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I. Briefe der jungen Caroline aus Göttingen

1778-1784

»Soll ich Dir noch eins sagen, das auch wohl Folge einer kleinen Sonderbarkeit ist, ich würde, wenn ich ganz mein eigner Herr wäre, und außerdem in einer anständigen und angenehmen Lage leben könte, weit lieber gar nicht heyrathen, und auf andre Art der Welt zu nuzen suchen.«

*

1. An Luise Stieler

Göttingen d. 7. Oct. 1778

Könt ich Dir doch, beste theüerste Freündinn, die Empfindungen meines Herzens ausdrüken! Aber ich kans nicht, und warum solt ich etwas unternehmen, wovon ich schon zum voraus sehe, daß ich nie Worte genug werde finden, die Dir ganz das sagten, was mein dankbahres Herz für Dich fühlt! Mit welcher Schonung tröstest Du mich. Nein, Louise, ich kan nie ganz unglüklich seyn, da Du meine Freündinn bist. Glaub es nur, ich bin keine Schwärmerinn, keine Enthousiastinn, meine Gedanken sind das Resultat von meiner, wens möglich ist, bei kalten Blut angestellten Überlegung. Ich bin gar nicht mit mir zufrieden, mein Herz ist sich keinen Augenblick selbst gleich, es ist so unbeständig, Du must das selbst wißen, da Dir meine Briefe immer meine ganze Seele schildern. Ich habe wahres festes Vertrauen auf Gott, ich bitte ihn so sehnlich mich glücklich zu machen, aber ich habe so verschiedne Wünsche, wodurch ich das zu werden suchte, daß, wenn er sie alle nach meiner Phantasie erfüllen wolte, ich nothwendig unglüklich werden müste. Du mein Gott, der du mein Herz kenst, der du mich schufst, erfülle keinen Wunsch, der dir misfällig, ich verlaße mich auf dich!

Hätte ich nicht ein so muntres Temperament als ich wirklich besize, wie würds da um mich aussehen! Wie viele Ursachen zur Betrübniß habe ich nicht, und doch vergeße ich sie so leicht, tröste mich so gut ich kann und laße Gott für das Übrige sorgen. Daß mir meine Geschwister von meiner Mutter vorgezogen werden, ist das nicht schon Kränkung genug? dazu komt eine so fehlgeschlagne Erwartung, und doch will ich die am leichtesten verschmerzen; aber, meinen guten Nahmen verlohren zu haben, doch so arg ists vielleicht nicht, meine Einbildungskraft vergrößert mir mein Unglük, aber doch bin ich wenigstens das Gespräch des schlechtern Theils unsrer Stadt, und das durch eine Ursache, an der ich so wahrhaftig unschuldig bin, bloß meine Unbesonnenheit hat mich da hieneingestürzt, ich darfs Dir nicht schreiben, weils meine Mutter verboten hat, Du weist noch gar nichts davon. Habe ich einmal eine einsame Stunde, wo ich nicht fürchten darf überrascht zu werden, so solst Du es erfahren, aber bis dahin bitte ich Dich laß Dir nichts davon merken.

Mein Bruder ist glüklich in London angekommen. Aber Louise, kein Wort, kein einziges Wort von ihm in Deinem lezten Briefe, warumm nicht? fürchtest Du Dich ihn zu bedauern? lieber hättest Du es nur von Grund des Herzens thun sollen, als diese Furcht davor, Dein Stillschweigen verrieth mehr als die beredteste Theilnehmung hätte thun können. Er geht nach America als Stabs Medicus bei den Heßen, die Bedingungen sind sehr vortheilhaft, und wenn er wieder zurückkömt, so ist ihm eine Versorgung auf Lebenszeit gewiß. Ich bin sehr betrübt darüber, die anscheinende Lebens Gefahr bei dieser Bedienung durchdringt mich mit Furcht, und ich weis gewiß, das gütige theilnehmende Herz meiner Louise wird meine Besorgniße theilen, solte sie es auch nur durch Stillschweigen zu erkennen geben. Nicht wahr, meine Beste.

Ganz gewiß ist die Sache noch nicht, es beruht aber nur jezt bloß auf seiner Entscheidung, und da habe ich nicht viel mehr Hofnung übrig, daß die Sache noch zurükgehen könte, Du weist wie er ist, sein entschloßnes Temperament scheüt keine Gefahr, ich fürchte also Europa verliert ihn. Wenn nur sein Leben nicht in Gefahr wäre. Gott beschüze ihn!...

Mache an Deinen lieben Vater tausend Emphelungen von mir, vergist er auch mich wohl, bringe Du mich wieder bei ihm in Errinrung. Deiner lieben Mutter küße die Hände in meinen Nahmen, Deine lieben Geschwister umarme statt meiner, und Du, meine theüre Louise, waß kann, waß soll ich Dir sagen, daß im Stande wäre nur das geringste von dem auszudrüken, waß ich für Dich fühle.

Caroline Michaelis.

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2. An Luise Stieler

Göttingen den 15ten May 1780

...Ob ich Oberon gelesen habe, ob er mir gefallen hat? Welch eine Frage, wie könt ich sonst leben? Wo ist der Mensch, der so schiefen Kopfs und harten Sinns gewesen wäre nicht darüber entzückt zu seyn. – Im Ernst aber, er hat mir sehr gut gefallen und ich wüste in der Art nicht leicht etwas interreßanters gelesen zu haben ...

