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Daß alle ästhetische Produktion auf einem Gegensatz von Tätigkeiten beruhe, läßt sich schon aus der Aussage aller Künstler, daß sie zur Hervorbringung ihrer Werke unwillkürlich getrieben werden, daß sie durch Produktion derselben nur einen unwiderstehlichen Trieb ihrer Natur befriedigen, mit Recht schließen, denn wenn jeder Trieb von einem Widerspruch ausgeht, so, daß, den Widerspruch gesetzt, die freie Tätigkeit unwillkürlich wird, so muß auch der künstlerische Trieb aus einem solchen Gefühl eines inneren Widerspruchs hervorgehen. Dieser Widerspruch aber, da er den ganzen Menschen mit allen seinen Kräften in Bewegung setzt, ist ohne Zweifel ein Widerspruch, der das Letzte in ihm, die Wurzel seines ganzen Daseins angreift. Es ist gleichsam, als ob in den seltenen Menschen, welche vor andern Künstler sind im höchsten Sinne des Worts, jenes unveränderlich Identische, auf welches alles Dasein aufgetragen ist, seine Hülle, mit der es sich in andern umgibt, abgelegt habe, und so wie es unmittelbar von den Dingen affiziert wird, ebenso auch unmittelbar auf alles zurückwirke. Es kann also nur der Widerspruch zwischen dem Bewußten und dem Bewußtlosen im freien Handeln sein, welcher den künstlerischen Trieb in Bewegung setzt, so wie es hinwiederum nur der Kunst gegeben sein kann, unser unendliches Streben zu befriedigen und auch den letzten und äußersten Widerspruch in uns aufzulösen.
So wie die ästhetische Produktion ausgeht vom Gefühl eines scheinbar unauflöslichen Widerspruchs, ebenso endet sie nach dem Bekenntnis aller Künstler, und aller, die ihre Begeisterung teilen, im Gefühl einer unendlichen Harmonie, und daß dieses Gefühl, was die Vollendung begleitet, zugleich eine Rührung ist, beweist schon, daß der Künstler die vollständige Auflösung des Widerspruchs, die er in seinem Kunstwerk erblickt, nicht sich selbst, sondern einer freiwilligen Gunst seiner Natur zuschreibt, die, so unerbittlich sie ihn in Widerspruch mit sich selbst setzte, ebenso gnädig den Schmerz dieses Widerspruchs von ihm hinwegnimmt; denn so wie der Künstler unwillkürlich, und selbst mit innerem Widerstreben zur Produktion getrieben wird (daher bei den Alten die Aussprüche pati Deum usw., daher überhaupt die Vorstellung von Begeisterung durch fremden Anhauch), ebenso kommt auch das Objektive zu seiner Produktion gleichsam ohne sein Zutun, d. h. selbst bloß objektiv, hinzu. Ebenso wie der verhängnisvolle Mensch nicht vollführt, was er will oder beabsichtigt, sondern was er durch ein unbegreifliches Schicksal, unter dessen Einwirkung er steht, vollführen muß, so scheint der Künstler, so absichtsvoll er ist, doch in Ansehung dessen, was das eigentlich Objektive in seiner Hervorbringung ist, unter der Einwirkung einer Macht zu stehen, die ihn von allen andern Menschen absondert, und ihn Dinge auszusprechen oder darzustellen zwingt, die er selbst nicht vollständig durchsieht, und deren Sinn unendlich ist. Da nun jenes absolute Zusammentreffen der beiden sich fliehenden Tätigkeiten schlechthin nicht weiter erklärbar, sondern bloß eine Erscheinung ist, die, obschon unbegreiflich, doch nicht geleugnet werden kann, so ist die Kunst die einzige und ewige Offenbarung, die es gibt, und das Wunder, das, wenn es auch nur Einmal existiert hätte, uns von der absoluten Realität jenes Höchsten überzeugen müßte.
Das Kunstwerk reflektiert uns die Identität der bewußten und der bewußtlosen Tätigkeit. Aber der Gegensatz dieser beiden ist ein unendlicher, und er wird aufgehoben ohne alles Zutun der Freiheit. Der Grundcharakter des Kunstwerks ist also eine bewußtlose Unendlichkeit (Synthesis von Natur und Freiheit). Der Künstler scheint in seinem Werk außer dem, was er mit offenbarer Absicht darein gelegt hat, instinktmäßig gleichsam eine Unendlichkeit dargestellt zu haben, welche ganz zu entwickeln kein endlicher Verstand fähig ist. Um uns nur durch Ein Beispiel deutlich zu machen, so ist die griechische Mythologie, von der es unleugbar ist, daß sie einen unendlichen Sinn und Symbole für alle Ideen in sich schließt, unter einem Volk und auf eine Weise entstanden, welche beide eine durchgängige Absichtlichkeit in der Erfindung und in der Harmonie, mit der alles zu Einem großen Ganzen vereinigt ist, unmöglich annehmen lassen. So ist es mit jedem wahren Kunstwerk, indem jedes, als ob eine Unendlichkeit von Absichten darin wäre, einer unendlichen Auslegung fähig ist, wobei man doch nie sagen kann, ob diese Unendlichkeit im Künstler selbst gelegen habe, oder aber bloß im Kunstwerk liege.
In dem wahren Kunstwerk gibt es keine einzelne Schönheit, nur das Ganze ist schön.
Jeder sieht ein, daß in dem Begriff einer Philosophie der Kunst Entgegengesetztes verbunden werde. Die Kunst ist das Reale, Objektive, die Philosophie das Ideale, Subjektive. Man könnte also die Aufgabe der Philosophie der Kunst zum voraus schon so bestimmen: das Reale, welches in der Kunst ist, im Idealen darzustellen. Allein die Frage ist nun eben, was es heiße: ein Reales im Idealen darzustellen, und ehe wir dies wissen, sind wir über den Begriff der Philosophie der Kunst noch nicht im reinen. Wir haben also die ganze Untersuchung noch tiefer anzufassen. Da Darstellung im Idealen überhaupt = Konstruieren, auch die Philosophie der Kunst = Konstruktion der Kunst sein soll, so wird diese Untersuchung notwendig zugleich in das Wesen der Konstruktion tiefer eindringen müssen.
