnlächeln.

Leicht wie ein Vogel war sie ein paar Schritte weit von dem Pastor weggehuscht, hinter einen Steinblock im Innern der Teufelskanzel, welcher ihr bis an die Brust reichte. Dort stand sie still, und ihr allerliebstes rundes Köpfchen guckte über den bemoosten Granitwürfel herüber.

»Lieber Herr Pfarrer,« sagte sie, »liegt Euch denn wirklich etwas daran, daß ich in Windgellen bleibe?«

»Allerdings. Meine Pflicht als Seelsorger und als Vorstand der Armenpflege –«

»Ach was! Eure Pflicht geht mich nichts an. Ich meine, seid Ihr dem armen Schwarzelfi e chli gut?«

»Gewiß bin ich dir gut, wenn du nur –«

»Nun dann, wißt Ihr was? Heiratet mich!«

Sie sagte das mit einem so possierlich-schelmisch-naiven Ausdruck, daß die beste Schauspielerin sie darum beneidet haben würde. Ihre Augen schossen dabei unter den halbgeschlossenen Lidern hervor schmachtend-zärtliche Blicke auf den guten Pfarrer, und die Spitze ihres Züngleins spielte schlangenhaft zwischen den wie – zum Kuß gerundeten Lippen.

Der arme Pfarrer wußte nicht recht, ob er lachen oder fluchen sollte.

»Nun, was meint Ihr?« sagte sie wieder. »Ich sag' Euch, ich werde die Frau Pfarrerin spielen, daß es 'ne Art hat und Ihr 'ne rechte Freud' dran haben sollt.«

Dem guten Milder war jetzt der Geduldfaden gerissen.

»Unverschämter Baggäugel!« brach er los.

»Ah so, Ihr wollt mich nicht haben? Ich merke schon, Ihr seid noch immer in die Rosi verschossen.«

Der Pfarrer machte eine rasche Wendung nach dem Felsblock zu, und es steht zu vermuten, daß der sanftmütige Mann große Lust hatte, den Heiratsantrag des Vagantenkindes mit dem theologisch-pädagogischen.Argument einer Ohrfeige zu erwidern, wozu er in Wahrheit vollwichtige Ursache hatte. Allein Schwarzelsi schlüpfte hinter dem Felsblock weg, bevor er dessen Rückseite erreicht hatte, flog durch das Steingetrümmer aufwärts und erschien in der nächsten Minute hoch über Milders Haupt auf einem vorspringenden Zacken.

»Lieber Herr Pfarrer,« rief sie herunter, »b'hüt' Euch Gott und nichts für ungut! Wenn ich das Glück gefunden, komm' ich wieder und will Euch auch ein Stückli davon geben. Und höret, ich weiß noch alle die Bibelsprüch', die Ihr mich gelehrt, und im zweiten Buch Mose, zwanzigstes Kapitel, Vers da und da, steht geschrieben: Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weib, noch seines Knechtes, noch seiner Magd, noch seines Ochsen, noch seines Esels.«

Ein schmetterndes Gelächter aufschlagend verschwand sie.

Milder stand bestürzt.

»Es hilft nichts, dem Wildfang nachzugehen,« sagte er dann. »Ich könnte ebenso leicht eine Gemse einfangen. – Aber was war das? Mein Gott, das Geheimnis meiner Seele, das ängstlich verwahrte Geheimnis im Munde dieses halbwüchsigen Kindes!«

Glockenklang, welcher abermals aus dem Tale heraufkam, weckte ihn aus seinem schmerzlichen Hinbrüten. Er fuhr zusammen und raffte sich mühsam auf. Er war sehr bleich geworden und nahm den Hut ab, um sich die in kaltem Schweiß gebadete Stirne zu trocknen.

»Ich will die Last tragen, die mir auferlegt ist, solange meine Kraft aushält,« murmelte er. »Wenn nur sie es nicht merkt, daß ich sie trage.«

Damit sprang er über den Bach und ging eilenden Schrittes den Pfad zurück, den er gekommen.


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