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3. An Luise Gotter

Göttingen d. 8. September 1780

... Du kenst doch gewiß, Dank seys der Göttin des Ruhms! unsre göttingische Muse Mlle Gatterer, und ihre Gedichte. Wie wahr ist doch das Sprichwort: Kein Prophet gilt in seinen Vaterlande, und wie sehr recht hat Miss G., wenn sie sagt, man weiß mich hier nicht zu schäzen. Hier redt man nicht von ihr, man bewundert sie nicht, ohngeachtet ihres lebhaften Verstands, ihres feurigen Wizes, der lezte hat im Gegentheil [sie] schon manchen Unannehmlichkeiten bloß gestellt, und kaum läst sie sich auswärts blicken, so ist alles voll von ihr. Sie hat kürzlich eine Reise nach Caßel gemacht, und hat so viel Beyfall gefunden, daß man fürchtet, sie werde ganz betäubt davon werden. Tischbein hat sie gemahlt als Muse in einem himmelblauen Gewand, auf die Leyer gestüzt und einen Kranz von Lorbeern und Rosen im Haar. Ein Bild hat er ihr im schönen Rahmen hieher geschickt, das zweyte hat er behalten, das dritte ist in der Caßelschen Bilder Gallerie aufgestellt worden. Sie ist nichts wenger als schön, das Portrait soll ähnlich seyn und doch hübsch. Das ist das schöne der Kunst. Aber was würde nicht Tischbeins Pinsel verschönern? ... Kurz ihr ist so viel Ehre wiederfahren, daß es kein Wunder ist, wenn ihr der Kopf schwindelt. Vor den Leipziger Almanach wird sie in Kupfer gestochen werden.

Zu diesem allen sezt nun noch die leidige Medisance so sehr viel zu, waß sie alles von sich selbst bey diesen Gelegenheiten gesagt haben soll, daß ichs nicht wiederholen will, weil vermuthlich der gröste Theil falsch ist. Wenn die Gatterer aber mehr Bescheidenheit hätte, so würde sie noch sehr viel liebenswürdiger. Ihr Herz ist gewiß gut, ihr Verstand untadelhaft, aber für ein Frauenzimmer hat sie zu viel Muth, denkt und redt zu frey, hat überhaupt so wenig vom sanften weiblichen Charakter, als daß sie aus dem Gesichtspunkt betrachtet gefallen würde. Ich habe Briefe von ihr, denn ich habe hier mit ihr correspondirt, die ihr immer Ehre machen.

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4. An Luise Gotter

Göttingen d. 12. Januar 1781

... Daß doch die alten Onkels und Tanten immer und ewig alles Unheil stiften müßen. Ich wolte, sie ließen endlich einmal die liebe Jugend in Frieden die mühselige Lebensbahn durchwandern, quälten die Leute nicht mehr und begäben sich zur Ruhe. Stell Dir vor, da hat der arme Link so einen alten Abscheu von Onkel, der unglücklicher weise sein Vormund seyn muß, und noch überdies sein zeitliches Glück so ziemlich in Händen hat, denn er ist reich. Der last sich einfallen, alle Briefe von Links Freund aus Göttingen aufzufangen, und entblödet sich nicht allein sie zurückzuhalten, sondern möchte ihm auch gar zu gern mit eigner hoher Hand eine liebe Frau geben. Wahrhaftig es ist unausstehlich! Ist je ein solcher Frevel erfunden worden?... Was wird draus werden? Nächstens werd ich Euch ein Avertissement eines Romans, betitelt: Der alte Onkel, schicken, den ich auf Subscription und Praenumeration herauszugeben gedenke, troz Herr Wezels Gefahren der Empfindsamkeit! Ich lache wohl drüber, aber freylich wie einer der mit Thränen in den Augen den Mund zum Lächeln zieht. Du frugst mich, liebe Louise, ob ich an Linken geschrieben hätte. Nein, das würde weder mit meiner Pflicht, noch mit meinen Grundsäzen bestehn können. L. correspondirt blos mit seinem Freund, der ihm wohl Nachricht von mir giebt, aber dem ich weder etwas an ihn, noch er etwas an mich aufträgt. Weiter werde ich mich nicht einlaßen. Ich bin nicht so romanhaft gesint, daß ich dächte, L. oder keinen, und da ich das nicht bin, so würd ich schlecht zu handeln glauben, wenn ich weiter ginge. Beste theure Louise, ich will nicht meine guten Eltern, meinen geliebten Bruder betrüben, nicht meiner Schwester Fehler durch mein Beyspiel rechtfertigen, nicht meiner Louise Freundschaft unwerth handeln, und wäre die Stimme der Leidenschaft auch noch so stark, so würd ich mich dennoch besiegen, denn die Redlichkeit meiner Gesinnungen und gutes Herz sind mir mehr wehrt als zeitliches Glück. So denk ich jezt, und Gott erhöre mein ernstliches Gebet, daß ich immer so denken möge. – In Gotha habe ich Link kaum genant, ich wollte, mochte nicht mich meinen Ideen zu sehr überlaßen, auch bitt ich Dich, antworte mir lieber nicht hierauf, denn es erneuert nur immer ein Andenken, daß ich, wo nicht ganz unterdrücken, doch nicht zu lebhaft werden laßen sollte. Also auf lange lange Zeit leb wohl, Lieb! Du warst gut und liebenswürdig, und Dein Schicksaal müße glücklich seyn!