Der Zusatz Kunst in »Philosophie der Kunst« beschränkt bloß den allgemeinen Begriff der Philosophie, aber hebt ihn nicht auf. Unsere Wissenschaft soll Philosophie sein. Dies ist das Wesentliche; daß sie eben Philosophie sein soll in Beziehung auf Kunst, ist das Zufällige unseres Begriffs. Nun kann aber weder überhaupt das Accidentelle eines Begriffs das Wesentliche desselben verändern, noch kann Philosophie insbesondere als Philosophie der Kunst etwas anderes sein, als sie an sich und absolut betrachtet ist ... Es ist nur Eine Philosophie und Eine Wissenschaft der Philosophie; was man verschiedene philosophische Wissenschaften nennt, ist entweder etwas ganz Schiefes, oder es sind nur Darstellungen des Einen und ungeteilten Ganzen der Philosophie in verschiedenen Potenzen oder unter verschiedenen ideellen Bestimmungen.
Ich erkläre diesen Ausdruck hier, da er das erstemal wenigstens in einem Zusammenhang vorkommt, in dem es wichtig ist, daß er verstanden werde. Er bezieht sich auf die allgemeine Lehre der Philosophie von der wesentlichen und innern Identität aller Dinge und alles dessen, was wir überhaupt unterscheiden. Es ist wahrhaft und an sich nur Ein Wesen, Ein absolut Reales, und dieses Wesen als absolutes ist unteilbar, so daß es nicht durch Teilung oder Trennung in verschiedene Wesen übergehen kann; da es unteilbar ist, so ist Verschiedenheit der Dinge überhaupt nur möglich, insofern es als das Ganze und Ungeteilte unter verschiedenen Bestimmungen gesetzt wird. Diese Bestimmungen nenne ich Potenzen. Sie verändern schlechthin nichts am Wesen, dieses bleibt immer und notwendig dasselbe, deswegen heißen sie ideelle Bestimmungen. Z. B. das, was wir in der Geschichte oder der Kunst erkennen, ist wesentlich dasselbe mit dem, was auch in der Natur ist: jedem nämlich ist die ganze Absolutheit eingeboren, aber diese Absolutheit steht in der Natur, der Geschichte und der Kunst in verschiedenen Potenzen. Könnte man diese hinwegnehmen, um das reine Wesen gleichsam entblößt zu sehen, so wäre in allem wahrhaft Eins.
Die Philosophie nun tritt in ihrer vollkommenen Erscheinung nur in der Totalität aller Potenzen hervor. Denn sie soll ein getreues Bild des Universums sein – dieses aber = dem Absoluten, dargestellt in der Totalität aller ideellen Bestimmungen. – Gott und Universum sind eins, oder nur verschiedene Ansichten Eines und desselben. Gott ist das Universum von der Seite der Identität betrachtet, er ist Alles, weil er das allein Reale, außer ihm also nichts ist, das Universum ist Gott von seiten der Totalität aufgefaßt. In der absoluten Idee, die Prinzip der Philosophie ist, ist aber auch wieder Identität und Totalität eins. Die Vollkommene Erscheinung der Philosophie, sage ich, tritt nur in der Totalität aller Potenzen hervor. Im Absoluten als solchem, und demnach auch im Prinzip der Philosophie, ist es eben deswegen, weil es alle Potenzen begreift, keine Potenz, und hinwiederum nur, inwiefern in ihm keine Potenz ist, sind in ihm alle enthalten. Ich nenne dieses Prinzip eben deswegen, weil es keiner besonderen Potenz gleich ist, und doch alle begreift, den absoluten Identitätspunkt der Philosophie.
Dieser Indifferenzpunkt nun, eben weil er dies ist, und weil er schlechthin eins, untrennbar, unteilbar ist, ist notwendig wieder in jeder besonderen Einheit (so auch Potenz zu nennen), und auch dies ist nicht möglich, ohne daß in jeder dieser besonderen Einheiten wieder alle Einheiten, also alle Potenzen wiederkehren. Es ist also in der Philosophie überhaupt nichts als Absolutes, oder wir kennen in der Philosophie nichts als Absolutes – immer nur das schlechthin Eine, und nur dies schlechthin Eine in besonderen Formen. Philosophie geht – ich bitte Sie, dies streng aufzufassen – überhaupt nicht auf das Besondere als solches, sondern unmittelbar immer nur auf das Absolute, und auf das Besondere nur, sofern es das ganze Absolute in sich aufnimmt und in sich darstellt.
Wir können nun allerdings die einzelne Potenz herausheben aus dem Ganzen und für sich behandeln, aber nur, sofern wir wirklich das Absolute in ihr darstellen, ist diese Darstellung selbst Philosophie. Wir können alsdann diese Darstellung z. B. Philosophie der Natur, Philosophie der Geschichte, Philosophie der Kunst nennen.
Hiermit ist nun bewiesen: 1) daß sich kein Gegenstand zum Gegenstand der Philosophie qualifiziere, als insofern er selbst im Absoluten durch eine ewige und notwendige Idee gegründet und fähig ist, das ganze ungeteilte Wesen des Absoluten in sich aufzunehmen. Alle verschiedenen Gegenstände als verschiedene sind nur Formen ohne Wesenheit – Wesenheit hat nur Eines, und durch dieses Eine, was fähig ist, es als das Allgemeine in sich, seine Form, als Besonderes aufzunehmen. Es gibt also z. B. eine Philosophie der Natur, weil in das Besondere der Natur das Absolute gebildet, weil es demnach eine absolute und ewige Idee der Natur gibt. Ebenso eine Philosophie der Geschichte, eine Philosophie der Kunst.
