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Gabriele.

Wir kamen nun auf der Sau an den Ort, wo wir uns trennen mußten. Herr segnete ihn gleichsam ein, und sprach das »Jehovah veji schmereka!« und »panaveleka!« über ihn aus. Ich mußte Schlimmes von Herrn denken, um mir all' sein jetziges Seufzen, Stillsein und Lächeln leicht zu erklären – und das wollt' ich nicht gern. Und er schwieg darüber, schon seit er den Namen Eperies hörte, und den verstoßenen Sohn sah. Der arme Graf ging zu Fuß an dem Wanderstabe nach seiner Aeltern Schlosse zu, und wir wünschten ihm alles nur mögliche Glück. Ich hatte versprochen, in wenigen Tagen bei ihm zu sein, und sah ihm weinend nach. So leid that mir der Mann, aber noch mehr seine Sulamith und das arme unschuldige Kind! Ja ich fühlte vor Wehmuth wieder den Schmerz in der Kehle, wie einst als Kind.

Herr und ich aber, wir schifften noch unsern Weg auf dem Flusse hinab nach dem Dorfe, worinnen Papa und Mama – vielleicht noch wohnten. Denn ich fehlte dem Dorfe schon lang, wie die Italiener die selten vorkommende Abwesenheit des Körpers sehr wichtig zu nennen belieben. Das Gasthaus im Dorfe war stark von Edlen aus der Nachbarschaft besetzt, denn diesen Abend war Maskerade im Schlosse des neuen Herrn von Bär, da der alte Brummbär schon längst nicht mehr brummte. Ich delegirte Herrn nach dem Pfarrhaus, um unter dem Vorwand eines kleinen Handels zu sehen, ob – Hadriane den Schmuck noch habe; und besorgte mir selbst einen Bauch und eine Nase, um auf dem Ball im Schlosse meine Gabriele zu sprechen – denn sie war da, die verfinsterte Sonne! Sie war, wie ich von der Wirthin ausgehorcht, in die Rechte ihres Großvaters, des Marquis du Chateau, getreten, und erhielt in der neuen Gutmachung aller Dinge sein Schloß und die Güter in der Provence zurück. Und nun sie reich sei oder werde, wolle der mit ihr aufgewachsene Sohn des Herrn von Bär sie sich heimlich antrauen lassen, indem er einer öffentlichen Heirath mit ihr sich schäme, die eine halbe Noble und eine halbe Mohrin – besonders an Farbe sei. – Ich hatte keine Ruhe, mein ganzes Herz wachte auf! Gabriele hatte geschlafen in mir, wie eine Biene im blühenden Mohn, dessen Blätter der Regen für sie zum thurmhohen, wehenden Kerker geschlossen! Jetzt war Tag, warmer Sonnenschein, und sie surrte nun, lieblich und ängstlich in meinem Herzen! Welches Glück stand mir bevor, wenn sie mich so wenig vergessen, wie sehr ich sie! Aber ein junges Mädchen-Herz ist von zarterem und weicherem Stoffe als Wachs: Eindrücke zu empfangen! und dann härter als Diamant, sie zu bewahren; denn kein Mensch kann darauf jene, wie vom Ohngefähr, wie im Scherz empfangenen ersten Eindrücke daraus verlöschen, selber der Tod nicht! er kann das ganze Herz nur zerbrechen, nur begraben. – So hofft' ich! Doch wie ich leibte und lebte und liebte, hielt ich mit Recht mein Gebild für kein Ohngefähr, sondern auch für ein Gebild der heiligen Erde; und meine Liebe für keinen Scherz, sondern für eine göttliche Flamme von jenem überall gegenwärtigen Feuer, das selbst in dem elenden Dorfe in zwei armen Kindern aller Welt verborgen, doch gleichallmächtig gewirkt wie am offenen Himmel! Meine Jahre lang bewahrte Besonnenheit war hin, meine Seele betäubt von Freude und Furcht. Ich hörte kaum Herrn, der zurückgekehrt, und mich an den Händen festhalten und mir laut sagen mußte: Der Schmuck ist 15,000 Gulden werth, ohne die Arbeit und Liebhaberei! aber Lajos ist drei Tage vor seinem hundertsten Geburtstage gestorben, und Hadriane wollte drei Tage vom künftigen Leben – vergessen, wenn er das Hundert voll gemacht. Uebermorgen wird er – –

Ich hörte nicht aus, ich dankte ihm nicht, eilte nur, die Illumination meines Bauches zu probiren, der ein ächter, wenn auch bis dato nicht beliebter » Panse de Paris« geworden, und in dessen Raume ich vorn ein kleines Stübchen mit tanzenden Puppen angebracht, das ich von den Kindern der Wirthin geliehen. Ich ließ das grünseidene Vorhängchen herab und ging, Gabrielen mich zu verrathen.