... Jeder neue Brief von Lotten macht sie mir immer lieber. Ich kan das nicht beschreiben, welche Freude ich über ihre Beßrung empfinde, sie belohnt mich beynah für die trüben Stunden deren mir das arme irrende Mädchen so viel gemacht hat. Wenn sie will, so kan sie sehr gut werden. Heute habe ich einen Brief von Therese Heyne gelesen, der mich beynah wieder mit ihr ausgesöhnt hat. Er war an Lotten, sie werden immer offen in unser Haus geschickt, nachdem meine Mutter Mad. Heyne ihre Besorgniß mitgetheilt hat, daß durch ihre Töchter, die ganz auf Hockels Seite sind, Lotte etwas von diesen erfahren möchte. Vielleicht bekömst Du ihn auch zu lesen, denn ich weiß eben durch die Briefe von Theresen, daß Dein Mann welche davon gesehn hat. Er wird Deinen Beyfall haben, so wie er den meinigen ganz hatte. Das war eben die Seite, durch welche Therese mich blendete. Sie hat auch wirklich diese Grundsäze, das glaub ich immer behaupten zu können. Aber jezt wird sie zu sehr vom Wirbel fortgerißen, als daß sie sie so wie sonst ausüben könte. Man verzeiht ihr nur ihr sehr freyes Wesen eher, weil es in ihren Temperament zu liegen scheint. Sie spricht unaufhörlich und immer wizig, daher wird sie einigen unerträglich und blendet manche. Im Ganzen ist man ihr nicht gut, aber sie hat verschiedne declarirte Anbeter. Heimliche Schritte wird man ihr aber nicht Schuld geben können, doch würde ihr Ruf auch nicht sich so erhalten haben, wenn sie das Ansehn ihrer Mutter nicht schüzte, da diese die Tochter eines Mannes ist, von dem beynah die Universität abhängt, in Hannover viel Freunde hat und überdem eine würdige Frau ist. Mit Damens hat die Heynen so wenig wie die Blumenbach Umgang, aber sie sind bey allen möglichen öffentlichen Belustigungen und versäumen sie nie, Heynens sind jedesmal die ersten, die dabey genant werden. Sie haben also blos mit Herrens Umgang, die auch meistentheils in ihr Haus freyen Zutritt haben. Das verleitet, fürchte ich, Theresen Schritte zu thun, die sich nicht mit ihren ehemaligen Reden reimen. Aber bey allen ihren guten Grundsäzen, hat sie viel Falschheit und – ich will nicht so streng seyn zu sagen, ein böses Herz, aber doch auch nicht die geringste Gutherzigkeit. Da ich noch so vertraut mit ihr war, warnte mich mancher vor sie, man bat mich so oft ihr nicht zu trauen, aber Du weist, wie ich bin, ich vertheidigte sie immer mit dem grösten Feuer, man konte mich nicht bittrer kränken, als wenn man mir übel von ihr redte. Hätt ich nur gefolgt. Sie hat mich nunmehr Mistrauen gelehrt, aber die Erfahrung ist mir sehr sehr theuer zu stehn gekommen. Sie brach mit mir plözlich unter dem unbedeutendsten Vorwand, ich war untröstlich, und ob ich gleich auf meine Unschuld hätte stolz seyn können, so gab ich ihr doch die besten Worte. Umsonst, sie antwortete mir mit der bittersten Verachtung! Da erhob sich das Gefühl meiner selbst, ich ward aufgebracht. Und nun lockte sie mich wieder durch Freundlichkeit, um mich wieder zurückzustoßen. Das geschah vor einem Jahr. Seitdem kamen wir gar nicht zusammen, sie wählte sich eine andere Vertraute, und ich hätte sie vergeßen, wenn ich da nicht aufeinmal, durch Lottens Brief an Hockel, den wir fanden, entdeckt hätte, waß sie gegen mich im Sinn hatte. Sie war mit dieser nachgrade bekanter worden, und da sonst Lotte nicht einmal mit mir zu Heynens gehn durfte, weil sie Verführung für die jüngere Tochter Marianne befürchteten, so ward sie nun der Gegenstand der Zuneigung, weil sie, da ich unmöglich ihres Betragens wegen auf ihrer Seite seyn konte, auch nicht auf der meinigen war. Lotte bekam also den Auftrag aus meinen Papieren Theresens Briefe zu suchen, und wenn sie sie zurückhätte und nicht eine ähnliche Rache befürchten dürfe, so wolte sie die meinigen an sie auszubreiten suchen, Hockel war mit in dieser Verschwörung. Ich sank nieder, wie ich den Brief las – o meine Louise, wie gern dankte ich dir in diesen Augenblick, daß Du fern von Falsch meine wahre Freundinn bist, ich kans nicht, glaub aber nur, daß mein Herz ihn fühlt. – Denselben Tag schrieb sie mir ein Billet und forderte ihre Briefe zurück, denn da sie alle verbrannt waren, hatte Lotte keine finden können. Meine Mutter antwortete für mich, daß ich keine mehr hätte. Nun brach das ganze Ungewitter auf mich los. Therese und Hockel mit seinen Anhängern suchten mich auf alle ersinnliche Weise zu stürzen und aufs empfindlichste zu kränken. Ach es gelang ihnen nur zu gut! Wenn gleich nicht das erste, aber das lezte ganz. Ich habe alles gelitten, was nur eine jugendliche Seele leiden konte. Es zerrüttete meinen ganzen Körper. Ich unterlag bald meinen Schmerz, aber O Religion, Du Trösterinn der Allertrostlosesten! Dir dank [ich]s daß ich nicht verzweifelte, und nun wieder zu einen Grad von Ruhe gelangt bin. Gott beßerte mein Herz und zog mich zu sich.