Es ist hiermit 2) die Realität einer Philosophie der Kunst bewiesen, eben dadurch, daß ihre Möglichkeit bewiesen ist; es sind eben damit auch ihre Grenzen zugleich und ihre Verschiedenheit namentlich von der bloßen Theorie der Kunst gezeigt. Nämlich nur sofern die Wissenschaft der Natur oder Kunst in ihr das Absolute darstellt, ist diese Wissenschaft wirkliche Philosophie, Philosophie der Natur, Philosophie der Kunst. In jedem andern Fall, wo die besondere Potenz als besondere behandelt und für sie als besondere Gesetze aufgestellt werden, wo es also keineswegs um die Philosophie als Philosophie, die schlechthin allgemein ist, sondern um besondere Kenntnis des Gegenstandes, also einen endlichen Zweck zu tun ist – in jedem solchen Fall, kann die Wissenschaft nicht Philosophie, sondern nur Theorie eines besonderen Gegenstandes, wie Theorie der Natur, Theorie der Kunst heißen. Diese Theorie könnte allerdings ihre Prinzipien wieder von der Philosophie entlehnen, wie z. B. die Theorie der Natur von der Naturphilosophie, aber eben deswegen, weil sie nur entlehnt, ist sie nicht Philosophie.
Ich konstruiere demnach in der Philosophie der Kunst zunächst nicht die Kunst als Kunst, als dieses Besondere, sondern ich konstruiere das Universum in der Gestalt der Kunst, und Philosophie der Kunst ist Wissenschaft des Alls in der Form oder Potenz der Kunst. Erst mit diesem Schritt erheben wir uns in Ansehung dieser Wissenschaft auf das Gebiet einer absoluten Wissenschaft der Kunst.
Wenn die ästhetische Anschauung nur die objektiv gewordene transzendentale ist, so versteht sich von selbst, daß die Kunst das einzig wahre und ewige Organon zugleich und Dokument der Philosophie sei, welches immer und fortwährend aufs neue beurkundet, was die Philosophie äußerlich nicht darstellen kann, nämlich das Bewußtlose im Handeln und Produzieren und seine ursprüngliche Identität mit dem Bewußten. Die Kunst ist eben deswegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in Einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln, ebenso wie im Denken, ewig sich fliehen muß. Die Ansicht, welche der Philosoph von der Natur künstlich sich macht, ist für die Kunst die ursprüngliche und natürliche. Was wir Natur nennen, ist ein Gedicht, das in geheimer, wunderbarer Schrift verschlossen liegt. Doch könnte das Rätsel sich enthüllen, würden wir die Odyssee des Geistes darin erkennen, der, wunderbar getäuscht, sich selber suchend, sich selber flieht; denn durch die Sinneswelt blickt nur wie durch Worte der Sinn, nur wie durch halbdurchsichtigen Nebel das Land der Phantasie, nach dem wir trachten. Jedes herrliche Gemälde entsteht dadurch gleichsam, daß die unsichtbare Scheidewand aufgehoben wird, welche die wirkliche und idealistische Welt trennt, und ist nur die Öffnung, durch welche jene Gestalten und Gegenden der Phantasiewelt, welche durch die wirkliche nur unvollkommen hindurch schimmert, völlig hervortreten. Die Natur ist dem Künstler nicht mehr, als sie dem Philosophen ist, nämlich nur die unter beständigen Einschränkungen erscheinende idealistische Welt, oder nur der unvollkommene Widerschein einer Welt, die nicht außer ihm, sondern in ihm existiert.
Wer, ohne anschauliche Kenntnis von der Musik insbesondere zu haben, sich dennoch eine Anschauung des Verhältnisses von Rhythmus und rhythmischer Melodie zur Harmonie geben will, der vergleiche in Gedanken etwa ein Stück des Sophokles mit einem des Shakespeare. Ein Sophokles'sches Wort hat reinen Rhythmus, nur die Notwendigkeit ist dargestellt, es hat keine überflüssige Breite; Shakespeare dagegen ist der größte Harmonist, Meister im dramatischen Kontrapunkt; es ist nicht der einfache Rhythmus einer einzigen Begebenheit, es ist zugleich ihre ganze Begleitung und ihr von verschiedenen Seiten kommender Reflex, was uns dadurch vorgestellt wird. Man vergleiche z. B. den Oedipus und Lear. Dort nichts als die reine Melodie der Begebenheit, anstatt daß hier dem Schicksal des von seinen Töchtern verstoßenen Lear die Geschichte eines Sohnes, der von seinem Vater verstoßen, und so jedem einzelnen Moment des Ganzen wieder ein anderes Moment entgegengesetzt ist, von dem es begleitet und reflektiert wird.
Die Formen der Musik sind Formen der ewigen Dinge, inwiefern sie von der realen Seite betrachtet werden. – Denn die reale Seite der ewigen Dinge ist die, von welcher das Unendliche ihrem Endlichen eingeboren ist. Aber diese selbe Einbildung des Unendlichen in das Endliche ist auch die Form der Musik, und da die Formen der Kunst überhaupt die Formen der Dinge an sich sind, so sind die Formen der Musik notwendig Formen der Dinge an sich oder der Ideen ganz von ihrer realen Seite betrachtet.
Da dies nun allgemein bewiesen ist, so gilt es auch von den besonderen Formen der Musik, von Rhythmus und Harmonie, nämlich daß sie die Formen der ewigen Dinge ausdrücken, sofern diese ganz von der Seite ihrer Besonderheit betrachtet werden. Inwiefern dann ferner die ewigen Dinge oder die Ideen von der realen Seite in den Weltkörpern offenbar werden, so sind die Formen der Musik als Formen der real betrachteten Ideen auch Formen des Seins und des Lebens der Weltkörper als solcher, demnach die Musik nichts anderes als der vernommene Rhythmus und die Harmonie des sichtbaren Universums selbst.
