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Das Aergste weiß die Welt von mir, doch ich
Kann sagen: Ich bin besser als mein Ruf.
Schiller, Maria Stuart, III, 4.
Der Name Gregorovius ist kein gäng und gäber, kein »gefragter« an der literarischen Börse. Geschrieben auf Veranlassung des Buches »Lukrezia Borgia«. Nach Urkunden und Korrespondenzen ihrer eigenen Zeit. Von Ferdinand Gregorovius. 2 Bde. Stuttgart, J. G. Cotta 1874. Die kritischen Makler, welche die Marktschreiertrompete der Jobberei blasen und das Tamtam der Kameradschaft schlagen, um das Geschäft in bedrucktem Papier, weiland Literatur genannt, »moussiren« zu machen, haben weder Zeit noch Lust, mit einem Autor sich zu befassen, welcher wirklich ein solcher und demnach keiner »von unsere Leut'«, das heißt, kein Macher in besagtem Papiergeschäft ist und von welchem folglich auch keine Maklergebühren zu erwarten sind. In Wahrheit: er ist nicht börsenfähig, das heißt, er wird von solchen Männern und Frauen gelesen und geschätzt, welche sich die Freiheit nehmen, nicht gerade nur das für gut und schön zu halten, was an der literarischen Schwindel- und Reklamebörse zu den höchsten Kursen ausgeschrieen wird. Gregorovius war und ist kein Mann der Mode. Ich vermuthe sogar, er gehöre mit zu uns altfränkischen Menschen, die wir des bescheidenen Dafürhaltens sind, nicht jeder beliebige galoppirende Humbug, mag er auch noch so dicken Staub aufwirbeln oder noch so vielen Koth verspritzen, sei ein wissenschaftlicher, politischer oder socialer Vorschritt. Natürlich wissen wir sehr wohl, daß dadurch der Galopp der Chimären (der alte Abraham a Sankta Clara würde sagen: Schindmähren) keineswegs aufgehalten wird; aber immerhin werden anständige Leute noch so frei sein dürfen, nicht mitaufsitzen und mitreiten zu wollen. Es gibt ja der Reiter und Reiterinnen ohnehin genug.
Gregorovius ist eine der nicht gerade sehr zahlreichen Charakterfiguren unserer Literatur-Gegenwart. Schon um seiner Selbstständigkeit willen, wie sie eben auf sich gestellte Geister kennzeichnet, welche ihre eigenen Wege wandeln, während der schreibende Troß auf den durch die Tagesmoden angelegten Straßen selbstvergnüglich einhertrabt, einander beglückwünschend, daß sie lauter so »zeitgemäße« Skribenten. Freilich nur abseits von diesen Straßen, in still abgelegenen Gründen, wo man noch »Mensch ist und es sein darf«, nicht bloß eine Ziffer in dem grauenhaft komplicirten Rechenexempel unserer Tage, da gedeihen Werke, wie sie uns Gregorovius gegeben hat: Bücher, wie das über »Korsika« und die »Wanderjahre in Italien«, so voll von Geist, Wissen, Schönheit, oder eine Dichtung wie der »Euphorion«, welche zweifellos zu dem Gehaltvollsten und Anmuthigsten gehört, was während der letzten sechzig Jahre gedichtet worden.
Die Verbindung des Historikers mit dem Poeten in unserem Autor hat auch seinem großen Geschichtswerke »Die Stadt Rom im Mittelalter« das höchst erfreuliche Gepräge eines historischen Kunstwerkes verliehen. Loebell, ein sicherlich urtheilsfähiger Fachmann, hat es ja den großen Historikern des Alterthums nachgerühmt, daß sie »ihre Werke von poetischen Säften schwellen ließen, ohne daß diese Werke aufhörten, Geschichte zu sein«, und dieses Lob gebührt auch der »Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter«. Auf urkundlicher Basis erhebt sie sich als ein harmonisch gegliederter Kathedralbau mit all der bizarr-malerischen Ornamentik des gothischen Stils, aber als ein in die Tageshelle moderner Anschauung und Kritik gestellter Kathedralbau. Gregorovius lässt dem mittelalterlichen Papstthum, welches von einem so großen Gedanken, wie der Menschengeist nur sehr wenige gefunden hat, getragen wurde, volle Gerechtigkeit widerfahren. Wissenschaftlich und künstlerisch so ganz unbefangen wie hier ist nie und nirgends die Geschichte der Päpste im Mittelalter geschrieben. Aber niemals verleugnet der Verfasser den Deutschen, niemals lässt er sein scharfes Gefühl für Wahrheit oder Lüge, für Recht oder Unrecht zurücktreten und verstummen vor den elenden Rücksichten der »diplomatischen« Historik, welche darauf ausgeht, die ganze Weltgeschichte zu einer Widerspiegelung der eigenen Selbstsucht und Knechtschaffenheit zu verhofrathen. Weil sodann Gregorovius vermöge seines Dichterauges die historischen Gestalten leibhaftig zu sehen vermochte, darum wusste er dieselben so anschaulich vor unsere Augen hinzustellen, und weil er sich nicht davor scheute, die Geschicke seiner Gestalten mitzuleiden, weil er sich nicht schämte, mitzulieben und mitzuhassen, darum athmen die Blätter seines Buches eine so wohlthuende Seelenwärme.
Im siebenten Bande desselben hat er die Geschichte jenes Rodrigo Borgia, jenes sechsten Alexander dargestellt, in dessen Person, Denken und Thun die Idee des Papstthums wohl die verworfenste Form ihrer Verwirklichung fand und die sogenannte Statthalterschaft Christi zur ruchlosesten Karikatur geworden ist. Nur etwa zu Anfang des zehnten Jahrhunderts, zur Zeit der »Pornokratie«, in den Tagen der »Päpstemacherinnen« Theodora und Marozia, war der Vatikan eine ebensolche Pesthöhle des Lasters, Frevels und Skandals gewesen, wie er während des Pontifikats Alexanders VI. es war, zu welchem Satze ich sofort anmerke, daß diese Pesthöhle eine solche bleibt und genannt werden muß, auch wenn man die Gräuel, deren ihre Zeitgenossen Pontan und Sannazar, dann Guicciardini und andere den sechsten Alexander und dessen Kinder bezichtigt haben, als historisch unerwiesen ganz beiseite lässt.
Nun ist Gregorovius noch einmal zu jener Zeit zurückgekehrt, die allerdings, namentlich soweit sie den päpstlichen Hof angeht, etwas dämonisch Anziehendes hat. Leicht begreiflich, daß die Gestalten der Borgia ihn festhielten oder wiederum zurückriefen, insbesondere die Gestalt der schönen, goldfarbelockigen, arg verrufenen Papsttochter Lukrezia, welche dem Pontan und Sannazar zufolge die Buhlin ihres Vaters und ihrer Brüder war, aber dem Pontan und Sannazar, dem Macchiavelli und Guicciardini, item auch dem Hugo, dem Donizetti und Lenau zum Trotz doch vielleicht besser gewesen sein könnte als ihr Ruf. Untersuchen wir einmal die häklige Sache mit deutscher Gründlichkeit und historischer Gewissenhaftigkeit, denkt unser Autor und geht rüstig an die Arbeit, die fürwahr keine kleine war, dermalen aber eine wohlgethane ist. Denn infolge dieser Arbeit haben wir jetzt die Lukrezia Borgia nicht mehr als hugo'sches Ungeheuer und auch nicht als lenau'sche Kurtisane, sondern als historische Figur.
Eine sogenannte »Rettung« also? Ja und nein. Ja, denn mit Beiseitestellung der nicht urkundlich zu erweisenden Bezichtigungen hat uns der Verfasser gezeigt, daß und warum die Tochter des Papstes so werden konnte, musste, wie sie war, nicht besser, aber auch nicht eben schlechter als viele ihrer Zeit- und Standesgenossen. Nein, Gregorovius hat sich wohl gehütet, die Sünderin – wir sind ja bekanntlich Sünder und Sünderinnen allzumalen – in eine Heilige umschönfärben zu wollen. Achtung und Sympathie wird auch die historische Gestalt dieser Frau, wie sie der Verfasser vor uns hingestellt hat, nicht erwecken; wohl aber setzt uns ihr Biograph in den Stand, diesen seltsamen Lebenslauf zu verstehen. Demzufolge werden wir dann auch dem Wunsche zugeneigt, glauben zu können, die gräulichen Kothwürfe, womit die Erscheinung Lukrezia's durch ihre Zeitgenossen bemakelt wurde, oder wenigstens die gräulichsten dieser Bemakelungen seien ungerechtfertigte, seien verleumderische gewesen. Freilich, den bezüglichen Argwohn ganz zu beseitigen hat Gregorovius nicht vermocht. Da und dort ist auch zwischen seinen Zeilen zu lesen, er habe gar wohl gefühlt, daß in gewissen Fällen der Mangel an schriftlichen Schuldbeweisen noch lange nicht die Schuldlosigkeit der Angeklagten beweise. Wo denn sind jemals über Beziehungen, wie sie Lukrezia Borgia zu ihrem Vater, dem Papste, und zu ihren beiden Brüdern Giovanni und Cesare gehabt haben soll, von seiten der Betheiligten Protokolle angelegt oder Urkunden aufgesetzt worden?