Dazu kam noch die ewige Besorgniß wegen Lotten, und die unnenbaren Arten, durch die sie mich täglich kränkte, die im Grund Kleinigkeiten sind, aber ein fühlbarers Herz tief rühren. Denk Dir also meine entsezliche Lage, ach liebe Louise, wie manche Nacht hab ich durchweint, wie oft erblickte ich das Licht des Tages ohn ein Auge geschloßen zu haben. Die Reise zu Dir gab mir wieder neues Leben, und befreyte mich zugleich von einen Theil meines Kummers. Ich will auch nun nicht mehr klagen, ich habe doch viel Freunde in Familien, und da ich nicht mehr im rauschenden Zirkel von Göttingen bin, und nicht den mindesten Anlaß geben kan übel von mir zu reden, so wird Meiner Feinde Rache von selbst unkräftig werden. Ich habe nie von Theresen übel gesprochen, und werde es nie thun, aber ich weiß, daß sie sogar im Gespräch mit Studenten meinen Nahmen aufs bitterste schmäht. Äußerlich ist sie, wenn wir von ohngefähr wo zusamen kommen, sehr freundlich. Wie oft fält mir dann Leisewizens Schildrung einer solchen Lage in Guidos von Tarent Munde ein. Sie hat nun wieder neben Lotten eine neue Freundinn; die nach mir folgte, ist schon wieder vergeßen. Über Blumenbach und seine Frau spottete sie sonst, auch wo keine Ursach war, jezt ist sie mit Leib und Seele die ihrige. Friedericke Böhmer ist zu sehr meine Freundinn, überdem ist der Contrast was Schönheit betrift zu groß, als daß sie ihr gut seyn könte, denn das Therese häßlich ist, das ist die allgemeine Stimme.

Wer war nun Anstifter alles des Unheils? Link war der unschuldige Urheber, er, der sein Leben gegeben hätte mir zu dienen. Es war gut, daß er bey allen diesen Scenen nicht mehr hier war, er wäre rasend geworden, und um sich zu rächen hätte er uns beyde unglücklich gemacht. Sie glaubte, er mache ihr die Cour, weil er sich mit ihren Wiz amüsirte, das schrieb sie mir so deutlich, wie ichs Dir hier sage. Sie fand sich nachher betrogen und war ihm gut – –

Ich möchte ihm wohl gram drum seyn, wenn ich nur könte. Bey dem allen glaube ich, daß Therese, ohne diese unselige Anlage zur Falschheit, mit etwas Dämpfung ihrer zu großen Lebhaftigkeit ein vorzügliches Mädchen seyn würde. Sie hat ihr Gefühl für Religion, so lang ich sie kante, nie verläugnet, aber wozu kan nicht verschmähte Neigung und Mangel an Gutherzigkeit verbunden, fähig machen. Ich werde nicht unversöhnlich seyn, aber ich fürchte sie ists, denn wer beleidigt hat, verzeiht dem andern Theil eignes Unrecht schwerer, als der Beleidigte jenem das seinige ...

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5. An Luise Gotter

[Göttingen Ende Oktober 1781]

... Du hast Schlözer und seine Tochter kennen gelernt. Was sagst Du zu dieser Reise, und zu der sonderbaren Erziehung? Ich wundre mich, daß ein Mann mit so viel feinen, durchdringenden, umfaßenden Verstand, zuweilen mit so wenig Vernunft handelt. Es ist wahr, Dortchen hat unendlich viel Talent und Geist, aber zu ihren Unglück, denn mit diesen Anlagen und den bizarren Projecten des Vaters, die sie zu der höchsten Eitelkeit reizen werden, kan sie weder wahres Glück noch Achtung erwarten. Man schäzt ein Frauenzimmer nur nach dem, was sie als Frauenzimmer ist. Ein redendes Beyspiel davon habe ich an der Prinzeßin von Gallizin, die hier war, gesehen, sie war eine Fürstinn, hatte viel Gelehrsamkeit und Kentniße, und war mit alledem der Gegenstand des Spotts, und nichts weniger wie geehrt. Dortchen wird eine andre Gallizin werden. Zumal da der Vater sehr reich ist, und alle seine Absichten durchsezen kan. Und nun diese Reise, die Vater und Tochter den dringendsten Gefahren aussezt; nach einem Lande, wie Italien ist, ein junges Mädchen, solte sie auch noch ein Kind seyn, ohne weibliche Aufsicht! Und der Vater, da die Reise durch Länder geht, wo er von der Rache der Jesuiten, denen er durch sein Journal wesentlichen Schaden gethan hat, alles befürchten muß, wenn ich alles andre nicht rechnen will; und durch die Schweiz darf er gar nicht einmal reisen, das weis er auch wohl. Er hat im lezten Heft von Lichtenbergs Magazin etwas eingerückt von Wasers Todt, das eine Revolte in der Schweiz hervorbringen kan, und unsre hiesigen Schweizer sind so wüthend aufgebracht gegen ihn, daß ich froh bin, daß er schon weg war, wie der Aufsaz erst erschien. Alle seine Freunde, und vorzüglich mein Vater, thun ihm oft genug Vorstellungen, aber er ist taub, sein Wiz, sein beißender treffender Wiz verleitet ihn, er kan keinen satyrischen Gedanken unterdrücken, und wär er noch so bitter. Und doch hat er gewiß einen guten Charakter. – Nikolai war denn auch hier, und was [wars?] freylich selbst der mir sagte, daß er einen Tag länger geblieben wäre um Dich spielen zu sehn. Sein Aeußerliches gefält mir sehr gut, aber ich halte mehr von seinem Verstände wie von seinem Herzen, der Sohn gefiel mir ganz wohl. Sie soupirten bey uns.