Wir können jetzt erst die höchste Bedeutung von Rhythmus, Harmonie und Melodie festsetzen. Sie sind die ersten und reinsten Formen der Bewegung im Universum und, real angeschaut, die Art der materiellen Dinge den Ideen gleich zu sein. Auf den Flügeln der Harmonie und des Rhythmus schweben die Weltkörper; was man Centripetal- und Centrifugalkraft genannt hat, ist nichts anderes als dieser Rhythmus, jene Harmonie. Von denselben Flügeln erhoben schwebt die Musik im Raum, um aus dem durchsichtigen Leib des Lauts und Tons ein hörbares Universum zu weben.
Die Richtung der Kunst geht überall nicht auf das Sinnliche, sondern auf eine über alle Sinnlichkeit erhabene Schönheit.
Schon längst ist eingesehen worden, daß in der Kunst nicht alles mit dem Bewußtsein ausgerichtet wird, daß mit der bewußten Tätigkeit eine bewußtlose Kraft sich verbinden muß, und daß die vollkommene Einigkeit und gegenseitige Durchdringung dieser beiden das Höchste der Kunst erzeugt. Werke, denen dies Siegel bewußtloser Wissenschaft fehlt, werden durch den fühlbaren Mangel an selbstständigem, von dem Hervorbringenden unabhängigem Leben erkannt, da im Gegenteil, wo diese wirkt, die Kunst ihrem Werk mit der höchsten Klarheit des Verstandes zugleich jene unergründliche Realität erteilt, durch die es einem Naturwerk ähnlich erscheint.
Die Lage des Künstlers gegen die Natur sollte oft durch den Ausspruch klar gemacht werden, daß die Kunst, um dieses zu sein, sich erst von der Natur entfernen müsse, und nur in der letzten Vollendung zu ihr zurückkehre. Der wahre Sinn desselben scheint uns kein anderer sein zu können, als folgender. In allen Naturwesen zeigt sich der lebendige Begriff nur blindwirksam; wäre er es auf dieselbe Weise im Künstler, so würde er sich von der Natur überhaupt nicht unterscheiden. Wollte er sich aber mit Bewußtsein dem Wirklichen ganz unterordnen und das Vorhandensein mit knechtischer Treue wiedergeben, so würde er wohl Larven hervorbringen, aber keine Kunstwerke. Er muß sich also vom Produkt oder vom Geschöpf entfernen, aber nur, um sich zu der schaffenden Kraft zu erheben und diese geistig zu ergreifen. Hierdurch schwingt er sich in das Reich reiner Begriffe; er verläßt das Geschöpf, um es mit tausendfältigem Wucher wiederzugewinnen, und in diesem Sinn allerdings zur Natur zurückzukehren. Jenem im Innern der Dinge wirksamen, durch Form und Gestalt nur wie durch Sinnbilder redenden Naturgeist soll der Künstler allerdings nacheifern, und nur insofern er diesen lebendig nachahmend ergreift, hat er selbst etwas Wahrhaftes erschaffen. Denn Werke, die aus einer Zusammensetzung auch übrigens schöner Formen entstünden, wären doch ohne alle Schönheit, indem das, wodurch nun eigentlich das Werk oder das Ganze schön ist, nicht mehr Form sein kann. Es ist über die Form, ist Wesen, Allgemeines, ist Blick und Ausdruck des inwohnenden Naturgeistes.
Kaum zweifelhaft kann es nun sein, was von dem so durchgängig geforderten und sogenannten Idealisieren der Natur in der Kunst zu halten sei. Diese Forderung scheinet aus einer Denkart zu entspringen, nach welcher nicht die Wahrheit, Schönheit, Güte, sondern das Gegenteil von dem allem das Wirkliche ist. Wäre das Wirkliche der Wahrheit und Schönheit in der Tat entgegengesetzt, so müßte es der Künstler nicht erheben und idealisieren, er müßte es aufheben und vernichten, um etwas Wahres und Schönes zu erschaffen. Wie sollte aber irgend etwas außer dem Wahren wirklich sein können, und was ist Schönheit, wenn sie nicht das volle mangellose Sein ist?
Die äußere Seite oder Basis aller Schönheit ist die Schönheit der Form. Da aber Form ohne Wesen nicht sein kann, so ist, wo nur immer Form ist, in sichtbarer oder nur empfindbarer Gegenwart auch Charakter. Charakteristische Schönheit ist daher die Schönheit in ihrer Wurzel, aus welcher dann erst die Schönheit als Frucht sich erheben kann; das Wesen überwächst wohl die Form, aber auch dann bleibt das Charakteristische die noch immer wirksame Grundlage des Schönen.
Da die Zeichnung und Malerei zunächst auf Darstellung der Formen geht, und die Bedingung des Schönen, obgleich allerdings nicht die Vollendung des Schönen selbst, die Wohlgefälligkeit ist, so muß diese in der Zeichnung so weit gesucht werden, als sie den höheren Forderungen der Wahrheit und Richtigkeit keinen Eintrag tut.
Ich komme zu der Hauptforderung, welche an die Zeichnung gemacht werden muß, die Wahrheit, welche hier freilich nicht viel sagen wollte, wenn man darunter nur die Wahrheit verstünde, inwiefern sie durch getreue Nachahmung der Natur erreicht werden kann. Der Künstler, welcher sie im wahren Sinn erreichen will, muß sie noch viel tiefer suchen, als sie die Natur selbst angedeutet hat, und als die bloße Oberfläche der Gestalten zeigt. Er soll das Innere der Natur enthüllen, und also vorzüglich in Ansehung des würdigsten Gegenstandes, der menschlichen Gestalt, nicht bloß mit der gewöhnlichen Erscheinung sich begnügen, sondern die tiefer verborgene Wahrheit an die Oberfläche bringen. Er muß daher in den tiefsten Zusammenhang, das Spiel und die Schwingungen der Sehnen und Muskeln eindringen, und die menschliche Gestalt überhaupt nicht zeigen, wie sie erscheint, sondern wie sie in dem Entwurf und der Idee der Natur ist, welche keine wirkliche Gestalt vollkommen ausdrückt.