Skandalsüchtige mögen das Buch ungelesen lassen: sie würden ihre Rechnung dabei nicht finden und sich nur enttäuscht fühlen. Es ist ein ernstes Werk und verlangt ernste Leser und denkende Leserinnen. Wie mir scheinen will, hat Gregorovius, um den strengen Gang seiner Untersuchung und Darstellung konsequent einzuhalten, absichtlich auf die künstlerische Behandlung der Diktion verzichtet und seine außerordentliche Gabe der Schilderung fast durchweg hintangehalten. Ob zum Vortheile des Buches, dürfte freilich fraglich sein. Denn mitunter verfällt dasselbe infolge dieser Enthaltsamkeit des Verfassers in die Trockenheit des bloßen Referats und die ausführlichen Mittheilungen, aus Urkunden und Depeschen, so berechtigt und schätzenswerth dieselben an und für sich sind, werden solche Leser, welche der sonstigen gregorovius'schen Darstellungsweise voll farbensatter Anschaulichkeit, künstlerischer Gruppirung und pulsirenden Lebens gewohnt waren, schwerlich ausreichend entschädigen. Die Motive, von welchen der Verfasser bei der hier eingehaltenen Weise des Vortrages sich leiten ließ, sind sicherlich sehr ehrenwerthe: er wollte, wenn ich recht vermuthe, die historische Wahrheit, soweit es möglich, sie zu finden, nicht nur ungeschminkt, sondern auch ungeschmückt vor uns hintreten lassen. Also würde er, wie er mit Recht geglaubt, am besten seine Absicht erreichen, an die Stelle der Legende von Lukrezia Borgia, derzufolge sie »eine Mänade war, welche in der einen Hand die Giftphiole, in der andern den Dolch trug, während dieses furienhafte Wesen die sanften und schönen Züge einer Grazie hatte«, die geschichtliche Wirklichkeit zu setzen.
Warum die Borgia die Untersuchung durch den Geschichtsschreiber und Psychologen immer wieder reizen? Gregorovius wirft in der Einleitung zu seinem Buche diese Frage ebenfalls auf und beantwortet sie so: »Für die Borgia ist der beständige Hintergrund die christliche Kirche; sie kommen aus ihm hervor, sie bleiben auf ihm stehen und der grelle Widerspruch ihres Wesens zum Heiligen macht sie dämonisch. Die Borgia sind die Satire auf eine ganze große Form oder Vorstellung kirchlicher Welt, welche sie zerstören oder verneinen. Auf hohen Postamenten stehen ihre Gestalten und ihre Angesichter streift stets das Licht des christlichen Ideals. In diesem sehen und erkennen wir sie.«
Das ist's! Der ungeheure Kontrast zwischen der Idee eines »Statthalters Christi« und der Thatsächlichkeit eines sechsten Alexander hat etwas so erstaunendes, etwas zugleich so anziehendes und abstoßendes, etwas so märchenhaft-grausiges, daß man immer wieder darauf hinzublicken sich versucht fühlen muß. Aufrichtig fromme Katholiken müssen, wenn ich recht erwäge, von einem kalten Schauder angefasst werden bei dem Gedanken, daß dieser Papst ihren Gott auf Erden repräsentirte, daß ein solcher Unzüchtling und Frevler die höchsten Mysterien des Glaubens verwaltete, daß diese von Schmutz, Gift und Blut triefenden Borgia-Hände die geweihte Hostie erhoben.
Um die Möglichkeit einer Erscheinung wie die der Borgia-Sippschaft und Borgia-Wirtschaft zu begreifen, muß man vor allem die Zeit dieser Erscheinung im Auge halten. Diese turbulente, alles durcheinander mischende und schüttelnde Uebergangszeit der letzten Jahrzehnte des fünfzehnten Jahrhunderts und der ersten des sechzehnten Jahrhunderts, allwo mit der mittelalterlichen Brutalität und Gewaltsamkeit in der Politik die ganze List und Tücke der neu aufgekommenen »welschen Praktik« sich verband, mit unerhörter Frechheit an die Stelle des Sittengesetzes die Lehre von der Alleinberechtigung des Erfolges gesetzt wurde, die elementare Leidenschaft und rücksichtslose Genußgier aus den Prämissen der wissenschaftlichen und künstlerischen Strebungen und Leistungen der »Renaissance« die gemeinen und selbstsüchtigen Konsequenzen zogen, welche ihren wilden Instinkten behagten – diese Zeit, wo Italien von Tyrannen und die Paläste des Statthalters Christi und seiner Kardinale von Kurtisanen und Bastarden wimmelten, wo der stolze Bau der Kirche in seinen Fundamenten unterhöhlt und verfault war, eine heidnische Skepsis ihre spottlachenden, tumultuarischen Tänze um die Altäre herschlang und dennoch die Hierarchie, während sie sich vor lachen ausschütten wollte über die Witze und Satiren, welche die Renaissance-Poeten, namentlich die italischen, gegen die christliche Mythologie und Dogmatik ausgehen ließen, mit altgewohntem Hochmuth, mit hergebrachter Unduldsamkeit und Grausamkeit ihre ungeheuerlichen mittelalterlichen Ansprüche festhielt und vertheidigte, einen Savonarola verbrennen ließ, aber einem Pulci Beifall klatschte; diese Zeit, wo die Verweltlichung, die Verlüderlichung des Papstthums ihre schamloseste Vollendung fand, die Päpste wie griechische Götter lebten und trotzdem wie christliche verehrt sein wollten und wo die von den Humanisten neu verkündigte Lebensfreudigkeit, Weisheit und Schönheit, wie die Antike sie lehrte, in der italischen Gesellschaft so vielerorten nur zu raffinirtem Lasterleben, zur Verachtung aller religiösen, sittlichen und socialen Gebote ausgeschlagen war und hinter der zügellosen Verhöhnung der Kirchenlehre doch immer wieder der gedankenlose Köhlerglaube an die Satzungen, Formen und Bräuche der Kirche schmählich sich versteckte und das grauenhafteste Verbrechen mittels irgendeines äußerlichen Bußwerkes volle Sühnung zu erlangen hoffte.
Ja, diese Zeit, sie hatte so recht eine Temperatur, wie die Borgia sie zum gedeihen brauchten.
Alexander der Sechste hat die Macht und den Glanz des Hauses Borgia (eigentlich, das heißt spanisch, Borja) nicht begründet, sondern nur entwickelt. Sein Oheim Alfonso Borgia war als Bischof von Valencia und Geheimschreiber des Königs Alfonso von Aragon mit diesem nach Neapel gekommen. Alfonso von Aragon wurde König von Neapel, Alfonso von Valencia, der sich als fanatischer Hasser aller Reformregungen in der Kirche auf- und hervorthat, wurde im Jahre 1444 Kardinal und elf Jahre später Papst unter dem Namen Kalixt der Dritte. Er zog seine Sippschaft aus Spanien herüber und das spanische Wesen begann im Vatikan, ohne sich jedoch schon jetzt bleibend daselbst festsetzen zu können. Seine beiden Neffen Pedro Luis und Rodrigo, die Söhne seiner Schwester Isabella Lanzol, adoptirte der Papst und legte ihnen seinen eigenen Familiennamen bei. Selbstverständlich musste das »Patrimonium Petri« herhalten, um die Verwandten Kalixts mit Geld, Gütern und Würden überreichlich auszustatten. Die »Nepotenwirthschaft« trat jetzt am päpstlichen Hofe in das Stadium ihrer üppigsten Blüthe. Im Jahre 1456 machte der Statthalter Christi seinen fünfundzwanzigjährigen Neffen Rodrigo Lanzol-Borgia zum Kardinal und ein Jahr später zum Vicekanzler der römischen Kirche. Wieder ein Jahr darauf starb Kalixt, aber der Kardinal befand sich schon in einer so großen und nicht leicht zu erschütternden Stellung, daß er auf weiteres Glück zuversichtlich hoffen durfte. Auch war er bereits zu dieser Zeit sehr reich.