Der Auszug vom Göthischen Stück, für den ich Dir sehr danke, macht mich sehr begierig die Ausführung zu sehn, die aber freylich interreßanter seyn muß wie der simple Plan, wenn sie die Ehre haben soll mir zu gefallen. War Dirs nicht möglich mir etwas davon zu schicken, denn Deine Rolle hast Du doch wohl. Schade daß Göthe, der so ganz herrlich, so hinreißend schön schreibt, so sonderbare Gegenstände wählt; und doch kan ich weder seinen Werther, noch Stella, noch die Geschwister unnatürlich nennen, es ist so romanhaft, und liegt doch auch so ganz in der Natur, wenn man sich nur mit ein bischen Einbildungskraft hineinphantasirt. – Sag doch Deinem lieben Mann, daß Meyer hier den Graf Eßex über alle Beschreibung schön gespielt hat, er ist vergöttert worden und man wußte ihm nicht genug Bewundrung zu bezeugen, es ist aber auch ganz seine Rolle, tausendmal hätte ich Deinen Mann hergewünscht. Zweytens sag ihm, daß ich mich neulich sehr über die Entdeckung gefreut habe, daß er einen gewißen Grafen Lichnovsky und Hrn. von Berg, beyde die besten unverdorbensten Seelen, kent. Berg ist auf Reisen gegangen. Man glaubte nicht, daß er sein Vaterland wieder sehn würde, aber seine Gesundheit stärkt sich. Der arme Graf, der mir seines ofnen, unbefangnen Charakters, und seines kunstloosen, gar nicht pretension machenden Verstands [wegen] vorzüglich interreßant ist, ist so schwächlich, daß man sehr um ihn besorgt ist. Er schäzt Deinen lieben Mann ganz außerordentlich, so kurze Zeit er ihn gesehn hat, und wünscht sehr Gotha noch einmal zu sehn ...

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6. An Luise Gotter

Göttingen den 1. November 1781

... Vielleicht sind auch meine Begriffe von der Freundschaft zu ausgedehnt, und ich begreife die Liebe mit drunter, doch wirklich verlieben werde ich mich gewiß nie (denn was ich bisher dafür hielt, war nur Täuschung meiner selbst, ich entsagte diesen Hirngespinsten mit so weniger Mühe;) aber wenn ich heirathen sollte, so würde ich für meinen Mann die höchste Freundschaft, und doch vielleicht nicht so viel, wie für meinen Bruder hegen. – Soll ich Dir noch eins sagen, das auch wohl Folge einer kleinen Sonderbarkeit ist, ich würde, wenn ich ganz mein eigner Herr wäre, und außerdem in einer anständigen und angenehmen Lage leben könte, weit lieber gar nicht heyrathen, und auf andre Art der Welt zu nuzen suchen ...

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7. An Luise Gotter und Wilhelmine Bertuch

Göttingen den 16.[-18.] Aprill 1782

... Morgen erwart ich Lotten, ich kan nicht läugnen, daß mir das Herz schlägt, wenn ich dran denke; ich habe diese ganze Zeit her nicht so eigentlich dran denken mögen, aber nun muß ich wohl. Wie wird das werden? Wie werde ich mit ihr leben? wie wird sie sich künftig betragen? Von dem allen weis ich noch kein Wort. Ich kenne Lotten nicht mehr, sie ist mir jezt eine fremde Person, mit der ichs aufs Gerathewohl probiren muß, und doch liegt meiner künftigen Ruhe so viel darann. Du schriebst mir im Vorbeygehn, Wilhelmine, sie hätte Deinen Beyfall nicht, und das ist mir freylich keine gute Vorbedeutung. Bedauert immer meine Lage ein bischen, sie ist nicht die annehmlichste.

Diese Woche ist mir desto annehmlicher verfloßen. Ich habe Caßel gesehn. Mad. Schlözer reiste ihren Mann dahin entgegen, und nahm mich mit. Ich hatte eine gewaltige Freude drüber, die Tage vorher aß, trank und schlief ich nicht, und ich fastete und wachte nicht vergebens, denn es waren ein paar himmlische Tage. Schon die Zusammenkunft der beyden Eheleute wäre der Mühe werth gewesen, aber Caßel zu sehn, was seit so langer Zeit mein Tichten und Trachten gewesen war, das verlohnte sich der Freude wohl. Im Hinweg wohnten wir auch in Münden einem merkwürdigen aber traurigen Schauspiel bey, der Einschiffung der Truppen nach Amerika. Welch eine allgemeine mannichfaltige, grause Abschieds Sceene. Was sie mir vorzüglich war, das läst sich begreifen. Die Gegend um Münden ist so romantisch, daß sie zu solch einer Sceene geschaffen zu seyn scheint. Dir, liebe Luise, brauch ich nicht zu sagen, wie mir Caßel gefallen hat, nur machte mich der Gedanke unwillig, daß der Landgraf in Münden Menschen verkaufte, um in Caßel Palläste zu bauen. Wir logierten auf dem Königsplaz. Die Collonnade, wo ich die Wachparade aufziehen, und auch, mit allen Respect gesprochen, das Vieh den Landgrafen sah, hat mir vorzüglich gefallen. – Schlözer kam mitten in der Nacht. Diese Zusammenkunft zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern nach so langer und gefährlicher Trennung war ein schöner Auftritt, den gesehn zu haben ich um nichts hingeben möchte. Seine Reise ist ohne den geringsten Unglücksfall abgelaufen, nur wir werden ihn wahrscheinlich verlieren, denn der Kayser hat ihm 4000 rh. Besoldung und den Adelsbrief angeboten. – Unsre Rückreise war äußerst lustig. Es war nichts als Lachen und Jauchzen, Postillons, Bedienten, und alles theilte die Freude. Wir hatten auch verschiedne lächerliche Abendtheuer. Wir zogen endlich gar prächtig in Göttingen ein: 3 zu Pferde vorauf, dann unser Wagen mit 4, die römische Reisegesellschaft mit 6 Pferden, und ein Cabriolet machte den Beschluß. Unser Gefolge vermehrte sich so, daß beym Absteigen vor dem Schlözerischen Hause über 100 Menschen versammlet, Schlözer fast ins Haus getragen wurde und wir uns mit Mühe durchdrängen musten, und hier erscholl ein freudiges Willkommen! überall...