Was die Komposition betrifft, so versteht man darunter entweder die poetische Zusammensetzung des Gemäldes, von der hier nicht die Rede sein kann, oder die technische. In diesem Fall wird das Hauptbestreben der Zeichnung sein müssen, dem Raum in dem Gemälde an und für sich eine Bedeutung zu geben, und ihn zur Wohlgefälligkeit, Anmut und Schönheit des Ganzen zu gebrauchen.
Wenn man von Zeichnung rein als solcher sprechen will, so muß man Michelangelo nennen. Er bewies seine tiefe Kenntnis schon in einem der frühesten Werke, einem Karton, den man nur noch durch Benvenuto kennt (Beschreibung eines Überfalls nackter Krieger im Arno). Michelangelos Stil ist groß, ja schrecklich durch seine Wahrheit. Der Tiefsinn eines reichen und durchaus unabhängigen Geistes, die stolze Zuversicht auf sich selbst, der verschlossene Ernst der Gemütsart, Hang zur Einsamkeit sind in seinen Werken abgedrückt; ebenso bezeugen sie sein tiefes Studium der Anatomie, dem er zwölf Jahre lang oblag, und das er immer wieder bis ins hohe Alter vornahm, wodurch er in den verborgensten Mechanismus des menschlichen Körpers eindrang. Seine Gestalten sind nicht zarte, weichliche, sondern kräftige, starke und trotzige Gestalten (wie bei Dante). Beispiel: sein Jüngstes Gericht.
Die ganz ideale Form der Malerei ist das Helldunkel. Damit ergreift die Kunst den ganzen Schein des Körperlichen, und stellt ihn, abgehoben von dem Stoffe, als Schein und für sich dar.
Das Helldunkel ist der eigentlich magische Teil der Malerei, indem es den Schein aufs Höchste treibt. Durch das Helldunkel lassen sich nicht nur erhabene, frei von einander abstehende Figuren, zwischen denen das Auge sich ohne Widerstand hin- und herbewegt, sondern auch alle möglichen Effekte des Lichts hervorbringen. Durch die Künste des Helldunkels ist es sogar möglich geworden, die Bilder ganz selbständig zu machen, nämlich die Quelle des Lichts in sie selbst zu versetzen, wie in jenem berühmten Gemälde des Corregio, wo ein unsterbliches Licht, von dem Kinde ausgehend, die dunkle Nacht mystisch und geheimnisvoll erleuchtet. Bis zu dieser Höhe der Kunst reicht keine Regel, sondern nur eine für die zarteste Empfindung des Lichts und der Farben geschaffene Seele, eine Seele, die gleichsam selbst Licht ist, in deren inneren Anschauungen alles Widerstrebende, Widrige, Harte der Formen sich verschmilzt. Die Dinge, als besondere, können im Gegensatz der absoluten Idealität nur als Negationen erscheinen. Der Zauber der Malerei besteht aber darin, die Negation als Realität, Dunkel als hell, und dagegen die Realität in der Negation, das Hell als Dunkel erscheinen und durch die Unendlichkeit der Abstufungen das eine so in das andere übergehen zu lassen, daß sie in der Wirkung unterscheidbar bleiben, ohne in sich selbst unterschieden zu sein.
Das Prinzip, aus welchem die ganze Untersuchung über Verständlichkeit historischer Gemälde zu entscheiden ist, ist ohne allen Zweifel dieses: die historische Kenntnis der Begebenheit, welche dargestellt wird, nach allen ihren gegenwärtigen und vergangenen Bedingungen, trägt zum Genusse des Kunstwerks bei, allein diese Art des Genusses selbst liegt außer dem Kreis der Beabsichtigung des Künstlers. Sein Werk muß den Reiz nicht erst von diesem fremdartigen Interesse entlehnen. Viele Bildungen auf alten Kunstwerken sind unverständlich gewesen, man hat sie nachher durch gelehrten Fleiß entziffert; viele sind es noch, und sie verlieren dadurch nichts an der wahrhaft künstlerischen Schönheit.
Das Gemälde hat nur die innern Forderungen zu erfüllen, wahr, schön, ausdrucksvoll und allgemein bedeutend zu sein, so daß es des zufälligen Reizes, selbst von der Kenntnis der besonderen empirischen Begebenheit, die es vorstellt, allenfalls entbehren kann.
Objektive Zweckmäßigkeit oder objektive Identität des Subjektiven und Objektiven ist ursprünglich, d. h. unabhängig von der Kunst, nur im Organismus.
Die Architektur, um schöne Kunst zu sein, muß die Zweckmäßigkeit, die in ihr ist, als eine objektive Zweckmäßigkeit, d. h. als objektive Identität des Begriffs und des Dings, des Subjektiven und Objektiven, darstellen.
Die plastische Kunst ist vorzüglich nach drei Kategorien erkennbar. Die erste ist die Wahrheit oder das rein Notwendige, welches im Einzelnen auf Darstellung der Formen geht. Die zweite ist die Anmut, welche auf Maß und Verhältnis beruht. Die dritte, als die Synthesis der beiden ersten, ist die vollendete Schönheit selbst.
Die vorzüglichste Wirkung der Kunst und vorzugsweise der plastischen ist: daß das absolut Große, das an sich Unendliche in die Endlichkeit gefaßt, und wie mit Einem Blicke gemessen wird. Dies ist es, wodurch sich die Einbildung des Unendlichen ins Endliche für den Sinn ausdrückt. Das an sich und absolut Große, in die Endlichkeit gefaßt, wird dadurch nicht eingeschränkt und verliert nichts von seiner Größe, daß es dem Geist in der ganzen Begreiflichkeit eines Endlichen erscheint, vielmehr wird eben durch diese Faßlichkeit uns seine ganze Größe offenbar.