Reich ebensowohl an Geld und Gut als an Erfahrung im Laster und skandalhaftem Rufe. Es muthet uns doch ganz eigen an, wenn wir jenen Brief lesen, welchen Kalixts Nachfolger, Pius der Zweite, am 11. Juni 1460 an Rodrigo Borgia schrieb, um diesem wegen seiner lärmenden Ausschweifungen sanfte Vorstellungen zu machen. Eine Orgie, welche der Kardinal und Bischof von Valencia zu Siena in den Gärten des Giovanni di Vichis mit verschiedenen sienesischen Frauen und Mädchen durchgerast hatte, war die Veranlassung zu der langen päpstlichen Epistel, deren kurzer Sinn kein anderer als dieser: Man soll gewisse Dinge nicht allzu geräuschvoll treiben. Pius der Zweite musste das wissen; er war ja früher auch kein Heiliger gewesen. Wie es der Kardinal Borgia trieb, erhellt schon aus dieser Stelle des päpstlichen Mahnschreibens: »Deinem eigenen Urtheile überlassen wir es, ob es für deine Würde schicklich sei, Mädchen zu schmeicheln, Früchte und Wein denjenigen zu schicken, die du liebst, und den ganzen Tag auf nichts zu sinnen als auf jede Art von Wollust.« Es dürften übrigens nicht viele Mahnbriefe jemals geschrieben worden sein, welche weniger gefruchtet hätten als dieser päpstliche.
Rodrigo Borgia war nicht nur damals, sondern auch noch später, noch als Greis und bis zu seinem Tode von der wilden Sinnlichkeit eines Stieres erfüllt, der ja bekanntlich das Wappenthier der Borgia gewesen ist, und mit der Gier und Kraft eines Stieres verband er die Stattlichkeit eines vollendet schönen Mannes. Als von hoher Gestalt, mit schwarzen Feueraugen, blühend rothen Lippen, heiterer Stirn, majestätischer und zugleich zierlicher Haltung wird er von den Zeitgenossen übereinstimmend gepriesen. Einer derselben, Gaspar von Verona, hat von dem Kardinal gesagt: »Er ist schön, von anmuthigem und heiterem Antlitz, von zierlicher und süßer Beredsamkeit. Wo er nur herrliche Frauen erblickt, regt er sie in fast wunderbarer Weise zur Liebe auf, und er zieht sie an sich, stärker, als der Magnet das Eisen anzieht.« Ein richtiges Vorbild des Don-Juan-Typus also, welchen ja auch ein Spanier, Gabriel Tellez, genannt Tirso de Molina, zuerst in die Weltliteratur eingeführt hat. (» El burlador de Sevilla.«)
Wer könnte der Anziehungskraft eines solchen Kardinal-Magnets widerstehen, auch wenn man nicht von Eisen, sondern nur ein mehr oder weniger schwaches Weib ist? Unter den mehreren Frauen und vielen Mädchen, welche diese Frage an sich zu richten Ursache hatten, befand sich auch die junge Römerin Vannozza Catanei, welche wir unserem Autor zufolge uns »vorstellen dürfen als eine jener mächtigen und üppigen Frauengestalten, wie man sie in Rom sieht und in denen Juno und Venus vereint zu sein scheinen«. Vannozza, welche um 1467 die Maitresse des Kardinals wurde, hat auf sein Betreiben später nacheinander zwei Scheinehen eingegangen und in seiner Gunst so lange Zeit sich behauptet, daß wir annehmen müssen, sie sei kein ganz gewöhnliches Weib gewesen. Sie gebar ihrem Liebhaber im Kardinalpurpur vier Kinder: Juan, Cesare, Lukrezia und Jofred, welche drei Söhne und eine Tochter Borgia ausdrücklich als seine Sprösslinge anerkannt und denen er vor seinen übrigen Bastarden männlichen und weiblichen Geschlechts von anderen Kebsinnen einen entschiedenen Vorzug eingeräumt hat.
Lukrezia Borgia wurde geboren am 18. April 1480 zu Rom. Vannozza besaß neben anderem – sie hatte ihre Verbindung mit dem Kardinal finanziell vortrefflich auszubeuten gewusst – im Viertel Ponte auf der Piazza Pizzo di Merlo ein Haus, worin Lukrezia zweifelsohne die ersten Kinderjahre verlebte. Wenige Schritte davon entfernt stand der Palazzo, in welchem damals ihr kardinalischer Vater residirte und zwar in Pracht und Prunk; denn er bezog aus seiner Vicekanzlerschaft, aus seinen drei Bisthümern Valencia, Portus und Karthago, aus vielen ihm in Italien und Spanien verliehenen Abteien und sonstigen Pfründen wahrhaft »heidenmäßig« viel Geld und sein Haushalt war einer der glänzendsten und üppigsten in Rom. Diese römischen Nachfolger der Apostel verstanden das fischen und weben ganz anders als ihre armen Teufel von Vorgängern. Die römische Baronenschaft wusste auch schon damals den Werth der Dukaten, womit Rodrigo Borgia seine Töchter auszustatten pflegte, geziemend zu würdigen. Dies zeigt uns der Ehekontrakt, welcher im Januar 1482 zwischen Messer Gianandrea aus dem Hause Cesarini und der Donna Girolama Borgia, Tochter des Kardinals von einer ungenannten Mutter, in Gegenwart des Brautvaters, sowie verschiedener Kardinäle und Barone durch den Notar Beneimbene abgeschlossen wurde. Ein Jahr später verheiratete der fruchtbare Kardinal abermals eine Tochter, Isabella – Mutter ebenfalls ungenannt – an den römischen Nobile Matuzzi. Die Unbefangenheit, womit bei solchen Verlobungen und Vermählungen der Söhne und Töchter von Bischöfen, Kardinälen und Päpsten öffentlich vorgegangen wurde, gehört auch mit zur Signatur jener Zeit. So einer Probe dürfte ein »Unfehlbarer« von heute seine Unfehlbarkeit doch kaum bloßzustellen wagen. Andere Zeiten, andere Musik; der Generalbaß der menschlichen Triebe, Mühen, Leiden, Thorheiten und Laster bleibt aber bekanntlich immer derselbe.
Frühzeitig übergab der Kardinal die kleine Lukrezia einer Frau zur Erziehung, welche die Nichte seines Oheims Kalixts des Dritten, demnach seine Base und noch mehr war, nämlich die »Vertraute seiner Sünden, seiner Intriken und Pläne bis zu seinem Tode«. Im Hause dieser verwitweten Donna Adriana Orsini wurde Lukrezia ganz auf dem Fuße der vornehmen römischen Welt von damals erzogen. Also in erster Linie zum »christlichen Anstand«, zur Beobachtung des kirchlich-ceremoniellen Dekorums. Denn obzwar die vornehme Gesellschaft im damaligen Italien durchweg heidnisch – im schlimmen, schlimmeren und schlimmsten Sinne des Wortes – gesinnt war und handelte, so wurde von wohlerzogenen Herren und Damen doch eine äußerlich korrekte Katholicität gefordert. Waren ja auch Alexander der Sechste und sein scheusäliger Bastard Cesare ganz korrekte Katholiken. Jener war sogar berühmt um der imponirenden Würde und Majestät willen, womit er den Altardienst verrichtete. Im übrigen ist die weibliche Erziehung dazumal durchschnittlich gerade solcher Dilettantismus gewesen wie heutzutage. Nur mit dem Unterschiede, daß die Backfischchen und Lämmerchen statt wie jetzt an der französischen und englischen Sprache an der lateinischen und griechischen herumdilettirten und statt wie heute mit dem Klavier ihrerseits mit der Laute viel kostbare Zeit vergeudeten. So ein besaiteter Marterkasten in jedem Hause scheint nun einmal zu den übrigen Widerwärtigkeiten des Lebens gehören zu müssen. Die Tochter des Papstes wurde später von wegen ihrer »klassischen« Bildung beschmeichelt. Es ist aber damit gewiß nicht weit her gewesen. Sie sprach und schrieb italienisch und spanisch. Die Handschrift ihrer auf uns gekommenen Briefe ist fest und nicht ohne Zierlichkeit, der Stil fließend, der Inhalt ordinär. Geist und Geisteskultur Lukrezia's reichten in keiner Weise über das Durchschnitts-Mittelmaß hinauf, aber sie war, zu ihrer Blüthe gekommen, schön von Antlitz und Gestalt, von höchst anmuthigem gebaren und bezeigen, geübt in der Führung des Zeichenstiftes und fertig in der Handhabung der Laute, auch eine Art Künstlerin mit der Sticknadel und endlich eine Tänzerin voll Feuer und Grazie. An dem tanzen seines Töchterleins konnte sich Papa Borgia nie satt sehen. Eine erkleckliche Dosis seines Leichtsinns, sowie seiner dauerhaften Lebensheiterkeit und Genußfreudigkeit hatte der Vater auf die Tochter vererbt. Alles in allem: nicht die Natur machte Lukrezia zu einer außerordentlichen Erscheinung, aber die Verhältnisse machten sie dazu. Wäre ihr Vater nicht auf den Stuhl Petri gelangt, so hätte sie vielleicht häusliches Glück, also das einzige wirkliche, gegeben und empfangen. Nachdem aber Borgia Papst geworden, wurde sie ein Mittel und Opfer der päpstlichen Politik, und zwar einer päpstlichen Politik, wie Alexander der Sechste und sein Sohn Cesare sie verstanden und handhabten. Die politischen Heiraten, welche man sie eingehen machte, brachten Unglück, Verderben und Tod über ihre ersten Männer, sodaß die Umarmung dieses Weibes in der That gleichbedeutend schien mit Vernichtung. Aber wenn man billig sein will, muß man sagen, daß sie doch mehr durch sich sündigen ließ, als selber sündigte. Ein hoher Grad von Herzenskälte freilich muß ihr eigen gewesen sein. Denn sie ließ sich durch die schrecklichen Krisen und Katastrophen, welche ihre Jugend verdüsterten, offenbar wenig anfechten. Sie blieb hübsch, heiter, hellauf bis zuletzt.