Wir bekommen jetzt die Grosmannische Schauspieler Gesellschaft hieher. Ich freue mich die schöne Frau wiederzusehn. Man schreibt und erzählt mir von Gotha aus Wunderdinge von Ifland und der Räuber Sceene. Ich hätte Deinen Mann dabey sehn mögen, er sah zum Theil sein Werk.

...d. 18. Aprl. Lotte kam gestern Abend ohngeachtet des schrecklichen Wegs und einer fürchterlichen Nacht, in einer wahren und wahrhaftigen Mörder Grube und Räuberhöle mitten in einem Diebswalde zugebracht, glücklich an. Ihr Äußerliches hat sich gar nicht verändert außer einer gothaischen Sprache, daß wir hier alle Maul und Nase aufsperrn.

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8. An Luise Gotter

Göttingen den 5. October 1782

... Ich habe nicht einmal eine gescheute Feder, inmaßen mein Federschneider, der Ludimagister, schon seit 8 Tagen mit dem Sohn und Erben unsres erlauchten Hauses auf die Kirmse gegangen ist.

... Deine Theilnehmung vermehrt mein Glück, und Deine Wünsche sind zu schön, um mich nicht ihre Erfüllung hoffen zu laßen. Aber wie auch mein Schicksaal seyn möge, so werd ich doch niemals der Freundschaft vergeßen, die Dir mein Herz, sobald es empfinden lernte, auf ewig geweiht hat. Meine Anhänglichkeit für Dich bleibt so warm und zärtlich wie immer, keine Liebe kan sie schwächen, keine neue Verbindung die erste heilige zerreißen. Ich habe kein enges Herz, wo solt ich auch denn mit Euch allen hin? Es ist mir schwer zu bestimmen, wer mir der theuerste ist. Ich habe es immer behauptet und es bleibt mir wahr, ich kann ohne Liebe leben, aber wer mir die Freundschaft nimt, der nimt mir alles, was mir das Leben lieb macht ...

Bendas werden auch nach Gotha kommen, er spielt auf der Violine, wie ichs noch niemals gehört habe, aber sie ist dem allgemeinen Urtheil zu Folge nicht Mara, wie man anfangs behaupten wolte. Wilst Du Dir aber die Dichterinn Gatterer lebhaft vorstellen, so sieh die Benda an, nur ist die lezte häßlicher, sonst alles bis auf die Grübchen ...

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9. An Luise Gotter

Göttingen d. 23. Oct. 1782

So muß ichs denn zum zweytenmal meiner lieben gütigen Louise sagen, daß es eine Unmöglichkeit für mich ist, ihrer Einladung zu folgen? Aber soll ich ihr auch sagen, wie schmerzlich dies für mich ist, was es mir gekostet hat, und wie gern, mit welcher unbeschreiblichen Freude ich sie angenommen hätte? O Du weißt es nur zu gut, daß die Erfüllung eines meiner heißesten Wünsche darinn lag, Dich wieder zu sehn. In dieser Brust hätte nicht mehr das Herz voll Freundschaft für Dich und Anhänglichkeit für den Ort Deines Aufenthalts schlagen können, das bisher da wohnte, ich hätte nicht mehr ich selbst seyn können, wenn ich dieser Reise aus einem andern Grunde entsagte, als weil ich muß. Und darum bedaure mich im Stillen, liebe Louise, sage mir aber aus Mitleid nichts davon, denn ich thue mir selbst so herzlich leid, daß ich oft in Versuchung gerathe, vor den Spiegel zu gehn und zu mir zu sagen: Gräme Dich doch nicht zu sehr, Carolinchen.

Und so muß ich denn Louise Schlaeger statt meiner diesen Brief für Dich geben? Vergebens sind Klagen und Wünsche. Man macht so viel Einwürfe gegen die Reise und läßt meine Antworten als partheyisch so wenig gelten, daß ich schweigen und auf beßre Zeiten warten muß. O Zukunft! bring mir die lieben Festtage nur auf eine kurze Dauer zurück. Glaubst Du, daß die ich regrettire jemals wiederkommen? Ach die nicht, wo wir noch in halb kindischer Frölichkeit uns zusammen ein Abendeßen bereiteten, und Du Dich einmahl so herzlich freutest ein Gericht Zwetschen glücklich zu Weg gebracht zu haben. Das fiel mir heute recht lebhaft, da ich mit der Böhmern das nähmliche kochte, ein. Alles das kömt nicht wieder. Und es ist doch das beste des Lebens, denn jeder Mensch fühlt es so, aber selten im Augenblicke des Genußes, und da fühlte ichs! Ich habe alle Freuden eines glücklichen Bewustseyns geschmeckt. Noch erwarten mich gute Tage, schöne mannichfache Auftritte von Glück, aber die ersten bleiben so unauslöschlich wie die freundschaftlichen Verbindungen, die aus ihnen, und aus denen sie entstanden.

Unsre lieben Meiners und Leßens sind wiedergekommen; auf die lezte habe ich mit Ungeduld gewartet. Ich wollte ihr mündlich alles sagen, was indeßen vorgefallen ist, ihr Beyfall sollte das Siegel meines Glücks seyn, und ich habe ihn ganz. Ich bekenne es mit Thränen der Freude, geliebte Louise, ich bin ganz glücklich. Wohl mir, daß ich endlich im ruhigen Hafen bin! Gefährlich war die Fahrt. Unbesonnenheit führte mich auf Irrwege, Leidenschaften warfen mich hin [und] her, ich hätte sinken können, aber die Hand der Vorsehung hielt mich, und ließ mich nur darum alle Unannehmlichkeiten des Wegs fühlen, um mich seines glücklichen Ziels werth zu machen. Und hier danke ich dem Gott, der es mir bereitete. Dich fordre ich auf, Dich mit mir zu freuen ...