In Natur und Kunst strebt das Wesen zuerst nach der Verwirklichung oder Darstellung seiner selbst im Einzelnen. Darum zeigt sich die größte Strenge der Form in den Anfängen beider; denn ohne Begrenzung könnte das Grenzenlose nicht erscheinen; wäre nicht Härte, so könnte die Milde nicht sein, und soll die Einheit fühlbar werden, so kann dies nur durch Eigenheit, Absonderung und Widerstreit geschehen. Im Beginn daher erscheint der schaffende Geist ganz verloren in die Form, unzugänglich, verschlossen und selbst im Großen noch herb. Je mehr es ihm aber gelingt, seine ganze Fülle in Einem Geschöpf zu vereinigen, desto mehr läßt er allmählich von seiner Strenge nach, und wo er die Form völlig ausbildet, so daß er in ihr befriedigt ruht und sich selbst faßt, erheitert er sich gleichsam, und fängt an in sanften Linien sich zu bewegen. Dieses ist der Zustand der schönsten Reife und Blüte, wo das reine Gefäß vollendet dasteht, der Naturgeist frei wird von seinen Banden und seine Verwandtschaft mit der Seele empfindet. Wie durch eine linde Morgenröte, die über der ganzen Gestalt aufsteigt, kündigt sich die kommende Seele an; noch ist sie nicht da, aber alles bereitet sich durch das leise Spiel zarter Bewegungen zu ihrem Empfang: die starren Umrisse schmelzen und mildern sich in sanfte; ein liebliches Wesen, das weder sinnlich noch geistig, sondern unfaßlich ist, verbreitet sich über die Gestalt, und schmiegt sich allen Umrissen, jeder Schwingung der Gliedmaßen an. Dieses, wie gesagt, nicht greifliche und doch allen empfindbare Wesen ist, was die Sprache der Griechen mit dem Namen der Charis, die unsrige als Anmut bezeichnet.
Die Poesie hat nie einen Zweck außer sich.
Die erste Bestimmung des Epos ist so zu fassen: es stellt die Handlung in der Identität der Freiheit und Notwendigkeit dar, ohne Gegensatz des Unendlichen und Endlichen, ohne Streit und eben deswegen ohne Schicksal.
Es ist höchst auffallend, wenn man das homerische Epos selbst mit den frühesten Werken der lyrischen Poesie vergleicht, in ihm durchaus keine Anregung des Unendlichen zu finden. Das Leben und Handeln der Menschen bewegt sich, von der einen Seite betrachtet, in der reinen Endlichkeit, aber eben deswegen auch in der absoluten Identität der Freiheit und Notwendigkeit. Die Hülle, welche beide wie in der Knospe verschließt, ist noch nicht gebrochen, nirgends ist Empörung gegen das Schicksal, obgleich Trotz gegen die Götter, weil diese selbst nicht über- und außernatürlich sind, sondern mit in den Kreis menschlicher Begebenheiten fallen ... Noch viel weniger ist den Helden der Ilias irgendein Gefühl oder Widerstreit gegen das Schicksal verliehen, und das Epos stellt sich auf diese Weise höchst bedeutend zwischen die zwei anderen Gattungen, das lyrische Gedicht, wo der bloße Streit des Unendlichen und Endlichen, die Dissonanz der Freiheit und Notwendigkeit ohne vollständige und andere als subjektive Auflösung herrscht, und die Tragödie, wo der Streit und das Schicksal zugleich dargestellt ist. Die Identität, die in dem Epos noch verhüllt und als milde Gewalt herrschte, entladet sich da, wo ihr der Streit gegenüber steht, in herben und gewaltigen Schlägen. Die Tragödie kann insofern allerdings als Synthese des Lyrischen und Epischen betrachtet werden, da die Identität des letzteren in ihr durch den Gegensatz selbst sich in das Schicksal verwandelt. Das Epos, verglichen mit der Tragödie, ist also ohne Streit gegen das Unendliche, aber auch schicksallos.
Der Roman soll ein Spiegel der Welt, des Zeitalters wenigstens sein, und so zur partiellen Mythologie werden. Er soll zur heiteren, ruhigen Betrachtung einladen und die Teilnahme allenthalben gleich festhalten; jeder seiner Teile, alle Worte sollten gleich golden sein, wie in ein innerliches höheres Silbenmaß gefaßt, da ihm das äußerliche mangelt. Deswegen kann er auch nur die Frucht eines ganz reifen Geistes sein, wie die alte Tradition den Homeros immer als Greis schildert. Er ist gleichsam die letzte Läuterung des Geistes, wodurch er in sich selbst zurückkehrt und sein Leben und seine Bildung wieder in Blüte verwandelt; er ist die Frucht, jedoch mit Blüten gekrönt.
Alles im Menschen anregend soll der Roman auch die Leidenschaft in Bewegung setzen; das höchste Tragische ist ihm erlaubt wie das Komische, nur daß der Dichter selbst von beidem unberührt bleibe. –
Die Novelle, um dies im Vorbeigehen zu bemerken, da wir uns auf alle diese Untergattungen nicht insbesondere einlassen können, ist der Roman nach der lyrischen Seite gebildet, gleichsam, was die Elegie in bezug auf das Epos ist, eine Geschichte zur symbolischen Darstellung eines subjektiven Zustandes oder einer besonderen Wahrheit, eines eigentümlichen Gefühls. –
Es leuchtet aus diesen wenigen Zügen ein, was der Roman nicht sein darf, im höchsten Sinn genommen: keine Musterkarte von Tugenden und Lastern, kein psychologisches Präparat eines einzelnen menschlichen Gemüts, das wie in einem Kabinett aufbewahrt würde. Es soll uns an der Schwelle keine zerstörende Leidenschaft empfangen und durch alle ihre Stationen mit sich fortreißen, die den Leser zuletzt betäubt am Ende eines Wegs zurückläßt, den er um alles nicht noch einmal machen möchte. Auch soll der Roman ein Spiegel des allgemeinen Laufs menschlicher Dinge und des Lebens, also nicht bloß ein partielles Sittengemälde sein, wo wir nie über den engen Horizont sozialer Verhältnisse auch etwa der größten Stadt oder eines Volks von beschränkten Sitten hinausgeführt werden, der endlosen schlechteren Stufen noch tiefer herabgehender Verhältnisse nicht zu gedenken.