Auch auf Lukrezia findet der göthe'sche Satz: »Niemand kann die Eindrücke seiner Kindheit verwinden« – seine Anwendung. In diesem Kinde konnte das Sittengesetz gar nicht Wurzel schlagen, es war nicht möglich. Denn in was für eine Welt war die Kleine gestellt? In eine Welt, welche von moralischen Bedenken gar nichts wusste, in eine Welt der prangenden und prunkenden Zucht- und Schamlosigkeit. Lukrezia musste frühzeitig erfahren, daß der Mann ihrer Mutter nicht ihr und ihrer Brüder Vater war, sondern daß sie ihr Dasein einem Kardinal verdankte, welchen sie auch wohl schon als den künftigen Statthalter Christi bezeichnen hörte. Und wohin sie sah, ringsum erblickte sie ähnliche Verhältnisse: Kardinäle, welche ganz unbefangen Maitressen hielten und ihre Kinder stattlich versorgten, während im Vatikan die Söhne, Töchter und Enkelkinder Sr. Heiligkeit Innocenz' des Achten daheim waren, wie denn ja in der römischen Gesellschaft die Bastarde und Bankertinnen der Kirchenfürsten überhaupt vortretende Rollen spielten. Die Vorstellung, daß auch sie zu einer solchen Rolle bestimmt sei, athmete die junge Lukrezia sozusagen mit der Luft ihrer Umgebung ein.
Und sie durfte in der That darauf hoffen. Rodrigo Borgia war ein zärtlicher und fürsorgender Papa, das muß man ihm lassen. Noch als Kardinal war er schon darauf bedacht und auch einflußreich und mächtig genug, seinen Kindern einen großen Stand zu machen. Für seinen Bastard Pedro Luis erwirkte er vom spanischen Hofe die Belehnung mit dem Herzogthum Gandia in der Provinz Valencia, und als dieser Duca di Gandia frühzeitig starb, wusste Borgia das Herzogthum auf seinen Sohn Juan übergehen zu lassen. Einer der Bastarde Vannozza's war demnach schon in die hohe Aristokratie eingeschmuggelt. Die Fürsorge des Kardinals für die Kinder Vannozza's ließ auch dann nicht nach, als er von einer anderweitigen Leidenschaft ganz und gar erfüllt war, von der Leidenschaft für die blutjunge, blendend schöne Giulia Farnese, welche kaum fünfzehnjährig auf Borgia's betreiben mit dem jungen Ursin Orsini, dem Sohne von Adriana Orsini, vermählt wurde (1489). Ob Giulia noch als Mädchen oder erst als junge Frau der Verführung des unwiderstehlichen Kardinals erlag, ist ungewiß. Thatsache dagegen ist, daß Donna Giulia zwei Jahre nach ihrer Verehelichung die erklärte Favorit-Maitresse Borgia's war, sowie daß Donna Adriana, die Schwiegermutter des jungen verlorenen Geschöpfes, das Verhältniß begünstigte und förderte, und endlich, daß dieses ehebrecherische Konkubinat fortdauerte, als der Kardinal Papst geworden war. In Rom nannte man dannzumal die päpstliche Maitresse spöttisch »die Braut Christi«, woraus sich aber Alexander der Sechste so wenig machte, daß er gleichsam zur ironischen Bestätigung des Spottwortes seine schöne Kebsin durch seinen Hofmaler Pinturicchio im Vatikan als Muttergottes abkonterfeien ließ. Die Schande der Familie Farnese suchte er zuzudecken mit dem Kardinalpurpur, welchen er dem Bruder Giulia's, Alessandro Farnese, verlieh. Die Römer hießen darum den also Bepurpurten nur den Schürzenkardinal.
Unter den Kindern Borgia's that sich Cesare durch glänzende Begabung wie durch wilde Leidenschaftlichkeit und eine allen Proben gewachsene Nervenstärke frühzeitig hervor. Auf diesen Sohn, welcher in Perugia und Pisa seine Studien machte, stellte Rodrigo die Erfüllung der stolzesten Entwürfe und höchstfliegenden Borgia-Hoffnungen. Er widmete ihn der Kirche, das heißt, er erlangte, daß Innocenz der Achte den noch unreifen Knaben zum Protonotar und zum Bischof von Pampelona ernannte. Auch Lukrezia wurde noch in Kinderjahren in die Zukunftsrechnung des Hauses Borgia als willenlose Ziffer eingereiht.
Zuvörderst als eine nur bescheidene. Ihrem Vater, dem Kardinal, war um gute Verbindungen in seinem spanischen Heimatlande zu thun, wo er ja bereits einen seiner Söhne glänzend versorgt hatte. So wurde denn die elfjährige Lukrezia im Februar 1491 mit einem nur wenig älteren spanischen Edelmann aus gutem Hause verlobt, dem Don Cherubin Juan de Centelles. Dabei wurde vereinbart, daß die Braut ihrem Verlobten 300,000 Timbres valencianischer Münze theils bar, theils in Juwelen zubringen und daß sie innerhalb eines Jahres nach Spanien hinübergeführt und sechs Monate nach ihrer Ankunft daselbst vermählt werden sollte. Aus dieser Brautfahrt ist aber nie etwas geworden. Der Kardinal berücksichtigte die namens seiner Tochter eingegangene Verpflichtung so wenig, daß er schon zwei Monate nach Eingehung derselben, im April 1491, die kleine Lukrezia einem andern spanischen Jungen, dem Don Gasparo, Sohn des Grafen von Aversa, ebenfalls feierlich verlobte. Also war der Backfisch von Kardinalstochter zur gleichen Zeit die Verlobte von zwei jungen spanischen Dons, die sich freilich später Glück wünschen mochten, daß aus der Verlobung keine Vermählung geworden. Aber es ist charakteristisch, wie der Papa-Kardinal schon bei dieser Gelegenheit mit dem »Sakrament« sein Spiel oder seine Berechnung trieb. Bald sollte das noch ganz anders kommen, denn die Giftpflanze Borgia konnte erst unter dem Schutzdache der päpstlichen Tiara zum vollen Glanz und Gleiß ihrer Blüthe ausschlagen.
Am 25. Juli 1492 starb Innocenz der Achte. Am 11. August wurden die »Himmelsschlüssel« dem personificirten Laster in die Hände gegeben: Rodrigo Borgia war vom Konklave zum Statthalter Christi gewählt worden. Notorisch hatte er den Stuhl Petri gekauft; aber einerlei, er hatte ihn und er setzte sich recht fest und breit und, maßen er ein ausgezeichneter Schauspieler war, recht majestätisch darauf als Alexander der Sechste.