Deinen lieben besten Mann küß in meinem Nahmen den Zipfel seines Rocks und seines Mundes, dafür daß er mich Dir zu Gefallen wohl hätte bey sich leiden wollen.

Deine C. M.

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10. An Luise Gotter

Göttingen am 30. Sept. 1783

... Noch in aller Eil ein Wort, meine Liebe. Göthe war hier, und ich hab ihn nun gesehn. Er hielt sich zwey Tage hier auf. Am ersten waren wir mit seinem Anblick zufrieden, weil wir uns nicht träumen ließen, daß er so weitläuftige Besuche geben würde, der folgende Tag war zu einer kleinen Reise aufs Land bestimmt, die einige Herren veranstaltet hatten, uns jungen Damen in die schönsten Gegenden vom ganzen Hannoverischen Land einzuführen. Wir fuhren mit schwerem Herzen weg, und die liebe Sonne am Himmel freute uns nicht. Alles Schöne, was wir sahn, konte ihn uns nicht vergeßen machen. Da ward denn ein bischen geschwärmt, aber nicht tragisch, versteht sich. Ich machte mir unter andern weis, wir wären hieher gegangen seine Gegenwart zu feyern, wir konten uns ihm nicht so ganz nahen: daß er uns lieb gewonnen hätte, wie Werther das Pläzchen am Brunnen, wollten ihm also entfernt huldigen, wie Werther Lotten, da er sich auf die Teraße warf, die Arme nach ihrem weißen Kleid ausstreckte – und es verschwand. Wie wir Abends zu Haus kamen, war er bey Böhmers und bey uns gewesen, und unsre Väter aßen bey Schlözer, wo Göthe war. Da ging ein Wehklagen an.

Jedermann ist zufrieden mit ihm. Und alle unsre schnurgerechten Herren Profeßoren sind dahin gebracht, den Verfaßer des Werther für einen soliden hochachtungswürdigen Mann zu halten.

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11. An Luise Gotter

Göttingen den 3. Aprill 1784

... Eure Reise in unsre Gegenden ist die leichteste Sache ... und Dein Mann muß mir das Versprechen halten sie einst mit Dir zu machen. Wir wollen ihm auch ein Hüttchen auf der Spize des Brocken gegen Aufgang der Sonne bauen ... Wir haben ein artiges Haus, insofern wenigstens, daß es äußerst bequem ist und so freundlich, wie sichs thun läßt, ausgeschmückt wird, und wenn ich ein Schild aushängen möchte, so sollte es gewiß der Tempel der Freundschaft seyn, aber ich liebe das affichiren nicht. Beyde Flügelthüren werden aufgemacht, wenn Ihr komt. Wenn Ihr müde seyd darinnen zu verweilen, so kan ich Euch außer demselben manches angenehme zeigen. Führe Dich, außer Bergwerke und Gruben, in das Haus des Generalsuperintendent Dahme ein, deßen Frau eine Engländerin und meine Cousine ist. Eine Familie, die durch englische Einrichtung und englische Liebenswürdigkeit der Gegenstand der Bewundrung eines jeden und der Neugierde der Fremden ist ... Alsdann siehst Du schöne Gegenden; in Ermanglung der Schweizer. Man nent ja den Harz die Schweiz im kleinen, und Lichtenberg versichert, Clausthal habe die gröste Ähnlichkeit auf den ersten Blick mit Bath in England ... dann lernst Du meinen Böhmer kennen, und ich möchte so gern aus Deinen Munde Beyfall hören. Er ist, wie mir buchstäblich so gesagt ist, der Liebling des Harzes, und was wirst Du Dir für eine Idee von ihm machen, wenn ihn eine gewiße ansehnliche dicke Madam, die sich ihm mit ihren ganzen Gewicht wiedersezte, jetzt unwiederstehlich nent? Das bahnt mir den Weg zum Wohlwollen meiner künftigen Mitbürger, und so der Himmel sein Gedeihn dazu giebt, will ich ihn, so viel ich kan, gehn... Die Spittlern traf ich nicht, aber morgen will [ich] ihr danken und zugleich von ihr Abschied nehmen, denn sie geht auf ein halbes Jahr nach Schwaben in ihr Vaterland, und ich sehe sie nicht wieder. Wenn Du die liebenswürdige Frau kentest, so würde Dirs sehr natürlich vorkommen, daß mir bey dem Gedanken Thränen in den Augen stehn. Sieh! sie ist das Ideal der Frau, die ich meinem Bruder wünschte, und würde das seinige erfüllen. So viel Verstand und Naiveté, frohen Sinn, Güte des Herzens und Selbständigkeit habe ich kaum beysammen gesehn, und in ihrer Figur liegt das alles mit der grösten Anmuth gezeichnet. Ein schönes schwarzes Auge und ein schlanker Wuchs sind das hervorstechende. Doch ich komme ins Beschreiben, und da hat der Erzähler und der Hörer so wenig Genugthuung von, sonst müst ich Dir noch viel von ihrem Mann sagen, der sie übermäßig liebt. Der feinste, beynah spizfindige Kenner des menschlichen Herzens, aber menschenfreundlich, voll Wißenschaft und Wiz, das mag genug seyn. Ich bin so glücklich, daß mir beyde sehr gut sind. Sie und ich kamen in dem ersten Augenblick unsrer Bekantschaft zusammen; sie ist nur zwey Jahr älter wie ich, und gefiel sich im Mädchenzirkel, den sie eben verlaßen hatte. Spittler verlangt, ich sollte einen Nachmittag ganz allein hinkommen, eh er weggieng, weil er mir ein Collegium über den Ehestand lesen wollte. Ich hab es aber versäumt und muß nun unvorbereitet in den verfänglichsten aller Stände treten. Hab ich viel verlohren oder komt man mit guten Glück am besten fort? Er komt ganz gewiß mit seiner Frau nach Clausthal mich zu besuchen, und zu horchen, wies steht. Denn unter uns, er ist der Meinung der Gemahlinn des Grafen Lindenhall in der unversehnen Wette, die Dich Dein Mann so übermüthiger oder unvorsichtiger weise einst spielen lies. Er behauptet, jede gute Frau beherrscht ihren Mann auf erlaubte weise. Ich habe ihn gebeten ganz davon zu schweigen, weil ich mich so klein dabey dünkte beherrschen zu wollen, und er meint, das sey sehr fein philosophirt.