Daraus folgt natürlich, daß fast die gesamte Anzahl dessen, was man Roman nennt, – wie Falstaff seine Miliz Futter für Pulver nennt, – Futter für den Hunger der Menschen ist, für den Hunger nach materieller Täuschung und für den unersättlichen Schlund der Geistesleere und derjenigen Zeit, die vertrieben sein will.
Es wird nicht zu viel sein, zu behaupten, daß es bis jetzt nur zwei Romane gibt, nämlich den Don Quijote des Cervantes und den Wilhelm Meister von Goethe, jener der herrlichsten, dieser der gediegensten Nation angehörig.
Das Wesentliche der Tragödie ist ein wirklicher Streit der Freiheit im Subjekt und der Notwendigkeit als objektiver, welcher Streit sich nicht damit endet, daß der eine oder der andere unterliegt, sondern daß beide siegend und besiegt zugleich in der vollkommenen Indifferenz erscheinen.
Die höchste Erscheinung der Kunst ist, da Freiheit und Notwendigkeit die höchsten Ausdrücke des Gegensatzes sind, der der Kunst überhaupt zugrunde liegt, – diejenige, worin die Notwendigkeit siegt, ohne daß die Freiheit unterliegt, und hinwiederum die Freiheit obsiegt, ohne daß die Notwendigkeit besiegt wird.
Alle tragischen Mythen der Griechen gehörten schon von Anbeginn mehr der Kunst an, und ein beständiger Verkehr der Götter und Menschen wie des Schicksals war in ihnen einheimisch, also auch der Begriff eines unwiderstehlichen Einflusses. Vielleicht spielt selbst der Zufall in dem unergründlichsten der Shakespeareschen Stücke (Hamlet) eine Rolle, aber Shakespeare hat ihn selbst mit seinen Folgen erkannt, und er ist daher wieder Absicht bei ihm und wird zum höchsten Verstande.
Wenn wir nach diesem mit Einem Wort ausdrücken wollen, was Shakespeare in Bezug auf die Hoheit der alten Tragödie ist, so werden wir ihn den größten Erfinder im Charakteristischen nennen müssen. Er kann nicht jene hohe, im Schicksal sich bewährende, gleichsam geläuterte und verklärte Schönheit, die mit der sittlichen Güte in Eins fließt, – und auch diejenige Schönheit, die er darstellt, nicht so darstellen, daß sie im Ganzen erschiene, und das Ganze jedes Werks ihr Bild trüge. Er kennt die höchste Schönheit nur als einzelnen Charakter. Er hat ihr nicht alles unterordnen können, weil er als Moderner, als der das Ewige nicht in der Begrenzung, sondern im Unbegrenzten auffaßt, zu ausgedehnt ist in der Universalität. Die Alten hatten eine konzentrierte Universalität, die Allheit nicht in der Vielheit, sondern in der Einheit.
Es ist nichts im Menschen, das Shakespeare nicht berührte, aber er berührt dies einzeln, da die Griechen es in der Totalität berühren. Die Elemente der menschlichen Natur von den höchsten bis zu den niedrigeren liegen zerstreut in ihm: er kennt alles, jede Leidenschaft, jedes Gemüt, die Jugend und das Alter, den König und den Hirten. Aus der Reihe seiner Werke würde man die verloren gegangene Erde wieder schaffen können. Allein jene alte Lyra lockte aus vier Tönen die ganze Welt: das neue Instrument ist tausendsaitig, es zerspaltet die Harmonie des Universums, um sie zu erschaffen, und darum ist es stets weniger besänftigend für die Seele. Die strenge, alles lindernde Schönheit kann nur mit Einfachheit bestehen.
Der Natur des romantischen Prinzips gemäß stellt die moderne Komödie die Handlung als Handlung nicht rein, isoliert und in der plastischen Beschränkung des alten Drama dar, sondern sie gibt zugleich ihre ganze Begleitung. Allein Shakespeare hat dafür seiner Tragödie die gedrungenste Fülle und Prägnanz in allen Teilen, auch nach der Richtung der Breite, gegeben, doch ohne willkürlichen Überfluß, sondern so, daß er als der Reichtum der Natur selbst erscheint, mit künstlerischer Notwendigkeit aufgefaßt. Die Intention des Ganzen bleibt klar und geht dann wieder in eine unerschöpfliche Tiefe, in die alle Ansichten sich versenken können.
Was Menschen beginnen, wie und wo sie es tun können, dies alles hat Shakespeare gewußt: er ist daher allenthalben zu Haus; nichts ist ihm fremd oder wunderbar. Er beobachtet ein weit höheres Kostüm als das der Sitten und Zeiten. Der Stil seiner Stücke ist nach dem Gegenstand gebildet und verschieden von einander (nur nicht etwa nach Chronologie) bis auf Härte, Weichheit, Regelmäßigkeit, Ungebundenheit der Verse, die Kürze und Abgebrochenheit oder die Länge der Personen.
Daß Shakespeare bloß durch eine glückliche Begeisterung und in unbewußter Herrlichkeit gedichtet habe, ist ein sehr gemeiner Irrtum und die Sage einer gänzlich verbildeten Zeit gewesen.
Es gibt nicht nur ein Schicksal für das Handeln; auch dem Wissen des Individuums als Individuum steht das An-sich des Universums und der Natur als eine unüberwindliche Notwendigkeit vor. Des Unendlichen als Unendlichen kann nicht das Subjekt als Subjekt genießen, welches doch ein notwendiger Hang desselben ist. Hier also ein ewiger Widerspruch. Dies ist gleichsam eine idealere Potenz des Schicksals, welches hier mit dem Subjekt nicht minder wie im Handeln im Gegensatz ist und im Kampfe liegt. Die aufgehobene Harmonie kann sich hier nach zwei Seiten ausdrücken, und der Streit einen gedoppelten Ausweg suchen. Der Ausgangspunkt ist der unbefriedigte Durst, das Innere der Dinge zu schauen und als Subjekt zu genießen, und die erste Richtung die, die unersättliche Begier außer dem Ziel und Maß der Vernunft durch Schwärmerei zu stillen ... Der andere Ausweg des unbefriedigten Strebens des Geistes ist der, sich in die Welt zu stürzen, der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen. Auch in dieser Richtung ist der Ausgang entschieden; auch hier nämlich ist es ewig unmöglich, als Endliches des Unendlichen teilhaftig zu werden ... In Goethes Faust sind diese beiden Richtungen dargestellt oder vielmehr unmittelbar vereinigt, so daß aus der einen zugleich die andere entspringt.