Man muß die zeitgenössischen Schilderungen von der überschwänglichen Pracht und der überschwänglicheren Niedertracht lesen, womit am 26. August 1492 der verrufene Wüstling auf besagtem Stuhl inthronisirt worden ist, um zu wissen, in was für einer pestilenzischen Kloake von Infamie die Menschen-Bestien mit Behagen sich zu wälzen vermögen. In allen Tonarten wurde der »Stier« Borgia angeschmeichelt und wurde in einem der Festgedichte der neue Papst geradezu als Gott proklamirt: – »Groß war Rom unter Cäsar, am größten aber ist Rom jetzo; denn es herrscht der sechste Alexander, dieser Mann, dieser Gott!« » Caesare magna fuit, nunc Roma est maxima; Sextus regnat Alexander, iste vir, iste Deus.«
Die Borgia-Wirthschaft konnte nun in großem Stile zu rumoren anheben.
Und sie hob sofort gehörig zu rumoren an. Die Welt sollte erfahren, was für Wunder ein Statthalter Christi zu wirken vermöge.
Noch an seinem Krönungstage übergab der Papst das bisher von ihm innegehabte Bisthum Valencia seinem Sohn Cesare. Ein Jahr später (September 1493) machte er den jungen Menschen zum Kardinal. Hierbei war ein kleines kanonisches Hinderniß zu beseitigen: kein Bastard konnte Kardinal werden. Aber wozu hätte man die Himmelsschlüssel in den väterlichen Händen, falls man damit nicht so eine Kleinigkeit von Meineid zuwegezaubern könnte? Alexander der Sechste ließ durch gekaufte Zeugen beschwören, sein Spurius Cesare sei der eheliche Sohn eines gewissen Dominiko Arignano.
Dem päpstlichen Bankert, dessen wilde Leidenschaften jetzt offenen Spielraum hatten und der sich bald seinem Vater selbst furchtbar zu machen wusste, ist übrigens der kardinalische Purpur mehr lästig als willkommen gewesen. Cesare strebte nach glänzenderem, nach einem Königsmantel. Ein berauschender Gedanke beherrschte das sinnen und sündigen, das dichten und trachten, beherrschte all das laster- und frevelhafte thun und treiben dieses mit den glänzendsten Vorzügen des Geistes und Körpers ausgestatteten Ungethüms, in welchem der geniale und glühende Patriot Macchiavelli das Vorbild seines » Principe« gesehen hat, jenes Ideal von einem Tyrannen, wie er dem großen Florentiner nothwendig schien, um den Aussatz der staatlichen Zerrissenheit und die Pest der Fremdherrschaft mitsammen vom Boden Italiens wegzufegen, mit Eisen und Feuer wegzufegen. Keine Frage, Cesare Borgia hatte zu einem solchen Feger das Zeug und es ist kein Gräuel ersinnbar, den er zur Erreichung seines Zweckes, sich zunächst zum König von Mittelitalien zu machen, nicht völlig skrupellos und mit dem ewig heiteren Borgia-Antlitz begangen hätte. Mehr noch, er hat im Vorschritte zur Erreichung seines Zieles, dem er ganz nahe kam, so ziemlich die ganze Gräuelskala wirklich durchgespielt und ist bei alledem ein frommer Christ und Katholik im Sinne seiner Zeit geblieben. Doch wir haben es hier nicht mit Don Cesare, sondern nur mit Donna Lukrezia Borgia zu thun.
Für diese seine geliebte Tochter hatte der neue Papst sofort in der Nähe des Vatikans einen Palast an der linken Seite der Peterstreppe einrichten lassen, worin das junge Mädchen jetzt förmlich ihren Hof hielt. In den Räumen dieses Palazzo empfing im November von 1492 Donna Lukrezia auch die Aufwartung des Erbprinzen Alfonso von Este-Ferrara, der damals als Gast im Vatikan weilte. »Er sah« – meldet uns Gregorovius – »voll Neugierde zum erstenmale dies schöne Kind mit dem goldfarbenen Haare und den klugen, großen Augen, und nichts lag ihm ferner als die Ahnung, daß diese einem anderen Verlobte nach neun Jahren in das Schloß der Este zu Ferrara als seine eigene Gemahlin einziehen werde.«
Der Verlobte Lukrezia's war aber zu dieser Zeit nicht mehr weder Don Cherubin noch Don Gasparo, sondern Giovanni Sforza, Herr von Pesaro. Der Papa-Papst hatte nämlich eine andere Verbindung für seine Tochter passend gefunden als der Papa-Kardinal und zwar zunächst eine Verbindung mit einer Seitenlinie des mächtigen Hauses Sforza. Der genannte Tyrann von Pesaro war auch von der Bank gefallen, ganz Italien ist ja dazumal verbastardisirt gewesen. Giovanni Sforza war im übrigen ein schöner Mann von sechsundzwanzig Jahren und von nicht geringer Bildung, Witwer seit 1490, aber kinderlos. Donna Lukrezia, mit einer Mitgift von 31,000 Dukaten ausgestattet, wurde ihm zu Rom im Vatikan am 12. Juni 1493 angetraut. Alexander der Sechste behandelte die Hochzeit seiner Tochter wie eine richtige Haupt- und Staatsaktion. Es ging an jenem Junitage hoch her im Palaste Sr. Heiligkeit. Principi und Kardinäle saßen gemischt mit schönen Frauen an der Festtafel, während deren Dauer eine heitere und nicht sehr decente Komödie aufgeführt wurde. Die Anwesenheit der damaligen Nummer-Eins-Maitresse des Papstes, Julia Farnese, genannt La Bella, ist ausdrücklich bezeugt. Zwei Monate später vermählte der Papst seinen Sohn Jofred, der kaum dreizehnjährig, mit der Donna Sancia, einer Bastardin des Herzogs Alfonso von Kalabrien aus dem Hause Aragon, welche als sehr schön gerühmte Donna später ganz öffentlich die Maitresse ihres Schwagers Cesare geworden ist. Ihre Ehe mit Jofred wurde im Mai 1494 vollzogen und der Papstjunge wurde dadurch zum Principe von Squillace, da sein Schwiegervater König von Neapel geworden. Man sieht, die Kinder der Vannozza hatten es schon erklecklich weit gebracht in der Welt: Giovanni war ein spanischer Herzog, Cesare ein römischer Kardinal und bald der Herzog von Romagna, Jofred ein neapolitanischer Prinz und Lukrezia die Fürstin von Pesaro.
Das blieb sie freilich nicht lange. Denn nachdem sie im Juni 1494 mit ihrem Gemahl ihren festlichen Einzug in Pesaro gehalten, wurde sie schon nach Jahresfrist von dort wieder nach Rom zurückgeführt infolge der veränderten Politik ihres Vaters. Papstthron und Kirchenstaat schwankten ja wie ein kenterndes Schiff auf den Sturmwogen, welche der Invasionszug König Karls des Achten von Frankreich in Italien aufgewühlt hatte. Nachdem der Sturm vorüber, das heißt das abenteuerliche Unternehmen des halbnärrischen Franzosenkönigs kläglich misslungen war, begannen Alexander der Sechste und sein Sohn Cesare die schauderhafte Reihe der Machenschaften, welche die Umwandelung des Kirchenstaates in ein Königreich Borgia zuwegebringen sollten. Im Oktober von 1495 treffen wir Donna Lukrezia mit ihrem Gatten wieder im Vatikan, woselbst bald darauf auch der Duca di Gandia aus Spanien und der Principe di Squillace eintrafen, sodaß jetzt die ganze Sippschaft wieder beisammen war. Die Stadt Rom konnte das bald merken, denn die päpstliche Bastardschaft trieb es tüchtig mit prangen und prunken, bankettiren, randaliren und karessiren. Der Papa-Papst hatte mit seinen Schlüsseln richtig den Himmel der Lust aufgeschlossen: zwar nicht den christlichen, aber doch den türkischen. Freilich krochen unter den Rosen dieses Paradieses die Giftschlangen der unheimlichsten Intriken rastlos umher.
Das Haus Sforza war im fallen begriffen, folglich hatte es keinen Sinn mehr, daß Donna Lukrezia einem Sforza vermählt sei, folglich mag sich Herr Giovanni zum Teufel oder sonstwohin packen, nur fort aus dem Bette der Papsttochter und weg aus Rom. Er ist an beiden Orten im Wege, denn unsere unfehlbare Politik will es haben, daß unsere geliebte Lukrezia anderweitig vermählt werde. Zur Osterzeit von 1497 fühlte der Herr von Pesaro die Marmorböden der vatikanischen Gemächer unter seinen Füßen brennen. In Wahrheit, sein Leben war in Gefahr. Cesare hatte seinen Mordblick auf ihn geworfen und frank heraus zu seiner Schwester gesagt: »Der Kerl muß abgethan werden.« Daraufhin verhalf Lukrezia dem also bedrohten Gatten zur Flucht. Ein rasender Ritt rettete ihn aus Rom zu nicht geringem Verdrusse der Borgia, welche lieber kurzweg den Dolch zum Ehescheider gemacht hätten.