Vor einigen Wochen habe ich bey Therese Heyne mit Meyer und Fr[iederike] Böhmer dejeunirt, und wenn wir einmal zusammen kommen, so kans freylich laut genug werden. Wir besahen Meyers Portefeuille, eine Sammlung von Gemählden der besten Künstler, die er auf seinen Reisen antraf. Angelica Kaufmann ist auch dabey. Eine ähnliche Merkwürdigkeit habe ich eben in Lenardo und Blandine vom Baron Göz radirt gesehn. Hat man es schon in Gotha? Gotter wird sich daran erquicken. Wenn die Zeichnung nur nicht so unrichtig wäre, und statt des Gefühls das Lächerliche zuweilen rege machte. Das Ganze ist herrlich und ein uniquer Einfall. Durch Hofrath Schlözer und Meyer habe ich sehr viel vom Baron von Götz gehört. Er soll im guten und bösen Verstande das gröste Genie seyn. Aus seinem Werk sieht man eine schaffende Einbildungskraft hervorleuchten, wie sie in ganz Europa nicht mehr existiren muß. Therese und ich, wir geben uns dann zuweilen ein Rendésvous im Geist, denn was der eine merkwürdiges kluges oder besonders Dummes ließt, wird sogleich zum andern geschickt. Sie strickt mir jezt ein paar Strümpfe, weil ich in dem Stück nicht so fleißig gewesen war wie Madam Louischen, und zum Abzeichen komt der Cameelskopf aus le diable amoureux oder Biondetta hinein, damit ich, wie ich ihr gesagt habe, sie erkennen, und wißen kan, was es bedeutet, wenn mir das Tanzen in die Füße kömt. Wir haben uns sehr wizige Billetchen über dies Sujet geschrieben ...

Sag mir doch, ist eine gewiße Charteke: Schattenriße teutscher Frauenzimmer genant, schon zu Euch gekommen? Es ist freylich unter aller Critik und der Verfaßer aller möglichen Verachtung werth. Aber es bleibt immer für Frauenzimmer, die nur unbekant ihr eigenthümliches Verdienst behalten, und nur im häuslichen Zirkel zu leben begehren, höchst ärgerlich von einem seichten Kopf fürs Publikum hingestellt zu werden; sich bis zur Satyre loben, und auf die plumpeste Weise tadeln zu laßen. Ein gewißer Müller, ehedem Informator beym Hauptmann Schroeder in Lüneburg, ist der Verfaßer und hat die Damen allerseits nicht weiter gekant, als wie man gewöhnlich mit jemand, den man bey Tisch am dritten Ort sieht, Bekanntschaft macht. Er schreibt jezt ums Brod in Dresden. Mich deucht, es wird überhaupt Mode, daß solche Leute Privatpersonen zur Schau ausstellen, um die angebohrne Neugier, die uns für alles, was um und neben uns in Nachbarhäusern vorgeht, interreßirt, zu locken. Böhmer brachte mir das Buch in einer Gesellschaft, wo die Meiners war, ich muste vorlesen, und wir kamen nicht aus dem Lachen. Das Apollonische Haar ist zum Sprichwort geworden; und da er ihre Schönheit in den Göttinnenrang erhebt, kanst Du Dir vorstellen, wie es mit den andern steht ... Hofrath Heyne wolte seiner Frau eine Galanterie machen und legte es auf ihren Schreibtisch, der in seiner Stube steht, und horchte hoch auf, wie sie beym Durchblättern ganz leise für sich hin le coquin! sagte ... Jedermann fürchtet sich vor dem nächsten Theil.

Von unsern Koppe habe ich noch gar [nicht] mit Dir geredet. Wir verlieren und Ihr gewint einen herrlichen Prediger, der aussieht wie der Jünger Johannes. Ich würde mich nicht drüber trösten, wenn ich hier bliebe. Sie ist eine artige kleine Frau mit dem besten Anstand und einen allerliebsten Phantasie Gesichtchen. Du wirst Dich wundern, wie sie grade eben so niedlich und klein ist wie – verneigen Sie sich, Madam Louischen – wie Du.

Liebe Freundinn, hast Du mir wirklich die ganze Zeit über ruhig zugehört ohne mich zu unterbrechen? Kein Wörtchen Gegenrede? Ach Du schläfst! Nun so ruh sanft. Geschwind will ich Dich noch einmal küßen, und mich dann leise von Dir schleichen. Adieu, in der Thüre werf ich Dir noch einen Kuß zu.

Caroline Michaelis.


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