Die Kunst entspringet nur aus der lebhaften Bewegung der innersten Gemüts- und Geisteskräfte, die wir Begeisterung nennen. Alles, was von schweren oder kleinen Anfängen zu großer Macht und Höhe herangewachsen, ist durch Begeisterung groß geworden. So Reiche und Staaten, Künste und Wissenschaften. Aber nicht die Kraft des Einzelnen richtet es aus; nur der Geist, der sich im Ganzen verbreitet. Denn die Kunst insbesondere ist, wie die zarteren Pflanzen von Luft und Witterung, so von öffentlicher Stimmung abhängig, sie bedarf eines allgemeinen Enthusiasmus für Erhabenheit und Schönheit, wie jener, der in dem Medicäischen Zeitalter gleich einem warmen Frühlingshauch alle die großen Geister zumal und auf der Stelle hervorrief, einer Verfassung, wie uns Perikles im Lob Athens schildert, und die uns die milde Herrschaft eines väterlichen Regenten sicherer und dauernder als Volksregierung gewährt; wo jede Kraft freiwillig sich regt, jedes Talent mit Lust sich zeigt, weil jedes nur nach seiner Würdigkeit geschätzt wird; wo Untätigkeit Schande ist, Gemeinheit nicht Lob bringt, sondern nach einem hochgesteckten außerordentlichen Ziel gestrebt wird. Nur dann, wenn das öffentliche Leben durch die nämlichen Kräfte in Bewegung gesetzt wird, durch welche die Kunst sich erhebt, nur dann kann diese von ihm Vorteil ziehen; denn sie kann sich, ohne den Adel ihrer Natur aufzugeben, nach nichts Äußerem richten. Kunst und Wissenschaft können beide nur um ihre eigene Achse sich bewegen; der Künstler, wie jeder geistig Wirkende nur dem Gesetz folgen, das ihm Gott und Natur ins Herz geschrieben, keinem andern. Ihm kann niemand helfen, er selbst muß sich helfen; so kann ihm auch nicht äußerlich gelohnt werden, da, was er nicht um seiner selbst willen hervorbrächte, alsobald nichtig wäre; eben darum kann ihm auch niemand befehlen oder den Weg vorschreiben, welchen er wandeln solle. Ist er beklagenswert, wenn er mit seiner Zeit zu kämpfen hat: so verdient er Verachtung, wenn er ihr fröhnt. Und wie vermöchte er auch nur dieses? Ohne großen allgemeinen Enthusiasmus gibt es nur Sekten, keine öffentliche Meinung. Nicht ein befestigter Geschmack, nicht die großen Begriffe eines ganzen Volkes, sondern die Stimmen einzelner willkürlich aufgeworfener Richter entscheiden über Verdienst, und die Kunst, die in ihrer Hoheit selbst genügsam ist, buhlt um Beifall und wird dienstbar, da sie herrschen sollte.
Ich bemerke nur noch, daß die vollkommenste Zusammensetzung aller Künste, die Vereinigung von Poesie und Musik durch Gesang, von Poesie und Malerei durch Tanz, selbst wieder synthesiert die komponierteste Theatererscheinung ist, dergleichen das Drama des Altertums war, wovon uns nur eine Karikatur, die Oper geblieben ist, die in höherem und edlerem Stil von Seiten der Poesie sowohl als der übrigen konkurrierenden Künste uns am ehesten zur Aufführung des alten mit Musik und Gesang verbundenen Dramas zurückführen könnte.
Musik, Gesang, Tanz, wie alle Arten des Drama, leben selbst nur im öffentlichen Leben und verbünden sich in diesem. Wo dieses verschwindet, kann statt des realen und äußerlichen Dramas, an dem, in allen seinen Formen, das ganze Volk, als politische oder sittliche Totalität, Teil nimmt, ein innerliches, ideales Drama allein noch das Volk vereinigen. Dieses ideale Drama ist der Gottesdienst, die einzige Art wahrhaft öffentlicher Handlung, die der neueren Zeit, und auch dieser späterhin nur sehr geschmälert und beengt geblieben ist.
Wenn es nun aber die Kunst allein ist, welcher das, was der Philosoph nur subjektiv darzustellen vermag, mit allgemeiner Gültigkeit objektiv zu machen gelingen kann, so ist zu erwarten, daß die Philosophie, so wie sie in der Kindheit der Wissenschaft von der Poesie geboren und genährt worden ist, und mit ihr alle diejenigen Wissenschaften, welche durch sie der Vollkommenheit entgegengeführt werden, nach ihrer Vollendung als ebensoviel einzelne Ströme in den allgemeinen Ozean der Poesie zurückfließen, von welchem sie ausgegangen waren. Welches aber das Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft zur Poesie sein werde, ist im allgemeinen nicht schwer zu sagen, da ein solches Mittelglied in der Mythologie existiert hat, ehe diese, wie es jetzt scheint, unauflösliche Trennung geschehen ist. Wie aber eine neue Mythologie, welche nicht Erfindung des einzelnen Dichters, sondern eines neuen, nur Einen Dichter gleichsam vorstellenden Geschlechts sein kann, selbst entstehen könne, dies ist ein Problem, dessen Auflösung allein von den künftigen Schicksalen der Welt und dem weiteren Verlauf der Geschichte zu erwarten ist.