Denn um die Scheidung von Lukrezia's Ehe handelte es sich ja. Der Papst leitete einen Scheidungsproceß ein, maßen er die Hand seiner Tochter wieder zur freien Verfügung haben wollte. Widerstrebte Lukrezia? Vielleicht ein wenig, aber jedenfalls nicht lange. Geliebt scheint sie ihren Gemahl niemals zu haben. Auf zureden Sr. Heiligkeit ihres Vaters ließ sie sich zu der Erklärung vor der Scheidungskommission herbei, daß sie bereit sei, zu schwören, sie sei noch Jungfrau und folglich ihre Ehe mit Giovanni Sforza gar nicht vollzogen. Das genügte den Scheidungsrichtern um so mehr, als der von seinen Verwandten im Stiche gelassene und demnach der Papstmacht gegenüber ganz rath- und hilflose Herr von Pesaro sich zu der schriftlichen Erklärung bestimmen und drängen ließ: » Non haverla mai conosciuta (Madonna Lucrezia) et esser impotente.« Daraufhin sprach die Kommission am 20. December 1497 die Scheidung aus.
Lukrezia hatte sich aus ihrem Palazzo in das Nonnenkloster von San-Sisto zurückgezogen. Die Ziele der »Schamreisen« von damals waren ja bekanntlich die Klöster, für Herren wie für Damen. Auf der Tochter Alexanders lastete zu dieser Zeit noch schwereres als das Skandal ihres Scheidungsprocesses: die schreckliche Borgia-Tragödie der Ermordung ihres Bruders Giovanni durch ihren Bruder Cesare.
Am 14. Juni hatten die beiden Brüder, der Herzog und der Kardinal, mit noch etlichen Verwandten bei ihrer Mutter Vannozza in deren Villa bei San-Pietro ad Vincola zur Nacht gespeist. Am nächsten Morgen war der ältere Bruder verschwunden. Am Tage darauf aber wurde sein Leichnam aus dem Tiber gefischt, die Hände zusammengebunden, durchbohrt von neun Stichwunden. Daß Cesare der Mörder, ist fraglos. Er war auf die Herzogschaft des Bruders eifersüchtig gewesen und auf die Gunst, welche der Papst demselben erwies. Und nicht nur darauf, sondern auch – so schrie die Fama durch ganz Italien – auf die blutschänderische Gunst, welche Donna Lukrezia dem älteren Bruder erwiesen hätte. Von da an ging der Schrecken vor Cesare Borgia her, von da an war er auch der Herr und Gebieter seines Vaters, dessen Günstlinge der Furchtbare, so sie ihm missfielen, selbst in Gegenwart des Papstes, ja selbst unter den Mantelfalten desselben morden ließ oder eigenhändig mordete.
Dazumal ist es auch geschehen, daß über Lukrezia zuerst das grässliche Gerücht ausging, sie sei nicht nur die Buhlerin ihrer Brüder, sondern auch die ihres Vaters. Jedes gesunde Gefühl sträubt sich gegen den Glauben an so einen Gräuel, und es ist doch wohl zu beachten, daß der tödtlich gekränkte und wüthende Giovanni Sforza allem nach der Urheber dieser Sage gewesen ist. Der habe, so berichtete der ferraresische Gesandte Costabili am 23. Juni 1497 aus Mailand an seinen Herrn, den Herzog Ercole, daselbst zu dem Herzoge Lodovico gesagt: »Anzi haverla conosciuta infinite volte, ma chel Papa non gelha tolta per altro se non per usare con Lei.«
Am 21. Juli des folgenden Jahres war wieder mal Hochzeit im Vatikan: Donna Lukrezia wurde mit Don Alfonso, einem Bruder ihrer Schwägerin Sancia, vermählt.
Der arme Junge! Er kam zu der Ehre, an die Tochter Alexanders des Sechsten verheiratet zu werden, wie das Kind zu der Ohrfeige.
Die Heirat sollte nämlich rein nur die Einfädelung zu einer andern sein, zu einer »standesgemäßen« Heirat Cesare's, welcher im nächsten Jahr den geistlichen – oh, all ihr Götter und Geister, den »geistlichen«! – Purpur abthat, um den weltlichen umzuthun. Man beehrte den Neffen des Königs von Neapel, den besagten, erst siebzehnjährigen Bastardprinzen Alfonso, Herzog von Biseglia, mit der Hand der Papsttochter, um dadurch den König Federigo geneigt zu machen, seine eigene legitime Tochter Karlotta dem Papstsohne zu geben sammt der Stadt Tarent als Mitgift. Daraus ist aber nichts geworden. Donna Karlotta schauderte zurück vor einer Ehe mit dem »Pfaffen und Pfaffensohn«, wie sie Cesare nannte, und ihr Vater, wennschon er die Borgia sehr fürchtete, war doch nicht zu bewegen, seine Tochter zu einer ihr so verhassten Verbindung zu zwingen. Wie gräulich Cesare den empfangenen neapolitanischen Korb rächte, wird bald kundwerden. Vorderhand tröstete sich der »Pfaffensohn« anderweitig. Nachdem er sich im August 1498 in der Versammlung des Kardinal-Kollegiums ohne viel Umstände entkardinalisirt und entgeistlicht hatte – »einzig und allein aus Rücksicht auf sein Seelenheil«, wie sein päpstlicher Papa zu erklären geruhte – begab sich Cesare, ausgerüstet mit wahrhaft sultanischer Pracht, nach Frankreich, mit dessen König Ludwig dem Zwölften die römische Kurie eine in jeder Beziehung schmutzige Mantscherei eingeleitet hatte. Sie geht uns weiter hier nichts an. Genug, der König vergalt die unsauberen Gefälligkeiten, welche der Statthalter Christi ihm erwies, damit, daß er den päpstlichen Bastard zum Herzog von Valence mit entsprechenden Einkünften ernannte und dem neugebackenen Valentinus oder Valentinois, wie Cesare von jetzt an gewöhnlich hieß, die Hand einer französischen Prinzessin verschaffte, die Hand der Charlotte d´Albret, Schwester des Königs von Navarra.
Madonna Lukrezia war also nunmehr Herzogin von Biseglia. Es war bestimmt worden, daß sie, solange ihr Vater lebte, nicht gezwungen werden sollte, Rom zu verlassen, um ihrem Gatten nach Neapel zu folgen. Das Paar blieb also in der Siebenhügelstadt und ihr Zusammenleben schien sich recht glücklich anzulassen. Möglich, daß Lukrezia für den schönen, sanften, liebenswürdigen Alfonso, welcher ein Jahr jünger war als sie, wirklich ein zärtliches Gefühl hegte. Aber schon warf der entsetzliche Ausgang, welchen diese Ehe haben sollte, seinen schwarzen Schatten voran. Die wie verzehrendes Feuer unersättlich um sich fressende Ehr- und Herrschsucht Cesare's begann jetzt ihre diabolischen Machenschaften im Kirchenstaate. Der Franzosenkönig hatte sich mit Venedig verbündet, um Lodovico Sforza, den »Mohren«, aus dem Besitze von Mailand zu treiben, und Alexander der Sechste trat diesem Bündnisse bei unter der Bedingung, daß Frankreich seinem Sohne zur Unterwerfung der Romagna verhälfe. Im Besitze der Romagna bedurfte dann – um dies hier vorweg anzumerken – der Valentinus des festen Rückhalts, welchen ihm die Este in Ferrara gewähren konnten, und der Befriedigung dieses Bündnisses stand, wie wir sehen werden, der arme Gemahl Lukrezia's im Wege.