Die Fenster des Schlosses schimmerten hell, der Saal war von Masken erfüllt, Damen und Herrn. Ach, welche Gestalt war Gabriele? Ich zog den Vorhang auf, und ließ die Personen tanzen, und dann wieder ruhen. Neugierige umringten mich. Ein Herr wollte eines der Mädchen in meinem kleinen Zimmer anrühren, vielleicht herausnehmen, aber die kleine Person schrie über grobes Anfassen, übrigens sei sie schon engagirt. Ihr Tänzer tobte und wollte die Bärenhand aus dem Zimmer werfen, es ward allgemeiner Aufruhr unter meinen kleinen Personen. Selbst manche alte Dame glaubte, meine kleinen Persönchen seien eine Lottchen-Familie, die ich beim Hochzeitschmause unter dem Ofen gefangen. Ich ward eine unheimliche Person aus einer heimlichen. – Neue Masken ließen meinen Tanzsaal im Leibe indeß vergessen, ich weinte fast zu meinen Possen, und zog mich zuletzt an ein Fenster zurück. Da trat mir eine Jungfrau näher; groß und doch gehalten, schlank und doch voll, edel im Anstand und doch fast demüthig, daß ich nicht gleich Gabrielen in ihr erkannt hätte, wenn ihre verdunkelte Farbe sie mir nicht verrathen! Ich wollte ihren Namen rufen, aber bezwang mich. Das war das kindische Mädchen nicht! diese nicht jene Brust, dieses nicht jenes Haar, nun so reich, so geschmückt! Sonst wie ein junger Baum mit wenigen Zweigen und Knospen, stand sie jetzt vor mir in voller Blüthe! Mir ward so fromm zu Muth! so ewig jung und frühlingshaft! Ich hätte die Natur anbeten mögen, welche die einmal, schon längst Gebornen, die Lebendigen noch fortwährend heimlich, doch herrlich erschafft, wie sie nimmer gewesen, daß die eigene Mutter ihr Kind nicht erkennen würde, wenn sie es nicht kennte an seiner und ihrer Liebe und holder Gewohnheit – wie ich Gabrielen! Sie ahnte! sie forschte an mir – und ich wollte mein Schicksal wissen! Ich trat einen Schritt zurück, sie blickte verschämt zu Boden, als sei ich ein Fremder. Ich nahm meine Nase ab, schloß meine Augen, und empfand mich nur als ein seliges Lächeln, ein wehmüthiges Regen meiner Augensterne. So stand ich, und wider Willen ächzte Jonas in mir: Gabriele! bin ich es? bist Du es? – Ich hörte kein Wort von ihr. Ich schlug die Augen auf. Da saß Gabriele erbleicht in einem Stuhle, mit ernstem ungeregten Blick, den kleinen Mund wie vor Erstaunen geöffnet, die Hände im Schooße gefaltet. Dann sah sie mich an, ihr zärtliches Auge schenkte die Seele mir wieder, Unruhe ergriff sie, sie stand hastig auf, und winkte mir leis, ihr zu folgen. Dann ging sie langsam, oft weilend unter den Masken, aus dem Saal, durch einige Zimmer, bis in ein einsames. Ich folgte mit Herzklopfen. Sie hatte sich gegen den Kronleuchter so gestellt – aus leider angeborner Ursache der Verschämtheit und Eitelkeit – daß ihr Gesicht im Schatten war und nur verschattet schien. Das arme, das herrliche Wesen! Sie hätte mich gern umarmt, wenn mein Umfang es gestattet, und die Furcht: ob ich ihrer noch werth sei? Aber meine reine Stimme der Liebe, das keiner Liebesschuld sich bewußte Auge, das mit nie so gefühltem Feuer sie rein und bittend anfunkelte, daß jeder Verdacht in ihr schmolz, beruhigten, erhuben, verklärten sie sichtbar. Das Herz eines reinen liebenden Mädchens irrt sich nicht, wenn es nicht will. Und so erwiederte sie auf meine jetzt ausgesprochene Befürchtung ihrer Vermählung: wie hat man hier meinen Großvater behandelt! und wär' er mir auch fremd – wer die Alten und Armen vernachlässigt, der verdient nicht, daß man seine Schulden bezahlt. Sie ruhte in meinem linken Arm; und ich drückte sie an mich. – Aber, fuhr sie mit leiser Stimme fort, darf ich Dir meinen Schwur halten? – Ich hatte himmlisch-schöne, ganz schwarze Basalt-Bilder Aegyptens gesehen – und Schönheit und Liebe, Treue und Adel hatten mir längst keine Farbe mehr; und jetzt – ich empfand Gabrielen nur, ich sahe sie kaum! Und so waren wir unser!

Aber wie sollte sie aus dem Hause kommen? Es ist bös stehlen, wo der Wirth selber ein Dieb ist! – Gabrielens Bär war uns leise nachgeschlichen, und die Scene, wie er sie mir am Herzen erblickte, konnte ihn nicht so erfreuen wie mich, das fühlt' ich! Ich stellte mich ihm als seinen Kameraden Adoni vor, ja, ich warb sogleich keck um Gabrielens Hand. Sie bebte. Sie ließ mich nicht los. Es kann Niemand aus der Haut fahren, das sah ich an ihm! Seine Hitze erregte meine, meine Worte seine Unbesonnenheit, und so bestand er darauf, Gabriele solle noch heut' sein Haus verlassen. Gabriele ergriff seine Hand und küßte sie, dankte für alles empfangene Gute, so geduldig und gut sie selber nämlich das Böse dahin genommen, und weinte – sie weinte, als scheide sie nun aus der Welt, da sie hier, ich nicht mehr weinen sollte! O wie theuer ward sie mir durch diese Thränen! – Sie wandte sich ab. Ich verneigte mich zum Abschied und führte die Schwankende fort. Auf dem Vorsaale hieß sie mich warten; sie sprang auf ihr Zimmer. Ich bewachte die Thür. Nach einiger Zeit kam ein schöner Husaren-Kornet, blitzend von Silber, daraus, daß ich erstaunte – bis Gabriele mich fortzog. Sie beschenkte erst alle Diener im Hause, sie hatte eine große Summe für ihren Beschützer zurück gelassen, sie hatte sich heut' maskiren sollen, und nun mir zu folgen die Kleidung erwählt; ihre wichtigen Documente übergab sie mir in rothsaffianener Mappe, und bald hörten wir zum Fenster meines Zimmers im Gasthaus herein die dumpfen Pauken vom Ball im Schlosse. Und Jonas sprach: laß sie nun pauken! Ihr Leben ist hohl, und Du hast den Juwel!



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