Alfonso scheint irgendeine Witterung der herandrohenden Gefahr gehabt zu haben. Oder war ihm das Verhältniß seiner Frau zu ihrem Vater verdächtig geworden? Genug, am 2. August 1499 entfloh der Herzog von Biseglia heimlich aus Rom, entging den ihm nachsetzenden päpstlichen Reitern und begab sich zunächst nach Genazzano in den Schutz der mächtigen Kolonna. Er muß doch sehr zwingende Gründe zu dieser Flucht gehabt haben, denn er ließ seine Frau im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft zurück. Sie ihrerseits scheint durch diese Entfernung ihres jugendlichen Gatten empfindlich getroffen worden zu sein. Wenigstens sah man sie in Thränen. Papa Alexander aber war wüthend über die Flucht seines Schwiegersohnes, namentlich als ihm Briefe von diesem, worin Alfonso seine Gattin aufforderte, ihm zu folgen, in die Hände gefallen waren. Er zwang Lukrezia, ihrem Manne zu schreiben, er möchte zurückkommen. Dann, wie um die geliebte Tochter zu zerstreuen, ernannte er sie zur Statthalterin von Spoleto, woselbst sie am 14. August einen prunkhaften Einzug hielt. Ein im sechsten Monate schwangerer päpstlicher Legat – da sage man noch, daß es nichts neues gebe unter der Sonne!
Wie mit Blindheit geschlagen, entschloß sich der unglückliche Herzog von Biseglia, den Aufforderungen seiner Frau und seines Schwiegervaters nachzukommen und zurückzukehren. Er rannte in sein Verderben. In Nepi, wo der Papst, der nicht lange ohne seine Tochter sein konnte, eine Zusammenkunft mit Lukrezia hatte, vereinigte sich Alfonso wieder mit dieser und kehrte im Oktober mit ihr nach Rom zurück. Hier gebar die Herzogin am 1. November einen Sohn, welcher in der damaligen sixtinischen Kapelle mit höchstem Pomp und unter Posaunenschall auf den Namen Rodrigo getauft wurde. Der erfreute Papst, welcher seine Tochter kurz zuvor schon mit Spoleto und Nepi belehnt hatte, schenkte derselben unter der Form eines Scheinkaufes auch die Güter des Hauses der Gaetani, dessen Haupt Giacomo Gaetani in der Engelsburg eingekerkert und mittels Giftes weggeräumt wurde.
Derweil hatte Cesare seine Laufbahn als Eroberer, Vernichter und Organisator in der Romagna mit großem Glücke begonnen. Die Malatesta von Rimini, die Riario von Forli und Imola, die Sforza von Pesaro, die Varano von Kamerino, die Manfredi von Faenza und andere Dynasten und »Tyrannen« bekamen die Schwere seines Armes oder die noch unwiderstehlichere seiner skrupellosen Tücke zu fühlen. Daneben fand er noch Zeit, die Vorgänge im väterlichen Vatikan genau zu überwachen und mehr als einen Neidblick auf die fetten Stücke vom Kirchengute zu werfen, womit, wie vorhin erwähnt worden, der Papst seine geliebte Tochter auszustatten beliebte. Dem musste ein Ende gemacht werden und auch noch anderem.
Das große kirchliche »Jubeljahr« 1500 versprach ein rechtes Glücksjahr für die Borgia zu werden. Aus allen Ländern der Christenheit schleppte die gläubige Dummheit ungeheure Summen als Opfergaben nach Rom. Man spottete und lachte im Vatikan über die einfältigen Opferer, nahm aber die Gaben mit Vergnügen in Empfang. Es regnete förmlich Gold und Silber und dieser Regen bekam den noblen Passionen Sr. Heiligkeit sehr gut. Im Januar bezwang Cesare Valentinus, »der heiligen römischen Kirche Bannerträger und Generalkapitän«, das von ihm belagerte Forli und im Mai befand er sich in Rom, mit Rüstungen zu neuen kriegerischen Unternehmungen beschäftigt. Auch noch mit anderem. Denn es war ihm jetzt klar geworden, daß ihm sein armer Schwager Alfonso im Wege sei.
Am Abende des 15. Juli befand sich Madonna Lukrezia im Vatikan bei ihrem Vater, welcher dazumal, der siebzigjährige Statthalter Christi, eine heftige »Caprice« für eins der Hoffräulein seiner Tochter gefasst hatte. Um elf Uhr wollte sich auch Don Alfonso in den päpstlichen Palast begeben. Am Fuße der Peterstreppe fielen aber Vermummte über ihn her und verwundeten ihn schwer am Kopfe, Arm und Schenkel. Er vermochte noch den Mördern zu entrinnen und in den Vatikan zu gelangen. Man verband seine Wunden, seine Gemahlin und seine Schwester Sancia pflegten ihn liebevoll und er schien gerettet. Am 19. Juli schrieb der Gesandte Venedigs nach Hause: »Man weiß nicht, wer den Herzog verwundet hat; aber man sagt, daß es dieselbe Person gewesen, welche den Herzog von Gandia ermordete und in den Tiber warf.« Man sagte die Wahrheit. Mit eherner Stirne erschien Cesare in dem Krankenzimmer. Er musste sich ja vergewissern, ob der Tod den Unglücklichen fest gepackt hätte oder nicht. Beim hinausgehen murmelte er: »Was mittags nicht geschehen, kann abends geschehen.« Und am Abend geschah es denn auch, am Abend vom 18. August. Da kam der furchtbare Mann, dem niemand entgegen zu sein wagte, wieder, jagte Lukrezia und Sancia ohne weiteres aus dem Gemache, rief seinen Lieblingsbanditen, den spanischen Hauptmann Michelotto, herein und ließ durch diesen den armen Alfonso stranguliren. Noch in derselben Nacht wurde der Ermordete sang- und klanglos im Sankt-Peter begraben. Cesare rühmte sich öffentlich seiner That. Der Papst wagte nichts gegen den Mörder zu thun, gar nichts.
Madonna Lukrezia ließ sich nicht einfallen, ihrem Gemahle, welchen sie doch, wie bemerkt worden, liebgehabt hatte, nachzusterben. Sie machte auch nicht den geringsten Versuch, den schnöde gemordeten zu rächen. Sie ist sogar nachmals dem Mörder Alfonso's eine recht zärtliche Schwester gewesen und das sieht denn doch sehr sonderbar aus. Die Trauerzeit verbrachte die herzogliche Witwe in ihrer Stadt Nepi. Die Trauer hat nicht lange gewährt. Dieses schöne Weib trug in der Brust nur einen Herzmuskel, aber kein fraulich Herz. Sie war eine richtige Borgia.
Das Jubel- und Mordjahr 1500 ist noch nicht zu Ende gewesen, als man im Vatikan und in der Stadt schon wieder von einer Heirat der Tochter des Papstes redete. Und zwar mit Grund. Hatte Papa Alexander doch sogar noch bei Lebzeiten des armen Alfonso schon an einen dritten Gemahl für Madonna Lukrezia gedacht, und sollte dieser dritte auch ein Alfonso sein, Alfonso von Este, der Erbprinz von Ferrara.
Dieses neue Heiratsprojekt war ohne Zweifel auf die Eingebung Cesare's zurückzuführen. Lukrezia sollte wiederum einen Hebel der borgia'schen Macht und Größe abgeben. Eine enge und engste Verbindung mit dem Hause Este verbürgte dem Papstsohne nicht nur den Besitz der Romagna, sondern musste auch seinen weiteren, zunächst auf Bologna und Florenz gerichteten Annektirungsplänen sehr zu statten kommen. Also, sorella carissima, macht Euch fertig zu einer abermaligen Hochzeit!
Lukrezia, die ja das heiraten schon gewohnt war, hatte nichts dagegen. Wohl aber der Prinz von Ferrara, eine widerborstige Soldatennatur. Er wollte nicht anbeißen, dieser harsche und herbe Alfonso. Hatte die allerschlimmste Meinung von der nunmehr einundzwanzigjährigen Papsttochter (er selber zählte vierundzwanzig Jahre und war ein kinderloser Witwer). Glaubte unter anderem unerbaulichen von ihr, daß sie anno 1498 ein uneheliches Kind geboren hätte, dessen Vater zugleich dessen Großvater gewesen wäre. Aber Alexander und Cesare waren nicht die Leute, sich durch Hindernisse auf ihrem Wege aufhalten zu lassen. Sie wussten dem Vater Alfonso's, dem Herzog Ercole von Ferrara, die Vortheile der geplanten Heirat so einleuchtend zu machen, daß derselbe schließlich zu dem Sohne sagte: »Nimm sie!« Die Stellung der Borgia war damals eine so gebietende in Mittelitalien, daß in Wahrheit dem Herzoge von Ferrara wohl daran gelegen sein musste, sie nicht zu Feinden, sondern zu Freunden zu haben. Zudem wusste der Papst das ganze Gewicht des französischen Einflusses zu Gunsten der borgia'schen Absicht die Ferraresen fühlen zu lassen. Im Juli 1501 erklärte der Herzog, daß er in die Heirat willigen wollte, so der Papst seiner Tochter 200,000 Dukaten mitgäbe und dem Hause Este verschiedene wichtige Einräumungen und Zuteilungen machte. Der zärtliche Papa im Vatikan gab seiner Freude über diese willkommene Botschaft eigentümlichen Ausdruck, indem er, zu einem Raubzuge gegen verschiedene Barone Latiums ausmarschirend, die goldhaarige Lukrezia förmlich zu seiner Statthalterin während seiner Abwesenheit einsetzte. Die päpstliche Tiara sozusagen zeitweilig einer jungen Frau aufgesetzt, einer Frau noch dazu, welcher man gerade damals nachsagte, sie habe einer von ihrem Bruder Cesare – jetzt Herzog der Romagna – im Vatikan veranstalteten Orgie der fünfzig verrufensten Hetären von Rom angewohnt, wenn auch nur als »lachende Zuschauerin« – ja, das war auch wieder etwas neues unter der Sonne. Kein Wunder, daß derartige, mildestens gesagt, höchst leichtfertige Profanirungen der Statthalterschaft Christi, wie diese töchterliche Stellvertretung des Papstes eine war, dem giftigsten Klatsch immer neue Nahrung zuführten, und dieser Klatsch hat denn auch Madonna Lukrezia richtig zu einem weiblichen Ungeheuer aufgeblasen, halb Mänade, halb Furie.
Alfonso von Este verharrte bei seiner Weigerung, die übelst beleumdete Papsttochter zu heiraten, so lange, bis ihm sein Vater Ercole sagte: »Wohl, willst du sie schlechterdings nicht haben, so nehm' ich sie. Wir müssen sie, wie die Dinge liegen, heiraten, du oder ich, es bleibt nichts anderes übrig.« Das schlug durch. »Nun denn, ins Dreiteufelsnamen, her mit ihr!« mag, wie stark zu vermuthen ist, der rauhe Alfonso gebrummt haben. Papa Alexander bewilligte alle die Bedingungen Ercole's und am 1. September 1501 wurde der Ehekontrakt zu Ferrara unterzeichnet. Die Kanonen der Engelsburg gaben Freudensalven, als die Nachricht nach Rom gekommen, und man muß gestehen, daß die Geschütze dieser Citadelle früher und später schlimmeres als diese Heirat begrüßt haben. Ausdrücklich hatten sich die Este verbeten, daß die Braut ihren rechtmäßigen Sohn Rodrigo nach Ferrara mitbringen dürfte.
Der Papst stattete seine Tochter ungeheuer reich aus und mit einem wahrhaft königlichen Hofstaate verließ die Braut, von den zwei jüngeren Brüdern ihres Bräutigams, Sigismondo und Hippolyto, abgeholt, am 6. Januar 1502 Rom, um ihrem neuen Bestimmungsorte entgegenzureisen. Wie wohl ihr Abschied von ihrer Mutter Vannozza, von ihrem Bruder Cesare, von ihrem Sohne Rodrigo gewesen sein mag? Wir wissen es nicht. Papa Alexander vermochte sich kaum von der Tochter zu trennen. Er sah ihr aus den Fenstern des Vatikans nach, bis sich der Reisezug aus dem Gesichtskreise verlor. Nahezu einen ganzen Monat währte die Reise. Im Kastell Bentivoglio herwärts von Ferrara begrüßte Alfonso seine Braut. »Sie war tief überrascht, doch fasste sie sich schnell und empfing ihn mit vieler Ehrerbietung und Grazie, was er in galanter Weise erwiderte«, meldet einer vom Gefolge. Diese erste Begegnung wirkte günstig für Lukrezia. Alfonso überzeugte sich, daß er denn doch kein Ungeheuer zur Frau hätte. Am 2. Februar erfolgte der feierliche, vom weitschichtigsten Prunk umgebene Einzug der Papsttochter und Erbprinzessin von Ferrara in die Hauptstadt der Este. Gregorovius hat den Damen den Gefallen gethan, nach gleichzeitigen Berichten den Anzug der einziehenden Braut also zu schildern: »Von Schönheit und Glück strahlend ritt sie auf einem mit Scharlach bedeckten weißen Pferde. Sie war gekleidet in eine breitärmelige Kamorra von schwarzem Sammet mit feinen Goldleisten und in eine Sbernia von Goldbrokat mit Hermelinbesatz. Ihr Haupt bedeckte ein schleierartiges, von Diamanten und Gold funkelndes Netz ohne Diadem, ihren Hals umschlang eine große Kette von Perlen und Rubinen, ihr schönes Haar wallte frei auf die Schultern herab.« Einer, der sie damals gesehen, Kagnolo von Parma, entwarf dieses Bild von ihr: »Sie ist von mittlerer Größe und von zierlicher Gestalt, ihr Gesicht länglich ( di faccia alquanto lunga),die Haare goldig ( li capelli aurei), die Augen von unbestimmter Farbe, der Mund etwas groß, die Zähne blendend weiß, der Hals schlank und weiß, ihr ganzes Wesen athmet lachende Heiterkeit ...«
Damit war die Romantik im Dasein Lukrezia's zu Ende. An die Stelle bunter Abenteuerlichkeit trat feste Regel und verständiges Maß. Die Erbprinzessin von Ferrara suchte die römische Vergangenheit der Tochter Alexanders des Sechsten vergessen zu machen und es gelang ihr dieses wenigstens in den Augen ihres Gemahls, dessen Vertrauen sie gewann. Dann wurde sie, nach dem Tode ihres Schwiegervaters, eine durchaus anständige, regelrechte, geachtete und geehrte Herzogin. Ihre Anmuth und Liebenswürdigkeit hielten lange vor. Poeten verliebten sich in sie oder stellten sich wenigstens so an und besangen ihre Schönheit und ihre Tugend in lateinischen Distichen und italischen Sonetten. Auch Ariosto widmete ihr eine von Schmeichelei triefende Stanze seines großen Gedichtes. Für die Huldigungen, welche ihr der geistvolle, weltgewandte Venetianer Bembo persönlich und in Versen darbrachte, ist sie sehr empfänglich gewesen, empfänglich bis zur Verliebtheit. Aber ihr zweiter Alfonso war kein solches Lämmerschwänzchen wie ihr erster und durchaus nicht der Mann, Liebeleien seiner Gemahlin philosophisch zuzusehen. Der zierliche Bembo fand also für gerathen, aus Ferrara zu verduften. Der schreckliche Tod ihres Vaters, der Sturz der Borgia-Macht, der blutige Ausgang ihres Bruders Cesare, der frühzeitige Tod ihres Sohnes Rodrigo, das Ableben ihrer Mutter, das alles scheint Madonna Lukrezia nicht sehr angegriffen zu haben. Auch wurde durch den Sturz des väterlichen Hauses ihre Stellung in Ferrara nicht beeinträchtigt. Sie gebar ihrem Gemahle mehrere Kinder und die Geburt des letzten kostete ihr das eigene Leben. Hätte sie länger gelebt, würde sie es höchst wahrscheinlich dazu gebracht haben, im Geruche der Heiligkeit zu sterben. Denn in den letzten Jahren ihres Daseins war sie eine ausgemachte »Fromme«, wodurch freilich sich an ihr ein allbekanntes Sprichwort bewahrheitet hätte, falls man ihr nämlich nachsagen könnte, daß sie »alt« gewesen, als sie fromm wurde. Uebrigens war ihre Frömmigkeit keine finstere und trübsälige.
Aber weder ihre Frömmigkeit, noch ihre tadellose Haltung als Fürstin vermochten die Menschen die Vergangenheit der Tochter Alexanders des Sechsten wirklich vergessen zu machen. Diese Vergangenheit hatte ihr doch ein Mal auf die schöne Stirne gebrannt, welches eine Herzogskrone nicht zuzudecken und keine Essenz der Schmeichelei wegzuwaschen vermochte. Das Grauen ihres Namens umgab sie wie mit einer düsteren Wolke.
In der Nacht vom 24. Juni 1519 ist sie, noch nicht vierzigjährig, im Kindbette gestorben.
Ihr zuvor dahingegangener Zeitgenosse Giovanni Giovio Pontan hatte ihr zum voraus diese schreckliche Grabschrift gesetzt:
»
Hic jacet in tumulo Lucretia nomine, sed re
Thaïs, Alexandri filia, sponsa, nurus.«
(Hier liegt eine, die hieß Lukrezia, war aber Thaïs,
Alexanders des Papsts Tochter, Gemahlin und Schnur.)